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InhaLt

InhaLt

Vorwort ................................................................................................................................6

Tansania im geografischen Überblick .......................................................................8

Aufwärmprogramm ....................................................................................................... 10

1 Scherbenhaufen in Mwanza ............................................................................. 18

2 Fanta, Fisch und Feuerbohnen ........................................................................28

3 Doppelpass vor Krokodilen ...............................................................................40

4 Ran an den Brei – Ugali für „umme“.............................................................52

5 Wie bei Hempels unterm Sofa .........................................................................64

6 Konyagi für Miraculix ......................................................................................... 76

7 Mund abwischen, weitermachen ....................................................................92

8 „Schmeiß den Trainer raus!“ ...........................................................................108

9 Fluggrätschen, Eisspray und latentes Motzen ..........................................122

10 Marionetten in Daressalam ............................................................................136

11 Mein Herz spielt Sackhüpfen .........................................................................160

12 Die Schleichwege des Geldes .........................................................................174

13 Trump heißt der Köter .......................................................................................182

14 Sprinten wie eine Hyäne .................................................................................196

15 Die Allüren des Magiers ................................................................................. 206

16 Wer Sex hat, muss rennen .............................................................................. 220

17 Zwischen Zuckerrohr und einem klapprigen Drahtesel ........................ 232

18 Fiasko auf vier Rädern ..................................................................................... 244

19 Ein schmieriges Manöver ................................................................................ 252

20 Auf Wiedersehen, Toto .................................................................................... 264

Nach dem Abpfiff ...................................................................................................... 272

Früher Toto, heute? .................................................................................................... 275

Ausblick ......................................................................................................................... 280

Der Autor ...................................................................................................................... 283

Danke! ........................................................................................................................... 284

Bildnachweis ................................................................................................................ 285

Ballzauber in Tansania

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Details sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der

Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mi-

krofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder ver-

breitet werden.

© 2019 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen

Auckland, Beirut, Dubai, Hägendorf, Hongkong, Indianapolis, Kairo, Kapstadt, Manila,

Maidenhead, Neu-Delhi, Singapur, Sydney, Teheran, Wien

Member of the World Sport Publishers’ Association (WSPA)

Gesamtherstellung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-8403-7641-2

E-Mail: [email protected]

www.dersportverlag.de

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Ballzauber in TANSANIA Vorwort

Vorwort

Im Sommer 2016 habe ich das Abenteuer gewagt und bin nach Tansania ausgewandert. Fußballtrainer in einer fremden Welt! Nicht ein einziges Spiel habe ich vor der Abreise gesehen, keine Videos, keine Bilder, keine Eindrücke. Es ist ein Blind Date! Dabei spielt Toto African SC in der ers-ten Liga, der Vodacom Premier League, dem Aushängeschild des Tansani-schen Fußballverbandes.

In der Saison 2016/2017 schickt kein Klub eine jüngere und unerfah-renere Truppe ins Rennen. Keinem Verein geht es finanziell schlechter. „Chaosklub“ raunt es durch die lebhaften Märkte in Mwanza, der bedeu-tenden Hafenstadt am Viktoriasee. Es ist eine Herkulesaufgabe. Wir wol-len die Sensation schaffen und den Abstieg verhindern. Von all den Er-fahrungen und den oft skurril anmutenden Erlebnissen will ich in diesem Buch erzählen.

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Ballzauber in TANSANIA tansanIa IM geograFIschen ÜBerBLIck

tansanIa IM geograFIschen ÜBerBLIck

Mwanza liegt im Norden Tansanias direkt am Viktoriasee. Im Osten er-streckt sich der weltberühmte Serengeti-Nationalpark. Die Entfernung zur Metropole Daressalam am Indischen Ozean beträgt 1.000 Kilometer Wegstrecke, was einer Fahrtdauer von zwanzig Stunden entspricht. Zum Auswärtsspiel gegen Ndanda F.C. muss Toto African sogar über 1.600 Ki-lometer mit dem Bus zurücklegen.

Vereine der Vodacom-Premier-League in der Übersicht:

Bukoba Kagera SugarMwanza Toto African, Mbao F.C.Shinyanga Stand United, Mwadui F.C.Turiani Mtibwa SugarDaressalam Young Africans (Yanga), Simba, Azam F.C.,

Ruvu Shooting, African Lyon, JKT RuvuMbeya Mbeya City, Tanzania PrisonsSongea Maji Maji F.C.Mtwara Ndanda F.C.

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scherBenhauFen In Mwanza

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kapitel 1

SCHERBENHAUFEN IN MWANZA

Es ist kalt in Köln, der Winter ist längst eingezogen. Vorbei ist es mit den traumhaften Sommerabenden am Rheinufer, am nördlichen Teilbecken des Fühlinger Sees oder in den Biergärten, die im Schatten des Doms zum Verweilen einladen. Nun hocke ich zu später Stunde in den eigenen vier Wänden und bügele Hemden vor der Flimmerkiste. Es ist ein Trauerspiel. Selbst der maßlose Verzehr von Tafelschokolade vermag die Trübseligkeit nicht zu vertreiben, und auch das ledrige Stück Steak aus der Mikrowelle fördert mehr Lethargie als Schöpferkraft.

Was mich auf Betriebstemperatur bringt, ist ein Joghurt-Maracuja, und zwar aus einem ganz bizarren Grund. Das Haltbarkeitsdatum überschrei-tet den Abgabetermin meiner Bachelorarbeit. Zeitdruck katapultiert sich in mein Bewusstsein. Um die Studie sauber über die Bühne zu bringen, muss ich störende Gewohnheiten endlich ad acta legen. So greife ich zur instru-mentalisierten Feder, meiner externen Laptoptastatur, und spiele auf der Klaviatur des Grauens. Der Griff zum Kölsch hätte mir die Sorgen sicher erspart.

Die Literaturrecherche ist zerstreut genug, um eine spannende Annonce zur Fußballentwicklungshilfe auf dem Desktop meines Laptops aufpop-pen zu lassen. Ein junges Team aus Trainern und Sozialarbeitern enga-giert sich ehrenamtlich in Tansania und treibt Projekte mit Herzblut nach vorne. Vereinsstrukturen werden aufgepäppelt, Sportstätten aus dem Bo-den gestampft und die Trainer vor Ort nachhaltig ausgebildet. Wer sich für Sport begeistert und das Herz am rechten Fleck hat, ist willkommen. Jackpot! Die Pumpe ist intakt und die Bewerbung noch am selben Tag verschickt, zur Sports Charity in Mwanza. Tansania kann ich grob verorten, aber bei der Stadt Mwanza wird es holprig. Der Fußball lehrt Geografie und wer international Lehrgeld zahlt, blinkt auf meinem Radar nicht auf. Wie denn auch? Als Nummer 137 der FIFA-Weltrangliste befindet Tansa-nia sich im Niemandsland. Umrahmt von Underdogs wie Turkmenistan, aktuell Nummer 136, und Ruanda und Myanmar.

Wenige Monate später scanne ich mein Flugticket am Düsseldorfer Flug-hafen ein und hebe in Richtung des Schwarzen Erdteils ab. Seriöse Reise-führer versprechen eines der aufregendsten und landschaftlich beeindru-ckendsten Länder Afrikas. Jährlich werden Scharen von Touristen durch den atemberaubenden Serengeti-Nationalpark, die weißen Traumstrände auf Sansibar oder den schneebedeckten Kilimandscharo angelockt.

Mich ködert König Fußball. Die Vodacom Premier League. Der Verein Toto African. Nun also Profigekicke statt Entwicklungshilfe? Die Heraus-forderung ist weit mehr als ein Abenteuer. Der Gründer der Sports Cha-rity ist vor Ort bestens vernetzt und kooperiert in der kommenden Saison mit dem lokalen Erstligisten. Jürgen wird bei Toto African großen Einfluss auf Spielertransfers, die Buchhaltung und die allgemeine Ausrichtung des Vereins nehmen. Die Verantwortlichen im Klub schätzen seine Arbeit und erhoffen sich, durch ihn endlich Strukturen zu festigen, die organisatori-sche Amokläufe verhindern. Aktuell sucht Toto einen Co-Trainer.

Ich hebe die Hand und knüpfe Kontakt zu Jürgen. Wir verstehen uns präch-tig. Einen Vertrag habe ich nie unterschrieben, die mündliche Zusage

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Ballzauber in TANSANIA scherBenhauFen In Mwanza

Gebäude mit Flachdach inmitten einer ärmlichen Wohngegend. Es ist das Haus der Charity und meine Bleibe für das nächste Jahr.

Zwei schüchterne Sicherheitsleute öffnen die Tore und gewähren Eintritt. „Protected by Gorilla Security“ prangt auf der Brusttasche ihrer blauen Ar-beitskleidung. Das klingt mächtig. Ein appetitlicher Duft von Gegrilltem hängt schon in der Luft, bevor ich das Haus überhaupt betrete. Die derzeit fünf Freiwilligen der Charity schnippeln Gurken und Paprika in Scheiben, raspeln Käse zu dünnen Streifen und braten Zwiebeln in einem mattsil-bernen Henkeltopf. Was für ein grandioser Empfang! Ich fühle mich wohl und auch die sechs weiteren Neuankömmlinge des heutigen Abends scheinen von den Eindrücken überwältigt zu sein.

Mit Jürgen teile ich mir ein Zimmer. An der Tür klebt ein Schild mit der Mission, die uns in den nächsten Monaten antreiben wird: Toto African. Zwei robuste Stockbetten aus dunklem Massivholz, ein wackliger Nacht-tisch und zwei Kleiderschränke bieten ausreichend Wohnkomfort. Der Raum hat sogar den Luxus eines integrierten Badezimmers. Ich strahle vor Freude. Nichts sehne ich nach den Reisestrapazen mehr herbei als eine er-frischende Dusche. Entgegen meiner Erwartung fließt warmes Wasser aus der Leitung. Ich drehe am Regler. Mein Gott, ist das heiß! Bei den hohen Temperaturen liebe ich die kalten Tropfen aus der Brause.

Da es im ganzen Haus noch glühend heiß ist und die Luft nur schwach zirkuliert, schlüpfe ich in kurze Shorts, streife mir ein T-Shirt über und tap-se barfuß zur kleinen Gemeinschaftsküche, die mit einem Backofen und einem vierflammigen Gasherd eingerichtet ist. Während Dudley das Fest-mahl mit kräftigen Gewürzen ergänzt, muntert er mich auf, die frischen Pili-Pili-Schoten zu probieren. Sein Grinsen macht skeptisch, die knallrote Farbe des Chilis lässt Böses erahnen.

Nur wenige Augenblicke später sehe ich eine dieser Bomben in seinem Hals verschwinden und lasse mich nicht zweimal bitten, es ihm gleich-zutun. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich meinen tiefroten Gesichtsan-

langt. Keine Bürokratie, ab jetzt arbeite ich bei einem Verein, den ich nicht kenne und in einer Welt, von der ich keinen blassen Schimmer habe.

Der Flughafen in Mwanza ist winzig. Es werden ausschließlich Inlandsflü-ge mit kleinen Maschinen gestartet, die selten ausgebucht sind. Für die Gepäckausgabe genügt ein einziges rotierendes Band. Kein Vergleich zu den schmucken Landeplätzen europäischer Großstädte! Ein Flughafen-mitarbeiter in leuchtend gelber Warnweste nimmt mir den Koffer und die Reisetasche ab, packt das Equipment auf einen umfunktionierten Ein-kaufswagen und manövriert das Gefährt an den Wartenden vorbei in den offenen Außenbereich des Flughafens. Die Aufrufe zum Anhalten über-hörend, fordert er nach nur wenigen Metern Fahrt eine monetäre Entloh-nung. Dabei habe ich noch nicht einmal Gelegenheit gehabt, tansanische Schilling aufzutreiben.

Entspannter scheint der alte Taxifahrer zu sein, der seinen Mercedes an der Straßenkurve vor den Parkplätzen abstellt und ihn mit laufendem Mo-tor für startbereit erklärt. Die gepolsterten Sitze lassen über den nur halb verschließbaren Kofferraum hinwegsehen. Ich nehme auf der Rückbank Platz. Ein angenehm lauer Windhauch streift fortan meinen Nacken und durch das offene Fenster dringt feiner Staub in den Innenraum. Wir fah-ren an einfachen Backsteinläden und Holzhütten vorbei.

Trotz Einbruchs der Dunkelheit kann ich riesige Felsen erkennen, die scharfkantig aus der Erde hervorragen. Sie verleihen der „Rock City“ ein einzigartiges Profil. Doch das Augenscheinlichste sind die Menschen, die auf beiden Seiten des Weges in die eine oder in die andere Richtung schlendern. Die Frauen balancieren Plastikkanister und tönerne Krüge auf dem Kopf. Dabei werden sie von Kindern umringt, die ungeduldig an ih-ren Kleiderzipfeln zurren. Die Männer, einige diskutierend, andere schwei-gend, gehen langsamen Schrittes nebeneinander her oder ruhen sich auf der Kaimauer der Abwasserkanäle aus. Friedlich ist es hier, im Stadtteil Ilo-gonzala. Schließlich halten wir vor einem unscheinbaren, aber umzäunten

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Ballzauber in TANSANIA scherBenhauFen In Mwanza

Noch bevor der Hahn am Morgen kräht, dringen tiefe Stimmen ins Haus. Es sind Schlachtrufe, die mich aufwecken. Das Militär leitet seine stun-denlangen Märsche an unseren Eingangstoren vorbei. Um vier Uhr in der Früh. Völlig gerädert, taumele ich aus dem Bett und lausche dem in der Ferne verebbenden Singsang der Soldaten. So lassen sich die Strapazen meiner Anreise nicht verdauen. Zum Frühstück kaufe ich knusprige Man-dazi am Kiosk. Aufgepeppt mit Ingwertee und frischer Ananas, bildet das Süßgebäck eine reichhaltige Mahlzeit. Mir schmeckt das Essen.

Auf der Holzbank neben mir sitzt Kiba und knabbert an einem labbrigen Weizentoast, den er dick mit Erdnussbutter beschmiert hat. Unser tansa-nischer Mitbewohner und ich verstehen uns auf Anhieb blendend. Er ist eine ständig lachende Frohnatur, kümmert sich um den Garten und hält unser Haus in Schuss. Für den Vormittag hat er prompt ein Freundschafts-spiel im Kirumba-Stadion organisiert, dem Stadion, wo auch Toto African seine Ligaspiele bestreitet. Das Freiwilligenteam der Sports Charity soll sich gegen ein Team aus der Nachbarschaft beweisen. Kiba tauft seine Mannschaft mit dem Namen Nationalteam. Uns bezeichnet er als Wazun-gu-Team, die Mannschaft der weißen Männer.

An der Haltestelle Ilogonzala zwängen wir uns in mehrere der voll besetz-ten Daladala-Kleinbusse und fahren in Richtung Stadtzentrum. Die mit bunten Stickern aus der Fußball- und Musikbranche beklebten Fahrzeuge dienen als Hauptfortbewegungsmittel und sind zu Stoßzeiten zum Bers-ten gefüllt. Eine Tatsache, die den „Schaffner“ nicht daran hindert, weite-re Passagiere herbeizurufen und in den Innenraum zu pressen. Wer sen-sibel auf Gerüche reagiert, ist fehl am Platz. Wer Enge fürchtet, ebenso. Berührungsängste gibt es nicht.

Das mehrmalige Klopfen mit einer Münze an die Außenfassade der Schie-betür signalisiert dem Fahrer zu halten oder anzufahren. Heute trägt der Chauffeur, aus welchen Gründen auch immer, ein pinkes Hasenkostüm. Die Farbe steht ihm. Galant bedient er das Steuer mit dem Zeigefinger, gewaltvoll prügelt er den Schaltknüppel in die folgenden Positionen. Wie

strich wieder von dem Aufdruck eines Ferrari-Handtuchs unterscheiden kann. Die kalte Milch aus dem Kühlschrank ist als einziges Produkt in der Lage, die Wirkung des Gewürzes zu lindern. Mein Mund ist betäubt. Mei-ne Zunge brutzelt. Noch nie habe ich so etwas Scharfes gegessen. Selbst das anschließende Chapati-Fladenbrot mit Mais, Fleisch und Bohnen hat einen brennenden Nachgeschmack. Es ist ein wackeliger Start in die Ess-kultur Tansanias.

Anschließend gehen wir in die Bar des benachbarten Pretoria Hotels und schauen auf einem Flachbildschirm ein Wiederholungsspiel der eng-lischen Premier League. Der Wirt trägt ein gelbes Oberteil mit der Auf-schrift: „Kilimanjaro – if you can’t climb it.. drink it!“ Kurze Zeit später steht das lauwarme Bier auf dem Tisch. Wenigstens ein gelungener Start in die Trinkkultur Tansanias. Ein fröhliches „Cheers“ ertönt und die Fla-schen klirren. Von nun an wird auf Englisch zugeprostet.

Als ich nachts todmüde ins Bett falle, kreisen meine Gedanken um die Aufgaben der nächsten Tage. Wie wird mich der Verein Toto African auf-nehmen? Wie passe ich mich der fremden Kultur an? Eine lange Einge-wöhnung gibt es nicht, denn das erste Treffen mit dem Vereinsvorstand soll bereits am Nachmittag des kommenden Tages stattfinden. Kaderpla-nung und Saisongestaltung stehen auf der Agenda. Die Aufregung steigt.

Fast vergesse ich, das feinmaschige Moskitonetz über das Holzgestell zu spannen und unter die Matratzenenden zu stopfen. Das ist ein notwendi-ger Schutz in der Hafenstadt, die aufgrund des tropischen Klimas als Risi-kogebiet für Malariaerkrankungen gilt. Da sich die Insekten an stehenden Gewässern besonders wohlfühlen, wird auch das Einsprühen unbedeckter Körperstellen mit einem Moskitospray zu einem täglichen Ritual. Einige Freiwillige nehmen Malariatabletten ein. Auf diese prophylaktische Maß-nahme verzichte ich.

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Ballzauber in TANSANIA scherBenhauFen In Mwanza

tansanischen Nationalflaggen und den Porträts von Julius Nyerere und John Magufuli dekoriert, dem ersten und dem aktuellen Präsidenten des Landes. Die Rasenfläche verläuft uneben und ist von verhältnismäßig hohem Gras bewuchert. Das Benzin für den Handrasenmäher ist zu teuer, um regelmäßig zu mähen. Trotzdem gehört der Acker zu den besten des Landes, erzählt Kiba mir. Ich scheitere derweil schon an simplen Querpässen.

Das Aufwärmen läuft gemeinsam ab. Haji, der Kapitän des National-teams, übernimmt die Initiative und macht Übungen vor, die mehr Tanz als Lauf entsprechen. Koordination ist gefragt. Die Einheimischen bewe-gen sich im Rhythmus und schwingen sauber die Hüften. Das Wazungu-Team müht sich im Nacheifern, muss aber mit Abzügen in der B-Note rechnen. Ich muss meine Knochen entknoten, um später wieder laufen zu können. Die Bewegungen sind anspruchsvoll, sie fordern meine volle Kon-zentration. Der Gegensatz zum starren Lauf-ABC der alten Trainerschule kann größer nicht sein, wo die Spieler sich am liebsten hinter der Sponso-renbande verstecken, um der Anstrengung ohne Ball zu entgehen.

Ganz verdutzt schaut der Gegner, als ein Großteil unserer Spieler sich vor dem Anpfiff mit Sonnenschutz eincremt. Ist das Doping aus Europa? Dem Ergebnis nach zu urteilen: ja. Wir gewinnen das Aufeinandertreffen trotz kurioser Umstände mit 3:1. Der noch junge Schiedsrichter ist vor Spielbe-ginn mit einer Banane und einem winzigen Geldbetrag bestochen worden. Daraufhin hat er zwei glasklare Tore unserer Mannschaft zurückgepfiffen. Auch sonst leistete der Referee sich haarsträubende Entscheidungen zu-gunsten des Nationalteams. Erst nach dem Schlusspfiff der schweißtrei-benden Partie verrät Kiba mir das Geheimnis. Sie wollten die Neuen unbe-dingt bezwingen, gesteht er mit einem Lachen auf den Lippen.

Am Nachmittag beginnt für Jürgen und mich offiziell der Job bei Toto Af-rican. Wir treffen uns mit der Vereinsführung im zentrumsnahen Lake Ho-tel. So lautet jedenfalls der Plan. Nach zwei Cola-Kaltgetränken, die min-destens doppelt so süß schmecken wie in Deutschland, und geschlage-

eine Metallratsche hört es sich an, wenn er den Gang wechselt. Umso ge-schickter von ihm ist es, ein Lied anzustimmen, das die Frauen auf der letzten Sitzreihe im Takt der Musik wippen lässt. Die lärmenden Geräu-sche wetteifern um Aufmerksamkeit. Der Schaltknüppel gewinnt.

Ich stehe gebückt, um mich nicht an der tiefen Decke zu stoßen, und dre-he meinen Körper zur Seite, um einer weiteren Gefahrenquelle zu entge-hen. Der Mann hinter mir hat die Füße eines Huhns zusammengeknotet und das gackernde Prachtgeschöpf in eine Plastiktüte gesteckt. Einzig der Kopf lugt hervor. Die Augen sind so gezielt auf mich gerichtet, dass sie zu erstarren drohen. „Vermutlich haben sie noch nie einen weißen Mann ge-sehen“, rauscht es mir durch den Kopf. Die Mitfahrer grinsen und können meine Verwunderung über den Tiertransport kaum begreifen. Das Münzen-gerassel des Schaffners unmittelbar vor meinen Augen schreckt mich dann auf und erinnert an die noch ausstehende Zahlung für die Fahrt. Stets sind 400,– Schilling (14 Cent) zu begleichen, ganz gleich, wo ich in der Stadt aussteige. Es ist die mit Abstand kostengünstigste Art der Fortbewegung.

Das Stadion ist kaum als solches zu erkennen. Graue, verwahrloste Be-tonwände aus einer anderen Zeit beherbergen an der Außenseite kleine Geschäftsstellen des Automobilmetiers, eine Werkstatt und einen in die Jahre gekommenen Fitnesstempel. Über das leicht versteckte Eingangstor gelangen wir in den weitläufigen Innenbereich des Stadions und haben direkten Blick auf die Spielfläche, die von einer Laufbahn aus Schotter umgeben ist. Selbst Fahrzeuge werden hier abgestellt, da ein Außenpark-platz schlicht und einfach nicht existiert. Ich lasse mich vom Charme er-greifen, den das Stadion versprüht. 30.000 Zuschauer passen rein. Auf betonierten Stufen können die Fans ihr Team im Sitzen und im Stehen anfeuern. Plastikschalen suche ich vergebens und der Spielstand wird auf einer manuellen Anzeigetafel präsentiert. Ein Traum für jeden Fußballro-mantiker, der die Hochglanzpaläste moderner Plastikvereine satthat.

Hier wird kein „Soja-Latte-Macchiato“ mit Stevia serviert, hier kommen Fans statt Kunden. Die mit Wellblech überdachte Tribüne ist mit drei

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Ballzauber in TANSANIA scherBenhauFen In Mwanza

Jürgen hat mich zuvor auf wirre Zustände eingestellt, aber das übertrifft natürlich meine Vorstellungskraft. Als Erstligist sollte Toto doch in der Lage sein, wenigstens eine Mannschaft präsentieren zu können, dachte ich. Nur ist genau das unser aktuelles Problem. Wir haben kein Gerüst, wir müssen das Team erst maßschneidern. „It‘s Tanzania“, erinnert Jürgen mich nicht nur einmal.

Ein Glück, dass das Transferfenster noch offen ist. Wie lange, kann nie-mand sagen. „Wir haben Zeit“, raunt der Sekretär. „Der Verband hat es nicht eilig. Letzte Saison gab es ohne Nennung von Gründen zwei Wo-chen obendrauf.“ Langfristiges Erfolgsdenken sieht anders aus. Häufig nimmt der endgültige Kader erst am letzten Tag konkrete Strukturen an oder der Verein kauft direkt zu Beginn blindwütig ein. Beide Szenarien wollen wir vermeiden. Gezielte, nachhaltige Transfers bleiben dennoch eine Wunschvorstellung.

Für die kommende Woche hat Toto ein Casting von Spielern organisiert. Über Lautsprechanlagen auf umherfahrenden Lastkraftwagen werden die Fußballer der Stadt Mwanza aufgerufen, am Selektionstraining teilzuneh-men. Die Strategie ist simpel. Auch die zahlreichen Lokalblätter und Ra-diosender machen das Probetraining publik. Vorspielen zu dürfen bei ei-nem Erstligisten. Wer würde die Gelegenheit nicht beim Schopfe packen? „Mit wie vielen Spielern können wir rechnen?“, frage ich Kenneth, der die Arme ausstreckt und prustet. „Mit vielen, Teacher, mit vielen. Aus dem ganzen Land werden Leute anreisen, um Proben ihres Könnens abzulie-fern.“ Scouting auf Tansanisch!

nen 30 Minuten sehen wir ein, dass der Sekretär und der Bilanzbuchhal-ter heute unsere einzigen Gesprächspartner bleiben. Zwei sympathische Angestellte, die sich auf die kommende Spielzeit freuen, bisher aber keine gezielten Angaben zum Mannschaftskader machen können. Wie groß der Saisonetat ist, wissen sie nicht. Den finanziellen Status von Toto kennen sie nicht. Angeblich hat der tansanische Fußballverband den Spielplan auch noch gar nicht terminiert. Ungefähr in fünf Wochen beginne die Sai-son, nimmt der Sekretär an. Wie auch immer: Es ist eine verdammt kurze Zeit, um einem Chaosverein Leben einzuhauchen.

Ein wenig Licht ins Dunkel bringt Kenneth, der eine Stunde später zu un-serer Gruppe stößt. Der pensionierte Doktor trägt eine übergroße Sonnen-brille, kaut unentwegt auf einem Kaugummi und weiht uns in einwand-freiem Englisch in die Tücken und Gefahren des ostafrikanischen Fußballs ein. Zum Beispiel, dass langfristige Verträge Seltenheitswert haben. Die Vereine schließen üblicherweise nur Ein-Jahres-Kontrakte ab, um bei schwankendem Erfolg keine langfristigen Bindungen eingegangen zu sein. Die Spieler stehen jedes Jahr vor derselben Herausforderung, einen zahlungskräftigen Arbeitgeber zu finden. Von Planungssicherheit kann ich mich verabschieden.

Toto stehe laut Kenneth ein Totalumbruch bevor. So ziemlich jeder Stammspieler des letzten Jahres sei bereits von anderen Vereinen ab-geworben worden oder befasse sich ernsthaft mit einem Wechsel. Die Hauptschuld sieht er im Vereinsvorstand, der es Jahr für Jahr vermasse-le, die Politik aus dem Spiel zu halten und organisiert aufzutreten. „Eini-ge Mitglieder haben sich wie im Supermarkt bedient“, scherzt er. Seine schneidigen Sprüche gefallen mir. Im Endeffekt verwundert es mich nicht, dass Toto noch etliche Monatsgehälter und Handgelder begleichen muss. Die Spieler und der Trainerstab fordern das Geld und suchen dann umge-hend das Weite. Niemand will sich nach den unzähligen Vertrauensbrü-chen mehr mit leeren Versprechen seitens des Vereins abspeisen lassen. Wir stehen vor einem Scherbenhaufen.

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Öffentliche Umkleide:

Vor dem Testspiel gegen Mwadui

müssen unsere Spieler ihre Schuhe

auf dem Rasen des Kambarage-Sta-

dions schnüren. Die Kinder beobach-

ten genau, welche Treter ihre Idole

tragen.

Kiba (links) und Evance (mittig) ver-

bringen ihre Freizeit oft im Haus der

Charity. Mit ihnen kann ich Streiche

spielen, mit ihnen kicke ich auf den

Bolzplätzen der Stadt.

Tetris für Könner:

Dem Busfahrer gelingt es, alle Sport-

taschen der Spieler auf dem Dach

des kleinen Gefährts festzuzurren

und die Bälle, Hütchen und Leibchen

unter den Sitzen zu verstauen. Mehr

Equipment wird für eine Auswärtsrei-

se nicht benötigt.

Lecker:

Fast täglich kaufen wir auf diesem

kleinen Markt hinter dem Haus der

Sports Charity Fisch und Gemüse für

das Abendessen ein.

Scharf getretene Eckbälle und Bana-

nenflanken pflücken unsere Torhüter

gekonnt aus der Luft – zumindest im

Training.

Gibt jeden Tag aufs Neue Kraft:

Chuku und Jaffari essen im Spieler-

camp Ugali mit Bohnen und Spinat.

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„schMeIss den traIner raus�“

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kapitel 8

dem Klickspender bestellen sie gewiss nicht bei ihm. Die Clique ist ein Teil des Vereinsvorstandes und vertritt obendrein die generelle Meinung von Totos Anhängerschaft. Sie wollen den Präsidenten unter Druck setzen. Er soll endlich Kaijage feuern, bevor die Chancen auf den Ligaverbleib verwelkt sind. Aktuell grinst Aiko die Forderung noch subtil unter die La-dentheke, aber er verfängt sich mehr und mehr in einem wilden Geflecht aus ungleichen Interessen.

Ignoriert er die Fans und Mitglieder, überlebt er die nächste Präsidenten-wahl nicht. Dann stürzt ihn die Mehrheit von dem hohen Ross, auf dem er sitzt. Die Widerstandskräfte im Verein sind gewaltig. Die Beteiligten werden jeden Tag um die Machtverteilung pokern und den Verein im schlimmsten Fall zugrunde richten. Der Fußball spielt sich auf einer ganz anderen Ebene ab.

Klammert Aiko die Meinung der Spieler aus, erlischt das Feuer, das in ih-nen lodert. Dann bringt er diejenigen gegen sich auf, von deren Leistung er am meisten abhängt. Schließlich sind es die elf Akteure auf dem Rasen, die um Siege ringen und mit den Jobs der Angestellten jonglieren. „Wir werden gegen Ndanda am Wochenende alles in die Waagschale werfen und als Sieger vom Platz gehen. Kaijage hat alles im Griff“, stärkt Kapi-tän Omega dem Trainer unter der Woche den Rücken. Er spricht stellver-tretend für die Mannschaft, aus der sich nur eine Handvoll Spieler einen neuen Mann an der Linie wünschen.

Jürgen und ich plädieren natürlich auch für den Verbleib des Cheftrainers. Kaijage selbst blendet all die Nebengeräusche aus. Die Entscheidung wird von Tag zu Tag hinausgezögert. Aiko hält nicht viel von Konzepten, aber in dieser verzwickten Situation hätte er einen Plan B schon ganz ger-ne zur Hand. Das Verhältnis zwischen ihm und dem Trainer ist nach der dürftigen Auswärtsreise angeknackst, das kann ich deutlich spüren.

Zwei schreckliche Nachrichten haben wir in dieser Woche bereits zu bekla-gen, die wesentlich tragischer sind als das lose Gerücht um einen Trainer-

„SCHMEISS DEN TRAINER RAUS!“

Es ist ein schleichender Prozess, aber irgendwann hält ein lange kriselnder Verein die rote Laterne in der Hand und grüßt die anderen Mannschaften aus dem Keller. Aus sechs Partien hat Toto African nur lausige fünf Punk-te eingeheimst und schlittert ungebremst auf den letzten Tabellenplatz zu. Jede Niederlage zieht den Verein weiter in den Schlamassel. Dabei ha-ben wir gegen die wirklichen Kaliber, gegen das Quartett an der Tabellen-spitze, noch gar nicht gespielt. Yanga, Simba, Mtibwa Sugar und Azam überrollen die Konkurrenz und geben im Normalfall keinen Punkt ab.

„Das wird ungemütlich“, kritzele ich in meine Kladde, die für tägliche Auf-zeichnungen neben meinem Bett liegt. Kann Kaijage den Karren noch aus dem Dreck ziehen? Kann er Toto aus der grauen Talsohle wieder hochstem-men? Die Zeichen stehen schlecht. Wenn es nach einzelnen Fans geht, ge-winnt Toto mit ihm keinen Fischkopf. Sie haben das Vertrauen verloren und drängen den Präsidenten zur Tat. „Schmeiß den Trainer raus!“, fordern sie.

Täglich verirren sich fünf alte Herrschaften in die Apotheke von Aiko. Zäpfchen für Hämorrhoiden oder eine von diesen Laktasetabletten aus

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Ballzauber in TANSANIA „schMeIss den traIner raus�“

geleitet und die Spieler im koordinativen Bereich in die Mangel genom-men, trieze ich sie nun auch in taktisch dominanteren Spielformen. Wir konzentrieren uns nach wie vor auf das Herausspielen und Verwerten von Torchancen, damit wir nicht sang- und klanglos von der Bildfläche ver-schwinden. Flanken segeln in den Strafraum, Pässe werden in die Gasse gespielt und Schüsse auf das eckige Gestell abgefeuert, bis unseren Tor-hütern die Ellbogen schmerzen. So intensiv spulen wir das Programm ab, so gründlich arbeiten wir an unseren Schwächen.

Nach dem rhythmischen Auslaufen ist der Tag für die Eifrigen noch längst nicht vorbei. Sekule und Jamal schnappen sich den Ballsack und zirkeln Freistöße auf die Hütte, treten Eckbälle vor das Tor oder schulen ihr Eins-gegen-eins-Dribbling im Hütchenparcours. Mkorea stellt sich zwei Kegel auf die Kante des Fünf-Meter-Raums und sprintet wie ein wild gewordener Stier von der einen zur anderen Seite. Ich begebe mich derweil unter den Spielertross und rede über Gott und die Welt. Spielern die Seele streicheln, ihnen Mut zusprechen und Zweifel austreiben, das benötigen sie nach den Wochen des Draufhauens am meisten. Viele von ihnen kommen nach dem Seelenstriptease größer ins Camp zurück, als sie herausgegangen sind. Der allgemeine Tenor steht fest: So leicht lassen wir uns nicht unterkriegen.

Auf der anderen Seite nehme ich die Spieler in die Pflicht. Sie sollen die Gründe für Niederlagen nicht beim Schiedsrichter, beim Vorstand oder beim Koch suchen, der nun wirklich nichts dafür kann. Kritisch sein und sich selbst hinterfragen, Entwicklungen vorantreiben: das ist wichtig, klingt nur scheußlich. Solch abgegriffene Politikerfloskeln sind in Tan-sania für die Tonne! „Jeder Einzelne soll Vollgas geben. Im Training, im Spiel, einfach überall.“ Das leuchtet jedem ein.

Der Verein Ndanda hat eine Qual durchlebt. Sie sind aus dem 1.600 Kilo-meter entfernten Mtwara-Distrikt mit dem Bus angereist, einem Fleckchen ganz im Süden von Tansania unweit der Grenze zu Mosambik. Da mir Google Maps für diese Route kein Ergebnis ausspucken konnte, habe ich die Entfernung auf einer Landkarte penibel mit dem Geodreieck nachge-

rauswurf. Mbumba und Faidini haben eine Todesmeldung aus ihren Fa-milien erhalten. Ihre Väter sind am selben Tag in Daressalam verstorben. Mbumba schluchzt und stottert, als er sich vor versammelter Mannschaft für zwei Wochen verabschiedet. „Er war lange krank. Es ist gut, so wie es ist“, sagt er und macht sich auf den Weg zum Busbahnhof, von wo aus er nach Hause reisen will.

Faidini kullern die Tränen aus den Augen, er kann gar nicht mehr spre-chen. Seine Mutter ist vor vielen Jahren an Malaria gestorben und jetzt hat es seinen Vater erwischt. Für den Jungen bricht in diesen Momenten die ganze Welt zusammen. Er ist 20 Jahre alt und schon eine Waise. Was ihm bleibt, sind seine Brüder und Schwestern, seine Onkel und Tanten und seine Cousins, die allesamt in der Metropole trauern. Die ganze Ver-wandtschaft reist in diesen Tagen aus abgelegenen Dörfern an, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Denn in ihrem Naturglauben findet die Seele eines toten Menschen erst Frieden, wenn sein Körper in der Heimat der Ahnen begraben wird.

Ich bin tief betroffen und weiß nicht, wie ich mein Beileid ausdrücken soll. Unbeholfen stehe ich da, bis Kaijages Worte die Sekunden der Stille durchbrechen: „Pole sana“ (Mein Beileid) und immer wieder: „Pole sana, pole sana.“ Einige Spieler umarmen Faidini, andere starren verlegen zu Boden. Omega sammelt von jedem 10.000,– Schilling (3,80 Euro) ein und gibt sie dem Niedergeschlagenen mit auf den Weg. Auch er soll den Bus nehmen und seinen Vater zu Grabe tragen. Der Rest des Geldes ist für die Familie. So verlässt Faidini das Spielercamp mit seichtem Gang, hän-gendem Kopf und ganz ohne Kraft. Die Mannschaft spendet Trost, so gut es in solchen Situationen eben geht. Dann kehren die Spieler zurück in ihre Zimmer und ruhen sich bis zum Abendtraining aus. Sie liegen im Bett, hören Musik oder tippen Nachrichten auf dem Handy. In diesen Stunden erwartet niemand etwas von ihnen, sie können tun, was sie wollen.

Im Laufe der Monate hat Kaijage mir immer mehr die Zügel in den Trai-ningseinheiten überlassen. Habe ich zu Beginn nur das Aufwärmen

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hat Toto in seinen Reihen? Verkriechen sich die Anführer oder schwingen sie sich zu Höhen auf, von denen keiner zu träumen wagte? Lebt die Mannschaft noch oder lässt sie sich heute vom Gegner vorführen?“ AzamTV sendet live aus dem Stadion und schwenkt die Kameras auf die tapferen Männer, die sich in der Arena einen Abnutzungskampf liefern. Steilpässe, Schlitzohren, Sündenböcke und Schaum vor den Lippen. Das Spiel ist ein Ritt auf der Rasierklinge.

Beide Mannschaften rennen jedes Loch zu, bügeln die Fehler des Vor-dermanns aus und wieseln von links nach rechts, von hinten nach vorne. Die Spieler laufen so schnell, dass sie in der schwelenden Hitze nur noch Sternschnuppen sehen. Ihr Rachen ist staubtrocken, ihr Blut dickflüssiger als Agavensirup. Doktors Verbandskasten ist im Dauereinsatz, doch das Wechselkontingent ist auf beiden Seiten ausgeschöpft. An der Seitenlinie bellen die Trainer ihre Kommandos auf den Platz und reichen erschöpften Spielern eine Flasche mit Wasser.

In der ersten Hälfte haben unsere Spieler Scheu, die gegnerische Linie zu durchbrechen, die Abwehr aus dem Konzept zu bringen. Ich will Kai-jage einen Tipp geben, doch urplötzlich, wie aus dem Nichts, schweißt die Nummer 9 von Ndanda den Ball so hart unter die Querlatte, als han-dele es sich um eine Materialprüfung von Aluminium. Mussa reißt seine klobigen Tatzen einen Wimpernschlag zu spät hoch und bekommt nur noch den Luftzug des rohen Ledergeschosses zu spüren. Die Murmel krei-selt im Tor. Sekunden später ist der jubelnde Schütze in einer Traube aus Teamkollegen, Betreuern und dem Co-Trainer nicht mehr wiederzufinden. Ndanda führt 1:0 und unsere Spieler keifen sich gegenseitig an.

Die Hellblauen nagen an drei Punkten, weil Toto danach in eine Schock-starre verfällt. Wir können uns nur noch mit Hängen und Würgen aus der eigenen Spielhälfte befreien und verlieren zügig den Glauben an die Wen-de. Zahlreiche individuelle Fehler sind der Mannschaft zum Verhängnis geworden. Der Abstiegskracher hat einen Auswärtssieger und Toto befin-det sich somit auf dem Pfad des Niedergangs.

messen. Eben genau so, wie es ein Afrikaner niemals machen würde. Sie nehmen Abstand von irreführendem Kilometergedöns und geben die Stre-cken immer in Stunden an, um die schwierigen Rahmenbedingungen ei-ner Busfahrt mit einzuweben. Raffiniert. Zum Beispiel ist die durchschnitt-liche Geschwindigkeit auf einer geteerten Straße mindestens doppelt so hoch wie auf einer sandigen Schotterpiste. Die Luftlinie ist im schlecht ausgebauten Straßennetz eh nur ein statistischer Wert.

Doch die Mtwara-Mwanza-Verbindung, diese elende Tortour, wird nicht ein-mal in Stunden gemessen, sondern in Tagen und Nächten. „Wenn du früh-morgens losfährst, im Bus übernachtest und dann weiterfährst, kommst du in der zweiten Nacht in Mwanza an. Dann musst du aber ganz schön zackig unterwegs sein. Lange Verschnaufpausen kannst du dann nicht machen“, weiß Chuku und lacht höhnisch auf bei diesem Gedanken. „Danach bist du so schwach wie ein Insekt. Laufen fühlt sich ganz anders an“, schildert er sei-ne Erfahrungen und klopft sich zweimal auf die Schenkel. Bei diesen mörderi-schen Strapazen sinkt die Frische und Fitness schlagartig. Schließlich können die Spieler zweieinhalb Tage nicht trainieren und nur mühsam schlafen.

Der Heimvorteil ist immens. Spielt Toto vor eigenem Publikum, werden im-mer drei Punkte erwartet. Das eigene Team kann ja putzmunter auflaufen und aus dem Vollen schöpfen. Wenn dann noch ein finanziell gebeutelter Abstiegskandidat im Kirumba-Stadion vorstellig wird, liegen die so ziem-lich besten Voraussetzungen für einen Sieg vor. Genau diese Kombination erleben wir am Wochenende. Toto African ist zum ersten Mal favorisiert. Jeder Einzelne, der sich einen Toto-Schal umlegt und die Akteure von den Marmorstufen der Haupttribüne aus anfeuert, ist mit einer tiefen Sieger-mentalität geimpft, mit so einer Überzeugung der Macht beseelt, dass ihn nichts zu erschüttern vermag. Für diesen Fan ist es in Stein gemeißelt, dass Toto siegen wird. Es sind die klaren Umstände, die ihn so denken lassen.

„Ein immenses Gewicht lastet auf den Schultern der Grün-Gelben aus Mwanza. Ein Druck, der einige beflügeln wird und andere zusammenfallen lässt wie ein Kartenhaus. Welche Spielerpersönlichkeiten

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Steinen, aber was passiert als Nächstes?“ Zerstreut vor Enttäuschung filzt er die Bänke in der Umkleide nach seiner Stoppuhr, obwohl sie um seinen Hals pendelt. Er realisiert es und täuscht vor, den elektronischen Zeitneh-mer niemals gesucht zu haben. „Was passiert als Nächstes?“, wiederholt er. „Zerstören sie mein Haus? Greifen sie vielleicht meine Familie an? Oh, meine Familie! Ich will das alles nicht mehr“, wispert er vor sich hin. Er un-terstreicht seine Gedanken mit leidenschaftlichen Gesten. Die sportliche Krise zermalmt ihn seit Wochen. Das sinkende Vertrauen der Vorstands-ebene hat Ängste geschürt und Zweifel genährt. Noch in der Nacht hängt er seinen Trainerposten an den Nagel. Rogasian Kaijage und Toto African gehen getrennte Wege.

Naiv bitte ich ihn am nächsten Tag, seinen Entschluss zu überdenken und den Job wieder aufzunehmen. „Den Fans sind die Drähte durchgebrannt, aber der Verein braucht dich mehr denn je“, versuche ich ihn am Telefon zu überreden. Ohne Erfolg. Kaijage hat die weiße Flagge nicht per Nacht- und Nebelaktion gehisst, sondern das Für und Wider tagelang abgewogen. Er sieht die Dinge klar, unverblümt und berichtet so distanziert, als ob er den Fußballzirkus von einem Satelliten der Stratosphäre aus beleuchtet. Was ihn am meisten betrübt, ist nicht die Tabellenkonstellation. Aufgegeben zu haben, das schmerzt am meisten. Es ist einfach nicht seine Art, die Segel zu streichen und zu kapitulieren. Hätte er sich in der Lage gesehen, den Spielern wieder die bedingungslose Gier nach Erfolg einzuverleiben, dann würden sie heute noch nach seiner Pfeife tanzen. Nur, dazu fehlt ihm die Kraft. Das traut er sich nicht mehr zu. Die fußballerische Talfahrt hat sich immerhin über lange Zeit hingezogen. Ein tiefer Graben klafft im Selbstverständnis des Fußballlehrers auf. Das schwache Auftreten gegen Ndanda hat ihn letztlich von der Klippe gestürzt.

Es ist ein seltenes Phänomen in Tansania, dass ein Trainer hinwirft. Schließlich legt Kaijage seine größte Einnahmequelle trocken und muss in den nächsten Wochen wieder vermehrt von den Einkünften seiner Farm leben. Viel dürfte das nicht sein. Weil er für Verwandte die Schulgelder

Kaijage sitzt steif wie ein Fakir auf seinem Sitz, Jürgen und ich hocken versteinert daneben. Niemand sagt etwas. Es herrscht Schweigen. Eine ab-solute Stille zieht uns in ihren Bann, die lauten Stimmen und Schreie der Zuschauer dringen nur gedämpft zu uns durch. Mir ist heiß und kalt zu-gleich, obwohl der Wind selbst im Schatten zu glühen scheint. Ist das nun das Ende des Abenteuers? Zieht der Verein die Reißleine? Die Stimmung der Vereinsvorsitzenden kann ich nicht abschätzen.

Aiko & Co. sind dem Stadion ferngeblieben und haben die Partie vor dem Fernseher verfolgt. Sie trauen sich nicht mehr unter die Toto-Meute, weil sie von allen Seiten bequatscht und kritisiert werden. Sich in schweren Zeiten in die eigenen vier Wände verkrümeln und an sonnigen Tagen als Erster am Buffet stehen, ist sinnbildlich. Der Präsident mit einem Bier und der Fernbedienung auf dem Sofa gäbe ein tolles, ehrliches Porträt für das Empfangsposter in der Toto-Geschäftsstelle ab. Schade, dass die Geschäftsstelle schon länger nicht mehr in Betrieb ist.

Die wenigen Fans, die sich ins Stadion geschleppt haben, sind stocksau-er. Sie laufen auf das Spielfeld, nehmen sich einzelne Spieler zur Brust oder tuscheln, zusammengeschart in Gruppen, über Totos Misere. Es sind die gleichen Reflexe, wie sie in Krisen überall auf der Welt auftreten. Die Reaktionen können mitunter sehr heftig ausfallen. Da bildet Tansa-nia keine Ausnahme, sondern eher die Spitze. Zwei Fans verlieren nach dem Spielschluss völlig die Kontrolle über ihr Sagen und Tun. Ihre wüs-ten Beschimpfungen unterlegen sie mit Steingeschossen auf Kaijage, der im Zickzack in die Kabine flüchtet. Die Krawallmacher hämmern auf das Blech über dem Spielertunnel, sie skandieren beschämende Parolen und bepöbeln die gegnerischen Fans – Letzteres würden sie zumindest gerne tun, nur befindet sich kein Anhänger von Ndanda vor Ort. Die gewaltige Auswärtsreise können selbst die Hartnäckigsten nicht auf sich nehmen.

Die Kieselsteine haben Kaijage weit verfehlt, aber die bloße Tat hat ihn im Herzen schwer getroffen. Er fühlt sich abgelehnt, verloren und uner-wünscht. „Ich kann so nicht weitermachen. Heute bewerfen sie mich mit

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sen die Antwort. Die Wahrnehmungsraster sind zäh, der Kontakt zur Füh-rungsebene spärlich. Keiner der Verantwortlichen hält uns über Änderun-gen auf dem Laufenden oder teilt uns die Absichten des Vereins mit und dennoch ist klar, dass Toto schnell eine Lösung finden wird. Zwei Tage des Wartens ziehen ins Land, bis plötzlich Khalfan Ngassa als Nachfolger Kaijages in den Medien vorgestellt wird. Jedem Rundfunksender ist diese Nachricht eine Meldung wert.

Jürgen teilt mir die Information am Telefon mit, Aiko hat ihn kurz zuvor unterrichtet. Zu diesem Zeitpunkt bin ich gar nicht mehr in Mwanza. Ich bin auf Sansibar und lasse mir die Sonne auf den Bauch scheinen. Es ist ein Wahnsinn. Der Cheftrainer fliegt raus und der Co-Trainer vergnügt sich mitten in der Saison auf der Trauminsel im Indischen Ozean. Die tur-bulenten Umschwünge im Verein waren in der Form nicht abzusehen und die einwöchige Reise mit zwei Freunden aus Deutschland langfristig ge-plant. Wenn Toto im Winter pausiert, ist der eine Freund der Universität und der andere dem Beruf verpflichtet, sodass wir einen anderen Termin nicht hindeichseln konnten.

Aiko und Kaijage waren in meine Urlaubspläne eingeweiht und haben mir schon vor einem Monat die Erlaubnis erteilt. „Hamna shida, rafiki“ (Kein Problem, mein Freund), sagten sie. Ein verpasster Spieltag ist zu ver-kraften. Dass sich die Vorzeichen nun umgekehrt haben und bei Toto ein Personalchaos aufbrandet, versetzt mich in große Unruhe. Mein schlech-tes Gewissen mahnt zur Besonnenheit, schließlich stecke ich in der größ-ten Herausforderung meines bisherigen Lebens. Toto African ist ein Auf-trag und keine Vergnügungsreise.

Mir frisst gerade eine über 100 Jahre alte Aldabra-Riesenschildkröte auf der Gefängnisinsel Changuu im Sansibar-Archipel grüne Blätter aus der Hand, als plötzlich das Mobiltelefon im Rucksack zu läuten beginnt. Jürgen ist wieder dran. „Das erste Training mit Ngassa in der leitenden Position ist absolviert. Die Spieler waren von dem Trainerwechsel unbe-eindruckt und haben volle Lotte durchgezogen. Für sie ist Ngassa jetzt

blecht, seinen Söhnen die Universität finanziert und Hilfsbedürftigen stoßweise unter die Arme greift, wird ihn das Aus bei Toto finanziell schmerzen. Der generelle Mangel in Tansania erfordert solidarisches Han-deln. Die Kultur schreibt vor, zu teilen und fördert eine tiefe Bindung an den Familienklan. Wer Geld verdient, zahlt auch den ärmeren Angehöri-gen einen Anteil. Viele fühlen sich Kaijage verbunden, auch wenn die Ver-wandtschaft um fünf Ecken liegt. Individualismus, wie wir ihn aus Europa kennen, wird kritisch beäugt. Die Familie bedeutet alles.

Die Trennung ist für Toto ein totaler Knacks. Der Verein verliert einen der qualifiziertesten Trainer des Landes. In Kanada, Jugoslawien und Ungarn hat er seine Trainerausbildung gemacht. Lukrative Offerten aus Übersee hat Kaijage stets ausgeschlagen, da er vor der eigenen Haustüre kehren möchte, sein eigenes Land vorantreiben will. Er engagiert sich als nationa-ler Botschafter, Entwicklungshelfer, Trainer und Schulreformer. Nebenbei schreibt er auf seinem Laptop Lehrbücher zum Fußball, um jungen Trai-nern einen Begleitfaden auf Swahili an die Hand zu geben. Kaijage ist ein Idealist, ein Vorbild, ein Mann mit Profil. Es tut weh, ihn auf der Geschei-tertenliste der Toto-Historie zu sehen.

„Die Lebensdauer eines Trainers in Tansania liegt kaum über der eines Moskitos“, lacht er gegen Ende des Gesprächs in den Hörer. Die Arbeit gleicht einem Kampf gegen Windmühlen. „Dafür habe ich mich ganz gut gehalten.“ Ob sich Aiko an der bleiernen Situation ergötzt, darüber kann ich nur spekulieren. Jedenfalls dürfte die Stimmung beim Präsidenten trotz der Niederlage eine Spur gelöster sein. Kaijages Handeln hat die ver-trackte Situation aufgelöst. Die Fans haben das bekommen, was sie woll-ten und die Spieler müssen sich nach dem schwachen Auftritt selbst an den Rüssel fassen.

Doch wie sieht die Zukunft aus? Auch für mich? Werde ich als Kaijages Assistent kurzerhand einfach abgesäbelt? Schließlich bin ich für den Tief-stand von Toto African mitverantwortlich. Über ganz Mwanza schwebt die bange Frage: Wer übernimmt das Traineramt? Weder Jürgen noch ich wis-

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schmaus steht den Touristen und Einheimischen der Stadt bevor.

In rauchenden Töpfen kochen Maiskolben, deren süßlicher Duft mit dem Geruch von gegrilltem Hummer hervorragend harmoniert. Niklas und ich kaufen einem Händler frische Kokosnüsse ab. Er durchbohrt die Frucht mit einer Machete so geschickt, dass ich den Saft direkt aus dem Inneren trinken kann. Ein paar barfüßige Jungen ziehen an uns vorbei. Ab zu den Frauen, die Oktopus mit Chapati und dazu frisch gepressten Zuckerrohr-saft anbieten. Es ist ein einladendes Ambiente auf einer Insel, welche die schwarzafrikanische, arabische und persische Kultur und Architektur ver-schmelzen lässt.

Die kurioseste Begegnung haben wir mit einem Einheimischen, dessen Familie aus Oman stammt. Da sich in seinem winzigen Shop ein aus-gefranster Fußball hinter getürmten Holzschnitzereien und Gemälden versteckt, frage ich ihn nach Malindi SC, dem bekanntesten Verein auf Sansibar. Unser Torwarttrainer Juma hat mir einige Anekdoten um die Ohren geschlagen, die den Klub ins beste Licht rücken. Meistertitel, Po-kalsiege und internationale Titel stauben in der Vereinsvitrine, meinte er. Damals hätten die großen Konkurrenten vom Festland mit den Kni-en geschlottert, wenn ihnen die Insulaner zugelost wurden. 1989 und 1992 stach Malindi jeden Gegner aus und holte den Nationaltitel auf die vorgelagerte Insel. Ob das stimmt, frage ich den Ladenbesitzer, der sich als Malik vorstellt.

Seine Gesichtszüge hellen sich auf, er weiß alles über den Sportklub und schwelgt in den glorreichen Zeiten der Vereinshistorie. „Die großen Klubs aus Daressalam hatten doch keine Chance gegen uns. Die Mannschaften aus Tunesien, das waren Kaliber“, prahlt er. Ich gucke ganz verdutzt. So einen Zufall kann es doch gar nicht geben. Vor mir muss eine Legende der Insel stehen. „Warst du in den Triumphjahren selbst aktiv am Ball?“, bohre ich nach. Malik schüttelt trübselig mit dem Kopf. „Nein, ich war später da. Wo alles den Bach runterging.“

der neue mwalimu, der Lehrer. Sie trauern der Vergangenheit nicht nach, sondern schielen mit beiden Pupillen in die Zukunft. Jeder merkt einfach, dass die Karten neu gemischt sind. Das Training bestand aus stupidem Laufen, Passen und einem Abschlussspiel, bei dem Ngassa von der Seiten-linie aus immer wieder Verbaltiraden über den ganzen Platz krakeelt hat. Nach zwei Stunden sind alle platt gewesen und die Einheit war beendet.“

Ngassa kennt die Stadt Mwanza in- und auswendig. Er hat sein ganzes Le-ben hier verbracht und für den Traditionsverein Pamba über ein Jahrzehnt lang seine Knochen hingehalten. In den 1980er-Jahren galt er als einer der besten Spieler Tansanias und war unangefochtener Stammspieler der Nationalmannschaft.

„Wen hat er vor Toto trainiert?“, erkundige ich mich bei Jürgen, der alles berichtet, was er aufgeschnappt hat. Demnach hat Ngassa zuletzt eine Mannschaft in der First Division, der zweiten Liga, unter seinen Fittichen gehabt. Davor klafft ein hünenhafter Leerlauf in seiner Trainervita. Die ak-tive Zeit als Spieler ist rosig, seine Gegenwart eher flau. Er verfügt nicht über das Fachwissen von Kaijage und spricht nur dürftiges Englisch. „Du bist natürlich weiterhin als Trainer an Bord.“ Mir fällt fast das Telefon aus der Hand, so erleichtert bin ich nach diesem Satz. Es gibt derzeit nur ein Problem. Ngassa hat keine Trainerlizenz. Er hat nie einen Lehrgang be-sucht oder einen Schein gemacht. Ob er überhaupt als Cheftrainer in der Premier League arbeiten darf, wird im Fußballverband noch rege disku-tiert.

Ich verbringe den Abend in Stonetown, Sansibar. Vom Meer weht eine frische Brise über den glitzernden Sand des Strandes in die verwinkelten Gassen der kunstvoll ausgearbeiteten, steinernen Altstadt. Die hellen Ko-rallenkalksteine, das Mangrovenholz und geschnitzte Balustraden werden von einem wolkenlosen Sternenhimmel überzogen. Die Menschen flanie-ren über den Nachtmarkt in den Forodhani-Gärten am Kai, die von zahllos lodernden Feuern unter Grillrosten und großen Kesseln gesäumt werden. Samosa, Falafel, Krabben, Barrakuda und Frittiertes. Ein wahrer Gaumen-

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pompösen Gebäude dem Zerfall ausgeliefert. Während der Besichtigung des Nationalmuseums werde ich aus der bewegten Historie in die Gegenwart geschleudert. Auf meinem Handy poppt eine Nachricht auf, die einen warmen Föhn der guten Laune auslöst. „Toto gewinnt 2:0“, schreibt Jürgen. Wir sind zurück in der Spur. Ein Auswärtsdreier gegen Kagera Sugar ist goldwert. Ich freue mich diebisch.

Zwei Tage später komme ich aus dem Urlaub zurück nach Mwanza. Mehr-maliger Stromausfall am Flughafen und das Fehlen einer geeigneten Flugmaschine verzögern die Abflugzeit um mehrere Stunden. Draußen blitzt und donnert es. In der Wartehalle überwerfen die Gäste das Flug-hafenpersonal der Fast-Jet-Airline mit zornigen Ausrufen und zögerlichen Fragen. Ich halte mich aus den Tumulten heraus und plaudere mit dem portugiesischen Trainergespann von African Lyon, das zufällig auf densel-ben Flug wartet. Sie bestreiten am Samstag ein Spiel gegen Mwadui und treffen die Mannschaft im Hotel in Shinyanga an.

„Verrückte Liga“, meint der Chefcoach zu mir. Er trägt eine Lederweste, dazu eine pinke Seidenkrawatte. „Es gibt keine Struktur oder Organisati-on. Die Zustände sind so katastrophal, wie ich sie noch nirgends gesehen habe. In Bahrain, Katar und Portugal haben wir nur in den vornehmsten Hotels und in den edelsten Betten genächtigt. Tansania ist eine wahnsin-nige Umstellung“, ereifert er sich über die chaotischen Zustände. Zumin-dest auf komfortables Fliegen will er nicht verzichten.

Mit Toto African geht es Schlag auf Schlag weiter. Der Fußballverband hat die Hinrunde in nur annähernd drei Monate gepackt, weil Anfang No-vember die Freundschaftsspiele der afrikanischen Nationalmannschaften angesetzt sind. In diesem Zeitraum befindet sich die Liga in der Winter-pause. Der Spielplan ist stramm, englische Wochen sind normal.

Dann verschwindet er in einem kleinen Abstellraum und kramt vergilbte Fotoaufnahmen aus alten Zeiten hervor. Man sieht ihn kniend und strah-lend, Arm in Arm mit seinen Teamkollegen vor einem brüchigen Torgestell posieren. „Das war vor ungefähr 15 Jahren.“ Dann zeigt er auf einzelne Spieler und beschreibt detailliert Ihre fußballerischen Fähigkeiten. „Guck hier, das ist Rashid, er war der Beste von uns allen. Und das ist Hamid, er konnte laufen, das war unglaublich. Der hier ist Omar“, und so weiter.

Das letzte Bild ist besonders, Malik hat es extra eingerahmt. Die Inschrift haut mich vom Hocker. „Olli Pocher und die Nationalmannschaft von San-sibar in Barsinghausen 2005“. Das gibt es doch nicht! Sehe ich richtig? Malik hat unter dem deutschen Komiker gespielt? Niklas und ich können es gar nicht glauben und lachen ganz kindisch vor Verwunderung. Aber die Aufnahme beweist es. „Msoma ist der wahre Trainer gewesen. Der Deutsche ist nur aufgetaucht, wenn die Kameras an waren“, spottet Ma-lik über die Witzfigur im grünen Trainingsanzug. Sansibar hat Pocher da-mals den Trainerposten zugesprochen, um für den Eintritt bei der FIFA zu werben. Die Insel wollte mit allen Mitteln den Status eines anerkannten Mitglieds beim Weltverband erringen. Leider hat es nicht geklappt. San-sibars Nationalmannschaft steckt weiter in der Einöde und Pocher bleibt der große Unbekannte.

Wer Sansibar allerdings nur als Paradies begreift, blendet die Spuren einer traurigen Vergangenheit aus. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein war hier der weltgrößte Handelsplatz für Elfenbein, Nelken, Pfeffer und Skla-ven, die wie Schlachtvieh zu Hunderten in kleine Holzboote gepfercht wur-den, um nach Persien, Arabien und Nordindien verschifft zu werden. Jähr-lich sind bis zu 20.000 Afrikaner verkauft worden, von denen die meisten noch auf der wochenlangen Überfahrt in den Orient gestorben sind. Es gibt nichts zu beschönigen an dem verbrecherischen Menschenhandel, dieser elenden Todesschleuse.

Der ehemalige Palast des Sultans und die anglikanische Kathedrale zeugen von der großen Schande der Insel. Heute sind die ehemals