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14 Medizin | Individualisierte Antikoagulationsdauer | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 47 • 08/2015 Nach den derzeitigen Leitlinien-Empfehlun- gen werden insbesondere jüngere Patienten nach einer ersten venösen Thromboembolie (VTE) in der Regel drei Monate antikoagu- liert, sofern keine dauerhaften thrombophi- len Risikofaktoren bzw. prothrombotischen Stimuli (z. B. aktives Krebsleiden) vorliegen. Die adäquate Gerinnungshemmung mit her- kömmlichen Vitamin-K-Antagonisten oder den neuen direkten oralen Antikoagulanzien erreicht in Studien einen 90 %-igen Schutz vor Rezidiven – allerdings nur, solange diese Präparate regelmäßig eingenommen wer- den. Unabhängig von der Dauer der initialen Behandlung kann sich nach dem Absetzen der Medikation erneut eine Gerinnungsak- tivierung entwickeln. Die kumulierte Rezi- divrate innerhalb von zehn Jahren beträgt 20–50 %. Das Rezidivrisiko ist anerkanntermaßen besonders ausgeprägt nach einer ersten „unstimulierten“ (idiopathischen) VTE und/oder einer nicht vollständig aufgelösten initialen Thrombose (sog. residuale venöse Wie lange sollen Patienten nach einer ersten idiopathischen venösen Thromboembolie antikoaguliert werden? Die nicht unerheb- lichen Rezidivraten lassen Diskussionen darüber aufkommen, ob weitgehend stan- dardisierte Empfehlungen zur Antikoagula- tionsdauer all diesen Patienten den bestmög- lichen Schutz bieten oder ob die zusätzliche Evaluierung des individuellen Risikos nicht dazu beitragen könnte, die derzeitige Situa- tion zu optimieren. Die Fragestellung einer individuellen Risikobewertung hat eine ita- lienische Arbeitsgruppe in einer prospektiven multizentrischen Managementstudie aufge- griffen. 1 Als Risikomarker diente der Para- meter „D-Dimer“. Die publizierten Ergebnisse sind ermutigend: Nach dem Absetzen einer oralen Antikoagulation erfassen sensitive quantitative D-Dimer-Tests eine erneut auf- tretende Gerinnungsaktivierung und können so Patienten mit höherem und niedrigem Rezidivrisiko differenzieren. Die klinische Ableitung daraus hieße, die Antikoagulati- onsdauer nach den individuellen D-Dimer- Konzentrationen auszurichten. fotolia/Кирилл Рыжов Individualisierte Antikoagulationsdauer Verbesserter Rezidivschutz Thrombose – RVT). Darüber hinaus existie- ren eine Reihe weiterer, zum Teil kontrovers diskutierter Einflussfaktoren, die in ihrer Kombination schließlich ein individuelles Rezidivrisiko generieren. Daher macht es Sinn, nach Ablauf einer initialen Antikoagu- lation die Patienten objektiv hinsichtlich die- ses spezifischen Risikos einem Monitoring zu unterziehen und die Medikationsdauer danach auszurichten. Frühere Untersuchungen haben Hinweise dafür geliefert, dass „D-Dimer“ als Abbau- produkt eines stabilen Fibringerinnsels und somit indirekter Marker einer Gerinnungs- aktivierung nicht nur das Vorliegen einer VTE ausschließen kann, sondern auch das Risiko eines VTE-Rezidivs abzuschätzen hilft. 2 In diesem Kontext wurden D-Dimer- Ergebnisse in Studien als Bestandteil klini- scher Scores genutzt. Studiendesign Die hier vorgestellte italienische DULCIS- Studie (D-dimer and Ultrasonography in Bieten standardisierte Empfehlungen zur Anti- koagulationsdauer nach erster venöser Thrombo- embolie den bestmögli- chen Rezidivschutz?

Individualisierte Antikoagulationsdauer Verbesserter ... · mit einer ersten isolierten proximalen tie-fen Beinvenenthrombose und/oder Lunge-nembolie. Die initiale VTE war entweder

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Medizin | Individualisierte Antikoagulationsdauer | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 47 • 08/2015

Nach den derzeitigen Leitlinien-Empfehlun-gen werden insbesondere jüngere Patienten nach einer ersten venösen Thromboembolie (VTE) in der Regel drei Monate antikoagu-liert, sofern keine dauerhaften thrombophi-len Risikofaktoren bzw. prothrombotischen Stimuli (z. B. aktives Krebsleiden) vorliegen. Die adäquate Gerinnungshemmung mit her-kömmlichen Vitamin-K-Antagonisten oder den neuen direkten oralen Antikoagulanzien erreicht in Studien einen 90 %-igen Schutz vor Rezidiven – allerdings nur, solange diese Präparate regelmäßig eingenommen wer-den. Unabhängig von der Dauer der initialen Behandlung kann sich nach dem Absetzen der Medikation erneut eine Gerinnungsak-tivierung entwickeln. Die kumulierte Rezi-divrate innerhalb von zehn Jahren beträgt 20–50 %.

Das Rezidivrisiko ist anerkanntermaßen besonders ausgeprägt nach einer ersten „unstimulierten“ (idiopathischen) VTE und/oder einer nicht vollständig aufgelösten initialen Thrombose (sog. residuale venöse

Wie lange sollen Patienten nach einer ersten idiopathischen venösen Thromboembolie antikoaguliert werden? Die nicht unerheb-lichen Rezidivraten lassen Diskussionen darüber­ aufkommen,­ ob­ weitgehend­ stan-dardisierte Empfehlungen zur Antikoagula-tionsdauer all diesen Patienten den bestmög-lichen Schutz bieten oder ob die zusätzliche Evaluierung des individuellen Risikos nicht dazu­beitragen­könnte,­die­derzeitige­Situa-tion zu optimieren. Die Fragestellung einer individuellen Risikobewertung hat eine ita-lienische Arbeitsgruppe in einer prospektiven multizentrischen Managementstudie aufge-griffen.1 Als Risikomarker diente der Para-meter „D-Dimer“. Die publizierten Ergebnisse sind ermutigend: Nach dem Absetzen einer oralen Antikoagulation erfassen sensitive quantitative D-Dimer-Tests eine erneut auf-tretende Gerinnungsaktivierung und können so Patienten mit höherem und niedrigem Rezidivrisiko differenzieren. Die klinische Ableitung­ daraus­ hieße,­ die­Antikoagulati-onsdauer nach den individuellen D-Dimer-Konzentrationen auszurichten.

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Individualisierte AntikoagulationsdauerVerbesserter Rezidivschutz

Thrombose – RVT). Darüber hinaus existie-ren eine Reihe weiterer, zum Teil kontrovers diskutierter Einflussfaktoren, die in ihrer Kombination schließlich ein individuelles Rezidivrisiko generieren. Daher macht es Sinn, nach Ablauf einer initialen Antikoagu-lation die Patienten objektiv hinsichtlich die-ses spezifischen Risikos einem Monitoring zu unterziehen und die Medikationsdauer danach auszurichten.

Frühere Untersuchungen haben Hinweise dafür geliefert, dass „D-Dimer“ als Abbau-produkt eines stabilen Fibringerinnsels und somit indirekter Marker einer Gerinnungs-aktivierung nicht nur das Vorliegen einer VTE ausschließen kann, sondern auch das Risiko eines VTE-Rezidivs abzuschätzen hilft.2 In diesem Kontext wurden D-Dimer-Ergebnisse in Studien als Bestandteil klini-scher Scores genutzt.

StudiendesignDie hier vorgestellte italienische DULCIS-Studie (D-dimer and Ultrasonography in

Bieten standardisierte Empfehlungen zur Anti-koagulationsdauer nach erster venöser Thrombo-embolie den bestmögli-chen Rezidivschutz?

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Diagnostik im Dialog • Ausgabe 47 • 08/2015 | Individualisierte Antikoagulationsdauer | Medizin

Combination Italian Study) bearbeitete folgende Fragestellung: Kann eine einfache Prozedur mit serieller D-Dimer-Messung diejenigen Patienten identifizieren, deren Rezidivrisiko ausreichend niedrig ist (≤ 5 % pro Jahr), um die Antikoagulation nach drei Monaten mit hoher Sicherheit auszusetzen?

Es handelte sich um eine prospektive, mul-tizentrische (18  Zentren) Kohortenstudie an nicht-stationären Patienten (Männer und Frauen ≥ 18 Jahre, außer Schwangere und Frauen kurz nach der Entbindung) mit einer ersten isolierten proximalen tie-fen Beinvenenthrombose und/oder Lunge-nembolie. Die initiale VTE war entweder idiopathisch oder mit einem als schwach definierten transienten Risikofaktor ver-bunden (z.  B. kleine Operation, geringes Trauma, eingeschränkte Mobilität). Zum Studieneintritt waren alle Patienten über mindestens drei beziehungsweise zwölf Monate (bei bekannter RVT) adäquat oral antikoaguliert und zeigten mit etablierten Verfahren keine Anzeichen einer akuten Thrombose/Lungenembolie.

Primärer Endpunkt war ein über definierte Kriterien und durch studienunabhängige

Stellen festgestelltes VTE-Rezidiv bzw. Tod durch VTE. Die Patienten wurden über maximal zwei Jahre nachverfolgt.

Zum Einsatz kamen insgesamt fünf ver-schiedene quantitative D-Dimer-Tests (pro Zentrum der jeweilige Routinetest), deren Sensitivität zum sicheren Ausschluss einer VTE in Studien belegt war. Für die aktuelle Fragestellung zum Rezidivrisiko waren für jeden Test vorab aus geeigneten tiefgefrore-nen Proben alters- und geschlechtsspezifische Cut-off-Werte nach definierten Sensitivitäts- und Spezifitätskriterien ermittelt worden.

Kollektiv und PatientenmanagementFinal ausgewertet wurden 1010  Patienten (davon 560 Männer), die sowohl alle Auf-nahmekriterien als auch die Verfolgbarkeit über zwei Jahre erfüllten. 771 Teilnehmer (63 %) hatten eine erste idiopathische VTE, bei 239 (23,7 %) war das initiale Ereignis mit leichten Risikofaktoren verbunden.

Alle eingeschlossenen Patienten erhielten kurz vor dem Absetzen ihrer Antikoagula-tion und danach zu festgelegten Zeitpunkten eine D-Dimer-Bestimmung (Tab. 1) und fol-gende Instruktionen:

O Wenn und solange der D-Dimer-Wert unterhalb des festgelegten Cut-off-Werts liegt: Antikoagulation aussetzen und zu den definierten Zeitpunkten Messung wiederholen lassen.

O Sobald der D-Dimer-Wert zu einem Messzeitpunkt wieder oberhalb des Cut-off-Werts liegt: Antikoagulation sofort wieder in gewohnter Weise aufnehmen.

O Beim Auftreten eventueller VTE-Symp-tome bzw. bei Blutungen sofort im Zent-rum melden.

O Nach Abschluss der D-Dimer-Bestim-mungen weitere zwei Jahre alle drei bis sechs Monate vorstellen.

Tab. 1: Zeitpunkte der seriellen D-Dimer-Bestimmungen

Zeitpunkt Zeitraum nach Absetzen der Antikoagulation

T0 unmittelbar vor Absetzen der Antikoagulation

T15 15–18 Tage

T30 25–35 Tage

T60 55–65 Tage

T90 85–95 Tage

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Studienfazit: Patienten mit alters- und geschlechtsspezifi-schen „normalen“ D-Dimer- Werten nach erster VTE können die Antikoagulation nach drei Monaten sicher beenden.

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Ergebnisse / OutcomesO Die zum Rezidivausschluss definierten

geschlechts- und altersabhängigen Cut-off-Werte unterschieden sich bei allen Tests von den Herstellerangaben für den VTE-Ausschluss.

O Die Verteilung der D-Dimer-Werte, der daraus gezogenen Konsequenzen für die Antikoagulation sowie die gefundenen Rezidivraten zeigt Abb. 1.

O Die Gruppe, bei der ein D-Dimer-Wert im Verlauf wieder oberhalb des (altersspezifi-schen) Cut-off-Werts lag (Subkollektiv II), war signifikant älter als die mit konstant negativem Wert (Subkollektiv I). Außer-dem waren hier hochsignifikant mehr idiopathische Erstereignisse vertreten.

O Die zeitliche Verteilung erstmals posi-tiver D-Dimer-Werte nach Stopp der Antikoagulation zeigt Tab 2.

O Der Instruktion, bei erstmalig positivem D-Dimer-Ergebnis die Antikoagulation sofort wieder aufzunehmen (Subkollek-tiv IIb), haben sich eher jüngere Patien-ten (< 70 Jahre) widersetzt.

O Die Rezidiv-Patienten der Subgruppe I waren signifikant älter (> 70 Jahre) als der Gruppendurchschnitt (p=0,0008)

O Geschlechtsspezifische Unterschiede in den Rezidivraten traten in keinem Sub-kollektiv auf.

O Die Rezidive im Subkollektiv IIa ereigne-ten sich hauptsächlich im Kontext einer Antikoagulationsunterbrechung.

O Im Subkollektiv IIa traten 14 größere Blutungen (1 x fatal) auf (3,8 %).

Fazit für die PraxisO Die serielle D-Dimer-Bestimmung

mit sensitiven Tests sowie alters- und

geschlechtsspezifischen Cut-off-Wer-ten kann nach einer ersten VTE (idio-pathisch oder bedingt durch leichtes passageres Risiko) die Patienten mit niedrigem Rezidivrisiko identifizieren. Sie können nach der akuten Phase (drei Monate) die Antikoagulation sicher beenden. Darunter fielen in der vorliegenden Studie über 50 % aller Patienten.

O Umgekehrt identifiziert das Monito-ring mit D-Dimer auch diejenigen mit höherem Rezidivrisiko. Patienten, die ihre antikoagulatorische Therapie trotz positivem D-Dimer-Wert nicht wieder aufnahmen, erlitten dreimal häufiger Rezidive.

O Differenzierte Cut-off-Werte beseitigen die bisher gefundenen geschlechts- und altersabhängigen Unterschiede bei den Rezidivraten und erhöhen die Patien-tensicherheit: Einerseits konnten signi-fikant mehr über 70-Jährige die Antiko-agulation stoppen, andererseits wurden mehr Junge (besonders Männer) als Risiko erkannt. Wichtig ist, die Kliniker im richtigen Umgang mit unterschiedli-chen Cut-off-Werten zu schulen.

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Tab. 2: Erstmaliges Auftreten von D-Dimer-Werten oberhalb der definierten Cut-off-Werte nach Stopp der Antikoagulation (T0). T15-T90: Tage nach Antikoagulationsende

Zeitpunkt Anteil (bezogen auf gesamte Kohorte)

T0 4,7 %

T15 20,8 %

T30 13,1 %

T60 6,6 %

T90 3,6 %

Abb. 1: Rezidivhäufigkeit nach erster VTE in Abhängigkeit vom D-Dimer-Ergebnis und der daraus abgeleiteten Therapiestrategie (mod. aus 1)

Gesamtkollektiv1010 Patienten

Subgruppe ID-Dimer T0–T90 konstant negativ

> keine Antikoagulation ab T0 n=528 (53,3 %)

Subgruppe IID-Dimer wurde zwischen T0–T90 erstmals positiv

n=482 (47,7 %)

Rezidive n=25

4,7 % bezogen auf Subgruppe I

Subgruppe IIbKeine Wiederaufnahme der

Antikoagulation nach positivem D-Dimer

n=109

Subgruppe IIaWiederaufnahme der Antikoagulation nach

erstem positivem D-Dimer n=373

Rezidiven=15

13,8 % bezogen auf Subgruppe IIb

Rezidiven=4

1,1 % bezogen auf Subgruppe IIa

Literatur 1 Palareti G et al.: Blood (2014); 124:196–203 2 Palareti G: informahealthcare (2014); doi:

10.1586/17474086.2015.975791