3
Information oder Wissen - vollzieht sich ein Paradigmenwechsel? J. MittelstraB Vorbemerkung Der Titel meines Beitrags klingt ein wenig akademisch, aber er ist es nicht. Jedenfalls nicht in dem Sinne, daB sich hier ein Philo- soph mit (mehr oder weniger) definitorischer Eleganz iiber die tatsachlichen Probleme hin- austraumt, sich also, im wortlichen Sinne, aus dem Staube, dem Staub unserer Proble- me, macht. Vielmehr sol1 es in drei kurzen Anmerkungen um Strukturen der modemen Welt und um den Wandel dieser Strukturen gehen, femer urn die Stichworte Informati- ons- und Wissensgesellschaft geleitet von der Vorstellung, da13 eine Informationsgesell- schaft, unter Gesichtspunkten der Zukunft einer modernen Gesellschaft betrachtet, zu wenig und eine Wissensgesellschaft das noch uneingeloste Versprechen der moder- nen Welt ist. Leonardo-Welt In modernen entwickelten Gesellschaften hat der Mensch als homo faber seine und die Evolution seiner Welt in die eigene Hand, vor allem in seine wissenschaftliche und technische Hand genommen. Aus der Natur wird mehr und mehr ein Artefakt, Entwick- lungen im Forschungs- und Techniksystem verandern, ebenso wie Entwicklungen im Wirtschaftssystem, die mit jenem immer starker verbunden sind, unmittelbar die Grundlagen der Gesellschaft. Schlieljlich ge- wohnen wir uns zunehmend an den Gedan- Prof. Dr. Jiirgen MittelstraB, Philosophische FakultSt, Fachgruppe Philosophie, UniversitSt Konstanz, UniversitZtsstraBe 10, D-78464 Kon- stanz - Vortrag aus AnlaB des BMBF-Kongres- ses ,,Zukunft Deutschlands in der Wissensgese- sellschaft" am 16. Februar 1998 in Bonn. ken, daB sich - Stichworte: Gentechnik und Reproduktionsmedizin - die Natur des Men- schen ebenso verandern la& wie die physi- sche und die gesellschaftliche Welt. Was immer wir tun, die Wissenschaft lenkt unsere Hand; was immer wir wissen, die Wissen- schaft weiB es besser. Der modeme Mensch ist Wissenschaftler, Ingenieur und Kunstler zugleich - wie Leonardo da Vinci, einer der ersten der Modemen - und seine Welt, so be- trachtet, eine Leonardo-Welt. Es ist eine Welt, die das Werk des Menschen ist, und eine Welt, in der sich der Mensch als homo faber standig in seinen eigenen Werken be- gegnet. Und Leonardo spricht auch fur den modemen Menschen: Wer an einen Stern ge- bunden ist, der kehrt nicht um. Dieser Stem heiBt Wissen, oder genauer: Forschung. Forschung findet heute ihre unabdingbaren Aufgaben nicht nur in der Aufrechterhaltung der Zukunftsfahigkeit einer Leonardo-Welt, sondern auch darin, dal3 sie in die Lage ver- setzt, mit den Folgen ffiherer Forschung fer- tigzuwerden. Umweltforschung, Energiefor- schung, Gesundheitsforschung sind Bei- spiele dafur. Da uns unsere Probleme, auch und gerade die selbsterzeugten Probleme, nicht den Gefallen tun, stehenzubleiben, wenn wir stehenbleiben, muB Forschung auch in mancher Hinsicht noch starker als bisher mit jenen Problemen verbunden wer- den, die uns auf den Nageln brennen bzw., schon jetzt absehbar, auf den Nageln brennen werden. Nicht erst die Zukunft, auch schon das, was heute und morgen in einer Leonar- do-Welt Gegenwart ist, hangt an der Lei- stungsfahigkeit von Wissenschaft und For- schung, und diese wiederum nicht nur an den Kopfen der Forscher (als kognitive Voraus- setzung), sondern auch an den Organisati- onsformen der Forschung (als institutionelle Voraussetzung). Dabei bleibt festzuhalten, da13 auch der Fortschritt im Technolo- giebereich in den Kopfen, haufig in den Grundlagenkopfen, beginnt und sich uber innovative Produktionsverfahren in innova- tive Produkte hinein fortsetzt. Mit anderen Worten: Wer der technologieorientierten Forschung Gutes tun will, der mu13 in die Grundlagenforschung investieren, allerdings in eine solche, die die Bertihrung mit der Welt und deren Problemen nicht scheut. Elfenbeinturme passen nur noch bedingt in die Architektur einer Leonardo-Welt. Mit anderen Worten: Fur die moderne Ge- sellschaft gibt es keine Alternative zu den Leistungen von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung. Wo dies dennoch fiir mog- lich gehalten wurde, verlore die moderne Gesellschaft und verlore die Leonardo-Welt ihre Handlungs- und Reaktionsfahigkeiten gegeniiber Entwicklungen, die sich einen Dreck darum scheren werden, auf welchem Stand der Entwicklung eine Gesellschaft und eine Welt stehenbleiben wollen. Das laBt sich auch, an die Adresse von Wissenschaft und Wissenschaftspolitik gerichtet, in die Form eines Wissenschafts- oder Forschungsimpe- rativs bringen. Dieser lautet: Lal3 Dich leiten von der Lust auf das Neue und dem Willen zu erkennen, was die Welt im Innersten zu- sammenhalt, aber achte darauf, dal3 es kein minderes Ziel ist, die Welt mit dem, wag Du forschend und entwickelnd tust, zusammen- zuhalten ! Informationsgesellschaft Alle Veranderung beginnt im Kopf. Wir han- deln, wie wir denken. Also mu13 derjenige dem Denken eine neue Wendung geben, der das Handeln verandem will. Dazu wiederum gehort immer auch ein Stuck begriffliche Arbeit. Z. B. in Sachen Informations- und Wissensgesellschaft, in denen sich heute eine Leonardo-Welt spiegelt. Zunachst zum Stichwort Informationsgesellschaft. Information macht dem Wissen und der Ge- sellschaft Beine, aber sie ist damit noch nicht das bessere Wissen. So bezeichnet der Aus- druck ,,Informationsgesellschaft" mit den Worten des Rates fur Forschung, Technolo- Phys. B1. 54 (1998) Nr. 5 003 1-9279/98/0505-0445 $17.50+.50/0 - 0 WILEY-VCH Verlag GmbH, D-6945 I Weinheim, 1998 445

Information oder Wissen - vollzieht sich ein Paradigmenwechsel?

  • Upload
    j

  • View
    212

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Information oder Wissen - vollzieht sich ein Paradigmenwechsel?

Information oder Wissen - vollzieht sich ein Paradigmenwechsel?

J. MittelstraB

Vorbemerkung

Der Titel meines Beitrags klingt ein wenig akademisch, aber er ist es nicht. Jedenfalls nicht in dem Sinne, daB sich hier ein Philo- soph mit (mehr oder weniger) definitorischer Eleganz iiber die tatsachlichen Probleme hin- austraumt, sich also, im wortlichen Sinne, aus dem Staube, dem Staub unserer Proble- me, macht. Vielmehr sol1 es in drei kurzen Anmerkungen um Strukturen der modemen Welt und um den Wandel dieser Strukturen gehen, femer urn die Stichworte Informati- ons- und Wissensgesellschaft geleitet von der Vorstellung, da13 eine Informationsgesell- schaft, unter Gesichtspunkten der Zukunft einer modernen Gesellschaft betrachtet, zu wenig und eine Wissensgesellschaft das noch uneingeloste Versprechen der moder- nen Welt ist.

Leonardo-Welt

In modernen entwickelten Gesellschaften hat der Mensch als homo faber seine und die Evolution seiner Welt in die eigene Hand, vor allem in seine wissenschaftliche und technische Hand genommen. Aus der Natur wird mehr und mehr ein Artefakt, Entwick- lungen im Forschungs- und Techniksystem verandern, ebenso wie Entwicklungen im Wirtschaftssystem, die mit jenem immer starker verbunden sind, unmittelbar die Grundlagen der Gesellschaft. Schlieljlich ge- wohnen wir uns zunehmend an den Gedan-

Prof. Dr. Jiirgen MittelstraB, Philosophische FakultSt, Fachgruppe Philosophie, UniversitSt Konstanz, UniversitZtsstraBe 10, D-78464 Kon- stanz - Vortrag aus AnlaB des BMBF-Kongres- ses ,,Zukunft Deutschlands in der Wissensgese- sellschaft" am 16. Februar 1998 in Bonn.

ken, daB sich - Stichworte: Gentechnik und Reproduktionsmedizin - die Natur des Men- schen ebenso verandern la& wie die physi- sche und die gesellschaftliche Welt. Was immer wir tun, die Wissenschaft lenkt unsere Hand; was immer wir wissen, die Wissen- schaft weiB es besser. Der modeme Mensch ist Wissenschaftler, Ingenieur und Kunstler zugleich - wie Leonardo da Vinci, einer der ersten der Modemen - und seine Welt, so be- trachtet, eine Leonardo-Welt. Es ist eine Welt, die das Werk des Menschen ist, und eine Welt, in der sich der Mensch als homo faber standig in seinen eigenen Werken be- gegnet. Und Leonardo spricht auch fur den modemen Menschen: Wer an einen Stern ge- bunden ist, der kehrt nicht um. Dieser Stem heiBt Wissen, oder genauer: Forschung.

Forschung findet heute ihre unabdingbaren Aufgaben nicht nur in der Aufrechterhaltung der Zukunftsfahigkeit einer Leonardo-Welt, sondern auch darin, dal3 sie in die Lage ver- setzt, mit den Folgen ffiherer Forschung fer- tigzuwerden. Umweltforschung, Energiefor- schung, Gesundheitsforschung sind Bei- spiele dafur. Da uns unsere Probleme, auch und gerade die selbsterzeugten Probleme, nicht den Gefallen tun, stehenzubleiben, wenn wir stehenbleiben, muB Forschung auch in mancher Hinsicht noch starker als bisher mit jenen Problemen verbunden wer- den, die uns auf den Nageln brennen bzw., schon jetzt absehbar, auf den Nageln brennen werden. Nicht erst die Zukunft, auch schon das, was heute und morgen in einer Leonar- do-Welt Gegenwart ist, hangt an der Lei- stungsfahigkeit von Wissenschaft und For- schung, und diese wiederum nicht nur an den Kopfen der Forscher (als kognitive Voraus- setzung), sondern auch an den Organisati- onsformen der Forschung (als institutionelle Voraussetzung). Dabei bleibt festzuhalten, da13 auch der Fortschritt im Technolo- giebereich in den Kopfen, haufig in den Grundlagenkopfen, beginnt und sich uber innovative Produktionsverfahren in innova- tive Produkte hinein fortsetzt. Mit anderen

Worten: Wer der technologieorientierten Forschung Gutes tun will, der mu13 in die Grundlagenforschung investieren, allerdings in eine solche, die die Bertihrung mit der Welt und deren Problemen nicht scheut. Elfenbeinturme passen nur noch bedingt in die Architektur einer Leonardo-Welt.

Mit anderen Worten: Fur die moderne Ge- sellschaft gibt es keine Alternative zu den Leistungen von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung. Wo dies dennoch fiir mog- lich gehalten wurde, verlore die moderne Gesellschaft und verlore die Leonardo-Welt ihre Handlungs- und Reaktionsfahigkeiten gegeniiber Entwicklungen, die sich einen Dreck darum scheren werden, auf welchem Stand der Entwicklung eine Gesellschaft und eine Welt stehenbleiben wollen. Das laBt sich auch, an die Adresse von Wissenschaft und Wissenschaftspolitik gerichtet, in die Form eines Wissenschafts- oder Forschungsimpe- rativs bringen. Dieser lautet: Lal3 Dich leiten von der Lust auf das Neue und dem Willen zu erkennen, was die Welt im Innersten zu- sammenhalt, aber achte darauf, dal3 es kein minderes Ziel ist, die Welt mit dem, wag Du forschend und entwickelnd tust, zusammen- zuhalten !

Informationsgesellschaft

Alle Veranderung beginnt im Kopf. Wir han- deln, wie wir denken. Also mu13 derjenige dem Denken eine neue Wendung geben, der das Handeln verandem will. Dazu wiederum gehort immer auch ein Stuck begriffliche Arbeit. Z. B. in Sachen Informations- und Wissensgesellschaft, in denen sich heute eine Leonardo-Welt spiegelt. Zunachst zum Stichwort Informationsgesellschaft.

Information macht dem Wissen und der Ge- sellschaft Beine, aber sie ist damit noch nicht das bessere Wissen. So bezeichnet der Aus- druck ,,Informationsgesellschaft" mit den Worten des Rates fur Forschung, Technolo-

Phys. B1. 54 (1998) Nr. 5 003 1-9279/98/0505-0445 $17.50+.50/0 - 0 WILEY-VCH Verlag GmbH, D-6945 I Weinheim, 1998 445

Page 2: Information oder Wissen - vollzieht sich ein Paradigmenwechsel?

gie und Innovation in einer Empfehlung zu den Chancen und Herausforderungen einer Informationsgesellschaft eine Gesellschafts- und Wirtschaftsform, in der die Erzeugung, Speicherung, Verarbeitung, Vermittlung, Verbreitung und der Nutzen von Informatio- nen und Wissen in Informationsform ein- schlierjlich immer grofierer technischer Moglichkeiten der interaktiven Kommunika- tion eine zunehmend dominante Rolle spie- len.') Mafigebliche Elemente dieser Ent- wicklung sind die Technik, z. B. in Form des Aufbaus und des Ausbaus von Infor- mationsleituflgsnetzen (,,Datenautobahnen") und der Entwicklung nutzerfreundlicher Mensch-Maschine-Schnittstellen, die Wirt- schaft, z. B. im Produktions- und Dienstlei- stungsbereich (,,Multimedia"), und die Ar- beitswelt, z. B. in Form des Wandels von Be- rufs- und Beschaftigungsfeldern und des Entstehens neuer Arbeitsformen (,,Telex- beit"), femer alle kulturellen Formen der Ge- sellschaft, z. B. in den Bereichen Bildung und Umwelt. Bei all dem kommt es darauf an, daR eine Informationsgesellschaft poli- tisch gesehen eine demokratische Gesell- schaft bleibt, wirtschaftlich gesehen ihre okonomische Leistungsfahigkeit erheblich steigert und kulturell gesehen eine Wissens- gesellschaft mit einer entsprechenden Infor- mations- und Medienkultur wird. Letzteres, die Verwandlung der Informationsgesell- schaft in eine Wissensgesellschaft, ist nicht nur eine terminologische, sondern, erkennt- nistheoretisch gesehen, eine sehr wesentliche Frage. Von ihrer Beantwortung wird, wie wir noch sehen werden, letztendlich abhangen, wie sich in Zukunft die Rationalitatsform der Leonardo-Welt entwickeln wird.2)

Die Informationswelt verspricht heute vielen ein paradiesisches Reich des Wissens ohne muhsame Lernprozesse. Ihre Padagogik lau- tet, daR wir alle von Wissenszwergen zu In- formationsriesen werden sollen. Schon glau- ben Soziologen und Politiker in seltener Ein- mutigkeit die Mogendammerung einer neuen Gesellschaft, eben der Informations- gesellschaft wahrzunehmen. In einer derarti- gen Gesellschaft, metaphorisch gesprochen: in der Symbiose von Bildschirm und Kopf, wird die Unterscheidung zwischen Wissen und Information blaR. So sprechen wir hau- fig (und unbedacht) von Information, als sei diese schon das ganze Wissen, und uberse- hen dabei, daR Information nur die Art und

' I Vgl. Der Rut fiir Fnr,c.chiing, Eclznologie und lnnoimtion, Irlfnritiatioii.sge.sell.s~liuji. Clmncen, lnnovutionen iind Herrrii.C~~rderiit~geiz, Bonn 1995, 9- 12 (Allgemeine ~~rbeiiierkirngei?).

DNS Fnlgende ist weiter uusgefiihrt in: J . Miitel- struJ, Der Verlust c1e.s Wi.s.seri.s, in: den. , Leonur- do- Welt. Uber Wissen.scI?~~, FnrscI?ung und Ver- urzhvortung, Frunkfiirt/Muirz 1992, 221 -244.

Weise ist, wie sich Wissen transportabel macht, also eine Kommunikationsform, keine (selbstandige) Wissensform. Es ent- steht der irrefuhrende Eindruck, daB sich das Wissen selbst in Informationsfonn bildet, daR rnit dem Informationsbegriff ein neuer Wissensbegriff entstanden ist, und zwar, ge- genuber alteren Wissensbegriffen, der einzig richtige. Dabei treten an die Stelle von eige- nen Wissensbildungskompetenzen Verarbei- tungskompetenzen und das Vertrauen darauf, daR die Information ,,stimmt". In der Tat macht es ja auch wenig Sinn, vor dem Bild- schirm den Skeptiker zu spielen. Informa- tionen mu13 man glauben, wenn man ihr Wis- sen, das uber die Information transportierte Wissen, nicht prufen kann. Eben diese Prii- fung aber war bisher konstitutiv fur den Be- griff der Wissensbildung: Wissen kann man sich nur als Wissender aneignen, Wissen setzt den Wissenden voraus.

Insofern kommt es auch darauf an, sehr genau zwischen einem Wissen, das seinen Sitz in einem selbsterworbenen, selbst Wis- sen produzierenden Sachverstand hat, und einem Wissen, das als mitgeteiltes einfach ubernommen und weiter verarbeitet wird, zu unterscheiden. Informationstechnologien sind ,,rechnende" Enzyklopadien, mehr nicht, aber auch nicht weniger. Der ,,Nutzer" oder ,,Anwender" muR wissen, worauf er sich einlaRt, nicht, indem er den Informati- onstechnologien miRtraut, sondern indem er Informationen mit dem eigenen Wissen verbindet. Noch einmal: Vor dem Bildschirm hat es keinen Sinn, den Skeptiker zu spielen - nur sollte der richtige Kopf vor dem Bild- schirm sitzen. Im ubrigen werden im Medi- um der Information Wissen und Meinung ununterscheidbar. Meinung artikuliert sich in Informationsform wie Wissen; der ,,Infor- mierte" selbst weiR nicht, ob er in einer Wissenswelt oder in einer Meinungswelt lebt. Oder noch deutlicher ausgedriickt: Wo in Informationsform zwischen Wissen und Meinung nicht mehr unterschieden wird bzw. dieser Unterschied nicht mehr kenntlich ist, offnet sich heute in uberraschender Weise eine Nische fur eine neue Dummheit, aller- dings fur eine Dummheit auf hohem Niveau. Sie gibt sich nur dem auf Wiederherstellung einer urspriinglichen Wissenswelt Drin- genden wirklich zu erkennen und fallt im ubrigen deshalb nicht sonderlich auf, weil sie eben technologisch gesehen ungeheuer er- folgreich ist.

Hier geht es allerdings um etwas anderes, namlich darum, die wirkliche Dynamik einer Leonardo-Welt deutlich zu machen. Diese kommt nicht nur darin zum Ausdruck, daR wir mit mehr Informationen zusammenle- ben, als wir verarbeiten konnen, sondern auch darin, dab sich die Wissensstrukturen in dieser Welt tatsachlich verandern. Auf den Stromen der Information entfemen wir uns immer weiter von den Quellen, die das Wis-

sen sind. Und in dieser Entwicklung droht das politische Prinzip des Teilens und Herr- schens (,,divide et impera") auch zu einem Wissensprinzip zu werden. Ich meine die zu- nehmende Partikularisierung des Wissens, die in einem seltsamen Gegensatz zu der in einer Informationswelt zunehmenden ,,tech- nologischen" Integration des Wissens steht. Diese Integration fuhrt nicht, was man ver- muten konnte, zu einer neuen (oder alten) Einheit des universal orientierten Wissenden, sondern zur Kreation des Experten. Die Informationswelt ist eine Expertenwelt; in ihr herrscht nicht die Leibnizsche Monade, in der sich auch in Wissensdingen ein Univer- sum spiegeln soll, sondern der Spezialist,. in dem sich fast nichts mehr oder nur noch (frei nach Schiller) eine geteilte Erde spiegelt. Wer immer mehr von immer weniger weil3, ist auf die Ruckseite der Universalitat ge- raten; er sucht sie im Detail, das fur ihn nun das Ganze ist. Das aber kann vor,allem unter Orientierungsgesichtspunkten nicht gutge- hen. Wo eine Informationswelt zur Experten- welt wird, ist das (alte) Ideal der Einheit des Wissens, auch wenn es ,,technologisch" noch weiter verfolgt wird, gesellschaftlich funktionslos geworden. Die Ordnung des Wissens in den Kategorien Universalitat und Fachlichkeit, d. h. in einer Form der Zustan- digkeit fur das Ganze und seine Teile (einige Teile), wird blaR. Und erneut ist es der Be- griff der Information, der nicht nur auf der Verursachersejte steht, sondern auch Entla- stung, entlastende Orientierung verspricht.

Das Entscheidende ist hier das Stichwort Orientierung. Wenn das Wissen nicht zuletzt immer auch der Orientierung dient, dann mu13 auch ein Informationswissen, d. h. Wis- sen in Informationsform, seinen wohlbe- stimmten Platz in einer derartigen Ordnung finden. Und hier kommt es darauf an zu er- kennen, daR Informationen im strengen Sinne nicht orientieren, da13 sie aber zu den Voraussetzungen oder Grundlagen der Ori- entierung gehoren. MaRgebend fur diese Be- stimmung ist, daR Informationswissen in er- ster Linie ein Faktenwissen ist, d. h. ein Wis- sen daruber, was der Fall ist. Demgegenuber 1aRt sich ein Orientierungswissen als ein Zwecke- und Zielewissen definieren, d. h. als ein Wissen dariiber, was (begriindet) der Fall sein soll. Oder noch anders, den ,,Ort" des In- formationswissens im System des Wissens verdeutlichend, formuliert: Informationswis- sen ist Teil eines Verfugungswissens und dient dem Orientierungswissen.

Diese begrifflichen Unterscheidungen ma- chen deutlich, daR die Beschworung einer Informationsgesellschaft ins Leere geht, wenn mit ihr nicht nur eine informierte, son- dern auch eine orientierte Gesellschaft ge- meint sein sollte. Wie ein Orientierungswis- sen gewonnen werden kann, ist daher auch keine Frage, die sich uber noch mehr Infor- mationswissen beantworten IaRt. Mit ande-

446 Phys. BI. 54 (1998) Nr. 5

Page 3: Information oder Wissen - vollzieht sich ein Paradigmenwechsel?

ren Worten: Die Informationswelt ist keine Orientierungswelt, auch wenn in rationalen Kulturen jede Orientierungswelt (zuneh- mend) Elemente eines Informationswissens enthalten muB.

Damit macht auch der Hinweis auf eine Ex- pertenwelt klar, dal3 die Informationswelt eine Aneignungsform der Leonardo-Welt ist, rnit der diese iiber das Sein und das BewuBt- sein ihrer Subjekte zu herrschen beginnt. Ihre Kultur heil3t im iibrigen - was die Philosophie und die Kiinste immer schon wul3ten - Kon- struktion, Konstruktion der Wirklichkeit ebenso wie des BewuBtseins, das sich im Me- dium der Information auf diese Wirklichkeit bezieht. Wo homo faber, der Mensch als Handwerker, Konstrukteur und Ingenieur, herrscht, wird in diesem Sinne alles zur Kon- struktion, erfaBt die Leonardo-Welt unter dem Signum des technologischen Wandels, der in Wahrheit ein kultureller Wandel ist, selbst die Wissenschaft und die Wissensfor- men. Achten wir darauf, dal3 wir iiber den Schalmeienklangen der neuen Weltbaumei- ster nicht vergessen, dal3 die Zukunft der mo- demen Gesellschaft und mit ihr der modemen Welt nicht die Informationsgesellschaft, son- dem die Wissensgesellschaft ist, eine Gesell- schaft, die die neuen Moglichkeiten der Kom- munikations- und Informationstechnologien klug und sower& nutzt, ohne ihnen, d. h. der in allem Technologischen liegenden Ver- selbstandigungs- und Herrschaftstendenz, zu unterliegen. Damit abschlieljend zum Stich- wort Wissensgesellschaft.

Wissensgesellschaft

Ob wir auf dem Weg i n eine Wissensgesell- schaft sind, d. h. in eine Gesellschaft, die sich in der genannten Weise iiber den Begriff des Wissens definiert, wissen wir nicht. Was wir wissen, ist jedoch, dal3 die Generierung von Wissen, die Verfiigung iiber Wissen, die An- wendung von Wissen und ein umfassendes Wissensmanagement zunehmend die Le- bens- und Arbeitsformen und damit auch die Strukturen der modernen Gesellschaft be- stimmen werden. In diesem Sinne ist die Wissensgesellschaft auch die Zukunft der modemen Gesellschaft. Doch sie hat es nicht leicht - mit sich selbst, wenn es darum geht, deutlich zu machen, rnit welchem Wissens- begriff sie die Gesellschaft zu verandern sucht, und rnit der Gesellschaft, an deren Ge- wohnheiten neue gesellschaftstheoretische Konzepte in der Regel zunachst einmal abzu- prallen pflegen. Das ist iibrigens nicht immer schlecht fiir das Wohl der Gesellschaft - re- volution%re Begliickungsstrategien und theo- retische Soziologentraume haben hier gott- lob wenig Realisierungschancen -, manch- ma1 aber auch miBlich, wenn eine Gesell- schaft namlich nicht bemerkt, was schon auf dem Wege ist, und sie ihre Zukunft zu ver- schlafen beginnt.

Woran liegt es, dal3 eigentlich klar ist, wohin eine moderne gesellschaftliche Entwicklung, getrieben von wissenschaftlichen, technolo- gischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und Erfordernissen, geht, und die Wirklich- keit der Gesellschaft oft ganz anders aus- sieht? Vielleicht daran, dal3 die Worte - hier Informationsgesellschaft und Wissensgesell- schaft - zu grol3 sind und der gemeine Ver- stand sie nicht versteht bzw. sie nicht mit sei- ner eigenen Wirklichkeit und deren Entwick- lungserfordernissen zu verbinden vermag. Wer das Allgemeine beschwort, hier eine neue Gesellschaft, die ihre Wirklichkeit und ihre Zukunft rnit der Resource Wissen baut, ist oft von der gegebenen Wirklichkeit zu weit entfernt, verliert das, was es konkret zu tun und zu verandern gilt, aus dem Auge. Wir philosophieren rnit dem Weltgeist um die Wette und enden womoglich, wenn wir nicht aufpassen, bei Hans im Gliick, d. h., wir tauschen das, was wir suchen, und das, was wir schon haben, gegen immer kleinere Miinze ein. Der Unterschied zu Hans im Gliick besteht allerdings dann immer noch darin, dal3 dieser dabei gliicklich war, unsere Gesellschaft aber unter den Traumen einer wissensbasierten Zukunft und gesellschaftli- chem Gliick, das diese Zukunft verspricht, immer ungliicklicher zu werden droht - weil sie vergiBt, ihre Traume auch zu realisieren. Wo der Abstand zwischen Vision und Reali- sierung zu grol3 wird, verliert die Vision ihren Glanz und geht die Wirklichkeit leer aus.

Vollzieht sich in Sachen Information und Wissen ein Paradigmenwechsel? Er vollzieht sich wohl tatsachlich, insofern die Wissens- gesellschaft, auch wenn sie noch unter einem Schleier von Unkenntnis, Unverstand und Mutlosigkeit liegt, nicht nur eine neue Form der Wirtschaftsgesellschaft - in ihren bishe- rigen Formen als Arbeitsgesellschaft -, son- dem auch eine neue Kulturform der Gesell- schaft ist. Kultur hier verstanden als Inbe- griff aller Lebens- und Arbeitsformen einer Gesellschaft. Kein Paradigmenwechsel liegt hingegen vor, wenn man die Wissensgesell- schaft im Grunde als die Einlosung des Ver- sprechens der europaischen Aufkl%rung ver- steht, die Entwicklung der Gesellschaft in ihren Orientierungs- und Produktionsformen auf Vemunft und Verstand, d. h. auf ihre ra- tionalen Fahigkeiten, zu stutzen. verstand steht hier fur die Ausbildung des Wissens, Vernunft fur begriindete Orientierungen, die auch die Wissensbildung selbst und den Ein- satz des Wissens betreffen. In diesem Sinne sprachen denn auch Kant und Hegel von einem (wissensbasierten) Fortschritt im Be- wul3tsein der Freiheit.

Niichterner formuliert ist eine Wissensge- sellschaft - ob schon wirkliche oder erst wer- dende - eine Gesellschaft, die (1) iiber einen klaren Wissensbegriff verfugt und diesen von einem bloRen Informationsbegriff zu un-

terscheiden weil3, die (2) ihre Entwicklung und damit ihre Zukunft auf die Leistungs- fahigkeit des wissenschaftlichen und des technologischen Verstandes setzt (,,Leonar- do-Welt"), daher auch (3) im Wissen ihre wesentliche Produktivkraft erkennt und im iibrigen (4) zwischen Verstand, als Ausdruck eines Verfiigungswissens, und Vemunft, als Ausdruck einer Orientierungskompetenz, zu unterscheiden vermag?) Dabei sind Wissens- gesellschaft und Wissenschaftsgesellschaft nicht dasselbe. Wir brauchen zwar im Sinne der angefiihrten zweiten Bestimmung immer mehr Wissen, das durch Wissenschaft und Forschung gewonnen wird, aber die Wissen- den in einer Wissensgesellschaft sind des- halb nicht gleich alle Wissenschaftler oder auf diese beschrankt. Das Medium Wissen, in dem sich die modeme Gesellschaft bewegt und immer intensiver bewegen wird, speist sich aus vielen Quellen. Wissenschaft und Forschung gehoren zu diesen Quellen, aber auch der kluge Umgang rnit wissenschaftli- chem Wissen, ferner Urteilskraft, die sich auf Wissen und Erfahrung stiitzt und (nach Kant) zwischen Verstand und Vernunft produktiv zu vermitteln vermag, schliel3lich Kommuni- kationsfahigkeit, in deren Medium sich ebenfalls Wissen bildet.

Auf einen Nenner gebracht: Ohne die Reali- sierung der hier fur eine Wissensgesellschaft angefiihrten Bestimmungen - und das heifit auch: ohne die Transformation der Informa- tionsgesellschaft in eine Wissensgesellschaft - hat die modeme Welt als Leonardo-Welt keine Zukunft. Also gehoren auch die Zu- kunft von Wissenschaft und Forschung, die Zukunft der Wissensgesellschaft und die Zu- kunft der Leonardo-Welt zusammen. Es lohnt sich, fur dieses anspruchsvolle Pro- gramm zu arbeiten und zu werben.

Zum Begriff einer Wissensgesellschaji vgl. auch G. Bohme, The Structures and Prospects of Know- ledge Society, in: Social Science Information 36 ( I 997), 447- 468.

~

Phys. B1.54 (1998) Nr. 5 447