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Inhalt · K. Engelhard, C. Werner1 Narkose – Inhalations- und Injektionsanästhetika Narkose oder Allgemeinanästhesie ist ein medikamentös indu-zierter Zustand, der mit …

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Inhalt1 AllgemeinePharmakologie

undToxikologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

2 GrundlagenderPharmakologiedesNervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

3 PharmakologiecholinergerSysteme . . . . 127

4 PharmakologienoradrenergerundadrenergerSysteme–PharmakotherapiedesAsthmabronchiale–Doping . . . . . . . 153

5 PharmakologiedesSerotonins–Pharma­kotherapieprimärerKopfschmerzen . . . . 191

6 PharmakologiedesHistamins . . . . . . . . . . 199

7 Analgetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

8 Lokalanästhetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

9 Narkose–Inhalations­undInjektionsanästhetika . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

10 PharmakotherapievonSchlafstörungenundErregungszuständen . . . . . . . . . . . . . . 261

11 Antikonvulsiva,Konvulsiva–Pharmako­therapiederEpilepsien . . . . . . . . . . . . . . . 269

12 ZentraleMuskelrelaxantien . . . . . . . . . . . . 281

13 Antiparkinsonmittel–PharmakotherapiedesMorbusParkinson . . . . . . . . . . . . . . . . 285

14 Psychopharmaka–PharmakotherapiepsychischerErkrankungen . . . . . . . . . . . . . 293

15 DerivatedesArachidonsäurestoffwechsels . . . . . . . . . . 329

16 ImmunpharmakologieundPharmako­therapieentzündlich­rheumatischerErkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

17 PharmakologiedeskardiovaskulärenSystems–dasHerz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

18 PharmakologiedeskardiovaskulärenSystems–dieBlutgefäße–BehandlungvonHypertonieundHypotonie . . . . . . . . . 437

19 Plasmaersatzmittel–TherapiedesperipherenKreislaufversagens . . . . . . . . . 475

20 WasserundElektrolyte–TherapievonStörungendesWasser­undElektrolyt­haushaltssowiedesSäure­Basen­Gleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481

21 Diuretika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493

22 PharmakologiederHämostase . . . . . . . . . 507

23 PharmakotherapiegastrointestinalerErkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

24 Purinstoffwechsel–Gicht . . . . . . . . . . . . . 559

25 Fettstoffwechsel;Lipidsenker–PharmakotherapiebeiFettstoffwechsel­störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569

26 PharmakologiedesEnergiestoffwechsels–PharmakotherapiedesDiabetesmellitusundderAdipositas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585

27 HypothalamischeundhypophysäreHormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611

28 Nebennierenrindenhormone . . . . . . . . . . . 631

29 Sexualhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653

30 Schilddrüsentherapeutika . . . . . . . . . . . . . 687

31 Calciumstoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . 699

32 Eisen–PharmakotherapievonEisenmangelundEisenüberladung . . . . . . 711

33 VitamineundSpurenelemente . . . . . . . . . 721

34 AntibiotikaundChemotherapeutika–antiinfektiöseTherapie . . . . . . . . . . . . . . . 745

35 MittelzurBehandlungvonTumoren–Tumorchemotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . 883

36 WichtigeGifteundVergiftungen . . . . . . . 967

K. Engelhard, C. Werner1

Narkose – Inhalations- und Injektionsanästhetika

Narkose oder Allgemeinanästhesie ist ein medikamentös indu-zierter Zustand, der mit Bewusstseinsverlust und einer antero-graden Amnesie des Patienten gegenüber unangenehmen diag-nostischen oder therapeutischen Eingriffen einhergeht. Darü-ber hinaus können einige hierzu verwendete Allgemeinanäs-thetika eine Schmerzausschaltung (Analgesie), eine Dämpfung der vegetativen Funktionen und eine Muskelentspannung (Muskelrelaxierung) verursachen. Die erforderliche Tiefe der durch die Allgemeinanästhetika induzierten Narkose richtet sich nach der Intensität des Stimulus (z.B. Koloskopie vs. Haut-schnitt vs. Sternotomie). Die Narkosetiefe wird vom Anästhe-sisten auf der Basis von Erfahrung, hämodynamischer Parame-ter und ggf. Ableitung hirnelektrischer Signale angepasst.

Entsprechend der Applikationsweise unterscheidet man zwei Gruppen von Allgemeinanästhetika: • Inhalationsanästhetika: Sie werden hauptsächlich zur Auf-

rechterhaltung der Narkose eingesetzt. Eine Narkoseeinlei-tung mit Inhalationsanästhetika wird nur in der Kinderan-ästhesie durchgeführt. Die Zufuhr der Inhalationsanästheti-ka erfolgt mit dem Inspirationsgasgemisch über die Lunge, die Elimination erfolgt überwiegend ebenfalls über die Lun-ge durch Rückatmung.

• Injektionsanästhetika: Zu den injizierbaren Anästhetika zäh-len Hypnotika (Barbiturate, Etomidat, Propofol), Sedativa (Ben-zodiazepine; › Kap. 14.7), Ketamin und Opioide (› Kap. 7.2 und 7.3). Sie werden zur Sedierung und zur Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung verwendet. Die Elimination erfolgt über Metabolisierung und/oder renale Ausscheidung.

Um unerwünschte Wirkungen der einzelnen Substanzen, die be-sonders unter den bei Mononarkosen erforderlichen hohen Do-

1 Auf der Grundlage des Kapitels von H. P. Büch und U. Büch in der 8. Auflage und von H. Ensinger in der 9. Auflage

sierungen aufträten, zu minimieren, werden bei der Narkose typi-scherweise Inhalationsanästhetika und intravenös applizierte Hypnotika, Sedativa, Opioide und Muskelrelaxantien kombiniert.

Ein Allgemeinanästhetikum sollte folgenden klinischen An-forderungen genügen: • Steuerbarkeit: In Abhängigkeit von den (oft rasch) wech-

selnden Stimulationsintensitäten sollte die Anästhesie jeder-zeit schnell zu vertiefen, abzuflachen oder zu beenden sein.

• Ausreichende therapeutische Breite: Die Konzentration eines Anästhetikums, die das Bewusstsein ausschaltet, soll möglichst um ein Vielfaches niedriger sein als diejenige, bei der vitale Funktionen wie die Regulation des Kreis-laufs, der Temperatur und des Wasser- und Elektrolythaus-halts ausfallen. Auch in hohen Konzentrationen sollten das Anästhetikum oder seine Metaboliten nicht toxisch sein.

• Reversibilität: Sämtliche Anästhesieeffekte sollen nach En-de der Narkose möglichst rasch und dauerhaft abklingen.

Neurotoxizität von Anästhetika während der EntwicklungsphaseTierexperimentelle Studien zeigen, dass die Gabe von Inhala-tions- und Injektionsanästhetika während der Entwicklung des zentralen Nervensystems (hohe Neurogenese- und Synaptoge-neserate) zu vermehrtem programmiertem Zelltod (Apoptose) von Neuronen führen kann. Ob sich diese Beobachtung auch auf früh- und neugeborene Kinder übertragen lässt, muss in prospektiv randomisierten Studien geklärt werden.

9.1  Inhalationsanästhetika

Neben dem Gas Distickstoffmonoxid (N2O) sind die Dämpfe der Substanzen Isofluran, Desfluran und Sevofluran die heute am häufigsten eingesetzten Inhalationsanästhetika und haben

9KAPITEL

9.1 Inhalationsanästhetika . . . . . . . . . . . . . . . . . .2419 .1 .1 . Pharmakokinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2429 .1 .2 . Pharmakodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2469 .1 .3 . Halogenierte .Kohlenwasserstoffe . . . . . . . . . . . . .2489 .1 .4 . Anorganische .Inhalationsanästhetika . . . . . . . . . .251

9.2 Intravenöse Anästhetika . . . . . . . . . . . . . . . . .2529 .2 .1 . Wirkdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2529 .2 .2 . Wirkintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .253

9 .2 .3 . Barbiturate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2539 .2 .4 . Etomidat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2559 .2 .5 . Propofol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2569 .2 .6 . Ketamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2579 .2 .7 . Dexmedetomidin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2599 .2 .8 . Injizierbare .Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . .259

242 9 . Narkose .– .Inhalations- .und .Injektionsanästhetika

9

in den Industrienationen das seit den 1950er Jahren verwende-te Halothan wegen dessen hepatotoxischer Eigenschaften weit-gehend verdrängt.

Die gebräuchlichen Inhalationsanästhetika (›  Abb. 9.1) stellen in Bezug auf ihre Eigenschaften eine heterogene Gruppe dar. Bei den Anästhetika mit niedrigem Siedepunkt (den vola-tilen Anästhetika) Halothan, Enfluran, Isofluran, Desfluran und Sevofluran kommt es bereits bei Raumtemperatur zu ei-nem relevanten Verdampfungsprozess. In geschlossenen Gefä-ßen entsteht ein für das Anästhetikum charakteristischer ma-ximaler Dampfdruck, der von der Temperatur abhängig ist. Für die Applikation der Inhalationsanästhetika werden spezi-elle Verdampfer (Vapore) verwendet, mit denen die Menge des abgegebenen volatilen Anästhetikums präzise eingestellt wer-den kann (› Abb. 9.2).

Das ideale Inhalationsanästhetikum sollte nicht brennbar oder explosiv, über einfache Verdampfersysteme applizierbar, chemisch stabil, nicht umweltschädlich und nicht toxisch und dennoch kostengünstig sein. Darüber hinaus sollte es gute an-algetische Eigenschaften besitzen, gut steuerbar sein (geringe „bedeutsame Konzentrationsabfallzeit“, s.u.), keinen unange-nehmen Geruch besitzen und minimale Nebenwirkungen auf andere Organsysteme entfalten. Bisher konnte noch kein Inha-lationsanästhetikum entwickelt werden, das allen diesen An-forderungen gerecht wird. So muss man Vor- und Nachteile der einzelnen Substanzen kennen, um individuell das für den Pati-enten geeignete Anästhetikum auszuwählen.

9.1.1  Pharmakokinetik

Folgende physikochemischen Gesetzmäßigkeiten beeinflussen die Pharmakokinetik der Inhalationsanästhetika. Das Gesetz von Dalton besagt, dass der Druck eines Gas- oder Dampfge-mischs gleich der Summe der Partialdrücke der einzelnen Komponenten ist. Beimischung eines Fremdgases (z.B. eines Inhalationsanästhetikums) vermindert anteilmäßig den Parti-aldruck der physiologischen Atemgase im Inhalationsgemisch. Verteilt sich ein Anästhetikum in einem Zweiphasensystem, dessen Komponenten unterschiedliche Aggregatzustände ha-ben, z.B. flüssig/gasförmig, dann herrscht im Gleichgewichts-zustand in beiden Phasen der gleiche Partialdruck, aber nicht zwingend die gleiche Konzentration. Die Differenz der Partial-drücke eines Gases zwischen den einzelnen Kompartimenten (z.B. Residualvolumen/Blut oder Blut/Gewebe) stellt die trei-bende Größe der Diffusion dar und nicht die Konzentrations-differenz.

Das Gesetz von Henry besagt, dass die in einer Flüssigkeit physikalisch gelöste Gasmenge direkt proportional dem Parti-aldruck des Gases in der Flüssigkeit ist.

Aus der Kombination der beiden Gesetze ergibt sich für das Zweiphasensystem, dass im Gleichgewichtszustand der Parti-aldruck in der Gasphase (z.B. Inhalationsgemisch) proportio-nal der in der Flüssigkeit (z.B. Blut) gelösten Gasmenge ist.

F

F F

F F

C C O C

Cl

H

H

* Chiralitätszentren

*

*

F

F

H

F

F

C

C

F

C

F

O

F

F

C F

F

F F

F F

C C O C

H

F

H

N N O+–

Xe

Isofluran

Sevofluran

Desfluran

Distickstoffmonoxid

Xenon

Abb. 9.1 Strukturformeln gängiger Inhalationsanästhetika.

Abb. 9.2 Schematische Darstellung der technischen Vorausset-zungen für eine kontrollierte Anwendung von Inhalationsanäs-thetika.

2439 .1 . Inhalationsanästhetika

9

In › Tabelle 9.1 sind die Blut/Gas- und Gewebe/Blut-Ver-teilungskoeffizienten für Gehirn und Fett aufgeführt. Ist die Löslichkeit eines Gases im Blut gut, kann mehr Gas darin ge-löst werden und es dauert länger, bis das Blut gesättigt ist. Ein hoher Blut/Gas-Verteilungskoeffizient bedingt somit einen langsamen Anstieg des Partialdrucks im Blut, was mit einer ge-ringeren Steuerbarkeit des Inhalationsanästhetikums einher-geht. Ein hoher Gewebe/Blut-Verteilungskoeffizient führt zu einem langsamen Konzentrationsanstieg im Gewebe. Ein ho-her Fett/Blut-Verteilungskoeffizient beruht auf einer Anreiche-rung in Lipiden und bewirkt bei lang dauernder Anwendung eine Kumulation im Fettgewebe.

Bei Inhalationsanästhetika korreliert die Tiefe der Narkose direkt mit dem Partialdruck des Inhalationsanästhetikums im Gehirn. Eine mögliche Änderung des Partialdrucks über die Zeit bedeutet ein Vertiefen oder Abflachen der Narkose. Zu Beginn der Narkose, während der „Anflutungsphase“, ist der Partialdruck des Anästhetikums im Inhalationsgemisch höher als im Blut und Gewebe, beispielsweise im Gehirn. Da-nach, während der „Unterhaltungsphase“, nähert sich der Partialdruck in den Geweben mit einer hohen Durchblutung (z.B. Gehirn) dem Partialdruck im Inhalationsgemisch (Al-veole) an. In der „Abklingphase“ nach Abstellen der Anäs-thetikumzufuhr kehrt sich das Verhältnis um, d.h., nun ist der Partialdruck im Gewebe höher als im Inhalationsge-misch.

Applikation von Inhalationsanästhetika

Da das Einatmen von Inhalationsanästhetika zur Anästhesie-einleitung von Patienten als unangenehm empfunden werden kann, wird die Anästhesie in der Regel intravenös mit einer Kombination aus Hypnotika und Opioiden eingeleitet. Die

Inhalationsanästhetika zur Anästhesieaufrechterhaltung werden nach erfolgter Intubation über das inspiratorische Gasgemisch zugeführt. Früher war die Zufuhr von Frischgas (Sauerstoff/Luft oder Sauerstoff/Distickstoffmonoxid) und des Inhalationsanästhetikums gleich groß oder größer als das Atemminutenvolumen des Patienten (halboffenes System). Heute ist die Frischgaszufuhr meist kleiner als das Atemmi-nutenvolumen mit partieller Rückatmung (halbgeschlosse-nes System). Dementsprechend ist im Exspirationsschenkel des Narkosegeräts ein CO2-Absorber obligat (›  Abb. 9.2). Eine weitere Reduktion der Frischgaszufuhr (Low-Flow 1,0 L/min, Minimal-Flow ca. 0,5 L/min) ist sinnvoll, da durch die Rückatmung der Verbrauch von Inhalationsanästhetika re-duziert wird und die angefeuchtete und warme Inspirations-luft bei minimalen Frischgasflüssen die Lunge des Patienten schont. Schließlich sind intraoperative Wärmeverluste gerin-ger, wenn Low- oder Minimal-Flow-Verfahren angewandt werden.

Soll die Einleitung der Anästhesie, z.B. bei Kindern, mit In-halationsanästhetika unter Spontanatmung durchgeführt wer-den, kann Sevofluran verwendet werden. Da zur Einleitung hohe inspiratorische Konzentrationen des Inhalationsanästhe-tikums über die Maske appliziert werden müssen, kommt es dabei zu einer starken Belastung der Umgebungsluft mit Inha-lationsanästhetikum, die durch Absaugsysteme an der Maske reduziert werden kann.

Aufnahme durch die Lunge

In der Einleitungsphase hängen die Geschwindigkeit der Auf-nahme der Inhalationsanästhetika in die Lunge und der An-stieg des Partialdrucks in den Alveolen vom Partialdruck im Inspirationsgemisch, von der Zufuhr über die Konvektion, d.h.

Tab. 9.1 . Physikalische .und .pharmakologische .Eigenschaften .von .Inhalationsanästhetika

Substanz Verteilungskoeffizient1 MAC2 (Vol.-%) Siedepunkt3 (°C) Dampfdruck4 (mmHg)

Metabolisie-rungsrate (%)

Blut/Gas Gewebe/Blut

Gehirn Fett

Halothan 2,3 2,9 51 0,8 50,2 243 20

Enfluran 1,8 1,4 36 1,6 56,5 175 2,5-8,5

Isofluran 1,4 2,6 45 1,2 48,5 250 < 0,2

Desfluran 0,45 1,3 27 6,0 22,8 664 0,02

Sevofluran 0,65 1,7 48 2,0 58,5 160 3–5

Distickstoff-monoxid

0,47 1,1 2,3 1045 –88,5 Gas 0,004

Xenon 0,12 – – 70 –107,1 Gas 01 bei 37 °C2 MAC = minimale alveoläre Anästhetikakonzentration des Erwachsenen (in reinem Sauerstoff)3 bei 760 mmHg4 bei 20 °C5 theoretischer Wert (s.u.)

244 9 . Narkose .– .Inhalations- .und .Injektionsanästhetika

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die Höhe der alveolären Ventilation (entsprechend dem Tidal-volumen minus dem Totraumvolumen), und von der Löslich-keit im Blut ab. Die Anflutungsgeschwindigkeit der Inhalati-onsanästhetika in den Alveolen ist umso größer, je höher der inspiratorische Partialdruck ist. Zur schnellen Anflutung nach Narkoseeinleitung wird daher oft der inspiratorische Partial-druck des Inhalationsanästhetikums erhöht. Neben den Parti-aldrücken im Frischgasfluss spielt auch die Höhe des Frisch-gasflusses eine Rolle. Bei niedrigem Frischgasfluss steigt der Partialdruck in den Alveolen nur langsam an, bei einem Frisch-gasfluss, der größer ist als das Atemminutenvolumen, ent-spricht der Partialdruck in den Alveolen rasch dem inspiratori-schen Partialdruck. Eine Zunahme des Atemminutenvolumens beschleunigt ebenfalls den Abgleich der Partialdrücke im In-spirationsgemisch und in den Alveolen. Da sich das eingeatme-te Inhalationsanästhetikum im Volumen der funktionellen Residualkapazität verteilt, wird die Konzentration initial er-niedrigt. Ist die funktionelle Residualkapazität reduziert (z.B. bei Adipositas, Schwangerschaft, Kindern), erhöht sich der al-veoläre Partialdruck des Inhalationsanästhetikums somit schneller.

Gase, die sehr schnell aus den Alveolen in das Blut aufge-nommen werden – wie das Distickstoffmonoxid –, lassen schneller Gas nachströmen, sodass sich der alveoläre Partial-druck des Gases schneller erhöht (Konzentrationseffekt). Wird ein volatiles Anästhetikum mit Distickstoffmonoxid kombiniert, so bewirkt der Konzentrationseffekt einen Verlust an Verteilungsvolumen in der Alveole und somit eine relativ erhöhte alveoläre Konzentration des volatilen Anästhetikums (Zweitgaseffekt).

Die Aufnahme des Inhalationsanästhetikums durch Diffu-sion ins Blut hält den Gradienten zwischen Inspirationsluft und dem funktionellen Residualvolumen aufrecht, bis der Partialdruck im Blut sich dem Partialdruck im Inspirationsge-misch angenähert hat. Die pro Zeiteinheit diffundierende Menge ist abhängig von der Diffusionskonstanten, proportio-nal zur Fläche und zum Partialdruckgradienten und umge-kehrt proportional zum Quadrat der Diffusionsstrecke. Des-halb nimmt die Diffusionsrate bei einem erhöhten Wasserge-halt der Lunge (Stauungslunge, interstitielle Infiltration) ab. Eine Verkleinerung der Alveolaroberfläche (z.B. bei Atelekta-sen, Pneumothorax, Lobektomie) bedingt theoretisch eine Verringerung der Diffusionsrate, die sich jedoch praktisch nur dann bemerkbar macht, wenn der Blutfluss durch die Lunge so hoch ist, dass eine Äquilibrierung zwischen Alveo-larluft und Blut nicht stattfindet. Lungenkrankheiten, wie chronische Bronchitis und Pneumonie, die mit einer Störung des Ventilations/Perfusions-Verhältnisses und damit mit ei-nem erhöhten pulmonalen Shunt einhergehen, führen eben-falls zu einem erhöhten Gradienten zwischen endexspiratori-schem und pulmonalvenösem Partialdruck des Inhalations-anästhetikums. Veränderungen des Herzzeitvolumens beein-flussen die Kinetik des Ausgleichs der Partialdrücke zwischen Alveole und Blut nur geringfügig.

Transport mit dem Blut

Inhalationsanästhetika werden physikalisch im Plasma und in den Membranlipiden der Blutzellen gelöst. Ihre geringe Plas-maproteinbindung hat keine praktische Bedeutung. Entspre-chend der Verteilung des Herzzeitvolumens wird das Inhalati-onsanästhetikum in sämtliche Organe und Gewebe des Orga-nismus transportiert.

In der Anflutungsphase soll der Partialdruck im Blut mög-lichst rasch ansteigen und mit dem am Narkosebeatmungs-gerät eingestellten Partialdruck in ein Gleichgewicht kom-men. Nur dann kann am Zielort, dem Gehirn, auch ein ra-scher Abgleich des Gewebepartialdrucks an den des Inhalati-onsgemischs erfolgen. Die Geschwindigkeit, mit der bei konstanter Zufuhr des Inhalationsanästhetikums ein Partial-druckausgleich zwischen Inhalationsgemisch und Zielorgan zustande kommt, hängt sowohl vom Blut/Gas-Verteilungs-koeffizienten als auch vom Gewebe/Blut-Verteilungskoeffizi-enten des verwendeten Inhalationsanästhetikums ab. Bei lungengesunden Patienten sind die Partialdrücke im Blut und im Residualvolumen identisch, und damit entspricht der Verlauf des Partialdrucks im arteriellen Blut dem in › Ab-bildung 9.3.

Aufnahme ins Gewebe

Mit dem Blut wird das Anästhetikum im Körper verteilt. Der maßgebende Faktor für die Geschwindigkeit und Menge, mit der Anästhetika in die verschiedenen Gewebe aufgenommen werden, ist deren Durchblutungsrate (› Tab. 1.30).

Abb. 9.3 Zeitverlauf des Verhältnisses von Partialdruck in der Al-veolarluft und im Inspirationsgemisch für Inhalationsanästhetika.Der Quotient „Partialdruck im Residualvolumen (Alveolarluft)/Partialdruck im Inspirationsgemisch“ steigt umso schneller an, je geringer die Löslichkeit des Inhalationsanästhetikums im Blut ist (nach Yasuda N. et al., 1991).

2459 .1 . Inhalationsanästhetika

9

Gehirn und Rückenmark gehören mit einer Durchblutung von 55 mL/100 g pro Minute zu den am besten perfundierten Organen. Sie erhalten pro Gramm Gewebe in der Zeiteinheit 10- bis 20-mal mehr Blut als die Muskulatur, die den größten Teil der Körpermasse ausmacht. Aufgrund dieser hohen Durchblutung nimmt das Gehirn das Anästhetikum während der Einleitung besonders rasch auf, bis es nach ca. 15 Minuten zum Partialdruckausgleich mit dem Blut kommt. Dies gilt auch für alle anderen gut durchbluteten Organe wie Herz, Le-ber und Niere. Bis es zur Aufsättigung des schlechter durch-bluteten Gewebes (z.B. Muskulatur) kommt, vergehen hinge-gen Stunden.

Die Durchblutung des Fettgewebes beträgt nur 1 mL/100 g pro Minute. Auch stark lipidlösliche Anästhetika wie Halothan werden daher im Fettgewebe viel langsamer als im Gehirn auf-genommen. Eine Äquilibration zwischen dem Partialdruck des Blutes und des Fettgewebes wird unter klinischen Bedingun-gen vermutlich nicht erreicht, da die Durchblutung des Fettge-webes gering ist, die Inhalationsanästhetika im Fettgewebe ex-trem gut löslich sind und das Fettkompartiment relativ groß ist. Die Anreicherung der Inhalationsanästhetika im Fettgewe-be kann durch Rückdiffusion aus diesem großen Speicher bei adipösen Patienten nach langer Narkose die Aufwachphase verlängern.

Im Gehirn stellt die Blut-Hirn-Schranke für das Eindringen der Inhalationsanästhetika kein Hindernis dar; auch die am wenigsten lipidlöslichen Anästhetika, nämlich Distickstoff-monoxid, Desfluran und Sevofluran, verfügen noch über eine ausreichende Penetrationsfähigkeit.

Pulmonale und nichtpulmonale Elimination

Nach Beendigung der Zufuhr werden die Inhalationsanästheti-ka – größtenteils unverändert – über die Lunge abgeatmet. Für die pulmonale Elimination gelten dieselben Gesetzmäßigkeiten wie für die Anflutungsphase. Je niedriger der Frischgasfluss ist, umso langsamer ist die pulmonale Elimination. In der Anflu-tungsphase lässt sich der Partialdruck des Inhalationsanästhe-tikums im zugeführten Gasgemisch temporär erhöhen, um so einen rascheren Anstieg des Partialdrucks in den Alveolen zu erreichen. In der Phase der pulmonalen Elimination besteht diese Möglichkeit nicht. Auch ist hier eine Erhöhung des Atem-minutenvolumens problematischer als in der Anflutungsphase, da die damit einhergehende Hypokapnie den Anreiz zur Spon-tanatmung abschwächt. Weil am Ende der Anästhesie in ver-schiedenen Geweben unterschiedliche Partialdrücke vorliegen, kommt es nach Beendigung der Anästhetikazufuhr zur Umver-teilung in Kompartimente mit ursprünglich niedrigem Partial-druck wie Skelettmuskulatur und Fettgewebe.

Die volatilen Anästhetika, bei denen es zu einem raschen Anstieg des Gewebepartialdrucks kommt, haben auch die ra-scheste Elimination. Allerdings scheint hier Desfluran dem Sevofluran überlegen zu sein. Um die Geschwindigkeit des

Wirkverlusts von Anästhetika zu beschreiben, ist der Begriff der „kontextsensitiven Halbwertszeit“ eingeführt worden. Man versteht darunter die Zeit, in der die Konzentration des Anästhetikums nach Stoppen der Applikation um 50% abge-sunken ist in Relation zur Infusionsdauer (vgl. › Abb. 9.9). Für Inhalationsanästhetika entspricht das Abfallen der Kon-zentration auf 50% nicht der Erholung von der Medikamen-tenwirkung (z.B. Aufwachen), sodass für Inhalationsanäs-thetika die „bedeutsame Konzentrationsabfallzeit“ („rele-vant decrement time“) verwendet wird (› Abb. 9.4). Um zu bestimmen, welcher Konzentrationsabfall relevant ist, müs-sen auch pharmakodynamische Modelle, d.h. Beziehungen zwischen Konzentration am Wirkort und der Wirkung, be-rücksichtigt werden. So haben in › Abbildung 9.4 Desflu-ran und Sevofluran einen vergleichbar schnellen Wirkverlust unter der Annahme, dass ein Konzentrationsabfall um 80% ausreicht, bis der Patient erwacht. Nimmt man an, dass ein Konzentrationsabfall um 90% für den gleichen Effekt not-wendig ist, benötigt Sevofluran in Abhängigkeit von der Dauer der Applikation deutlich länger als Desfluran, bis der Wirkverlust eintritt.

Einige volatile Anästhetika werden metabolisiert, wobei die-ser Prozess nur für die Elimination von Halothan mit einem Anteil von 20% relevant ist (› Tab. 9.1). Für die anderen In-halationsanästhetika sind der Metabolismus und andere Wege der Ausscheidung, wie z.B. Diffusion über die Haut, ohne Rele-vanz.

Abb. 9.4 „Bedeutsame Konzentrationsabfallzeit“ zum Erreichen einer 80-prozentigen und 90-prozentigen Abnahme des alveolä-ren Partialdrucks.Unter der Voraussetzung, dass eine 80-prozentige Abnahme des alveolären Partialdrucks notwendig ist, damit der Patient erwacht, ist die Aufwachzeit nur für Isofluran von der vorausgegangenen Anästhesiedauer abhängig, nicht jedoch für Sevofluran und Desfluran (linke Abbildung). Falls der alve-oläre Partialdruck um 90% gesenkt werden muss, verzögert sich das Erwa-chen nach Isofluran und Sevofluran mit zunehmender Dauer der vorange-gangenen Anästhesie, während das Erwachen aus einer Desfluran-Anästhe-sie kaum beeinträchtigt ist (rechte Abbildung; modifiziert nach J. M. Bailey).

246 9 . Narkose .– .Inhalations- .und .Injektionsanästhetika

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9.1.2  Pharmakodynamik

Die Wirkpotenz von Anästhetika steigt mit ihrer Lipophilie (Lipidtheorie von Meyer, 1899, und Overton, 1901). Die Wir-kung von Anästhetika im ZNS ist jedoch durch ihre Lipidlös-lichkeit und damit durch ihre Anreicherung in Lipidmembra-nen der Zellen und deren Expansion alleine nicht zu erklären. Die Stereoselektivität der Wirkung von Anästhetika an ligan-denaktivierten Ionenkanälen, vor allem der Aktivierung des inhibitorischen γ-Aminobuttersäure(GABAA)- und des Gly-cinrezeptors, spricht für die Bedeutung dieser Wechselwirkung mit Ionenkanalproteinen. Möglicherweise wirken Inhalations-anästhetika, insbesondere Xenon, auch über die Inhibition ex-zitatorischer Neurotransmittersysteme.

MAC-Wert

Inhalationsanästhetika sind unterschiedlich potent, da z.B. der Ersatz von Chlor oder Brom durch Fluor die Wirkpotenz eines Inhalationsanästhetikums abschwächt, weshalb z.B. Sevoflu-ran und Desfluran höher dosiert werden müssen als Isofluran. Um die Wirkung von Inhalationsanästhetika vergleichbar zu machen, wurde der sogenannte MAC-Wert definiert. Die mini-male alveoläre Konzentration (MAC) eines Anästhetikums ist die Konzentration im Verteilungsgleichgewicht (konstante Zu-fuhr für mindestens 15 Minuten), bei der 50% der Patienten keine Abwehrreaktion mehr auf einen definierten Schmerzreiz (z.B. Hautinzision) zeigen (› Tab. 9.1 und › Abb. 9.5). Je höher der MAC-Wert eines Inhalationsanästhetikums, desto geringer ist seine Wirkungsstärke.

Der Verlauf der Konzentrations-Wirkungs-Kurve für ein In-halationsanästhetikum wie z.B. Halothan ist sehr steil (› Abb. 9.5). Bereits eine Erhöhung der alveolären Konzentration um 10%, d.h. auf den 1,1-fachen MAC-Wert (bei Halothan ist dies gleichbedeutend mit einer Steigerung von 0,75 auf 0,83 Vol.-%), bewirkt, dass in einem Kollektiv von ursprünglich 50% schmerzempfindenden Patienten nunmehr keiner mehr auf den Schmerzreiz reagiert. Synergistische Effekte (z.B. durch Opioidgabe, Sedativa, Neuroleptika oder α2-Agonisten) kön-nen anhand des Ausmaßes der Linksverschiebung der Konzen-trations-Wirkungs-Kurve quantifiziert werden. Im Extremfall werden dadurch die MAC-Werte so weit nach links verscho-ben, dass die amnestische Wirkung des Inhalationsanästheti-kums nicht mehr erreicht wird, wodurch sich der Patient an Teile einer Operation erinnern könnte (Awareness, explizite Erinnerung), ohne dass es zu sichtbaren autonomen Reaktio-nen kommt. Intraoperative Wachheit kann jedoch, auch wenn sie nicht bewusst erinnert wird, zu Störungen in der Verarbei-tung des noxischen Reizes bis hin zu Angstneurosen führen (implizite Erinnerung).

Der MAC-Wert eines Inhalationsanästhetikums kann auch durch Hypothermie und Schwangerschaft erniedrigt sein. Mit zunehmendem Lebensalter nimmt der MAC-Wert ebenfalls ab

(z.B. liegt der MAC-Wert für Isofluran mit 6 Monaten bei 1,87 Vol.-% und mit 64 Jahren bei 1,05 Vol.-%). Hyperthermie, chronischer Alkoholabusus und Medikamente, die die Cate-cholaminkonzentration im ZNS steigern (z.B. trizyklische An-tidepressiva, Cocain oder Amphetamine) erhöhen den MAC-Wert.

Da die MAC-Bestimmung für einen definierten Schmerzreiz nicht alle klinischen Situationen widerspiegelt, gibt es auch MAC-Bestimmungen für das Befolgen von verbalen Komman-dos, für die endotracheale Intubation oder für die adrenerge Reaktion auf die Hautinzision. In ›  Abbildung 9.6 sind die MAC-Werte für verschiedene starke Reize dargestellt, die ver-

Abb. 9.5 Bestimmung der minimalen alveolären Anästhetikakon-zentration (MAC).Der obere Teil des Diagramms gibt die Reaktion von Patienten in Narkose wieder. Die senkrechten Striche über der Horizontalen bedeuten positive Schmerzreaktion auf eine Testinzision (jeder Strich ist ein Patient); Striche nach unten bedeuten demgegenüber keine Reaktion.Gruppe A = Halothan-Sauerstoff-GemischGruppe B = Halothan-Sauerstoff-Gemisch nach Vorbehandlung mit Mor-phin (8–15 mg s.c., ca. 90 min vor der Inzision)Gruppe C = Halothan in einem Gemisch aus 30 Vol.-% Sauerstoff und 70 Vol.-% DistickstoffmonoxidIm unteren Teil des Diagramms ist der prozentuale Anteil der Patienten mit einer positiven Reaktion auf den Schmerzreiz in Abhängigkeit von der ange-wendeten Halothankonzentration dargestellt. Ausgehend von der niedrigs-ten Anästhetikakonzentration in der entsprechenden Versuchsgruppe (A, B bzw. C) ist jeweils für mindestens vier Patienten mit einheitlicher Reaktion auf den Schmerzreiz der Mittelwert der Halothan-Konzentration berechnet und im Diagramm eingetragen (modifiziert nach E. I. Eger bzw. L. Quasha).

2479 .1 . Inhalationsanästhetika

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deutlichen, dass sich für verschiedene Noxen unterschiedliche MAC-Werte ergeben. Die Kenntnis dieser unterschiedlichen MAC-Werte ist für die adäquate Steuerung der Anästhesie wichtig.

Der MAC-Wert beschreibt die Unterdrückung einer motori-schen Antwort auf einen definierten Schmerzreiz durch Inha-lationsanästhetika. Da Untersuchungen an dezerebrierten Rat-ten gezeigt haben, dass der MAC-Wert unverändert bleibt, un-abhängig davon, ob eine Verbindung zwischen Gehirn und Rückenmark besteht, ist das Konzept des MAC-Wertes nicht unkritisch zu sehen. Die Inhibition einer motorischen Antwort durch Inhalationsanästhetika scheint eher über die Unterdrü-ckung von Motoneuronen auf spinaler Ebene vermittelt zu sein (GABAA- und Glycinrezeptoren) als, wie bisher angenommen, auf zentraler Ebene.

Wirkung auf das zentrale Nervensystem

Durch Inhalationsanästhetika wird die Funktion des ZNS re-versibel verändert. Diese Funktionsänderungen gehen mit ei-ner Amnesie, einem Verlust des Bewusstseins und einer Her-absetzung von Abwehr- und Fluchtreflexen sowie von autono-men Reaktionen einher. Bei einer für eine Operation ausrei-

chenden Narkosetiefe sollte der Patient nicht mehr erweckbar sein, wobei das Ausmaß der Einschränkung der Aktivität des ZNS bestimmt wird vom Partialdruck des inhalativen Anästhe-tikums. Die Wirkung der Inhalationsanästhetika auf den cere-bralen Metabolismus spiegeln sich in veränderten Frequenzen und Amplituden des Elektroencephalogramms (EEG) wider. Mit steigenden Konzentrationen verringern sich die Frequen-zen im EEG, bis es über das „Burst-Suppression“-Muster zur Nulllinie im EEG kommt, was mit einer totalen Suppression des funktionellen cerebralen Metabolismus korreliert. Durch die Kopplung von cerebraler Durchblutung und Metabolismus reduzieren niedrige Konzentrationen volatiler Anästhetika, insbesondere Sevofluran, die cerebrale Durchblutung und das cerebrale Blutvolumen. Mit höheren Konzentrationen wirken Inhalationsanästhetika direkt dilatierend auf cerebrale Wider-standsgefäße, wodurch die cerebrale Durchblutung wieder an-steigt, obwohl der cerebrale Metabolismus weiter reduziert wird. Daraus ergibt sich, dass höhere Konzentrationen der In-halationsanästhetika das cerebrale Blutvolumen und somit den intrakraniellen Druck erhöhen können, wobei dies für Sevoflu-ran am wenigsten zutrifft. In höheren Konzentrationen heben Inhalationsanästhetika darüber hinaus die zerebrovaskuläre Autoregulation auf, während die CO2-Reaktivität cerebraler Gefäße erhalten bleibt.

Abb. 9.6 Darstellung der MAC-Werte für Isofluran unter verschiedenen ReizenDer obere Teil des Diagramms gibt die Reaktion von Patienten unter Isofluran-Narkose wieder. Die senkrechten Striche über der Horizontalen bedeu-ten positive Schmerzreaktion auf einen Stimulus (jeder Strich ist ein Patient); Striche nach unten bedeuten demgegenüber keine Reaktion. Im unte-ren Teil des Diagramms ist die Wahrscheinlichkeit für eine fehlende Reaktion auf einen Stimulus (z.B. Intubation, Hautschnitt) in Anhängigkeit von der Isofluran-Konzentration dargestellt. Für verschie-den starke Reize ergeben sich unterschiedliche MAC-Werte (modifiziert nach A. M. Zbinden).

248 9 . Narkose .– .Inhalations- .und .Injektionsanästhetika

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Alle Anästhetika scheinen in Phasen starker Konzentrati-onsänderungen (Ein- und Ausleitung) im EEG Veränderungen zu induzieren, die einem cerebralen Krampfanfall ähneln. Hierbei könnte ein vorübergehendes Ungleichgewicht zwi-schen inhibitorischen und exzitatorischen Neuronenverbän-den eine Rolle zu spielen. Dies konnte insbesondere für das Inhalationsanästhetikum Enfluran gezeigt werden. Einen Zu-sammenhang zwischen diesen EEG-Veränderungen und ei-nem postoperativen cerebralen Schaden konnte bisher nicht nachgewiesen werden.

9.1.3  Halogenierte Kohlenwasserstoffe

Für Isofluran, Desfluran und Sevofluran konnte tierexperi-mentell und klinisch ein kardioprotektiver Effekt vor und während kardiochirurgischer Eingriffe nachgewiesen werden (Präkonditionierung), wobei die Öffnung ATP-abhängiger mi-tochondrialer Kaliumkanäle durch diese Inhalationsanästheti-ka eine zentrale Rolle spielt.

Alle halogenierten Kohlenwasserstoffe wirken muskelrelaxie-rend und verstärken so die Wirkung nichtdepolarisierender Muskelrelaxantien. Diese Interaktion spielt aber bei dem heute üblichen Monitoring der neuromuskulären Funktion (Relaxo-metrie) für den Ablauf der Narkose nur noch eine untergeordne-te Rolle. Lediglich bei Schwangeren mit Gestosen, die mit Mag-nesium behandelt werden, mag diese Interaktion zu einer uner-wünschten Wirkungsverlängerung der Muskelrelaxation führen.

Bei Kontakt von volatilen Anästhetika mit dem CO2-absorbie-renden Atemkalk (der in allen Rückatmungssystemen verwen-det werden muss) können verschiedene Abbauprodukte mit or-gantoxischem Potential gebildet werden, insbesondere wenn der Atemkalk trocken ist, ein niedriger Frischgasfluss eingestellt ist, der Atemkalk sehr warm und die Konzentration des Inhalati-onsanästhetikums sehr hoch ist. Alle halogenierten Kohlenwas-serstoffe können mit dem Atemkalk Kohlenmonoxid bilden, wäh-rend für Sevofluran noch zusätzlich die Bildung des Vinylethers Compound A nachgewiesen wurde (s.u.). Daher sind Kohlendi-oxid-Absorber entwickelt worden, die stabil gegenüber haloge-nierten Inhalationsanästhetika sind (z.B. Calciumhydroxidkalk).

Maligne Hyperthermie ist eine metabolische Myopathie, die einen seltenen Narkosezwischenfall bei genetisch prädispo-nierten Patienten (autosomal-dominant) darstellt und durch Inhalationsanästhetika und depolarisierende Muskelrelaxanti-en ausgelöst werden kann. Die genaue Ätiologie, Pathophysio-logie, Symptome und Therapie der malignen Hyperthermie werden in › Kapitel 3.4.4 besprochen.

Halothan

Halothan (Fluothane®) ist ein mit Brom, Chlor und Fluor haloge-niertes Alkan. Bis zu 20% der während einer Narkose in den Kör-per aufgenommenen Halothanmenge wird in der Leber metaboli-siert. Produkte des oxidativen Halothanmetabolismus (Trifluor-

acetylchlorid, Trifluoressigsäure) binden sich an die Zellmembran der Hepatozyten und werden als Antigen erkannt. Unter ungüns-tigen Narkosebedingungen (z.B. Hyp oxie, Hyperkapnie, Minder-perfusion der Leber) können diese Metaboliten vermehrt auftre-ten und eine gegen die Hepatozyten gerichtete Autoimmunant-wort auslösen. Darüber hinaus kann es in seltenen Fällen zu einer toxischen Schädigung der Leber kommen (Inzidenz ca. 1 : 35.000), die mit ausgedehnten Nekrosen und hoher Letalität assoziiert ist. Halothan sensibilisiert Myokard und Erregungsleitungssystem des Herzens gegenüber Catecholaminen.

Halothan findet in den Industrienationen aus den oben ge-nannten Gründen keine Anwendung mehr, wird aber aufgrund seiner geringen Kosten in der übrigen Welt noch häufig einge-setzt.

Enfluran

Enfluran (Ethrane®) ist ein mit Chlor und Fluor halogeniertes Etherderivat. Während die hypnotische und muskelrelaxieren-de Wirkung gut ausgeprägt ist, ist die analgetische Wirkung gering. Wegen der günstigeren pharmakokinetischen und -dy-namischen Eigenschaften der neueren Inhalationsanästhetika hat Enfluran jedoch an Bedeutung verloren. In Deutschland wurde der Vertrieb im Jahr 2003 eingestellt.

Isofluran

Isofluran (›  Abb. 9.1, Forene®) ist ein Strukturisomer des Enflurans und besitzt wie dieses ein Asymmetriezentrum. Das für die Anästhesie verwendete Razemat liegt als klare, farblose Flüssigkeit vor, die chemisch sehr stabil ist. Zur Narkose wird ein speziell kalibrierter Verdampfer verwendet. Isofluran hat einen ätherisch stechenden Geruch. Im Gemisch mit Sauerstoff ist Isofluran in dem für anästhesiologische Zwecke benötigten Konzentrationsbereich nicht brennbar.

Pharmakokinetik

Aufgrund des geringeren Blut/Gas-Verteilungskoeffizienten (› Tab. 9.1) ist die Steuerbarkeit von Isofluran besser als die von Enfluran. So flutet Isofluran bei Narkoseeinleitung schnel-ler an und wird in der Ausleitungsphase schneller wieder pul-monal eliminiert als Enfluran. Isofluran ist chemisch sehr sta-bil; die Metabolisierungsrate liegt unter 0,2%.

Pharmakodynamik

Herz-Kreislauf-System: Die negativ inotrope Wirkung von Isofluran ist minimal, weshalb die Hypotonie nach Isofluran überwiegend auf eine Senkung des peripheren Gefäßwider-standes durch Dilatation der Arteriolen zurückgeführt wird. Es

2499 .1 . Inhalationsanästhetika

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wird diskutiert, ob es aufgrund der Vasodilatation intakter Ko-ronararterien bei Patienten mit Koronarsklerose zu einem so-genannten Steal-Phänomen kommen könnte (› Abb. 17.29). Andererseits existieren Hinweise auf eine präkonditionierende (also kardioprotektive) Wirkung von Isofluran. Die Sensibili-sierung von Myokard und Erregungsleitungssystem des Her-zens gegenüber Catecholaminen ist im Vergleich zu Halothan nur schwach ausgeprägt. Dennoch ist Vorsicht geboten bei Dauermedikation mit nichtselektiven MAO-Hemmern und Isoniazid. Sympathomimetika können ebenfalls ventrikuläre Arrhythmien auslösen.

Lunge: Isofluran wirkt dosisabhängig atemdepressiv, bron-chodilatierend und schwächt in höheren Konzentrationen die hypoxischbedingte pulmonale Vasokonstriktion ab.

ZNS: In Konzentrationen über 0,5 MAC kann Isofluran über eine direkte Dilatation cerebraler Gefäße den intrakraniellen Druck erhöhen und ist daher bei Patienten mit intrakraniellen Raumforderungen kontraindiziert. Gleichzeitig kann die cereb-rovaskuläre Autoregulation beeinträchtigt werden. Der cereb-rale Metabolismus wird durch Isofluran konzentrationsabhän-gig reduziert.

Leber: Die Lebertoxizität von Isofluran ist gering und die hepatische Funktion von Patienten mit chronischer Leberer-krankung wird nicht weiter verschlechtert. Darüber hinaus ist die Konzentration an freigesetzter Trifluoressigsäure deutlich niedriger im Vergleich zu Halothan und Enfluran, weshalb das Risiko einer immunologisch vermittelten Hepatitis gering ist. Verglichen mit Halothan und Enfluran, reduziert Isofluran die Gesamtdurchblutung der Leber weniger.

Niere: Wegen der geringen hepatischen Metabolisierung von Isofluran werden pathologische Fluoridspiegel unter Iso-fluran nur nach sehr langer Applikation gemessen und beein-trächtigen selbst dann die renale Funktion nicht. Die konzen-trationsabhängige Einschränkung des renalen Blutflusses (kann um bis zu 80% sinken) unter Isofluran scheint ebenfalls die renale Funktion nicht zu beeinflussen.

Sonstiges: Es ist unklar, ob Isofluran auf den menschlichen Embryo teratogen wirkt. Isofluran sollte daher nur bei klarer Abwägung des Risikos in der Schwangerschaft eingesetzt wer-den. Für die Sectio caesarea kann Isofluran verwendet wer-den. Es ist nicht bekannt, ob Isofluran in die Muttermilch übertritt.

Klinische Anwendung

Mit einem MAC von 1,2 Vol.-% ist Isofluran nach Halothan das potenteste Inhalationsanästhetikum. Anders als Halothan und Sevofluran kann es wegen seines stechenden Geruchs nicht zur Inhalationseinleitung bei Kindern verwendet werden. Nach Nar-koseeinleitung wird der Isofluran-Verdampfer initial kurzfristig auf 2–3 Vol.-% eingestellt bei einem Frischgasfluss von etwa 3–4 L/min. Danach werden die Isoflurankonzentration und der Frischgasfluss entsprechend reduziert. Da die analgetische Wir-kung von Isofluran gering ist, wird es in Kombination mit

Opioiden oder Distickstoffmonoxid verwendet. In Kombinati-on mit Opioiden werden zur Aufrechterhaltung einer für grö-ßere chirurgische Eingriffe erforderlichen tiefen Anästhesie 0,5–0,6 MAC Isofluran benötigt, in Kombination mit Distick-stoffmonoxid ca. 0,7 MAC.

Kontraindikationen

Absolut: Überempfindlichkeit gegen Isofluran oder einen an-deren halogenierten Kohlenwasserstoff; maligne Hyperther-mie; Einnahme von nichtselektiven MAO-Hemmern; erhöhter intrakranieller Druck.

Relativ: Kinder unter 2 Jahren; Schwangerschaft und Still-zeit (Mangel an Erfahrung); schwere Leber- oder Nierenschä-digung.

Desfluran

Desfluran (Suprane®), ein weiterer halogenierter Kohlen-wasserstoff, unterscheidet sich vom Isofluran dadurch, dass ein Chloratom gegen ein Fluoratom ausgetauscht wurde (›  Abb. 9.1). Es ist ebenfalls chiral und wird als Racemat eingesetzt. Sein niedriger Siedepunkt und sein hoher Dampfdruck machen einen technisch aufwendigen, geheiz-ten Verdampfer erforderlich. Im Gemisch mit Sauerstoff ist Desfluran weder brennbar noch explosiv. Desfluran hat ei-nen stechenden, unangenehmen Geruch; es kann nicht zur inhalativen Narkoseeinleitung verwendet werden, da es zu Husten, Apnoe, erhöhtem Speichelfluss und Laryngospas-mus führt.

Pharmakokinetik

Die Löslichkeit von Desfluran im Blut ist ähnlich gering wie von Distickstoffmonoxid (› Tab. 9.1). Somit ist die Substanz gut steuerbar und erreicht bei der Narkoseeinleitung rasch ho-he Partialdrücke im Blut und damit auch am Wirkort, dem Ge-hirn. Am Ende der Narkose wird Desfluran rasch pulmonal eliminiert. Die Metabolisierungsrate mit 0,02% ist vernachläs-sigbar gering.

Pharmakodynamik

Herz-Kreislauf-System: Desfluran vermindert den peripheren Gefäßwiderstand und führt daher in höheren Konzentrationen zum Blutdruckabfall. Ähnlich wie Isofluran ist Desfluran kaum negativ inotrop. Das Myokard wird nicht gegenüber Catechol-aminen sensibilisiert. Bei einem raschen Konzentrationsan-stieg von Desfluran kann jedoch eine Tachykardie infolge einer Sympathikusaktivierung ausgelöst werden. Dies ist insbeson-dere bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit zu beachten,

250 9 . Narkose .– .Inhalations- .und .Injektionsanästhetika

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bleibt jedoch bei Komedikation von Opioiden beherrschbar. Andererseits hat Desfluran auch kardioprotektive Eigenschaf-ten (Präkonditionierung).

Lunge: Desfluran dämpft den Atemantrieb. Bei Patienten mit Disposition zu Bronchokonstriktion (z.B. Asthma) sollte Desfluran vermieden werden, da es bei diesen Patienten zu Bronchospasmen kommen kann.

ZNS: Desfluran hat den stärksten dilatierenden Effekt auf cerebrale Gefäße und führt deshalb in höheren Konzentratio-nen rasch zu einem Anstieg des cerebralen Blutvolumens und somit auch des intrakraniellen Drucks. Die zerebrovaskuläre Autoregulation ist unter höheren Konzentrationen beeinträch-tigt.

Leber: Eine immunologisch vermittelte Hepatitis und ein toxischer Leberschaden durch Desfluranmetaboliten sind we-gen der niedrigen Metabolisierungsrate und raschen Eliminati-on sehr selten. Der leberarterielle Blutfluss nimmt unter Des-fluran konzentrationsabhängig ab.

Niere: Der renale Blutfluss nimmt ähnlich wie unter Isoflu-ran ab. Eine Schädigung ist dennoch nicht zu erwarten.

Sonstiges: Für Schwangere und für die Anwendung im Be-reich der Geburtshilfe liegen nur unzureichende Erfahrungen vor. Es ist unklar, ob Desfluran in die Muttermilch übertritt. In Dosierungen von 4 MAC-Stunden pro Tag könnte Desfluran einen embryotoxischen Effekt haben.

Klinische Anwendung

Desfluran besitzt die geringste Wirkpotenz aller Inhalations-anästhetika, weswegen hohe inspiratorische Partialdrücke an-gewendet werden müssen. Um ökonomisch zu arbeiten, sollte Desfluran daher nur mit einem sehr niedrigen Frischgasfluss appliziert werden. Dank des niedrigen Blut/Gas-Verteilungs-koeffizienten bleibt Desfluran auch bei niedrigem Frischgas-fluss gut steuerbar. Der MAC-Wert von Desfluran ist stark ab-hängig vom Alter (mit 1 Jahr bis zu 10 Vol.-%, über 60 Jahre 5,3 Vol.-%). Nach der Narkoseeinleitung werden kurzzeitig ho-he inspiratorische Desfluran-Konzentrationen (ca. 1,5 MAC) benötigt, die dann in Kombination mit Opioiden auf 0,4–0,6 MAC reduziert werden können. Zusammen mit Distickstoff-monoxid sind zur Aufrechterhaltung der Narkose 0,7 MAC nötig.

Kontraindikationen

Absolut: Überempfindlichkeit gegenüber Desfluran oder ei-nem anderen halogenierten Kohlenwasserstoff; maligne Hy-perthermie; akute hepatische Porphyrie; erhöhter intrakraniel-ler Druck.

Relativ: Koronarsklerose; Asthma pulmonale; Schwanger-schaft und Stillzeit (Mangel an Erfahrung).

Sevofluran

Sevofluran (Sevorane®), ein fluorierter Methylisopropylether, hat im Gegensatz zu den bisher erwähnten Inhalationsanästhe-tika keinen asymmetrischen Kohlenstoff (›  Abb. 9.1). In Deutschland ist Sevofluran seit 1995 zugelassen. Da Sevofluran einen relativ angenehmen Geruch besitzt, hat es Halothan für die Inhalationseinleitung bei Kindern abgelöst.

Pharmakokinetik

Sevofluran ist relativ schlecht im Blut löslich, jedoch im Ver-gleich zum Desfluran wesentlich stärker lipidlöslich (› Tab. 9.1). Aufgrund seines niedrigen Blut/Gas-Verteilungskoeffizi-enten flutet es in der Einleitungsphase rasch an. Am Ende der Narkose wird es jedoch im Vergleich zu Desfluran wegen sei-ner höheren Lipidlöslichkeit langsamer pulmonal eliminiert (›  Abb. 9.4). Die Metabolisierungsrate ist mit 3–5% ver-gleichsweise hoch (hepatisch über Cytochrom P450). Unter an-derem wird bei der Metabolisierung Fluor freigesetzt. Die Fluorkonzentration im Serum kann nach einer Sevofluran-narkose bis auf 30–35 μmol/L ansteigen, wobei Fluor erst ab einer Konzentration von 50 μmol/L im Serum nephrotoxisch ist. Darüber hinaus kann Sevofluran bei Verwendung von Nat-rium-, Barium- oder Kaliumhydroxid-haltigen CO2-Absorbern unter Fluorwasserstoffabspaltung zu einem Vinylether (Com-pound A) abgebaut werden, insbesondere bei geringer Frisch-gaszufuhr und trockenem Atemkalk. Obwohl bei Ratten Com-pound A nephrotoxisch ist, konnte selbst bei Menschen mit vorbestehender Nierenerkrankung nach längerer Sevofluran-Gabe keine weitere Einschränkung der Nierenfunktion beob-achtet werden.

Pharmakodynamik

Herz-Kreislauf-System: Sevofluran hat nur eine geringe va-sodilatierende Eigenschaft und zeichnet sich durch eine gute hämodynamische Kreislaufstabilität aus. Es sensibilisiert das Myokard nicht gegenüber Catecholaminen. Eine geringe Er-höhung der Herzfrequenz ist beschrieben worden. Sevoflu-ran hat kardioprotektive Eigenschaften (Präkonditionie-rung).

Lunge: Sevofluran führt zur dosisabhängigen Atemdepressi-on; die Inzidenz von Bronchospasmen ist sehr gering.

ZNS: An cerebralen Gefäßen hat Sevofluran einen nur gerin-gen direkt vasodilatierenden Effekt und ist daher für den Ein-satz in der Neurochirurgie geeignet. Bei Kleinkindern können postoperativ vorübergehende Agitationszustände auftreten. Da bisher keine negativen Auswirkungen dieser Ereignisse beob-achtet werden konnten, ist die klinische Relevanz dieser Zu-stände möglicherweise gering. Die Häufigkeit und Ausprägung dieser Exzitationen können durch Gabe von Propofol oder Clo-nidin vor Narkoseausleitung reduziert werden.

2519 .1 . Inhalationsanästhetika

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Leber: Da Sevofluran nicht zu Trifluoressigsäure, sondern zu Hexafluorisopropanol abgebaut wird, ist mit einer Hepato-toxizität nicht zu rechnen. Unter Sevofluran nimmt die Leber-durchblutung ähnlich wie bei Desfluran geringfügig ab.

Niere: Weder die erhöhte Fluoridkonzentration, die Bildung von Compound A noch die Abnahme der renalen Perfusion be-einträchtigen die Nierenfunktion unter Sevofluran.

Sonstiges: Die Sicherheit von Sevofluran für die Sectio caesarea konnte nachgewiesen werden. Für alle anderen Anwendungen in der Schwangerschaft muss eine Risiko-Nutzen-Abwägung durchgeführt werden. Da nicht bekannt ist, ob Sevofluran in die Muttermilch übertritt, sollte Se-vofluran bei stillenden Müttern mit Vorsicht angewendet werden. Es ist unklar, ob Sevofluran teratogene Eigenschaf-ten besitzt.

Klinische Anwendung

Aufgrund seines angenehmen Geruchs und seiner raschen An-flutung kann Sevofluran zur Einleitung einer Narkose in der Kinderanästhesie verwendet werden. Das Abkling- und Auf-wachverhalten ähnelt den Eigenschaften von Desfluran, wobei sich bei längeren Narkosen die Zeit für die Elimination von Se-vofluran erhöht (höhere Lipidlöslichkeit). Da Sevofluran eine nur geringe analgetische und hypnotische „Wirkpotenz“ be-sitzt, wird es mit Opioiden oder Distickstoffmonoxid kombi-niert. Der MAC-Wert liegt zwischen dem von Isofluran und Desfluran und nimmt mit zunehmenden Alter ab (< 3 Jahre bei 3,0 Vol.-%, mit 60 Jahren bei 1,6 Vol.-%). Zur Inhalationsein-leitung muss der Vapor kurzfristig auf 6 Vol.-% eingestellt wer-den, zur raschen Anflutung nach intravenöser Einleitung auf 3–4 Vol.-%. Zur Aufrechterhaltung der Narkose wird in Kom-bination mit Opioiden ein MAC-Wert von 0,5–0,7 und in Kombination mit Distickstoffmonoxid etwa ein MAC-Wert von 0,7 MAC benötigt.

Kontraindikationen

Absolut: Überempfindlichkeit gegenüber Sevofluran oder ei-nen anderen halogenierten Kohlenwasserstoff, maligne Hyper-thermie, akute hepatische Porphyrie.

Relativ: eingeschränkte Nierenfunktion; Schwangerschaft und Stillzeit (Mangel an Erfahrung); erhöhter intrakranieller Druck.

9.1.4  Anorganische Inhalationsanästhetika

Distickstoffmonoxid

Distickstoffmonoxid (N2O, historisch auch Stickoxydul oder „Lachgas“) ist ca. 1,5-mal schwerer als Luft, geruchlos und für Schleimhäute des Respirationstrakts völlig reizlos (›  Abb.

9.1). Im Gegensatz zu den flüssigen, aber leicht verdampfenden halogenierten Kohlenwasserstoffen handelt es sich bei Distick-stoffmonoxid um ein Gas. Es ist weder brennbar noch explosiv, vermag aber eine Verbrennung zu unterhalten, da bei Tempe-raturen über 450  °C Sauerstoff freigesetzt wird. Mischungen mit Diethylether sind hoch explosiv und waren früher Anlass zu Unglücksfällen.

Pharmakokinetik

Aufgrund seiner geringen Löslichkeit im Blut (› Tab. 9.1) flu-tet Distickstoffmonoxid sehr rasch an und wird nach Beendi-gung der Zufuhr schnell und vollständig wieder eliminiert. Die Metabolisierung von Distickstoffmonoxid ist mit 0,004% ver-nachlässigbar gering.

Pharmakodynamik

Herz-Kreislauf-System: Distickstoffmonoxid erhöht den Sympathikotonus, wirkt negativ inotrop und kann eine vorbe-stehende pulmonale Hypertonie aggravieren.

Lunge: Die Atemfrequenz wird unter Distickstoffmonoxid erhöht. Bei Narkoseausleitung besteht die Gefahr einer Diffusi-onshypoxie (s.u.).

ZNS: Distickstoffmonoxid erhöht den intrakraniellen Druck und ist daher bei Patienten mit erhöhtem intrakraniellem Druck kontraindiziert.

Leber und Niere: Parenchymschäden in Leber und Niere treten auch bei längerer Anwendung nicht auf.

Sonstiges: Distickstoffmonoxid belastet die Umwelt (Treib-hausgas, Abbau der Ozonschicht) und steigert möglicherweise die Abortrate in der Frühschwangerschaft von exponiertem Personal.

Distickstoffmonoxid oxidiert das Kobaltatom von Vitamin B12 irreversibel, was zur Störung des Methionin- und Folsäure-stoffwechsels führt. Hierüber kann eine megaloblastische An-ämie oder eine zentrale oder periphere Neuropathie hervorge-rufen werden. Aufgrund dieser Problematik sollen Anwen-dungen von mehr als 6 Stunden Dauer vermieden werden. Bei stark fehlernährten Patienten (z.B. Alkoholmissbrauch) und strengen Vegetariern (Vitamin-B12-Mangel) soll Distickstoff-monoxid ganz vermieden werden. Distickstoffmonoxid besitzt durch die Erniedrigung des Methioninspiegels infolge der Vit-amin-B12-Inaktivierung einen potentiell teratogenen Effekt.

Klinische Anwendung

Distickstoffmonoxid wirkt gut analgetisch, aber nur schwach narkotisch. Die frühere routinemäßige Anwendung als Analge-tikum wird wegen der möglichen Nebenwirkungen und der Entwicklung gut steuerbarer Opioide zunehmend infrage

252 9 . Narkose .– .Inhalations- .und .Injektionsanästhetika

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gestellt. Der theoretische MAC-Wert liegt bei 104 Vol.-%. Eine Bewusstlosigkeit wird erst ab Konzentrationen über 80 Vol.-% erreicht. Diese sind in der Praxis nicht erreichbar, da zur Ver-meidung einer Hypoxie die Sauerstoffkonzentration im Inhala-tionsgemisch 25 Vol.-% nicht unterschreiten darf. Distickstoff-monoxid wird daher normalerweise in Konzentrationen von 70 Vol.-% angewendet und reduziert die MAC-Werte aller gän-gigen inhalativen Anästhetika. Im Zusammenhang mit Di-stickstoffmonoxid werden vor allem für die Einleitungsphase der Konzentrationseffekt und der Zweitgaseffekt diskutiert (s.o.). Vor Ausleitung der Narkose müssen die Lungen mindes-tens über 3 Minuten reinen Sauerstoff erhalten, um eine Diffu-sionshypoxie zu vermeiden (Verdrängung des Sauerstoffs in den Alveolen durch das schnell zurückdiffundierende Distick-stoffmonoxid).

Da Distickstoffmonoxid 34-mal schneller in luftgefüllte Kör-perhohlräume diffundiert, als Stickstoff diese verlassen kann, kommt es im Mittelohr und im Darm zu Druckerhöhungen mit Übelkeit und Erbrechen. Bei Vorliegen eines Pneumence-phalons, eines Pneumothorax, einer Luftembolie oder eines Ileus ist Distickstoffmonoxid konsequenterweise zu vermei-den. Auch ein Hautemphysem kann durch Distickstoffmon-oxid verstärkt werden. Der Druck der Blockermanschetten von Endotrachealtuben und Larynxmasken muss kontinuierlich kontrolliert werden.

Kontraindikationen

Absolut: Vitamin-B12-Mangel; Pneumencephalon; Pneumo-thorax; Luftembolie; Ileus.

Relativ: erhöhter intrakranieller Druck; Schwangerschaft; Mangelernährung.

Xenon

Seit etwa 50 Jahren ist bekannt, dass das zu den seltensten Ele-menten der Erde gehörende Xenon (Anteil in der Luft: 0,0000087 Vol.-%) narkotisch wirksam ist. Xenon ist ein farb- und geruchloses Edelgas, das nicht brennbar und im Gemisch mit anderen Gasen oder Dämpfen nicht explosiv ist. Potentiell vorteilhafte anästhesiologische Eigenschaften von Xenon wie die kardiovaskuläre Stabilität stehen einem sehr hohen Preis und einem aufgrund der hohen Viskosität von Xenon erhöhten Inspirationsdruck gegenüber.

Im Gehirn wirkt Xenon am NMDA-, am AMPA- und am Kainat-Rezeptor als Antagonist, was seine analgetische Wir-kung erklärt. Xenon ist weniger gut blut- und besser lipidlös-lich (damit auch stärker narkotisch wirksam) als Distick-stoffmonoxid (›  Tab. 9.1). Obwohl der MAC-Wert (70 Vol.-%) niedriger liegt als für Distickstoffmonoxid, ist die anästhesiologische „Wirkpotenz“ von Xenon gering. Da der Patient mindestens 25 Vol.-% Sauerstoff einatmen muss, kann Xenon nicht in Dosierungen wesentlich über seiner

MAC von 70 Vol.-% angewendet werden. Bei einem Frisch-gasfluss von 3 L/min flutet die Narkose mit 70 Vol.-% Xenon sehr rasch an; nach knapp 3 Minuten wird ein Gleichgewicht erreicht. Am Narkoseende vergehen vom Abstellen der Xe-nonzufuhr bis zum Aufwachen des Patienten etwa 5 Minu-ten.

9.2  Intravenöse Anästhetika

Intravenöse Anästhetika wirken schneller und sind daher zur Narkoseeinleitung meist besser geeignet als Inhalationsanäs-thetika, zumal die intravenöse Applikation für den Patienten angenehmer ist als die Inhalationseinleitung. Die Steuerbarkeit der Wirkung der Injektionsanästhetika während der Narkose ist allerdings ungünstiger als die der Inhalationsanästhetika (Ausnahme: Propofol). Daher ist nur Propofol und mit Ein-schränkungen auch Methohexital und Ketamin für die konti-nuierliche Gabe während einer Narkose geeignet.

9.2.1  Wirkdauer

Nach Injektion eines Anästhetikums steigt initial die Plasma-konzentration rapide an, bevor es entlang dem Konzentrati-onsgefälle in besonders gut durchblutete Organe (Gehirn und Eingeweide) diffundiert (›  Abb. 9.8). Mit Verzögerung nimmt auch weniger gut durchblutetes Gewebe (z.B. Musku-latur) die Substanz auf, wodurch die Plasmakonzentration wieder sinkt. Das führt dazu, dass das Anästhetikum aus gut durchbluteten Organen wie dem Gehirn ins Plasma zurück-diffundiert und somit die Konzentration im Gehirn wieder abfällt. Später nimmt noch das Fettgewebe die Substanz auf, wodurch der cerebrale Konzentrationsabfall weiter verstärkt wird. Durch diese Umverteilungsphänomene ist die Wirk-dauer der Anästhetika (im Gehirn) deutlich kürzer als die Verweildauer im Körper. Nach der Umverteilung werden die Anästhetika hauptsächlich in der Leber metabolisiert (oxi-diert, reduziert, hydrolysiert, decarboxyliert oder konjugiert) und dann über die Galle oder die Nieren ausgeschieden. Dem-entsprechend muss die Dosierung dieser Medikamente bei Patienten mit Leber- oder Niereninsuffizienz angepasst wer-den.

Nach Injektion des Anästhetikums kann die Pharmakokine-tik von außen durch keinerlei Maßnahmen beeinflusst werden, was die Steuerbarkeit der Injektionsanästhetika verschlechtert. Da die Infusionsdauer aufgrund der hohen Lipophilie aller In-jektionsanästhetika die effektive Halbwertszeit beeinflusst, gibt man die „kontextsensitive Halbwertszeit“ an (›  Abb. 9.9; ›  Kap. 9.1.1). Während Thiopental stark kumuliert, kann Propofol auch nach längerer Infusion relativ rasch eliminiert werden. Eine Weiterentwicklung der kontextsensitiven Halb-wertszeit stellt die „bedeutsame Konzentrationsabfallzeit“ dar (› Abb. 9.4), die die Zeit bis zum Wirkverlust (z.B. Auf-wachen des Patienten) angibt (› Kap. 9.1.1).

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Bibliographische Angaben: Maße: 196 x 270 cm Gewicht: 3152 Gramm Seiten: 1188 Bilder Farbe: 780 Preis: Preise finden Sie im Shop ISBN: 978-3-437-42523-3

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