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3 Lebensmittel Silke Hagen und Ulf Stahl (Fermentationsprozesse) Jan Lelley und Klaus-Peter Stahmann (Pilze als Nahrungsmittel) 3.1 Fermentationsprozesse 44 3.1.1 Anwendungsbereiche und wirtschaftliche Bedeutung 44 3.1.2 Starterkulturen 44 3.1.3 Bier und Wein 49 3.1.4 Essig 52 3.1.5 Brot 53 3.1.6 Käse 54 3.1.7 Sauerkraut 56 3.2 Pilze als Nahrungsmittel 57 3.2.1 Wirtschaftliche Bedeutung 57 3.2.2 Stoffwechsel und Entwicklungsphasen 58 3.2.3 Kulturchampignon (Agaricus bisporus) 59 3.2.4 Shiitake 63 3.2.5 Austernpilz 65 3.2.6 Fusarium venenatum – Mykoprotein aus dem Fermenter 67 3.2.7 Ausblick 69 H. Sahm, G. Antranikian, K.-P. Stahmann, R. Takors (Hrsg.), Industrielle Mikrobiologie, DOI 10.1007/978-3-8274-3040-3_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Industrielle Mikrobiologie || Lebensmittel

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Page 1: Industrielle Mikrobiologie || Lebensmittel

3 Lebensmittel

Silke Hagen und Ulf Stahl (Fermentationsprozesse)Jan Lelley und Klaus-Peter Stahmann (Pilze als Nahrungsmittel)

3.1 Fermentationsprozesse 44

3.1.1 Anwendungsbereiche und wirtschaftliche Bedeutung 44

3.1.2 Starterkulturen 44

3.1.3 Bier undWein 49

3.1.4 Essig 52

3.1.5 Brot 53

3.1.6 Käse 54

3.1.7 Sauerkraut 56

3.2 Pilze als Nahrungsmittel 57

3.2.1 Wirtschaftliche Bedeutung 57

3.2.2 Stoffwechsel und Entwicklungsphasen 58

3.2.3 Kulturchampignon (Agaricus bisporus) 59

3.2.4 Shiitake 63

3.2.5 Austernpilz 65

3.2.6 Fusarium venenatum –Mykoprotein aus dem Fermenter 67

3.2.7 Ausblick 69

H. Sahm, G. Antranikian, K.-P. Stahmann, R. Takors (Hrsg.), Industrielle Mikrobiologie, DOI 10.1007/978-3-8274-3040-3_3,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Page 2: Industrielle Mikrobiologie || Lebensmittel

44 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

3.1 Fermentationsprozesse

3.1.1 Anwendungsbereiche undwirtschaftliche Bedeutung

Mikroorganismen spielen eine ganz wichtigeRolle bei der Herstellung von Lebensmitteln:Durch entsprechende Fermentationsprozessewird auf biologischem Wege eine Konservierungerreicht; zum anderen werden Lebensmittelroh-stoffe beispielsweise mit Vitaminen, Enzymen,Geschmacks- und/oder Aromastoffen angerei-chert (z. B. Rohwurst, Brot, Bier, Wein), sodassam Ende höherwertige Produkte entstehen. Sowird z. B. bei der Fermentation von Kohl zuSauerkraut dieses durch eineVielzahl vonMikro-organismen mit Enzymen angereichert, welchedas Produkt bekömmlicher und verdaulichermachen. Der im leicht verderblichen Kohl vor-handene Gehalt an Vitamin C bleibt erhalten.Auch wird bei der zugrunde liegendenMilchsäu-regärung eine Vielzahl von Geschmacksstoffengebildet.

Bis vor etwa 100 Jahren waren die Produk-tionsverfahren nur wenig standardisiert underfolgten meist im überschaubaren Maßstab. Sowurden beispielsweise bis zur Mitte des 19. Jahr-hunderts Abfallhefen der Brauereien oder Bren-nereien für die Herstellung von Brot oder ande-ren Backwaren verwendet, diemeist verunreinigtund nur von minderer Qualität waren. Erst mitEinführung einer Reinzuchthefe (Saccharomycescerevisiae) war es möglich, einen stabilen Back-prozess zu etablieren und Produkte in gleich-bleibender und guter Qualität zu erhalten. DieEntwicklung diverser Konservierungsverfahrenund der Einsatz von Produktionsmaschinenermöglichten den sukzessiven Einzug von in-dustriellen Herstellungsverfahren. Ein wichtigesKriterium bei der Verwendung von Mikroorga-nismen im Lebensmittelbereich ist, dass diesefür die Gesundheit des Konsumenten kein Risi-ko darstellen und idealerweise den sogenanntenGRAS-Status (Generally Recognized As Safe)haben. Falls Mikroorganismen im Lebensmittel-

bereich dieses Charakteristikum nicht besitzen,so muss deren Unbedenklichkeit zumindest em-pirisch zu belegen sein.

Einhergehendmit der starkwachsendenWelt-bevölkerung – laut Weltbevölkerungsberichtdes United Nations Population Fund wurdeam 31. Oktober 2011 die Sieben-Milliarden-Menschen-Marke überschritten – steigt dieNach-frage nicht nur nach gesunden, sondern auchnach allgemein kostengünstigen Lebensmitteln.Die Nahrungsmittelindustrie reagiert auf die-se Nachfrage, indem sie neue Produkte auf denMarkt bringt, bei deren Herstellung die Nut-zung von Mikroorganismen eine wichtige Rollespielt. Im Lebensmittelbereich haben daher Star-terkulturen eine zunehmende Bedeutung. DerBedarf an qualitativ hochwertigen und neuen Le-bensmitteln stieg in den letzten Jahren deutlichan. Die alleine in Deutschland jährlich konsu-mierten Mengen – z. B. Wein (über 2 Mrd. l proJahr), Bier (über 10 Mrd. l pro Jahr), Käse (ca.2 Mrd. kg pro Jahr) und Brot (ca. 6,7 Mrd. kgpro Jahr) – belegen eindrucksvoll, dass Lebens-mittelmikrobiologie heute in großem Maßstaberfolgreich genutzt wird und von großer wirt-schaftlicher Bedeutung ist.

3.1.2 Starterkulturen

Starterkulturen sind vermehrungsfähige Mikro-organismen, die aufgrund ihrer spezifischenStoffwechselleistungen in der Lage sind, denHerstellungsprozess von Lebensmitteln zu in-itiieren oder zu beschleunigen und Geschmack,Aussehen, Konsistenz oder Haltbarkeit zu ver-bessern. Die Bezeichnung „Starterkultur“ beruhtdarauf, dass diese Mikroorganismen den Ver-änderungsprozess des Lebensmittels in Gangsetzen. Genutzt werden vor allem Milchsäure-bakterien (Lactobacillen), wie beispielsweise dieGattungen Lactobacillus, Lactococcus oder Bifi-dobacterium. Auch andere Bakteriengattungensowie Hefen oder auch Schimmelpilze findenals Starterkulturen Verwendung, wie in� Tab. 3.1exemplarisch dargestellt.

Page 3: Industrielle Mikrobiologie || Lebensmittel

3.1 ⋅ Fermentationsprozesse 45

3

� Tabelle 3.1 Mikroorganismen und deren Einsatz als Starterkulturen bei der Lebensmittelherstellung

Gattungen Produkte

LactobacillusPediococcusLactococcusLeuconostocBifidobacteriumStreptomycesMicrococcusStaphylococcusPropionibacteriumAcetobacter

Backwaren, Sauerkraut, Rohwurst, Joghurt, Käse, Bier, Wein, Essig

SaccharomycesKluyveromycesCandidaSchizosaccharomyces

alkoholische Getränke, Backwaren, Rohwurst

PenicilliumAspergillusMucor

Käse, Sojasauce, Rohschinken, Rohwurst

Beispielhaft sei Saccharomyces cerevisiae (Bä-ckerhefe, Backhefe oder auch Bierhefe) genannt,welche in vielen Lebensmittelprozessen kaumwegzudenken ist. Nicht nur bei der Bier-, Wein-oder Backwarenherstellung, sondern z. B. auchals Vitamin-B-Lieferant oder bei der Produktionvon Geschmacksverstärkern spielt die Backhe-fe eine maßgebliche Rolle. Aufgrund der stetigwachsenden Weltbevölkerung sowie der Er-schließung neuer Märkte seien als Beispiele vorallem Indien und China genannt, wo der Bedarfan Backhefe stark anwächst. Derzeit werden jähr-lich weltweit etwa 1,8Mill. t Backhefe hergestellt,rund 110 000 t werden hiervon alleine pro Jahrin Deutschland konsumiert.

Starterkulturen werden den Lebensmittel-rohstoffen in der Regel in hohen Zellzahlenzugesetzt, um damit unerwünschte Mikroor-ganismen, wie beispielsweise pathogene Keimeoder Verderbniserreger, möglichst frühzeitig inihrem Wachstum zu behindern bzw. zu ver-drängen. Insbesondere bei der Verwendung vonLactobacillen spielt eine Rolle, dass aufgrund derBildung von Milchsäure der pH gesenkt wird,sodass typische Verderbniserreger (z. B. Entero-

bacteriaceae, Pseudomonaden und Bacillaceae)unter diesen für sie ungünstigen Wachstumsbe-dingungen nicht vermehrungsfähig sind.

Eine sehr gute Reproduzierbarkeit kann er-reicht werden, wenn als Starter eine Reinkulturverwendet wird. Hierbei handelt es sich z. B. umMilchsäurebakterien oder Hefen, die aufgrundlangjähriger natürlicher Selektionsverfahrenzu Hochleistungsstämmen gezüchtet wurden.Nachteil bei der Verwendung von Reinkulturenist jedoch, dass hier die Aromabildung weni-ger ausgeprägt ist. Moderne Verfahren bedienensich der kontrollierten Mischgärung, da mit ihrder Fermentationsprozess gut reproduzierbar ge-staltet wird – und gleichzeitig, durch Synergienunterschiedlicher Gattungen, ein zufriedenstel-lendes Aromaspektrum erzielt werden kann. Beicharakteristischen Aromastoffen handelt es sichvor allem um Ester, Terpene, Aldehyde, Ketoneu. v.m.

Die Produktion von Starterkulturen lässtsich in zwei wesentliche Abschnitte unterglie-dern:

Der erste Schritt beinhaltet die Anzucht derMikroorganismen. Dabei wird, ausgehend von

Page 4: Industrielle Mikrobiologie || Lebensmittel

46 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

gefriergetrockneteStarterkultur

(Inokulat)

SeparationGefriertrocknung

Anzuchtfermenter Vorfermenter Hauptfermenter

Verpackung

Nährmedium

Waschen

� Abb. 3.1 Schematische Darstellung des Herstellungsverfahrens von Starterkulturen

einer meist gefriergetrockneten Starterkultur,zunächst der sogenannteAnzuchtfermenter beimpft(� Abb. 3.1). Dieser dient dazu, in möglichst kurz-er Zeit eine möglichst große Zellzahl (Biomasse)zu produzieren.Mittels eines Vorfermenters wirddann das Inokulat für den Produktionsfermentergeneriert.

Der zweite Abschnitt des Herstellungsver-fahrens konzentriert sich auf die Separierungund Aufarbeitung der Zellen. Die Abtrennungder Milchsäurebakterien erfolgt unter ande-rem über Düsen- und selbstentleerende Teller-Separatoren. Die aufkonzentrierten Mikroor-ganismen werden anschließend lyophilisiert,unter Ausschluss von Sauerstoff verpackt und bei4 °C gelagert. Um die bei der Gefriertrocknungbeobachteten Aktivitätsverluste möglichst ein-zuschränken, werden lebensmittelechte „Frost-schutzmittel“ (z. B. Glycerin, Mannit, Sorbit)zugesetzt, welche die Größe der sich beim Ein-frierprozess bildenden Wasserkristalle klein hal-ten sollen.

BackhefeDie umgangssprachlich als Backhefe bezeich-nete Hefe gehört zu der Gattung Saccharomyces(altgriech.: „Zuckerpilz“) und wird seit Jahr-tausenden für die Herstellung von Brot, Bier undWein genutzt. Saccharomyces cerevisiae ist ein eu-karyotischer Mikroorganismus, charakterisiert

10 µm

�Abb. 3.2 Elektronenmikroskopische Aufnahme derBackhefe Saccharomyces cerevisiae. Gut zu erkennen sinddie Sprossen bzw. Auswüchse der Tochterzellen sowieSprossnarben

durch einen echten Zellkern und Mitochondri-en. Das Genom der Backhefe besteht aus 12 Mill.Basenpaaren und umfasst 6275 Gene. Die Zel-len der Backhefe sind rund bis oval, sie habeneinen Durchmesser von 5 bis 10 μm und könnensich auch vegetativ durch Knospung oder Spros-sung vermehren. Dabei bildet die Mutterzelleeinen Auswuchs, der sich nach Einwandern desTochterzellkerns abschnürt. Zurück bleibt diesogenannte Sprossnarbe, eine kleine verdickteRingstruktur (�Abb. 3.2).

Die Backhefe ist in der Lage ihren Energie-stoffwechsel sowohl aerob (Atmung) als auch

Page 5: Industrielle Mikrobiologie || Lebensmittel

3.1 ⋅ Fermentationsprozesse 47

3

anaerob (Gärung) durchzuführen. Sie wird da-her auch als fakultativ anaerob bezeichnet. ImRahmen der Atmung werden die Kohlenhydrate(z. B. Glucose) in Anwesenheit von Sauerstoff zuKohlendioxid und Wasser metabolisiert. Wäh-rend unter anaeroben Bedingungen die Kohlen-hydrate primär zu Ethanol und Kohlendioxidvergoren werden.

Für viele industrielle Anwendungen ist dieSeparierung der Zellen vom Fermentations-medium ein wichtiger Aspekt. Recht aufwendigund kostenintensiv ist die Trennung mittelsZentrifugations- und/oder Filtrationsschritten.Aus diesem Grund machen sich viele Prozessedie Eigenschaft der Hefen zur Flockenbildungzunutze. Bei der Ausbildung dieser Flocken spie-len spezielle Zellwand-assoziierte Glykoproteine(Adhäsine) eine Rolle. Die Bildung dieser Adhä-sine, die von fünf FLO-Genen codiert werden,unterliegt einer transkriptionellen Kontrolle. DieTranskription wird bei Stress, insbesondere un-ter Nährstofflimitation, initiiert. Wichtig für dieZell-Zell-Interaktion zwischen den Adhäsinenauf der einen und den Zellwand-Mannanen aufder anderen Seite sind zweiwertigeKationen, z. B.Ca+ (�Abb. 3.3). Die Adhäsin-vermittelten Flo-cken bestehen aus Tausenden Zellen, sodass derPartikeldurchmesser von z. B. durchschnittlich10 μm auf 500 μm zunehmen kann. Da Partikel-durchmesser und Sedimentationsgeschwindig-keit quadratisch voneinander abhängen (Gl. 3.1),nimmt diese in unserem Beispiel um den Fak-tor 2500 zu.

Die Abhängigkeit der Sedimentationsge-schwindigkeit VS vom Partikeldurchmesser d,der Dichte der Flüssigkeit ρFl, der Dichte desPartikels ρP, der Viskosität η und der Beschleu-nigung g (= Erdbeschleunigung) nach dem Sto-kes’schen Gesetz zeigt sich in folgender Glei-chung:

VS =d(ρP − ρFl)g

η(3.1)

Somit kann eine einfache, schnelle und vor allemkostengünstige Sedimentation der Biomasse imFermentationsmedium erreicht werden.

Hefezelle

Hefezelle

Ca2+

Adhäsin

Mannan

�Abb. 3.3 Saccharomyces cerevisiae bildet an der Zell-oberfläche Adhäsine, die, durch Ca2+ aktiviert, Mannanebinden können, was zur Zell-Zell-Interaktion führt.

Es gibt Saccharomyces cerevisiae-Stämme, diesich durch die Bildung niedermolekularer Prote-ine mit antimykotischem Potenzial auszeichnen,sogenannte Killerhefen (K-Hefen). Die Fähigkeitder Toxinbildung beruht auf einer cytoplasma-tischen Infektion mit Doppelstrang-RNA-Viren.Diese Viren codieren für den Toxinvorläufer,welcher von den Hefen zum aktiven Protein pro-zessiert und ausgeschleust wird. Das Killerpro-tein ist aktiv gegen Hefen derselben und äußerstselten gegen Vertreter anderer Spezies; der K-Stamm selbst ist aber immun. K-Hefestämmebesitzen gegenüber Nicht-K-Stämmen einenWachstumsvorteil, indem Nahrungskonkurren-ten abgetötet werden. Für den Menschen sindK-Hefen nicht toxisch. K-Hefen werden haupt-sächlich zur Herstellung von Wein verwendet,da so Kontaminationen durch sensitive Wild-stämme in der Regel ausgeschlossen werdenkönnen.

Produktionsverfahren von BackhefeCharakteristisch für die Backhefe ist der so-genannte Crabtree-Effekt, auch bekannt als„Glucose-Effekt“: Wenn die Glucosekonzentra-tion einen bestimmten Wert im Medium über-

Page 6: Industrielle Mikrobiologie || Lebensmittel

48 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

Verpackung

WaschenFiltration

Backhefeernte

FlüssighefePresshefe

Trockenhefe

SeparationRohmelasseH2SO4

Sterilisator

Filtration

Melasse

aufgearbeiteteMelasse 8–10 %

Melassenaufarbeitung

Produktionsfermentermit

Melassezufütterung

Hefe-Produktion

VorfermenterSaccharomyces cerevisiae

Nährmedium

� Abb. 3.4 Darstellung der wesentlichen Schritte zur Herstellung von Backhefe

schreitet (etwa 100mg/l), wird auch in Gegen-wart von Sauerstoff der vorliegende Zucker teil-weise vergoren. Dieser Effekt wird üblicherweisedurch die Hemmung einiger mitochondria-ler Atmungsketten-Enzyme erklärt. Er könnteaber auch auf einer Regulation des Glucose-Aufnahmesystems oder des Pyruvatmetabolis-mus beruhen. Der Crabtree-Effekt kann vermie-den werden, indem der Backhefe in Gegenwartvon ausreichend Sauerstoff eine begrenzte Glu-cosekonzentration zur Verfügung gestellt wird.

Über einen Zeitraum von nunmehr knapp150 Jahren wurden mittels natürlicher Selek-tionsverfahren Hochleistungsstämme von Sac-charomyces cerevisiae entwickelt, mit welcheneine gleichbleibend hohe Produktqualität undAusbeute ermöglicht wird. Die Herstellung vonBackhefe basiert im Wesentlichen auf der Ver-wendung eines Wachstumsmediums, welchesals Hauptkomponente Melasse enthält. Melassefällt als Nebenprodukt bei der Zuckerherstellungan. Sie enthält etwa 500 g/l Saccharose, diver-se organische Säuren – auch Aminosäuren –,eine Reihe von Vitaminen, Mineralstoffen undSpurenelementen. Wie aus �Abb. 3.4 zu erse-hen ist, besteht ein modernes Verfahren zurBackhefe-Herstellung im Wesentlichen aus dreiSchritten:

1. Zur Herstellung des Nährmediums wirddie Rohmelasse zunächst mit Schwefelsäureversetzt, um den pH-Wert auf etwa 5 ein-zustellen. Anschließend wird die Melassesterilisiert und die Feststoffe werden mit-tels Filtration abgetrennt. Für ein optimalesHefewachstum wird die Melasse dem Nähr-medium, das die weiteren Nährstoffe enthält,in einer Endkonzentration von 8 bis 10%zugegeben.

2. Bei der großtechnischen Hefe-Produktion istes das Ziel, möglichst viel Biomasse zu pro-duzieren; dies gelingt jedoch nur dann, wennder Crabtree-Effekt vermieden wird. Hierzubedient man sich des sogenannten Zulaufver-fahrens bei dem nur das Substrat permanentwährend des Wachstums der Hefe zudosiertwird, sodass die Konzentration von 100mgZucker pro l nicht überschritten wird. DieFermentation läuft im 200-m-Maßstab un-ter nicht-sterilen Bedingungen ab. Da dasKulturmedium mit einer hohen Zelldichtebeimpft und die Fermentationsdauer rela-tiv kurz gehalten wird (ca. 10 bis 24 h), habeneventuell vorliegende Fremdkeime kaum eineVermehrungschance.

3. Zur Gewinnung der Hefebiomasse werdendie Hefezellen mithilfe eines Separators auf-

Page 7: Industrielle Mikrobiologie || Lebensmittel

3.1 ⋅ Fermentationsprozesse 49

3Glycerinaldehyd- P

Phosphoketolase-Weg

Glykolyse

Acetyl- P

Glucose

Glucose

Pyruvat Lactat

Pyruvat Lactat

Ethanol

Acetat

Heterofermentative Milchsäuregärung:

Homofermentative Milchsäuregärung:

�Abb. 3.5 Der homo- und heterofermentative Metabolismus bei Milchsäurebakterien

konzentriert, gewaschen, filtriert und ent-sprechend der gewünschten Handelsformweiterverarbeitet.

Produktionsverfahren vonMilchsäurebakterienFür die Produktion von Milchsäurebakterien-Starterkulturen wird ähnlich dem Verfahren zurHefe-Produktion vorgegangen. Allerdings wer-den hierbei Monosaccharide (Glucose, Fructose)als Kohlenstoffquelle und Caseinhydrolysat alsStickstoffquelle eingesetzt sowie Vitamine der B-Gruppe. Ferner erfolgt die Produktion anaerob,und es wird eine grenzflächenaktive Substanzwie beispielsweise Polysorbat 80 zugesetzt, umeine höhere Biomasse-Produktion zu erreichen.Diese so hergestellte Bakterienbiomasse wirdabzentrifugiert, aufkonzentriert und anschlie-ßend gefriergetrocknet oder sprühgetrocknet,um deren Vitalität als Starterkultur zu erhalten.Die Sprühtrocknung erfolgt zwar bei Temperatu-ren von z. B. 160 °C, da die Wärmekapazität derLuft aber gering und die Oberflächen durch hoheDrücke sehr groß sind, kommt es jedoch zu einerschnellen Abkühlung.

Wie stoffwechselphysiologischeUntersuchun-gen ergeben haben, gibt es bei den Milchsäure-bakterien zwei unterschiedliche Gruppen: diehomofermentativen und die heterofermentati-ven Milchsäurebakterien.

Die homofermentativen Milchsäurebakteri-en (z. B. Lactococcus lactis, Lactobacillus acido-philus, Streptococcus thermophilus, Pediococcusspec.) werden bei der Herstellung von Lebens-mitteln dann verwendet, wenn die Produktionvon Milchsäure im Vordergrund steht, wie z. B.bei Joghurt und Sauergemüse. Diese Bakteriengewinnen ihre Energie durch die Vergärung derZuckers zu Milchsäure. Dabei wird die aus derLactose freigesetzte Glucose über die Glykoly-se (Embden-Meyerhof-Parnas-Weg) zu Pyruvatmetabolisiert, welches dann zu Milchsäure bzw.Lactat bei Ausbeuten von über 90% reduziertwird (�Abb. 3.5).

Heterofermentative Milchsäurebakterien(z. B. Leuconostoc mesenteroides, Lactobacillusbrevis, Weisella spec.) werden dann verwendet,wenn die Produktion von CO und Aromakom-ponenten im Vordergrund steht, so z. B. bei Sau-erteig. Diese Gruppe von Milchsäurebakterienvergärt den Zucker über den Phosphoketola-seweg, sodass als Endprodukte aus der Glucoseneben Lactat auch noch CO, Ethanol und Acetatgebildet werden (�Abb. 3.5).

3.1.3 Bier undWein

BierBier ist ein kohlensäurehaltiges Getränk, dasunter anderem durch einen durchschnittlichen

Page 8: Industrielle Mikrobiologie || Lebensmittel

50 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

LäuterbottichMaischepfanneMaischebottichSchrotmühle

Malz Wasser

Sudpfanne

WhirlpoolWürzekühlerGärtankLagertank

Hefe

HopfenTreber

FilterBier

� Abb. 3.6 Wesentliche Schritte bei der Bierherstellung

Alkoholgehalt von 5% charakterisiert ist. Es wirdaus Wasser, Hopfen und Malz (gekeimte und an-schließend getrocknete Getreidekörner, meistGerste oder auch Weizen) hergestellt. Im Verlaufder Keimung werden in den Körnern verschie-dene Enzyme gebildet bzw. aktiviert, die Stärkein vergärbare Zucker spalten können. Außerdemwerden proteolytische Enzyme gebildet, die dievorhandenen Speicherproteine in Peptide undAminosäuren abbauen. BeimTrocknen (Darren)werden die Keimungsvorgänge unterbrochen,wobei die Enzyme weitgehend intakt bleiben. Beiden für den Fermentationsprozess eingesetztenHefen handelt es sich um verschiedene Speziesvon Saccharomyces. Für obergärige Biere wirdSaccharomyces cerevisiae, für untergärige BiereSaccharomyces carlsbergensis eingesetzt.

Bei obergärigen Bieren steigen die Zellenvon Saccharomyces cerevisiae während der Gä-rung an die Oberfläche, daher die Bezeichnungobergärig. Die Hefe bildet zusammenhängen-de Sprossverbände aus, in denen CO-Bläschengefangen werden, die den Auftrieb zur Oberflä-che verursachen. Obergärige Hefen benötigeneine Gärungstemperatur von 15 bis 20 °C. Sol-che Biere besitzen häufig ein fruchtiges Aroma,das sich aus der vermehrten Bildung von Frucht-estern und höheren Alkoholen ableiten lässt. Zuden obergärigen Bieren zählen unter anderemAltbier, Kölsch, Berliner Weiße, Porter, Weizen-bier und Ale.

Bei untergärigen Bieren bleibt Saccharomy-ces carlsbergensis während der Gärung zunächstdispers in der Würze. Erst mit Einsetzen einerNährstofflimitation (z. B. Kohlenstoffquelle) zum

Ende des Fermentationsprozesses kommt es zurFlockenbildung und zum Absinken der Zellen.Dieses ist im Rahmen des Brauprozesses durch-aus erwünscht, da somit eine einfache und damitauch kostengünstige Trennung von Zellen undFermentationsmedium erreicht werden kann.Die Gärungstemperatur beträgt bei diesen Bier-en 4 bis 9 °C, allerdings werden hierbei wenigerFruchtester gebildet, was zu einem klareren Aro-maprofil führt. Untergärige Biere benötigen dannnoch eine gewisse Reifezeit, bevor sie konsumiertwerden. Zu den bekanntesten untergärigen Bier-en zählen hier Lagerbier, Helles, Export, Pils undSchwarzbier.

Herstellungsverfahren für BierDer Brauprozess ist recht komplex, setzt sichbeim klassischen Verfahren aus acht wesentli-chen Arbeitsschritten zusammen (�Abb. 3.6).Vorbereitend wird in der Schrotmühle zunächstdas für den Brauprozess vorgesehene Malz (ge-keimtes und getrocknetes Getreide) zerkleinert,um das Auflösen der für den Brauprozess wichti-gen Bestandteile zu erleichtern. Das zerkleinerteMalz wird daraufhin im sogenannten Maische-bottich mit Wasser versetzt.

Von dort gelangt die Maische in die Maische-pfanne, wo sie auf verschiedene Temperaturstu-fen erhitzt wird, damit die ursprünglich schwerlöslichen Bestandteile des Malzschrotes – Koh-lenhydrate (Stärke), Proteine und Zellwandsub-stanzen – von den Enzymen im Malz verflüssigtwerden. Dabei wird die Getreidestärke zu Gluco-se, Maltose und Dextrinen abgebaut, es entsteht

Page 9: Industrielle Mikrobiologie || Lebensmittel

3.1 ⋅ Fermentationsprozesse 51

3

die sogenannte Würze. Im Läuterbottich wirdnun die Würze von den ungelösten Bestandtei-len, den Malztrebern getrennt. In der Sudpfannewird die Würze nach Zugabe von Hopfen füretwa 1 bis 2 h gekocht. Ziel der Würzekochungist die Inaktivierung der Enzyme, die Extrakti-on der im Hopfen vorhandenen Bitterstoffe, dasAbtöten von Fremdkeimen in der Würze unddie Bildung von Hydroxymethylfurfural, einemzusätzlichen Farbstoff.

Die Separation von nicht-gelösten Bestand-teilen (denaturierte Proteine) aus der Bierwürzeerfolgt dann im sogenannten Whirlpool. Dieblanke (klare) Würze wird anschließend abge-kühlt (Würzekühler) und gelangt dann in denGärkeller, wo sie in Gärtanks mit einer Bierhefe(Saccharomyces spec.) beimpft wird.

In den gekühlten zylindrisch-konischen Gär-tanks werden nun die aus der Stärke stammendeGlucose und Maltose zu Ethanol vergoren. Dasdabei entstehende Kohlendioxid wird in der Re-gel abgesaugt und aufbereitet, um es dem Bieram Ende des Brauprozesses, oder bei der Abfül-lung, wieder zuzusetzen. Je nach Stamm dauertdie Gärung bis zu zehn Tage (untergärige Hefe)oder vier bis sechs Tage (obergärige Hefe).

Das junge Bier gelangt jetzt in Lagertanks,in welchen die Nachgärung bei ca. 0 °C erfolgt.Während dieser Lagerung wird Diacetyl (But-teraroma), das beim Brauprozess von den Bier-hefen aus dem Stoffwechsel-ZwischenproduktAcetolactat gebildet wird, zu Acetoin und 2,3-Butandiol reduziert, Substanzen, die beim Men-schen geschmacksneutral sind. Ferner wird dernoch vorhandene Restzucker in Alkohol umge-setzt. Die Lagertanks stehen in der Regel unterDruck, das entstehende Kohlendioxid kann nichtmehr entweichen, sondern wird als Kohlensäureim Bier gelöst. Das Bier hat deshalb in der Re-gel einen pH-Wert von 4,5. Diese Nachgärungkann – je nach Biersorte – zwei Wochen bis dreiMonate dauern. Hierbei setzen sich die Trübbe-standteile ab, was die darauffolgende Filtrationbeim Abfüllen des fertigen Bieres erleichtert.

Wenngleich Bier in Europa in den vergange-nen Jahren etwas an Bedeutung verloren hat, sobesteht insbesondere in den asiatischen Ländern

eine starke Nachfrage nach diesem Getränk. Dasspiegelt sich vor allem an den Produktionszahlenvon China wider, die mit 448Mill. hl Platz eins inder Weltrangliste der Bierbrauer besetzten. Ge-folgt wird China von denUSA (227Mill. hl), Bra-silien (114 Mill. hl), Russland (103 Mill. hl) undauf Platz fünf Deutschland (98 Mill. hl).

WeinWein erfreut sich seit Jahrtausenden im In- undAusland recht großer Beliebtheit. Der durch-schnittliche Weinkonsum eines jeden Deutschenbeträgt jährlich etwa 20 l. Insgesamt wurden imJahr 2010 20,2 Mill. hl Wein getrunken, womitDeutschland Rang vier der Statistik einnimmt.Auf den Plätzen eins bis drei sind Frankreich(29,4 Mill. hl), die USA (27,1 Mill. hl) und Itali-en (24,5 Mill. hl) angesiedelt. Platz fünf nimmtChina mit einem Verbrauch von 14,3 Mill. hlein. Erwartet wird, dass insbesondere für Chi-na die Zahlen steigen werden, während sie inDeutschland und Europa eher stagnieren bzw.zurückgehen.

Wein wird aus dem Saft von weißen oderroten Weinbeeren hergestellt, der von Saccharo-myces cerevisiae vergoren wird. Neben Alkoholund Kohlendioxid entstehen dabei auch Neben-produkte, die zum Teil für die Geschmacks- undAromabildung erwünscht sind. Es kann sich da-bei z. B. um organische Säuren, Ester, Acetoin,Diacetyl, Amine, Ketone und Aldehyde handeln.Gleichfalls können sich höherwertige Alkohole(Fuselöle), wie z. B. Propyl- oder Butylalkohol,bilden.

Die auf denWeinbeeren angesiedelten Fremd-hefen (Kloeckera apiculata, Hanseniaspora) stö-ren die Fermentation nicht. Autochtone Milch-säurebakterien (Leuconostoc oenos, Pediococcuscerevisiae) sind bei der Nachgärung des Weinsvon Bedeutung, da sie in der Lage sind, dieentstandenen Abbauprodukte, wie z. B. Brenz-traubensäure, in Produkte zu metabolisieren,die geschmacklich angenehmer sind. Einer derwichtigsten Prozesse bei der Nachgärung istdie biologische Umwandlung der Äpfelsäuredurch Milchsäurebakterien (Oenococcus oeni)zu Milchsäure (malolactische Fermentation).

Page 10: Industrielle Mikrobiologie || Lebensmittel

52 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

Jungwein Schwefelung

Filtration

Schwefelung

Hefe

Trester

Schwefelung

Hefe

Trester Maischegärung

Maische

blaue Traubenpressen

Mostgärung

Filtration

Maische

weiße Traubenpressen

RotweinWeißwein

Reifung

FiltrationAbfüllen

� Abb. 3.7 Wege zur Herstellung von Rot- undWeißwein

Herstellungsverfahren vonWeinNach der Lese werden die Beeren durch Pressenentsaftet (Keltern; �Abb. 3.7). Während für dieWeißweinbereitung der Traubensaft (Most) nunvon den Beerenrückständen aus Schalen, Kernenund Stielen (Treber) abgetrennt wird, erfolgt beiRotweinen die Gärung vor dieser Abtrennung,da die roten Farbstoffe (Anthocyane), die in derSchale der Trauben lokalisiert sind, erst im Gä-rungsprozess durch den gebildeten Alkohol ex-trahiert werden. Durch Zugabe von schwefeligerSäure (50 bis 200 mg/l) zumMost vor derGärungwird das Wachstum der unerwünschten Mikro-organismen, wie z. B. Essigsäurebakterien, wildeHefen und Schimmelpilze, gehemmt. Da dieSaccharomyces cerevisiae-Stämme resistent ge-genüber diesen Sulfitkonzentrationen sind, wirdderen Gäraktivität dadurch nicht beeinflusst.

Die Gärung desMostes erfolgt dann in großenStahlfässern, sie wird heute durch Animpfen mitReinzuchthefen gezielt eingeleitet. Diese Hefenzeichnen sich durch hohe Ethanoltoleranz (bis140 g/l) und durch Resistenz gegen Gerbsäu-re aus. Die Gärtemperatur liegt für Weißwein

bei 12 bis 14 °C, für Rotwein bei 20 bis 24 °C.Nach Abschluss der Hauptgärung – ca. siebenTage – ist der Zucker im Traubenmost weitge-hend zu Ethanol umgesetzt. Bei Rotwein wirdim klassischen Gärverfahren der Wein nach derGärung abgepresst. Der junge Wein unterliegteinige Wochen bis Monate der Nachgärung, wo-bei der Restzucker fast vollkommen vergorenwird. Zum weiteren Ausbau der Geruchs- undGeschmackskomponenten lagert der Wein dannweitere drei bis neun Monate in Fässern, wo-bei dann primär die malolactische Fermentationstattfindet. Danach wird der Wein in Flaschenabgefüllt.

3.1.4 Essig

Essig dient demMenschen seitmehr als 6000 Jah-ren als Säuerungs- und Konservierungsmittel fürviele Speisen. Nach der Lebensmittelverordnungmuss Speiseessig, der zwischen 5 und 15 g Essig-säure pro 100ml enthält, durch die mikrobielle

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3.1 ⋅ Fermentationsprozesse 53

3

Umsetzung alkoholischer Gärungsprodukte wiez. B. Wein, vergorenem Apfelsaft oder verdünn-tem Ethanol gewonnen werden. In der EU wer-den zurzeit ca. 600 000 t Speiseessig pro Jahr pro-duziert.

Bei der mikrobiellen Gewinnung von Es-sig werden Essigsäurebakterien (Acetobacter-Stämme) eingesetzt, welche unter aeroben Be-dingungen Ethanol zu Essigsäure oxidieren.Die bei dieser unvollständigen Oxidation vonEthanol anfallenden Elektronen werden in derAtmungskette unter Energiegewinn auf Sauer-stoff übertragen, weshalb dieser Prozess striktaerob ist. Warum die Essigsäure nicht weiteroxidiert wird, ist unklar. Es wird vermutet, dassdie Enzyme des Citratzyklus nicht vollständigvorhanden oder nicht aktiv sind.

Ende des 14. Jahrhunderts entstand das ers-te industrielle Verfahren zur Essig-Herstellung.Es handelte sich dabei um ein einfaches Ober-flächenverfahren (Orléans-Verfahren), bei demhalb mit Wein befüllte Holzfässer unverschlos-sen bei 16 bis 22 °C gelagert wurden. Nach kurzerZeit entwickelte sich eine Kahmhaut (Biofilm)auf der Oberfläche, die unter anderem aus Essig-säurebakterien bestand, welche den Alkohol imWein zu Essigsäure oxidierten.

Das heute am weitesten verbreitete Verfah-ren zur mikrobiellen Essigsäure-Herstellung istein semikontinuierliches Submersverfahren.Kernstück hierbei ist der Bioreaktor mit einemHochleistungsbelüfter und einem mechanischenSchaumzerstörer. Bei einem semikontinuierli-chen Betrieb wird der Reaktor zu Beginn mitdem alkoholischen Gärungsprodukt gefüllt, wo-bei die Ethanolkonzentration ca. 5% beträgt.Nach Animpfen des Reaktors mit Acetobacter-Stämmen, die säure- und ethanoltolerant sind,erfolgt die Oxidation des Ethanols zu Essigsäu-re. Sobald die Alkoholkonzentration auf 0,05 bis0,3% abgesunken ist, wird etwa die Hälfte desReaktorinhalts abgelassen. Danach wird sofortwieder neues Medium zugegeben, das 12 bis15% Ethanol enthält, um einen neuen Zykluszu starten. Die Fermentationstemperatur beträgt26 bis 28 °C, und die Zyklusdauer liegt bei ca.einem Tag. Die Substrat-Produkt-Ausbeute liegt

bei 90% bei einer Produktendkonzentration von150 g Essigsäure pro l.

3.1.5 Brot

Brot ist eines der Grundnahrungsmittel undwirdim Wesentlichen aus Mehl, Wasser und einemTriebmittel hergestellt. Bei dem Triebmittel kannes sich z. B. um die Backhefe Saccharomyces ce-revisiae oder um Sauerteig – einer Mischung ausBackhefe und Milchsäurebakterien, wie Lacto-bacillus sanfranciscensis, Lactobacillus plantarumoder Lactobacillus brevis – oder um einen che-mischen Zusatz, wie z. B. Natriumhydrogencar-bonat, handeln. Das von den Mikroorganismenproduzierte Kohlendioxid sorgt dabei für dieLockerung des Teigs. Die dabei gebildeten Ge-schmacksstoffe (unter anderem Oligopeptideund Aminosäuren) und Aromakomponenten(z. B. Säuren, Alkohole und Ester) verleihendem Brot einen charakteristischen Geschmackund das feine Aroma. Die einzelnen Brotsortenunterscheiden sich nicht nur aufgrund des ver-wendeten Triebmittels, sondern insbesondereauch aufgrund des verwendeten Getreidemehls(Weizen, Roggen etc.).

Das Weißbrot, das primär aus WeizenmehlundWasser besteht, wird durch die Quellung derKleberproteine (Gluten) im Weizenmehl stabili-siert und durch das von der zugesetzten Backhefeerzeugte CO sehr locker.

Roggenmehl besitzt im Unterschied zu Wei-zen nur geringe Konzentrationen an Gluten, dieBrotmatrix wird hierbei durch Pentosane, diebei saurem pH-Wert quellen, gebildet. Deswe-gen wird in diesem Fall Sauerteig eingesetzt, indem durch Mikroorganismen die erforderlichenSäuren gebildet werden.

HerstellungsverfahrenDie standardisierte Herstellung von Sauerteigbeinhaltet die Verwendung eines Mehl-Wasser-Gemisches, welches mit ausgewählten Mikro-organismen bzw. Starterkulturen beimpft wird.Üblicherweise wird das heterofermentative

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54 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

Ruheperiode 5–8 h

Wachstumtriebkräftiger

Hefen

Anstellsauer26 °C

Ruheperiode 6–10 h

Wachstum vonMilchsäurebakterien

zur Aromabildung

Grundsauer28 °C

Ruheperiode 3–10 h

Wachstum vonMilchsäurebakterien

zur Aroma- und CO2-Bildung

Vollsauer32 °C

� Abb. 3.8 Schematische Darstellung der klassischen Dreistufenführung beim Sauerteig

MilchsäurebakteriumLactobacillus sanfranciscen-sis für die Sauerteig-Herstellung genutzt. Wäh-rend der Fermentation entstehen neben Koh-lendioxid und Milchsäure auch Essigsäure sowiein geringem Maße Ethanol. Zusätzlich einge-setzt wird die Hefe Candida humilis, die durchProduktion von Kohlendioxid ebenfalls zur Teig-lockerung beiträgt und zu einer vermehrtenAromabildung führt. Wichtig ist dabei, dass derEssigsäureanteil vom Gesamtsäureanteil (haupt-sächlich Milchsäure) nicht mehr als 20% beträgt,da das Brot ansonsten einen stark säuerlichenGeschmack bekommt.

Die klassische Dreistufenführung beim Sau-erteig besteht aus Anstell-, Grund- und Vollsau-er, die bei unterschiedlichen Temperaturen inku-biert werden (�Abb. 3.8). Während in der erstenStufe (Anstellsauer) noch dasWachstum vonHe-fen gefördert wird, vermehren sich in der zwei-ten Stufe (Grundsauer) primär die Milchsäure-bakterien. Die dritte Stufe (Vollsauer) dient derAromabildung durch die Produktion von Milch-säure und Essigsäure sowie von Alkoholen, fer-ner ist für die Auflockerung des Teigs die CO-Bildung wichtig.

3.1.6 Käse

Die Herstellung von Käse ist bereits seit Tausen-den von Jahren bekannt und weltweit verbreitet.Zu den bedeutendsten Produzenten zählen die

USA, Deutschland und Frankreich. Alleine inDeutschland wurden im Jahr 2009 insgesamt2,27 Mill. t Käse hergestellt, wobei die Hart-,Schnitt- und Weichkäse mit 57% den größtenAnteil davon ausmachten. Im Grunde handeltes sich bei der Käseherstellung um ein Kon-servierungsverfahren für Milch. Derzeit sindweltweit etwa 2000 unterschiedliche Käsesor-ten auf dem Markt, prinzipiell wird dabei zwi-schen Lab- und Sauermilchkäse unterschieden(� Tab. 3.2). Ersterer ist durch die von den Bakte-rien gebildete Propionsäure und Milchsäure imVergleich zum Sauermilchkäse wesentlich halt-barer, da durch die Propionsäure das Wachstumvon Pilzen gehemmt wird. Das beim Abbau ge-bildete Propionyl-CoA hemmt z. B. die Pyruvat-Dehydrogenase und die Polyketid-Synthase.

Den in der Milch vorhandenen Proteinen(Casein) und Fetten wird durch die sogenann-te Dicklegung (Gerinnung) Wasser entzogen.Diese kann entweder durch eine enzymatischeBehandlung oder durch Mikroorganismen, dieMilchsäure produzieren, (Sauerlegung) erfolgen.Das enzymatische Verfahren basiert traditionellauf der Verwendung von Lab, einem Enzymge-misch aus Chymosin und Pepsin aus Kälberma-gen. Die zur Gerinnung führende Wirkung desLabs ist auf die Abspaltung eines Teils (Glyko-makropeptid) der Caseinmicelle (genauer: des κ-Caseins) durch das Chymosin zurückzuführen.Dadurch verlieren die Micellen ihre „Schutzhül-le“, und es erfolgt eine Aggregation der Micellen,was schließlich zur Gelbildung führt. Das Gel

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3.1 ⋅ Fermentationsprozesse 55

3

� Tabelle 3.2 Charakteristische Beispiele für Lab- und Sauermilchkäse sowie die an deren Herstellung beteiligtenMikroorganismen

Käseart Beispiel Beteiligte Mikroorganismen

LabkäseEmmentaler Streptococcus thermophilus, Lactobacillus lactis, Lactobacillus helveticus

(optional), Propionsäurebakterien

Bergkäse Streptococcus thermophilus, Lactobacillus lactis, Lactobacillus helveticus(optional), Lactobacillus casei (optional), Hefen und Rotschmierebakterien(optional)

SauermilchkäseSauermilchkäse Lactococcus lactis, Lactococcus cremoris, Leuconostoc citrovorum, Penicillium

camemberti (optional), Rotschmierebakterien (optional)

Frischkäse Lactococcus lactis, Lactococcus cremoris

Starterkulturenund Labenzym

DicklegungBruch Molke

WärmebehandlungRohmilch

Formen undPressen

Salzen,Käsereifung

Labkäse(Emmentaler, Bergkäse)

Zusatz vonNitrat/CaCl2/β-Carotin

Reinigung, Einstellung desFett- und Eiweißgehalts

�Abb. 3.9 Wesentliche Schritte zur Herstellung von Labkäse

besteht nach seiner Ausbildung imWesentlichenaus einer festen Phase, dem Proteinnetzwerk, so-wie der darin eingeschlossenen Süßmolke. Nachdem Schneiden des Gels in Käsebruch tritt einTeil der Süßmolke aus dem Gelnetzwerk aus.Über die Temperatur und Größe der Bruchwür-fel/Bruchkörner lässt sich die Trockenmasse desentstehenden Käses steuern. Mit niedriger Tem-peratur und großen Bruchkörnern erzielt manWeichkäse, mit hoher Temperatur und kleinenBruchkörnern Hartkäse. Generell wird der durch„Labenzym“ produzierte Käse als Lab- oder Süß-milchkäse bezeichnet.

Um den heutigen Bedarf an Labenzym über-haupt decken zu können, verwenden moderneHerstellungsverfahren das gentechnisch pro-duzierte Enzym (Chymosin) bei ca. 80% derWelt-Käse-Produktion.

Die Herstellung von Sauermilchkäse erfolgtdurch Zugabe von Milchsäurebakterien (Lacto-coccus spec., Leuconostoc spec.) zur Milch. Diese

produzieren Milchsäure, die zur Gerinnung derMilchproteine führt.

HerstellungsverfahrenBei der Produktion von Labkäse (�Abb. 3.9)können einige von der Käsereiverordnung zuge-lasseneZusatzstoffe hinzugegebenwerden.Dabeihandelt es sich um Calciumchlorid bzw. Calci-umphosphat (maximal 0,2 g/l), wodurch eineverbesserte Dicklegung der Milch erreicht wird.Natriumnitrat/-nitrit unterdrückt das Wachs-tum auskeimender Sporen, z. B. von Clostridien.Das Hinzufügen von β-Carotin verleiht demKäse eine gelbliche oder rötliche Färbung. Wieaus � Tab. 3.2 ersichtlich, werden zur Dickle-gung/Reifung unterschiedlicher Käsesorten un-terschiedliche Starterkulturen zugesetzt. Bei denBeispielen Emmentaler und Bergkäse handelt essich dabei um Streptococcus thermophilus, Lac-tobacillus lactis und gegebenenfalls Lactobacillushelveticus, die der vorbehandelten Milch in un-

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56 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

terschiedlichenKonzentrationen zugegebenwer-den. Propionsäuregärung, hervorgerufen durchPropionibakterien (= Propionsäurebakterien),bewirkt durch das dabei entstehende Kohlen-dioxid die typische Lochbildung im SchweizerKäse.

NachDicklegung undAblauf derMolke (Was-ser, Lactose und lösliche Proteine) wird der soentstandene Bruch (zerkleinerte Caseingallerte)zum Käselaib geformt und in ein Salzbad gelegt.Hier wird dem Käse weiteres Wasser entzogenund damit die Haltbarkeit, aber auch die Stoff-wechselaktivität der zugesetzten Starterkulturenbeeinflusst, wodurch sich die Aromabildungsteuern lässt. Während des Reifungsprozesseswird der Laib bei konstanter Temperatur (10bis 20 °C) und hoher Luftfeuchte gelagert. Da-bei wird das im Käse enthaltene Milchfett durchLipasen der Starterkulturen gespalten und dieentstehenden Fettsäuren zu aromawirksamenAldehyden oder Ketonen reduziert. Ebenfallsvon Bedeutung ist die Proteolyse, bei der Pro-teine zu Peptiden und weiter zu Aminosäuren,Carbonsäuren und Aminen abgebaut werden,was zu einer Veränderung der Konsistenz, desGeschmacks und des Aromaprofils beim Käseführt. BeiWeichkäse mit Schimmelreifung (Brie,Camembert) wird die Proteolyse durch auf derOberfläche des Laibs wachsenden Penicillium ca-memberti forciert. Er kann zwei Endopeptidasen,eine Aspartyl-Protease und eineMetalloprotease,abgeben, die den Käse verflüssigen. Zusätz-lich setzen Carboxy- und AminopeptidasenAminosäuren frei, deren Katabolismus bei derÜberreifung des Käses zur Ammoniakbildungführt. Bis 1970 waren auch grüne Schimmelin der Produktion üblich. Heutzutage werdenausschließlich weiße Stämme verwendet, diemitgegessen werden.

3.1.7 Sauerkraut

Sauerkraut besteht aus Weiß- oder Spitzkohl, derdurch eine Milchsäuregärung haltbar gemachtwird. Neben den Mineralstoffen Kalium, Calci-

um und Magnesium ist Weißkohl auch außerge-wöhnlich reich an Vitamin C (zwischen 30 und100mg pro 100 g), welches bei der Fermentationzu Sauerkraut erhalten bleibt. Kapitän Cook gabwährend seiner Weltumsegelung (1872–1875)Sauerkraut an seine Mannschaft aus und konnteso den Ausbruch von Skorbut verhindern. DerMarkt für Sauerkraut beträgt in Deutschland ca.500 000 t pro Jahr.

HerstellungsverfahrenZunächst wird der frische Kohl in feine Strei-fen geschnitten und in Betonsilos mit 1 bis 3%Kochsalz eingestampft. Durch den entstehendenosmotischenGradienten treten aus denVakuolender Kohlzellen die dort gelagerten Monosaccha-ride als Substrat für die Bakterien aus. NachSauerstoffverbrauch durch aerobe und fakulta-tiv anaerobe Bakterien finden die auf dem Kohlvorhandenen Milchsäurebakterien einen opti-malen Lebensraum, der pH-Wert sinkt unter 4,wodurch mikrobielle Lebensmittelkontaminan-ten nicht mehr vermehrungsfähig sind. Durchdiese Gärung, die etwa vier bis sechs Wochenbei 18 bis 24 °C dauert, wird das Produkt Sauer-kraut nicht nur haltbar, sondern auch die Textur,die Verdaulichkeit und der Geschmack werdenpositiv beeinflusst.

Der ohne Zusatz von Starterkulturen spontaneinsetzende Gärprozess kann in drei distinktePhasen unterteilt werden:� Phase 1: Während der ersten drei Tage siedelt

sich eine aerobe/fakultativ anaerobe Misch-flora unter anderem aus Gram-negativenBakterien (z. B. Enterobacter, Erwinia, Kleb-siella), Bacillus spec., Essigsäurebakterien,Hefen und Schimmelpilze an. Dabei kommtes zur Bildung diverser Säuren (Essigsäure,Ameisensäure), Aldehyde und Ester, die fürdie Geschmacksentwicklung von Bedeutungsind.

� Phase 2: Durch die entstehenden anaerobenBedingungen werden die Milchsäurebakte-rien dominant. Die gesteigerte Milchsäure-Produktion (Konzentration von ca. 1%) unddie Absenkung des pH-Wertes führen da-zu, dass zum Ablauf der zweiten Gärphase

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3.2 ⋅ Pilze als Nahrungsmittel 57

3

Joghurt

Joghurt ist ein Naturproduktmit säuerlichem Geschmack,welches durch die partielleDicklegung von Milch durchMilchsäurebakterien entsteht.Ursprünglich stammt Joghurtaus dem Balkan, wo er aus-schließlich aus Milch produziertwird, die mittels Lactobacil-lus bulgaricus dickgelegt wird.Da dieser auf traditionelle Artund Weise hergestellte Jo-ghurt geschmacklich sehr sauerist (pH-Wert um 3,8), werdenden industriell hergestelltenJoghurts neben besonderen

Starterkulturen auch Zucker,Farbstoffe und Aromen, aberauch Emulgatoren oder Verdi-ckungsmittel zugesetzt.Hergestellt wird Joghurt ausKuh-, Ziegen- oder Schafmilch.Die industriellen Herstellungs-verfahren basieren in der Regelauf der Produktion aus Kuh-milch, da diese geschmacklichmilder ist als Ziegen- oderSchafmilch. Der pasteurisiertenMilch werden Milchsäurebak-terien (Lactobacillen, Strep-tokokken) zugesetzt, welchebewirken, dass die in der Milch

vorhandene Lactose zu Milch-säure metabolisiert wird. Diewährend dieses Prozesses eben-falls entstehenden Aromastoffesind charakteristisch für denfür Joghurt typischen Geruchund Geschmack. Der Joghurtge-schmack ist hauptsächlich aufDiacetyl als Nebenprodukt beider Milchsäuregärung zurückzu-führen, außerdem auf Acetalde-hyd. Durch den pH-Wert von 3,8wird ein Schutz insbesonderevor proteolytischen und lipolyti-schen Bakterien erreicht.

nur noch säuretolerante Milchsäurebakterienvermehrungsfähig sind. Das heterofermen-tative Milchsäurebakterium Leuconostoc me-senteroides vermag in diesem sauren Milieunicht mehr weiter zu wachsen.

� Phase 3: In dieser Phase herrscht zunächstdas homofermentative MilchsäurebakteriumLactobacillus plantarum vor. Mit zunehmen-dem Säuregehalt wird dieses jedoch durchLactobacillus brevis verdrängt, da dieser he-terofermentative Mikroorganismus eine sehrhohe Säuretoleranz aufweist, und andereMilchsäurebakterien (z. B. Pediococcus spec.)verdrängt. Die Milchsäurekonzentration be-trägt nun bis zu 2,5%, bei einem pH-Wertzwischen 3,6 und 3,8 ist das Sauerkraut nunüber Monate haltbar.

Um Fehlgärungen zu vermeiden und zur Be-schleunigung der Gärung, werden heutzutageauch Starterkulturen eingesetzt.

3.2 Pilze als Nahrungsmittel

3.2.1 Wirtschaftliche Bedeutung

Von geschätzten 1,5 Mill. Pilzarten sind bisheretwa 140 000 wissenschaftlich beschrieben. Etwa15 000 Arten bilden einen Fruchtkörper. Nur 30von ca. 5000 essbarenPilzenwerden kommerziellkultiviert. Ein Grund für die Einschränkung istdie Notwendigkeit einer Symbiose vieler Hut-pilze mit Pflanzen, der Mykorrhiza, z. B. desSteinpilzes mit der Eiche, die eine Kultivierungunmöglich macht. In 77 Staaten wurden im Jahr2009 insgesamt mindestens 6,5Mill. t Pilzfrucht-körper produziert. Führend waren China (über70%), die USA (unter 6%) und die Niederlande(unter 4%). Deutschland spielte 2011 als Produ-zent von ca. 60 000 t eine untergeordnete Rolle.

Dieser Abschnitt behandelt drei Speisepilze:den Kulturchampignon, den Shiitake und denAusternpilz.

Der Kulturchampignon (Agaricus bisporus)ist der wichtigste Kulturspeisepilz (über 95%) inder westlichen Hemisphäre. Auch weltweit ge-

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58 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

Substratum

Vergrößerung

Luft

vegetativePhase

generative Phase

� Abb. 3.10 Vegetative und generative Phase eines Basidiomyceten. Das Substratum, z. B. Kompost, wird von Hyphendurchwachsen, die in der Dikaryophase sind. Karyogamie, Meiose und Bildung der Meiosporen erfolgt in bzw. an Basidi-en in der Fruchtschicht der Lamellen des nach unten geöffneten Fruchtkörper-Huts

hört er zu den drei meistangebauten Nutzpilzen.Im Jahr 2009 waren ca. 4Mill. t Fruchtkörper miteinem Gesamtwert von ca. 5 Mrd. US-Dollar aufdemMarkt. In Deutschland war er 2010mit 5 bis7 Euro pro kg der günstigste Speisepilz.

Etwa dreimal so teuer war mit über 20 Eu-ro pro kg der Shiitake (Lentinula edodes). Ermacht in den USA nur etwa 1% der Speisepilz-Produktion aus. In Japan und China liegt derAnteil traditionsbedingt mit 10% bzw. 25%deutlich über dem Kulturchampignon.

Mit nur 0,5% Marktanteil steht der Austern-pilz (Pleurotus ostreatus) in den USA an der drit-ten Stelle. In China und Korea dagegen ist er mit25% bzw. 40% von großer Bedeutung. Der Preispro kg liegt zwischen Champignon und Shiitake.

3.2.2 Stoffwechsel undEntwicklungsphasen

Kultiviert werden Saprophyten, die auf land-oder forstwirtschaftlichen Abfällen wachsen.Man unterscheidet Primärzersetzer, die direktauf Pflanzenresten wachsen, und Sekundärzer-setzer, die Kompost brauchen. Die Effizienz, mitder Pilze diese Reststoffe in hochwertige Nah-rung, z. B. Protein, umwandeln, schlägt Zucht-tiere um Größenordnungen. Kultivierte Pilze

werden von gesundheitsbewussten Konsumen-ten als Bereicherung des Speiseplans geschätzt,die, ähnlich dem Gemüse, viel Wasser und wenigKalorien, dafür aber Balaststoffe, mehr Proteinmit allen essenziellen Aminosäuren, Mineralienund Vitamine, z. B. auch Vitamin D, enthalten.Von besonderer Bedeutung sind Aroma, Form,Farbe und Konsistenz.

Die hier beschriebenen Pilze zeichnen sichin der vegetativen Phase durch ein breites Spek-trum an extrazellulären Enzymen aus. Besonderswichtig sind Enzyme, die in der Lage sind, schwerabbaubare Makromoleküle, wie Lignin oder Cel-lulose, anzugreifen. So wurden z. B. Laccasen,Manganperoxidasen, Endo- und Exoglucanasensowie β-Glucosidasen isoliert und charakteri-siert.

Von einem Verständnis der Abbauprozesse,bei denen viele verschiedene Enzyme zusam-menarbeiten, ist man weit entfernt. So findetman im Genom von Pleurotus ostreatus schon17 Sequenzen, die wahrscheinlich für sekretiertePeroxidasen codieren. Besonders aufregend ist,dass diese Enzyme das hochkomplexe Häm alsprosthetische Gruppe enthalten.

Der Substratabbau geschieht in der vegeta-tiven Phase (�Abb. 3.10). Der Pilz wächst inZellfäden (Hyphen), die wenige Mikrometerdünn sind. Eine Besonderheit ist die für Basidio-myceten typische Zellkernphase. Mütterlicher

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3.2 ⋅Pilze als Nahrungsmittel 59

3

und väterlicher Zellkern liegen nebeneinanderin einem sogenannten Dikaryon vor. Durch Än-derung der Umweltbedingungen, z. B. Licht oderTemperatur, wird, wenn ein Substratmangel ein-getreten ist, die generative Phase induziert. Eswird ein makroskopisch sichtbarer Fruchtkörpergebildet, der von demMyceliummitMetabolitenversorgt wird. Im Hut des Fruchtkörpers wirdbei den Blätterpilzen eine dünne Schicht aufden Lamellen gebildet. Sie enthält die Basidien.Darin läuft die Karyogamie und unmittelbar da-nach die Meiose ab, sodass haploide, einkernigeSporen entstehen (�Abb. 3.10). Eine biologischeFunktion des Fruchtkörpers besteht darin, dieSporen in die Luft zu bringen, sodass sie vomWind davongetragen werden können.

3.2.3 Kulturchampignon(Agaricus bisporus)

Der Hut des Kulturchampignons ist bis zu 10 cmbreit, dickfleischig, fest, weiß, im Jungstadiumglockig, später flach und leicht schuppig. SeineLamellen sind anfangs fleischrosa, später dun-kellila. Der Stiel ist weiß, glatt, kahl, gleichmäßigdick, 3 bis 6 cm lang. Am Stiel ist ein dicker,schmaler Ring, dessen obere Schicht aus demHäutchen (Velumpartiale) und die untere aus derHülle (Velum universale) stammt. Das Fleischdes Kulturchampignons ist weiß, saftig und hateinen angenehmen, aromatischen Geschmack.

Der Champignon wurde Mitte des 17. Jahr-hunderts durch Gärtner bei Paris in Kultur ge-nommen. Von dort hat er sich als „Champignonde Paris“ weltweit verbreitet. Nahe verwandt sinddie ebenfalls kultivierten BlätterpilzeAgaricus bi-torquis, A. arvensis und A. brasiliensis.

Die ersten Hinweise auf die Champignonkul-tivierung in Deutschland stammen aus der Mittedes 19. Jahrhunderts. In den Niederlanden legteman 1825, in den USA 1865 die ersten Champi-gnonkulturen an. Diemoderne Champignonkul-tivierung ist ein ausgefeilter biotechnischer Pro-zess, der hohe Anforderungen an die baulichenund technischen Einrichtungen der Betriebsstät-

te und an die fachlichen Qualitäten des Personalsstellt.

Substrate und SubstratherstellungDas klassische Substrat (landläufig Kompost ge-nannt) enthält zum größten Teil Pferdedung,einschließlich der Einstreu, die hauptsächlichaus Getreidestroh besteht. Der Pferdedung setztsich aus Kot und Urin zusammen. Bei Verwen-dung geeigneter Nährstoffsubstitute kann manauf Pferdedung verzichten.

Neben den pflanzlichen Bestandteilen desSubstrates dient die in ihm vorhandene mi-krobielle Biomasse als Nährstoffquelle für denKulturchampignon. Allein die Kotmasse bestehtbis zu 20% aus Pilzen (Mucor spec., Aspergillusspec., Stemonitis spec. u. a.) und Bakterien (Ba-cillus spec., Proteus spec., Micrococcus spec., Ae-robacter spec. u. a.). Durch Abbau der Biomassegelangt der Champignon zu wichtigen Stickstoff-quellen sowie zu Vitaminen und Mineralstoffen.Das Grundrezept für das Champignonsubstratlautet: 1000 kg Pferdedung, 220 kg Hähnchen-dung, 55 kg Gips, 175 kg Trockenstroh.

Das Champignonsubstrat wird einer etwa 14-tägigen Feststoff-Fermentation unterzogen, umeine homogene Struktur und hohe Selektivitätzu erreichen sowie das Nährstoffangebot zu op-timieren (� Tab. 3.3).

In Phase 1 dieser Feststoff-Fermentation ge-hen bis zu 30% der Substrattrockenmasse verlo-ren. Da leicht abbaubare Bestandteile, wie z. B.Stärke, katabolisiert werden, steigt der Anteilschwer abbaubarer Stoffe, z. B. von Hemicellulo-se, an. Das C/N-Verhältnis des Substrates verengtsich von ursprünglich 30:1 auf etwa 17:1. Biszum Ende der Phase 1 soll sich infolge der mi-krobiologischen Prozesse und von chemischenReaktionen sowie infolge der Pufferwirkung vonGips ein pH-Wert des Substrates von etwa 7 ein-stellen.

Phase 2 des Fermentationsprozesses, der incomputergesteuerten Klimakammern abläuft,startet mit einer wenige Stunden andauerndenPasteurisierung bei 57 bis 58 °C. Es ist eine Grat-wanderung, bei der möglichst viele im Substratbefindlichen Schädlinge vernichtet werden sol-

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60 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

� Tabelle 3.3 Verlauf der Kultivierung von Agaricus bisporus. Nach der zweiten Ernte wird entschieden, ob einedritte Welle abgewartet oder eine neue Kultur gestartet wird

Substratherstellung Tag Temperatur Phasenmerkmale

Feststoff-Fermentation

Phase 1 1.–6. variabel C/N-Verhältnis auf 17:1 reduzieren

Phase 2 7.–14.

Pasteurisierung 7. 58 °C Abtötung unerwünschter Mikroben

Fermentation 8.–14. 45 °C NH+4 -Assimilation, Vitaminbildung durch erwünschteBakterien und Pilze

Kultivierung

Brut-Zugabe 15. 24 °C Beimpfung der Champignonkultur

vegetative Phase 15.–29. 24 °C Durchwachsung des Substrates mit dikaryotischem My-cel; Produktion extrazellulärer Enzyme und Aufnahmeder Kataboliten

Bedeckung mit Erde 30.–36. 24 °C Induktion der generativen Phase

generative Phase 36.–50. 16 °C Karyogamie, Meiose, Bildung haploider Basidiosporen;der Fruchtkörper wird vom Mycel ernährt

1. Fruchtkörper-Ernte 50. 16 °C ca. 50% der möglichen Ausbeute

vegetative Phase 51.–55. 24 °C

2. Fruchtkörper-Ernte 56. 16 °C ca. 30% der möglichen Ausbeute

len, ohne die nützliche Mikroflora gravierend zuschädigen.Die nützliche Substratmikroflorawirddurch thermophile und thermotolerante Pilzewie Humicola insolens, H. lanuginosa,H. griseus,Torula thermophila, Chaetomium thermophileund Aspergillus fumigatus in Verbindung mitschleimbildenden Bakterien wie Bacillus coa-gulans, B. subtilis und anderen repräsentiert.Die fermentativen Prozesse in der Phase 2 derSubstratherstellung laufen bei 43 bis 45 °C ab.Der Biopolymerabbau wird primär mithilfe vonStreptomyceten fortgesetzt. Sie versorgen denKulturchampignon auch mit Vitaminen des B-Komplexes. Der Ammoniak im Substrat wirddurch die nützliche Mikroflora reassimiliert undsteht dem Champignon als leicht abbaubares

Eiweiß zur Verfügung. Am Ende der Phase 2enthält das Champignonsubstrat bis zu 2,4%Gesamtstickstoff, maximal 5 bis 10 ppm flüchti-gen Ammoniak, hat einen pH-Wert zwischen 7,0und 7,8 und ist mikrobiell weitgehend inaktiv.

KulturtechnologieDas Substrat wird nach Phase 2 mit einer Rein-kultur des Champignons beimpft, die man als„Brut“ bezeichnet. Sie wird monoseptisch, z. B.als Mycel, gewachsen auf gereinigten Getrei-dekörnern, von Speziallaboratorien hergestellt.In diesen Laboratorien, von denen es nur eineHandvoll bedeutende gibt, wird derChampignonauch züchterisch bearbeitet, d. h.Wissenschaftlergewinnen Kulturstämme (Sorten), die besondere

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3.2 ⋅Pilze als Nahrungsmittel 61

3

Eigenschaften aufweisen. Solche sind überdurch-schnittlicher Ertrag, fester, unempfindlicherFruchtkörper, gute Lagerfähigkeit und Krank-heitsresistenz. Für kommerzielle Stämme werdennur klassische Methoden angewandt, d. h. Muta-tion/Selektion sowie Kreuzung. Beides ist sehrzeitintensiv. Die moderne Molekularbiologiedient zur Identifizierung von Markern, abernicht zur gezielten Erzeugung gewünschter Ei-genschaften. Champignonproduzenten kaufendie Brut für jede Kulturcharge separat zu.

Man verwendet 0,5 bis 1,0% Brut, bezogenauf die Masse des eingesetzten Substrates. NachgründlichemMischen von Brut und Substrat be-ginnt die Besiedlungs- oder Durchwachsphase.Dafür kann das Substrat in Behältern unter-schiedlichster Art aufbewahrt werden (Kisten,Kunststoffsäcke, Stellagen etc.). Im modernenChampignonanbau setzt sich aber zunehmenddurch, die Besiedlungsphase in ähnlichen Spezi-alräumen, wie für die Phase 2 der Fermentationgeschaffen, in der Masse durchzuführen. DieBesiedlungsphase dauert bei Substrattempera-turen zwischen 22 und 26 °C maximal 14 Tage.Gelegentlich vor Beginn, meistens aber nach Ab-schluss der Besiedlungsphase wird das Substratnochmit einem eiweißreichen Zuschlagstoff auf-gewertet, um dadurch seine Produktivität zuerhöhen. Solche Zuschlagstoffe bestehen z. B.aus Sojamehl, Baumwollsaatmehl oder Erdnuss-schrot. Sie werden in einer Dosis bis 0,15%, be-zogen auf die Masse des eingesetzten Substrates,verwendet. Allerdings erhöht die Verwendungvon Zuschlagstoffen das Risiko, dass sich eineunerwünschte Mikroflora entwickelt. Haupt-sächlich schnell wachsende Schimmelpilze kön-nen eine Temperatursteigerung bewirken. Daskann zum Absterben des Champignonmycels,d. h. zum Totalausfall der Kulturcharge führen.

Das Substrat wird nach der Besiedlungsphasein flachen Lagen (16 bis 18 cm) in großen Kistenoder auf Stellagen platziert. Unmittelbar danach,oder sogar in einem Arbeitsgang, wird die Sub-stratoberfläche etwa 5 cm dick mit einer Schichthochtorfhaltiger Deckerde versehen. Die Qua-lität der Deckerde, ihre Wasserhaltekapazität,pH-Wert, Krümelstruktur und hygienischer Zu-

stand beeinflussen den Fruchtkörperertrag. Diephysiologische Bedeutung der Deckerde liegtin einem Bündel von Stressfaktoren, die denChampignon zum Wechsel aus der vegetativenin die generative Phase anregen. Diese Fak-toren (Nährstoffarmut, wachstumshemmendeMikroorganismenpopulation, Temperaturabfall)werden durch eine geeignete Klimasteuerung inder Umgebung der Champignonkultur ergänzt.Eine weitere wichtige Funktion der Deckerdeist die Speicherung von Wasser. Als Grundregelgilt, dass je kg erwartetem Fruchtkörperertrag2 l Wasser eingesetzt werden müssen. Dieses so-genannte Gießwasser wird zum überwiegendenTeil auf die Deckerde gegeben. Die gesamte Was-sermenge, die einer Champignonkultur bei dreiErnteschüben gegeben wird, erreicht mitunter50 l pro m Beetfläche.

Fruchtkörper-ProduktionAuch nach Auftragen der Deckerde auf das Sub-strat wird die Umgebungstemperatur zunächstbei 22 bis 26 °C gehalten, bis das Champignon-mycel nach sechs bis acht Tagen auf der Ober-fläche der Deckerde erscheint. Danach wirddie Umgebungstemperatur sukzessive auf 18bis 16 °C verringert und die Kultur wird reich-lich belüftet, um den CO-Gehalt auf 800 bis600 ppm zu reduzieren. 20 Tage nach Auftragender Deckerde sind die Fruchtkörper erntereif.Der erste Ernteschub hat sich entwickelt.

Die zahlreichen Fruchtkörperansätze (Prim-ordien) erscheinen in Form von 1 bis 2mmgroßen Knötchen auf den Mycelsträngen. IhrUmfang verdoppelt sich imDurchschnitt täglich.Wegen der großen Raumkonkurrenz entwickelnsich – je nach Kulturmethode – nur 0,6 bis 2,2%der Primordien zu erntereifen Fruchtkörpern(�Abb. 3.11).

Die Fruchtkörperbildung wiederholt sich, inabnehmender Intensität, in sechs- bis siebentä-gigen Abständen. Man spricht von Erntewellen.Während dieser Zeit werden die Umgebungs-temperatur, die Luftfeuchtigkeit und der CO-Gehalt der Luft dem Entwicklungsstand der Kul-tur angepasst. Auchdiewiederholte Bewässerungder Deckerde ist eine unverzichtbare Kulturmaß-

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62 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

� Abb. 3.11 Querschnitt durch eine Champignonkultur. In der unteren Schicht befinden sich die von dem Pilzmycelbewachsenen Strohstücke des Komposts. Die Fruchtkörper wachsen durch die schwarze Deckerde hindurch

nahme. Binnen 18 bis 21 Tagen können bis zu30 kg Champignons je m Kulturfläche geerntetwerden. Die Ernte der Fruchtkörper erfolgt über-wiegend in Handarbeit. Lediglich die für Kon-servenherstellung vorgesehenen Champignons,bei denen optische Qualitätsmerkmale wenigerwichtig sind, werden vielfach maschinell vonder Kulturfläche abgeschnitten. Die Handerntebedeutet für die Erzeuger einen hohen Lohn-kostenaufwand, da jeder einzelne Fruchtkörperangefasst und herausgedreht werdenmuss. UnterBerücksichtigung des Durchschnittsgewichts derChampignonfruchtkörper von 15 g sind es biszu 2000 Fruchtkörper, die von einem Quadrat-meter Kulturfläche einzeln abgenommen werdenmüssen. Es gibt deshalb technische Entwicklun-gen mit dem Ziel, Roboter für die individuelleChampignonernte zu verwenden. Sie sind aberbisher noch nicht praxisreif.

Aus ökonomischen und hygienischen Grün-den werden in der Regel zwei bis drei Erntewel-

len genutzt, danachwird dieKultur (Substrat undDeckerde) unverzüglich entsorgt. Der Raum, indemdie Kultivierung erfolgte, wird gründlich ge-reinigt und desinfiziert.

Das frische Erntegut wird einer Qualitäts-kontrolle unterzogen (Farbe, Verschmutzung,Beschädigung, Gewicht) und unverzüglich auf1 bis 3 °C abgekühlt. Champignons werden inerheblichen Mengen konserviert. Für die Frisch-vermarktung werden die Fruchtkörper nachEU-Norm sortiert. Gehandelt werden Cham-pignons in drei Qualitätsklassen, abhängig vonForm, Aussehen, Entwicklungsstadium, Färbungund Sauberkeit der Fruchtkörper.

Hygiene und Sauberkeit ist in allen Kul-turphasen und Betriebsteilen von besondererBedeutung, da eine Champignonkultur von zahl-reichen Krankheiten und Schädlingen befallenund geschädigt werden kann. Es könnenViruser-krankungen, Bakterienbefall, Konkurrenzpilze,Schadpilze, Nematoden und Schadinsekten auf-

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3.2 ⋅Pilze als Nahrungsmittel 63

3

� Tabelle 3.4 Beispiele für die Substratzusammensetzung im Shiitake-Anbau

Bestandteile Japan Taiwan USA Schweiz Deutschland

Sägemehl 80%Laubholz

90%Laubholz

80%Laubholz

80%Nadelholz

50–80%Laubholz

Reiskleie 19% 5% – – –

Weizenkleie – – 10% 19% –

Maismehl – 4% – – –

Hirsekörner – – 10% – –

Zückerrübenmelasse – – – – 50–20%

Kalk 0,5% 1% – 1% –

Weinsäure 0,5% – – – –

treten, deren Bekämpfung mit Pestiziden wegenfehlender Zulassung nicht möglich ist.

3.2.4 Shiitake

Der Shiitake (Lentinula edodes) gehört wie derKulturchampignon zurOrdnungAgaricales (Blät-terpilze). Sein natürliches Habitat sind Baum-stämme, die er bei ausreichender FeuchtigkeitundWärme, wie sie in asiatischen Regenwäldernzu finden ist, komplett durchwachsen kann. Erist weltweit vermutlich dermeistkultivierte Nutz-pilz, gilt als Speisepilz, aber seit Jahrhundertenauch als Medizinalpilz. Kürzlich wurde ein Toll-like-Rezeptor identifiziert, der auf Makropha-gen (Zellen des menschlichen Immunsystems)vorkommt und hochspezifisch die für Pilze ty-pischen β-Glucane erkennt. Wenn β-Glucan anden Rezeptor bindet, führt das über Interleukin-Bildung zur Proliferation der Makrophagen. Einβ-Glucan des Shiitake namens Lentinan wird inJapan industriell extrahiert, gereinigt und in derMedizin als general immune response modifierintravenös eingesetzt.

In Europa hat sich der Shiitake, obwohl dieerstenKultivierungsversuche bereits vormehr als100 Jahren durchgeführt wurden, nicht durchge-

setzt. In Deutschland ist weder die Produktionnoch der Konsum des Shiitake bedeutend undbleibt weit (unter 10%) hinter dem des Kul-turchampignons zurück. Auch anderswo in derwestlichen Hemisphäre hat er sich nicht verbrei-tet. Der Schwerpunkt seiner Kultivierung undseines Konsums liegt in China, Japan, Korea undIndonesien. Erste Belege über den Anbau desShiitake stammen aus dem Buch der Landwirt-schaft des chinesischen Verfassers Wang Chengaus dem Jahr 1313.

Substrate und SubstratherstellungDa ursprünglich Holzbewohner und Saprobiont,wird für die extensive Kultivierung Naturholz,für den großtechnischen Anbau ein überwiegendaus Holzmehl bestehendes Substrat verwendet.Die Kultivierung auf Naturholz ist ein extensivesVerfahren, das oft im Freien stattfindet. Es wirdin Deutschland von Hobby-Pilzkultivateuren,im asiatischen Raum von kleinen bäuerlichenErzeugern verwendet. Als Naturholz wird hier-zulande Buche, Eiche, Erle, Birke und Kastaniebevorzugt. Im asiatischen Raum wird das Holzdes Shii-Baumes (Castanopsis cuspidata) und an-derer Pasania-Arten verwendet. Wichtig ist, dassdieHolzunterlage frisch gefällt, gesund und nichtvon Konkurrenzpilzen befallen ist.

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64 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

Die Schüttsubstrate, die für den großtech-nischen Anbau verwendet werden, bestehenaus Grundstoffen, Zuschlagstoffen und Ergän-zungsstoffen. Als Grundstoffe dienen Sägemehleverschiedener Holzarten. In Deutschland wirdBuchensägemehl bevorzugt. Üblich ist auch dieMischung verschiedener Sägemehle von Laub-hölzern, ja sogar der Einsatz von Nadelholzsä-gemehl. In subtropischen Ländern gilt das Säge-mehl vom Eukalyptus als geeigneter Grundstoff.Ebenfalls üblich ist es, die Sägemehle verschie-dener Sortierung (Sägemehl und Hackschnitzel)miteinander zu mischen, um eine luftdurchlässi-gere Struktur des Substrates zu erreichen.

Die Zuschlagstoffe dienen zur Anreiche-rung des Substrates mit leicht mobilisierbarenStickstoff-, Kohlenstoff-, Vitamin- und Mineral-stoffquellen (� Tab. 3.4). Sie beschleunigen dieBesiedlungsphase und steigern die Fruchtkörpe-rausbeute. Auch Ergänzungsstoffe (organischeSäuren) werden dem Substrat zugefügt, um des-sen Struktur, Wasserhaltefähigkeit und pH-Wertzu regulieren oder um das Nährstoffangebot fürden Shiitake in feiner Abstimmung zu decken.

Schüttsubstrate werden nachMischen der Be-standteile auf etwa 65% Wassergehalt gebracht,in den meisten Fällen in 2,5 bis 3 kg schwerePortionen aufgeteilt und in hitzeresistente Po-lypropylenbeutel mit einem Membranfilter fürden sterilen Gasaustausch gefüllt. Das Substratwird danach mit überhitztem Dampf, meistensbei 121 °C und Überdruck, sterilisiert.

KulturtechnologieNachdem die sterilisierten Substratbeutel abge-kühlt sind, wird eine Reinkultur des Shiitake, dieBrut, dem Substrat zugefügt und der Substrat-beutel wird verschlossen, meistens zugeschweißt.Die Aufwandmenge der Brut ist von verschie-denen Faktoren abhängig und wird mit 1 bis10%, bezogen auf das Substrat, angegeben. DieBeimpfung des sterilen Substrates ist ein Arbeits-gang, bei dem Hygiene und steriles Arbeiten vonentscheidender Bedeutung sind. Eine Kontami-nation des sterilen Substrates muss unbedingtvermieden werden. Besondere Gefahr droht

�Abb. 3.12 Shiitake an einem Substratblock. DieFruchtkörperbildung wird seitlich und oben an der Sub-stratoberfläche initialisiert. Entwicklung von Stil und Hutverlaufen negativ geotrop, sodass die Lamellen nach un-ten zeigen

durch den Befall von Schimmelpilzen, primärvon Trichoderma spec., Aspergillus spec., Mucorspec. und Rhizopus spec., die das Substrat schnellbesiedeln und den Kulturpilz verdrängen oderauch abtöten (Trichoderma spec.).

Die Besiedlungsphase läuft bei Substrattem-peraturen zwischen 25 und 27 °C ab. Es kommthier noch auf die Regulierung der O- und CO-Konzentration innerhalb der Substratbeutel an.Die Besiedlungsphase dauert, je nach Kultur-verfahren und Kulturstamm des Shiitake, sechsbis zwölf Wochen. Sie endet, wenn das Substratkomplett besiedelt ist und nachdem sich dieSubstratoberfläche infolge oxidativer Prozesse,katalysiert durch Phenol-Oxidasen, ganz oderteilweise braun verfärbt hat. Wegen der radi-kalischen Abbaureaktionen kommt es auch zurVernetzung von Makromolekülen, weswegensich das Schüttsubstrat in einen Substratblock,der an ein Stück von einem Baumstamm erin-nert, umwandelt (�Abb. 3.12).

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3.2 ⋅ Pilze als Nahrungsmittel 65

3

Fruchtkörper-ProduktionNach Entfernung der Kunststoffverpackung setztdie Bildung der Fruchtkörper binnen wenigerTage ein. DieOptimierung erfolgt durchRegulie-rung der Temperatur (16 bis 20 °C), der relativenLuftfeuchtigkeit (60 bis 80%), der Luftzirkula-tion (Austausch vier- bis achtmal pro h), derBeleuchtung (200 bis 500 Lux, 8 h täglich) undder Substratfeuchte (63 bis 65%). Eine Frucht-körperbildung findet in Abständen von etwavier Wochen mehrmals auf den Substratblö-cken statt. Zwischen zwei Ernteschüben mussdie Kultur eine Ruhe- und Regenerationspha-se durchlaufen, in der intensiver Substratabbauund Nährstoffspeicherung im Mycel erfolgt. Umdiesen Vorgang zu unterstützen wird die Tempe-ratur in der Umgebung erneut auf 25 bis 27 °Cangehoben. Auch die relative Luftfeuchtigkeitwird höher eingestellt. Die erneute Bildung derFruchtkörper wird durch rasches Abkühlen undWässern der Substratblöcke induziert. Zweckmä-ßigerweise werden die Substratblöcke für etwa12 h in kaltes Wasser getaucht.

Die Fruchtkörper des Shiitake werden geern-tet, wenn der Hutrand noch leicht nach untengerichtet ist. Sie werden vom Substrat abge-schnitten und unverzüglich kühl gelagert. DieHaltbarkeit der Shiitake-Fruchtkörper ist deut-lich besser als die des Kulturchampignons. Solässt es sich erklären, dass frischer Shiitake, inansprechender Qualität, selbst aus Fernost perFlugzeug nach Deutschland eingeführt wird. Dasweltweit verbreitete Verfahren für die Haltbar-machung ist die Trocknung.

3.2.5 Austernpilz

Der Austernpilz (Pleurotus ostreatus) ist inDeutschland ubiquitär verbreitet. Wie der Shiita-ke ist er Primärzersetzer, d. h. er kann direkt aufabgestorbenen Pflanzen wachsen. Er bevorzugtLaubholz, insbesondere Rotbuche, befällt dasStammholz und fruchtet mehrere Jahre. Gernewird der Austernpilz von Hobby-Pilzanbauernim Freien auf einer Holzunterlage kultiviert. Man

hat nach dem Zweiten Weltkrieg in Thüringenausgedehnte Austernpilzkulturen auf Stammab-schnitten von Buche und Hainbuche angelegt,um so die damalige Nahrungsmittelknappheitlindern zu helfen. Wirtschaftliche Bedeutungerlangte aber nur die Intensivkultivierung, diesich hauptsächlich in China etabliert hat. In derwestlichen Hemisphäre, wo die großtechnischeAusternpilz-Erzeugung seit den 1960er-Jahrenforciert wird, erlangte sie keine große Bedeutung.Mit Ausnahme von Italien, Spanien und Un-garn werden Austernpilze, in der Relation zumKulturchampignon, in bescheidenen Mengen er-zeugt. Dabei ist der Austernpilz wegen seinerAnspruchslosigkeit bezüglich des Substrates undder einfachen Kulturtechnologie ideal, um land-und forstwirtschaftliche Rest- und Abfallstoffebiotechnisch in Nahrung zu konvertieren.

Substrate und SubstratherstellungDas Substrat setzt sich aus Grund- und Zuschlag-stoffen zusammen. Die Wahl der Grundstoffewird von der örtlichen Verfügbarkeit und vomPreis bestimmt. Im europäischen Raum werdenprimär Getreidestroh und Maiskolben verwen-det. In geringem Umfang kommen auch Soja-,Erbsen- und Rapsstroh, Mais-, Hirse-, Mohn-stengel und Schilf zum Einsatz. In subtropischenund tropischen Ländern werden auch Reisstroh,Baumwollabfälle, Kakaoschalen oder Kaffeepul-pe genutzt.

DieVerwendung vonZuschlagstoffen ist nichtobligatorisch. Obwohl sie eine erhebliche Er-tragssteigerung bewirken können, erhöhen siedas Risiko einer Kontamination des Substra-tes mit Konkurrenzpilzen (Trichoderma spec.).Zuschlagstoffe im Austernpilzanbau sind So-jamehl, Luzernenmehl, Federmehl und sonstigeimVergleich zu Strohnährstoffreiche Substratbe-standteile. Zuschlagstoffe werden, im Verhältnisvon Grundstoffen, zu 10 bis 30% eingesetzt.

Der Prozess der Substratherstellung im Aus-ternpilzanbau ist darauf ausgerichtet, die Grund-und Zuschlagstoffe von Konkurrenzorganismenzu befreien oder diese in einer Balance zu halten,sodass sie die Besiedlung des Substrates mit demAusternpilz nicht beeinträchtigen.

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66 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

Austernpilzkulturen sind hauptsächlich durchKonkurrenzorganismen (Aspergillus spec., Fusa-rium spec.,Mucor spec., Trichoderma spec. u. a.)gefährdet. Aber auch Virus-, Bakterien- undPilzkrankheiten treten in Austernpilzkulturenauf. Weitere Gefahr droht von verschiedenenSchadinsekten.

Diese Voraussetzung kann man auf unter-schiedlichem Wege erreichen: Sterilisation, Se-misterilisation, Pasteurisation, aerobe Fermenta-tion, semianaerobe Fermentation und durch dassogenannte Xerothermverfahren. Überwiegendgebräuchlich sind die Semisterilisation, Pasteuri-sation und aerobe Fermentation.

Mit Ausnahme des Xerothermverfahrenswird das Substrat zuerst gewässert, um es auf68 bis 72% Feuchtigkeit zu bringen. Danachwird es in speziell konstruierten, computerge-steuerten, groß dimensionierten Klimakammernhygienisiert. Beim Xerothermverfahren wird dasSubstrat ohne Wasserzugabe mit Wasserdampf,bei annähernd 100 °C ca. 60 min behandelt undanschließend bewässert und gleichzeitig abge-kühlt.

KulturtechnologieDem Substrat wird nach der Hygienisierung 2bis 4% Brut (bezogen auf das Substratgewicht)beigemengt. Die Besiedlungsphase findet haupt-sächlich in Kunststoffsäcken statt. Wichtig ist,dass manmit den Säcken Substratwände aufbau-en kann, da der Austernpilz seine Fruchtkörperzur Seite hin bildet. Um die gute Handhabungder Substratbehälter zu gewährleisten, sind diesein der Regel mit 20 bis 30 kg Substrat gefüllt. Nurwenige Erzeuger verfügen über Spezialkonstruk-tionen, die es erlauben, Substrateinheiten mitdeutlich höherem Gewicht zu händeln.

Man muss die Entwicklung des Austernpil-zes in der Besiedlungsphase so fördern, dassdieser sich im Substrat verbreiten kann, be-vor andere Organismen sich darin vermehrenkönnen. Die dafür entscheidenden Faktorensind: Substrattemperatur, Brutmenge, Brutver-teilung und Luftzirkulation. Optimal ist eineSubstrattemperatur von 24 bis 26 °Cwährend derBesiedlungsphase. Eine länger anhaltende Sub-

strattemperatur von mehr als 33 bis 35 °C führtzum Absterben des Austernpilzmycels. Eine hö-here Brutmenge und gleichmäßige Verteilungder Brutkörner verkürzen die Besiedlungspha-se. Die geringe Luftzirkulation begünstigt denAusternpilz, dessen Mycel zwischen 15 und 25%CO gut wächst, während Konkurrenzpilze da-durch gehemmt werden. Die Besiedlungsphasesollte nach 16 bis 23 Tagen beendet sein, und dieFruchtkörperbildung sollte beginnen.

Fruchtkörper-ProduktionSubstratsäcke für die Austernpilzkultivierungweisen 15 bis 20mm große Fruktifikationsschlit-ze auf. Durch diese wachsen die Fruchtkörperin Gruppen aus dem Substrat. Der Vorteil dieserMethode ist, dass das Substrat vor Austrock-nung geschützt ist und die Fruchtkörpergruppenentnommen werden können, ohne dadurch dieSubstratoberfläche zu beschädigen (�Abb. 3.13).

Während der Fruchtkörperbildung solltenoptimale Bedingungen hinsichtlich der Lufttem-peratur, Luftfeuchtigkeit, CO-Konzentrationder Luft und Belichtung in der Umgebung derKultur herrschen. Die optimale Lufttempera-tur schwankt sortenabhängig zwischen 15 und24 °C. Die relative Luftfeuchtigkeit sollte zwi-schen 85 und 95% liegen. Der CO-Gehaltder Luft kann die Gestalt der Fruchtkörper be-einflussen; optimal sind Werte unter 600 ppm.Auch der Austernpilz benötigt Licht währendder Fruchtkörperbildung, anderenfalls sind biszur Unkenntlichkeit deformierte Fruchtkörperzu erwarten. In Räumen ohne natürliches Lichtmuss eine Mindestlichtstärke an der Substrat-oberfläche von 150 Lux bei täglich wenigstensachtstündiger Belichtungsdauer gegeben sein.

Geerntet werden Austernpilze in Gruppen,wenn der Hutrand der meisten Exemplare in derGruppe noch nach unten geneigt ist. Die Stiel-enden werden abgeschnitten und verworfen. DieBildung der Fruchtkörper wiederholt sich in ab-nehmender Intensität in Abständen von zwei bisdrei Wochen. Aus Wirtschaftlichkeitsgründenlohnt es sich aber nicht, mehr als drei Ernteschü-be abzuwarten. Als Gesamtausbeute kann man

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3.2 ⋅ Pilze als Nahrungsmittel 67

3

�Abb. 3.13 Austernpilze an Substratsäcken. Die Plastiksäcke werden auf Träger gestellt, wobei ein Gang für die Perso-nen bleibt, die die Fruchtkörper abschneiden

17 bis 20% Frischpilze, bezogen auf das Gewichtdes eingesetzten Substrates, erwarten.

Austernpilze müssen unmittelbar nach derErnte kühl gelagert werden. Sie sind empfindlich,trocknen leicht aus, verlieren an Gewicht und dieHutränder können einreißen. Die Vermarktungerfolgt fast ausschließlich als Frischprodukt. DieVerarbeitung ist – zumindest in Deutschland –unüblich. Für die Vermarktung werden ganzeFruchtkörpergruppen verpackt. Der Alterungs-prozess kann so verlangsamt werden.

3.2.6 Fusarium venenatum –Mykoprotein aus demFermenter

Seit Langem bemüht man sich, mit Pilzen eineneiweißhaltigen Fleischersatz herzustellen. Spei-sepilze, mit ihrem verhältnismäßig hohen Ei-

weißgehalt, werden im Volksmund auch als„Fleisch des Waldes“ bezeichnet. Ein echterDurchbruch gelang, als britische Forscher imRahmen eines drei Jahre dauernden Screeningsnach Fleischersatz aus ca. 3000 Pilzen im Jahr1967 die Spezies Fusarium venenatum als „geeig-net“ identifizierten. Die Kriterien, nach denengesucht wurde, waren preiswerte Kultivierungin großvolumigen Fermentern, hoher Eiweißge-halt und, nach entsprechender Verarbeitung,eine „fleischähnliche“ Textur. Bei F. venena-tum handelt es sich um einen Ascomyceten mitunbekannter Hauptfruchtform, der als pflan-zenpathogener Schimmel z. B. auf Weizen vor-kommt. Spezies der Gattung Fusarium werdenals Schädlinge bekämpft. Besonders unange-nehm kann ihre Produktion von Mykotoxinensein. Diese werden aber nur bei bestimmtenWachstumsbedingungen gebildet, die im Fer-menter ausgeschlossen werden können. Erst1984 gab das britische Ministerium für Ernäh-

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68 Kapitel 3 ⋅ Lebensmittel

� Abb. 3.14 Schlaufenreaktor zurKultivierung von Fusarium venenatum.Das frische Medium wird kontinu-ierlich zugegeben. Durch Einblasenvon Druckluft wird eine Zirkulationerzeugt. Die verdünnte, schnell wach-sende Kultur wird stetig über einenkleineren Kessel geerntet. In diesemwird durch Einleiten von Dampf ei-ne Temperatur erzeugt, der nur dieendogenen RNasen standhalten

Medien-zulauf Druck-

luft

Abluft

Wärmetauscher

Dampf

Erntestrom

rung, Landwirtschaft und Fischerei schließlichden im Fermenter hergestellten Pilz zumVerkaufals menschliche Nahrung frei. In den USAwurdeder GRAS-Status (Generally Recognized As Safe)durch die Food and Drug Administration (FDA)im Jahr 2002 anerkannt. Vom Center of Science inthe Public Interest gab eswegen allergischer Reak-tionen den Antrag, das Mykoprotein vom Marktzu nehmen. Seit 2010 wird es auch in Australienvermarktet. Der Hersteller gibt für das Jahr 2011einen weltweiten Umsatz von über 150Mill. Euroan. Seit Mai 2012 existiert eine deutsche Home-page, die die Markteinführung vorbereiten soll.Das Produkt besteht aus dem Mycel des F. ve-nenatum und enthält im Durchschnitt, bezogenauf 100 g Frischgewicht, 86 kcal, 2,9 g Fett, 0,6 ggesättigte Fettsäuren, 6,0 g Ballaststoffe und 12 gEiweiß. Rindfleisch enthält etwa doppelt so vielEiweiß und Fett. Das Produkt wird unter demHandelsnamen Quorn vermarktet. Quorn isteine Ortschaft in Leicestershire.

Herstellung und VerwendungDer Pilz wird in ringförmigen Blasensäulen(� Abb. 3.14) mit bis zu 150 000 l Fassungsver-

mögen kultiviert. Da die durch aufsteigendePressluftblasen erzeugte Konvektion wesent-lich geringere Scherkräfte erzeugt als die sonstüblichen Rührkessel, bleiben die Hyphen lang.Des Weiteren werden lange Hyphen erhalten,indem kontinuierlich kultiviert wird. Das Kul-turmedium enthält Traubenzucker, Pepton undverschiedene Mineralien. Aufgrund einer fürfilamentöse Pilze relativ hohen Wachstumsra-te von 0,28 pro h können aus einem Fermenter300 kg Pilzbiomasse stündlich geerntet werden.Aber nicht nur das Tempo, sondern auch die Ef-fizienz der Proteinbildung ist nennenswert. Aus1 kg Zucker werden 136 g hochwertiges Proteingebildet. Hühner schaffen nur 49 g Protein prokg Kohlenhydrate.

Nach etwa 1000 Betriebsstunden werdendie Schlaufenreaktoren mit neuen Reinkulturenvon F. venenatum beimpft, um einer möglichengenetischen Veränderung vorzubeugen. Die Pilz-biomasse wird anschließend für 45 min auf 74 °Cerwärmt, mit dem Ziel, den RNA-Gehalt von10% auf unter 2% zu senken. Das funktioniert,weil die RNasen diese Temperaturbehandlungüberstehen, der Abbau also beschleunigt wei-

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Literaturverzeichnis 69

3

terläuft, während alle Nukleinsäure-bildendenProzesse inaktiviert sind. Die Senkung des RNA-Gehalts ist wichtig, um beim Menschen dieBildung von Gicht zu vermeiden. Schnell wach-sende Mikroorganismen enthalten wesentlichmehr RNA als Pflanzen oder Tiere. Die Pilzbio-masse wird danach mit Eiweiß aus Hühnereiernvermischt, um die Pilzhyphen in ein gleichge-richtetes faseriges Geflecht zu formen. Da diePilzhyphen etwa die gleiche Länge und Dickehaben wie Muskelfasern im Fleisch und da-durch eine gewisse Bissfestigkeit erzielt wird,wird Quorn™ als Fleischersatz angeboten undbesonders von Vegetariern geschätzt.

In Großbritannien ist Quorn™ sehr popu-lär. Weniger als zehn Jahre nach der Zulassungwurden dort jährlich schon mehr als 150 Mill.Portionen von Mykoprotein konsumiert. Abge-sehen von Großbritannien ist das Mykoproteinin der Schweiz verbreitet. Unter Cornatur bietetder Schweizer Lebensmittelhandel vegetarischeProdukte an, die teilweise Quorn™ enthalten.Auch in der Niederlande und den USA ist eserhältlich. In Deutschland wird Quorn™ bishernicht angeboten.

3.2.7 Ausblick

Der Traum jedes Pilzproduzenten ist der Anbauvon Steinpilz, Pfifferling oder Trüffel. Doch es istein weiter Weg, die molekularen Mechanismenaufzuklären, die mit der Symbiose von Pilz undPflanzenwurzeln einhergehen bzw. die Frucht-körperbildung auslösen. Einen Ansatz stellt dieAufklärung der Fruchtkörperentwicklung beidem Basidiomyceten-Modell Coprinopsis cinereadar. Sie kann bei diesem Pilz auf einem defi-nierten Medium im Labor innerhalb von zweiWochen beobachtet werden. Mutanten, die imMating verändert sind und dadurch ein Dikary-on mit genetisch identischen haploiden Kernenaufweisen, sind selbst-fertil. Sie ermöglichen dieIdentifizierung von Genen, deren Mutation z. B.eine Blockade in der Fruchtkörperbildung ver-ursachen.

Besonders aufregend wäre im Zuge derFruchtkörperentwicklung auch der Mechanis-mus der Hohlraumbildung. Dass programmier-ter Zelltod (Apoptose) dabei eine Rolle spielt,wird nicht mehr bezweifelt. Inzwischen konn-te bei pflanzenpathogenen Pilzen sogar gezeigtwerden, dass diese bei den Wirtspflanzen Apop-tose induzieren können. Jetzt drängt sich dieFrage auf, wie die asiatischen wissenschaftlichenArbeiten erklärt werden können, die z. B. mitExtrakten von Shiitake eine Apoptose-Induktionbei menschlichen Krebszellen beschreiben.

Jede Charge Fusarium-Mykoprotein muss zuRecht auf Mykotoxine getestet werden. Mit demheutigen Stand der Technik könnten die Geneder Enzyme ihrer Biosynthese ohne Verbleib ei-nes Markers deletiert werden. Sie würden dasRisiko der Mykotoxinbildung auf null setzen.Solange beim Verbraucher die Akzeptanz fürgentechnisch veränderte Lebensmittel fehlt, istdieser Weg jedoch ausgeschlossen.

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