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INFORMATIONEN ZUM ARBEITSLOSENRECHT UND SOZIALHILFERECHT Nomos Aus dem Inhalt Aufsätze Uwe Berlit, Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz im Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende – ein Überblick 3 Udo Geiger, Lohnt es sich, unter Hartz IV anders als gemeinnützig zu arbeiten? 13 Peter-Christian Kunkel, Neusprech-Gesetz- gebung oder Vom Geist der (SGB-)Gesetze 17 Arbeitslosenrechtliche Entscheidungen zur Verfassungswidrigkeit der Minderung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Meldung, zur Sperrzeit bei Vermittlung an eine PSA und zur Vermögensanrechnung bei der Arbeitslosenhilfe 18 Entscheidungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende für allein erziehende Studentinnen 33 Sozialhilferechtliche Entscheidungen zu angemessenen Unterkunftskosten und Selbsthilfe 37 1 /2005 Jahrgang 23 · Seiten 1 – 48 ISSN 0179-8863 · E 7250 F Arbeitsförderung Grundsicherung Sozialhilfe Rechtsentwicklung Rechtsschutz

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INFORMATIONEN ZUM ARBEITSLOSENRECHT UND SOZIALHILFERECHT

Nomos

Aus dem Inhalt

Aufsätze

Uwe Berlit, Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz im Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende – ein Überblick 3

Udo Geiger, Lohnt es sich, unter Hartz IV anders als gemeinnützig zu arbeiten? 13

Peter-Christian Kunkel, Neusprech-Gesetz-gebung oder Vom Geist der (SGB-)Gesetze 17

Arbeitslosenrechtliche Entscheidungen zur Verfassungswidrigkeit der Minderung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Meldung,zur Sperrzeit bei Vermittlung an eine PSA und zur Vermögensanrechnung bei der Arbeitslosenhilfe 18

Entscheidungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende für allein erziehende Studentinnen 33

Sozialhilferechtliche Entscheidungen zu angemessenen Unterkunftskosten und Selbsthilfe 37

1/2005Jahrgang 23 · Seiten 1 – 48ISSN 0179-8863 · E 7250 F

Arbeitsförderung

Grundsicherung

Sozialhilfe

Rechtsentwicklung

Rechtsschutz

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Impressum:

Herausgeber/innen und Redaktion: Christian Armborst, Uwe Berlit, Albrecht Brühl, Wolfgang Conradis, Udo Geiger, Albert Hofmann, Helga Spindler, Ulrich Stascheit, Horst Steinmeyer, Peter Trenk-Hinterberger, Hedi Vogel, Hans-Ulrich Weth, Ute Winkler Verantwortliche Redakteure (auch im Sinne des Presserechts) für dieses Heft: Christian Armborst / Uwe Berlit (für Grundsicherung für Arbeitsuchende und Sozialhilferecht), Horst Steinmeyer (für Arbeitslosenrecht) Ständige Mitarbeiter: Rainer Eckertz, Falk Roscher, Horstpeter Kreppel, Klaus Sieveking, Günther Stahlmann Redaktionsadresse für Arbeitslosenrecht: Horst Steinmeyer, info also Redaktion, Postfach 1744, 64607 Bensheim Redaktionsadresse für Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und Sozialhilferecht: Albert Hofmann, Carl-Goerdeler-Str. 124, 60320 Frankfurt/M. Gerichtsentscheidungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und zum Sozialhilferecht bitte direkt an: Uwe Berlit, Tschaikowskistr. 10, 04105 Leipzig Die Redaktion bittet die Leser um Mitarbeit, kann aber für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Haftung übernehmen. Unverlangt eingesandte Besprechungsexemplare können nicht zurückgesandt werden. Rechtsauskünfte können und dürfen wir nicht erteilen. Verlag: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden. Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Nachdruck nur nach vorheriger Absprache mit der Redaktion. Erscheinungsweise/Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift erscheint sechsmal im Jahr. Abonnement jährlich € 42,00 inkl. MWSt, zzgl. Porto- und Versand-kosten. – Einzelheft € 8,00. Abbestellungen müssen spätestens drei Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Die zur Abwicklung von Abonnements erforderlichen Daten werden nach den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes verwaltet. Bestellungen: Nomos Verlagsgesellschaft, Postfach 10 03 10, D-76484 Baden-Baden, Tel. 0 72 21/21 04-0, Fax 07221/210427, e-mail [email protected] Gesamtherstellung: Nomos Verlagsgesellschaft mbH u. Co. KG, Baden-Baden. Printed in Germany.

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Inhaltsverzeichnis

AUFSÄTZE

Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz im Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende – ein Überblick Uwe Berlit 3

Lohnt es sich, unter Hartz IV anders als gemeinnützig zu arbeiten? Udo Geiger 13

Neusprech-Gesetzgebung oder Vom Geist der (SGB-)Gesetze Peter-Christian Kunkel 17

ENTSCHEIDUNGEN ZUR ARBEITSFÖRDERUNG (SGB III)

Verfassungswidrigkeit der Minderung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Meldung Art. 14 Abs. 1 GG; §§ 37 b, 140 SGB III Sozialgericht Frankfurt (Oder), Beschluss vom 1. 4. 2004 – S 7 AL 42/04 18

Sperrzeit bei Vermittlung an eine PSA § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Sozialgericht Frankfurt a.M., Gerichtsbescheid vom 29. 6. 2004 – S 2 AL 4316/03 25

Erhöhung des Vermögensfreibetrages für ältere Arbeitslose § 193 Abs. 2 SGB III; §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 2 S 2 AlhiV Sozialgericht Berlin, Urteil vom 25. 10. 2004 – S 77 AL 1761/04 29

NEUE ENTSCHEIDUNGEN DES BUNDESSOZIALGERICHTS 31

ENTSCHEIDUNGEN ZUR GRUNDSICHERUNG FÜR ARBEITSUCHENDE (SGB II)

Keine Sozialhilfe für Kind studierender erwerbsfähiger allein erziehender Mutter §§ 5 Abs. 2, 7 Abs. 3, 5 SGB II; §§ 21, 22 SGB XII Sozialgericht Oldenburg, Beschluss vom 10. 1. 2005 – S 2 SO 3/05 ER 33

Sozialgeld für minderjähriges Kind allein erziehender erwerbsfähiger Studentin §§ 5 Abs. 2, 7 Abs. 5, 21 Abs. 3, 28 SGB II; § 21 SGB XII Sozialgericht Oldenburg, Beschluss vom 11. 1. 2005 – S 45 AS 2/05 ER 35

ENTSCHEIDUNGEN ZUM SOZIALHILFERECHT (BSHG/SGB XII)

Angemessenheit von Kosten der Unterkunft §§ 11, 12 BSHG; § 3 RegelsatzVO Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. 3. 2004 – 12 A 714/03 37

Selbsthilfe durch Rückkehr in Haushalt der Eltern § 2 Abs. 1, 11 ff. BSHG Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 12. 8. 2004 – 2 L 631/04 39

FÜR SIE GELESEN – ZEITSCHRIFTEN- UND RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT

Arbeitsförderung 41 Grundsicherung für Arbeitsuchende 42 Sozialhilfe 43

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AUS GESETZGEBUNG UND VERWALTUNG

Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3305) Christian Armborst 46

DOKUMENTATION

Datenschutz und SGB II 47

NACHRICHTEN/MATERIALIEN 48

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Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz im Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende – ein Überblick Uwe Berlit*

1. Einleitung

Seit dem 1. 1. 2005 ist für Angelegenheiten der Grundsi-cherung für Arbeitsuchende, der Sozialhilfe und in Rechts-streitigkeiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.1 Für die exis-tenzsichernden Leistungen zur Sicherung des Lebensunter-halts (§§ 19 ff. SGB II), der Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff. SGB XII) und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41 ff. SGB XII) wird nach den Erfah-rungen, die mit vergleichbaren Leistungen in der Verwal-tungsgerichtsbarkeit gemacht worden sind, der Rechtsschutz in nicht unerheblichem Umfange als vorläufiger Rechts-schutz zu gewähren sein,2 um dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf effektive Rechtsschutzgewähr3 zu entsprechen.

Neben dem veränderten Prozessrecht, das mit dem Übergang des materiellen Sozialhilferechts auf die Sozialgerichte an-zuwenden ist, ergeben sich durch Akzentverschiebungen im materiellen Recht bei der Grundsicherung für Arbeitsuchen-de gegenüber der bisherigen Sozialhilfe neue Probleme; aus der – in Detailfragen zersplitterten – verwaltungsgerichtli-chen Rechtsprechung zum vorläufigen Rechtsschutz in Sozi-alhilfeangelegenheiten bekannte Fragen sind neu zu beant-worten. Vor diesem Hintergrund werden nach Bemerkungen zum Regelungssystem der §§ 86a, 86b SGB II (2.) Grund-probleme zum vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz in Anfechtungssachen (Nr. 3) und Vornahmesachen (4.) behan-delt, bei denen ein Schwerpunkt auf Fragen des Anordnungs-grundes gelegt wird (4.3); dabei soll jeweils auch über die bisherige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte informiert werden. Den Abschluss bildet ein Überblick zum Verfah- ren (5.)

2. Allgemeines zum Regelungssystem der §§ 86a, 86b SGG

2.1. Unterscheidung aufschiebende Wirkung/ einstweili-ge Anordnung

Der vorläufige Rechtsschutz in der Sozialgerichtsbarkeit war lange Zeit nur punktuell geregelt und wurde ohne aus- * Der Verfasser ist Richter am Bundesverwaltungsgericht 1 § 51 Abs. 1 Nr. 4 a, 6a SGG idF des 7. SGG-ÄndG v. 9. 1. 2004

(BGBl. I S. 3302); die Verfassungskonformität des nach Ansicht des Bundesrates zustimmungspflichtigen (BR-Drs. 743/04 [Be-schluss], 814/04 [Beschluss]), aber ohne dessen Zustimmung er-lassenen 7. SGGÄndG wird hier unterstellt.

2 Im Jahre 2002 standen in 1. Instanz den ca. 14.000 im Sachgebiet 801 (Sozialhilfe) erledigten Hauptsacheverfahren (7,4 v.H. der Gesamterledigungen) ca. 11.000 Erledigungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber (15,4 v.H. der Erledigun-gen); Stat. Bundesamt, Rechtspflege: Verwaltungsgerichte (Fach-serie 10/ Reihe 2.4) 2002, Wiesbaden 2004, 24, 36.

3 BVerfGE 79, 69 (73 f.).

drückliche gesetzliche Regelung verfassungsunmittelbar gewährt, um der Garantie effektiven Rechtsschutzes zu ent-sprechen.4 Seit Anfang 20025 ist der vorläufige Rechts-schutz in §§ 86a, 86b SGG umfassend und abschließend neu geregelt. § 86a SGG erfasst den durch Wider-spruchseinlegung selbstbewirkten einstweiligen Rechts-schutz durch aufschiebende Wirkung, dessen Wegfall kraft Gesetzes oder behördlicher Sofortvollzugsanordnung und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Be-hörde, § 86b SGG regelt den sozialgerichtlichen Rechts-schutz sowohl in Anfechtungssachen (Abs. 1) als auch in Vornahmesachen (Abs. 2). Die systematische Zuordnung der Einzelregelungen unterscheidet sich von der Rege-lungssystematik der §§ 80 bis 80b (aufschiebende Wirkung) und § 123 (einstweilige Anordnung) VwGO. In der Sache entspricht indes vor allem der gerichtliche Rechtsschutz im Kern den § 80 Abs. 5, § 123 VwGO;6 nicht übernommen wurden Sonderregelungen zum vorläufigen Rechtsschutz bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung (§ 86a VwGO) und zum Ende der aufschiebenden Wirkung (§ 80 b VwGO).

Im Leistungsrecht nach dem SGB III und insbesondere der Arbeitslosenhilfe hat der vorläufige Rechtsschutz in der So-zialgerichtsbarkeit bislang keine ausgeprägte Rolle gespielt. Einer der Gründe ist, dass bei den Vornahmesachen zum Teil auch nach In-Kraft-Treten des § 86b Abs. 2 SGG an der Rechtsprechung festgehalten worden war, dass ein möglicherweise bestehender Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe einen Anordnungsgrund ausschließe.7 Dieser Grund ist nunmehr wegen der Systemabschottung (§ 5 Abs. 2 SGB II; § 21 SGB XII) entfallen: Die existenzsi-chernden Leistungen für den nach § 7 SGB II leistungsbe-rechtigten Personenkreis sind bis auf die Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen (§ 34 SGB XII [z.B. Über-nahme von Miet- und Energiekostenrückständen]) ab-schließend im SGB II geregelt.

§§ 86a, 86b SGG unterscheiden auch für den gerichtlichen Rechtsschutz zwischen dem – systematisch vorrangigen (§ 86b Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) – vorläufigen Rechtsschutz in Anfechtungssachen (einschließlich Fälle

4 BVerfGE 46, 166 (178 ff.) 5 6. SGGÄndG v. 17. 8. 2001 (BGBl. I S. 2144); s. dazu – neben

den einschlägigen Kommentierungen – Bernsdorff SGb 2001, 465; Kummer SGb 2001, 705; Krodel NZS 2001. 449; ders. NZS 2002, 180; Köhler WzS 2004, 65; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl., Kap. V.

6 Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 86b Rn. 2, 23; Binder, in: Binder u.a., Sozialgerichtsgesetz. Handkommentar (Hk-SGG), 1. Aufl. 2003, § 86a Rn. 3; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 39 Rn. 32; Bernsdorff, in: Henning, SGG, vor §§ 86a, 86b Rn. 40; Grieger, in: Rothkegel, Sozialhilferecht, 2005, Teil V Kap. 1 Rn. 3 = ZfSH/SGB 2004, 579 (580).

7 S. – m.w.N. – Binder (Fn. 6), § 86b Rn. 34; Meyer-Ladewig (Fn. 6), § 86b Rn. 31.

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der faktischen Vollziehung), in denen kraft Gesetzes oder aufgrund behördlicher Einzelanordnung die aufschiebende Wirkung eines gegen einen belastenden Verwaltungsakt eingelegten Rechtsbehelfs ausgeschlossen bzw. entfallen ist (§ 86b Abs. 1 SGG), und dem vorläufigen Rechtsschutz in Vornahmesachen (§ 86b Abs. 2 SGG), durch den insbeson-dere Ansprüche auf existenzsichernde Grundsicherungsleis-tung durchgesetzt werden können. Gleichermaßen auf die Durchsetzung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes ge-richtet, ergeben sich im Detail entscheidungserhebliche Un-terschiede u.a. beim Prüfungsmaßstab und der Kontroll-dichte.

Nach welcher Norm der vorläufige Rechtsschutz zu gewäh-ren ist, entscheidet sich ohne Bindung an die Bezeichnung durch den Antragsteller nach Maßgabe des erkennbaren Begehrens (§ 123 SGG) danach, ob durch einen der Voll-ziehung zugänglichen, nicht begünstigenden belastenden Verwaltungsakt in eine bereits bestehende Rechtsposition, z.B. durch Beschränkung oder Entzug einer bereits gewähr-ten Leistung, eingegriffen wird (dann Anordnung/ Wieder-herstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 SGG), oder zur Sicherung der Rechtsverwirklichung oder der Abwendung wesentlicher Nachteile eine Regelung zur Bewilligung einer (vorläufigen) Leistung erst noch begehrt wird (dann Sicherungs- oder Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG). Maßgeblich ist, ob ein (zumindest auch) belastender Verwaltungsakt objektiv vorliegt: Die Abgrenzung kann in Einzelfällen, etwa der als Leistung des Förderns ausgestalteten, aber durch Begründung sankti-onsbewehrter Handlungsobliegenheiten ausgestalteten Her-anziehung zu Arbeitsgelegenheiten gegen Mehraufwands-entschädigung (§ 16 Abs. 3 SGB II), Schwierigkeiten bereiten.8

2.2. Vorbefassung des Leistungsträgers

Anträge auf vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz sind auch schon vor der Erhebung der entsprechenden Klage im Hauptsacheverfahren zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG); ohne diese Regelung wäre angesichts des Vorverfahrenserforder-nisses, der Dauer der Widerspruchsverfahren und der »Wartefrist« (§ 88 SGG) bei der Vornahmeuntätigkeitskla-ge ein effektiver Rechtsschutz auch nicht sicherzustellen. Die Befugnis zur Antragstellung vor Klageerhebung ent-hebt einen Antragsteller nicht davon, für eine erforderliche Vorbefassung der Behörde Sorge zu tragen.

In Anfechtungssachen muss als Sachentscheidungs-, nicht als Verfahrensvoraussetzung ein der aufschiebenden Wir-kung zugänglicher Rechtsbehelf zumindest zeitgleich bei der Ausgangs- oder Widerspruchsbehörde – die Options-kommune oder nach § 44b Abs. 3 Satz 3 SGB II/ § 85 8 Nach herrschender Meinung in der Sozialhilfe ist die Heranzie-

hung zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit nach § 19 Abs. 2 BSHG ein – auch – belastender Verwaltungsakt (VG Mainz – 4. 6. 2004 – 2 K 1379/03.MZ –; BayVGH FEVS 55, 463; FEVS 53, 181; OVG NI FEVS 55, 135; OVG MV 7. 11. 2002 – 1 M 152/02 –; OVG NW FEVS 54, 54; FEVS 51, 86; HessVGH NDV 1987, 230; s.a. BVerwGE 105, 370), der nicht kraft Geset-zes sofort vollziehbar ist.

Abs. 2 Satz 2 SGG die Arbeitsgemeinschaft – eingegangen sein; das behördliche Verfahren zur Vollziehungsausset-zung (§ 86a Abs. 3 SGG) ist dagegen weder Verfahrens-voraussetzung noch erforderlich, um das für das gerichtli-che Verfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zu begründen. Die Widerspruchseinlegung wird durch die Zu-stellung des vorläufigen Rechtsschutzgesuches durch das Sozialgericht nicht ersetzt; anderes gilt nur, wenn der An-tragsschrift eine gesonderte, erkennbar an die Behörde nach § 84 SGG gerichtete, formgerechte Widerspruchsschrift beigefügt ist und das Gericht nur als Übermittlungsinstanz benutzt wird.

In Vornahmesachen ist für die Regelungsanordnung bereits als Verfahrensvoraussetzung gefordert worden, dass – zur Begründung eines regelungsfähigen Rechtsverhältnisses – die zuständige Behörde bzw. die Widerspruchsbehörde be-reits mit dem zur gerichtlichen Prüfung gestellten Begehren befasst worden war; dieses Erfordernis soll nicht durch eine Antragszustellung durch das Gericht und fortdauernde Un-tätigkeit/Ablehnung der Behörde ersetzt werden können.9 Ohne eine behördliche Vorbefassung fehlt im Regelfall je-denfalls das für eine Sachentscheidung erforderliche Rechts-schutzbedürfnis.10

2.3. Prüfungsdichte des Gerichts

Die gerichtlichen Verfahren nach § 86b SGG zielen auf ei-ne vorläufige Regelung in einem gegenüber dem Hauptsa-cheverfahren selbständigen Verfahren, in dem eine Rechts-entscheidung zu treffen ist. Bei der in Rechtsprechung und Schrifttum vielfach anzutreffenden Formel von der erfor-derlichen lediglich summarischen Prüfung ist nach richtiger Ansicht11 zwischen der Sachverhaltsermittlung und der rechtlichen Prüfung zu differenzieren. Lediglich eine sum-marische Überprüfung hat hinsichtlich der Tatsachen, wel-che der Entscheidung zu Grunde zu legen sind, zu erfolgen. Neben den vorrangig von dem Antragsteller beizubringen-den und glaubhaft zu machenden12 Tatsachen und Belegen gilt weiterhin der Sachaufklärungsgrundsatz. Der Sachver-halt ist indes nur in dem Maße von Amts wegen durch das Gericht aufzuklären, das die von dem Antragsteller geltend gemachte Eilbedürftigkeit zulässt.13 Neben der regelmäßig angezeigten Beiziehung der Verwaltungsvorgänge und der Möglichkeit eines Erörterungstermins ist eine förmliche Beweiserhebung grundsätzlich möglich, sachlich aber nur in Ausnahmefällen, z.B. bei Streit über das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft, angezeigt. Rechtsfragen sind 9 S. dazu Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO,

§ 123 Rn. 121; A.A. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 123 Rn. 22; Grieger (Fn. 6) Rn. 14 = ZfSG/SGB 2004, 579 (583).

10 S. – m.w.N. – Finkelnburg /Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., 1998, Rn. 129.

11 S. – m.w.N. – Schoch (Fn. 9) § 123 Rn. 122, § 80 Rn. 275. 12 Eine Versicherung an Eides Statt (§ 294 ZPO) ist lediglich ein

Mittel der Glaubhaftmachung; bei einer Erklärung, die – wie in der Praxis der Regelfall – nicht den Formerfordernissen einer strafbewehrten Versicherung entspricht, berührt der Formmangel lediglich die in der Beweiswürdigung vorzunehmende Gewich-tung des Vorbringens, nicht die Beachtlichkeit als solche.

13 Grieger (Fn. 6), Rn. 18 = ZfSH 2004, 579 (583).

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dagegen grundsätzlich für das vorläufige Rechtsschutzver-fahren endgültig, wenn auch unter dem Vorbehalt etwa bes-serer Erkenntnis in einem nachfolgenden Hauptsachever-fahren, zu prüfen und zu entscheiden. Wird um Leistungen zur Bestreitung des soziokulturellen Existenzminimums ge-stritten, ist eine eingehendere Prüfung der Sach- und Rechtslage allzumal wegen der Grundrechtsrelevanz14 und der Schwere der Folgen bei rechtswidriger Leistungsversa-gung angezeigt.

3. Wiederherstellung /Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 86b Abs. 1 SGG)

3.1. Ausschluss aufschiebender Wirkung (§ 39 SGB II)

Die im Regelfall aufschiebende Wirkung von Rechtsbehel-fen füllt das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. GG) aus,15 duldet aber eine einfachgesetzliche Aus-formung unter bereichsbezogener Umkehr des Regel-/ Ausnahmeverhältnisses16 und entfällt u.a. in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen (§ 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG). Nach § 39 SGB II ist dies angeordnet für Verwal-tungsakte, die über Leistungen der Grundsicherung für Ar-beitsuchende entscheiden (Nr. 1) oder den Übergang eines Anspruches bewirken (Nr. 2). Die Regelung knüpft u.a. an § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG (Wegfall aufschiebender Wirkung bei Herabsetzungs- und Entziehungsbescheiden in Angele-genheiten der Sozialversicherung),17 § 336 a SGB III (keine aufschiebende Wirkung bei Meldeaufforderung nach § 309 SGB III) und § 90 Abs. 3 BSHG (Nr. 2) an.

Im Sinne der Nr. 1 sind Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sowohl die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (§§ 19 ff. SGB II) als auch die Leistun-gen zur Eingliederung in Arbeit, die nach §§ 14 ff., insb. § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. dem SGB III erbracht werden können (BT-Drs. 15/1516, 63). Für einen Wegfall der auf-schiebenden Wirkung ist bei durch Verwaltungsakt er-folgenden Entscheidungen über diese Leistungen indes nur Raum, wenn sie zumindest auch belastende Wirkung entfal-ten. Bei Entscheidungen, die erstmals über ein Leistungs-begehren entscheiden, ist dies jedenfalls insoweit nicht der Fall, als die begehrte Leistung ganz oder teilweise abge-lehnt wird: Der »Belastung« durch Leistungsversagung kann nur über vorläufigen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG begegnet werden.

Der gesetzliche Wegfall der aufschiebenden Wirkung setzt zudem eine Leistungsentscheidung durch Verwaltungsakt voraus. Verfahrensbezogene »Entscheidungen« ohne eigen-ständigen Regelungsgehalt, Belehrungen oder Hinweise auf die Rechtslage sind als solche auch dann keine Verwal-tungsakte, wenn sie – wie die Belehrungen nach § 31

14 BVerfG NJW 1989, 827. 15 BVerfGE 46, 166; BVerfG DVBl. 1995, 1297. 16 BVerfGE 37, 150. 17 Dazu etwa LSG BW 7. 1. 2002 – L 13 AL 3590/01 ER-B –

(Leistungsentziehung); 9. 1. 2003 – L 13 AL 4260/02 ER-B – (Leistungseinstellung für die Vergangenheit) mit Anm. Schaller jurisPR-SozR 7/2003; LSG BY 18. 6. 2004 – L 8 AL 145/03 – (Meldeaufforderung).

SGB II – Voraussetzungen für bestimmte Rechtsfolgen sind. Keine Entscheidung durch Verwaltungsakt ist weiter-hin die nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 SGB II entsprechend anzu-wendende vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 SGB III, bei der unter dem Vorbehalt einer – dann § 39 Abs. 1 SGB II unterfallenden18 – rechtzeitigen Aufhebung eines leistungsbewilligenden Bescheides19 lediglich durch den Realakt der Zahlungseinstellung auf bestimmte leis-tungserhebliche Veränderungen reagiert werden kann.20

Eine Entscheidung »über Leistungen« erfordert nicht, dass Leistungen gewährt werden. Umfasst ist jede Entscheidung mit Bezug auf die materielle Anspruchsberechtigung und einen daraus folgenden Zahlungsanspruch, wenn sie den bereits konkretisierten Rechtsbestand des Leistungsberech-tigten negativ berührt.21 Zu den Verwaltungsakten, die über eine Leistung entscheiden, gehört bei den Leistungen zum Lebensunterhalt daher auch der Verwaltungsakt,22 durch den nach § 31 Abs. 6 SGB II die Absenkung oder der Weg-fall einer Geldleistung festgestellt wird.

Als »negative Leistungsentscheidung« erfasst sind weiter-hin alle Bescheide, durch die nach allgemeinen Regelungen eine bereits erfolgte Leistungsbewilligung ganz oder teil-weise aufgehoben (zurückgenommen oder widerrufen) wird, und zwar unabhängig davon, ob die Aufhebung für die Vergangenheit oder die Zukunft erfolgt ist, nicht hinge-gen – obwohl actus contrarius zur tatsächlichen Auszahlung in der Vergangenheit bewilligter Leistungen – hieran anknüpfende Rückforderungsbescheide.23 Die Leistungs-einstellung durch bloße Versagung in zurückliegenden Be-darfszeiträumen bewilligter Leistungen, wie er die zeitab-schnittsweise Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt gekennzeichnet hat, ist kein der aufschiebenden Wirkung zugänglicher Verwaltungsakt, soweit es Leistungen nach abgelaufenem Bewilligungszeitraum betrifft. § 39 Abs. 1 Nr. 1 SGB II unterfällt nur der Eingriff in den sachlich-zeitlichen Bewilligungszeitraum eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung i.S.d. § 48 SGB X, der auf unbestimmte Zeit oder – wie nach § 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II im Regel-fall – für einen bestimmten, in die Zukunft reichenden Be-willigungszeitraum regelmäßig wiederkehrende Sozialleis-tungen bewilligt. Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 SGG kommt in diesen Fällen aber nur für Zeiträume in Betracht, die vom Bewilligungsbescheid erfasst sind; für Folgezeiträume greift § 86b Abs. 2 SGG.

Bei einer wortlautorientierten, jedenfalls aber bei einer en-gen Auslegung, wie sie bei einer Ausnahmevorschrift gebo-ten ist, sind Aufrechnungen nach § 43 SGB II keine Ent-scheidung »über eine Leistung«. Nach richtiger Ansicht

18 LSG BW 9. 1. 2003 – L 13 AL 4260/02 ER-B – mit Anm. Schal-

ler jurisPR-SozR 7/2003. 19 Dazu LSG BE info also 2004, 65. 20 S.a. Conradis, in: LPK SGB II, § 40 Rn. 9 ff.; s.a. Grieger (Fn.

6), Rn. 10 = ZfSH/SGB 2004, 579 [581]. 21 Hengelhaupt (Fn. 6), § 39 Rn. 43. 22 S. Berlit, in: LPK SGB II, § 31 Rn. 114 f. 23 Wie hier Conradis, in: LPK SGB II, § 39 Rn. 7; s.a. LSG BW

25. 8. 2003 – L 13 AL 2374/03 – mit. Anm. Hengelhaupt jurPR-SozR 14/2004.

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erfolgt die Aufrechnung zwar durch Verwaltungsakt,24 lässt aber den Leistungsanspruch selbst unberührt und ist daher keine Entscheidung über diesen.25 Die § 39 SGB II zuge-schriebene Funktion, eine umgehende staatliche Reaktion auf unrechtmäßiges bzw. sozialwidriges Verhalten zu ge-währleisten und potentielle Nachahmer abzuschrecken, und die Effizienz der Regelungen zur Aufrechnung nach Fehl-verhalten rechtfertigen keine den Wortlaut des § 39 Nr. 1 SGG II übersteigende Auslegung26 unter Vernachlässigung der systematischen Verortung des § 43 SGB II im 4. Kapi-tel. Aus denselben Gründen sind auch Aufrechnungen nach § 51 Abs. 2 SGB I oder Abzweigungen nach § 48 Abs. 1 SGB I27 nicht erfasst.

Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach Nr. 2 bezieht sich auf den Übergang von Ansprüchen nach § 33 SGB II (Überleitungsanzeige) und erstreckt sich nicht auf die in § 34 SGB II geregelten Ersatzansprüche oder die Er-benhaftung nach § 35 SGB II.

Bei den Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit scheidet die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfech-tungsklage nicht schon deswegen aus, weil sie als positive, leistungsgewährende Bescheide der Integration des Einzel-nen in den Arbeitsmarkt dienen. Wenn und soweit die Leis-tungsgewährung den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen oder eine sonst leistungsberechtigte Person zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen verpflichtet oder dessen Mitwir-kungsobliegenheiten einzelfallbezogen so konkretisiert, dass hieran weitere Rechtsfolgen (etwa nach § 31 SGB II) anknüpfen können, enthält sie auch der aufschiebenden Wirkung zugängliche belastende Wirkungen. Zu den Ent-scheidungen, die kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind, ge-hören etwa die Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II,28 die Aufforderung, an einem Bewerbertraining teilzunehmen, oder die einseitige Konkre-tisierung der vom Hilfebedürftigen zu entfaltenden Einglie-derungsbemühungen durch Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 5 SGB II.29 Sofort vollziehbar sind weiterhin alle Entscheidungen, die eine bewilligende Entscheidung über eine Eingliederungsmaßnahme (ganz oder teilweise) aufheben, etwa eine Übernahme von Fahr- oder Lehrgangs-kosten kürzen. Bei Streitigkeiten aus einem Eingliede-rungsvertrag ist auch bei für den Leistungsberechtigten nachteiligen Vereinbarungen für einen Ausschluss auf-schiebender Wirkung wegen der Einordnung dieser Verein-

24 Conradis, in: LPK SGB II, § 43 Rn. 19; Hengelhaupt (Fn. 6),

§ 43 Rn. 60; BSGE 53, 208; 64, 17; 67, 143 (zur Aufrechnung bzw. Verrechnung durch einen Leistungsträger); s.a. – zur ent-sprechenden Regelung des § 25a BSHG – OVG NI FEVS 45, 422; OVG NW FEVS 44, 569; FEVS 47, 569; FEVS 48, 390; VG Darmstadt info also 1999, 207; a. A. BayVGH FEVS 47, 353 (unter Berufung auf BVerwGE 66, 218) (einseitige öffentlich-rechtliche Willenserklärung).

25 Conradis, in: LPK SGB II, § 43 Rn. 21 26 A. A. Hengelhaupt (Fn. 6), § 43 Rn. 77, § 39 Rn. 42, 45. 27 LSG RP 8.6.2004 – L 3 ER 29/04 AL –. 28 Zur Verwaltungsaktsnatur der Heranziehung zu gemeinnütziger

und zusätzlicher Arbeit nach § 19 Abs. 2 BSH s. Nachweise Fn. 8. 29 Den Verwaltungsaktscharakter der Aufforderung zum Nachweis

von Eigenbemühungen nach § 119 Abs. 5 SGB III verneint LSG BE info also 2004, 204.

barung als öffentlich-rechtlicher Vertrag30 von vornherein kein Raum.

In den von § 39 Abs. 1 SGB II nicht erfassten Fällen belas-tender oder feststellender Verwaltungsakte entfalten Wider-spruch und Anfechtungsklage mit ihrer Einlegung unab-hängig von ihrer Begründetheit ex tunc bis zum Eintritt der Bestandskraft oder dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens aufschiebende Wirkung, soweit der Rechtsbehelf nicht offenkundig unzulässig ist.31 Die auf-schiebende Wirkung beseitigt nicht die Wirksamkeit des belastenden Verwaltungsaktes, hindert aber dessen Voll-streckung und sonstige Vollziehung und verbietet auch sonst, den Verwaltungsakt zu verwirklichen.32 In diesen Fällen kann der zuständige Leistungsträger im öffentlichen Interesse die sofortige Vollziehung anordnen (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG).

3.2. Prüfungsmaßstab

Das Sozialgericht hat nach § 86b Abs. 1 SGG eine rechtlich gebundene Interessenabwägung zwischen dem privaten In-teresse des Einzelnen an der Anordnung bzw. Wiederher-stellung der aufschiebenden Wirkung und dem Interesse der Allgemeinheit33 an der sofortigen Vollziehung zu treffen. Der Prüfungsmaßstab für die gerichtliche Entscheidung ist nicht ausdrücklich geregelt. Der für die behördliche Aus-setzungsentscheidung in § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG geregelte Maßstab der »ernstlichen Zweifel« an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes34 ist als solcher auf das gerichtliche Verfahren nicht zu übertragen,35 regelt zudem den im Leis-tungsrecht des SGB II nicht erheblichen Sonderfall der Si-cherung der Finanzierungsgrundlagen der beitrags- und um-lagefinanzierten Systeme und beinhaltet keinen allgemeinen Vorrang fiskalischer Vollzugsinteressen.

Für die gerichtliche Interessenabwägung ist neben einer all-gemeinen Abwägung der Folgen bei Gewährung bzw. Nichtgewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor allem auf die voraussichtlichen Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs abzustellen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese offen-sichtlich sind: An der sofortigen Vollziehung eines ersicht- 30 Dazu Berlit, in: LKP SGB II, § 15 Rn. 8; Nr. 15.4 BA-Hinweise

zu § 15 SGB II (Stand: Januar 2005) 31 In Grundsatz und Detail hochgradig streitig; s. Schoch (Fn. 9),

§ 80 Rn. 62 ff.; Binder (Fn. 6), § 86a Rn. 11; Meyer-Ladewig (Fn. 6), § 86a Rn. 10.

32 S. – m.w.N. – Kopp/Schenke (Fn. 9), § 80 Rn. 22 f.; Hengelhaupt (Fn. 6), § 39 Rn. 24. Zu den dogmatisch im Detail hochgradig umstrittenen, in den hier interessierenden Fällen praktisch indes konsequenzenlosen Unterschieden von Wirksamkeits-, Vollstre-ckungs-, Vollziehungs- und Wirksamkeitshemmungstheorie Schoch (Fn. 9), § 80 Rn. 72 ff.

33 Abwägungserhebliche private Belange sonstiger Beteiligter wer-den nur in den Fällen des § 39 Nr. 2 SGB II relevant sein.

34 Zu den Schwierigkeiten einer an der Wahrscheinlichkeit der Er-folgsaussichten orientierten Bestimmung des Begriff »ernstliche Zweifel« Schoch (Fn. 9), § 80 Rn. 195; Roth VerwArch 88 (1997), 416 (zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

35 A.A. für Fälle des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung LSG BW 7. 1. 2002 – L 13 AL 3590/01 ER-B –; Hen-gelhaupt (Fn. 6), § 39 Rn. 74; Conradis, in: LPK SGB II § 39 Rn. 11.

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lich (formell oder materiell) rechtswidrigen Verwaltungsak-tes besteht kein überwiegendes Vollzugsinteresse, bei ei-nem offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt scheidet ein überwiegendes privates Suspensivinteresse jedenfalls dann aus, wenn dieser kraft Gesetzes sofort vollziehbar oder der Sofortvollzug formell ordnungsgemäß und mit der gebotenen gesonderten Begründung des besonderen, über das Erlassinteresse hinausgehenden36 Vollzugsinteresses angeordnet worden ist.37 Darüber hinaus ist eine materiell-akzessorische Interessenabwägung jedenfalls in all den Fäl-len angezeigt, in denen sich bei im entscheidungserhebli-chen Kern geklärtem Sachverhalt die Rechtslage und damit die Erfolgsaussichten überschauen lassen;38 die Vorläufig-keit des Rechtsschutzes rechtfertigt grundsätzlich nicht, die Anwendung und Auslegung des Rechts zum Gegenstand von Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen zu machen.39

Soweit sich die Erfolgsaussichten nicht klar beurteilen las-sen, sind sie bei der Interessenabwägung in einer dynami-schen Betrachtung40 zu berücksichtigen: Die Anforderun-gen an die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes werden umso geringer, je schwerer die Verwaltungsmaßnahme wirkt oder rückgängig gemacht werden kann; jedenfalls bei den existenzsichernden Leistungen zum Lebensunterhalt bedeutet eine rechtswidrige Verkürzung des Leistungsan-spruchs auch dann einen schweren Eingriff in die Möglich-keit, das soziokulturelle Existenzminimum zu bestreiten, wenn das absolute Existenzminimum gewährleistet ist. Die leistungsbeschränkenden Folgerungen, die in der Sozialhil-fe aus dem Gegenwärtigkeitsprinzip, der Erkenntnis, dass sich die Führung eines menschenwürdigen Lebens nicht im Nachhinein verwirklichen lässt,41 und der aus dieser Zeit-gebundenheit resultierenden »Existenzschwäche« u.a. für Leistungen in der Vergangenheit gezogen worden sind, bestimmen auch dann die für eine Interessenabwägung be-achtliche Schwere des Eingriffs, wenn sie nicht in vollem Umfang auf die Geldleistungen des SGB II übertragbar sein sollten. Auch aus § 331 SGB III folgt kein von den Er-folgsaussichten und der Bedeutung der Zahlung für den Einzelnen unabhängiges, im Regelfall überwiegendes Inte-resse daran, Überzahlungen zu vermeiden.42

4. Einstweilige Anordnung (§ 86b Abs. 2 SGG)

4.1. Allgemeines

Für die erstmalige Gewährung von Leistungen wird vorläu-figer Rechtsschutz in aller Regel über die einstweilige An-ordnung gewährt. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist statthaft, wenn (effektiver) Rechtsschutz nicht nach § 86b Abs. 1 SGG zu gewähren ist, in der 36 S. – m.w.N. – Kopp/Schenke (Fn. 9), § 80 Rn. 92; Binder (Fn. 6),

§ 86a Rn. 23; s.a. § LSG BW 25. 8. 2003 – L 13 AL 2374/03 –. 37 BVerfG NVwZ 1982, 241; NVwZ 1996, 58; BSGE 4, 151;

BVerwG Buchholz 448.11 § 74 ZDG Nr. 1; BSGE 4, 151 (155). 38 Kopp/Schenke (Fn. 9). § 80 Rn. 158 ff.; Schmidt, in: Eyermann,

VwGO, 11. Aufl., § 80 Rn. 73 ff. 39 Dazu eingehend Schoch (Fn. 9), § 80 Rn. 258 ff. 40 Binder (Fn. 6), § 86b Rn. 16; Hengelhaupt (Fn. 6), § 39 Rn. 62. 41 Rothkegel, in: Rothkegel (Fn. 6). Teil II Kap. 5 Rn. 2 f., 7. 42 A. A. wohl Pilz, in: Gagel, SGB III, § 336a Rn. 23; Hengelhaupt

(Fn. 6), § 39 Rn. 74 iVm 62.

Hauptsache also eine andere als die Anfechtungsklage zu erheben wäre.43

Bei der erstmaligen Leistungsgewährung in der Grundsi-cherung für Arbeitsuchende ist vorläufiger Rechtsschutz durch eine Regelungsanordnung (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) zu gewähren, auch wenn die Durchsetzung eines bestehen-den gesetzlichen Anspruchs auf Leistungen, die Hilfe in ei-ner aktuellen Bedarfslage gewähren und gegenwärtige Not abwenden sollen, Elemente der Sicherung des Rechts birgt, aktuell ein Leben führen zu können, das der Würde des Menschen entspricht.44 Der Bezug der Grundsicherungs-leistungen auf die Sicherung des Lebensunterhalts in einer gegenwärtigen (wirtschaftlichen) Notlage, wie er u.a. in den Regelungen über die Hilfebedürftigkeit und zur Anrech-nung von Einkommen und Vermögen zum Ausdruck kommt (§§ 9, 11 und 12 SGB II), erfordert in besonderem Maße eine effektive Rechtsschutzgewähr,45 und zwar auch dann, wenn die aus dem sozialhilferechtlichen Faktizitäts- und Gegenwärtigkeitsprinzip gezogenen Folgerungen für die Existenz und den Fortbestand des Sozialhilfeanspruchs und Leistungen für die Vergangenheit auf die SGB II-Leis-tungen nicht in vollem Umfange übertragbar sein sollten.46

Eine Regelungsanordnung kann in Bezug auf ein streitiges, bestehendes und nicht erst durch den Antrag begründetes47 Rechtsverhältnis ergehen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich erscheint. Da im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mehr zu gewähren ist, als in einem Hauptsacheverfahren durchge-setzt werden kann, erfordert die Regelungsanordnung einen der Durchsetzung zugänglichen, materiell-rechtlichen An-spruch (Anordnungsanspruch) (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920, 916 Abs. 2 ZPO) und eine besondere Dring-lichkeit (Anordnungsgrund). Bei bestehendem Anord-nungsanspruch und -grund steht dem Sozialgericht kein Entschließungsermessen zu;48 richterliche Gestaltungsbe-fugnis, die durch den Zweck der Regelung und die effektive Rechtsschutzgewähr vorgeformt ist, besteht nur hinsichtlich des Inhaltes der einstweiligen Anordnung, ihrer Geltungs-dauer und etwaiger Auflagen, die die Vorläufigkeit der Re-gelung sichern (§ 86b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 938 ZPO).

43 Missachtet der Leistungsträger eine objektiv kraft Gesetzes be-

stehende aufschiebende Wirkung (sog. faktische Vollziehung), ist das Begehren auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung, das mit einem Leistungsbegehren auf Aufhebung der faktischen Vollziehung verbunden werden kann, indes Abs. 1 zuzuordnen.

44 Wegen der verfassungsunmittelbaren Geltung des Menschen-würdesatzes und des Sozialstaatsprinzips sowie mit Blick auf § 1 Abs. 1 SGB I ist unschädlich, dass § 1 SGB II – anders als § 1 SGB XII – es nicht als Aufgabe der Grundsicherung für Arbeit-suchende benennt, den Leistungsberechtigten auch die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen ent-spricht.

45 S. Grieger (Fn. 6), Rn. 12 f. = ZfSH/SGB 2004, 579 (283). 46 Etwa hinsichtlich der Anwendung des § 44 SGB I; dazu zuletzt

BVerwG FEVS 55. 320; Rothkegel ZfSH/SGB 2002, 8; Grube NVwZ 2002, 1458.

47 S.o. in und bei Fn. 10. 48 S. Binder (Fn. 6), § 86b Rn. 41; Schoch (Fn. 9), § 123 Rn. 132.

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4.2. Anordnungsanspruch

»Anordnungsanspruch« bezeichnet den materiell-rechtli-chen Anspruch, für den in einem bestehenden streitigen Rechtsverhältnis zum Antragsgegner vorläufiger Rechts-schutz begehrt wird. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist nach Maßgabe des einschlägigen materiellen Rechts auf der Grundlage einer Vorausbeurteilung der Erfolgsaussichten einer nachfolgenden Verpflichtungs- oder Leistungsklage zu bestimmen. Diese Vorausbeurteilung der Rechtslage hat auf der Grundlage der glaubhaft gemachten maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse hinsichtlich der Rechtslage vor-läufig, für das vorläufige Rechtsschutzverfahren indes er-schöpfend und abschließend zu sein; die Glaubhaftmachung (§ 86b Abs. 4 SGG i.V.m. § 920 ZPO) kann sich schon deswegen allein auf die anspruchsbegründenden Tatsachen erstrecken, weil sie sich nur auf eine tatsächliche Behaup-tung erstreckt (§ 294 Abs. 1 ZPO).

Bei geklärtem, gegebenenfalls aufzuklärenden Sachverhalt besteht bei nach Grund und Höhe gebundenen Entschei-dungen, z.B. bei den Leistungen zur Sicherung des Lebens-unterhalts, ein Anordnungsanspruch, wenn die tatbestand-lichen Voraussetzungen für Gewährung der begehrten Leistungen erfüllt sind. Bei Ermessensentscheidungen er-gibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen dem Gebot ef-fektiver Rechtsschutzgewähr und der Beachtung des dem Leistungsträger durch die Ermessensnorm eingeräumten Entscheidungsspielraums.

Soweit dem Leistungsberechtigten ein Anspruch auf fehler-freie Ermessensentscheidung über die Leistungsgewährung, wie z.B. für die Eingliederungsleistungen nach § 16 Abs. 1 Satz 1 bis 3, 5, Abs. 2 und 3 SGB II,49 zusteht, besteht ein auf Leistungsgewährung gerichteter Anordnungsanspruch unstreitig jedenfalls bei entsprechender Ermessensredukti-on.50 Zur Durchsetzung des formellen Anspruchs auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung kommt auch eine Be-scheidungsanordnung in Betracht, durch welche der Leis-tungsträger gerichtlich zur (ermessensfehlerfreien Erst- oder Neu-)Bescheidung eines Leistungsbegehrens angehal-ten werden kann.51 Umstritten ist, ob eine auf Leistung ge-richtete einstweilige Anordnung eine Ermessensreduktion auf Null voraussetzt52 oder es ausreicht, dass sich mit zu-mindest überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass eine (erstmalige oder erneute) fehlerfreie Ermessens-betätigung zugunsten des Antragstellers ausgehen wird.53 Auch in den Fällen, in denen der Ermessensanspruch nicht durch Zeitablauf (rechtlich oder faktisch) untergeht, hat in der auf existenzsichernde Leistungen und zeitnahe Ar-beitsmarktintegration gerichteten Grundsicherung für Ar-beitsuchende zur Vermeidung von Rechtsschutzdefiziten – wie in der Sozialhilfe anerkannt54 – die überwiegende

49 Niewald, in: LKP SGB II, § 16 Rn. 6; 50 BVerwGE 63, 110; VGH HE NVwZ-RR 1993, 145. 51 OVG SN FEVS 54, 207; OVG RP ZBR 1988, 390. 52 So die wohl h.M.; s. Nachweise bei Schoch (Fn. 9), § 123 Rn.

158; Finkelnburg /Jank (Fn. 10), Rn. 237. 53 So – m.w.N. – Finkelnburg /Jank (Fn. 10), Rn. 1235; Schoch (Fn.

9), 159 ff. 54 S. etwa OVG NW NWVBl. 1995, 140 (rückständige Unter-

kunftskosten); VGH BW FEVS 45, 32 (ungekürzte Regelsatzleis-

Wahrscheinlichkeit einer positiven Ermessensentscheidung im Vorfeld der Ermessensreduktion für eine gerichtliche Leistungsanordnung auszureichen.55

4.3. Anordnungsgrund

4.3.1. Allgemeines/kein »Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache«

Ein Anordnungsrund liegt vor, wenn der Erlass der einst-weiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nach-teile geboten ist. Die besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, liegt vor, wenn dem An-tragsteller unter Berücksichtigung auch der widerstreiten-den öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entschei-dung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist.

Für die Regelungsanordnung wird in diesem Zusammen-hang immer wieder auf ein vermeintliches Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache verwiesen, von dem im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes Aus-nahmen zu machen seien, wenn die ohne die Regelung zu erwartenden Nachteile unzumutbar und im Hauptsachever-fahren nicht mehr zu beseitigen wären.56 Bei richtiger Be-trachtung ist ein solches allgemeines Vorwegnahmeverbot, für das sich im Gesetz kein ausdrücklicher Anhalt findet, abzulehnen: Es blendet den Faktor Zeit aus und vernach-lässigt, dass auch bei Nichterlass einer einstweiligen Anordnung die Hauptsacheentscheidung temporär vorweg-genommen wird – wenn auch negativ zu Lasten des An-tragstellers.57 Bei einer Verpflichtung zur vorläufigen Ge-währung von Geldleistungen, die unter dem Vorbehalt der Rückforderung steht,58 wird zudem die Hauptsache auch dann nicht im Rechtssinne vorweggenommen, wenn bei Verbrauch der Leistung für den Lebensunterhalt eine Rück-abwicklung faktisch auf Schwierigkeiten stoßen kann: Eine Erstreckung auf jede vorläufige (teilweise) Vorwegnahme59 implantierte der Norm das sinnwidrige Gebot, sie grund-sätzlich nicht und nur im Ausnahmefall anzuwenden. Jedenfalls ist anerkannt, dass vom vermeintlichen Vorweg-nahmeverbot Ausnahmen zu machen sind, wenn existen-tielle Belange des Antragstellers berührt sind, er insbeson-dere in wirtschaftliche Not gerät. Dies ist regelmäßig für die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt,60 aber auch

tungen an Ausländer); info also 1994, 96 (Geld- statt Sachleis-tungen an Asylbewerber); OVG NI FEVS 48, 514 (Hilfe zum Aufbau einer Lebensgrundlage); enger etwa OVG NW FEVS 35, 34; 38, 177; OVG BE NDV 1997, 233 (Kürzung Sozialhilfesätze für Asylbewerber); s.a. LSG RP NZS 1998, 444 (Ls.) (Verlänge-rung Arbeitserlaubnis).

55 Wie hier Grieger (Fn. 6), Rn. 23 f. = ZfSH/ SGB 2004, 579 (584).

56 S. – m.w.N. – etwa Binder (Fn. 6), § 86b Rn. 39 f.; Meyer-Ladewig (Fn. 6), § 86b Rn. 31; Schoch (Fn. 9), § 123 Rn. 141 ff.; Finkelnburg /Jank (Fn. 10), Rn. 211 ff.; LSH HH InfAuslR 1981, 135; Breithaupt 1992, 164; LSG SH Breithaupt 1981, 443; LSG BE Breithaupt 1989, 614.

57 Eingehend Schoch (Fn. 9), Rn. 146 ff. 58 Zur Rückabwicklung s. OVG NI FEVS 44, 423. 59 In diese Richtung VGH BW DVBl. 1995, 160 (Aufnahme in

Krankenhausplan). 60 S. – m.w.N. – Finkelnburg /Jank (Fn. 10), Rn. 1237; OVG TH

FEVS 51,66.

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für bestimmte Geldleistungen nach dem AFG/ SGB III61 angenommen worden. Der Umstand, dass ein Antragsteller einen solchen normativ anerkannten Bedarf, einen hierauf bezogenen Leistungsanspruch und daher insoweit einen Anordnungsanspruch hat, indiziert hiernach grundsätzlich auch die besondere Dringlichkeit der begehrten Leistungen.

4.3.2. Insbesondere: Anordnungsgrund und Einsatz von Einkommen und Vermögen

Ein Anordnungsanspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht – materiell-rechtlich – nur, wenn der notwendige Lebensunterhalt nicht aus dem zu berück-sichtigenden Einkommen oder Vermögen gesichert werden kann (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). Klärungsbedürftig ist, ob jede Unterschreitung des materiellrechtlich vom SGB II vorgesehenen Leistungsniveaus und Freiraums beim Ein-satz von Einkommen und Vermögen einen »wesentlichen Nachteil« i.S.d. § 86b Abs. 2 SGG begründet und inwieweit für den Anordnungsgrund der materiell-rechtlich nicht ge-schuldete Einsatz von Einkommen und Vermögen verlangt werden kann. Dies war in der obergerichtlichen Rechtspre-chung der Verwaltungsgerichte in Grundsatz und Detail umstritten; Einigkeit bestand indes darin, dass nicht auf ma-teriellrechtlich nicht abverlangte Selbsthilfemöglichkeiten wie z.B. die Inanspruchnahme eines Überziehungskredits oder sonstiger Darlehen Privater verwiesen werden kann.62

Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG haben verschiedene Verwaltungsgerichte einen Anordnungsgrund nur für Leistungen in Höhe des zum Lebensunterhalt Uner-lässlichen anerkannt, das bei 80 v.H. bzw. – in Anlehnung an § 25 Abs. 1 BSHG – mit 75 v.H. der Regelsatzleistungen angesetzt wurde.63 Bei Leistungskürzungen nach § 25 Abs. 1 BSHG in der ersten Stufe, berücksichtigungsfähigen Bedarfen auf einmalige Leistungen von überschaubarem Umfang und in Fällen, in denen die gewährten Leistungen um weniger als 20 bzw. 25 v.H. hinter den Regelsatzleis-tungen zurückblieben, etwa wegen Streitigkeiten um die Angemessenheit der Unterkunftskosten, war hiernach man-gels Anordnungsgrundes Rechtsschutz nur im Hauptsache-verfahren zu erlangen. Andere Verwaltungsgerichte64 ha-ben demgegenüber zur effektiven Rechtsschutzgewähr einen Anordnungsgrund bei jeder Unterschreitung des not-wendigen Lebensunterhalts, durch den der Gesetzgeber das soziokulturelle Existenzminimum definiert, angenommen, und hierfür zu Recht u.a. darauf abgestellt, dass das Gesetz dem Hilfebedürftigen nur unter eng definierten Vorausset-zungen auferlege, mit gekürzten Regelsatzleistungen aus-kommen zu müssen. Dies überzeugt auch für das SGB II. 61 LSG HB NZA 1984, 132 (Kurzarbeitergeld in Streiksituation);

LSG HH Beithaupt 1992, 162 (ungekürzte Arbeitslosenhilfe); SG Bremen info also 1989, 89 (Arbeitslosenhilfe); SG Frankfurt/M. info also 1989, 87 (Überbrückungsgeld).

62 OVG NW FEVS 52, 77. 63 S. etwa HessVGH FEVS 7, 132; OVG NW 1989, 1085; FEVS

54, 174; HessVGH info also 2004, 171; OVG RP 54, 544; (GSiG); so auch Grieger (Fn. 6), Rn. 30 = ZfSH/SGB 2004, 579 (585).

64 OVG NI FEVS 26, 371; 37, 152; BGH BW 19, 270; info also 1993, 26; BayVGH FEVS 45, 102; s.a. Finkelnburg /Jank (Fn. 10), Rn. 1242; Conradis, in: LKP SGB II, Anhang Verfahren, Rn. 119.

Die nominelle Erhöhung der Regelleistungen beruht auf der nach dem Bedarfsdeckungsprinzip problematischen, pau-schalierenden Abgeltung einmaliger Bedarfe,65 zumal auf der Basis unzureichend fortgeschriebener Regelsätze.66 Die rechnerisch für die nach § 21 BSHG a.F. für einmalige Be-darfe bestimmten Regelleistungsbestandteile könnten nur dann zumutbar für den laufenden Lebensunterhalt einge-setzt werden, soweit feststünde, dass bis zur Entscheidung in der Hauptsache hierdurch abgegoltene Bedarfe nicht aus diesen Mitteln zu decken sind; dies kann für den Regelfall ausgeschlossen werden.

Bei dem befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II ist zu be-rücksichtigen, dass er finanzielle Härten durch den Über-gang auf das bedarfsorientierte Alg II abfedern und dem Empfänger so auch ermöglichen soll, Lebensstandard und Ausgabenstruktur der geänderten Einkommenslage anzu-passen.67 Der auch nur zeitweise Entzug dieser Möglichkeit in einer regelmäßig schwierigen Umstellungsphase bedeutet bei rechtswidriger Vorenthaltung des Zuschlages einen we-sentlichen Nachteil iSd § 86b Abs. 2 SGG; dem Antragstel-ler ist jedenfalls die Möglichkeit der Darlegung besonderer Gründe einzuräumen, aus denen er wirtschaftlich auf den Zuschlagsbetrag angewiesen ist.

Nach § 11 SGB II materiell-rechtlich nicht anzurechnendes Einkommen berührt prozessual den Anordnungsgrund nicht schon deswegen, weil es dem Antragsteller einen finanziel-len Bewegungsspielraum eröffnet, der mehr als nur das so-ziokulturelle Existenzminimum sicherstellt. Eindeutig ist dies für die Absetzungsbeträge nach § 11 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 5 SGB II, bei den Absetzungsbeträgen nach Nrn. 3 und 5 sind regelmäßig laufende Verbindlichkeiten eingegangen worden, die ohne wesentliche Nachteile nicht entfallen bzw. kurzfristig beseitigt werden können. Der prozessual bedingte Zugriff auf den Freibetrag nach § 30 SGB II höbe die vom Gesetzgeber gewollte Anreizwirkung auf und ver-nachlässigte, dass mit dem für untere Einkommen ohnehin gegenüber der bis zum 31. 12. 2004 geltenden Rechtslage abgesenkten Freibetrag68 auch mit der Erwerbstätigkeit verbundene, nach § 11 Abs. 2 Nr. 6 SGB II nicht abzugsfä-hige unspezifische Mehraufwendungen abgegolten wer-den.69 Die Ausgleichsfunktion der Einkommensfreistellung von Geldzuflüssen wegen Schäden an Körper und Gesund-heit (§ 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2 SGB II) rechtfertigt, auch sie bei der Beurteilung außer Betracht zu lassen, ob wirtschaftliche Not auch einen »wesentlichen Nachteil« be-gründet.

Bei Einkommen, das nach besonderen gesetzlichen Vor-schriften nicht zu berücksichtigen ist, entfällt wegen deren Ausgleichsfunktion nicht der Anordnungsgrund, z.B. bei Bezug von Leistungen nach dem Gesetz über die Errich-tung einer Stiftung »Hilfswerk für behinderte Kinder«, dem Anti-D-Hilfegesetz oder dem HIV-Hilfegesetz. Streit besteht

65 Rothkegel ZfSG/SGB 2004, 396 (403 f.). 66 Zur Regelsatzverordnung nach § 40 SGB XII s. Spindler info al-

so 2004, 147; Frommann NDV 2004, 246. 67 BT-Drs. 15/1516, 58; Brünner, in: LKP SGB II, § 24 Rn. 2. 68 Dazu Geiger, in diesem Heft S. 13 ff. 69 BVerwGE 115, 331.

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um die prozessuale Bedeutung der aus familienpolitischen Gründen i.w.S. von der Einkommensanrechnung freige-stellten Leistungen, z.B. dem Erziehungsgeld (§ 8 Abs. 1 BErzGG), vergleichbaren Leistungen der Länder oder Leis-tungen nach dem Gesetz zur Errichtung der Stiftung »Mut-ter und Kind – Schutz des ungeborenen Lebens«.70 Der grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie und der im Zeitverlauf regelmäßig nicht nachholbare Zweck, eine über den existentiellen Mindeststandard hinausreichende Kin-dererziehung zu ermöglichen, rechtfertigt die Nichtberück-sichtigung auch beim Anordnungsgrund. Entsprechendes gilt für die Anreizfunktion der anrechnungsfrei gestellten (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Alg II-V), nicht steuerpflichtigen Ein-nahmen einer Pflegeperson für Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung,71 denen Leistun-gen nach § 39 SGB VIII auch hinsichtlich des Betreuungs-anteils gleichstehen.72

Bei den Einkünften, die nach § 11 Abs. 3 Nr. 3 SGB II/ § 1 Abs.1 Nr. 2 Alg II-V nicht als Einkommen zu berücksichti-gen sind,73 ist für die Auswirkungen auf den Anordnungs-grund eine einzelfallbezogene Betrachtung angezeigt. Die bei zweckbestimmten Einnahmen und gebundenen Zuwen-dungen Dritter materiellrechtlich gezogene Grenze, dass die Freistellung erst bei Nichtrechtfertigung von Grundsiche-rungsleistungen entfällt, lässt prozessual Raum für eine (teilweise) Anrechnung; dies gilt etwa bei Aufwandsent-schädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten oder nach § 3 Nr. 26 EStG steuerfrei gestellten Pauschalen, wenn sie ne-ben der pauschalierenden Abgeltung tatsächlichen Mehr-aufwandes nach Art und Zusammensetzung erkennbar Ent-geltcharakter haben.

Eine differenzierte Betrachtung ist auch bei einer Berück-sichtigung von Vermögen angezeigt, das nach § 12 SGB II nicht zu berücksichtigen bzw. abzusetzen ist. Nach § 12 Abs. 3 SGB II lässt nicht zu berücksichtigendes Vermögen regelmäßig auch den Anordnungsgrund unberührt. Bei dem Altersvorsorgevermögen von Rentenversicherungsbefreiten wird indes die Höhe des Vermögens zu beachten und eine mögliche, einfach durchzuführende und wirtschaftlich un-schädliche Teilverwertung zuzumuten sein, wenn das Haupt-sacheverfahren voraussichtlich deutlich vor Eintritt in das Rentenalter abgeschlossen sein wird.74 Das Vorhandensein eines kleinen Hausgrundstücks, das zur Sicherung eines Darlehens mit einem Grundpfandrecht belastet werden könnte, beseitigt wegen der mit der Teilverwertung verbun-denen Eigentumsbeeinträchtigung und des Verwertungs-

70 S. nur OVG SN SächsVBl. 2000, 139 (Ls.); OVG TH FEVS 41,

66 (bei offensichtlich rechtswidriger Vorenthaltung von Leistun-gen Einsatz nicht zumutbar) einerseits, andererseits OVG NW FEVS 54, 174; 24. 4. 2002 – 16 B 531/02 (regelmäßig einsetz-bar).

71 S.a. HessVGH FEVS 46, 430. 72 Zu den grundsicherungsrechtlichen Konsequenzen der Teilan-

rechnung von Kindergeld nach § 39 SGB VIII s. BVerwG 21. 10. 2004 – BVerwG 5 C 30.03 –.

73 Exemplarische Auflistung Nr. 11.36 BA-Hinweise zu § 11. 74 S.a. LSG NI/HB info also 2004, 140 (Ls.) (geringere Anforde-

rungen an Anordnungsgrund bei überwiegender Wahrscheinlich-keit Anordnungsanspruch; kein Verweis auf Policendarlehen bei kurz vor dem Rentenalter stehenden Kläger).

aufwandes nicht den Anordnungsgrund.75 Der Einsatz ma-teriell nach § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II geschützten Vermö-gens kann auch in Bezug auf den Anordnungsgrund nicht verlangt werden, weil bei offensichtlicher Unwirtschaft-lichkeit oder besonderer Härte eine Verwertung auch pro-zessual unzumutbar ist. Soweit, wie nach § 12 Abs. 3 Nr. 2 SGB II möglich, in einem Haushalt mehrere angemessene Kraftfahrzeuge vorhanden sind, stellt sich nach Maßgabe der Verkehrsanbindungen des Wohnortes neben der Zumut-barkeit der Verwertung eines der Fahrzeuges die Frage, wie die Unterhaltungskosten bestritten werden.

Bei dem nach § 12 Abs. 2 SGB II abzusetzenden Vermögen kann wegen des Ausschlusses vorzeitiger Verwertung beim Altersvorsorgevermögen (Nrn. 2 und 3) den Anordnungs-grund allenfalls Vermögen berühren, das durch den Anspar-freibetrag (Nr. 5) oder den allgemeinen Vermögensfreibetrag (Nrn. 1 und 2) »geschützt« ist. Die implizite Zweckbe-stimmung des Ansparfreibetrages, Vorsorge für erforderli-che Anschaffungen zu ermöglichen, gebietet dessen Nicht-berücksichtigung auch beim Anordnungsgrund; dass materiellrechtlich in Fällen besonderen und unabweisbaren Bedarfs vor einer Darlehensleistung auch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II einzusetzen ist (§ 23 Abs. 1 SGB II), rechtfertigt wegen des Unterschiedes von Regel- und Zusatzleistungen keine andere Beurteilung. Würde im Rahmen des Anordnungsgrundes hingegen der Einsatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II abzusetzenden Vermögens für den laufenden Lebensunterhalt verlangt, muss bei Auftreten eines durch die Pauschalen abgegoltenen Bedarfs (z.B. für Bekleidung, Hausratsgegenstände) vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu den laufenden Leistungen zur ef-fektiven Rechtsschutzgewähr vorläufiger Rechtsschutz für einmalige Bedarfe zugelassen werden; damit würde prozes-sual das materiell auf drei in § 23 Abs. 3 SGB II benannte Leistungsfälle reduzierte System einmaliger Leistungen wieder eröffnet.

Der allgemeine Vermögensfreibetrag (§ 12 Abs. 2 Nr. 1, 1 a SGB II) bewirkt eine zweckungebundene Vermögensfrei-lassung, die neben dem durch den Grundfreibetrag gekenn-zeichneten Mindestfreiraum im vermögensrechtlichen Be-reich eine lebensaltersabhängige Steigerungskomponente ohne direkten Bezug zu einer bestimmten Bedarfslage ent-hält. Diese Differenzierung rechtfertigt, für die prozessuale Betrachtung Vermögen in Höhe des Grundfreibetrages ge-nerell als für den Anordnungsgrund unschädlich anzusehen und erst hinsichtlich des übersteigenden Vermögens in eine Prüfung einzusteigen, ob eine zeitgerechte Verwertung ein-fach und ohne irreparable Vermögensverluste möglich und auch sonst zumutbar ist.

4.3.3. Insbesondere: Anordnungsgrund und (Fort-)Bestehen wesentlichen Nachteils

Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung muss der we-sentliche Nachteil noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts fortbestehen; im Beschwerdeverfahren ist maßgeb-

75 VGH BW FEVS 43, 410; BayVGH 23. 8. 2004 – 12 CE 04.1413 –;

strikter (für Verwertung Kfz) OVG SH 47, 371.

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lich der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung.76 Die Leistungsgewährung im Wege des vorläufigen Rechts-schutzes unterstreicht die materiellrechtliche Funktion der Leistungen, einer gegenwärtigen Notlage abzuhelfen. Bei weggefallener Eilbedürftigkeit ist ohne Hauptsacheerledi-gungserklärung der Antrag mangels Anordnungsgrundes abzulehnen.

Die obergerichtliche Rechtsprechung hat aus der Funktion, dass nur »Notfallhilfe« zu gewähren ist, für den Zeitraum, für den durch einstweilige Anordnung Leistungen zuge-sprochen werden können, unterschiedliche Konsequenzen gezogen. Einigkeit besteht, dass regelmäßig kein Anord-nungsgrund für den Zeitraum vor Antragstellung bei Ge-richt besteht;77 eine rückwirkende Gewährung kommt indes in Betracht, wenn der Antragsteller einen besonderen Nachholbedarf glaubhaft macht oder die Nichtgewährung in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirkt und eine gegenwärtige Notlage bewirkt, etwa ein unbefriedigt ge-bliebener Gläubiger die Vollstreckung betreibt.78 Aus dem Umstand, dass bei verweigerter Leistungsgewährung die Antragsteller jedenfalls für die Dauer des gerichtlichen Ver-fahrens »überlebt« haben, lässt sich auch nicht der Wegfall des Anordnungsgrundes herleiten.79

Für den Beginn der Hilfe wurde im Übrigen teilweise abge-stellt auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und hier aus Praktikabiliätsgründen auf den Ersten des Monats, in dem die (Beschwerde-)Entscheidung ergeht,80 teils auf den Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht.81 Mit der Ausgestaltung der Leistungen zur Sicherung des Lebensun-terhaltes als befristet, regelmäßig für sechs Monate zu ge-währende Dauerleistung (§ 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II) haben dabei die materiellrechtlichen, am Gegenwärtigkeitsprinzip anknüpfenden Einwände gegen eine Leistungsgewährung ab Antragstellung bei Gericht an Gewicht verloren. Für eine Leistungsgewährung ab Antragstellung spricht dann, dass die obsiegenden Leistungsberechtigten um der Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes willen nicht mit dem von ihnen in der Regel kaum zu beeinflussenden Risiko einer gegebenenfalls längeren Verfahrensdauer belastet werden sollten.82

Bei Leistungen für die Unterkunft gelten Besonderheiten. Es fehlt regelmäßig bereits der Anordnungsanspruch, wenn die Leistungen für eine nicht mehr bewohnte Unterkunft oder in Fällen begehrt werden, in denen durch die Über-nahme rückständiger Mietkosten die Räumung der Unter-kunft nicht mehr abgewendet werden kann.83 Für Leistun-

76 BayVGH BayVBl. 2003, 663; s.a. Rotter NVwZ 1983, 727; Pe-

tersen ZfF 1992, 121. 77 OVG BB FEVS 55, 262. 78 OVG NI FEVS 53, 247. 79 OVG SH info also 2004, 226 (mit Anm. Spindler). 80 S. OVG NI FEVS 48, 42; BayVGH FEVS 53, 550; OVG HH

NVwZ 1990, 975; Petersen ZfF 1992, 121 (123). 81 OVG HB FEVS 33, 144 (145); HessVGH FEVS 33, 108 (113);

info also 1994, 224, s.a. Grieger (Fn. 6), Rn. 27 = ZfSH/SGB 2004, 579 (585); Conradis, in: LPK BSHG, 6. Aufl., Anhang Verfahren Rn. 147.

82 OVG NW 14.4.2000 – 16 B 472/00 –. 83 S. Berlit, in: LPK SGB II, § 22 Rn. 71.

gen auf die Unterkunftskosten besteht ein Anordnungsan-spruch auch für die Zeit vor bzw. ab Antragstellung, wenn wegen Mietrückständen in der Vergangenheit bzw. bis zum Entscheidungszeitpunkt die Kündigung (§ 543 Abs. 2 Nr. 3, § 569 Abs. 3 BGB) der Unterkunft konkret droht.84 Werden für die Zeit ab Antragstellung bzw. Entscheidung des Ge-richts laufende Unterkunftskosten als Teil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts begehrt, setzt der An-ordnungsgrund für zukunftsbezogene Leistungen indes nicht voraus, dass bereits Mietrückstände in einem Umfan-ge eingetreten sind oder alsbald drohen, die eine fristlose Kündigung des Vermieters erwarten lassen.85

Dissens besteht auch in der Frage, für welche Dauer eine einstweilige Anordnung erlassen werden kann. Auch für diese Frage ist durch § 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II das Argu-ment überholt, Sozialhilfe sei keine rentenähnliche Dauer-leistung, aus dem eine Begrenzung auf das Ende des Ent-scheidungsmonats86 bzw. auch des Folgemonats87 hergeleitet worden ist. Um der Effektivität des Rechtsschutzes willen ist bei voraussichtlich gleich bleibender Sachlage eine Ver-pflichtung auch für einen längeren Zeitraum möglich88 und sinnvoll, der indes sechs Monate nicht übersteigen sollte. Die praktischen Unterschiede sind indes gering, weil sich die Leistungsträger bei unveränderter Sachlage regelmäßig an den Inhalt einer zusprechenden einstweiligen Anordnung auch dann gehalten haben, wenn der tenorierte Verpflich-tungszeitraum abgelaufen war.

4.3.4. Insbesondere: Anordnungsgrund bei Eingliede-rungsleistungen

Die besondere Eilbedürftigkeit bei den Leistungen zur Ein-gliederung in Arbeit ist nach den Umständen des Einzelfal-les zu beurteilen, insbesondere der Dauer der Arbeitslosig-keit, der Art der Maßnahmen, ihrer Bedeutung für den Prozess der Arbeitsmarktintegration und der Möglichkeiten, in der Folgezeit eine vergleichbare Leistung in Anspruch nehmen zu können. Wegen der materiell-rechtlich im SGB II akzentuierten Obliegenheit, alles zur Arbeitsmarkt-integration Zumutbare zu unternehmen, und der bei länge-rer Arbeitslosigkeit drohenden Qualifikationsverluste und sozialen, psychischen und gesundheitlichen Folgen sind wesentliche Nachteile i.S.d. § 86b Abs. 2 SGG durch Vor-enthaltung integrationsfördernder Maßnahmen nicht schon unter Hinweis auf den gesicherten Lebensunterhalt zu ver-neinen. Die drohende Nichterreichung eines durch eine Leistung nach § 16 Abs. 1SGB II konkret erreichbaren Arbeitsplatzes, einer Arbeitsgelegenheit oder einer zeitge-bundenen Qualifizierungsmaßnahme wiegt nicht minder schwer als der drohende Verlust eines Arbeitsplatzes, der einen schweren, unzumutbaren Nachteil darstellen und so-mit Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung sein

84 VGH BY FEVS 49, 397; OVG NW NWVBl. 1995, 140; OVG

HH FEVS 44, 409. 85 Missverständlich insoweit OVG NW FEVS 52, 24; Grieger

(Fn. 6), Rn. 28 = ZfSH/SGB 2004, 579 (585). 86 S. OVG NW FEVS 53, 270; s.a. Grieger (Fn. 6), Rn. 29 =

ZfSH/SGB 2004, 579 (585). 87 OVG BB FEVS 54, 40. 88 BayVGH FEVS 53, 550; 49, 107 (drei auf die Beschwerdeent-

scheidung folgende Monate).

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kann.89 Für die Förderung in einer Werkstatt für Behinderte kann sich der Anordnungsgrund aus dem Nutzen kontinu-ierlicher Förderung unter Erhalt und Ausbau bereits bewirk-ter Integrationserfolge ergeben.90

5. Zum Verfahren

Über Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz ist durch Be-schluss zu entscheiden (§ 86b Abs. 4 SGG), der regelmäßig ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 3 SGG) und da-her ohne ehrenamtliche Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) ergeht. Für das Beschluss- und Beschwerdeverfahren gelten mit der Maßgabe die allgemeinen Verfahrensgrundsätze (z.B. §§ 60 bis 75, 101, 103, 104, 106 bis 108, 110 ff. SGG) entsprechend, dass insb. bei Art und Umfang der Sachauf-klärung von Amts wegen die aus der besonderen Eilbedürf-tigkeit folgenden Erfordernisse zu berücksichtigen sind.

Der Beschluss des Sozialgerichts erwächst, soweit er zur Sache über den Streitgegenstand entscheidet, in formelle und materielle Rechtskraft.91 Das Sozialgericht kann seinen Beschluss über die Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch nach Ablauf der Beschwer-defrist jederzeit ändern oder aufheben. Erforderlich ist le-diglich der Antrag eines Beteiligten; eine Änderung der

89 LSG HB 29. 8. 1997 – L 5 BR 29/97; LSG RP NZS 1998, 444

(Ls.); SG Berlin info also 2000, 297; s.a. LSG BW ZAR 2003, 323 (Ls).

90 SG Stuttgart RdLH 2003, 30; SG Dresden RdLH 2003, 132. 91 LSG BE NZS 2002, 670.

Sach- oder Rechtslage oder die Darlegung ohne Verschul-den bislang nicht in das Verfahren eingeführter Umstände sind – anders als nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO – nicht vorausgesetzt. Die Aufhebung oder Änderung einer einst-weiligen Anordnung wegen veränderter Umstände regelt sich nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 927 ZPO.

Gegen den Beschluss ist die Beschwerde zum Landessozi-algericht gegeben (§ 172 SGG). Die Zugangsschwellen zur Rechtsmittelinstanz sind geringer als nach der Verwal-tungsgerichtsordnung.92 Vor dem Landessozialgericht be-steht kein Vertretungszwang. Die Frist zur Einlegung der Beschwerde beträgt einen Monat (§ 173 SGG). Eine frist-gebundene Beschwerdebegründung, in der die Beschwer-degründe in Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung darzulegen sind (§ 124 Abs. 4 VwGO), ist nicht mehr vorzulegen. Bei Sachbeschlüssen hat die Be-schwerde, der abgeholfen werden kann (§ 174 SGG), keine aufschiebende Wirkung; der Vorsitzende des Gerichts, des-sen Entscheidung angefochten wird, kann bestimmen, dass der Vollzug bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts einstweilen ausgesetzt wird. Das Landessozialgericht ent-scheidet durch Beschluss, gegen den eine weitere Be-schwerde zum Bundessozialgericht nicht statthaft ist.

92 Dazu Berlit info also 2002, 51; der von der Freien und Hanse-

stadt Hamburg eingereichte Entwurf eines Gesetzes zur Ände-rung des Sozialgerichtsgesetzes (BR-Drs. 34/05) strebt u.a. eine Übernahme der verwaltungsprozessualen Regelungen zum Ver-tretungszwang und zum Rechtsmittelzugang im Hauptsachever-fahren an.

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Lohnt es sich, unter Hartz IV anders als gemeinnützig zu arbeiten? Udo Geiger*

Auf eine griffige Formel gebracht, ist das Arbeitslosengeld II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) Sozialhilfe mit Kran-ken- und Rentenversicherungsschutz für Menschen von 15 bis 65, die nicht wegen einer dauerhaften Krankheit oder Behinderung daran gehindert sind, eine Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich auszuüben. Leben sie mit Kindern unter 14 Jahren oder dauerhaft erkrank-ten/behinderten Partnern zusammen (sog. Bedarfsgemein-schaft), erhalten auch die nicht erwerbsfähigen Angehöri-gen Arbeitslosengeld II, das dann Sozialgeld heißt. Alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind gefordert, die vorhandenen Mittel und Kräfte zur Selbsthilfe einzusetzen, im Vordergrund steht die Aufnahme/Ausweitung von Er-werbsarbeit.

Ein ganz zentraler Maßstab zur Beurteilung der »Großzü-gigkeit« der neuen Leistung im Vergleich zur Arbeitslosen-hilfe und Sozialhilfe ist daher der Umfang, in dem Er-werbseinkünfte auf die Sozialleistung angerechnet werden. Wesentliche Stellschrauben sind dabei zum einen Freibe-träge, zum anderen die zulässigen Absetzungen vom Brut-toeinkommen. Bei beiden Punkten zeigen sich sowohl für frühere Arbeitslosenhilfe- als auch Sozialhilfebezieher Ver-werfungen nach der Formel:

kleine Einkommen – große Anrechnung große Bruttoabzüge – kleine Freibeträge

I. Anrechnung in Arbeitslosenhilferecht

Im Arbeitslosenhilferecht wurde zwischen der Anrechnung von Einkommen, das der Arbeitslose selbst erzielt und das wegen der Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit aus Tätigkeiten von höchstens 14,9 Stunden wöchentlich stammen muss (Nebeneinkommen) und dem Einkommen des im Haushalt lebenden Partners (Partnereinkommen) un-terschieden.

Neues Nebeneinkommen

Bei neuem Nebeneinkommen im laufenden Alhi-Bezug gab es einen Mindestfreibetrag von € 165,– monatlich oder, falls günstiger, von 20 % des monatlichen Arbeitslosenhilfe-Zahl-betrages.

Vom Nettoeinkommen konnten dann außerdem die zur Einkommenserzielung erforderlichen Aufwendungen (z.B. Arbeitskleidung, Kinderbetreuungskosten etc.) sowie Fahr-kosten in Höhe der Steuerpauschale (€ 0,30 pro Entfer-nungskilometer) abgesetzt werden.

* Der Verfasser ist Richter am Sozialgericht Berlin

Berechnungsbeispiel 1:

A erhält nach einem früheren Bruttolohn von € 1.500,– Alhi in Höhe von € 20,64 kalendertäglich. Sie putzt werktäglich 2 Stunden eine Arztpraxis und bezieht dafür € 350,– monat-lich. Der Fahrweg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte be-trägt 10 km. Anrechnung für Juni 2004: 20,48 × 30 = 634,88, davon 20 % = 126,98 damit günstigerer Freibetrag = 165,– Fahrkosten 0,30 × 10 × 19 Arbeitstage = 57,– Vom Nebeneinkommen wird ein Betrag von 350,– ./. 165,–./. 57,– = € 128,– angerechnet bzw. A darf neben der Alhi = € 222,– dazuverdienen.

Fortgeführtes Nebeneinkommen

Wurde neben einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, mit der ein Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben wurde, geraume Zeit eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt, bleibt das daraus erzielte Einkommen bei Fortsetzung des Minijobs während der Arbeitslosigkeit komplett anrech-nungsfrei.

Hätte A aus Berechnungsbeispiel 1 den Minijob schon mindestens 10 Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ne-ben einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeübt, dürfte sie die € 350,– voll zusätzlich zur Alhi hinzuverdie-nen.

Partnereinkommen

Im Arbeitslosenhilferecht wurde dem erwerbstätigen Part-ner ein Freibetrag (Selbstbehalt) in Höhe der Alhi zuge-standen, die er im Fall eigener Arbeitslosigkeit aus seinem erzielten Bruttoentgelt erhalten würde. Bei sehr kleinem Einkommen wurde mindestens 80 % des steuerfreien Exis-tenzminimums, in 2004 waren das € 510,93 monatlich, zu-gestanden. Über § 434 g Abs. 6 SGB III war bis zum Inkrafttreten des SGB II sichergestellt, dass der Einkom-mensbezieher zumindest den Selbstbehalt als Freibetrag geltend machen konnte, der seinem sozialhilferechtlichen Selbstbedarf (Eckregelsatz plus 16%-Einmalleistungspau-schale plus anteilige Warm-Miete) entsprach.1 Lebten Kin-der im Haushalt, konnten zusätzlich die Unterhaltsbeträge aus der Düsseldorfer Tabelle abgesetzt werden.

Das Nettoeinkommen konnte dann weiter um eine Pauscha-le von 3 % des Brutto für Versicherungen und um Wer-bungskosten, insbesondere Fahrkosten (€ 0,30 pro Entfer-nungskilometer) verringert werden.

1 Vergl. SG Berlin, Urteil vom 24. 9. 2004, S 58 AL 2308/04.

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Berechnungsbeispiel 2:

Monatliches Bruttoeinkommen des Ehepartners € 2.250,– abzüglich Steuer- und Sozialversicherung (Stkl III) € 573,– Fahrkosten (15 km an 19 Tagen) € 85,50 Pauschbetrag f. Versicherungen (3%-Pauschale) € 67,50 Fiktive Alhi € 962,30 Unterhaltspflicht f. Kind, 7 Jahre € 241,– € 320,66

II. Anrechnung im Sozialhilferecht

Einen durch Gesetz oder Verordnung klar festgelegten Freibetrag gab es im Sozialhilferecht (Hilfe zum Lebensun-terhalt) weder in Bezug auf das eigene Einkommen noch den Verdienst des Partners. In der Praxis der Sozialämter hat sich bei der Anrechnung eigenen Einkommens als Grundfreibetrag überwiegend ein Mindestbetrag von 25 % des Eckregelsatzes (in 2004 € 74,–) herausgebildet, dem je nach amtsinterner Berechnungsregel ein Steigerungsbetrag zwischen 10 und 15 % des den Mindestbetrag übersteigen-den Einkommens, begrenzt auf insgesamt 1/3 oder 1/2 des Eckregelsatzes (€ 98,–/148,–) hinzugefügt wurde. Nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts2 dürfen die Sozialämter bei der Bestimmung der »angemessenen« Hö-he des erwerbstätigen Freibetrages die jeweiligen Umstände des Einzelfalles (erforderlicher Arbeitsanreiz, Schweregrad der Arbeit) berücksichtigen.

Privilegiertes Einkommen

Ging der Sozialhilfeempfänger trotz erschwerender persön-licher Umstände (Behinderung oder Kinderbetreuung) einer Erwerbstätigkeit nach, wurde ihm ein größerer Anteil des Verdienstes anrechnungsfrei belassen, in der Regel 30 % des Eckregelsatzes, zuzüglich eines Steigerungsbetrages bis zu 25 %, gedeckelt auf höchstens 2/3 des Eckregelsatzes (€ 197,–).

In einer Verordnung zu § 76 BSHG waren die vom Netto-einkommen absetzbaren Aufwendungen zur Erzielung des Einkommens (mindestens ein Pauschbetrag von € 5,20 pro Monat) sowie die notwendigen Fahrkosten (entweder die Kosten der günstigsten Zeitkarte bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder € 5,20 pro Entfernungskilometer bei erforderlicher PKW-Nutzung) genau geregelt.

Berechnungsbeispiel 3:

A benutzt zur Ausübung ihres Putzjobs öffentliche Ver-kehrsmittel. Die Monatskarte kostet € 60,–. Der örtliche Sozialhilfeträger gewährt zusätzlich zum Mindestfreibetrag von € 74,– einen Steigerungsbetrag von 10 % des über-schießenden Einkommens (350 – 74 = 276, davon 10 % = 26,70). Abzüglich des Pauschbetrages von € 5,20 wird ins-gesamt € 183,20 auf die Sozialhilfe angerechnet bzw. darf A zusätzlich € 166,80 verdienen.

2 Urteil vom 21. 12. 2001, info also 2002, S. 177 ff.

Partnereinkommen

Beim Partnereinkommen war nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts3 mindestens ein Freibetrag zu gewähren, den der Einkommensbezieher als sozialhilfe-rechtlichen Eigenbedarf erhalten würde. Das ist neben dem Eckregelsatz der anteilige Miet- und Heizkostenbetrag. Vom Nettolohn waren dann zusätzlich zu den oben genann-ten Absetzungen Aufwendungen für notwendige Versiche-rungen (in der Regel Hausrat und Haftpflicht) abzuziehen.

Ob zusätzlich eine fiktive Pauschale für Einmalzahlungen abzusetzen ist und in welcher Höhe (15–18 % des Eckre-gelsatzes) ist umstritten und wird unterschiedlich gehand-habt.4

Berechnungsbeispiel 4:

B lebt mit erwerbslosem Ehemann zur Miete (€ 380,– warm). Sie verdient € 870,– netto. Die Fahrstrecke zur Arbeit (mit PKW) beträgt 15 km. Es besteht eine Hausrat- und Haft-Pflichtversicherung mit einem Monatbeitrag von € 16,–. Anrechnung: € 870,– netto, davon abzuziehen sozialhilfe-rechtlicher Eigenbedarf von € 530,– (= € 296,– Regelsatz plus 1/2 Warmmiete, plus 15%-Einmalpauschale). Auf den Sozialhilfebedarf des Ehemanns (= € 237,– Regelsatz plus 1/2 Warmmiete) sind somit € 240,80 des Erwerbseinkom-mens der Ehefrau anzurechnen.

III. Anrechnung im SGB II

Im SGB II war ursprünglich (BT-Drs. 15/1516, S. 59 f.) zur Verbesserung der Situation von Sozialhilfehaushalten mit Einkommensbeziehern ein Mindestfreibetrag von 20 % des Regelsatzes (€ 69,– West / € 66,– Ost) vorgesehen, ergänzt durch einen Steigerungsbetrag von 15 % des überschie-ßenden Einkommens, verknüpft mit Höchstbeträgen in Ab-hängigkeit zur Familiengröße (45 % des Regelsatzes bei 1-Personen-Haushalt >PHH<, 50 % bei 2-PHH, 60 % bei 3-PHH, 70 % bei 4-PHH, 80 % bei 5- und mehr PHH).

Um die aufzuwendenden Sozialleistungen bei kleinen Ein-kommen gering zu halten und den Anreiz zur Ausweitung der Erwerbstätigkeit zu verstärken, ist von diesem Entwurf nicht viel übrig geblieben. § 30 SGB II setzt unter gänzli-chem Verzicht auf einen Mindestfreibetrag Bruttoeinkom-mensstufen von € 400,– plus € 500,– plus € 600,– fest, ord-net ihnen mit dem Quotienten bereinigtes Netto ./. Brutto Nettolohnstufen zu, von denen dann je 15 % plus 30 % plus 15 % als Freibetrag absetzbar sind.

Berechnungsbeispiel 5:

A verdient € 1.250,– brutto. Bei Abzug der Steuern, Sozial-versicherungsbeiträge und sonstiger Absetzungen nach § 11 SGB II verbleiben € 820,– netto. Der Quotient € 820,– ./.

3 Urteil vom 26. 11. 1998, BVerwGE 108, S. 36 ff. 4 Vgl. VG Hamburg vom 17. 2. 2003, info also 2003, S. 160 ff.;

Schoch, ebenda, S. 147 ff.

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€ 1.250,– = 0,652 ordnet den Bruttostufen von € 400,– plus € 500,– plus € 350,– Nettobeträge von

€ 400 × 0,652 = € 262,40 plus € 500 × 0,652 = € 328,– plus € 350 × 0,652 = € 229,60 zu. Daraus werden die Freibeträge von € 262,60 × 15 % = € 39,36 plus € 328 × 30 % = € 98,40 plus € 229,60 × 15 % = € 34,44 errechnet.

Konsequenz des vom Gesetzgeber gewählten Berechnungs-verfahrens ist eine im Vergleich zum Arbeitslosenhilfe/So-zialhilferecht deutlich verschärfte Anrechnung kleiner Ein-kommen, die sich zusätzlich verstärkt bei Einkommen mit hoher Steuerbelastung (Steuerklasse V oder VI), also den typischen Hinzuverdiensten.

Die mit Anknüpfung an die Lohnsteuerklasse minimalisier-te Familienkomponente (bei einem Bruttoeinkommen von € 1250,– ist der Freibetrag bei Steuerklasse III um ca. € 13,– höher als bei Steuerklasse I) wird somit bei Doppelverdie-ner-Haushalten konterkariert.

Paradox ist die Verminderung des Freibetrages, je höher die absetzbaren Aufwendungen sind, worin sich oftmals eine höhere Arbeitsbelastung ausdrückt. Warum derjenige, der mehr Mühe auf die Ausübung der Erwerbstätigkeit verwen-det, einen geringeren Freibetrag erhält, bleibt rätselhaft.

Berechnungsbeispiel 6:

A putzt 2-mal wöchentlich 6 Stunden die Wohnung der ge-brechlichen Nachbarin. Sie erhält 350,– € im Monat. B putzt 5-mal wöchentlich ein Büro, Fahrweg zur Arbeits-stätte 15 km. Sie erhält 350,– € im Monat.

Freibetrag A Freibetrag B

304,675 ./. 350 = 0, 870 237,576 ./. 350 = 0,679 350,– × 0,870 = 304,50,– 350,– × 0,679 = 237,65,– 304,50 × 15% = 45,67 € 237,57 × 15% = 35,65 €

Im Ergebnis schmälert sich dadurch das effektiv zum Le-bensunterhalt zur Verfügung stehende Einkommen, je hö-her die mit der Einkommenserzielung verbundenen Auf-wendungen sind.

Deutliche Verschlechterungen zeigen sich auch bei der An-rechnung kleiner Partnereinkommen, da im SGB II nicht zwischen Partnereinkommen und eigenem Einkommen un-terschieden wird.

5 Verdienst abzüglich (Werbekostenpauschale plus Versicherungs-

pauschale). 6 Verdienst abzüglich (Werbekostenpauschale plus Fahrkosten

plus Versicherungspauschale plus Kfz-Haftpflichtversicherung).

Berechnungsbeispiel 7:

A erzielt bei Steuerklasse III ein Bruttoeinkommen von € 1.250,–, netto € 933,–. Sie lebt mit dem arbeitslosen B zur Miete (€ 380,– warm). Arbeitsweg mit PKW 15 km werk-täglich, Hausrat- und Haftpflichtprämie € 16,– monatlich.

Anrechnung: Arbeits- Sozialhilfe SGB II losenhilfe Nettoeinkommen € 933,– € 933,– € 933,– Freibetrag € 526,287 € 530,– € 172,208 Fahrkosten € 85,50 € 78,– € 17,10 Versicherungen € 37,509 € 16,– € 80,–10 Aufwendungs- pauschale € 5,20 € 15,33 € 283,72 € 303,80 € 648,37

Der Wegfall der ursprünglich in § 30 Regierungsentwurf geplanten Familienkomponente und die volle Anrechnung des Kindergeldes bewirkt für Arbeitslosenhilfehaushalte mit Kindern einen sehr spürbaren Verlust des verfügbaren Einkommens.

Berechnungsbeispiel 8:

Ehepaar mit 2 Kindern (4 und 12 Jahre alt), Warmmiete € 538,–, A bezieht Alhi nach einem früheren Brutto von € 3.000,– (= € 1.174,51) und einen Hinzuverdienst von € 350,–. Er benutzt für den Arbeitweg öffentliche Verkehrs-mittel, Monatskarte € 30,–. B verdient 1.400,– € Brutto bei Steuerklasse V, Fahrweg mit PKW 15 km werktäglich.

Haushaltseinkommen

Bei Alhi bei Alg II 725,– Nettoeinkommen. B11 725,– 350,– Nebenjob 350,– 308,– Kindergeld 308,– 1116,41 Alhi abzgl. Nebenjob12 545,– Alg II nach An- rechnung, Kindergeld + Einkommen13 2499,41 1928,–

Ginge A anstelle des Nebenjobs einer zugewiesenen Ar-beitsgelegenheit gem. §16 Abs. 3 SGB II in der Mehrauf-wandsentschädigungsvariante mit 2,– € pro Stunde bei wöchentlich 20 Stunden nach,14 stünde der Familie ein

7 Alhi nach einem Bemessungsentgelt von 1250,– × 3 ./. 13 = ge-

rundet 290,– € wöchentlich, allgemeiner Leistungssatz. 8 Summe der Freibeträge aus Berechnungsbeispiel 5. 9 3%-Pauschale. 10 30€-Pauschale plus Kfz-Haftpflichtversicherung. 11 Brutto abzüglich Steuer und Sozialversicherung. 12 350 – 57 Fahrkosten – 234,90 = (20 % des Alhizahlbetrages von

1174,51), also 58,10 € sind anzurechnen. 13 1574 Bedarf – 308 Kindergeld – 488 Anrechnung aus den 1400

Partnereinkommen – 233 Anrechnung aus dem Nebenjob = 545 €. 14 Im Sozialhilferecht wird ein größerer Stundenumfang wegen der

Erschwernis der Aufnahme regulärer Beschäftigung als unzuläs-sig angesehen. Dagegen spricht die BA in einem »Kompendium

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Haushaltseinkommen von 1983,97 € (= 777,97 Alg II nach Anrechnung (Kindergeld plus Partnereinkommen) plus Kindergeld plus Mehraufwandsentschädigung von 173,– € monatlich) zur Verfügung; d.h., der Wechsel zu einem re-gulären Minijob führte zu einem Einkommensverlust!

Entgegen den Befürchtungen eines »Abstiegs« von der re-gulären zur erzwungenen Beschäftigung könnte es somit zu Klagen auf Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit kommen bzw. zur Prüfung der Frage, ob die Aufnahme eines Mini-jobs anstelle der Gz-Arbeit zumutbar ist.

Werbungskosten

Auch die zweite Stellschraube bei der Anrechnung von Einkommen, die mit der Erzielung des Einkommens ver-bundenen notwendigen Aufwendungen, ist im SGB II einer problematischen Hybridisation unterzogen worden. Die Pauschalen für allgemeine Aufwendungen in Höhe von 1/60 der monatlichen Pauschale im Einkommenssteuerrecht (in 2005 = 15,33 €) und die für Fahrkosten in Höhe von 0,06 € pro Entfernungskilometer sind so eng bemessen, dass sie nur in den Fällen durchlaufende Berechnungsfak-toren sein werden, wo entweder keine Werbungskosten an-fallen oder dem Einkommensbezieher die Nachweismög-lichkeit höherer Aufwendungen gemäß § 3 Alg II-VO un-bekannt ist.

Ansonsten werden die im Einzelnen mit der Erzielung des Einkommens verbundenen Aufwendungen für z.B.

– Arbeitsmaterial – Berufskleidung – Kinderbetreuungskosten – Fortbildung15 – Fachliteratur – Beiträge zu Berufsverbänden und Gewerkschaften

detailliert zu dokumentieren (Zettelwirtschaft) und vom Leistungsträger individuell nachzuprüfen sein.

Dasselbe gilt für die Fahrkosten, wenn der Einkommensbe-zieher den Weg zur Arbeit mit dem PKW zurücklegen muss. Die vorgesehene Pauschale von 0,06 € pro Entfer-nungskilometer ist angesichts der Preisentwicklung für ver-kehrsrelevante Waren und Dienstleistungen völlig unzurei-chend, auch wenn man die gesonderte Absetzbarkeit der Kfz-Haftpflichtbeiträge in Betracht zieht. Denn unter Be-rücksichtigung der im SGB II privilegierten Fahrzeughal-tung, sofern es sich um ein »angemessenes« Kfz handelt, kann der sehr restriktive BSHG-Maßstab – Teilbetriebskos-ten von Kleinstwagen – mit dem das OVG Brandenburg die Pauschale von 5,20 € pro Entfernungskilometer für gerade noch ermächtigungskonform gehalten hat,16 nicht auf die Einkommensanrechnung im SGB II übertragen werden.

zur aktiven Arbeitsmarktpolitik« von September 2004 von einer max. Beschäftigungsdauer von 30 Wochenstunden.

15 Vergl. dazu BSG vom 21. 1. 1999 – B 11 AL 55/98 R. 16 Urteil vom 27. 11. 2003, ZFSH/SGB 2004, S. 238 ff.

Im Arbeitslosenhilferecht waren mit Inkrafttreten der Al-hi-VO 2001 die Pauschalen nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG in Ansatz gebracht worden (für 2004 € 0,40 pro Entfer-nungskilometer). Davor hatte die BA auf der Grundlage verwaltungsinterner Durchführungsanweisungen eine Grob-pauschale von 10,– DM monatlich pro Entfernungskilome-ter angesetzt, die in Streitverfahren auf eine Kilometerpau-schale nach § 6 BRKG (DM 0,38) heraufgesetzt wurde. Hiergegen erhobene Revisionen sind erfolglos geblieben. Das BSG hat die Heranziehung des BRKG anstelle der Steuerpauschalen oder der ADAC-Tabellenwerte damit ge-rechtfertigt, dass auch im BRKG die »notwendigen« Auf-wendungen anzusetzen sind und die fixen Kosten der Fahr-zeughaltung (Steuern, Versicherungen, Garagenmiete, TÜV, Wartungskosten) wegen der auch privatnützigen Verwen-dung des Fahrzeugs nur anteilig berücksichtigt werden.17

Berücksichtigt man allein den deutlichen Anstieg der Preise für Kraftstoff und Schmiermittel, wird der SGB II-Leis-tungsträger bei Ermittlung der vom Einkommen absetzba-ren Fahrkosten nicht um die extrem verwaltungsaufwändige Aufgabe herumkommen, den Anteil der berufsbedingten Nutzung dem Anteil der privaten Nutzung des angemesse-nen Fahrzeugs gegenüberzustellen und individuell die not-wendigen Ausgaben i.S. von § 11 Abs. 3 Nr. 5 SGB II von den übrigen Kfz-Betriebskosten abzugrenzen.

Der zur Einkommensanrechnung herangezogene Fahrzeug-nutzer genügt seiner Nachweispflicht höherer notwendiger Ausgaben gem. § 3 Alg II-VO, wenn er die Angewiesenheit auf ein Fahrzeug zur Erreichung der Arbeitsstelle nach-weist.

Fazit

Angesichts der anhaltend schwierigen Lage auf dem Ar-beitsmarkt und der gerade vom Gesetzgeber fast dramatisch betonten Eingliederungsschwierigkeiten von Langzeitar-beitslosen, die oftmals nur noch im Minijob-Bereich eine Erwerbsarbeit angeboten bekommen, muss die im Ver-gleich zum Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilferecht überpro-portional starke Anrechnung kleiner Hinzuverdienste als grundlegend missglückt und reformbedürftig bezeichnet werden. Die ins Ermessen des Leistungsträgers gestellte Bewilligung von Einstiegsgeld nach § 29 SGB II wird den Menschen, die mit Eintritt des Leistungsfalls den schon zu-vor ausgeübten Minijob weiter fortsetzten, nicht zugute kommen.

Die bei Ansatz restriktiver Pauschalen konsequente und im Grundsatz richtige Korrekturmöglichkeit über Öffnungs-klauseln ist angesichts der völlig unzulänglich ausgestalte-ten Pauschalen für die berufsbedingten Aufwendungen in § 3 Alg II-VO in die Schieflage einer im Regelfall durchzu-führenden sehr aufwändigen Einzelfallprüfung geraten.

17 Urteile vom 14. 6. 1988 – 11/7 RAr 59/87; vom 16. 9. 1999 – B 7

AL 22/98 R.

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Neusprech-Gesetzgebung oder Vom Geist der (SGB-)Gesetze Peter-Christian Kunkel*

Die gewaltigen Reformen – upgedatet: Innovationen – des Sozialrechts mit SGB II, III und XII bedürfen zu ihrer Ak-zeptanz einer innovativen Sprache. Soweit »Behörden« und »Ämter« nicht ohnehin schon durch »Fachbereiche« ersetzt worden sind, verheißen »Jobcenter« und »Agentur« neue Kompetenz. Das Selbstbewusstsein des früheren Hilfesu-chenden wird gestärkt, indem er als Kunde auftritt, der – möglichst zertifizierte – Qualität einfordert. Aus schlichten Ausländern werden »Personen mit Migrationshintergrund« (§ 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 9 SGB III). Es ist die marktschreieri-sche Sprache von Robert-T-online, die der Gesetzgeber kommuniziert. »Marktsprache« ersetzt »Fürsorgesprache«. Der »Hilfeempfänger« des BSHG wird zum »Leistungsbe-rechtigten« des SGB XII. Da die Sprache auch noch »ge-gendert«1 werden muss, wird daraus die »leistungsberech-tigte Person«. Sie ist auch dann noch leistungsberechtigte Person, wenn sie die Leistung zu Unrecht erhalten hat (§ 103 Abs. 1 S. 2 SGB XII). Aus »Hilfe« wird »Leistung«, die nicht mehr »gewährt«, sondern »erbracht« wird. Um gleiche Augenhöhe zu suggerieren, wird eine Leistungsab-sprache (§ 12 SGB XII) oder eine Eingliederungsvereinba-rung (§ 15 SGB II) getroffen. In der Leistungsabsprache soll nach § 12 S. 1 SGB XII »die Situation der leistungsbe-rechtigten Personen sowie gegebenenfalls Wege zur Über-windung der Notlage und zu gebotenen Möglichkeiten der aktiven Teilnahme in der Gemeinschaft gemeinsam festge-legt und unterzeichnet werden.« Schon sprachlich ist es schwierig, eine Situation festzulegen und zu unterzeichnen, geschweige denn praktisch. Ähnlich elegant wirkt die For-mulierung in § 58 Abs. 1 SGB XII, wonach ein Gesamtplan »zur Durchführung der einzelnen Leistungen« aufzustellen ist. Die hilfesuchende Person von früher wird zu der »nach-fragenden Person« (§ 36 und § 90 Abs. 2 Nr. 4, 6, 8, 9 SGB XII), die sich auf dem Markt der Möglichkeiten das geeignete Produkt erwählt, wenn ihr danach ist. Wenn ihr nicht danach ist, gehört es nach § 11 Abs. 2 S. 3 SGB XII zu den Aufgaben des Sozialhilfeträgers, »die Leistungsbe-rechtigten für den Erhalt von Sozialleistungen zu befähi-gen«. Zur Marktbeobachtung wird ein Monitoring einge-führt (§ 9 Abs. 2 SGB III). Der Übergang von McKinsey zu McDonald’s ist fließend.

Wen interessiert da noch, dass die Amtssprache Deutsch ist (§ 19 SGB X), was die Beachtung von Grammatik und Zei-chensetzung einschließt. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II »die dem Haushalt angehö-renden minderjährigen, unverheirateten Kinder des er-werbsfähigen Hilfebedürftigen …«. Gemeint sind aber minderjährige unverheiratete Kinder – ohne Komma.2 – In § 93 Abs. 1 S. 2 SGB XII ist geregelt, dass der Sozialhilfe-träger den Übergang eines Anspruchs »auch wegen seiner * Der Verfasser ist Prof. an der Fachhochschule Kehl 1 Abgeleitet von Gender Mainstreaming. 2 Inzwischen korrigiert durch das Kommunale Optionsgesetz vom

30. 7. 2004 (BGBl. I S. 2014).

Aufwendungen für diejenige Hilfe zum Lebensunterhalt bewirken (kann), die er gleichzeitig mit den Leistungen für die in Satz 1 genannte leistungsberechtigte Person, deren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und deren minderjährigen unverheirateten Kindern erbringt«. Gemeint ist aber der Übergang eines Anspruchs auch we-gen der Aufwendungen für die Hilfe zum Lebensunterhalt, die er gleichzeitig mit den Leistungen für die in Satz 1 ge-nannte leistungsberechtigte Person (ohne Komma) deren nicht getrennt lebendem Ehegatten oder Lebenspartner er-bringt. – In § 102 Abs. 1 SGB XII stiftet ein falsch verwen-detes Relativpronomen Unheil. Es heißt dort: »Der Erbe der leistungsberechtigten Person oder dessen Ehegatte oder dessen Lebenspartner, falls diese vor der leistungsberech-tigten Person sterben, ist vorbehaltlich des Absatzes 5 zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet.« Das wäre nach dem klaren Wortlaut der Erbe der leistungsberechtig-ten Person oder der Ehegatte oder Lebenspartner des Erben. Gemeint ist aber, wie der systematische Zusammenhang er-gibt, der Erbe der leistungsberechtigten Person oder der Er-be des Ehegatten oder Lebenspartners der leistungsberech-tigten Person. Daher müsste es heißen: »Der Erbe der leistungsberechtigten Person oder ihres Ehegatten oder Le-benspartners …« – Der Begriff des Bedarfs wird nicht mehr als Singularetantum verwendet, sondern es werden in § 20 Abs. 1 SGB II »Bedarfe des täglichen Lebens«, in § 21 SGB II Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt, in § 31 SGB XII einmalige Bedarfe gedeckt, was nach mehr und gleichzeitig modern aussieht. – Die Rechtschreibung wird willkürlich mal nach den Regeln der Reform, dann wieder nach denen der Gegenreform gehandhabt: nach § 93 SGB XII geht der Anspruch »gegen einen anderen« über, nach § 33 SGB II der »gegen einen Anderen.«

Im Rahmen der gemeinnützigen Arbeit könnte ein Arbeits-loser die zahlreichen handwerklichen Fehler des Gesetzes aufspüren. Beispiele: In § 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB XII fehlt die Erwähnung des § 35 SGB XII; in § 5 Abs. 2 S. 2 SGB II muss es statt § 35 § 34 SGB XII heißen; in § 31 Abs. 3 S. 1 SGB II fehlt der Bezug auf die Absenkung nach Abs. 2; in § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB II muss es statt § 49 § 54 SGB XII heißen, ebenso in § 28 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 SGB II; in § 20 S. 2 SGB XII ist der Verweis auf § 36 sinn-los; in § 94 Abs. 2 S. 1 SGB XII ist die Formulierung »nach dem Fünften und Sechsten Kapitel« falsch, es muss Sechs-tes und Siebtes Kapitel heißen; usw.

Statt sich nach Feierabend der Lektüre eines Buches hinge-ben zu können, ist der Rechtsbeflissene dazu verurteilt, in jeder freien Minute die neueste Ausgabe des Bundesgesetz-blattes zu studieren, um mit den tagesfrischen Änderungen des Gesetzestextes vertraut zu sein. Hat der Rechtsbeflisse-ne bereits ein gewisses Alter erreicht, wird er dieser Art von »Prostata-Gesetzgebung« vielleicht sogar mit Verständnis begegnen.

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Entscheidungen zur Arbeitsförderung (SGB III)

Art. 14 Abs. 1 GG; §§ 37 b, 140 SGB III Verfassungswidrigkeit der Minderung des Arbeitslosen-geldes wegen verspäteter Meldung

Sozialgericht Frankfurt (Oder), Beschluss vom 1. 4. 2004 – S 7 AL 42/04

Leitsatz (der Redaktion):

Die Regelung über die Minderung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Arbeitssuchmeldung (§§ 140 Abs. 1 S. 2, 37 b SGB III) verstößt gegen die verfassungsrechtli-che Eigentumsgarantie des Art. 14 GG.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Minderung des Arbeitslo-sengeldes wegen verspäteter Arbeitssuchendmeldung in Hö-he von 1.050,00 €.

Der 1961 geborene, geschiedene Kläger war zuletzt vom 5. Mai 1999 bis zum 1. Januar 2004 als Vorarbeiter/Maurer bei der Fa. T. GmbH beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis en-dete durch arbeitgeberseitige, betriebsbedingte Kündigung vom 24. September 2003 zum 1. Januar 2004.

Am 20. November 2003 meldete sich der Kläger mit Wir-kung vom 2. Januar 2004 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab dem 2. Januar 2004 Arbeitslosengeld für 360 Leistungstage nach einem unge-rundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 464,46 € in Höhe von 199,29 € wöchentlich nach Leistungsgruppe A (Lohnsteuerklasse I) unter Berücksichtigung des erhöhten Leistungssatzes.

Mit Bescheid vom 8. Januar 2004 verfügte die Beklagte er-gänzend zum Bewilligungsbescheid über die Bewilligung von Arbeitslosengeld eine Minderung des Arbeitslosengel-des in Höhe von 1.050,00 € gemäß §§ 37 b, 140 SGB III, weil der Kläger seiner Verpflichtung zur unverzüglichen Arbeitssuchendmeldung nicht nachgekommen sei. Der Klä-ger habe sich nach dem Erhalt der Kündigung am 24. Sep-tember 2003 spätestens am 8. Oktober 2003 arbeitssuchend melden müssen. Er habe sich aber erst am 20. November 2003 und damit 43 Tage zu spät gemeldet. Daher sei eine Minderung des Arbeitslosengeldanspruchs um 35,00 € für jeden Tag der verspäteten Meldung, begrenzt auf maximal 30 Tage, eingetreten und eine Minderung in Höhe von ins-gesamt 1.050,00 € festzustellen. Die Minderung erfolge, in-dem der Minderungsbetrag auf das halbe Arbeitslosengeld angerechnet werde und bis zur Tilgung des Minderungsbe-trages nur die Hälfte des dem Kläger an sich zustehenden Arbeitslosengeldes ausgezahlt werde. Der tägliche Abzug

betrage 14,23 € und die Minderung sei voraussichtlich ab dem 15. März 2004 beendet.

Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 11. Januar 2004, eingegangen bei der Beklagten am 12. Januar 2004, Widerspruch, weil er von der Neuregelung keine Kenntnis gehabt habe. Hiervon habe er erst durch das ihm bei der Arbeitslosmeldung am 20. November 2003 ausgehändigte Merkblatt für Arbeitslose erfahren. Bei seiner letzten Ar-beitslosigkeit ab Februar 1999 habe es ausgereicht, sich spätestens am Tage des Eintritts der Arbeitslosigkeit beim Arbeitsamt zu melden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach § 37 b SGB III sei der Kläger verpflichtet, sich unverzüg-lich nach Kenntnis der Beendigung seines Versicherungs-pflichtverhältnisses bei der Agentur für Arbeit arbeitssu-chend zu melden. Aufgrund der Kündigung vom 24. Sep-tember 2003 habe sich der Kläger daher spätestens am 8. Oktober 2003 arbeitssuchend melden müssen. Der Klä-ger habe sich erst am 20. November 2003 arbeitssuchend gemeldet. Nach § 140 SGB III sei daher eine Minderung des Arbeitslosengeldes eingetreten.

Dagegen hat der Kläger am 26. Januar 2004 beim Sozialge-richt Frankfurt (Oder) Klage erhoben, mit der er sich gegen die Minderung seines Arbeitslosengeldes wehrt und deren Rückgängigmachung verlangt. Er habe die Neuregelung bzw. die Verpflichtung zur unverzüglichen Arbeitsuchend-meldung zum Zeitpunkt der Kenntnis von der Kündigung am 24. September 2003 nicht gekannt. Er beziehe keine Tagespresse und sei auch nicht verpflichtet, sich mit Para-graphen und Gesetzen des Arbeitsförderungsrechts ausein-ander zu setzen. Im Übrigen sei die Arbeitsuche im Bauge-werbe in den Wintermonaten aussichtslos. Der Beklagten sei daher überhaupt kein Schaden entstanden.

Die Beklagte meint, die Klage sei abzuweisen. Für die Ent-scheidung der hier strittigen Frage, ob eine Minderung ein-getreten sei oder nicht, komme es auf die Kenntnis des Klä-gers von der gesetzlichen Neuregelung nicht an.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 BVerfGG (Bundesverfassungsge-richtsgesetz) auszusetzen und die Entscheidung des Bun-desverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob § 140 Abs. 1 Satz 2 SGB III in der Fassung des Ersten Ge-setzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I, S. 4607), in Kraft getreten gemäß Art. 14 Abs. 2 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt am 1. Juli 2003, mit Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist, soweit der erworbe-ne Anspruch auf Arbeitslosengeld im dort genannten Um-

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fang gemindert wird. Insoweit ist diese Vorschrift nach Überzeugung der Kammer verfassungswidrig.

1.) Die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits hängt ab von der Gültigkeit des § 140 Satz 2 SGB III in der ab dem 1. Juli 2003 geltenden Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. De-zember 2002 (Art. 1 Nr. 19 und Art. 14 Abs. 2 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002, BGBl. I, S. 4607). Ist diese Vor-schrift verfassungsgemäß, so hat die Beklagte die Minde-rung des Arbeitslosengeldes durch den Bescheid vom 8. Ja-nuar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2004 zutreffend verfügt. Bei Verfassungsge-mäßheit der Vorschrift wäre mithin die Klage als unbe-gründet abzuweisen. Ist hingegen die Vorschrift verfas-sungswidrig, hätte die Klage Erfolg und die angefochtenen Bescheide wären aufzuheben.

Diese Regelung steht in engem Zusammenhang mit der ebenfalls zum 1. Juli 2003 in Kraft getretenen Regelung des § 37 b SGB III (Art. 1 Nr. 6 und Art. 14 Abs. 2 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002, BGBl. I, S. 4607). Danach besteht für Arbeitnehmer und sonstige Versicherungspflichtige die Verpflichtung, sich so früh wie möglich persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden, damit die zur beruflichen Eingliederung erforderlichen Dienstleistungen der Bundesagentur für Arbeit einsetzen können. Dieser prä-ventive Ansatz ist grundsätzlich nicht neu und seit einigen Jahren unter dem Begriff »Aktionszeit« Bestandteil der Dienstleistungen der Bundesagentur für Arbeit (vgl. Körsten in Jahn, SGB III, § 37 b Rn. 3). Die persönliche Arbeitslosmeldung war bislang ausschließlich als Voraus-setzung für den Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslo-senhilfe (§§ 117 Abs. 1 Nr. 2, 190 Abs.1 Nr. 2 SGB III) in § 122 SGB III geregelt, wobei nach § 122 SGB III eine Meldung »auch zulässig«, aber nicht verpflichtend war, so-lange die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten war. Nunmehr besteht eine Verpflichtung zur Meldung zumin-dest als arbeitssuchend, wenn der Betroffene Kenntnis von der Beendigung seines Versicherungspflichtverhältnisses erlangt.

§ 37 b SGB III stellt den Tatbestand dar und § 140 SGB III regelt die Rechtsfolge der verspäteten Meldung (vgl. Spellbrink in Hennig, a.a.O. § 140 Rn. 19). Gegen die Ver-pflichtung zur frühzeitigen Arbeitssuchendmeldung hat die Kammer keine Bedenken, dies dürfte im eigenen Interesse des von Arbeitslosigkeit Bedrohten liegen und war auch durch § 2 Abs. 5 Nr. 2 SGB III in der bis zum 31. Dezem-ber 2002 geltenden Fassung des Gesetzes vom 10. Dezem-ber 2001 (BGBl. I, S. 3443) – wenn auch sanktionslos – ge-regelt. Daher wird allein die erstmals eingeführte Sanktionsnorm des § 140 Satz 2 SGB III in der ab dem 1. Juli 2003 geltenden Fassung des Ersten Gesetzes für mo-derne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I, S. 4607) zur Prüfung gestellt. Diese Rege-lung hält das Gericht wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des GG für verfassungswidrig, weil die Regelung über den Eintritt einer Minderung und die Höhe der Minde-rung unverhältnismäßig ist. Nach Art. 100 GG ist daher das

Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BverfG einzuholen.

2.) Die anhängige Klage ist nach erfolglosem Vorverfahren form- und fristgerecht erhoben. Sie ist als kombinierte An-fechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Die an-gefochtenen Bescheide sind auch verfahrensfehlerfrei er-gangen. Die Klage ist nicht begründet, wenn § 140 SGB III in der Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleis-tungen am Arbeitsmarkt im Einklang mit dem Grundgesetz steht, hat aber Erfolg, wenn die Regelung von Verfassungs wegen nicht anwendbar ist.

a) Der Kläger besitzt einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 2. Januar 2004, denn er erfüllt alle Anspruchsvor-aussetzungen des § 117 SGB III. Er ist arbeitslos, hat sich bei der Agentur für Arbeit in Frankfurt (Oder) arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt.

Nach den zutreffenden Feststellungen der Beklagten steht ihm nach den bescheinigten Arbeitsentgelten im nach § 130 SGB III zu bestimmenden Bemessungszeitraum (vgl. Ar-beitsbescheinigung vom 6. November 2003, Bl. 48 d. VA) Arbeitslosengeld nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 465,00 €, der Leistungsgruppe A (Lohnsteuerklasse I), dem erhöhten Leistungssatz (67 %) und der SGB III-Leistungsentgeltverordnung 2004, Anlage 2 vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 3100) in Höhe von wöchentlich 199,29 € bzw. kalendertäglich 28,47 € zu.

b) Streitentscheidend ist, ob wegen verspäteter Arbeits-suchendmeldung eine Minderung dieses Arbeitslosengeld-anspruchs eingetreten ist. In diesem Zusammenhang ist die zur Prüfung gestellte Vorschrift des § 140 SGB III entschei-dungserheblich.

§ 140 SGB III ist in engem Zusammenhang mit dem eben-falls mit Wirkung ab dem 1. Juli 2003 in Kraft getretenen Regelung des § 37 b SGB III zu sehen. In dieser Vorschrift ist die Pflicht zur unverzüglichen Meldung als arbeitssu-chend bei Kenntnis von der Beendigung des Versiche-rungspflichtverhältnisses geregelt. § 140 SGB III ist die Sanktionsnorm bei Verstößen gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Arbeitssuchendmeldung aus § 37 b SGB III.

Gemäß § 140 SGB III in der ab dem 1. Juli 2003 geltenden und daher hier anzuwendenden Fassung des Ersten Geset-zes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 4607) mindert sich das Arbeitslosengeld, das dem Arbeitslosem auf Grund des An-spruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist, wenn sich der Arbeitslose entgegen § 37 b nicht un-verzüglich arbeitssuchend gemeldet hat. Die Minderung be-trägt

1. bei einem Bemessungsentgelt bis zu 400 Euro 7 Euro, 2. bei einem Bemessungsentgelt bis zu 700 Euro 35 Euro und 3. bei einem Bemessungsentgelt über 700 Euro 50 Euro für jeden Tag der verspäteten Meldung. Die Minderung ist auf den Betrag begrenzt, der sich bei einer Verspätung von 30 Tagen errechnet. Die Minderung erfolgt, indem der Minde-

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rungsbetrag, der sich nach den Sätzen 2 und 3 ergibt, auf das halbe Arbeitslosengeld angerechnet wird.

Nach § 37 b SGB III in der ebenfalls ab 1. Juli 2003 gelten-den Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleis-tungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 4607) sind Personen, deren Versicherungspflichtverhält-nis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich beim Arbeitsamt arbeits-suchend zu melden. Im Falle eines befristeten Arbeitsver-hältnisses hat die Meldung jedoch frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen. Die Pflicht zur Mel-dung besteht unabhängig davon, ob der Fortbestand des Ar-beits- oder Ausbildungsverhältnisses gerichtlich geltend gemacht wird. Die Pflicht zur Meldung gilt nicht bei einem betrieblichen Ausbildungsverhältnis.

aa) Die Voraussetzungen des § 140 SGB III sind vorlie-gend erfüllt. Der Kläger hat sich entgegen § 37 b SGB III nicht unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeit-punktes seines Versicherungspflichtverhältnisses bei der Beklagten arbeitssuchend gemeldet.

Der Kläger stand unstreitig während der Beschäftigung bei der Fa. T. Tief- und Ingenieurbau GmbH in einem versiche-rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 24 ff. SGB III und damit in einem Versicherungspflicht-verhältnis im Sinne des § 37 b SGB III. Dieses Versiche-rungspflichtverhältnis endete durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 24. September 2003 zum 1. Januar 2004. Ausgehend von der Zugangsfiktion des entsprechend an-wendbaren § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) kann – mangels entgegenstehender Anhaltspunkte – von einem Zugang der Kündigung am 27. September 2003 ausgegangen werden. Damit hatte der Kläger am 27. Sep-tember 2003 Kenntnis von der Beendigung seines Versiche-rungspflichtverhältnisses und hätte sich unverzüglich bei der Beklagten arbeitssuchend melden müssen (§ 37 b Satz 1 SGB III). Denn die Pflicht zur persönlichen Arbeitssu-chendmeldung beginnt mit dem Tag der Kenntnis von der Beendigung des Versicherungspflichtverhältnisses. Dies ist im Falle von unbefristeten Arbeitsverhältnissen u.a. mit dem Zugang der Kündigung seitens des Arbeitgebers der Fall (vgl. Rademacher in GK-SGB III, § 37 b Rn. 17; Körsten, a.a.O., Rn. 5; Spellbrink, a.a.O., Rn. 42; Kruse, a.a.O., Rn. 5).

Die Arbeitslosmeldung des Klägers am 20. November 2003, die die Meldung als arbeitssuchend beinhaltet, war nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 37 b SGB III. Un-verzüglich bedeutet hier – ebenso wie in § 121 Abs. 1 Bür-gerliches Gesetzbuch (BGB) – ohne schuldhaftes Zögern. Dabei gilt die in § 121 BGB enthaltene Legaldefinition des Begriffs »unverzüglich« für das gesamte Zivilrecht und das öffentliche Recht (Palandt, BGB, 63. Auflage, § 121 Rn. 3; Kruse, a.a.O., Rn. 5; Spellbrink, a.a.O., Rn. 45 ff.). Unver-züglich bedeutet nicht sofort, sondern lässt eine Handlungs- und Überlegungsfrist zu.

Hierbei kommt es auf die Würdigung aller Umstände des Einzelfalles an. Maßgebend ist, ob es auch bei Anwendung der nach allgemeiner Verkehrsauffassung gebotenen und zu

erwartenden Sorgfalt nicht möglich war, früher die Arbeits-suchendmeldung zu erstatten (vgl. Rademacher in GK- SGB III, § 37 b Rn. 20; Spellbrink, a.a.O., Rn. 45 ff.). Aus-gehend hiervon ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte davon ausgeht, dass bei einem Zugang der Kündi-gung am 27. September 2003 (Samstag) und unter Berück-sichtigung, dass der 3. Oktober ein gesetzlicher Feiertag (Tag der deutschen Einheit) ist und der 4. und 5. Oktober auf ein Wochenende fallen, bei einer als angemessenen Überlegungs- und Handlungsfrist von 7 Werktagen die Meldung ohne schuldhaftes Zögern spätestens am 8. Okto-ber 2003 hätte erfolgen können und müssen. Tatsächlich er-folgte die Meldung des Klägers am 20. November 2003 und damit nicht mehr unverzüglich.

Dabei ist es für die Frage, ob eine schuldhafte Verzögerung vorliegt, unerheblich, ob der Betroffene die Regelung bzw. die Verpflichtung zur frühzeitigen Arbeitssuchendmeldung kannte oder nicht (Kruse, a.a.O., Rn. 8; Spellbrink, a.a.O., Rn. 27). Ebenso wenig kann sich der Betroffene darauf be-rufen, entgegen § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III nicht vom Arbeit-geber auf die Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung bei der Bundesagentur für Arbeit hingewiesen worden zu sein (vgl. Rademacher in GK-SGB III, § 37 b Rn. 21; Spellbrink, a.a.O., Rn. 27, 30). Eine Exkulpation des Versi-cherten mit dem Argument, er habe die Verpflichtung zur unverzüglichen Arbeitssuchendmeldung nicht gekannt oder der Arbeitgeber habe seine Hinweispflichten gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III verletzt, ist nicht möglich (Spellbrink, a.a.O.) Denn die dort normierte Informations-pflicht des Arbeitgebers, die lediglich als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist, befreit den Arbeitssuchenden nicht von sei-ner eigenen Verpflichtung nach § 37 b SGB III. Die dort geregelte typische versicherungsrechtliche Obliegenheit (Kruse, a.a.O., Rn. 16; Voelzke in Spellbrink/Eicher, Kas-seler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts 2003, § 12 Rn. 486; Spellbrink, a.a.O., Rn. 24) ist eine selbständige echte Nebenpflicht, die bereits vor dem Eintritt des Versiche-rungsfalles Arbeitslosigkeit einseitig den Versicherten trifft (Spellbrink, a.a.O., Rn. 26). Die Anwendbarkeit solcher ge-setzlich geregelter Obliegenheiten oder Pflichten hängt nicht von der Kenntnis der davon Betroffenen ab, sondern von der Wirksamkeit der gesetzlichen Regelung. Nach Art. 82 GG hängt die Anwendbarkeit bzw. das Inkrafttreten von Gesetzen nicht von der Kenntnisnahme der davon Be-troffenen ab, sondern von der Verkündung im Bundesge-setzblatt.

Weitere Umstände, die die verspätete Meldung des Klägers als unverschuldet erscheinen lassen könnten, sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Die verspätete Arbeits-suchendmeldung war damit auch vom Kläger verschuldet.

bb) Als Rechtsfolge sieht dann § 140 Satz 2 SGB III bei einem Bemessungsentgelt zwischen 400,00 € und 700,00 € eine Minderung für jeden Tag der verspäteten Meldung ei-nen Betrag in Höhe von 35,00 € vor, begrenzt in Höhe des Betrages für maximal 30 Tage Verspätung (§ 140 Satz 3 SGB III). Ausgehend vom Zugang der Kündigung spätes-tens am 27. September 2003 und einer Meldung bis spätes-tens zum 8. Oktober 2003 ergibt sich eine Verspätung von 43 Tagen, so dass eine Minderung für maximal 30 Tage

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und ein täglicher Minderungsbetrag von 35,00 €, mithin insgesamt 1.050,00 € festzustellen war. Genau diesen Be-trag macht die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden geltend.

Diesen neuen gesetzlichen Bestimmungen entsprechen die angefochtenen Bescheide der Beklagten. Der Eintritt einer Minderung an sich und auch die Höhe des Minderungsbe-trages sind in den hier angefochtenen Bescheiden zutref-fend verfügt worden.

Bei Gültigkeit der Vorschrift des § 140 SGB III in der ab dem 1. Juli 2003 geltenden Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt wäre daher die Klage als unbegründet abzuweisen.

Sollte die Regelung des § 140 SGB III verfassungswidrig sein, dürfte sie nicht angewandt werden mit der Folge, dass die Minderung rückgängig zu machen wäre und der Kläger für den Zeitraum vom 2. Januar bis 15. März 2004 nicht nur der halbe, sondern der volle tägliche Leistungssatz auszu-zahlen bzw. nachzuzahlen und damit dem Klagebegehren stattzugeben wäre.

Deshalb hängt die Entscheidung des Gerichts von der Gül-tigkeit des § 140 Abs. 1 Satz 2 SGB III in der ab dem 1. Juli 2003 geltenden Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ab.

3.) Das Gericht hält die Regelung des § 140 SGB III in der ab dem 1. Juli 2003 geltenden Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt für verfas-sungswidrig. Diese Bestimmung ist mit Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar, weil der Umfang der Minderung unverhältnismäßig ist.

a) Der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld wird durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG geschützt (vgl. BVerfGE 72, 9 (19 f.); 74, 9 (25); 74, 203 (213); 76, 220 (235); 92, 365 (405) Beschluss vom 18. November 1996 – 1 BvL 29/83 –), insbesondere, weil der Kläger die für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erforderliche Anwart-schaftszeit gemäß §§ 117 Abs. 1 Nr. 3, 123 SGB III von 12 Monaten versicherungspflichtiger Beschäftigung bereits bei In-Kraft-Treten der hier streitentscheidenden Fassung des § 140 SGB III, nämlich bereits am 4. Mai 2000, erfüllt hatte.

Die Voraussetzung für den Eigentumsschutz sozialversiche-rungsrechtlicher Positionen, nämlich eine vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeits-rechts dem Rechtsträger privatnützig zugeordnet ist, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten be-ruht und der Sicherung seiner Existenz dient (vgl. BVerfGE 50, 290 (339); 53, 257 (290); 69, 272 (300); BSGE 82, 83), ist im Hinblick auf das Arbeitslosengeld erfüllt. Denn es handelt sich um eine vermögenswerte Rechtsposition, die dem Versicherten zur privatnützigen Verwendung zugeord-net ist und auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruht und der Existenzsicherung dient (vgl. BVerfGE 72, 9 (19)). So hat das BVerfG mit Beschluss vom 12. Februar 1986 (BVerfGE 72, 9 SGb 1986, 237 mit Anm. Papier) die ge-setzgeberische Verdoppelung der Anwartschaftszeiten für

den Bezug von Arbeitslosengeld von 180 auf 360 Tagen für Versicherte, die die bisherige Anwartschaftszeit erfüllt hat-ten, unter dem Aspekt des Eingriffs in das Eigentumsrecht geprüft und als mit Art. 14 GG unvereinbar erachtet. Eben-so hat es mit Beschluss vom 10. Februar 1987 (BVerfGE 74, 203 (217)) die Regelung des § 120 Arbeitsförderungs-gesetz (AFG), wonach ein Arbeitsloser seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei pflichtwidrigen Meldeversäumnis-sen unabhängig vom Verschuldensgrad und eingetretenen Schaden ausnahmslos für die Dauer von zwei Wochen ver-liert, als mit Art. 14 GG unvereinbar und verfassungswidrig angesehen.

Ähnliches gilt auch für § 140 SGB III. § 140 SGB III greift in diese geschützte Rechtsposition ein, weil mit der Verschär-fung des zuvor geltenden Rechts das Arbeitslosengeld in Höhe der Minderung – vorliegend in Höhe von 1.050,00 € – entzogen wird. Vor dem Inkrafttreten dieser Regelung war es ausreichend, sich am ersten Tag der Arbeitslosigkeit arbeitslos zu melden. Irgendwelche Sanktionen gab es nicht.

Die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigen-tumsgarantie ergibt sich erst aus der Bestimmung von In-halt und Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist (vgl. BVerfGE 50, 290 (339 f.); 53, 257 (292); 58, 81 (109 f.); 72, 9 (22); 75, 78 (97); BSGE 82, 83 (87 f.)).

Bei der Ausgestaltung ist der Gesetzgeber nicht gänzlich frei. Er muss sich auch insoweit – gemäß den Gegebenhei-ten des jeweiligen Sachgebietes »bereichsspezifisch« – am Wohl der Allgemeinheit orientieren (BSGE 82, 83 (89)). Dabei muss er die Grundrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, den Regelungsauftrag und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG, die in einem unlösba-ren Zusammenhang stehen, in einen verhältnismäßigen Ausgleich bringen (vgl. BVerfGE 50, 290 (340)). Der Ge-setzgeber hat, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozia-len Bezug und einer sozialen Funktion steht, bei Abwägung der einzelnen Faktoren im Hinblick auf den Grundgedanken und den Schutzzweck der Eigentumsgarantie einen weiten Gestaltungsspielraum (BVerfGE 64, 87 (101); 53, 257 (292)).

Das Bundesverfassungsgericht hat zur Inhalts- und Schran-kenbestimmung bei rentenversicherungsrechtlichen Positi-onen entschieden, dass dem Gesetzgeber grundsätzlich eine weite Gestaltungsmöglichkeit zukommt. Dies gilt insbe-sondere für Regelungen, die dazu dienen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Ren-tenversicherung im Interesse aller zu erhalten, zu verbes-sern oder veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen anzu-passen (vgl. BVerfGE 53, 257 (293)).

Gleiches gilt auch für den Bereich der Arbeitslosenversi-cherung. Daher schließt Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die Be-fugnis des Gesetzgebers ein, Ansprüche auf Arbeitslosen-geld zu beschränken. Sofern die Beschränkung einem Zweck des Gemeinwohls dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, Ansprüche umzugestalten

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(vgl. BVerfGE 53, 257 (293)). Der Gesetzgeber muss je-doch bei der Wahrnehmung seines Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, sowohl die grundgesetzliche Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG – dies gilt auch für Ansprüche auf Arbeitslosengeld uneingeschränkt – beachten als sich auch im Einklang mit allen anderen Verfassungsnormen halten. Insbesondere ist er an den verfassungsrechtlichen Grund-satz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden (vgl. BVerfGE 14, 263 (278); 58, 300 (338); 70,191 (200); 72, 66 (77 f.)). Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss dabei die Ein-schränkung der Eigentümerbefugnisse zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und erforderlich sein; sie darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten und muss ihm zumutbar sein (vgl. BVerfGE 21, 150 (155); 58, 137 (148); 76, 220 (238)).

b) Diesen Anforderungen wird § 140 SGB III in der ab dem 1. Juli 2003 geltenden Fassung nicht gerecht. Die Rege-lung führt dazu, dass bei einer verspäteten Meldung als ar-beitssuchend das Arbeitslosengeld in erheblichem Umfang gemindert und ohne Begrenzung bis zur Erreichung des geminderten Betrages nur in hälftiger Höhe ausgezahlt wird. Damit nimmt § 140 SGB III für einen nicht unerheb-lichen Zeitraum dem Arbeitslosen die dringend benötigten finanziellen Mittel und kürzt ausnahmslos pauschal das Ar-beitslosengeld, ohne dass es darauf ankommt, ob sich die verspätete Meldung nachteilig für die Arbeitslosenversiche-rung ausgewirkt hat. Denn die Regelung ist als pauschaler Schadensausgleich der Versichertengemeinschaft ausgestat-tet (BT-Drs. 15/25, S. 31). Dabei wird typisierend vermutet und unterstellt, dass eine frühzeitige Meldung als arbeitssu-chend i.S.d. § 37 b SGB III zu einer schnelleren Vermitt-lung in Arbeit geführt hätte, ohne dass der Gegenbeweis oder das Berufen darauf, durch die Nichtmeldung im indi-viduellen Fall sei ein Schaden nicht entstanden, möglich ist (Spellbrink, a.a.O., § 140 Rn. 25).

Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG verleiht dem Gesetzgeber zwar auch die Befugnis bei der Neubestimmung von Inhalt oder Schranken des gesetzlich ausgestalteten Eigentums unter Berücksichtigung der Bedeutung der Eigentumsgarantie im Gesamtgefüge der Verfassung (vgl. hierzu Badura, Hand-buch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, § 10 Rn. 35), ge-setzliche Leistungsregeln abzuändern oder aufzuheben und auch die gesetzlichen Regeln über den Erwerb und die Be-wertung von Vollrechten und Anwartschaftsrechten zu än-dern. Dabei knüpft die Schutzwirkung der Eigentumsgaran-tie an die kraft Gesetzes geltende Eigentumsordnung und die danach bestehenden konkreten vermögenswerten Rech-te an. Voraussetzung für eine neue Inhalts- oder Schran-kenbestimmung ist, dass sie – unter Beachtung bereichs-spezifischer Gegebenheiten – dem Gemeinwohlzweck dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (so BVerfGE 53, 257 (293); 100, 1 (37 f.)).

Legitimierender Grund für den Eingriff im Sinne einer neu-en Inhaltsbestimmung kann grundsätzlich ein öffentliches Interesse, ein Anliegen zum Wohl der Allgemeinheit sein, das bezogen auf das System der Sozialversicherung der Er-haltung und der Verbesserung der Funktions- und Leis-

tungsfähigkeit des Systems und/oder seiner Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen im Interesse aller Versicherten dient; insoweit (d.h. bei der Beurteilung bereichsspezifischer Neuregelungsziele) steht dem Gesetz-geber eine weite Gestaltungskompetenz zu (vgl. BVerfGE 53, 257 (293); BSGE 78, 138 (144)).

aa) Die Regelung des § 140 SGB III ist verfassungsrecht-lich nur zulässig, wenn die Norm durch Gründe des öffent-lichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Der Eingriff durch die Regelung des § 140 SGB III in den Arbeitslosengeldan-spruch muss daher zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet und erforderlich sein und darf den Betroffe-nen nicht übermäßig belasten (BVerfGE 76, 220 (238)). Ei-ne Regelung ist geeignet, wenn das gesetzgeberische Ziel mit der Regelung erreicht werden kann; sie ist erforderlich, wenn es keine denkbaren, den Bürger weniger belastenden Maßnahmen gibt, mit denen das gleiche Ziel erreicht wer-den kann, und sie ist zumutbar, wenn der konkrete Eingriff in die Rechtspositionen des Versicherten noch verhältnis-mäßig im eigentlichen Sinne ist.

Das gesetzgeberische Ziel, das u.a. mit der Verpflichtung zur frühzeitigen Arbeitssuche verfolgt wird, ist die Verbes-serung der Qualität und Schnelligkeit der Vermittlung (vgl. BT-Drs. 15/25, S. 2, 22). Sie gehen zurück auf die Vor-schläge der sog. Hartz-Kommission (Bericht der Hartz- Kommission, S. 81 ff.). Damit soll das Entstehen von Ar-beitslosigkeit verhindert und der Abbau der Arbeitslosigkeit nachhaltig unterstützt werden (BT-Drs. 15/15, S. 22), wobei der Übergang zur aktiven Arbeitsmarktpolitik durch die Umsetzung des Prinzips von »Fördern und Fordern« er-reicht werden soll (BT-Drs. 15/25, S. 23). Dabei geht die Gesetzesbegründung davon aus, dass die Aufnahme einer Beschäftigung ohne eine Phase der Arbeitslosigkeit erheb-lich leichter möglich ist und umso schwieriger wird, je länger die Arbeitslosigkeit andauert. Deshalb soll die Zeit zwischen Kündigung und der Beendigung des Arbeitsver-hältnisses für die aktive Arbeitssuche genutzt werden (BT-Drs. 15/25, S. 25). Dabei geht der Gesetzgeber offen-bar davon aus, dass Arbeitnehmer, die die Bundesagentur für Arbeit nicht rechtzeitig darauf hinweisen, dass sie der beruflichen Wiedereingliederung bedürfen, der Bundes-agentur für Arbeit die Möglichkeit nehmen, den Eintritt des Schadensfalles in der Arbeitslosenversicherung zu vermei-den bzw. den Umfang des Versicherungsschadens zu redu-zieren. Durch die Verpflichtung zur frühzeitigen Arbeits-suchendmeldung soll die Entstehung von Arbeitslosigkeit vermieden, der Abbau der Arbeitslosigkeit nachhaltig un-terstützt und die Schnelligkeit und Qualität der Vermittlung in Arbeit verbessert werden (BT-Drs. 15/25, S. 2, 22, 23, 25). Dies soll u.a. durch die Verpflichtung zur frühzeitigen Arbeitssuchendmeldung durch die Einführung des § 37 b SGB III (BT-Drs. 15/25, S. 27) und die Sanktion des § 140 SGB III (BT-Drs. 15/25, S. 31) erreicht werden.

bb) Hinsichtlich des mit der hier zur Prüfung gestellten Neuregelung verfolgten Zieles bestehen keine Bedenken. Das Ziel, Arbeitslosigkeit zu verhindern und potenziell Ar-beitslose noch vor Eintritt des Versicherungsfalles in Be-schäftigung zu vermitteln, ist nicht zu beanstanden. Daher

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ist die Verpflichtung zur frühzeitigen Arbeitssuchendmel-dung ebenfalls nicht zu beanstanden und dürfte schon im eigenen Interesse eines von Kündigung oder eines anderen zur Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses führen-den Tatbestandes Betroffenen sein.

(1) Die aber mit der Verpflichtung zur frühzeitigen Arbeits-suchendmeldung eingeführte Sanktion, nämlich die Minde-rung der Leistungsansprüche bei Verletzung dieser Ver-pflichtung, ist schon nicht geeignet, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen. Die Verpflichtung zur frühzeitigen Ar-beitssuchendmeldung in Verbindung mit der Sanktion des § 140 SGB III kann die Vermittlung von Arbeitslosen in Beschäftigung nicht erreichen. Voraussetzung dafür ist, dass es überhaupt Beschäftigungsangebote gibt. Es muss al-so Arbeit überhaupt vorhanden sein. Im Übrigen wurde be-reits darauf hingewiesen (Sienknecht in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts 2003, § 25 Rn. 65), dass eine frühzeitige Arbeitssuchendmeldung nicht geeignet ist, Arbeitslosigkeit zu verhindern. Nach den Er-mittlungen des Instituts für Arbeits- und Berufsforschung (Sienknecht, a.a.O., unter Hinweis auf IAB Werkstattbe-richt Nr. 13/2002, S. 24) haben sich im Jahr 2002 etwa die Hälfte der Erwerbstätigen, die später arbeitslos wurden, frühzeitig arbeitslos gemeldet. Gleichwohl bewegten sich im Jahr 2002 die Arbeitslosenzahlen auf sehr hohem Ni-veau, so dass auch eine frühzeitige Arbeitslosmeldung bzw. eine frühzeitige Arbeitsuche nicht den Eintritt der Arbeits-losigkeit verhindern kann (vgl. Spellbrink in Hennig, SGB III, § 140 Rn. 45; a.A. Hümmerich/Holthausen/ Weislau, NZA 2003, 7 (8), die die Neuregelung als begrü-ßenswerte Pädagogik bezeichnen). Dies gilt umso mehr, als es – wie im Fall des Klägers – die Baubranche betrifft. Ge-rade in diesem Bereich gibt es im Herbst und Winter keine Stellenangebote. Vielmehr setzen die Baubetriebe gerade in dieser Zeit Arbeitskräfte frei, weil aufgrund der Witterung kaum Aufträge bestehen. Dies hat die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes auch dazu bewogen, in § 12 Nr. 2 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe für den Zeitraum vom 1. November bis zum 31. März (Schlecht-wetterzeit) die Kündigung aus Witterungsgründen auszu-schließen. Gerade für Angehörige des Baugewerbes – und dazu gehört vorliegend auch der Kläger – können auch bei frühzeitiger Arbeitssuchendmeldung mangels Arbeitsange-boten keine Aktivitäten im Hinblick auf eine Vermittlung erfolgen. Die Verpflichtung zur frühzeitigen Arbeitssuchend-meldung i.S.d. § 37 b SGB III führt daher lediglich dazu, dass der Arbeitsuchende zu einer »frühzeitigen Karteilei-che« wird und die Pflicht zur frühzeitigen Arbeitsuche zur »Schikane« mit dem Ziel der Reduzierung des Arbeitslo-sengeldanspruches würde (so zutreffend Spellbrink, a.a.O., Rn 46). Daher fehlt es schon mangels Geeignetheit an der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung für die Sanktion des § 140 SGB III.

(2) Es fehlt jedoch jedenfalls an einer »Erforderlichkeit« der getroffenen Regelung im Sinne der Wahl des scho-nendsten Mittels (BVerfGE 36, 47 (59); vgl. hierzu Papier in: Maunz/Dürig, Komm. zum GG, Art. 14 Rn 305 ff.). Es sind bereits keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Gesetzgeber überhaupt zwischen »verschiedenen Mitteln«, die zur Verbesserung der Schnelligkeit und Qualität der

Vermittlung hätten führen können, ausgewählt und damit eine Abwägung vorgenommen hat. Das Gebot gerechter Abwägung hat der Gesetzgeber jedoch auch im Rahmen seiner weiten Gestaltungsfreiheit bei sozialrechtlichen An-sprüchen (BVerfGE 53, 257 (293)) zu beachten. Wird die-ses Gebot verletzt, so kann bereits keine sachgerechte Ent-scheidung ergehen.

Bei diesem Abwägungsgebot handelt es sich um eine rechtsstaatliche Mindestanforderung bei der rechtsfehler-freien Ausübung legislatorischer Gestaltungsfreiheit (vgl. Papier, Besteuerung und Eigentum, DVBl. 1980, 794; Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl., § 18 Rn. 79). Hat der Gesetzgeber eine Abwägungsentscheidung getrof-fen und sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beur-teilung des erreichbaren Materials orientiert und dabei die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuver-lässig wie möglich abschätzen zu können, dann ist auch sei-ne Prognose als inhaltlich vertretbar zu werten, selbst wenn sie sich später als fehlerhaft erweisen sollte (BVerfGE 36, 47 (59 ff.); 50, 290 (331 ff.); Papier in: Handbuch des Verfas-sungsrechts, a.a.O., § 18 Rn. 84). Das Gebot des Abwägens gilt nicht nur für den Inhalt der Abwägungsentscheidung, sondern auch für den Vorgang des Abwägens im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens. Denn hat sich der Gesetzge-ber von unvollständigen Erwägungen leiten lassen, so konnte eine Abwägung zwischen den verschiedenen Gesichtspunkten einschließlich einer Prüfung schonenderer Maßnahmen nicht sachgemäß erfolgen (BVerfGE 25, 1 (11 f.); 30, 250 (263); 39, 210 (226); Papier in: Maunz/ Dürig, a.a.O., Rn. 306), so dass das Gesetz fehlerhaft ist.

Eine derartige Verletzung des Abwägungsgebotes liegt hier vor. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/25, S. 31) erhöhen Arbeitnehmer, die das Arbeitsamt nicht rechtzeitig darauf hinweisen, dass sie der beruflichen Wiedereingliede-rung bedürfen, das Risiko der Arbeitslosenversicherung, verzögern die Einleitung von Vermittlungs- und Eingliede-rungsbemühungen und nehmen dem Arbeitsamt die Mög-lichkeit, den Eintritt des Versicherungsfalles zu verhindern bzw. den Umfang des Versicherungsschadens zu reduzie-ren. Es ist nicht ersichtlich, dass im Gesetzgebungsverfah-ren Alternativen diskutiert worden wären, die den ange-strebten Effekt gehabt hätten bzw. hätten haben können. Erwägungen, ob der mit der Sanktion des § 140 SGB III er-folgte Eingriff im Sinne einer Einschätzungsprärogative er-forderlich war, sind nicht erkennbar. Insbesondere im Hin-blick auf die Zweifel an der Geeignetheit kann nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber unter Berücksich-tigung des ihm zugänglichen Datenmaterials (insbesondere im Hinblick auf den IAB Werkstattbericht Nr. 13/2002, S. 24) eine Abwägung vorgenommen und das mildeste Mit-tel gewählt hat. Das ihm zukommende Gestaltungsermessen ist damit nicht sachgemäß ausgeübt.

(3) Des Weiteren ist die Minderung des Leistungsan-spruchs nach § 140 Satz 2 SGB III zur Überzeugung der Kammer nicht angemessen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Regelung des § 140 SGB III in der ab dem 1. Juli 2003 geltenden Fassung ist für den betroffenen Kreis übermäßig und belastet ihn unzumutbar.

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Überwiegend wird die Regelung für nicht so einschneidend (Voelzke in Spellbrink/Eicher, a.a.O., § 12 Rn. 501) oder wegen Geringfügigkeit für noch zumutbar gehalten (Spell-brink in Hennig, a.a.O., § 140 Rn. 47; Hümmerich/Holt-hausen/Weislau, a.a.O.; zweifelnd Winkler in Gagel, SGB III, § 140 Rn. 11). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/25, S. 31) soll gerade durch die Staffelung der Minde-rung nach Bemessungsentgelten und deren Begrenzung auf 30 Tage dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung ge-tragen werden. Dies wird durch die vorgesehene Staffelung nicht erreicht. Dabei sieht die Staffelung bei einem Bemes-sungsentgelt von bis zu 400,00 € einen täglichen Minde-rungsbetrag von 7,00 €, bei einem Bemessungsentgelt von 400,00 € bis zu 700,00 € einen täglichen Minderungsbetrag von 35,00 € und ab einem Bemessungsentgelt von 700,00 € einen täglichen Minderungsbetrag von 50,00 € vor. Es fällt auf, dass der Minderungsbetrag bei nicht einmal verdoppel-tem Bemessungsentgelt (von 400,00 € auf 700,00 €) den mehr als siebenfach höheren Betrag (7,00 € bei Bemessungs-entgelt bis 400,00 €; 50,00 € bei Bemessungsentgelt über 700,00 €) ausmacht.

Auch gerade in Grenzfällen, in denen das Bemessungsent-gelt geringfügig über dem nächst höheren Staffelungsbetrag liegt, wirkt sich die Regelung unangemessen und unver-hältnismäßig aus.

Bei einem Arbeitslosen, dessen Arbeitslosengeld nach ei-nem Bemessungsentgelt von 395,00 € bemessen würde, er-gäbe sich ein Minderungsbetrag von 7,00 € und maximal 210,00 €. Demgegenüber müsste ein Arbeitsloser mit einem Bemessungsentgelt von 405,00 € sich einen Minderungsbe-trag von 35,00 € täglich und maximal 1.050,00 € gefallen lassen. Der Arbeitslose mit dem Bemessungsentgelt von 395,00 € erhielte beispielsweise nach der Leistungsgruppe A und dem einfachen Leistungssatz nach der Leistungsent-gelt-VO 2004 vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 3100) wöchentliches Arbeitslosengeld in Höhe von 158,34 € (22,62 € pro Tag). Unter den gleichen Voraussetzungen (Leistungsgruppe A und dem einfachen Leistungssatz nach der Leistungsentgelt-VO 2004) erhielte der Arbeitslose mit einem Bemessungsentgelt von 405,00 € ein wöchentliches Arbeitslosengeld in Höhe von 161,28 € (23,04 € pro Tag) und damit lediglich 2,94 € pro Woche bzw. 0,42 € pro Tag mehr, müsste aber einen um den Faktor 5 höheren Minde-rungsbetrag hinnehmen. Der Arbeitslose im ersteren Fall verlöre damit seinen Arbeitslosengeldanspruch für die Dau-er von umgerechnet 1,3 Wochen, während der Arbeitslose im zweiten Fall seinen Anspruch umgerechnet für die Dau-er von 6,5 Wochen verlöre.

Bei einem Arbeitslosen, dessen Arbeitslosengeld nach ei-nem Bemessungsentgelt von 695,00 € bemessen würde, er-gäbe sich ein Minderungsbetrag von 35,00 € und maximal 1.050,00 €. Demgegenüber müsste ein Arbeitsloser mit ei-nem Bemessungsentgelt von 705,00 € sich einen Minde-rungsbetrag von 50,00 täglich und maximal 1.500,00 gefal-len lassen. Der Arbeitslose mit dem Bemessungsentgelt von 695,00 € erhielte beispielsweise nach der Leistungsgruppe A und dem einfachen Leistungssatz nach der Leistungsent-gelt-VO 2004 ein wöchentliches Arbeitslosengeld in Höhe von 238,07 € (34,01 € pro Tag). Unter den gleichen Vor-

aussetzungen (Leistungsgruppe A und dem einfachen Leis-tungssatz nach der Leistungsentgelt-VO 2004) erhielte der Arbeitslose mit einem Bemessungsentgelt von 705,00 € ein wöchentliches Arbeitslosengeld in Höhe von 240,38 € (34,34 € pro Tag) und damit lediglich 2,31 € pro Woche bzw. 0,33 € pro Tag mehr, müsste aber einen um den Fak-tor 1,5 höheren Minderungsbetrag hinnehmen. Der Arbeits-lose im dritten Fall verlöre damit seinen Arbeitslosengeld-anspruch für die Dauer von umgerechnet 4,4 Wochen, während der Arbeitslose im letzten Fall seinen Anspruch umgerechnet für die Dauer von 6,2 Wochen verlöre.

Ähnlich stellt sich die Lage in den anderen Leistungsgrup-pen dar.

Dies zeigt, dass die gesetzlich vorgesehene Staffelung der Minderung unverhältnismäßig ist und gerade in Grenzfällen und oberhalb eines Bemessungsentgelts von 400,00 € eine übermäßige Belastung der Betroffenen bedeutet. So hat das BVerfG (Beschluss vom 10. Februar 1987 – 1 BvlL 15/83 – BVerfGE 74, 203 ff.) die Frage, ob es mit dem GG verein-bar ist, dass ein Arbeitsloser seinen Anspruch auf Arbeits-losengeld bei pflichtwidrigem Meldeversäumnissen gemäß § 120 AFG ausnahmslos für die Dauer von zwei Wochen verliert, verneint und darin eine übermäßige unzumutbare Belastung gesehen, weil das eigentumsrechtlich geschützte Arbeitslosengeld der Existenzsicherung des Berechtigten dient und eine auf eigenen Beiträgen beruhende lohnbezo-gene Versicherungsleistung ist. Das BVerfG hat dort aus-drücklich entschieden, der Wegfall des Arbeitslosengeldes für die Dauer von zwei Wochen sei diesem Personenkreis gegenüber nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht ge-rechtfertigt.

So liegt der Fall auch im Falle der Minderung nach § 140 SGB III. Auch hier ist zu berücksichtigen, dass die pau-schale und gestaffelte Minderung des Arbeitslosengeldes unzumutbar ist, wenn der Arbeitslose aus Unerfahrenheit, Unverständnis für Verwaltungsvorgänge, aus Unachtsam-keit oder aus sonstigen Gründen, die nicht als unverschuldet i.S.d. § 37 b SGB III zu qualifizieren sind, seine Verpflich-tung zur frühzeitigen Meldung als arbeitssuchend nicht ein-hält und durch die dann vorgesehene Minderung seinen An-spruch auf Arbeitslosengeld für einen deutlich längeren Zeitraum verliert, als in dem vom BVerfG entschiedenen Fall. Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – die verspätete Meldung keine negativen Auswirkungen auf die Arbeitslo-senversicherung haben kann (vgl. BVerfG a.a.O.). Durch die derzeit geltende Staffelung der Minderung und dem damit verbundenen massiven Eingriff in den eigentums-rechtlich geschützten Arbeitslosengeldanspruch ist die Be-lastungsgrenze deutlich überschritten und steht nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck.

Daher ist die gesetzliche Regelung zur Durchführung der Minderung durch eine nicht prozentuale Kürzung nicht an-gemessen, zumal es sich um Ansprüche handelt, die durch Zahlung differenzierter Beiträge erworben wurden (zwei-felnd, Winkler in Gagel, SGB III § 140 Rn. 11).

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Hinzu kommt, dass § 140 SGB III weder eine Härtefallre-gelung noch eine Begrenzung auf den pfändungsfreien Be-trag oder den Eintritt der Sozialhilfebedürftigkeit – wie sie etwa bei der Abzweigung oder Aufrechnung mit Sozialleis-tungen nach §§ 48, 51, 52 und 54 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) vorgesehen ist, enthält. Dies ist nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht gerechtfertigt, weil das eigentumsrechtlich geschützte Arbeitslosengeld der Exis-tenzsicherung des Berechtigten dient und eine auf eigenen Beiträgen beruhende lohnbezogene Versicherungsleistung ist (vgl. BVerfGE 72, 9 (18 ff.); BVerfGE 74, 203 ff.).

Im Falle des Klägers würde bei Auszahlung seines vollen Arbeitslosengeldanspruches keine Sozialhilfebedürftigkeit eintreten. Ausgehend von den Angaben des Klägers wären zu berücksichtigen ein Regelbedarf für den Kläger in Höhe von 283,00 €, für seine Lebensgefährtin in Höhe von 226,00 € und den im Haushalt lebenden Sohn der Lebens-gefährtin in Höhe von 255,00 €. Zuzüglich der Kosten der Unterkunft ergäbe sich ein Bedarf in Höhe von 1.564,00 €, der durch die Einkünfte der Lebensgefährtin einschließlich Kindergeld in Höhe von 1.200,00 € abzüglich des Erwerbs-tätigenfreibetrages und des Arbeitslosengeldes des Klägers in Höhe von 863,59 € monatlich gedeckt wäre. Durch die Minderung des Arbeitslosengeldes tritt Sozialhilfebedürf-tigkeit ein. Dem Bedarf von 1.564,00 € stehen – auch ohne Berücksichtigung von Abzügen gemäß § 76 Abs. 2 und Abs. 2 a BSHG – durch die Verrechnung in Höhe des hal-ben täglichen Arbeitslosengeldes nunmehr Einkünfte in Höhe von 1.487,79 € gegenüber.

Die Regelung des § 140 SGB III in der ab dem 1. Juli 2003 geltenden Fassung des Ersten Gesetzes für moderne Dienst-leistungen am Arbeitsmarkt ist wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem daraus folgenden Verbot übermäßiger Sanktion daher mit Art. 14 GG unvereinbar.

4.) Im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit des § 140 SGB III in der ab dem 1. Juli 2003 geltenden Fassung, von der die Kammer überzeugt ist, ist zunächst der Versuch ei-ner verfassungskonformen Auslegung dieser Norm zu un-ternehmen.

Eine gesetzliche Regelung ist nach ständiger Rechtspre-chung des BVerfG nur dann verfassungswidrig, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Ge-samtzusammenhang der einschlägigen Vorschriften und de-ren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen je-denfalls eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist eine Auslegung geboten, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (vgl. BVerfGE 69,1 (55) m.w.N.). Ist eine einschränkende, verfassungskonforme Auslegung möglich, dann kommt es »nicht darauf an, ob dem subjektiven Wil-len des Gesetzgebers die weitergehende«, dem GG nicht entsprechende Auslegung »eher entsprochen hätte« (vgl. BVerfGE 9, 194 (200)). Die verfassungskonforme Ausle-gung findet ihre Grenzen aber dort, wo sie zu dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Wi-derspruch treten würde (vgl. BVerfGE 90, 263 (275)

m.w.N.). Dies ist vorliegend angesichts des klaren und ein-deutigen Wortlauts des § 140 Abs. 1 Satz 2 SGB III der Fall. Auch war nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/25, S. 31) die Staffelung der Minderung und die Begren-zung auf 30 Kalendertage gewollt, weil dadurch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen werde.

Die Minderung bzw. die dabei vorzunehmende Staffelung ist abschließend und zwingend (Sauer in Jahn, SGB III, § 140 Rn. 22). Eine verfassungskonforme Auslegung ist daher nicht möglich.

§ 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Sperrzeit bei Vermittlung an eine PSA

Sozialgericht Frankfurt a.M., Gerichtsbescheid vom 29. 6. 2004 – S 2 AL 4316/03

Richter: Dr. Offczors

Beklagte: Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Hanau

Leitsatz (der Redaktion):

Eine Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III setzt im Falle der Vermittlung des Arbeitslosen an eine Perso-nal-Service-Agentur die Unterbreitung eines konkreten Arbeitsangebotes voraus, dem zu entnehmen sein muss, welche Arbeitstätigkeiten er an welchen Arbeitsorten verrichten soll. Diesen Anforderungen genügt die Angabe »Facharbeiter in PSA« nicht.

Tatbestand:

Streitig ist die Verhängung einer Sperrzeit von 3 Wochen.

Der am 1970 geborene Kläger war vom September 1992 bis Dezember 1998 als ausgebildeter Fernmeldemonteur sozi-alversicherungspflichtig beschäftigt. Es folgte eine Zeitpha-se der Arbeitslosigkeit mit Arbeitslosengeldbezug. Vom 14. 6. 1999 bis 30. 4. 2002 war der Kläger sodann wieder als Servicetechniker bei einem Ingenieurbüro beschäftigt. Er bezog sodann wieder Arbeitslosengeld ab 1. 5. 2002 bis zur Erschöpfung des Anspruches zum 25. 4. 2003. Ab 4. 9. 2003 hatte die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Klä-ger Arbeitslosenhilfe bewilligt. Zur Frage, ob dem Kläger auch für den Zeitraum 26. 4. 2004 bis 3. 9. 2003 Arbeitslo-senhilfe zusteht, ist ein weiteres Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main mit dem Az.: S 2 AL 3805/03 anhängig.

Am 1. 10. 2003 übermittelte das Arbeitsamt dem Kläger ein mit Rechtsfolgenbelehrung versehenes Stellenangebot bei der Firma X GmbH, Hanau. Das Stellenangebot war wie folgt bezeichnet: »Tätigkeit: Facharbeiter in PSA; Lohn/

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Gehalt: 8,70; Anforderungen: Tätigkeit im Rahmen der Personal-Service-Agentur (Zeitarbeit) mit dem Ziel der Ar-beitsaufnahme beim Entleiher. Bereitschaft zur Aufnahme von Zeitarbeit, Führerschein von Vorteil (nicht Bedin-gung).« Die Firma X GmbH informierte das Arbeitsamt mit Schreiben vom 6. 10. 2003 über die Nichteinstellung des Klägers und begründete dies mit folgender Angabe: »Auf meine Bitte, uns eine Bewerbung zu schicken, sagte er kei-ne Lust, da er letztes Jahr nach Gelnhausen schon mal Un-terlagen geschickt hatte.« Der Kläger äußerte sich auf Nachfrage des Arbeitsamtes dahin, er habe sich bereits am 4. 12. 2002 bei der Niederlassung der Firma in G. bewor-ben. Er habe sich am 6. 10. 2003 bei der Hanauer Nieder-lassung dieser Firma telefonisch gemeldet und ihr mitge-teilt, dass bereits eine Bewerbung seiner Person existiere und dass die Bewerbungsunterlagen über die Zweignieder-lassung in G. angefordert werden könnten. Es sei einem Bewerber nicht zuzumuten, einer Zeitarbeitsfirma, die viele Niederlassungen im Bundesgebiet aufweise, jeweils neue Bewerbungen zukommen zu lassen, wenn er sich bereits bei einer Niederlassung beworben habe. Das sei weder vom schriftlichen noch vom finanziellen Aufwand her vertretbar. Zudem bezweifele er, dass das Stellenangebot tatsächlich eine Vermittlung beinhalte, da es die Berufsbezeichnung »Facharbeiter für PSA« nicht gäbe. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten stellte daraufhin mit Bescheid vom 27. 10. 2003 den Eintritt einer Sperrzeit vom 7. 10. 2003 bis 27. 10. 2003 fest. Der Kläger habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen das Zustandekommen eines Beschäftigungs-verhältnisses vereitelt, indem er in dem Telefonat am 6. 10. 2003 gesagt hätte, er würde keine aktuelle Bewerbung ein-reichen, da er sich bereits im Dezember 2002 bei der Nie-derlassung in G. beworben hätte. Auf den Widerspruch des Klägers holte das Arbeitsamt noch eine schriftliche Stel-lungnahme der Mitarbeiterin P. der Personalservice-Agen-tur ein. In dieser Stellungnahme vom 4. 11. 2003 heißt es, die Unterzeichnerin habe den Kläger am Telefon gebeten, ihr seine Bewerbungsunterlagen zukommen zu lassen. Hierauf habe er mit einem sehr unfreundlichen Ton mitge-teilt, er habe letztes Jahr seine Papiere nach G. in unsere Niederlassung geschickt. Er mache das nicht mehr (darauf habe er keine Lust mehr). Sie habe in der Niederlassung G. nachgefragt, dort lägen keine Unterlagen zum Kläger vor. Ihr Unternehmen erwarte, dass Facharbeiter sich schriftlich bewerben können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. 11. 2003 wies die Bun-desanstalt für Arbeit den Widerspruch als unbegründet zu-rück. Der Kläger habe die ihm angebotene Beschäftigung zwar nicht ausdrücklich abgelehnt, aber durch sein Verhal-ten gegenüber dem Arbeitgeber das Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses vereitelt, obwohl er mit Schreiben vom 1. 10. 2003 über die Rechtsfolgen belehrt worden sei. Der Arbeitgeber habe eine schriftliche Bewerbung erwarten können. Auch hätten bei der Niederlassung in G. keine Un-terlagen zum Kläger vorgelegen. Damit hätte der Arbeitge-ber keine Möglichkeit gehabt, den Kläger als Bewerber zu berücksichtigen. Es sei selbstverständlich, dass zum Zwe-cke der Bewerbung aktuelle Bewerbungsunterlagen an den Arbeitgeber gegeben würden. Die Sperrzeit betrage 3 Wo-chen, da es sich um die erstmalige Ablehnung eines Arbeitsangebotes nach der Entstehung des Anspruches

handele. Die Entscheidung über die Bewilligung von Ar-beitslosengeld sei für die Dauer der Sperrzeit aufzuheben.

Hiergegen hat der Kläger am 1. 12. 2003 Klage erhoben.

Der Kläger wiederholt sein Vorbringen aus dem Verwal-tungsverfahren und trägt ergänzend vor, bei dem so genann-ten Stellenangebot des Arbeitsamtes vom 1. 10. 2003 habe es sich um kein echtes Vermittlungsangebot gehandelt, da es keinerlei Angaben zur auszuübenden Tätigkeit enthalten habe. Weiter hat der Kläger ein von ihm an die Firma X GmbH gerichtetes Schreiben vom 9. 11. 2003 vorgelegt, in dem er diese zur Stellungnahme zu dem Stellenangebot vom 1. 10. 2003 und zum Nachweis, dass es den Facharbei-ter in PSA wirklich gebe, auffordert.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Sperrzeitbescheid vom 27. 10. 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. 11. 2003 aufzuhe-ben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen in dem Widerspruchs-bescheid.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid nach § 105 So-zialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da die Vorausset-zungen für diese Entscheidungsform vorliegen und die Be-teiligten angehört wurden.

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Sie ist auch sachlich begründet. Der Bescheid vom 27. 10. 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. 11. 2003 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III in der Fassung des 1. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. 12. 2002 (BGBl. I S. 4607) setzt der Eintritt einer Sperrzeit zunächst voraus, dass der Arbeitslose trotz Beleh-rung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit an-gebotene Beschäftigung nicht angenommen oder nicht an-getreten oder die Anbahnung eines solchen Beschäfti-gungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches durch sein Verhalten verhin-dert (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung). Voraussetzung dieser Sanktionsnorm ist in jedem Fall ein dem Arbeitslo-sen vom Arbeitsamt unterbreitetes Arbeitsangebot. Dabei muss der Arbeitgeber genau bezeichnet sein, d.h. so, dass der Arbeitslose erkennen kann, mit wem er verhandeln muss und wo die Arbeitstätigkeit stattfinden soll. Der Ar-beitsuchende muss sich aufgrund der Angaben eine Vorstel-lung von der angebotenen Beschäftigung machen können, die es ihm ermöglicht, zu prüfen, ob er sie annehmen will oder nicht. Es muss ersichtlich sein, dass er den Arbeits-

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platz aufgrund seiner bisherigen beruflichen Ausbildung und Erfahrung auszufüllen vermag. Die Mindestangaben hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Vermittlung in eine Tätigkeit erfolgt, die der bisher ausgeübten ihrer Art nach verwandt ist, oder ob es sich um eine neue Tätigkeit handelt. Soll der Arbeit-suchende wieder in seinem Beruf oder jedenfalls in der gleichen Branche vermittelt werden, so sind im Allgemei-nen an die Bestimmtheit weniger hohe Anforderungen zu stellen als bei der Vermittlung in einen neuen Beruf, weil regelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass der Arbeitsuchende über seinen bisher ausgeübten Beruf kon-kretere Vorstellungen hinsichtlich der zu erwartenden Ar-beitsbedingungen besitzt. Das Gleiche gilt, wenn die zu vermittelnde neue Tätigkeit einem typischen Berufsbild entspricht, dessen Bedingungen als bekannt vorausgesetzt werden können. Dies gilt allerdings auch wiederum nur, wenn keine Besonderheiten bestehen. Zur Art der Tätigkeit sind auch prägende Arbeitsbedingungen zu rechnen, wie das Ableisten von Nacht- oder Schichtarbeit (Bundessozi-algericht, Urteil vom 21. 7. 1981 – 7 RAr 2/80 – BSGE 52, 63, 66). Zum Tatbestand des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III gehört allerdings nicht, dass das Angebot den Anforderun-gen an eine sachgerechte Vermittlung entspricht. Mängel des Angebots stellen aber wichtige Gründe für die Ableh-nung dar. Die Beweislast für die Ordnungsmäßigkeit des Angebotes trägt die Bundesanstalt für Arbeit bzw. deren Rechtsnachfolgerin. Denn bei den Anforderungen an die Vermittlung handelt es sich um eine Amtspflicht, deren ordnungsgemäße Erfüllung Voraussetzung dafür ist, dass der Versicherte mit Nachteilen belegt, ihm der Schutz der Arbeitslosenversicherung für eine Zeit versagt wird (vgl. Gagel-Winkler, SGB III, Kommentar, § 144 Rz. 150 mit weiteren Nachweisen).

In dem Stellenangebot des Arbeitsamtes vom 1. 10. 2003 ist die angebotene Beschäftigung lediglich mit »Facharbeiter in PSA« bezeichnet. Aus den Angaben unter der Rubrik Anforderungen lässt sich entnehmen, dass es sich um eine Tätigkeit im Rahmen einer Personal-Service-Agentur mit Zeitarbeitscharakter und mit dem Ziel der Arbeitsaufnahme beim Entleiher handeln soll. Diesen Angaben ist aber, wor-auf der Kläger zutreffend hinweist, nicht zu entnehmen welche Arbeitstätigkeiten er konkret an welchen Arbeitsor-ten verrichten soll. Insbesondere findet sich keine Eingren-zung des Einsatzfeldes dahingehend, dass es sich um be-rufsnahe Facharbeitertätigkeiten in dem Ausbildungsberuf des Klägers als Fernmeldemonteur oder im Bereich der Nachrichtentechnik handeln soll. Da derartige Angaben fehlen, war es für den Kläger nicht möglich, zu prüfen, ob er die in Betracht kommende Arbeitstätigkeit aufgrund seiner bisherigen beruflichen Ausbildung und Erfahrung auszufüllen vermochte. Das Berufsbild der Tätigkeiten, in denen der Kläger, im Falle des Zustandekommens eines Beschäftigungsverhältnisses mit der Firma X GmbH zum Einsatz kommen sollte, bleibt in dem Stellenangebot völlig vage.

Eine Konkretisierung der zu verrichtenden Arbeitstätigkeit ist auch dann, wenn es sich bei dem benannten Arbeitgeber um ein Zeitarbeitsunternehmen handelt, erforderlich. Ent-gegen der Auffassung des Klägers ist zwar die Vermittlung

in ein Leiharbeitsverhältnis, das den Vorgaben des Arbeit-nehmerüberlassungsgesetzes entspricht, für einen Arbeits-losen nicht generell – also ohne Berücksichtigung besonde-rer Umstände des Einzelfalls – unzumutbar. Dies gilt jedenfalls für Langzeitarbeitslose, da eine Tätigkeit als Leiharbeiter für diese die Chance erhöht, auf verschiedenen Gebieten Erfahrungen zu sammeln, weshalb die Vermitt-lung in ein Leiharbeitsverhältnis von nicht unerheblicher Bedeutung für die Wiedereingliederung in den Arbeits-markt sein kann (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 8. 11. 2001 – B 11 AL 31/01 R – SozR 3-4300 § 144 SGB III Nr. 7). Dennoch entfällt das Erfordernis, die im Rahmen der Leiharbeit zu verrichtende Arbeitstätigkeit aus-reichend zu bestimmen, nicht. So hat das Bundessozialge-richt in seinem Urteil vom 8. 11. 2001 das dem Arbeitslo-sen bei einer Zeitarbeitsfirma unterbreitete Stellenangebot als Elektroinstallateur als ein solches eingestuft, das unter hinreichender Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit erfolgt sei. Festgehalten wurde damit aber an der Notwendigkeit, die bei einem Zeitarbeitsunternehmen zu verrichtende Arbeitstätigkeit zumindest stichwortartig nach Berufsfeld und Qualität der zu verrichtenden Arbeit zu konkretisieren.

Daran fehlt es hier in dem Stellenangebot vom 1. 10. 2003. Im Rahmen des Sperrzeitrechts kann auf die Benennung des Arbeitgebers und die Art der zu verrichtenden Tätigkeit in einem Stellenangebot auch dann nicht verzichtet werden, wenn, wie hier, ein Beschäftigungsverhältnis nicht mit ei-nem reinen Zeitarbeitsunternehmen, sondern mit einer Per-sonal-Service-Agentur (PSA) zustande kommen soll. Ge-mäß § 37 c SGB III, der durch das 1. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. 12. 2002 (BGBl. I S. 4607, in Kraft ab 1. 1. 2003) eingefügt wurde, ist jedes Arbeitsamt verpflichtet, die Einrichtung mindes-tens einer PSA sicherzustellen. Nach Abs. 1 Satz 2 dieser Norm ist Aufgabe der PSA insbesondere, eine Arbeitneh-merüberlassung zur Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit durchzuführen sowie ihre Beschäftigten in verleihfreien Zeiten zu qualifizieren und weiterzubilden. Eine Einzelde-finition des Begriffs der Personal-Service-Agentur enthält das Gesetz indessen nicht. Aus den Absätzen 1 bis 4 des § 37 c kann man in etwa erschließen, was der Gesetzgeber mit dem Begriff PSA gemeint hat. Danach besteht eine große Nähe zu, wenngleich auch keine Identität, mit Unter-nehmen der Arbeitnehmerüberlassung. Die PSA hat nach Abs. 1 Satz 2 dieser Norm nämlich neben der reinen Ar-beitnehmerüberlassung in verleihfreien Zeiten ihre Beschäf-tigten auch zu qualifizieren und weiterzubilden. Ob die gleichzeitige Verwendung der beiden Begriffe »Qualifizie-rung« und »Weiterbildung« bedeutet, dass im Rahmen ei-ner Qualifizierung Beschäftigte bei einer PSA auch eine erstmalige Ausbildung erhalten können, ist dem Gesetz nicht mit letzter Klarheit zu entnehmen. Ginge es jedoch al-lein um das Anknüpfen an bereits vorhandene Qualifikatio-nen, hätte die Verwendung des Begriffs »Weiterbildung« ausgereicht. Sollen die PSA nicht von vorneherein überfor-dert werden, wird man wohl zu unterstellen haben, dass sich eine Qualifizierung von Leiharbeitnehmern allenfalls auf das Anlernen von bis dahin ungelernten Kräften be-schränken dürfte. Es kommt hinzu, dass eine PSA die Ar-beitnehmerüberlassung nach Abs. 1 Satz 2 »Zur Vermitt-

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lung von Arbeitslosen in Arbeit« durchzuführen hat. Waren die reinen Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen bei ihrer Überlassungstätigkeit bislang nur Vertragspartner des Ent-leihers, so stehen sie als PSA künftig in einem Spannungs-verhältnis zwischen ihren Verpflichtungen gegenüber dem Entleiher und denjenigen gegenüber dem Arbeitsamt, mit dem sie nach § 37 c Abs. 2 Satz 1 ebenfalls Verträge schließen (vgl. Hennig-Kruse, SGB III, Kommentar, § 37 c Rz. 6, 7).

Bei der Schaffung von Personal-Service-Agenturen hat ein-deutig gesetzlichen Vorrang die PSA-Einrichtung durch Private. Hierzu schließt das Arbeitsamt nach § 37 c Abs. 2 Satz 1 SGB III mit erlaubt tätigen Verleihunternehmen Verträge. Nach § 37 c Abs. 2 Satz 2 SGB III gilt für diese Verträge das Vergaberecht. Zentrales Problem des PSA- Einrichtungsvertrages ist die Honorierung. Nach § 37 c Abs. 2 Satz 5 SGB III wird für die Honorierung eine Pau-schalisierung für zulässig erklärt. Nach dem Rundbrief der Bundesanstalt für Arbeit 71/2002 vom 23. 12. 2002 soll das Honorar im Hinblick auf die aus der Arbeitnehmerüberlas-sung potenziell resultierenden Einnahmen nur in einem be-grenzten Umfang die Betriebskosten des PSA-Betreibers decken und in Form einer degressiven monatlichen Fallpau-schale ausgestaltet werden. Da diese monatliche Fallpau-schale nicht ausreicht, um die PSA-Kosten zu decken, ist es für die PSA überlebensnotwendig, möglichst »gute Risi-ken« überwiesen zu bekommen. Nur qualifizierte Arbeit-nehmer bieten eine Chance, vermittelt zu werden (kleben zu bleiben) und damit auch die Zahlung einer Integrationsprä-mie auszulösen. Auswahl und Zuweisung der bisher Ar-beitslosen in eine PSA ist dabei eine Aufgabe, die dem zuständigen Arbeitsamt obliegt. Bislang gibt es keine Rege-lungen mit Rechtsnormqualität, die bestimmen, anhand wel-cher Kriterien die Auswahl von Arbeitslosen für den Ein-satz in einer PSA erfolgen soll. Da eine PSA im Regelfall zwischen 30 bis 50 Arbeitnehmer haben soll, ist die Anzahl potenzieller PSA-Beschäftigter angesichts der Arbeitslo-senzahlen pro Arbeitsamt wesentlich höher. Kommt ein PSA-Beschäftigungsverhältnis zustande, so handelt es sich um eine vertraglich begründete vollwertige Beschäftigung, für die die allgemeinen Zumutbarkeitsregelungen gemäß § 121 SGB III gelten. Im Verhältnis zwischen PSA-Be-schäftigten und PSA sind u.a. die im Arbeitnehmerüber-lassungsgesetz (AÜG) geregelten Arbeitsbedingungen maßgeblich, die auch für andere Beschäftigte im Leihar-beitsverhältnis gelten. Die Arbeitsverträge sollen mindes-tens zwei Monate und im Regelfall nicht länger als 12 Mo-nate dauern. Die Arbeitsämter bzw. Arbeitsagenturen dürfen PSA-Einrichtungsverträge ihrerseits nur abschlie-ßen, wenn sich die Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts der in der PSA Beschäftigten bis zum 31. Dezem-ber 2003 nach einem Tarifvertrag für Arbeitnehmerüberlas-sung richten (§ 434 g Abs. 5 SGB III).

Aus der vorstehenden Skizzierung des Aufgaben- und Wir-kungskreises der Personal-Service-Agenturen (vgl. hierzu Spellbrink, Wandlungen im Recht der Arbeitsvermittlung – oder: Viel Lärm um wenig, SGb, 2004, 75 ff., 153 ff., 156 bis 159) ergibt sich, dass das vom Arbeitsamt bzw. der Ar-beitsagentur unterbreitete Angebot für eine Tätigkeit des Arbeitslosen im Rahmen einer Personal-Service-Agentur

einem echten Arbeitsangebot, insbesondere auch nicht ei-nem solchen für eine Tätigkeit bei einem Zeitarbeitsunter-nehmen, im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III nicht gleichgestellt werden kann. Von einer klassischen Be-schäftigung unterscheidet sich eine PSA-Beschäftigung durch ihren völlig offenen Einsatzbereich sowie durch die von der PSA zu leistenden Aufgaben der Qualifizierung und Weiterbildung von Arbeitslosen. So sind insbesondere die verleihfreien Zeiten von der PSA für arbeitsmarktliche Integrationsbemühungen, das dürfte im Wesentlichen hei-ßen für sinnvolle Kurzzeitqualifizierungen, zu nutzen. Das Spektrum dessen, was die PSA zu leisten hat, reicht vom Bewerbungstraining über Coaching bis zu assistierter Ver-mittlung. Als Qualifizierung kommt darüber hinaus kurz-zeitige arbeitsplatznahe Weiterbildung in Betracht. Diese Besonderheiten im Rahmen einer PSA-Beschäftigung ste-hen einer Subsumtion des arbeitsamtlichen Angebots für eine PSA-Beschäftigung unter § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III entgegen. Weiter passt für die Vereitelung des Zu-standekommens einer PSA-Beschäftigung auch nicht der Sperrzeittatbestand des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III. Diese Sperrzeitalternative verlangt, dass sich der Arbeitslo-se trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, an einer Maßnahme der Eignungsfeststellung, einer Trainingsmaß-nahme oder einer Maßnahme zur beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung oder einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben teilzunehmen (Sperrzeit wegen Ablehnung ei-ner beruflichen Eingliederungsmaßnahme). Auch insoweit gilt, dass bei dem bloßen Angebot für eine PSA-Be-schäftigung völlig offen ist, welche beruflichen Eingliede-rungsmaßnahmen erfolgen sollen und in welchem Umfang und in welchem Verhältnis zu der Tätigkeit als Leiharbeit-nehmer.

Es kann dahingestellt bleiben, ob insoweit eine planwidrige Gesetzeslücke im Hinblick auf mögliche Sanktionen für den Fall der Vereitelung der Aufnahme einer PSA-Be-schäftigung besteht oder der Gesetzgeber bewusst von dem Sperrzeit-Sanktionsinstrumentalium für PSA-Beschäfti-gungsmöglichkeiten verzichtet hat. Maßgeblich ist jeden-falls, dass ein Analogieschluss zu Lasten des Arbeitslosen nach dem Grundsatz des in § 31 Sozialgesetzbuch – Ers- tes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) auch für das Sozial-recht niedergelegten Vorbehalt des Gesetzes nicht erfolgen darf.

Es bleibt daher festzuhalten, dass das dem Kläger unter dem 1. 10. 2003 unterbreitete »Stellenangebot für eine PSA-Tätigkeit« nicht sperrzeitbewehrt war und des- halb vom Kläger auch sanktionslos abgelehnt werden konnte.

Es war daher zu entscheiden, wie geschehen. Die Kosten-entscheidung beruht auf § 193 SGG.

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info also 1/2005 29

§ 193 Abs. 2 SGB III; §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 2 S 2 AlhiV Erhöhung des Vermögensfreibetrages für ältere Arbeits-lose

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 25. 10. 2004 – S 77 AL 1761/04

Richter: Rudnik

Bevollmächtigte der Klägers: DGB Rechtsschutz GmbH, Wallstr. 61–65, 10179 Berlin

Beklagte: Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Berlin Mitte

Leitsatz (der Redaktion):

Die Übergangsregelung des § 4 Abs. 2 S. 2 AlhiV ist be-reits dann anzuwenden, wenn einer der beiden Ehepart-ner zu den von der Vorschrift erfassten rentennahen Jahrgängen (Geburt bis zum 1. 1. 1948) gehört.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Arbeitslosen-hilfe.

Der im Oktober 1945 geborene Kläger ist seit 1970 verhei-ratet. Seine Ehefrau wurde im Januar 1949 geboren. Er be-zog Arbeitslosengeld zunächst bis 13. Juni 2002. Anschlie-ßend hatte ihm die Beklagte Arbeitslosenhilfe bis 13. Juni 2003 bewilligt. Die Arbeitslosenhilfe beruhte auf einem Bemessungsentgelt von 635 Euro; nach einem Anrech-nungsbetrag wegen Einkommens der Ehefrau von wöchent-lich 27,30 Euro betrug der tägliche Zahlbetrag 23,66 Euro.

Am 14. Mai 2003 beantragte der Kläger die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe. Dabei gab er ein Einkommen der Ehefrau mit 1.480 Euro brutto bzw. 976,83 Euro netto und einen Arbeitsweg von vier Kilometern (einfache Strecke) an. Die Eheleute verfügten auf Girokonten, Sparbüchern und bar über ca. 180 Euro. Sie verfügten weiter zum An-tragszeitpunkt über verschiedene Versicherungen mit Rück-kaufswerten von insgesamt 55.268,09 Euro.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 25. Juni 2003 die Gewährung von Arbeitslosenhilfe ab, weil die Eheleute über Vermögen von 55.448,43 Euro verfügen würden, des-sen mögliche Verwertung den Eheleuten zuzumuten sei. Nach Berücksichtigung eines Freibetrages von 41.160 EUR sei ein Vermögen von 14.288 Euro bei der Prüfung der Be-dürftigkeit zu berücksichtigen und schließe Bedürftigkeit aus.

Dagegen wandte sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 23. Juli 2003. Die Vertrauensschutzregelung nach § 4 AlhiVO könne nicht gesplittet werden. Außerdem habe der Bewilligungszeitraum wegen eines länger zu gewährenden Arbeitslosengeldes erst am 1. Dezember 2002 begonnen und würde dementsprechend später enden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit undatiertem Wi-derspruchsbescheid, der den Bevollmächtigten des Klägers am 10. März 2004 zuging, zurück. Für die Ehegatten seien jeweils unterschiedliche Freibeträge anzusetzen, weil die Ehefrau erst 1949 geboren sei.

Der Kläger verfolgt mit seiner Klage vom 23. März 2004 sein Begehren weiter.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 8. März 2004 Arbeitslosengeld bis 29. November 2002. Sie erkannte in der mündlichen Verhandlung einen Anspruch des Klägers auf Zahlung von Arbeitslosenhilfe bis ein-schließlich 29. November 2003 an. Dieses Teilanerkenntnis ist vom Kläger angenommen worden.

Der Kläger beantragt nunmehr:

1. den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2003 in der Gestalt des undatierten Widerspruchsbescheides (Zu-gang am 10. März 2004) aufzuheben,

2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 29. No-vember 2003 hinaus Arbeitslosenhilfe unter Anrech-nung von Einkommen der Ehefrau des Klägers zu ge-währen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat Anspruch auf Arbeitslosenhilfe auch im Zeitraum seit dem 30. November 2003. Dem Kläger stand im fraglichen Zeitraum kein Vermögen zur Verfügung, das den Freibetrag nach § 1 Abs. 2 AlhiVO überschritten hätte. Der angefochtene Bescheid ist deshalb rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hat nach § 190 Abs. 1 Nr. 5, 193 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), wer bedürftig ist. Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser, solange mit Rück-sicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dau-ernd getrennt lebenden Ehegatten die Erbringung von Ar-beitslosenhilfe nicht gerechtfertigt ist (§ 193 Abs. 2 SGB III). Dazu bestimmt § 1 Abs. 2 der nach § 206 SGB III ergange-nen AlhiVO einen vom berücksichtigungsfähigen Vermö-gen abzusetzenden Freibetrag. Dieser Freibetrag hatte in der Fassung der AlhiVO vom 13. Dezember 2001 (mit Wirkung ab 1. Januar 2002) eine Höhe von 520 Euro je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen oder seines Part-ner, jeweils höchstens 33.800 Euro. Diese Regelung wurde durch Art. 11 Nr. 1 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (Hartz-I-Gesetz) mit Wirkung ab 1. Januar 2003 (Art. 14 Abs. 1) geändert. Der Betrag von 520 Euro wurde durch den Wert 200 Euro ersetzt und die jeweiligen Höchstfreibe-träge pro Person wurden auf 13.000 Euro reduziert. Art. 11 Nr. 3 fügte der Übergangsvorschrift der AlhiVO (§ 4) einen zweiten Absatz mit folgendem Wortlaut an:

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info also 1/2005 30

»§ 1 Abs. 2 und § 3 Abs. 1 gelten in der bis zum 31. De-zember 2002 geltenden Fassung für die Dauer der laufen-den Bewilligung weiter, wenn die Voraussetzungen eines Anspruches auf Arbeitslosenhilfe im Zeitraum vom 1. Ok-tober 2002 bis zum 31. Dezember 2002 vorgelegen haben. Abweichend von Satz 1 ist § 1 Abs. 2 in der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Fassung für Personen wei-terhin anzuwenden, die bis zum 1. Januar 1948 geboren sind.«

Damit gilt die Neufassung nicht für Personen, die bis zum 1. Januar 2003 das 55. Lebensjahr vollendeten. Die Kam-mer legt dabei diese Vorschrift so aus, dass für die Weiter-geltung des bisherigen Rechtes genügt, wenn ein Ehegatte bis zum 1. Januar 1948 geboren wurde.

Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass ihre Auslegung der Vorschrift nach Wortlaut und Systematik grundsätzlich möglich ist. Jedoch ist es nach Anwendung der maßgebli-chen Auslegungsmethoden nicht die einzige mögliche Aus-legung. Die von der Kammer gewählte Auslegung wird ebenso vom Wortlaut gedeckt. Sie hat den systematischen und teleologischen Vorzug, dass sie die besondere Schutz-bedürftigkeit der gelebten Ehe nach Art. 6 Abs. 1 Grundge-setz und den Zweck der Vorschrift, bestehendes Vertrauen der rentennahen Jahrgänge zu schützen, für die gelebte Ehe berücksichtigt. Ein Schutz für getrennt lebende Ehegatten ist wegen § 193 Abs. 1 SGB III nicht vorgesehen, weil auf das Vermögen des getrennt lebenden Ehegatten gar nicht zuzugreifen ist. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es der Kammer aus teleologischen und systematischen Grün-den vorzugswürdig, wenn der Vertrauensschutz der Rege-lung des § 4 Abs. 2 Satz 2 AlhiVO bereits dann greift, wenn einer der beiden Ehegatten zu den von der Über-gangsvorschrift erfassten rentennahen Jahrgängen gehört. Wegen des Wortlautes der Regelung kann es nämlich nicht darauf ankommen, dass der Arbeitslose bei Inkrafttreten der Vorschriften 55 Jahre alt war, denn das Gesetz spricht von Personen und nicht etwa vom Arbeitslosen oder Berechtig-ten. Da regelmäßig die Frauen in den Ehen der fraglichen Generation jünger als die Ehemänner sind und Frauen in besonderen Maße von der Langzeitarbeitslosigkeit, die zum Arbeitslosenhilfe-Bezug führt, betroffen sind, vermeidet die Auslegung durch die Kammer eine EU-rechtswidrige indi-rekte Diskriminierung von Frauen mit regelmäßig ohnehin geringeren Rentenanwartschaften und sichert diesen eine angemessene Altersversorgung. Gerade auch ein Fall wie der vorliegende bestätigt dies. Während dem arbeitslosen

älteren Ehemann (mit regelmäßig höherer Altersversor-gungsanwartschaft) bei anderer Auslegung ein höherer Schutzbetrag eingeräumt würde, würde erwartet, dass die noch erwerbstätige Gattin sich mit einem zu schützenden Vermögen, das nur den Umfang von zwei Fünftel desjeni-gen des älteren Ehegatten hätte, begnügte, von den eigenen Erwerbseinkünften und ihrem nicht geschützten Vermögen den Ehegatten unterhielte und für die eigene Altersvorsorge gerade nichts mehr tun könnte. Sie würde damit gegenüber der getrennt lebenden Ehefrau, die ebenso regelmäßig we-gen der Vermögenssituation unter den Ehegatten nicht un-terhaltsverpflichtet wäre, deutlich benachteiligt.

Auch wenn diese Auslegung nicht an sich zwingend er-scheint, so führt die zentrale Auslegungsregel des § 2 Abs. 2 letzter Teilsatz SGB I dazu, dass die von der Kam-mer bevorzugte Auslegung zwingend wird. Diese Ausle-gungsvorschrift gilt selbstverständlich auch für Sozialrecht auf Verordnungsrang, wobei die Regelung hier ja durch Parlamentsgesetz getroffen wurde. Sie greift gerade dann, wenn mehrere Auslegungsmöglichkeiten vorhanden sind und die Regelungszwecke und -systematik nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führen.

Da im vorliegenden Fall der Kläger vor 1948 geboren wur-de, gilt der erhöhte Freibetrag der alten Fassung für beide Eheleute. Es errechnet sich somit ein Gesamtfreibetrag von 58.240 Euro ([58+54]x520). Das vorhandene Vermögen der Eheleute erreicht diesen Freibetrag nicht. Der Kläger ist deshalb bedürftig.

Auch unter Berücksichtigung des Einkommens der Ehefrau des Klägers, das nach Berechnung der Kammer mit 84,05 Euro wöchentlich auf die Arbeitslosenhilfe des Klägers anzurechnen ist, ergibt sich ein Zahlbetrag, der etwa bei 15 Euro (14,95 Euro) täglich liegen dürfte. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt; dies ist zwischen den Beteiligten zutreffend unstreitig. Die Beklagte war des-halb antragsgemäß zur Gewährung von Arbeitslosenhilfe über den 29. November 2003 hinaus zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berück-sichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung.

Die Berufung war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen, sie ist aber bereits wegen des Be-schwerdewerts für die Beklagte zulässig.

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info also 1/2005 31

Neue Entscheidungen des Bundessozialgerichts

Steuerklassenwechsel bei Ehegatten – Urteile vom 1. April 2004 – B 7 AL 36/03 R; B 7 AL 46/03 R; B 7 AL 52/03 R

In vier Entscheidungen hat sich das BSG am 1. April 2004 mit dem Steuerklassenwechsel von Ehegatten nach § 137 Abs. 4 SGB III beschäftigt. In allen Fällen ging es um die Rückforderung von Leistungen (Arbeitslosengeld oder Ar-beitslosenhilfe) wegen eines nicht angezeigten Steuerklas-senwechsels nach der Entstehung des Leistungsanspruchs.

Nach § 137 Abs. 4 SGB III ist bei der Ermittlung des Ar-beitslosengeldes grundsätzlich die Steuerklasse zu berück-sichtigen, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Ar-beitslosen eingetragen war (§ 137 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Ein Wechsel der Steuerklasse zwischen Ehegatten wird be-rücksichtigt, wenn die neu eingetragenen Lohnsteuerklas-sen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen oder sich auf Grund der neuen Lohnsteuerklassen ein Arbeitslosengeld ergibt, das geringer ist als das Arbeitslosengeld, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe. Der 11. Senat hat bereits ent-schieden, dass § 137 Abs. 4 SGB III bei Arbeitslosigkeit beider Ehegatten nicht zur Berücksichtigung des Steuer-klassenwechsels nur bei einem Ehegatten führen darf (B 11 AL 99/01 R).

Der 7. Senat hat sich ausführlich mit den verfassungsrecht-lichen Bedenken befasst, die schon den 11. Senat bei seinen Entscheidungen vom 29. August 2002 – B 11 AL 99/01 R und B 11 AL 87/01 R beschäftigt haben. Er hat die verfas-sungsrechtlichen Bedenken vor allem auf den Schutz des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG, dem auch der Leis-tungsanspruch gegen die Bundesanstalt unterliegt, gestützt und zunächst auf die Verschlechterung gegenüber dem Rechtszustand nach dem AFG hingewiesen, der beim Steu-erklassenwechsel immer die Berücksichtigung der zweck-mäßigsten Steuerklasse vorsah. Die Neuregelung im SGB III sei zur Verhinderung vom Manipulationen, die als Ziel der Regelung in der Gesetzesbegründung genannt sei, ohnehin ungeeignet, weil vielfach der Wechsel von einer günstige-ren Lohnsteuerklasse in eine ungünstigere erfolge und hier-in keine Manipulation gesehen werden könne. § 137 Abs. 4 SGB III habe den Schutzzweck zu Gunsten von Ehepaaren, dem § 113 Abs. 2 AFG gedient habe, aufgegeben. § 137 Abs. 4 Satz 1 SGB III stelle die BA auch nicht von jeder Prüfung der Zweckmäßigkeit des Steuerklassenwechsels frei; sehe diese aber in unsystematischer, tendenziell gleichheitswidriger Weise vor, wenn Ehegatten eine Steu-erklassenkombination wählten, die zu einem höherem An-spruch führen könne. Unter dem Aspekt der Verhältnismä-ßigkeit ergäben sich Bedenken auch aus der Relation von gesetzgeberischem Ziel (Vermeidung von Missbrauch bzw. Verwaltungsvereinfachung) und Tragweite des Eingriffs beim Versicherten. Dieser verliere faktisch – zusammen mit seinem Ehegatten – das Recht, die steuerlich sinnvolle

Steuerklasse zu wählen auch dann, wenn vor Eintritt der Arbeitslosigkeit die zweckmäßigste Steuerklasse gewählt worden war. Der 7. Senat hat sich der Meinung des 11. Se-nats angeschlossen, dass bei der Beurteilung des Lohnsteu-erklassenwechsels unter Ehegatten nach Eintritt der Arbeitslosigkeit ein Wertungswiderspruch zwischen Ein-kommensteuerrecht und Arbeitsförderungsrecht bestehe, weil im Einkommensteuerrecht der Lohnsteuerklassen-wechsel, der allgemein dazu dient, die aktuelle Lohnsteuer-belastung möglichst nahe an der zu erwartenden Jahres-lohnsteuer zu halten, für den Fall, dass bei einem Ehegatten Arbeitsentgelt völlig entfällt, besonders erleichtert ist. Wenn das Steuerrecht davon ausgehe, dass dem Ehegatten bei Eintritt von Arbeitslosigkeit ein Wechsel in die zweck-mäßige Steuerklasse ermöglicht werden solle, müsse er nicht damit rechnen, dass er deswegen leistungsrechtlich in jedem Falle Nachteile hinzunehmen habe.

Der 11. Senat hatte bereits entschieden, dass die BA die Arbeitslosen darauf hinweisen müsse, dass sie sich vor ei-nem Lohnsteuerklassenwechsel von ihr beraten lassen sol-len, um die arbeitslosenrechtlich schädlichen Folgen eines Lohnsteuerklassenwechsels zu vermeiden. Die Hinweis- und Beratungspflicht hat der 7. Senat nun konkretisiert und die Folgen einer Verletzung dieser Pflicht genannt. Danach muss die BA verheiratete Arbeitslose auf die Rechtsfolgen des § 137 Abs. 1 Satz 1 SGB III hinweisen und vor einem Lohnsteuerklassenwechsel ohne vorherige Beratung durch die BA warnen. Der Hinweispflicht genüge die BA nicht durch die Aushändigung eines Merkblatts mit einer Viel-zahl von Informationen. Erst durch die konkrete, auf die Warnung folgende Beratung, die dem Versicherten als Lai-en deutlich mache, in welche leistungsrechtlichen Gefahren er sich im Arbeitsförderungsrecht bei einem steuerrechtlich sinnvollen Steuerklassenwechsel mit seinem Ehegatten be-gebe, werde der Arbeitslose überhaupt in die Lage versetzt, eine rationale Wahl (unter Abschätzung aller Rechtsfolgen) zu treffen. Nimmt er das Angebot nicht wahr, so geht dies zu seinen Lasten.

Die Verletzung der Hinweis- und Beratungspflicht kann zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch führen. Das BSG hat sich durch seine bisherige Rechtsprechung, dass die BA nur eine in die Lohnsteuerkarte eingetragene Steu-erklasse berücksichtigen dürfe, nicht an seiner Entschei-dung gehindert gesehen, weil das Gesetz selbst die Berück-sichtigung einer nicht eingetragenen Steuerklasse vorsehe. Es genüge für den Herstellungsanspruch, dass die Rechts-folge keine »gesetzwidrige Handlung« darstelle und der Funktion der Anbindung der Leistungshöhe an die Lohn-steuerklasse nicht widerspreche. Der Herstellungsanspruch komme nur dann zum Einsatz, wenn die bestehenden ge-setzlichen Regelungen keine Korrektur zuließen. Damit gehe es in diesen Fällen um die Gewährung von Sozialleistungen auch dann, wenn nicht sämtliche Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Die »ersetzbaren« Handlungen könnten nicht auf die Fälle verspäteter Antragstellung, verspäteter Beitrags-

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info also 1/2005 32

entrichtung oder verspäteter Vorlage von Unterlagen be-schränkt werden.

Bei Verletzung der Hinweis- und Beratungspflicht könne der Versicherte so gestellt werden, als ob der Steuerklas-senwechsel unterblieben wäre. Allerdings gelte das nur, wenn die Pflichtverletzung für den Steuerklassenwechsel ursächlich war.

In einem weiteren Urteil vom 27. Juli 2004 – B 7 AL 76/03 R – hat der 7. Senat den Wechsel von der Steuerklassen-kombination V/III nach III/V zugunsten des Arbeitslosen als den Einkommen der Ehegatten im Sinne des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III entsprechend angesehen, ob-wohl die Steuerklassenkombination IV/IV zum geringsten Steuerabzug geführt hätte, weil die Wahl einer Steuerklas-senkombination auch dann arbeitslosenrechtlich beachtlich ist, wenn die Wahl zu einem geringeren gemeinsamen Lohnsteuerabzug führt. Nicht maßgeblich ist die Wahl der günstigsten Lohnsteuerklassenkombination, sondern die ei-ner günstigeren (so schon Urteil vom 4. September 2001 – B 7 AL 84/00 R). Im konkreten Fall musste dem Arbeitslo-sengeldanspruch die Leistungsgruppe C (Steuerklasse III) zugrunde gelegt werden, obwohl die Steuerklasse IV ei-gentlich die richtige Steuerklasse wäre.

Anrechnung von Nebeneinkommen – Urteil vom 2. Juni 2004 – B 7 AL 58/03 R

Streitig war die Frage, ob Nebeneinkünfte aus einer Be-schäftigung, die der Arbeitslose bereits bei Eintritt der Ar-beitslosigkeit ausgeübt hat, auf das Arbeitslosengeld anzu-rechnen waren. Das Gericht hat sich zunächst mit der Frage beschäftigt, ob auf die teilweise Aufhebung der Leistungs-bescheide § 45 oder § 48 SGB X anzuwenden ist. Bei gleich bleibendem Nebeneinkommen ist es nach Meinung des Gerichts zulässig, Arbeitslosengeld für einen längeren Zeitraum zu bewilligen. Bei einer Bewilligung von Arbeits-losengeld, das eine auf Dauer angelegte Leistung ist, steht zum Zeitpunkt der Entscheidung nie sicher fest, dass der Anspruch überhaupt oder in der Form fortbesteht, in der er sich zum Zeitpunkt der Bewilligung ergibt. Gleichwohl wä-re es unzulässig, noch nicht endgültig zu entscheiden, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung keine konkreten Anhalts-punkte für eine mögliche Änderung vorliegen. Das gilt auch, wenn u.U. schwierige Ermittlungen notwendig sind. Können die maßgeblichen Umstände erst zukünftig ermit-telt werden, z.B. bei wechselnden Nebeneinkünften, darf nur ein vorläufiger Bescheid erlassen werden. Der Kläger des zu entscheidenden Falles übte neben einer kurzzeitigen abhängigen Beschäftigung eine selbständige Tätigkeit aus. Das BSG hat einen Verlustausgleich zwischen verschiede-nen Nebeneinkommen aus Tätigkeiten, die zusammen die Kurzzeitigkeitsgrenze nicht überschreiten, als grundsätzlich zulässig bezeichnet, weil ein gesetzlich gewollter Anreiz

zur Aufnahme einer Nebentätigkeit nur bestehe, wenn der Arbeitslose über das Einkommen aus seiner Arbeit tatsäch-lich verfügen könne. Der Verlustausgleich ist jedoch be-schränkt auf Einkommen aus Beschäftigungen und Tätig-keiten; ein Verlustausgleich mit »mühelosem« Einkommen, wie Vermietung und Verpachtung, Kapitaleinkünften, oder mit Ehegatteneinkommen ist nicht zulässig.

Krankengeld und Nahtlosigkeitsregelung – Urteil vom 3. Juni – B 11 AL 55/03 R

In diesem Rechtstreit verlangte die klagende Krankenkasse von der BA die Erstattung von Krankengeld, das die Kran-kenkasse an einen kranken arbeitslosen Versicherten ge-zahlt hatte. Hintergrund der Auseinandersetzung war ein Abkommen zwischen den Spitzenverbänden der Kranken-kassen und der BA vom 28./29. Mai 1998 über die Leis-tungspflicht in den Fällen des § 125 SGB III. Das BSG hat nun entschieden, dass das Krankengeld auch in den Fällen des § 125 SGB III keine dem Arbeitslosengeld nachrangige Leistung ist, sondern dem Anspruch aus § 125 SGB V vor-geht. § 125 SGB III fingiere nicht die Arbeitsfähigkeit des Versicherten im Verhältnis zur Krankenkasse, sondern betreffe nur das Verhältnis zwischen Versichertem, der BA und dem Rentenversicherungsträger, stehe also der Leis-tungspflicht der Krankenkasse nicht entgegen. Der An-spruch auf Krankengeld habe auch nicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 a SGB V wegen des Bezugs vor Arbeitslosengeld ge-ruht; die Ruhensvorschrift erfasse nicht die Zahlung von Arbeitslosengeld nach § 125 SGB III. Die Ruhensregelung beziehe sich nur auf das Arbeitslosengeld, das nach § 126 SGB III im Wege der Leistungsfortzahlung für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit gezahlt wird. Die Vereinbarung zwischen den Spitzenverbänden der Kran-kenkassen und der BA hat das BSG nicht als Rechtsgrund-lage für den streitigen Erstattungsanspruch anerkannt.

Anrechnung von Nebeneinkommen – Urteil vom 3. Juni 2004 – B 11 AL 75/03 R

Die Klägerin verlangte die Berücksichtigung von Fahrtkos-ten bei der Anrechnung von Nebeneinkommen. Sie konnte die Benutzung eines Pkw oder öffentlicher Verkehrsmittel für eine Strecke von 1,9 km aber nicht belegen. Das BSG hat es abgelehnt, ohne entsprechenden Nachweis von der Entfernungspauschale bei Benutzung eines eigenen Pkw auszugehen. Zur Frage, ob die Anrechnung von Nebenein-kommen zu einer Verlängerung der Arbeitslosengeld-Bezugs-dauer führt, hat das Gericht auf seine Entscheidung vom 5. Februar 2004 – B 11 AL 39/03 R – (info also 2004, Heft 5, S. 223) verwiesen.

Ute Winkler

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Entscheidungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)

§§ 5 Abs. 2, 7 Abs. 3 und 5 SGB II; §§ 21, 22 SGB XII Keine Sozialhilfe für Kind studierender erwerbsfähiger allein erziehender Mutter

Sozialgericht Oldenburg, Beschluss vom 10. 1. 2005 – S 2 SO 3/05 ER

Leitsatz (der Redaktion):

Ein minderjähriges, selbst nicht erwerbsverpflichtetes Kind, das mit seiner allein erziehenden Mutter, die wegen eines dem Grunde nach förderungsfähigen Studiums nach § 7 Abs. 5 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hat, in einem Haus-halt lebt, hat ab dem 1. Januar 2005 keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe.

Zum Sachverhalt:

Die 13-jährige Antragstellerin, die die Schule besucht, lebt in einem Haushalt zusammen mit ihrer für sie erziehungs-berechtigten Mutter, die 47 Jahre alt ist und ein Studium absolviert. In der Vergangenheit erhielt die Antragstellerin von der Antragsgegnerin laufende Hilfe zum Lebensunter-halt nach dem Bundessozialhilfegesetz, wobei die Antrags-gegnerin für die Antragstellerin den Regelbedarf einer Haushaltsangehörigen und die hälftigen Kosten für Unter-kunft und Heizung berücksichtigte. Den Antrag auf Leis-tungen nach dem SGB II lehnte die Arbeitsgemeinschaft mit Bescheid vom 8. Dezember 2004 mit der Begründung ab, dass die Mutter der Antragstellerin eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung absolviere, so dass – weil auch kein Härtefall vorliege – Leistungen zu versagen seien. Auch wurden ihnen nach dem Vorbringen der An-tragstellerin von einer Mitarbeiterin der Antragsgegnerin mündlich Leistungen nach dem SGB XII versagt.

Zur Begründung ihres Antrages auf vorläufigen Rechts-schutz führte die Antragstellerin aus, auch wenn ihre Mutter wegen des von ihr betriebenen Studiums keinen Anspruch auf Gewährung einer monatlichen Grundsicherung für Ar-beitsuchende habe, stehe ihr selbst als minderjähriger Haushaltsangehöriger, die eine Schule besuche, Anspruch gegen die Arbeitsgemeinschaft auf Gewährung von Sozial-geld nach dem SGB II zu. Sollte man diese Ansicht nicht teilen, so habe sie jedenfalls Anspruch auf Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII, denn sie könne weder von ihrem Vater noch von ihrer Mut-ter diese notwendigen Leistungen erhalten.

Die Antragsgegnerin macht sinngemäß geltend, dass die Antragstellerin nicht Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten könne, da sie Angehörige einer Person sei, die dem Grunde nach nach dem SGB II leis-tungsberechtigt sei.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.

[...]

Gem. § 51 Abs. 1 Nr. 6 a SGG in der Fassung des 7. SGG ÄndG. vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I Seite 3302) ist das Sozialgericht zur Entscheidung über die begehrte einstwei-lige Anordnung zuständig. Der erkennende, vom Verwal-tungsgericht zum Sozialgericht abgeordnete Richter hat da-von abgesehen, nach § 113 Abs. 1 SGG das vorliegende Verfahren mit dem Verfahren der Mutter der Antragstelle-rin gegen die Arbeitsgemeinschaft auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zu verbinden. Zwar handelt es sich im vorliegenden Falle bei den Ansprüchen, die die Antragstellerin und ihre Mutter geltend machen, um einen einheitlichen Lebenssachverhalt, über den eigentlich in der Sache auch nur einheitlich entschieden werden sollte. In-dessen sieht sich der erkennende Richter daran gehindert, weil in einem evtl. nachfolgenden Hauptsacheverfahren ü-ber diesen einheitlichen Lebenssachverhalt wegen der Ver-schiedenheit der Anspruchsgrundlagen in den SGB II und XII von verschiedenen Kammern mit einer verschiedenen Besetzung auf Seiten der ehrenamtlichen Richter entschie-den werden müsste. Denn gem. § 12 Abs. 5 Satz 1 SGG wirken in den Kammern für Angelegenheiten der Grundsi-cherung für Arbeitsuchende ehrenamtliche Richter aus den Vorschlagslisten der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber mit, während nach Satz 2 der Vorschrift in den Kammern für Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerber-leistungsgesetzes ehrenamtliche Richter aus den Vor-schlagslisten der Kreise und kreisfreien Städte mitwirken sollen. Wegen dieser Verschiedenheit ist wohl eine Verbin-dung der genannten beiden Verfahren im vorliegenden Fal-le nicht zulässig (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, München 2002, § 113 Randnr. 2 b).

In entsprechender Anwendung von § 106 Abs. 1 SGG hat der Richter auch im wohlverstandenem Interesse der An-tragstellerin diese in dieser Funktion aufgeführt und nicht ihre Mutter als Antragstellerin genannt. Denn nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB XII besteht für denjenigen Menschen ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, der seinen notwendigen Lebensun-terhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln, insbesondere aus seinem Einkommen und Vermögen beschaffen kann. Auch der Grundsatz der Indi-vidualisierung der Hilfe zum Lebensunterhalt, wie er in § 9 Abs. 1 SGB XII seinen Ausdruck findet, spricht dafür, den jeweils einzelnen Anspruchsberechtigten im Rubrum als Antragsteller aufzuführen. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass die Mutter der Antragstellerin sinngemäß ausge-führt hat, es sollten die Leistungen, wie sie bislang nach dem BSHG der Antragstellerin gewährt wurden, weiter ge-zahlt werden. Auch deswegen geht das erkennende Gericht davon aus, dass die Mutter der Antragstellerin an sich selbst aus eigenem Recht keine Leistungen verlangt.

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Auch kann es für das vorliegende Verfahren offen bleiben, ob Leistungen ab dem 1. des Kalendermonats, in dem die Entscheidung getroffen wird, begehrt werden (so: BVerwG, Urteil vom 22. April 2004, NJW 2004, 2608). Ebenso muss im vorliegenden Falle nicht erörtert werden, ob die Antrag-stellerin die vollen regelsatzmäßigen Leistungen zuzüglich Kosten der Unterkunft oder diese nur mit einer Beschrän-kung auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche verlangen kann. Für eine Begrenzung auf das Unerlässliche mag viel-leicht die Beschränkung der einstweiligen Anordnung auf wesentliche Nachteile (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG) sprechen (vgl. OVG Münster NVwZ 1989,1085). Anderer-seits sind die Leistungen nach dem SGB XII vergleichswei-se knapp bemessen, so dass bei dem möglicherweise viele Monate dauernden Gang eines Hauptsacheverfahrens es auch als wesentlicher Nachteil erscheint, wenn im Wege der einstweiligen Anordnung nicht vorläufig – das Vorlie-gen eines Anordnungsgrundes und Anordnungsanspruchs unterstellt – der Regelsatz vollständig zugesprochen würde (so OVG Lüneburg in ständiger Rechtsprechung bei einst-weiligen Anordnungen nach dem BSHG).

Indessen müssen diese Fragestellungen im vorliegenden Falle nicht vertieft werden, weil die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft dargetan hat. Gem. § 21 Satz 1 SGB XII vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I Sei-te 3022), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I Seite 3305) und Artikel 11 des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I Seite 3242), erhalten Personen, die nach dem II. Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grun-de nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt (soweit nicht im vorliegenden Falle nicht gegebene Ausnahmen vorliegen). Nach Satz 2 der Rege-lung soll dann die Vorschrift des § 45 SGB II Anwendung finden, wenn über die Zuständigkeit zwischen den zustän-digen Leistungsträgern unterschiedliche Auffassungen be-stehen. Die zuletzt genannte Regelung legt die Annahme nahe, dass in einem derartigen Fall nicht nur die gemeinsa-me Einigungsstelle nach § 45 SGB II entscheiden soll, son-dern dass dann ebenfalls nach § 44 a Satz 3 SGB II bis zur Entscheidung der Einigungsstelle Leistungen der Grundsi-cherung für Arbeitsuchende erbracht werden sollen. Indes-sen kann nach Ansicht des Gerichts im vorliegenden Falle die Regelung des § 21 Satz 2 SGB XII keine Anwendung finden. Denn hier bestehen keine unterschiedlichen Auffas-sungen zwischen den zuständigen Leistungsträgern über ih-re Zuständigkeit. Vielmehr hat die Antragsgegnerin eindeu-tig zu erkennen gegeben, dass nach ihrem Dafürhalten keine Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren sind und die Arbeitsgemeinschaft hat im Bescheid an die Mutter der Antragstellerin vom 8. Dezember 2004 zu erkennen gege-ben, dass sie sich zwar grundsätzlich für zuständig hält, in-dessen nach einem bestimmten Ausschlusstatbestand die Ansicht vertritt, keine Leistungen gewähren zu können. Ist mithin der Fall des Zuständigkeitsstreits nicht gegeben, so beurteilt sich der Anspruch der Antragstellerin nach § 21 Satz 1 SGB XII. Denn die Antragstellerin ist die Angehöri-ge einer dem Grunde nach leistungsberechtigten Person, die Ansprüche nach dem II. Buch als Erwerbsfähige geltend

machen könnte. Die Mutter der Antragstellerin ist eine so genannte Hauptleistungsberechtigte im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Denn bei ihr handelt es sich um eine Person, die die altersmäßigen und aufenthaltsmäßigen Vor-aussetzungen erfüllt und dem Grunde nach erwerbsfähig und hilfebedürftig ist. Anhaltspunkte, daran zu zweifeln, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Dass die Mutter der Antragstellerin zu dem Personenkreis gehört, der in § 7 Abs. 5 SGB II angesprochen ist, ändert an dieser Zuordnung zu dem betreffenden Kreis der Hauptleis-tungsberechtigten nichts. Denn bei dieser Regelung, die le-diglich darauf abzielt, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht als sogenannte kleine Ausbildungs-förderung neben den Bestimmungen des Ausbildungsförde-rungsrechts gewährt werden sollen, handelt es sich nicht um einen generellen Ausschlusstatbestand, der die Anwendung des SGB II im Allgemeinen hindert. Dies wird schon daran deutlich, dass andere Leistungen als die zur Sicherung des Lebensunterhalts im Falle des Absolvierens einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung gewährt wer-den können. Weiterhin wird dies daran verständlich, dass in besonderen Härtefällen durchaus diesen Personen Leistun-gen zur Sicherung des Lebensunterhalts – allerdings als Darlehn – gewährt werden können.

Darüber hinaus ist in Abs. 6 der Regelung noch ein weiterer Ausnahmetatbestand geschaffen worden, der gleichwohl Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ermöglicht, selbst wenn eine dem Grunde nach förderungsfähige Aus-bildung von dem betreffenden Hauptleistungsberechtigten betrieben wird. Gleiches gilt für die Fälle, in denen Haus-haltsangehörige, die zur Bedarfsgemeinschaft im Sinne von §7 Abs. 3 SGB II gehören, eine dem Grunde nach förde-rungsfähige Ausbildung betreiben. Mithin ergibt sich nach Auffassung des Gerichts aus der Regelung in § 21 Satz 1 SGB XII (ebenso wie aus der sozusagen spiegelbildlichen Vorschrift des § 5 Abs. 2 SGB II), dass durch das Anknüp-fungsmerkmal des erwerbsfähigen Hilfesuchenden beim Hauptleistungsberechtigten eine eindeutige Unterscheidung im Zuständigkeitsbereich zwischen dem SGB II und dem SGB XII geschaffen wird.

Daher führt der Umstand, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als deren Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, aber keine Leistun-gen aufgrund anderer Ausschlusstatbestände erhalten, nicht dazu, dass sie in einem derartigen Falle – sozusagen nach-rangig und hilfsweise wie früher nach dem BSHG – Leis-tungen nach dem SGB XII erhalten. Dies wird auch deut-lich durch die Regelung in § 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II. Nach dieser Vorschrift besteht während der Absenkung oder des Wegfalls der Leistungen nach dem SGB II kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vor-schriften des XII. Buches. Die damit zum Ausdruck ge-kommene strenge Akzessorietät der Ansprüche des Ange-hörigen vom Hauptleistungsberechtigten in der Zuordnung bei den jeweils anwendbaren gesetzlichen Vorschriften – SGB II einerseits und SGB XII andererseits – hat zur Folge, dass zunächst regelmäßig das Nichtvorliegen oder Entfallen einer Anspruchsvoraussetzung beim Hauptleistungsberech-tigten im Rahmen des SGB II auch zum Ausschluss von

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Ansprüchen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft führt, jedenfalls keine ergänzenden Leistungen nach dem SGB XII rechtfertigt. Denn bei der Regelung in § 7 Abs. 5 SGB II handelt es sich um eine derartige typische Anspruchsvor-aussetzung im Sinne der genannten Vorschriften (vgl. zur strengen Akzessorietät der Ansprüche der Bedarfsgemein-schaft vom Hauptleistungsberechtigten: Valgolio in: Hauck/ Noftz, SGB II, Stand November 2004, § 7 Randnr. 17; Hen-gelhaupt in: Hauck/Noftz SGB II a.a.O., § 9 Randnr. 34).

Sind damit Ansprüche der Antragstellerin nach SGB XII dem Grunde nach schon ausgeschlossen, so sieht sich das Gericht wegen der bereits erörterten Zuständigkeitsproble-matik hinsichtlich der verschiedenen Kammern des Ge-richts daran gehindert, in der Sache zu evtl. Ansprüchen der Antragstellerin und ihrer Mutter nach dem SGB II ab-schließend Stellung zu nehmen. Nur ergänzend sei ange-merkt, dass die im Bescheid der Arbeitsgemeinschaft vom 8. Dezember 2004 zum Ausdruck gekommene strenge Ak-zessorietät der Ansprüche der Antragstellerin nach denen ihrer Mutter jedenfalls dann zweifelhaft erscheint, wenn man bedenkt, dass die Antragstellerin nicht über bereite und durchsetzungsfähigen Mittel verfügt, ihre Mutter dazu zu veranlassen, statt des Studiums einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Vielmehr deutet der Zusammenhang zwi-schen § 7 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 SGB II einerseits und der speziellen Regelung über die Absenkung und den Wegfall des Arbeitslosengeldes II in § 31 SGB II andererseits darauf hin, dass bei einem Entfallen des Anspruchs des Hauptleis-tungsberechtigten auf Leistungen nach dem SGB II zur Si-cherung des Lebensunterhalts nicht automatisch stets auch die mit ihm zusammenlebenden Angehörigen der Bedarfs-gemeinschaft von Leistungen ausgeschlossen werden sol-len. Hinzu kommt noch eine strukturelle Überlegung. Die Schaffung des neuen Rechts ab dem 1. Januar 2005 im Be-reich der sozialen Sicherung ist darauf angelegt, zukünftig es zu vermeiden, dass mehrere gesetzliche soziale Siche-rungssysteme für denselben Lebenssachverhalt bestehen, und dass möglichst alle Leistungen aus einer Hand erbracht werden sollen. Würde man im vorliegenden Falle davon ausgehen, bei der Gruppe der studierenden, aber erwerbsfä-higen Hauptleistungsberechtigten im Sinne des SGB II würden stets Ansprüche nach dem SGB XII einrücken, so würde das dazu führen, dass ein Hin- und Herschieben zwi-schen den jeweils verschiedenen zuständigen Leistungsträ-gern einsetzte. Dies zu vermeiden ist eines der Grundanlie-gen des neuen Rechts. Daher ist auch dann, wenn für den Hauptleistungsberechtigten wegen einer der dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung ein Leistungsausschluss eingreift, grundsätzlich die betreffende Bedarfsgemein-schaft in ihren Ansprüchen nach dem SGB II zu beurteilen.

Einsender: RiVG C. Wündrich, Oldenburg

§§ 5 Abs. 2, 7 Abs. 5, 21 Abs. 3, 28 SGB II; § 21 SGB XII Sozialgeld für minderjähriges Kind allein erziehender erwerbsfähiger Studentin

SG Oldenburg, Beschluss vom 11. 1. 2005, S 45 AS 2/05 ER

Leitsatz (der Redaktion):

1. Die minderjährigen, selbst nicht erwerbsfähigen Kin-der im Haushalt einer erwerbsfähigen allein erziehen-den Mutter, die wegen eines dem Grund nach förde-rungsfähigen Studiums nach § 7 Abs. 5 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebens-unterhalts hat, haben einen Anspruch auf Sozialgeld.

2. Der Ausschluss der Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhalts nach § 7 Abs. 5 SGB II erfasst auch den nicht ausbildungsbedingten Mehrbedarf für Al-leinerziehende (§ 21 Abs. 3 SGB BII).

Zum Sachverhalt:

Die im Jahre 1973 geborene Antragstellerin ist allein er-ziehende Mutter zweier Kinder und studiert. Neben den Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bezog sie bis zum 31. Dezember 2004 Mehrbe-darfsleistungen nach § 23 BSHG; ihre beiden Kinder bezo-gen bis Ende 2004 Hilfe zum Lebensunterhalt. Die zustän-dige ARGE lehnte den Antrag der Antragstellerin auf Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz ab, weil eine Härte im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II nicht vorliege und daher auch kein Anspruch auf Mehrbedarfsleistungen bestehe. Weil sie Studentin sei und damit zum ausgeschlos-senen Personenkreis nach § 7 Abs. 5 SGB II gehöre, sei demzufolge auch ein Anspruch auf Sozialgeld für die min-derjährigen Kinder der Antragstellerin nicht gegeben.

Aus den Gründen:

[…]

Der Antrag ist zulässig. Die Antragstellerin macht geltend, ihr Lebensunterhalt und der ihrer Kinder sei in naher Zu-kunft nicht mehr sichergestellt. Im Hinblick darauf, dass die Familie bis zum 31. Dezember 2004 Leistungen nach dem BSHG bezogen hat, bestehen an diesem Vorbringen und damit an der Eilbedürftigkeit einer Entscheidung des Ge-richts keine Zweifel. Ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache ist der Antragstellerin nicht zuzumuten.

Der Antrag ist jedoch nur teilweise begründet. Nach sum-marischer Prüfung geht das Gericht davon aus, dass die An-tragstellerin keinen Anspruch auf Mehrbedarfsleistungen gemäß § 21 SGB II hat. Diese Vorschrift regelt den Mehr-bedarf für werdende Mütter, für allein erziehende Personen, für behinderte Hilfebedürftige und für Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen eine kostenaufwendige Ernäh-rung benötigen. Voraussetzung für einen Anspruch auf Mehrbedarfsleistungen nach § 21 SGB II ist jedoch, dass die betreffende Person leistungsberechtigt nach § 7 SGB II ist (Linhart/Adolph/Gröschel-Gundermann, SGB II § 21 Anmerkung 12; vgl. auch Hauck/Noftz, SGB II § 21 An-merkung 2 und 3). Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 erhalten Leis-tungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet ha-ben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren ge-

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wöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Diese Vorausset-zung erfüllt zwar auch die Antragstellerin. Da sie sich je-doch im Studium befindet und Leistungen nach dem BA-föG erhält, hat sie keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies folgt aus der Aus-nahmevorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II, wonach Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundes-ausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förde-rungsfähig ist, keinen Leistungsanspruch haben. Damit entfällt auch ein eventueller Anspruch auf Mehrbedarfsleis-tungen nach § 21 SGB II. Auf die Tatsache, dass sich der Mehrbedarf aus der Alleinerziehung und nicht aufgrund der Ausbildung ergibt, kommt es dabei nicht an.

Auch eine besondere Härte im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II liegt nicht vor. Gemäß § 7 Abs. 5 Satz 2 können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhalts als Darlehen geleistet werden. Derartige be-sondere Umstände sind im vorliegenden Fall jedoch nicht ersichtlich und werden von der Antragstellerin auch nicht vorgetragen.

Nach alledem ist in Bezug auf die geltend gemachten Mehrbedarfsleistungen gemäß § 21 SGB II eine Anord-nungsanspruch nicht gegeben. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist daher insoweit zurückzuwei-sen.

Begründet ist der Antrag hingegen in Bezug auf den An-spruch auf Sozialgeld für die zwei minderjährigen Kinder der Antragstellerin. Die Antragstellerin ist nicht gehindert, derartige Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen. Dies folgt aus § 38 SGB II, wonach vermutet wird, soweit Anhaltspunkte nicht entgegenstehen, dass der erwerbsfähi-ge Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemein-schaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzu-nehmen. Diese aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und Verwaltugsökonomie in das Gesetz aufgenommene Vorschrift ist auch im gerichtlichen Verfahren anwendbar.

Der Anspruch auf Sozialgeld ergibt sich aus § 7 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Nr. 4 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Die Antragstellerin ist eine erwerbsfähige Hilfebedürftige im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Demzufolge sind gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 die Kinder der Antragstellerin an-spruchsberechtigt, denn nach dieser Vorschrift erhalten auch Personen Leistungen, die mit dem erwerbsfähigen Hil-febedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Zur Be-darfsgemeinschaft gehören u.a. der erwerbsfähige Hilfebe-dürftige selbst (§ 7 Abs. 3 Nr. 1) und die dem Haushalt angehörenden minderjährigen, unverheirateten Kinder des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, soweit sie nicht aus eige-nem Einkommen oder Vermögen die Leistungen zur Siche-rung ihres Lebensunterhalts beschaffen können (§ 7 Abs. 3

Nr. 4). Danach bilden die Antragstellerin und ihre zwei minderjährigen Kinder eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Gesetzes. Der Umstand, dass die Antragstellerin selbst aufgrund der Sondervorschrift des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II keinen Leistungsanspruch hat, steht dem nicht entgegen. Die Bedarfsgemeinschaft als solche bleibt hiervon unbe-rührt. Damit haben die Kinder der Antragstellerin Anspruch auf Sozialgeld gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Das Sozialgeld umfasst die sich aus § 19 Satz 1 Nr. 1 erge-benden Leistungen (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Dies sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ein-schließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensun-terhalts beträgt im Rahmen des Sozialgeldes im vorliegen-den Fall 60 vom Hundert der nach § 20 Abs. 2 maßgeben-den Regelleistungen, hier für jedes Kind 207,00 € pro Monat, wobei Einkommen, insbesondere Kindergeld, nach Maßgabe des § 11 SGB II zu berücksichtigen ist. Ferner sind als Sozialgeld die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu zahlen. Dabei sind die Unterkunftskosten nach der Anzahl der Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft auf-zuteilen (Hauck/Noftz, SGB II § 22 Anmerkung 5). Da im vorliegenden Fall drei Personen in der Haushaltsgemein-schaft (Bedarfsgemeinschaft) leben, erhält jedes Kind im Rahmen des Sozialgeldes ein Drittel der angemessenen Un-terkunftskosten.

Einsenderin: Ri’inSG Lücking, Oldenburg

Hinweis der Redaktion:

Zur Absicherung des Lebensunterhalts der Kinder allein er-ziehender Auszubildender s.a. vorstehend abgedruckten Be-schluss des VG Oldenburg vom 10. 1. 2005.

Zu § 26 BSHG, der Vorbild für die Regelung des § 7 Abs. 5 SGB II war, hat das Bundesverwaltungsgericht in gefestig-ter Rechtsprechung (seit BVerwGE 61, 352), der die Kom-mentarliteratur zum BSHG gefolgt ist, dahin entschieden, dass vom Leistungsausschluss nur der ausbildungsgeprägte Bedarf (inkl. der allgemeine Lebensunterhalt) erfasst wird, nicht hingegen der nicht ausbildungsgeprägte Bedarf ein-schließlich der Leistungen für Kindererziehung und -pflege (so auch Brühl, in: LKP SGB II § 7 Rn. 70 f.). Diese Recht-sprechung ist auf § 7 Abs. 5 SGB II zu übertragen: der Ge-setzgeber hat den zunächst umfassend formulierten Leis-tungsausschluss (BT-Drs. 15/1516) dem § 22 SGB XII angepasst (BT-Drs. 15/1749, 31), durch den der Gesetzge-ber „inhaltsgleich den bisherigen § 26 des Bundessozialhil-fegesetzes“ übernommen hat (BT-Drs. 15/1514, 57). Die für eine Beschränkung auf den Ausschluss nur des ausbil-dungsgeprägten Bedarfes streitenden Sachgründe (insb. Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip, beim Mehrbedarf für Alleinerziehende auch Art. 6 GG) gelten gegenüber § 7 Abs. 5 SGB II unverändert fort.

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Entscheidungen zum Sozialhilferecht (BSHG/SGB XII)

§§ 11, 12 BSHG; § 3 RegelsatzVO Angemessenheit von Kosten der Unterkunft

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15. 3. 2004 – 12 A 714/03

Leitsätze (des Gerichts):

1. Unterkunftskosten sind im Sinne des § 3 der Regel-satzVO angemessen, wenn sie das Produkt aus dem Betrag der noch angemessenen Wohnungsgröße in Quadratmetern und dem noch angemessenen Miet-zins je Quadratmeter nicht übersteigen.

2. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Woh-nungsgröße ist – abweichend von den in den Verwal-tungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zum Wohnungsbindungsrecht angegebenen maxima-len Quadratmeterwerten – auf eine zur Deckung des Wohnbedarfs des jeweiligen Haushalts ausreichende Wohnungsgröße abzustellen, wenn entsprechende Wohnungen auf dem örtlichen Wohnungsmarkt tat-sächlich verfügbar sind. Hierfür trifft den Sozialhilfe-träger die Darlegungs- und Beweislast.

Zum Sachverhalt:

Die Kläger, eine Familie mit 9 Kindern, bewohnten eine 104,32 qm große, erstmals zum 1. 1. 1997 bezugsfertig ge-wordene Wohnung am T.-Weg im Zuständigkeitsbereich der Beklagten, für die eine Gesamtmiete von monatlich 1875,20 DM (davon 156,50 DM Heizkosten sowie 313 DM Umlagen für Nebenkosten) zu entrichten war. Ausweislich des örtlichen Mietspiegels liegt der T.-Weg im Rahmen der Bewertung von Wohnlagen nach sehr gut, gut, mittel und einfach in der Kategorie »mittel«. Die Kläger erhielten kei-ne laufenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt, weil der Regelbedarf durch Einkommen (Leistungen nach dem SGB III, Kindergeld und Wohngeld) gedeckt war. Die Beklagte lehnte einen Antrag der Kläger auf Bewilligung einer Weihnachtsbeihilfe mit der Begründung ab, der Be-darf der Familie für das Weihnachtsfest könne aus dem den Bedarf übersteigenden Einkommen gedeckt werden. Bei der Bedarfsberechnung seien Unterkunftskosten nicht in tatsächlicher Höhe, sondern lediglich in dem angemessenen Umfang zu berücksichtigen. Anzuerkennen seien danach Unterkunftskosten in Höhe von 1257,06 DM (104,32 qm x 12,05 DM) zuzüglich 156,50 DM Heizkosten. Auf den Wi-derspruch der Kläger bewilligte der Beklagte wegen verän-derter Einkommenspositionen eine Weihnachtsbeihilfe in Höhe von 84 DM und hielt daran fest, dass bei der Berech-nung des Einkommensüberhanges, aus dem die Aufwen-dungen für das Weihnachtsfest sowie in anderen Bedarfs-zeiträumen andere einmalige Bedarfe zu decken seien, nicht

die tatsächlichen, sondern lediglich die angemessenen Kos-ten der Unterkunft zu berücksichtigen sind. Das VG wies die Klage ab. Die zugelassene Berufung der Kläger hatte teilweise Erfolg.

Aus den Gründen:

Die Bedarfsberechnung der Beklagten ist im Wesentlichen zutreffend, sie ist lediglich in Bezug auf den Umfang der berücksichtigten Unterkunftskosten zu beanstanden.

Die Angemessenheit der Unterkunftskosten unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Über-prüfung. Das zuständige Gericht überprüft, ob die Woh-nungskosten angemessen im Sinne der §§ 11, 12, 22 BSHG – hier maßgeblich in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. 3. 1994 (BGBl. I S. 646) i.V.m. § 3 der Verord-nung zur Durchführung des § 22 BSHG vom 20. 7. 1962 (BGBl. I S. 515) in der durch Gesetz vom 23. 7. 1996 – BGBl. I S. 1088 geänderten Fassung – RegelsatzVO – sind. Maßgeblich für die Höhe der Unterkunftskosten sind im Regelfall, in dem eine von einem Dritten gemietete Woh-nung bewohnt wird, die Wohnfläche sowie der Mietzins je Quadratmeter Wohnfläche. Hierbei ist davon auszugehen, dass sich die Höhe des vereinbarten Mietzinses – neben der allgemeinen Lage bzw. hier nicht zu berücksichtigenden Faktoren individueller Mietpreisüberhöhung – im Wesentli-chen nach dem Wohnungsstandard, d.h. wohnwertrelevan-ten Faktoren wie Ausstattung, Alter der Bausubstanz und Wohnlage richtet.

Die so genannte »Kombinationstheorie« stellt auf eine Würdigung dieser Einzelmerkmale ab und kommt in Fällen, in denen der Mietzins je Quadratmeter (auch bei einer die Grenze des Angemessenen deutlich unterschreitenden Wohnungsfläche) als unangemessen zu werten ist, zur Un-angemessenheit der Unterkunftsaufwendungen.

So etwa Rothkegel, ZfSH/SGB 2002, 585, 657, S. 663 ff.

Ein solcher Fall liegt hier vor.

Auf der Grundlage der »Kombinationstheorie« erweisen sich die Aufwendungen für die Unterkunft der Kläger, die keine Bemühungen um eine andere Unterkunft nachgewie-sen haben, als unangemessen, weil der Mietzins je Quad-ratmeter bei weitem über dem Maß des sozialhilferechtlich Angemessenen liegt. Er beläuft sich auf »bruttokalt« 16,47 DM (Miete ohne Heizkosten aber incl. sonstiger Nebenkos-ten = 1718,70 DM /104,32 qm), »nettokalt« auf 13,47 DM (1405,70 DM/ 104,32 qm). Dieser Betrag ist ungeachtet der Frage der Angemessenheit der Nebenkosten und ihrer Be-deutung für die Beurteilung der Angemessenheit der Unter-kunftskosten nach den maßgeblichen Grundsätzen eindeutig unangemessen.

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Bei der Beurteilung der Angemessenheit des Mietzinses je Quadratmeter ist nicht auf den jeweiligen örtlichen Durch-schnitt aller gezahlten Mietpreise, sondern auf die Beträge abzustellen, die im unteren Bereich des Wohnungsmarktes für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeemp-fängers marktüblich sind.

Vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 17. 11. 1994 – 5 C 11.93 -, FEVS 45, 363, sowie OVG NRW, Beschluss vom 22. 3. 2000 – 22 B 36/00 –, jeweils m.w.N.

Dies ist dahin zu verstehen, dass nicht die unterste Grenze, d. h. der Mindestbetrag, zu dem noch Wohnraum vermietet wird, maßgeblich ist, sondern ein Betrag innerhalb einer Spannbreite für einfache Wohnungen älterer Bauart verein-barter Mieten.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. 3. 2000, a.a.O.

Danach kommen hier bei der gebotenen Heranziehung des Mietpreisspiegels 2000 für die Stadt C. als Bezugsgröße in erster Linie die Mietwerte vergleichbar großer Wohnungen in der Spalte 1 – einfache Wohnlage – sowie in gewissem Umfang auch der mittleren Wohnlage bei einfacher Aus-stattung und älterem Baujahr in Betracht. Die Mietwerte dieser Bereiche liegen sämtlich zwischen knapp 8 bis etwas über 10 DM (»nettokalt«). Beträge, die der Größenordnung des für die Wohnung der Kläger vereinbarten Mietzinses ab 13 DM entsprechen, finden sich erst in der Kategorie sehr gut ausgestatteter Neubau-Wohnungen in mittlerer Lage bzw. guten Wohnlagen.

Dem entspricht in etwa bei Addition durchschnittlicher Be-träge für sonstige Nebenkosten der von der Beklagten zugrunde gelegte Betrag einer noch angemessenen Miete von »bruttokalt« 12,05 DM, wobei letztlich dahinstehen mag, ob der Betrag exakt zutreffend ist. Legt man diesen Betrag zugrunde, ist die tatsächliche Miete der Kläger je Quadratmeter Wohnfläche nicht mehr angemessen.

Diese Wertung ist indes nicht zugrunde zu legen.

Vielmehr ist auf das Produkt aus angemessener Wohnfläche und angemessenem Quadratmetermietzins abzustellen – sog. »Produktmethode« –.

So auch OVG NRW, Beschluss vom 7. 9. 1995 – 24 B 2057/95 –, S. 9 des Beschlussabdrucks; BayVGH, Be-schluss von 29. 4. 1999 – 12 CE 98.2658 –, FEVS 51, 116, und Beschluss vom 15. 10. 1993 – 12 CE 93.2538 –, FEVS 45, 159; Berlit, Anmerkung zur Entscheidung des Senats vom 10. 10. 2001 – 12 E 478/00 –, info also 2002, 232, so-wie Anmerkung zum Urteil des BVerwG vom 28. 11. 2001 – 5 C 9.01 –, info also 2002, 128; Paul, ZfSH/SGB 1997, 724/729; Hofmann, in: Lehr- und Praxiskommentar zum BSHG, 6. Aufl., Rz. 23 zu § 12; Wenzel, in Fichtner, BSHG, 2. Aufl., Rz. 10 zu § 12.

Hierfür spricht zunächst der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Regel-satzVO. Danach werden bei Zusammenschau der beiden ersten Sätze laufende Leistungen für die Unterkunft ge-währt, soweit sie den der Besonderheit des Einzelfalls an-

gemessenen Umfang nicht übersteigen. Das heißt, dass So-zialhilfe grundsätzlich nur für angemessene Kosten der Unterkunft gewährt wird.

Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 14. 9. 2001 – 12 A 4923/99 –, NVwZ-RR 2002, 441 m.w.N.

Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 der RegelsatzVO stellt mithin auf die Angemessenheit der »Unterkunftskosten« als den die Gewährung im Umfang der tatsächlichen Kosten be-grenzenden Parameter ab. Nach dieser Bestimmung drängt sich nicht auf, die Betrachtung von einzelnen, für die Höhe des Produkts konstitutiven Faktoren maßgeblich sein zu lassen.

Allerdings ist bei der Auslegung und Anwendung der Ver-ordnung der durch die gesetzliche Ermächtigung in § 22 BSHG gesetzte Rahmen und der Zweck des ermächtigen-den Gesetzes zu berücksichtigen. Letztlich ist Grundlage der Regelungen über die Gewährung von Unterkunftskos-ten § 11 in Verbindung mit § 12 BSHG, wonach zum not-wendigen Lebensunterhalt auch »die Unterkunft« zählt. Ei-ne Abweichung von diesem Maßstab ist durch § 22 Abs. 5 BSHG nicht vorgesehen. Zwar kann danach, wie es in §§ 1, 3 der RegelsatzVO geschehen ist, für die von der Gewäh-rung nach Regelsätzen ausgenommenen laufenden Leistun-gen für die Unterkunft hinsichtlich ihrer Gestaltung »Nähe-res« bestimmt werden. Dies vermag aber nichts daran zu ändern, dass es um einen Unterkunftsbedarf und nicht le-diglich einen Bedarf an Kosten für die Unterkunft geht.

Vgl. zu diesem auf einen »Sachbedarf« abstellenden Ansatz auch Schmidt, NVwZ 1995, 1041ff.

Daraus kann indes nicht abgeleitet werden, dass eine iso-lierte Untersuchung einzelner Merkmale der jeweiligen Wohnung unter dem Blickwinkel sozialhilferechtlicher An-gemessenheit geboten und deren je einzelne sozialhilfe-rechtliche »Angemessenheit« notwendige Voraussetzung für die Kostenübernahme wäre.

So aber offenbar der Ansatz von Rothkegel, a.a.O. S. 663 ff.

Stattdessen sind vielmehr die verschiedenen Angemessen-heitskriterien in eine Gesamtbetrachtung einzustellen und gegen- sowie miteinander abzuwägen.

Vgl. Schmidt, a.a.O., S. 1044.

Der sachliche Bedarf an »Unterkunft« kann unter Berück-sichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls auf unter-schiedliche Weise angemessen gedeckt werden. Dies kann in der Weise geschehen, dass eine Wohnung mit (noch) angemessener Größe und dem anzuerkennenden Woh-nungsstandard genutzt wird. Dem gleichzustellen ist eine Bedarfsdeckung durch eine Wohnung mit geringerer Wohnfläche und etwas gehobenerem Wohnungsstandard hinsichtlich Ausstattung, Wohnlage oder Alter der Bausub-stanz.

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Zwischen diesen Alternativen wählen zu dürfen ist zwar nicht durch das Wunsch- und Wahlrecht des Hilfeempfän-gers nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BSHG gewährleistet. Es bezieht sich nämlich nur auf die Auswahl zwischen verschiedenen Alternativen der Bedarfsdeckung, die jeweils im Bereich des notwendigen Bedarfs liegen,

vgl. Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Aufl., Rz. 14 zu § 3, m. w. Nachw.,

und kann deshalb nicht unmittelbar für die Bestimmung des zu deckenden Bedarfs herangezogen werden. Ein Verständ-nis des Begriffs des sozialhilferechtlichen Bedarfs an »Un-terkunft«, das eine gewisse Auswahl des Hilfeempfängers hinsichtlich verschiedener Wohnungen gleicher Preislage bei Unterschieden der preisbildenden Faktoren erlaubt, ent-spricht aber den Vorgaben der für die Bedarfsbemessung konstitutiven Bestimmung des § 3 Abs. 1 BSHG. Danach richten sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalls, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen. Diese Bedarfsbemessung nach § 3 Abs. 1 BSHG ist nicht zwingend allein auf objektive Aspekte be-schränkt. Mit Blick auf den Grundsatz des § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG, wonach die Sozialhilfe die Führung eines Lebens ermöglichen soll, das der Würde des Menschen entspricht, ist der Bedarfsbegriff in § 3 Abs. 1 BSHG für eine Beein-flussung durch subjektive Präferenzen des Hilfeempfängers in dem vorgenannten Umfang offen.

Nach der demnach vorzugswürdigen »Produktmethode« sind die Aufwendungen für die Unterkunft der Kläger an-gemessen, weil sie deutlich unterhalb des Betrages liegen, der sich ergibt, wenn die maximal angemessene Wohnflä-che von 195 qm mit einem angemessenen Quadratmeter-preis von etwa 12,– DM (»brutto-kalt«) multipliziert wird.

Bei der Bestimmung des sozialhilferechtlich angemessenen Wohnraumbedarfs in Bezug auf die Fläche wird in der Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auf die für Wohnberechtigte im sozialen Woh-nungsbau anerkannten Wohnraumgrößen zurückgegriffen. Diese Obergrenzen dürfen in der Regel nicht überschritten werden, soll es sich noch um eine angemessene Wohnungs-größe im Sinne des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO handeln.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. 11. 1994, a.a.O.

Die danach für elf Personen maximal zu berücksichtigende Wohnfläche beträgt 195 qm (vgl. Ziffer 5.21 Buchst. b der Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz (SMBl. 238).

Allerdings sind nicht ausnahmslos bei der Ermittlung der »abstrakt« angemessenen Unterkunftskosten in die Berech-nung die vorgenannten Wohnflächen nach den Verwal-tungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zum Wohnungsbindungsgesetz einzustellen. Vielmehr kann nach den Besonderheiten des örtlichen Wohnungsmarktes auch eine geringere Fläche anzusetzen sein. Insbesondere bei sehr kleinen Haushalten kommt je nach Lage des Woh-nungsmarkts die Berücksichtigung einer geringeren Fläche

in Betracht. Das wird dann der Fall sein, wenn nach den Verhältnissen auf dem örtlichen Wohnungsmarkt Wohnun-gen mit der für den jeweiligen Haushalt erforderlichen An-zahl an Zimmern entsprechend den genannten Vorschriften (ein Zimmer je Person) vorhanden sind, die zu einem je Quadratmeter angemessenen Mietzins vermietet werden. Insoweit obliegt aber dem örtlichen Träger der Sozialhilfe die Darlegung dafür, dass in seinem Bereich nach diesen örtlichen Besonderheiten von einer geringeren Wohnfläche ausgegangen werden darf als nach den Obergrenzen des Wohnungsbindungsrechts vorgesehen. Auch auf dieser Grundlage ist allerdings hier von einer Wohnfläche von 195 qm bei der Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten nach der Produktmethode auszugehen. Denn die Beklagte hat nicht aufgezeigt, dass auf dem Wohnungsmarkt der Stadt C. für 11 Personen ausreichende Wohnungen unter-halb einer Wohnflächenobergrenze von 195 qm vorhanden waren, die bei Zugrundelegung eines angemessenen Miet-zinses je Quadratmeter weniger als die Wohnung der Klä-ger gekostet hätten.

Einsender: Veröffentlichungskommission der Richter des OVG NRW

Hinweis der Redaktion:

Das methodische Problem der zutreffenden Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft stellt sich auch bei § 22 Abs. 1 SGB II und § 29 SGB XII. Die zum 1. 1. 2005 geschaffenen unterschiedlich ausgestalteten Möglich-keiten zur (abgeltenden) Pauschalierung auch von Kosten der Unterkunft (§ 27 Nr. 1 SGB II; § 29 Abs. 2 SGB XII) bestätigen die vom OVG herangezogene Produktmethode.

Die Beklagte hat die von dem OVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision eingelegt. Das Revisions-verfahren ist unter dem Aktenzeichen BVerwG 5 C 17.04 anhängig.

§ 2 Abs. 1, 11 ff. BSHG Selbsthilfe durch Rückkehr in Haushalt der Eltern

Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 12.8.2004 – 2 L 631/04 –

Leitsätze (des Einsenders):

Eine mittellose Antragsstellerin trifft keine Pflicht, im Rahmen der Selbsthilfe nach § 2 Abs. 1 BSHG in den Haushalt ihrer Eltern zurückzukehren, weil sie dort die erforderliche Hilfe von anderen Angehörigen erhalten könnte.

Die Auffassung, die Bereitschaft der Eltern, diese An-tragstellerin wieder in ihre Wohnung aufzunehmen, sei ein Fall des § 1612 BGB, was die Betreffende zu einer Rückkehr in den elterlichen Haushalt verpflichtet, ist un-

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zutreffend, sofern die Eltern zur Bestreitung ihres Le-bensunterhalts selbst in vollem Umfang von Hilfe zum Lebensunterhalt abhängig sind.

Aus den Gründen:

Soweit der Antrag hinsichtlich des Zeitraums vom 9. Juli 2004 bis 31. August 2004 zulässig ist, ist er auch begrün-det. ...

Der Antragsgegner ist hier nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG der örtliche zuständige Sozialhilfeträger, da die Antragstelle-rin sich tatsächlich in B. aufhält. Sie unterliegt auch keiner durch anderweitige gesetzliche Regelungen verordneten Verpflichtung zur Wohnsitznahme in einem anderen Bundes-land (mehr). Sie ist zwar mit ihren Eltern als Spätaussiedlerin am 10. Juni 2001 in die Bundesrepublik eingereist und war am 12. Juni 2001 nach Schleswig-Holstein zur Wohnsitz-nahme verteilt worden. Aus dieser Zuweisungsentscheidung herrührenden Beschränkungen der Freizügigkeit unterliegt sie aber im hier maßgeblichen Zeitraum nicht mehr.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist die An-tragstellerin im Rahmen der Selbsthilfe nach § 2 Abs. 1 BSHG auch nicht verpflichtet, in den Haushalt ihrer Eltern nach M. (Schleswig-Holstein) zurückzukehren, weil sie dort die erforderliche Hilfe von anderen Angehörigen erhal-ten könnte. Die dem Bescheid vom 11. Juni 2004 zugrunde liegende Auffassung, die Bereitschaft der Eltern, die An-tragstellerin wieder in ihre Wohnung aufzunehmen, sei ein Fall des § 1612 BGB und verpflichte sie zur Rückkehr in den elterlichen Haushalt, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Nach der letztgenannten Vorschrift können die Eltern, die einem unverheirateten Kind Unterhalt zu gewäh-ren haben, bestimmen, ob sie diesen in Form einer Geldren-

te oder in Form von Naturalunterhalt in ihrem Haushalt leisten. In jedem Fall setzt die Ausübung des elterlichen Unterhaltsbestimmungsrechts die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten voraus. Daran fehlt es hier, da die Eltern bei der Bestreitung ihres Lebensunterhalts selbst in vollem Umfang von Sozialhilfe abhängig sind. Sind die El-tern aber aufgrund der persönlichen Verhältnisse nicht in der Lage, Unterhalt zu leisten, ist für ein Unterhaltsbestim-mungsrecht kein Raum.

Da die Antragstellerin mit dem vorliegenden Antrag nicht einmal Unterkunftskosten geltend macht, sind hier auch keinerlei Einsparungen für öffentliche Kassen ersichtlich, die sich hier noch nicht einmal für den Antragsgegner, son-dern allenfalls für den zuständigen örtlichen Sozialhilfeträ-ger in Schleswig-Holstein ergeben könnten, der voraus-sichtlich nach § 107 BSHG auch die Kosten für die in B. für die Antragstellerin zu erbringende Sozialhilfe zu erstat-ten hat.

Die Antragstellerin erfüllt auch im Übrigen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Hilfegewährung. Danach ist Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem seinem Einkommen und Vermögen beschaffen kann. Zweifel an der Bedürftigkeit der Antragstellerin sind weder ersichtlich noch vom Antragsgegner vorgetragen.

Die Hilfegewährung erfolgt auch nur für einen überschau-baren Zeitraum, da die Antragstellerin ab dem 6. September 2004 die Abendrealschule in B. besuchen will. Sie hat daneben Gelegenheit, durch eigene Halbtagstätigkeit oder BAföG ihren Lebensunterhalt sicherzustellen.

Einsender: Dr. Manfred Hammel (Caritas Stuttgart)

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Für Sie gelesen Zeitschriften- und Rechtsprechungsübersicht

Zum Arbeitslosenrecht und Sozialhilferecht existiert ein für die Interessenten schwer zugänglicher und zersplitter- ter Markt von Veröffentlichungen. In der Rubrik »Für Sie gelesen« wird fortlaufend über wichtige Gerichtsentschei-dungen und Abhandlungen zum Arbeitslosenrecht und zum Sozialhilferecht berichtet. Das Abkürzungsverzeichnis für die Zeitschriften findet sich ab Heft 1/2003 im Jahresregister.

Arbeitsförderung (SGB III)

Rechtsprechung

• Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nach Bera-tungsfehlern des Sozialamts

Wird aufgrund unzureichender bzw. fehlerhafter Beratung durch das Sozialamt verspätet der Anspruch auf Arbeitslo-senhilfe geltend gemacht, wird dieses Versäumnis der Agen-tur für Arbeit zugerechnet und die Leistungsberechtigte ist im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als sei sie richtig beraten worden und hätte ihre Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht.

SG Berlin, Urteil vom 6. 2. 2004 – S 58 AL 2107/03 Streit 2004, Heft 3, S. 123 – 124

• Härtefall bei einem nutzlosen Vorstellungsgespräch (§ 144 Abs. 3 SGB III)

Ein Härtefall nach § 144 Abs. 3 SGB III a.F. liegt in einem unverschuldeten Irrtum über das Vorliegen der Vorausset-zung einer Sperrzeit. Ein solcher Irrtum kann u.a. dann an-genommen werden, wenn der Arbeitslose ein Vorstellungs-gespräch bei einem Arbeitgeber deshalb nicht wahrnimmt, weil er konkret weiß, dass die Firma für ihn sowieso keine geeignete Arbeit hat.

SG Frankfurt, Urteil vom 10. 10. 2002 – S-1/7/AL-337/01 ASR 2004, Heft 1, S. 25 – 26

Aufsätze

• Sperrzeit und Abwicklungsvertrag (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III)

Jobst-Hubertus Bauer und Steffen Krieger erläutern unter dem Titel »Das Ende der außergerichtlichen Beilegung von Kündigungsstreitigkeiten« das Urteil des Bundessozialge-richts vom 18. 12. 2003 – B 11 AL 35/03 R (info also 2004, Heft 4, S. 169), die Rechtsfolgen der Entscheidung für den Abwicklungsvertrag und alternative Gestaltungsmöglich-keiten. Sie führen abschließend aus, dass das Urteil das weitgehende »Aus« für den echten Abwicklungsvertrag be-deute. Die Herbeiführung einer den Interessen der Parteien entsprechenden Regelung werde hierdurch auf das arbeits-gerichtlicher Verfahren verschoben, weil ein gerichtlicher Vergleich anders als eine außergerichtliche Abwicklungs-vereinbarung nach wie vor keine Sperrzeit auslösen könne. Dies sei gleichwohl nicht das Ende jeglicher außergerichtli-cher Streitbeilegung. Keinen Sperrzeittatbestand erfülle ein Vorgehen nach § 1 a KSchG, so dass die Entscheidung des BSG dieser Vorschrift helfen könnte, aus dem ihr allseits prophezeiten »Mauerblümchen-Dasein« zu treten. Eine Sperrzeit könne aber auch dann nicht eintreten, wenn eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Hinnahme einer Kündigung durch Verstreichenlassen der Klagefrist zustande komme, also der echte Abwicklungsvertrag mit einer Annahme nach § 151 BGB kombiniert werde.

NZA 2004, S. 640 – 642

• Rechtsnatur der Bundesagentur für Arbeit (§ 367 Abs. 1 SGB III)

Neben der nominalen Umbenennung brachte das Dritte Ge-setz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (»Hartz- SGB III«) u.a. auch eine Neufassung des § 367 SGB III. Während § 367 Satz 1 SGB III in der bis zum 31. 12. 2003 geltenden Fassung lautete: »Träger der Arbeitsförderung ist die Bundesanstalt für Arbeit als rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung (Bundesan-stalt)«, bestimmt § 367 Abs. 1 SGB III n.F. nunmehr: »Die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur) ist eine rechts-fähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstver-waltung«.

Mit dieser Gesetzesänderung befasst sich Christoph Wai-bel (»Neues zur Rechtsnatur der Bundesagentur für Ar-beit«). Er gelangt zu der Auffassung, dass § 367 Abs. 1 SGB III in der Fassung durch Hartz-III für die Bundesagen-tur für Arbeit trotz des Unterschiedes im Wortlaut keine in-haltliche Änderung gegenüber der bisherigen Gesetzeslage

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bewirke, die Nom verleihe ihr nicht den Status einer Kör-perschaft des öffentlichen Rechts im verwaltungswissen-schaftlichen Sinn.

Der Begriff der »Körperschaft« im § 367 SGB III knüpfe zunächst an einen vom § 29 Abs. 1 SGB IV abweichenden Wortsinn an; er sei insoweit Folge eines (veralteten) an-derweitigen Sprachgebrauches im seinerzeitigen § 1 Abs. 3 AVAVG, der Körperschaft synonym mit allen Verwal-tungseinheiten verwende, die als juristische Personen des öffentlichen Rechts organisatorisch und rechtlich gegenüber dem Staat verselbständigte Einrichtungen seien. Jener Sprach-gebrauch liege auch dem Körperschafsbegriff in der Orga-nisations- und Kompetenznorm des Art. 87 Abs. 2 GG zu Grunde. Demgegenüber meine § 29 Abs. 1 SGB IV (dekla-ratorisch) mit Körperschaften solche im engeren (verwal-tungswissenschaftlichen) Sinn, die definitorisch ihre (de-mokratische) Legitimation für ihr autonomes Handeln aus ihrer mitgliedschaftlichen (gruppenplural-partizipatorischen) Verfassung ableiteten.

Rechtsnatur des nur ungenau mit »Körperschaft« bezeich-neten Gebildes sei eine Einrichtung sui generis, die außer-halb der klassischen Verwaltungstermini der Anstalt bzw. der Körperschaft i.e.S. stehe: Sie beinhalte »körperschafts-ähnliche« Elemente insbesondere in Form der bei ihr ver-wirklichten (formalen) Selbstverwaltung (»intermediäre« Anstalt), darüber hinaus seien ihr neuartige Formen staatli-cher Steuerung (insbesondere im Rahmen des sog. »Kon-traktmanagements«) Eigen. Diese unterscheide sich wesent-lich von der anstaltstypischen Aufsichtssteuerung.

Dieser eigenständige Rechtscharakter der neuen Einrich-tung werde im neuen Organisationsrecht der Bundesagentur für Arbeit, vor allem in den Bestimmungen des § 1 Abs. 3 SGB III und des § 77 a Satz 3 SGB IV manifest. Der Ge-setzgeber habe somit einen neuen Typus einer Verwal-tungseinrichtung kreiert, nämlich die rechtsfähige »(Bun-des-)Agentur öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung«.

• Verfassungsmäßigkeit der Hartz-Gesetze

Die Sozialleistungskürzungen im Sozialstaat behandelt Fritz Riege unter verfassungsrechtlichem Blickwinckel. Zusammenfassend führt er aus, dass das Gesetzeswerk zur Agenda 2010 einschließlich der vier »Hartz-Gesetze« nicht gegen das Sozialstaatsgebot der Art. 20 und 28 Grundgesetz verstoße. Die Exekutive müsse jedoch darauf achten, dass bei der vorgesehenen strengeren Einhaltung des Gebots zur Wirtschaftlichkeit im Sozial- und Gesundheitswesen Deutschlands nicht Sozialleistungsansprüche insbesondere in der Sozialhilfe im Einzelfall verweigert würden. Das Gleiche gelte bei qualitativen Versorgungsverschlechterun-gen in der sozialen und gesundheitlichen Infrastruktur durch das Setzen unangemessener Kostenrahmen für Sozi-al- und Gesundheitsleistungen.

ZfS 2004, Heft 5, S. 142 – 147

Udo Geiger, Ulrich Stascheit, Horst Steinmeyer, Hedi Vogel, Ute Winkler

Grundsicherung für Arbeit-suchende (SGB II)

• SGB II – Grundsicherung für Arbeitssuchende

Für die Leser der verbreitetsten juristischen Fachzeitschrift stellt Johannes Münder die Neuregelungen in komprimier-ter Form vor. Schwankend wie der Gesetzgeber hält er den workfare-Ansatz sozialpolitisch für sinnvoll, wenn er ge-zielt die Kompetenz von Leistungsempfängern fördert, je-doch als problematisch, soweit aktivierende Konzepte im Sinne eines privatisierten Wohlfahrtsverständnisses eher den Abbau von Leistungen euphemistisch umschreiben.

NJW 2004, Heft 45, S. 3209 – 3214

• Vergleich zwischen SGB XII und SGB II (Stand: 1. 9. 2004)

In instruktiver, übersichtlicher Tabellenform stellt Peter- Christian Kunkel in systematischer Gliederung die Rege-lung des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Er-werbsminderung; Hilfe zum Lebensunterhalt; besondere Hilfe) und des SGB II (Sicherung des Lebensunterhalts) gegenüber. Der Vergleich zielt auf einen ersten Überblick, nicht auf kommentierende Analyse.

ZfF 2004, Heft 10, S. 241 – 247

• SGB II und Unterhaltsrecht

Das Verhältnis der Grundsicherung für Arbeitssuchende zum Unterhalt behandelt Frank Klinkhammer. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass die Regelung des Unterhaltsan-spruchsübergangs im SGB II (§ 33) nur als eine bedauerli-che Fehlleistung des Gesetzgebers bezeichnet werden kann, welche die Praxis bei dieser Schnittstelle zwischen Unter-halts- und Sozialrecht um mehr als ein Jahrzehnt zurück-wirft.

FamRZ 2004, Heft 24, S. 1909 – 1918

• Die Rechtmäßigkeit von Hausbesuchen

Der empirisch nicht belegte Generalverdacht erheblichen »Sozial(hilfe)missbrauchs« und eine veränderte Kassenla-gen haben in den letzten Jahren zu intensiveren Bedarfsprü-fungen »vor Ort« und Errichtung/Verstärkung eigener Prüf- und Ermittlungsdienste geführt. Die weit reichende Pau-schalierung einmaliger Leistungen im SGB II/SGB XII mildert die Probleme rund um Hausbesuche, die der Beitrag von Julia Mester behandelt, hebt sie indes nicht auf. Zu Recht wird für das Aufklärungsmittel der Augenscheinein-nahme die Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Freiwilligkeitsprinzip hervorgehoben und klarge-stellt, dass die Mitwirkungsobliegenheiten der §§ 60 ff.

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SGB I nicht die Duldung eines (gar unangemeldeten) Haus-besuches umfassen.

ZfF 2004, Heft 10, S. 247 – 252

• Job-Center (SGB II, SGB III)

Claus Reis und Heiner Brülle stellen auf dem Hintergrund der gesetzlichen Neuregelungen im SGB III und SGB II drei Varianten der Arbeitsorganisation im Job-Center zur Diskussion.

NDV 2004, Heft 5, S. 159 – 167

Der Deutsche Verein fordert, besonders die Familien-freundlichkeit in Job-Centern zu gewährleisten.

NDV 2004, Heft 11, S. 365 – 367

Harald Christa stellt die Ergebnisse einer Kundenbefra-gung im Leipziger Modellprojekt »JOBChancen« für lang-zeitarbeitslose Sozialhilfeempfänger dar und entwickelt Ansätze der Servicequalität in der Arbeitsverwaltung.

NDV 2004, Heft 12, S. 414 – 418

• Fallmanagement (§ 14 SGB II)

Dem Fallmanagement kommt bei der Umsetzung des im SGB II verankerten Grundsatzes von Fördern und Fordern eine zentrale Rolle zu. Fall- oder Case-Management ist ein kooperativer Prozess, in dem Versorgungsangebote und Dienstleistungen erhoben, geplant, implementiert, koordi-niert, überwacht und evaluiert werden, um so den individu-ellen Versorgungsbedarf eines Klienten mittels Kommuni-kation und verfügbarer Ressourcen abzudecken. Dieser Auftrag ist noch genauer zu bestimmen und seine inhaltli-che Ausgestaltung zu präzisieren. Der Deutsche Verein hat Empfehlungen zu Qualitätsstandards für das Fallmanage-ment verabschiedet, die die Aufgaben, Prozessschritte und Kompetenzen des Fallmanagements beschreiben und sys-tematisieren.

NDV 2004, Heft 5, S. 149 – 154

Unter dem Titel »Case Management in der Bundesagentur für Arbeit – Schnittstellenmanagement als erfolgskritischer Faktor« setzen sich Martin Klein und Hans Langnickel mit den Aufgaben und Möglichkeiten des Case Managements als Fallsteuerung und als Systemsteuerung auseinander.

NDV 2004, Heft 6, S. 204 – 209

• Verlagerung der Sozialhilfestreitigkeiten auf Sozial-gerichte

Als weiterer Kritiker der Übertragung der Gerichtszustän-digkeit für die Sozialhilfe (SGB XII) und verwandte Gebie-

te (SGB II) auf die Sozialgerichte ab 1. 1. 2005 rät der Prä-sident des VG München Harald Geiger den Gesetzgeber, sie bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu belassen, weil sonst die Effektivität des Rechtsschutzes schweren Schaden nehmen würde.

NJW 2004, Heft 26, S. 1850 – 1852

Uwe Berlit, Albrecht Brühl, Hans-Ulrich Weth

Sozialhilferecht (BSHG/SGB II)

Aufsätze

• Sozialhilfe (SGB XII)

Mit der Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialge-setzbuch durch das neue SGB XII befasst sich Walter Schellhorn in einem einführenden Aufsatz.

NDV 2004, Heft 5, S. 167 – 176

• Regelsatzbemessung (§ 28 SGB XII; Regelsatzver-ordnung 2004)

Matthias Frommann kritisiert unter der Überschrift: »Wa-rum nicht 627 Euro?« mit differenzierten Analysen zu den Grundlagen der Regelsatzbemessung, zur Definition der zu-treffenden Referenzgruppe und zur Berücksichtigung des Ausgabeverhaltens die Festsetzungen in den neuen Regel-satzverordnung. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die An-forderungen nicht erfüllt sind, die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsge-richts an die Realitätsbezogenheit, Transparenz und Nach-prüfbarkeit der Regelsatzbemessung stellt.

NDV 2004, Heft 7, S. 246 – 254

• Hinweise zur Berechnung von Leistungsansprüchen außerhalb von Einrichtungen nach dem SGB XII (Teil 1: Hilfe zum Lebensunterhalt)

Die Berechung der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII erläutern anhand zahlreicher Fall- und Berechungsbeispiele Julia Mester und Bernd- Günther Schwabe. Dabei werden auch die formellen Vor-aussetzungen, die einzelnen Bedarfspositionen sowie die Schnittstelle zum SGB II behandelt.

ZfF 2004, Heft 11, S. 265 – 278

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• GKV-Modernisierungsgesetz (GMG)

Ellen Sunder gibt einen Überblick über die wesentlichen Neuregelungen der sog. Gesundheitsreform und diskutiert Auswirkungen und Probleme in der Praxis.

NDV 2004, Heft 5, S. 155 – 158

Der Deutsche Verein nimmt zu den Auswirkungen des GMG auf Personen, die Leistungen nach SGB II und SGB XII (BSHG) erhalten, kritisch Stellung.

NDV 2004, Heft 8, S. 265 – 268

• Sozialhilfe und Gewaltschutzgesetz/polizeiliche Weg-weisung (§§ 2, 3, 11, 72 BSHG)

Nach dem Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes zum 1. 1. 2002 gibt es vermehrt Berichte, dass Sozialhilfeträger die Übernahme der Kosten für einen Frauenhausaufenthalt mit der Begründung verweigern, die betroffene Frau könne bzw. müsse ihre Rechte vorrangig nach diesem Gesetz gel-tend machen und/oder sich der Hilfe der Polizei bedienen. Der Verein Frauenhauskoordinierung hat nützliche Ar-gumentationshilfen gegenüber dieser Praxis erarbeitet (Be-zug: [email protected]).

NDV 2004, Heft 4, S. 112 – 117

• Wer ist Verpflichteter i.S.d. § 74 SGB XII (Bestat-tungskosten)?

Nach § 74 SGB XII (vormals § 15 BSHG) hat der Sozial-hilfeträger die erforderlichen Kosten einer Bestattung zu übernehmen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zuge-mutet werden kann, die Kosten zu tragen. Reinhard Paul behandelt unter Berücksichtigung neuerer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (unter Kritik des Aus-schlusses lediglich »sittlich Verpflichteter«) die im Gesetz vorausgesetzte, aber nicht geklärte Frage, wer zur Tragung der Bestattungskosten »Verpflichteter« ist.

ZfF 2004, Heft 12, S. 292 – 295

• Härteklausel beim Unterhaltsanspruchsübergang (§ 91 Abs. 2 S. 2 BSHG)

Im Anschluss an das Urteil des BGH vom 21. 4. 2004 – XII ZR 251/01 – FamRZ 2004, 1097 – kritisiert Stefan Land-zettel, dass das Gericht wie schon zuvor das Bundesverwal-tungsgericht zwar bei der Auslegung der »unbilligen Härte« (§ 91 Abs. 2 S. 2 BSHG = § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII) Fallgruppen bilde, jedoch auch bereit sei, eine unbillige Härte in Sachverhalten anzunehmen, die in die Fallgruppen nicht hineinpassten, ohne klare Kriterien zu benennen.

FamRZ 2004, Heft 24, S. 1936 – 1937

Rechtsprechung

• Zustellung gegen Empfangsbekenntnis und Reduzie-rung der Unterkunftskosten (§§ 56, 73 VwGO; § 12 BSHG; § 3 RegelsatzVO)

1. In den Fällen der Zustellung an einen Rechtsanwalt gegen Empfangsbekenntnis ist die Zustellung erst dann bewirkt, wenn der als Zustellungsadressat bezeichnete Rechtsanwalt das zuzustellende Schriftstück persönlich als zugestellt annimmt. 2. Es ist fraglich, ob die sozialhilferechtlich zu berücksich-tigenden Unterkunftskosten mit der Begründung reduziert werden können, der Hilfesuchende habe die Möglichkeit gehabt, wegen der baurechtlichen Illegalität der Nutzung seiner Unterkunft die Miete zu reduzieren.

OVG NRW, Beschluss vom 12. 6. 2003 – 12 E 144/01 NDV-RD 2004, Heft 2, S. 44 – 45

• Zahlung von Unterkunftskosten an Vermieter (§ 15 a Abs. 1 S. 3 BSHG)

Ein Sozialhilfeempfänger kann gegenüber einem Vermieter oder anderen Empfangsberechtigten kein Recht darauf gel-tend machen, dass dieser die Entgegennahme der Zahlung von Unterkunftskosten gem. § 15 a Abs. 1 S. 3 BSHG un-terlässt.

HessVGH, Beschluss vom 25. 7. 2003 – 11 TP 631/03 NDV-RD 2004, Heft 2, S. 46 – 47

• Einmalige Leistung der Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Brille (§§ 11, 12, 21 Abs. 1 a Nr. 6, 37, 38 BSHG; §§ 33, 35, 36 SGB V; § 1 Regelsatzverord-nung)

Aufgrund der am 1. 1. 2004 in Kraft getretenen Änderun-gen des BSHG ist eine Übernahme der Kosten für die Be-schaffung einer Brille im Rahmen der Krankenhilfe nicht mehr möglich. Der Hilfeempfänger kann aber Anspruch auf die Gewährung einer einmaligen Leistung hierfür im Rah-men der Hilfe zum Lebensunterhalt haben.

NdsOVG, Beschluss vom 13. 8. 2004 – 4 ME 224/04 NDV-RD 2004, Heft 5, S. 104 – 106

• Trauerkleidung (§§ 12, 21 Abs. l a BSHG)

Trauerkleidung kann zum notwendigen Lebensunterhalt i.S.d. § 12 BSHG gehören, wenn der ernsthafte Wunsch be-steht, damit der Trauer aus Anlass des Todes eines nächsten Angehörigen nach außen Ausdruck zu verleihen.

Hess.VGH, Beschluss vom 3. 11. 2003 – 10 TG 2732/03 NDV-RD 2004, Heft 2, S. 48

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• Viagra als Heilmittel (§ 37 BSHG; §§ 34 Abs. 1, 264 SGB V)

Der durch das GKV-Modernisierungsgesetz ab dem 1. 1. 2004 in § 34 Abs. 1 S. 8 SGB V eingeführte Ausschluss von Medikamenten zur Behandlung der erektilen Dysfunk-tion von der Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist wegen der gleichzeitig eingeführ-ten strengen Akzessorietät auch im Rahmen der Kranken-hilfe nach dem BSHG zu beachten. Nach dieser Neufassung kommt jedenfalls ab dem 1. 1. 2004 ein Anspruch eines Hilfeempfängers auf Übernahme der Kosten für Viagra im Rahmen der genannten Hilfeart jedenfalls nicht mehr in Be-tracht. Diese neue Rechtslage ist bei einer Verpflichtungs-klage gegen den Sozialhilfeträger jedenfalls dann der ge-richtlichen Entscheidung zugrunde zu legen, wenn sich die Klage ausschließlich auf Leistungen in der Zukunft bezieht. Es bleibt offen, ob ein Empfänger von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt, für den nach der Neuregelung in § 264 SGB V die Krankenbehandlung von der Krankenkasse über-nommen wird, im Streitfall seine Ansprüche gegen diese Krankenkasse oder gegen den Sozialhilfeträger richten muss, der die Kosten der Krankenkasse zu erstatten hat. (Aufhebung von VG Frankfurt/M., info also 2004, S. 27)

Hess.VGH, Beschluss vom 11. 10. 2004 – 10 UE 2731/03 NDV-RD 2004, Heft 6, S. 130 – 132

• Kindergeld als Einkommen des Auszahlungsemp-fängers (§§ 76 Abs. 1 BSHG, 31, 62 ff. EStG)

Kindergeld ist nach dem BSHG – anders als nach § 82 Abs.1 S. 2 SGB XII – Einkommen dessen, an den es ausge-zahlt wird.

BVerwG, Urteil vom 17. 12. 2003 – 5C 25/02 NJW 2004, Heft 35, S. 2541 – 2542

• Freiwillige Unterhaltszahlungen nicht vom Einkom-men absetzbar (§§ 11, 21 Abs. 2 S. 2, 76 BSHG)

Unterhaltszahlungen, die der Unterhaltspflichtige freiwillig an seine minderjährigen Kinder in einem Umfang erbringt, dass sein tatsächlich verbleibendes Einkommen nicht aus-reicht, seinen eigenen sozialhilferechtlichen Bedarf zu de-cken, mindern sein nach §§ 11, 21 Abs. 2 S. 2, 76 BSHG anrechenbares Einkommen nicht.

VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 4. 11. 2003 – 19 K 1517/02 NDV-RD 2004, Heft 3, S. 71 – 72

• Vorsorge für Todesfall als Schonvermögen (§ 88 Abs. 3 S. 1 BSHG)

Eine angemessene finanzielle Vorsorge für den Todesfall ist wegen Härte nicht als Vermögen einzusetzen. Die An-gemessenheit einer Grabpflege beurteilt sich nach den Be-sonderheiten des Einzelfalls, wobei sie jedenfalls dann als

angemessen angesehen werden kann, wenn sie für die Dau-er der Mindestruhezeit das Grab in einen der maßgebenden Friedhofsordnung entsprechenden Zustand hält.

BVerwG, Urteil vom 11. 12. 2003 – 5C 84/02 NJW 2004, Heft 40, S. 2914 – 2916

• Überleitung eines Schadensersatzanspruchs gegen Arzt (§§ 90 BSHG, 249, 1603 BGB)

Der Sozialhilfeträger kann den auf Ersatz des Unterhalts-aufwands für ein behindertes Kind – das Eingliederungshil-fe erhält – gerichteten Schadensersatzanspruch einer nicht leistungsfähigen Mutter gegen einen Arzt wegen Falschbe-handlung auf sich überleiten.

BGH, Urteil vom 13. 7. 2004 – VI ZR 273/03 FamRZ 2004, Heft 19, S. 1569 – 1571 = NJW 2004, Heft 44, S. 3176 – 3178

• Elternunterhalt (§ 91 BSHG; § 1603 Abs. 1 BGB)

Wird ein mitverdienender Ehegatte von seinem Elternteil auf Unterhalt in Anspruch genommen, hängt seine Leis-tungsfähigkeit auch davon ab, ob sein angemessener Unter-halt bereits ganz oder teilweise durch den Familienunterhalt gedeckt ist. Auch bei durchschnittlichen Einkünften beider Ehegatten kann dabei nicht ohne weiteres vom Verbrauch des gesamten Familieneinkommens ausgegangen werden, sondern es müssen zur Bemessung des Familienunterhalts auch die Konsum- und Spargewohnheiten der Familie be-rücksichtigt werden.

BGH, Urteil vom 17. 12. 2003 – XII ZR 224/00 NDV-RD 2004, Heft 2, S. 27 – 30

• Elternunterhalt aus Taschengeld (§ 91 BSHG; § 1603 Abs. 1 BGB)

Eine auf Zahlung von Elternunterhalt in Anspruch genommene Ehefrau mit Einkünften unter dem Mindestselbstbehalt ist un-terhaltsrechtlich leistungsfähig, wenn sie sich infolge eines er-heblich höheren Einkommens ihres Ehegatten nur mit einem geringeren Anteil am Barbedarf der Familie beteiligen muss und ihr angemessener Unterhalt durch den Familienunterhalt gedeckt ist. Ein im Übrigen einkommensloser Ehegatte ist grundsätzlich verpflichtet, auch das ihm zustehende Taschen-geld für den Elternunterhalt einzusetzen, soweit der angemes-sene bzw. notwendige Selbstbehalt gewahrt bleibt.

BGH, Urteil vom 15. 10. 2003 – XII ZR 122/00 NDV-RD 2004, Heft 2, S. 30 – 34

Uwe Berlit, Albrecht Brühl, Hans-Ulrich Weth

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info also 1/2005 46

Aus Gesetzgebung und Verwaltung

Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 9. Dezem-ber 2004 (BGBl. I S. 3305)

Gerade noch rechtzeitig vor dem In-Kraft-Treten des SGB XII hat der Gesetzgeber Korrekturen vorgenommen, die sich auf die Hilfe zum Lebensunterhalt im stationären Bereich beziehen.

Artikel 2 Nr. 2 a) regelt mit § 35 Abs. 2 Satz 4 die Frage der Bemessung des Bedarfs durch eine Verweisung auf die Leistungen der Grundsicherung nach § 42 Satz 1 Nr. 1 bis 3. Die Erforderlichkeit, normative Anhaltspunkte für die Be-darfsbemessung vorzusehen, ist nicht zu bestreiten. Die Lö-sung einer Bezugnahme auf die Bedarfsbemessung der Grundsicherung für den stationären Bereich fordert aber Diskussionen heraus. Schon in der Grundsicherung konnte niemand erläutern, warum die für den nicht stationären Be-reich bemessenen Leistungen bedarfsdeckend sein sollten. Was in der bedarfsorientierten und eben gerade nicht be-darfsdeckenden Grundsicherung wegen der Möglichkeit er-gänzender Leistungen der Sozialhilfe kein gravierendes Problem schuf, wird durch die jetzt erfolgte Verweisung für die Bemessung stationärer Hilfe zum Lebensunterhalt auf die ihrerseits auf die Regelsatzleistungen verweisenden Grundsicherungsleistungen wegen der von der Regelsatz-bemessung abweichenden Kostenkalkulation in Einrichtun-gen zu gravierenden Schwierigkeiten führen. Eine den verfassungsrechtlich abgesicherten Kriterien des Bedarfs-deckungsprinzips gerecht werdende Lösung hätte dabei sys-temgerecht auf der Basis der Grundpauschale nach § 76 Abs. 2 Satz 1 gefunden werden können. Soweit das unter-blieben sein sollte, weil die Vereinbarungen nach § 76 bis heute die Grundpauschale nicht klar ausweisen, stellt sich die Frage nach der Einhaltung des Prinzips der Rechtmä-ßigkeit der Verwaltung ebenso wie die nach der Sinnhaftig-keit der Regelungen der §§ 75 ff.

Artikel 2 Nr. 2 b) fügt dem § 35 noch die Absätze 3 bis 5 bei. Diese Regelungen sind von kafkaesker Konsequenz. Zuerst wird im Rahmen der Gesundheitsreform im Hinblick auf die Kostenbeteiligung stationär untergebrachter Sozial-hilfeempfänger eine Regelung getroffen, die nicht nur rechtlich mit guten Gründen angreifbar ist, sondern sich auch als bürokratisches Monstrum erweist. Die fehlende Praxistauglichkeit hat der Gesetzgeber nun erkannt, indes mit schlafwandelnder Sicherheit das Problem mit eiserner Konsequenz noch vertieft. Er hat nicht etwa für diesen Per-sonenkreis, der erfahrungsgemäß wenig Möglichkeiten und Neigungen hat, dauernd zum Arzt zu gehen und sich Medi-kamente verschreiben zu lassen, auf eine Eigenbeteiligung verzichtet. Aber auch fiskalische Verzweifelung rechtfertigt nicht die Lösung, die jetzt Gesetz geworden ist: ein vom Sozialhilfeträger an die Krankenkasse abzuführendes Zwangs-

darlehen in Höhe der Zuzahlung, das vom Leistungsberech-tigten ratenweise abzutragen ist, der hierfür über den Sozi-alhilfeträger gleich zu Jahresbeginn von der Krankenkasse die Freistellungsbescheinigung erhält. Der stationär unter-gebrachte sozialhilfebedürftige Mensch wird zum Objekt einer Verwaltung gemacht, die allein daran ausgerichtet zu sein scheint, wie man die selbst verursachten Verwaltungs-probleme am einfachsten behandeln zu können glaubt. Auch wenn kein Bedarf besteht und ein entsprechender An-trag seitens des Hilfeempfängers nicht vorliegt, wird das Darlehen in Höhe der maximal zu leistenden Zuzahlung gewährt; der Leistungsberechtigte muss schon ausdrücklich widersprechen. Der Gesetzgeber sieht für den betroffenen Personenkreis offenkundig keine Notwendigkeit einer steu-ernden Einflussnahme, fordert aber aus fiskalischen Grün-den weiterhin die gerade durch die Steuerungseffekte ge-rechtfertigte Kostenbeteiligung aus einer Leistung fordert, die er selbst gewährt und dabei kontrafaktisch (Spindler info also 2004, 147) behauptet, gerade diese wegen des in Rede stehenden Aufwandes höher bemessen zu haben. Auch rechtstechnisch ergeben sich Schwierigkeiten im Hinblick auf die Gewährung, Verwendung (was ist, wenn der Höchstbetrag der Eigenbeteiligung gar nicht erreicht wird?) und die Tilgung des Darlehens. Insgesamt verdient diese haarsträubende Regelung auf jeden Fall eine lobende Er-wähnung im Wettbewerb um die Goldene Zitrone in der Gesetzgebung.

Artikel 2 Nr.4 regelt den Einkommenseinsatz für den stati-onären Bereich durch einen neuen § 82 Absatz 4 und be-schränkt ihn für Leistungen des Lebensunterhalts auf die häusliche Ersparnis. Hintergrund für die Regelung waren Fälle, in denen der einkommensbeziehende Ehegatte statio-när untergebracht ist und das Einkommen gem. § 85 Abs. 1 Nr. 3 BSHG dem anderen Ehegatten zu dessen überwie-gendem Unterhalt belassen wurde. Dieses Anliegen mag man sozialpolitisch nachvollziehen, rechtssystematisch lässt es sich nicht mit dem Individualanspruch vereinbaren, der in seiner Konsequenz auch verlangt, dass nur die Person zum Bezug von Sozialhilfe berechtigt ist, die ihren eigenen Bedarf nicht aus ihrem Einkommen decken kann.

Artikel 2 Nr. 5 (§ 133 a) erhält den abgeschafften Zusatz-barbetrag mit einer Übergangsregelung für die bisher Be-günstigten in Höhe des Zahlbetrages für Dezember 2004. Über die Berechtigung des Zusatzbarbetrages lässt sich streiten, über die sozialpolitische Rechtfertigung der jetzt getroffenen Regelung wohl weniger. Sie wird wohl eher Anlass dazu geben, über einen Anspruch auf Gleichbehand-lung von Neufällen mit den privilegierten Altfällen nachzu-sinnen.

Christian Armborst

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info also 1/2005 47

Dokumentation

• Gravierende Datenschutzmängel bei Hartz IV

Entschließung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 28./29. Oktober 2004

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder stellt fest, dass es bei der praktischen Um-setzung der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozi-alhilfe zu erheblichen datenschutzrechtlichen Mängeln ge-kommen ist. Diese bestehen sowohl bei den Verfahren der Datenerhebung durch die verwendeten Antragsformulare als auch bei der Leistungsberechnungs-Software (A2LL). Die Datenschutzdefizite wären vermeidbar gewesen, wenn datenschutzrechtliche Belange von Anfang an angemessen berücksichtigt und umgesetzt worden wären.

Zwar stellt die Bundesagentur für Arbeit (BA) seit dem 20. 9. 2004 sog. »Ausfüllhinweise zum Antragsvordruck Arbeitslosengeld II« zur Verfügung, in denen viele Beden-ken der Datenschutzbeauftragten aufgegriffen werden. Al-lerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass durch die Aus-füllhinweise nicht mehr alle antragstellenden Personen erreicht werden können. Umso wichtiger ist es, dass die ört-lich zuständigen Leistungsträger die verbindlichen Ausfüll-hinweise beachten und die antragstellenden Personen, die ihren Antrag noch nicht eingereicht haben, vor der Abgabe auf diese hingewiesen werden. Personen, die ihren Antrag früher gestellt haben, dürfen nicht benachteiligt werden. Überschussinformationen, die vorhanden sind und weiter-hin erhoben werden, sind zu löschen.

Darüber hinaus will die BA die in den Antragsformularen nachgewiesenen Datenschutzmängel in vielen Bereichen in der nächsten Druckauflage korrigieren und für das laufende Erhebungsverfahren zur Verfügung stellen. Gleichwohl ist zu befürchten, dass die Formulare nicht das erforderliche Datenschutzniveau erreichen.

Hinsichtlich der Software A2LL bestehen immer noch we-sentliche Datenschutzmängel, die zu erheblichen Sicher-heitsrisiken führen. Insbesondere besteht für die Sachbear-beitung ein uneingeschränkter bundesweiter Zugriff auf alle Daten, die im Rahmen von A2LL erfasst wurden, auch so-weit diese Daten für die Sachbearbeitung nicht erforderlich sind. Dieser Mangel wird dadurch verschärft, dass noch nicht einmal eine Protokollierung der lesenden Zugriffe er-folgt und damit missbräuchliche Zugriffe nicht verfolgt werden können. Das Verfahren muss über ein klar definier-tes Zugriffsberechtigungskonzept verfügen. Die Beschäftig-ten der zuständigen Leistungsträger dürfen nur den zur Auf-gabenerfüllung erforderlichen Zugriff auf die Sozialdaten haben.

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fordern die BA auf, die notwendigen Schritte unverzüglich einzuleiten und nähere Auskunft über den Stand des Ver-fahrens zu erteilen.

• Kein Datenschutz für Arbeitslose?

Pressemitteilung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein v. 13. Dezember 2004

Der Landesbeauftragte für Datenschutz Schleswig-Holstein und Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Daten-schutz (ULD), Dr. Thilo Weichert, stellt nach mehreren Monaten Diskussion fast resigniert fest: »Für Arbeitslose soll es nach dem Willen des Bundes keinen Datenschutz geben. Von für einen Rechtsstaat üblichen Selbstverständ-lichkeiten zur Wahrung des Sozialgeheimnisses hat man sich beim Arbeitslosengeld II von Anfang an verabschiedet. Auch wenn die Auszahlung der Gelder Vorrang hat: Ein Mindestmaß an Vertraulichkeit und Persönlichkeitsschutz muss auch den Joblosen in Deutschland zustehen.«

Das Debakel zeigte sich zuerst bei der Vorlage eines 16-seitigen Antragsvordruckes für das Arbeitslosengeld II (ALG II) im Sommer 2004, der Minimalansprüchen an Klarheit und Datensparsamkeit nicht genügte: Arbeitgeber erfahren über die Antragstellung von der Hilfsbedürftigkeit. Zwischen Haushalts- und Bedarfsgemeinschaft wird nicht unterschieden mit der Konsequenz, dass Antragsteller über Dritte zu viele Daten offenbaren. Überflüssige intime Fra-gen wurden gestellt. Gemeinsam mit der Bürgerbeauftrag-ten für Soziale Angelegenheiten Schleswig-Holstein erar-beitete das ULD Hinweise zum Ausfüllen des Vordrucks, die die Bundesagentur für Arbeit (BA) zwar teilweise über-nahm, ohne aber den Vordruck zu verändern. Mangels aus-reichender Schulung der Mitarbeiter werden in der Praxis oft die Hinweise der BA nicht beachtet. Die Ankündigung, für das Jahr 2005 einen gesetzeskonformen Vordruck zu er-arbeiten, haben sich bis heute als leere Versprechungen er-wiesen.

Das nächste Problem schuf sich die BA mit der Software zur Erfassung der Antragsdaten und zur Hilfeberechnung mit dem Namen »A2LL«. Über diese Software wird ein rie-siger Datenpool von allen, künftig annähernd 3 Millionen Hilfeempfängern geschaffen, auf den sämtliche Sachbear-beiter von Flensburg bis Konstanz zugreifen können. Bei der Installation dieses Programms wurde nicht einmal an-satzweise der Schutz der zweifellos hochsensiblen Daten versucht: Auf die europarechtlich geforderte Vorabkontrol-le wurde verzichtet. Ein Zugriffskonzept wurde als zu kom-pliziert verworfen. Bis heute liegt nicht einmal ein Konzept über die Löschung nicht mehr benötigter Daten vor. Der ek-latanteste Fehler liegt aber darin, dass lesende Zugriffe auf diese bundesweite Datenbank nicht protokolliert werden. Dies hat zur Folge, dass massenhaft illegal Daten abgezo-gen werden können, ohne dass dies im Nachhinein rekon-struierbar wäre. Dies ist zusätzlich heikel wegen des Um-standes, dass über A2LL auf weitere Datenbanken der BA zugegriffen werden kann.

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info also 1/2005 48

Diese Probleme der Bundesagentur (BA) und damit der Ar-beitslosen werden zum 1. Januar 2005 auch zu Problemen der Bundesländer, wenn – wie z.B. in Schleswig-Holstein – flächendeckend nicht mehr die BA, sondern Arbeitsge-meinschaften (ARGEn) und Kommunen für das Arbeitslo-sengeld zuständig werden sollen. Da den ARGEn kaum et-was anderes übrig bleibt, als A2LL zu übernehmen, sind sie faktisch gezwungen, mit einem datenschutzwidrigen Pro-gramm zu arbeiten. Auf ihre Daten, für die sie rechtlich verantwortlich sind, können ungehindert fremde Dienststel-len zugreifen. Ja, selbst die Administration der Programme kann nicht gesteuert werden, da hierüber die BA regiert. Für diesen praktizierten bundesweiten Datenaustausch gibt es keine gesetzliche Grundlage. Bei der Verabschiedung des neuen Sozialgesetzbuches II (SGB II) hat man zwar der BA fast uferlose Datenbeschaffungbefugnisse eingeräumt.

Die ARGEn und die Kommunen hat man dagegen einfach vergessen.

Dr. Thilo Weichert: »Es ist die Pflicht der Datenschützer auf diese katastrophalen Umstände hinzuweisen. Uns geht es nicht darum, Hartz IV zu Fall zu bringen. Wohl aber geht es uns darum, dass Arbeitslose beim Datenschutz nicht als Menschen zweiter Klasse behandelt werden, so wie dies bisher von der BA gehandhabt wurde. Bundesagentur und Bundeswirtschaftministerium müssen handeln – die BA, indem sie endlich Formulare und Software gemäß gängigen Datenschutzstandards nachbessert, die Politik, indem sie Datenschutzregeln erlässt, die diesen Namen verdienen. Die bisherigen Regeln, die jedem Hilfeempfänger misstrauen, als sei er ein Betrüger, müssen dabei revidiert werden.«

Nachrichten/Materialien

• 21. Sozialrichterratschlag

In der Zeit vom 3. bis zum 5. 6. 2005 findet in Darmstadt der 21. Sozialrichterratschlag statt. Die Anmeldung sollte spätestens bis zum 31. 3. 2005 erfolgen. Das Programm sieht wie folgt aus:

Freitag, 3. Juni 2005

bis 17:00 Anreise 18:00 Abendessen 19:00 Eröffnung des Ratschlags

Vortrag und Diskussion mit Prof. Dr. U. Steiner, Richter des Bundesverfassungsgerichts:

»Grundrechte: Bremse oder Motor beim Umbau des Sozialstaats«

ca. 21:30 Fortsetzung der Diskussion in gemütlicher Runde

Samstag, 4. Juni 2005

10:00 Arbeitsgruppen zu den verschiedenen Rechtsgebie-ten, u.a. zu »Gerichtsnahe Mediation in der Sozialge-richtsbarkeit« 12:00 Mittagessen im Casino des Regierungspräsidiums Darmstadt 14:00 Abfahrt zu den Besichtigungen: – Frankfurter Flughafen einschl. der Wartungshallen der

Lufthansa (maximale Teilnehmerzahl: 60 Personen)

– Darmstadt – Zentrum des Jugendstils, eine Stadtführung – Cybernarium Darmstadt (ab 14:30). Präsentation virtueller

Welten auf 600 qm (maximale Teilnehmerzahl: 50 Perso-nen)

20:00 Abendessen/Fest im Casino des Regierungspräsidiums Darmstadt

Sonntag, 5. Juni 2005

10:00 Podiumsdiskussion »Gesundheit – Rechtsgut oder Ware (Probleme

und Hintergrund der Bürgerversicherung)« Prof. Dr. Dr. hc. B. Rürup; Prof. Dr. Dr. K. Lauterbach; Dr. J. Borchert, Richter am LSG; Moderation D. Hölzer,

Richter am SG; anschließend Berichte aus den Arbeitsgruppen, Vorstellung des Ratschlags 2006 spätestens 13:00 Abschluss des Ratschlags

Kontaktadressen: Georg Legde ([email protected]) Dirk Hölzer ([email protected])

Aktuelle Informationen befinden sich auch auf der Homepage www.sozialrichterratschlag.de