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Vorwort Rüdiger Gerst Grußwort Valentin Tempel Grußwort Susanne Wittmann-Schlechtweg, Andreas Schlechtweg Vorwort Barbara Spies VOm FiSCHerDOrF zur WOHnGemeinDe Von den Anfängen bis zur Weimarer Republik Kemmern zur Zeit des „Dritten Reiches“ Kemmern in der Zeit nach 1945 KirCHe unD KinDer PräGen DaS DörFLiCHe LeBen Von den Anfängen bis nach dem Ersten Weltkrieg Vom Ersten Weltkrieg bis zum Neuanfang Der Krieg ist vorbei – die Zeit nach 1945 Kemmern – ein DOrF am FLuSS FeSte, Feiern unD VerGnüGen Vereine, Vereine, Vereine Einleitung Politische Vereinigungen Vereine Institutionen INHALT BeiträGe Die ersterwähnung von Kemmern 1017 Günter Dippold Die historische Kulturlandschaft von Kemmern Thomas Gunzelmann Der Ortsname Kemmern und die Wüstungsflurnamen Dertheim-Schiring Joachim Andraschke topographische Vermessung der Helenenkapelle Britta Ziegler Der Bildhauer Sebastian Degler und der Kemmerner Hochaltar Lothar Braun Von Lungensucht, Fuchsschweif und Kuckucksruf: Die Geschichte der Kemmerner Pfarrkirchenorgeln Harald Nehr Abkürzungsverzeichnis Autorenverzeichnis Bildnachweis 6 8 10 12 15 15 29 40 85 85 91 106 143 165 185 185 188 193 228 231 234 249 257 264 267 284 285 286

INHALT - Michael Imhof Verlag...Ein Blick zurück Die um 1800 aufkommenden topographischen Werke gaben erstmals verlässliche Auskunft über die Verhältnisse in Kem - mern. Johann

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Page 1: INHALT - Michael Imhof Verlag...Ein Blick zurück Die um 1800 aufkommenden topographischen Werke gaben erstmals verlässliche Auskunft über die Verhältnisse in Kem - mern. Johann

VorwortRüdiger Gerst

grußwortValentin Tempel

grußwortSusanne Wittmann-Schlechtweg, Andreas Schlechtweg

VorwortBarbara Spies

VOm FiScHerDOrF zur WOHngemeinDe

Von den Anfängen bis zur Weimarer RepublikKemmern zur Zeit des „Dritten Reiches“Kemmern in der Zeit nach 1945

KircHe unD KinDer Prägen DaS DörFLicHe LeBen

Von den Anfängen bis nach dem Ersten WeltkriegVom Ersten Weltkrieg bis zum NeuanfangDer Krieg ist vorbei – die Zeit nach 1945

Kemmern – ein DOrF am FLuSS

FeSte, Feiern unD Vergnügen

Vereine, Vereine, VereineEinleitungPolitische VereinigungenVereineInstitutionen

INHALT

Beiträge

Die ersterwähnung von Kemmern 1017Günter Dippold

Die historische Kulturlandschaft von KemmernThomas Gunzelmann

Der Ortsname Kemmern und die Wüstungsflurnamen Dertheim-SchiringJoachim Andraschke

topographische Vermessung der HelenenkapelleBritta Ziegler

Der Bildhauer Sebastian Degler und der Kemmerner HochaltarLothar Braun

Von Lungensucht, Fuchsschweif und Kuckucksruf: Die geschichte der Kemmerner PfarrkirchenorgelnHarald Nehr

AbkürzungsverzeichnisAutorenverzeichnisBildnachweis

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Einleitung

Kemmern kann auf eine lange Geschichte zurückblicken,dessen erste schriftliche Erwähnung, damals als „Camerin“bezeichnet, in einer Urkunde vom 26. Oktober 1017 do-kumentiert ist. In diesem Dokument bestätigte Kaiser Hein-rich II. einen Tauschvertrag, in dem neben Erlangen undForchheim auch Kemmern genannt ist mit vier dort leben-den Fischern, die von Bischof Heinrich von Würzburg anBischof Eberhard von Bamberg übertragen wurden. In denvielen folgenden Jahrhunderten blieb Kemmern ein Oblei-dorf des Domkapitels, d.h. es war diesem zu Abgaben inNaturalien und Geld verpflichtet. Ein gesamtfränkisches oder gar oberfränkisches Bewusstseinfehlte. Je nach Obrigkeit in den einzelnen Dörfern waren dieUntertanen bambergischer, preußisch-bayreuthischer, säch-sischer, würzburgischer oder reichsritterherrschaftlicher Her-kunft. Verschiedenste Lehenabhängigkeiten mit verschiede-nen Gerichts-, Jagd- und Grundrechten herrschten vor. Trotz dieser Abhängigkeit entwickelte Kemmern eine gewisseEigenständigkeit, da es seine dörflichen Angelegenheiten ineiner eigenen Satzung, genannt Dorfordnung, regeln durfte,ohne Zustimmung des Dorfherrn, in diesem Fall des Dom-kapitels. Hilfreich bei solchen Bestrebungen waren eigeneVerteidigungsanlagen wie in Kemmern der wassergefüllteGraben und die drei Torhäuser. Kemmern gehörte als Oblei-dorf zum Hochstift Bamberg, welches im Zuge der Säkula-risation von Kurbayern besetzt wurde. Mit der am 17. Feb-ruar 1803 verfügten Auflösung des Domkapitels unterstandKemmern nun herrschaftlich Kurbayern, mit der ErhebungBayerns zum Königreich am 1. Januar 1806 waren die Kem-merner nun königlich bayerische Untertanen geworden.1

Mit der Auflösung des Hochstiftes im sog. Reichsdeputati-onshauptschluss 1803 wurde es enteignet, an seiner Stelleentstanden 1804 zwanzig Landgerichte. Die territorialenVeränderungen in Bayern, dann die Erhebung zum König-reich führten 1808 zu einer neuen Behördenstruktur. Bayernwurde in 15 Kreise eingeteilt und jedem dieser wurde einGeneralkomissär zugewiesen. Aus dem kleinteiligen Gebietdes ehemaligen Hochstifts Bamberg war die kurfürstlichebayerische Provinz Bamberg erwachsen. Im Raum Ober-franken formte Minister Maximilian Joseph Freiherr vonMontgelas aus dieser Vielzahl von Untertanenzugehörigkei-ten und Territorien Stück für Stück das GeneralkommissariatMain- bzw. Obermainkreis, denr Vorläufer des heutigen Re-gierungsbezirkes.2 Zunächst Obermainkreis genannt erhielter 1837 die Bezeichnung Oberfranken mit Regierungssitzin Bayreuth. Innerhalb des Obermainkreises war das Gebietin 23 Landgerichte aufgeteilt. Das Landgericht Scheßlitz,zu dem Kemmern seit der 1813 verfügten Auflösung desLandgerichtes Hallstadt gehörte, bildete zusammen mit denLandgerichten Bamberg I und II sowie Burgebrach den Kerndes heutigen Landkreises Bamberg. In dieser Einteilungsollte der Regierungsbezirk Oberfranken, nur 1920 durchCoburg erweitert, für 135 Jahre bestehen bis zur Gebiets-reform 1972.3 Das Landgericht Bamberg I war das Gebietrechts des Maines. Es zählte 2913 Familien mit 11 919 See-len in 37 Gemeinden, 28 Dörfern, 3 Weilern und 9 Höfen.Das Landgericht Bamberg II war links des Mains gelegen.Mit 33 Gemeinden, in denen 3994 Familien mit 14 922Menschen lebten, hatte es zwar die geringere Zahl an Ge-meinden, war aber dichter besiedelt. Im Süden stieß an diesebeiden Landgerichte Scheßlitz, zu dem Kemmern viele Jahregehörte, das mit 3664 Familien mit 14 523 Köpfen in 45

VOM FISCHERDORF ZUR WOHNGEMEINDE

Von den Anfängen bis zur Weimarer Republik

Von den Anfängen bis zur Weimarer Republik • 15

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vorbey, deshalb ein großer Theil der Einwohner sich vomFischereygewerbe ernährt. Schon der Zehntertrag bewährtdie Fruchtbarkeit des Orts, welcher durch den Weinbaunoch vermehrt wird. Nebst den gewöhnlichen Getreide-früchten wird allda viel Hirsen und Klee verkauft und mitKleesamen ein starker Handel getrieben. Der Charakter derEinwohner ist der gewöhnliche der Fischer.“8 Kemmern warum 1838 ein fast rein katholisches Pfarrdorf mit 644 Ein-wohnern. Pfarrlich war es bis 1710 eine Filiale der PfarreiHallstadt, bevor es seine Eigenständigkeit erlangte. Mit derAuflösung des Landgerichtes Hallstadt im Jahre 1813 kamKemmern zum Landgericht Scheßlitz. Erst mit der Einrich-tung der beiden Bamberger Bezirksämter 1862, im Zuge

der Trennung von Verwal-tung und Justiz, kam dasAmt Scheßlitz, und damitauch Kemmern, zum Be-zirksamt Bamberg I.Die Gemeindeordnung

von 1869 brachte neuerechtliche Grundlagen, die

Gemeinden ähnlich groß war wie die beiden anderen.4 Imländlichen Raum bestimmten die Größe und Lage desGrund und Bodens über die Wohlhabenheit seiner Bewirt-schafter. Die Nutzfläche einer von der Landwirtschaft le-benden Familie musste mindestens zwischen 3,5 und 8 Hek-tar betragen, damit die Familie davon leben konnte. Denbayerischen Statistiken dieser Zeit ist aber zu entnehmen,dass mehr als die Hälfte der erfassten Höfe kleiner war, sodass ein Überleben der Familien nur durch die Landwirt-schaft nicht möglich war. Mit Hilfe von Nebenerwerb inForm von Handwerksarbeit, Heimarbeit oder als Tagelöhnermusste zusätzlich Geld verdient werden, um ein Auskommenzu sichern.5 Das 20. Jahrhundert veränderte das Leben derMenschen in Bayern nachhaltig. Wachsender technischerFortschritt, die hereinbrechende Industrialisierung, das An-wachsen der Bevölkerung und zunehmende Mobilität brach-ten große Veränderungen mit sich. In Bayern stiegen dieBevölkerungszahlen langsamer, da zum einen die agrarischeStruktur das Voranschreiten der Entwicklung verlangsamte,zum anderen erreichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts dieAuswanderungswelle, vor allem nach Nordamerika, ihrenHöhepunkt. Erst nach und nach griff hier ein liberales Recht,um Niederlassungen möglich zu machen. In Franken bildetedie Landwirtschaft noch immer den größten Erwerbszweig.Weiterhin lebte zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr als dieHälfte der Menschen vom Ackerbau und von der Aufzuchtihrer Tiere. Doch wie in so vielen Gemeinden des Bamberger

Landes reichte auch in Kemmern die zu bebauende Flächenicht zur Ernährung einer Familie aus. Ein Nebeneinandervon Landwirtschaft und Handwerk war die Folge. Darüberhinaus schuf stetig wachsende Industrie auch im BambergerUmland neue Arbeitsplätze. Parteipolitisch standen sich zu Beginn des 20. Jahrhun-

derts Liberalismus und Konservativismus gegenüber. Fürdie Stärkung individueller Rechte und einer freien Entfaltungdes Handels, Gewerbes und der Industrie traten die Liberalenein. Die Mehrheit der Anhänger fand jedoch nach wie vorder politische Katholizismus, seit November 1918 vertretendurch die Bayerische Volkspartei.6 Als dritte politische Kraftentwickelte sich die Sozialdemokratie Ende des 19. Jahr-hunderts, die jedoch von den Herrschenden systematischbis hin zur Ausgrenzung an den Rand gedrängt wurde. In der Infrastruktur blieb es bis nach dem Zweiten Welt-

krieg bei althergebrachten Strukturen. Mit dem sprunghaftenAnwachsen der Bevölkerung nach dem Krieg wurden Neue-rungen dringend notwendig. In den 1950er Jahren, in derZeit des allgemeinen Wirtschaftswunders, standen viele Ge-meinden vor der Notwendigkeit, sich den gestiegenen An-sprüchen anzupassen. Mit dem Straßenbau ging der Bauvon Wasserleitungen und Kanalisation einher. Neu ausge-wiesene Wohngebiete boten Platz für die steigende Nach-frage nach Wohnungen, nötig geworden durch den Zuzugvon Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg. Kemmern,in seiner eingeschlossenen Lage zwischen der 1846 gebautenBahnverbindung nach Lichtenfels-Hof und dem Main, warwie eine einsame Insel, abseits von dem in den 1970er Jah-ren zunehmenden Verkehrsaufkommen. Daraus entwickeltesich bis ins neue Jahrtausend die Chance auf einen ver-kehrsberuhigten Ortskern, der bis heute für Kemmern cha-rakteristisch ist.

Ein Blick zurück

Die um 1800 aufkommenden topographischen Werke gabenerstmals verlässliche Auskunft über die Verhältnisse in Kem-mern. Johann Baptist Roppelt beschrieb in seiner „HistorischTopographische Beschreibung des kaiserlichen Hochstiftsund Fürstentums Bamberg“ das „Domkapitlische Obley-dorf“ Kemmern. Nach seiner Darstellung der herrschaftli-chen und pfarrlichen Verhältnisse folgte eine Bestandsauf-nahme: „Der Ort hat eine Pfarrkirche zu St. Peter und Paul,ein Pfarrhaus, ein Schulhaus, ein Gemeindehirtenhaus, 2Wirtshäuser, 84 andere Häuser und 62 Städel.“7 JohannKaspar Bundschuh fiel damals bereits die besondere Lagedes Ortes am „Mainfluß“ auf. Er „läuft dicht an dem Orte

Von den Anfängen bis zur Weimarer Republik • 1716 • Vom Fischerdorf zur Wohngemeinde

Abb. 1: Die Bewohner Kemmerns verdienten ihren Lebensunter-halt über Jahrhunderte in der Landwirtschaft und mit Fischerei.Kühe waren auch für die Feldarbeit nötig, um den Pflug zu ziehen. Pferde konnten sich die Bauern eher selten leisten. DieFelder waren schmal, diese immer kleinteiligere Feldaufteilungwar eine Folge der Realerbteilung. Auch Joseph und KlemensDorsch gehen hier ihrer Arbeit auf dem Feld nach.

Abb. 2: Erste Vermessung Kemmerns 1822 durchgeführt von der königlichen Steuervermessungskommission unter König Max I.

Abb. 3: Bürgermeister JosephEichhorn stand bis 1906 ander Spitze der GemeindeKemmern

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Glocke machte er an bekannten Stellen im Ort auf sich auf-merksam und verlas dort die Neuigkeiten. Auch die Ver-kündung von Satzungen und Verordnungen gehörte zu sei-nen Aufgaben sowie ihre polizeiliche Umsetzung zu kon-trollieren. Die Bezahlung war gering, oft musste er sein Ein-kommen durch weitere Ämter aufbessern. Sicherlich auchein Grund für höhere Fluktuation in diesem Amt, das aberdoch auch Ansehen in der Gemeinde verlieh. Vielfältige undanstrengende Aufgaben waren dafür verantwortlich, dassdieser Posten häufig wechselnd besetzt wurde. In Kemmernwar der bisherige Flurer am 7. April 1912 verstorben. In derSitzung vom 14. April 1912 beschloss man die Stelle neuzu vergeben „und hiezu öffentliche Bekanntmachung mitder Glocke zu erlassen.“17 Das Gehalt des Flurers und Nacht-wächters, Totengräberdienste eingeschlossen, belief sich auf300 M pro Jahr, die halbe Nacht Wache halten war mitein-geschlossen. Sein Aufgabengebiet war reichhaltig: Täglichhatte er die Flur zu begehen, er war für die Instandhaltungder Wege zuständig, musste diese mit Kies ausbessern, dieGräben waren zu reinigen, zweimal in der Woche musste ersich in den „Hölzern“ im Wald umschauen, um Holzdieb-stähle zu verhindern. Er hatte die Tragfähigkeit des Stegeszu kontrollieren und kleinere Mängel daran auszubessern.Auch die genaue Einhaltung der Polizeistunde lag in seinemZuständigkeitsbereich. Es war ihm erlaubt, seine eigenenFelder zu bestellen, im Taglohn zu arbeiten, war ihm unter-sagt. Trotz der vielfältigen Aufgaben und anstrengenden Ar-beitszeiten – Nachtwache war vom 1. Oktober bis 1. Maizwischen 10 und 2 Uhr nachts, in den übrigen Monaten ab11 Uhr nachts zu halten – fand sich bereits in der nächstenSitzung Johann Fleischmann, der mit acht von zehn Stim-men gewählt wurde. Wurde ihm „nachlässige Pflichtaus-übung“ nachgewiesen, war es jederzeit möglich, ihn seinesAmtes zu entheben. Weitere Folgen bei Arbeitsvernachläs-sigung waren das Aussetzen eines oder mehrerer Monatsge-hälter. So war es im Jahre 1921 dem Gemeindediener Griebelund dem Flurer Albrecht ergangen, die keinen Lohn erhiel-ten, „weil durch ihr Verschulden der Schelch18 fortge-schwommen ist. Dieselben haben die Aufsicht über denFahrschelch.“19 Die Anforderungen müssen wohl doch viele,die Bezahlung muss schlecht gewesen sein, denn bereits am1. Februar 1913 kündigte Johann Fleischmann wieder.Schnell erfolgte der Beschluss, die Stelle neu zu besetzen.Zu den bisherigen Aufgaben kam noch das Setzen und Pfle-gen der Bäume im Gemeindewald dazu, am Gehalt ändertesich nichts. Bereits am 6. Februar stand Michael Aumüllerals neuer Flurer und Nachtwächter zur Verfügung. Von denzehn Ausschussmitgliedern bekam er von sieben die Zu-stimmung. Auch Michael Aumüller hielt seinen Dienst nicht

lange durch. Er verstarb am 17. November des gleichen Jah-res. Bereits eine Woche später standen drei neue Kandidatenzur Wahl vor dem Gemeindeausschuss. Andreas Albrechtwurde mit fünf Stimmen in sein neues Amt gewählt, Mi-chael Hofmann erhielt drei, Andreas Amschel zwei Stim-men. Aber irgendwie schien dieses Amt in Kemmern keinglückliches zu sein. Im Beschlussbuch des Jahres 1915 wur-de vermerkt: „Nachdem der bisherige Flurer Andreas Al-brecht am 8. Sept(em)b(e)r 1915 zum Herrn einberufenwurde, so wurde beschlossen die Flurwache mit Todtengrä-berei u(nd) Nachtwache zur Aushilfe wieder zu besetzenund wurde an dessen Stelle zum Flurer, Todtengräber [!]und Nachtwächter der Maurer Andreas Amschel v(on) h(ier)mit 6 von – Stimmen gewählt.“20 Vielleicht um die Lebens-dauer in diesem Amt zu verlängern, beschloss man im Som-mer 1917, den Kriegsinvaliden Joseph Kraus als Unterstüt-zung einzustellen. Ganze drei Jahre hielt nun der Flurer wei-ter durch, bis er krankheitsbedingt im Jahr 1920 ausschied.Unter gleichen Bedingungen wie seine Vorgänger, aber miteiner Gehaltserhöhung auf 600 M bekam Georg Albrechtaus dem Haus Nummer 83 in Kemmern dieses Amt anver-traut. Die Bemerkung am Rande des Textes „so lange dieTeuerung anhält“ lässt erkennen, dass die Inflation auch vor

den Gemeinden in manchen Gebieten die alleinige Zustän-digkeit zusprach. Mit dem Anstieg der Einwohnerzahlen imLaufe des 19. Jahrhunderts nahm auch die Zahl der Mit-glieder des Gemeindeausschusses zu. Als Bürgermeister standim Jahre 1900 Joseph Eichhorn der Gemeinde Kemmernvor, unterstützt von den Mitgliedern des Gemeindeausschus-ses. So ging der neunköpfige Gemeinderat mit BürgermeisterJoseph Eichhorn an der Spitze, dem Beigeordneten BalthasarEndres und sieben Mitgliedern des Gemeinderates, nämlichLeonhard Kraus, Andreas Bauer, Joseph Amschel, MichaelSchober, Georg Fuchs, Andreas Schmitt und Johann Reuther,in ein neues Jahrhundert.9 Um die Aufgaben der Gemeindeerfüllen zu können, waren wichtige Ämter zu vergeben. InBayern wurde 1816 die Verordnung zur Armenpflege erlassen,was die Bildung eines örtlichen Ausschusses zur Pflichtaufgabeder Gemeinde machte. Zum Vorsitzenden des Waisenrateswurde in der Sitzung vom 3. Januar 1900 einstimmig Bür-germeister Joseph Eichhorn gewählt. Um den Armenpfleg-schaftsrat kümmerten sich von nun an Johann Reuther undJoseph Amschel. Eine wichtige Aufgabe war in Kemmern dieAufsicht über die Mainbrücke. Gleich vier Gemeindebevoll-mächtigten, Georg Fuchs, Leonhard Kraus, Joseph Amschelund Johann Reuther, oblag die Aufsicht über die Mainbrückeund die Fahrzeuge der Gemeinde. Andreas Schmitt und Mi-chael Schober beaufsichtigten die Gräben entlang der Wegeund Straßen. Andreas Bauer und Balthasar Endres waren mitder Kontrolle über die Tierzucht auf ihre „Obliegenheiten“im Körausschuss10 aufmerksam gemacht worden.

Gemeindeausschuss und Gemeindeverwaltung

Seit Januar 1906 war nun Martin Dorsch Bürgermeister11

der Gemeinde, Balthasar Endres war sein Stellvertreter. DenGemeinderat ergänzten Andreas Schmitt, Georg Fuchs, Le-onhard Kraus, Andreas Schneiderbanger, Johann Georg Bau-er, Georg Ring, Michael Schmitt und Adam Schneiderban-ger. Keinerlei Eintrag in den Beschlussbüchern fand der Toddes Ersten Bürgermeisters Martin Dorsch nach wenigen Jah-ren, nur das Fehlen seiner Unterschrift unter den Gemein-deratssitzungen fiel auf. Er wurde am 13. August 1911 Nach-mittag um zwei Uhr am Friedhof in Kemmern beigesetzt.12

Vorrübergehend übernahm Balthasar Endres den Vorstandder Gemeinde bis zur nächsten Wahl im Januar 1912. Am6. Januar wurde der neue Gemeinderat zu einer ersten Sit-zung in die Wohnung des nun zum Bürgermeister gewähltenBalthasar Endres geladen, wo die Verpflichtung der neuenGemeindebevollmächtigten, so nannte man früher die Ge-meinderatsmitglieder, erfolgte. Im Beschlussbucheintrag

wurde an diesem Tag protokolliert: „Heute wurde die neueGemeindeverwaltung vorschriftsmäßig zu einer Sitzung indie Wohnung des Bürgermeisters gerufen u(nd) sind hiezu[!] sämtliche Mitglieder erschienen. Der Bürgermeister for-derte die Mitglieder der Gemeindeverwaltung auf, ihn nachKräften zu unterstützen u(nd) bei ihrer Amtsführung dasWohl der Gemeinde im Auge zu haben und sich nicht vonSonderinteressen leiten zu lassen. Sodann nahm er die Ver-pflichtung mittelst Handschlages unter Abnahme des vor-geschriebenen Eides vor.“13 Eine Aufwandsentschädigungstand allein dem Bürgermeister zu und Funktionsträgernwie Gemeindediener, Flurer14 oder Nachtwächter. Man trafsich meist einmal im Monat, häufig im Haus des Bürger-meisters, wo Wohnung und Amtssitz in einem untergebrachtwaren. Wie die Aufgaben der Verwaltung gewachsen waren,so wuchsen auch die zu vergebenden Ämter. Gemeindedie-ner und Gemeindeschreiber waren hierbei wichtige Aufga-ben. Nicht selten stand das Amt des Gemeindeschreibersdem ersten Lehrer zu, manchmal übte dies auch der zweiteLehrer aus, der aufgrund seines niedrigeren Einkommenseher auf eine zusätzliche Unterstützung angewiesen war. Erführte die Protokolle bei den Sitzungen, fertigte den Schrift-verkehr an und schrieb die Rechnungen für die unterschied-lichen Kassen.15 Die Aufsicht über die einzelnen Kassen be-kamen die Gemeinderatsmitglieder. So wurde MichaelSchmitt zum Gemeindekassier bestimmt, Schulkassier undVerwalter der Pfarrer Arnoldschen Stiftung16 wurde AndreasSchmitt. Georg Schmitt bekam das Amt des Waisenrates.Als Mitglieder der Lokalschulinspektion wurden neben demPfarrer drei Mitglieder aus dem Gemeinderat beauftragt:Andreas Schmitt, Adam Schneiderbanger und Johann GeorgBauer. In den Armenpflegschaftsrat wurden Andreas Fuchsund Leonhard Eichhorn gewählt, die von den Gemeinde-bürgern Andreas Schneiderbanger und Wolfgang Eichhornunterstützt wurden. Auch die Beaufsichtigung der Main-brücke und der Fahrzeuge wurde wieder als Amt vergeben,mit dem Leonhard Kraus, Leonhard Eichhorn, Kaspar En-dres und Georg Bauer beauftragt wurden. Ebenso wie dieAufsicht der Gräben Georg Schmitt, Andreas Fuchs, AndreasSchmitt und Adam Schneiderbanger unterstellt wurden.

Wichtige Aufgaben – wenig Geld: Gemeindediener und Flurer

Neben Bürgermeister und Gemeindebevollmächtigten ka-men Flurer und Gemeindediener wichtige Aufgaben zu. DerGemeindediener informierte die Ortsbewohner über Be-schlüsse der Verwaltung. Durch das „Ausschellen“ mit seiner

Von den Anfängen bis zur Weimarer Republik • 1918 • Vom Fischerdorf zur Wohngemeinde

Abb. 4: Öffentliche Ankündigungen wurden an bekannten Stellenim Ort gemacht, wie hier in den 1930er Jahren auf dem Kirch-platz

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Fenstern herausflogen auf die abrückenden Kolonnen, dieOffiziere hoch zu Pferd, Helm und Gewehr im Blumen-schmuck – man meinte es ging zum schönsten Feste. Imwahren Jubel ging der Ausmarsch vor sich.“25

In Kemmern veranlasste Pfarrer Hennemann, dass inden nächsten Wochen nun immer nach dem Gottesdienstdrei „Vaterunser“ mit „Ehre sei dem Vater“ gebetet werdensollten, um einen glücklichen Ausgang des Krieges zu erfle-hen.26 Auch Kriegsgebetsstunden hielt er in der Folge nunjeden Donnerstag um 12 Uhr. Alle Lebensbereiche musstendem Krieg und seinen Notwendigkeiten untergeordnet wer-den. Schon kurz darauf Anfang November traf die erste To-desnachricht ein: „Gestorben ist in Frankreich der Land-wehrmann und Schreinermeister Lorenz Haderlein.“ In dennächsten Wochen bis Dezember verging nun kein Sonntag,an dem nicht ein Gefallener aus der Gemeinde betrauertwurde. Die Folgen des Krieges wurden nicht nur in denSterbezahlen spürbar, auch die Geburtenzahlen gingen zu-rück. Waren 1914 noch 39 Kinder geboren worden, 20 Jun-gen und 19 Mädchen, kamen 1915 19, 1916 16 und 1917nur zehn Kinder zur Welt. Am 5. August 1917 beurteilte

Pfarrer Hennemann aus seiner Sicht die Lage des Krieges:„3 Jahre schwerer Kriegszeit sind vollendet. Das deutscheVolk hat im Verein mit seinen treuen Verbündeten Schweresgetragen und mit unerschütterlicher Standhaftigkeit Be-

Kemmern nicht Halt machte. Bei der wieder erfolgendenNeubesetzung der Stelle im Oktober 1921 mit Pankraz Lochwurde ein Gehalt von bereits 1000 M festgesetzt, 1922 erhälter sogar 3000 M21. Nur drei Jahre später bei einem erneutenAmtswechsel auf Pankraz Schmitt 1924 erhielt dieser jetzt25 Reichsmark22 im Monat bei gleichbleibenden Aufgaben.

Die Zeit des Ersten Weltkrieges

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges veranlasste Pfarrer Ni-kolaus Hennemann am Sonntag, den 2. August zu folgenderVerkündigung: „Für die zum Kriege einberufenen Soldatenwird morgen früh ½ 6 Uhr zur Beicht gesessen.“23 Wie inKemmern dieser Tag erlebt wurde, darüber gibt es keineNachrichten. Ein Baunacher hielt 23 Jahre nach diesem Tagseine Erinnerungen fest: „Ich selbst war damals mit einemFreunde in Bamberg. Am Maxplatz war plötzlich eine großeMenschenmenge angesammelt. In farbigen Extrablätternlas man von der angeordneten Mobilmachung. Mit Müheverschafften wir uns ein Blatt und rasch fuhren wir nach-hause. Im ganzen hatte man in unserer Gemeinde die Neuig-keit schon erfahren. Unser Extrablatt nagelten wir am Amts-gerichtstor an und wurde dies recht fleißig genau gelesen.Telefon, Telegramm und Postbriefe sorgten sofort für Ver-ständigung der Reservisten, die zu den Waffen zu eilen hat-

ten, heute der, morgen ein anderer. Und mit einem Schlagewar unser Baunach so richtig unruhig geworden.“24 DieKriegsbegeisterung war groß, wie in Baunach wird es sichwohl auch ähnlich in Kemmern zugetragen haben: „Die ers-ten Tage nach der Mobilmachung sind uns unvergesslichgeblieben. Tag für Tag fanden sich die einberufenen Soldatenzu herzlichem Abschiede in den Gaststätten zusammen. Mitihnen fanden sich die nationalen Männer ein und immerwieder drangen die alten Soldatenlieder hinaus in Gassenund Straßen. ,O Deutschland. Hoch in Ehren‘, ‚Zum Kampffürs Vaterland sind wir geboren‘, ‚Der Tod im Felde ist dochder schönste Tod‘. Tag um Tag zogen neue Gruppen jungerMänner fort zur Garnisonsstadt Bamberg. Wer diesen ju-belnden Abschied am Bahnhof mitgemacht hat, ward mit-gerissen und begeistert wäre er gerne den Kameraden gefolgt.Freilich gab es auch so manchen harten Abschied für Frauund Kind, für Vater u(nd) Mutter – aber die Begeisterungund das Soldatenmuß ließen den alten Soldaten nicht weichwerden. ‚Zum Kampf fürs Vaterland sind wir geboren, werweiß ob wir uns wiederseh’n‘ so scholl es bei jedem Abtrans-port vom Bahnhof zu Baunach herein. […] Flaggenschmuckder Straßen, die vielen Blumensträusschen, die aus allen

Von den Anfängen bis zur Weimarer Republik • 2120 • Vom Fischerdorf zur Wohngemeinde

Abb. 5: Pankraz Schmittübernahm 1924 das Amtdes Gemeindedieners

Abb. 7: Auf dieser Feldpostkarte schreibt Markus Schmitt am 30. August 1915 aus Metz an seinen Vater. Er ist beim Königlich Bayerischen 4. Infanterie Regiment.

Abb. 8: Der Kemmerner Josef Dorsch war als Pionier im Ersten Weltkrieg an der Küste Frankreichs

Abb. 6: Markus Schmitt wurde 1890 in Kemmern geboren, hierist er als 25Jähriger im Ersten Weltkrieg zu sehen

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den bestmöglichen Strahlenschutz für die Bevölkerungdurchsetzen. Viele Schwierigkeiten waren im Vorfeld auf-getreten, wie z.B. Fragen des Naturschutzes, der Auflassungder Muna und die geänderte betriebswirtschaftliche Situationder möglichen Betreiber. Mit der Verpflichtung von Voda-fone, auf dem nun seit Oktober 2008 stehenden Funkmastauch andere Funknetzbetreiber auf diesem Grundstück zu-zulassen, soll ein Aufstellen weiterer Masten innerhalb derWohnbebauung verhindert werden. Außerdem stand nunder Entfernung des Funkmastes im Kirchturm nichts mehrim Wege. Für die anliegenden Grundstückseigentümer inder Nähe des Funkmast-Flurstückes ist somit eine Strom-versorgung möglich, der gute Nebeneffekt für die Gemeindeist die Mietvergütung.161

Große Verkehrsprojekte werfen ihre Schatten voraus

Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Grundsteinfür Kemmerns Lage, fernab aller Hauptverkehrswege unddoch zentral, gelegt. Im Jahre 1838 hatte damals das Land-gericht Baunach nach Meinung des Landgerichtes Scheßlitz„ganz eigenmächtig und ohne das hiesige Landgericht davonin Kenntnis zu setzen“ den ursprünglich oberhalb Breiten-güßbachs verlaufenden Weg, mit einer Überfahrt über denMain, verlegt. Nun führte die Straße auf der westlichenUferseite des Maines bis auf die Höhe Breitengüßbachs, eineneue Brücke sollte die Verbindung zum anderen Ufer schaf-fen. Die Kosten für die weiterführende Straße nach Brei-tengüßbach sollten die Gemeinden Kemmern und Breiten-

güßbach zum größten Teil tragen, da auf ihrer Flur gelegen.Die königliche Bauinspektion hatte 12 000 fl dafür veran-schlagt. Von dort gelangte man dann über Breitengüßbachauf die bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts bestehende„Bamberger Coburger Chausee“, deren Verlauf die heutigeBundesstraße noch nachzeichnet. Für die Baunacher stellteder Weg über Kemmern eine direktere und kürzere Verbin-dung bis Bamberg dar. Deswegen drangen sie auf den Aus-bau dieser Straße. Allerdings hätte die Finanzierung diesesWeges Kemmern allein tragen müssen, da er ausschließlichauf ihrer Flur lag. „Eine normalmäßige Herstellung des We-ges von Baunach nach Kemmern […] auf der Chausee wür-de in einer Länge von ¾ Stunde wenigstens 10 000 fl kostenund müßte diese Straße von Kemmern allein gebaut werden,weil sie ganz durch den Kemmerner Flur geht. Durch dieneue Straße von Baunach nach Güsbach […] ist aber derWeg von Baunach nach Kemmern […] ganz und gar ent-behrlich. Denn welcher Gemeinde könnte zugemutet wer-den, wegen eines kleinen Umweges einer benachbarten Ge-meinde von ¼ Stunde eine Straße neben der Landstraßemit einem so großen Kostenaufwand zu bauen“162, argu-mentierte das Landgericht Scheßlitz. „[…] erst seit einemhalben Jahre, wo die Ueberfahrt eigenmächtig von A nachB vom Landgericht Baunach verlegt wurde, glaubt diesesLandgericht die Herstellung dieses Gemeindeweges zu er-zwingen, um eine Viertelstunde näher nach Bamberg fahrenzu können.“ In Baunach waren große Fuhrunternehmenangesiedelt, die ihre Güter möglichst auf direktem, gut be-festigtem Wege bis Bamberg bringen wollten. Allein die We-ge nach Kemmern und Güßbach waren so schlecht, dassder „Güterzug“ litt „und die große Gefährlichkeit des Wegsallen Verkehr unterdrückt.“163 Schlussendlich wurde dieStraße über Kemmerner Flur nicht gebaut, da das Landge-richt Scheßlitz, aufgrund der eigenmächtigen Handlungs-weise des Landgerichtes Baunach, ganz auf der Seite Kem-merns war. Seit 1846 war die Bahnlinie nach Lichtenfelseröffnet und teilte die östliche Flur Kemmerns. Der nächsteBahnhof lag in Breitengüßbach und war von Kemmern auszu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar. Langsam beganndie Bahn auch für Kemmern ein wichtiger Arbeitgeber zuwerden. Waren es 1929 noch zehn Bahnangestellte, stiegdies in den 1950er Jahren sprunghaft an, so dass es mitt-lerweile rund 70 Eisenbahner und ungefähr 20 Postbeamteim Ort gab.164 Wollten die Landwirte auf ihre östlich gele-genen Felder, mussten sie seit Bestehen der Bahnlinie denÜbergang auf Höhe Kemmerns nutzen. Dieser kreuzendeWirtschaftsweg sollte ab den 1990er Jahren mit dem Plan,die ICE Strecke München-Berlin auszubauen, ganz entschei-dend werden.

Kemmern in der Zeit nach 1945 • 6766 • Vom Fischerdorf zur Wohngemeinde

Abb. 86: Endlich ist es so weit: Der „Erste Spatenstich“ konnte am 6. Oktober 2008 getätigt werden. Eineganze Reihen von Ehrengästen half mit, von links: Pfarrer Valentin Tempel, Bezirkstagspräsident Wilhelm Wenning, MdL Heinrich Rudrof, Bürgermeister Rüdiger Gerst, Landrat Dr. Günter Denzler, Dipl.-Ing. MatthiasStrunz, Architekt Karl-Heinz Rösch.

Abb. 88: Gerne und ausgiebig feiern die Kemmerner auf ihremneuen Platz wie hier beim Aufstellen des Kirchweihbaumes imAugust 2012

Abb. 87: In Begleitung der Ehrengäste und der beiden Bürgermeister wird der Platz am 20. Juni 2010 geweiht.Unterstützt wird Pfarrer Valentin Tempel von seinem evangelischen Amtskollegen Pfarrer Andreas Schlechtweg.Die Ehrengäste von links: MdL Heinrich Rudrof, Architekt Karl-Heinz Rösch, Bürgermeister Rüdiger Gerst, Land-rat Dr. Günther Denzler, Bezirkstagspräsident Wilhelm Wenning, Pfarrer Valentin Tempel und sein evangelischerAmtskollege Andreas Schlechtweg, Zweiter Bürgermeister Hans-Dieter Ruß und die beiden Ministranten.

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der Gemarkung Breitengüßbach mit seinem Kostendrittelmitzufinanzieren gehabt. Auch Überlegungen einer gemein-samen Planung und Teilung der Kosten zwischen Breiten-güßbach und Kemmern führten zu keinem Angebot vonBreitengüßbacher Seite. Das wiederaufgenommene Plan-feststellungsverfahren sah in seinem Entwurf dann tatsächlichnur diese Wirtschaftswegeüberführung in der GemarkungBreitengüßbach als Ersatz für den Kemmerner Übergangvor.170 Mit einer offensiven Informationspolitik machte dieGemeinde im Herbst 2013 auf die tiefgreifenden Verände-rungen der damaligen Planungen aufmerksam.171 Aber nichtnur für die eigenen Bürger brachten diese Vorhaben ent-scheidende Veränderungen, auch für den Tourismus wardies von überregionaler Bedeutung. Mit der Auflösung dieses Überganges wäre die letzte bis-

her noch bestehende Verkehrstrasse für Fahrradfahrer undWanderer aus den Haßbergen in Richtung FränkischeSchweiz verschwunden. Denn genau entlang dieser Bahn-strecke waren in den letzten Jahren bereits einige Bahnüber-gänge ersatzlos beseitigt worden, so z.B. im Bereich Hallstadt.Die Verbindung auf die andere Seite war somit neben den

Landwirten auch für die örtliche Naherholung von Bedeu-tung, denn die Gemeinden Gundelsheim, Kemmern, Brei-tengüßbach und Memmelsdorf hatten erst in den letztenJahren den Zückshuter Forst mit einer entsprechenden Weg-weisung ausgestattet.172 Die Gemeinde wurde aktiv, moti-vierte und informierte ihre Bürger. Um die 500 Betroffenenreichten in der Anhörungsphase des neu aufgelegten Plan-feststellungsverfahrens über die Gemeinde Kemmern Ein-wendungen gegen die bestehenden Planungen ein. Klar kris-tallisierte sich der Wunsch eines für alle nutzbaren Bahn-überganges auf der Höhe Kemmerns heraus. Parallel dazuhatte sich Bürgermeister Gerst an die höheren politischenEbenen gewandt. Ein Brief des BundestagsabgeordnetenThomas Silberhorn an den Präsidenten des Eisenbahnbun-desamtes verhalf schließlich zum ersehnten Durchbruch. Inseinem Antwortschreiben an Thomas Silberhorn vom 11. Juli2013 teilte dieser mit, wenn eine Lösung in Kemmern wirt-schaftlich darstellbar sei, wäre die, auf Höhe des Kreisver-kehrs Breitengüßbach geplante Überführung aus Anlass derAuflassung des Bahnübergangs in Kemmern nicht mehr er-forderlich. Ein folgendes Gespräch am „Runden Tisch“ am

Kemmern in der Zeit nach 1945 • 69

Auf allen ICE Trassen müssen die schienengleichen Bahn-übergänge ersetzt werden. Nach dem Eisenbahnkreuzungs-gesetz war somit der Träger des kreuzenden Weges – also dieGemeinde Kemmern – mit einem Drittel an den Kostenbeteiligt. 1995/96 sah das erste Planfeststellungsverfahreneine großdimensionierte Unterführung der Bundesstraßeund der Bahn etwas südlich des bis dahin existierendenBahnüberganges vor.165 Mit der Auflassung der seit 1934bestehenden Munitionsanstalt der Bundeswehr, kurz Munagenannt, im Jahre 2005 erloschen die Interessen des Bundesan einer Bahnunterführung, der neben der Bahn und derGemeinde Kemmern ein Drittel der Kosten zu tragen hat.Nachdem sich auch noch bei anderen, in der Nähe gelege-nen, Baumaßnahmen das Erdreich als sehr instabil erwiesenhatte und das bei Hochwasser ansteigende Grundwasserfür die Unterführung negative Auswirkungen gehabt hätte,änderten sich die Planungen der Bahn. Bürgermeister Gerst,seit 2002 im Amt, sah sich auch in diesem Bereich gleichin den ersten Jahren mit für Kemmerns Entwicklung über-aus entscheidenden, unterschiedlichen Planungen konfron-tiert.

Gingen erste Planansätze noch von einer kleiner dimen-sionierten Unterführung in der Nähe des bestehenden Bahn-überganges aus,166 so wurde aufgrund der beschriebenenRahmensituation zunächst eine Wirtschaftswege-Überfüh-rung über die Bahngleise auf Höhe der Einmündung derHallstadter Straße in die damalige B4 vorgesehen.167 DieserEntwurf hatte schon aufgrund der ablehnenden Haltungdes Staatlichen Straßenbauamtes in Bamberg, das an dervielbefahrenen Bundesstraße keine weitere Kreuzung schaf-fen wollte, kaum Realisierungschancen.168Weitere Entwürfesahen dann zunächst eine zweigeteilte Kombinationslösungvor: Für den motorisierten landwirtschaftlichen Verkehr, anden Kreisverkehr südlich Breitengüßbach anschließend undinnerhalb dessen Gemarkung, eine Wirtschaftswege-Über-führung. Für die Fußgänger und Radfahrer war eine kleinereUnterführung etwas südlich des bestehenden KemmernerBahnüberganges vorgesehen.169 Dann allerdings wurde Letz-tere, wie die Bahn mitteilte, vom Eisenbahnbundesamt nichtmehr als Bestandteil der Kreuzungsmaßnahme angesehen.Damit hätte Kemmern diese Unterführung alleine zu zahlenund darüber hinaus die Wirtschaftswege-Überführung in

68 • Vom Fischerdorf zur Wohngemeinde

Abb. 89: Kemmern inmitten seines Verkehrsnetzes, die Bauarbeiten an der ICE-Strecke sind in vollem Gange. Auch gut erkennbar diegroßen Veränderungen im Gewerbegebiet, hier hat sich im Verlauf der letzten Jahre einiges getan, Aufnahme vom 7. September 2016.

Abb. 90: Der Abbruch des schienengleichen Überganges ist erfolgt, der mittlere Brückenkopf steht am 7. September 2016

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Das Großprojekt Schule

Der Platzmangel in der Schule war lange Jahre ein immerwieder aufkeimender Diskussionspunkt. Schon seit den1930er Jahren hatte man von bezirksamtlicher Seite undder Regierung versucht, Kemmern zur Umsetzung einesPlanes zu bewegen, scheiterte aber immer wieder. Endeder 1950er Jahre plante man nun durch eine Aufstockungdes alten Schulhauses die Raumnot zu beseitigen, was aber

durch den Kreisbaumeister Fiedler sofort abgelehnt wurde.Seine Bedenken konzentrierten sich vor allem auf die Lagedes bisherigen Hauses, zu diesem Zeitpunkt an einer stär-ker befahrenen Straße. „Auf Grund der vorhandenen Kin-derzahl benötigt die Gemeinde schon jetzt 5 Lehrsäle,während nur 3 vorhanden sind und zwar 2 Säle im Schul-haus und 1 Saal im Kindergarten. Das Gebäude steht in-mitten der Ortschaft an einer verkehrsreichen Straße, inunmittelbarer Nähe der Kirche. Eine Aufstockung würde

Der Krieg ist vorbei – die Zeit nach 1945 • 115114 • Kirche und Kinder prägen das dörfliche Leben

Abb. 55: Voller Freude zeigte Schwester Helene „ihren“ Kindergarten, als Landrat Neukum am 18. Juni 1969 einen Besuch abstattete

Abb. 56: Modern und schön eingerichtet: der neue Kindergartenbot viel Raum für die Allerkleinsten

Abb. 57: Auch die Sanitäranlagen waren damals hochmodernund konfortabel. Jedes Kind hatte seinen Platz für Zahnputz -becher und -bürste und einen eigenen Handtuchhalter.

Abb. 58: Die Jahrgänge 1941 und 1942 mit ihrem Lehrer, HerrFaber. Die Frisur der Mädchen entsprach ganz der Mode der Zeit,mit Eiweiß wurde der „Göger“ rund auf der Kopfmitte geformt.

Abb. 59: Auf diesem Bild drängeln sich die Jahrgänge 1941 und1942 – eine unglaubliche Menge an Kindern. Kein Wunder, dassdas Schulhaus nicht mehr genügend Platz bot.

Abb. 60: Die achte Klasse der Jungen unterrichtete 1957 der Lehrer und spätere Schulleiter Hans Pöllein

Abb. 61: Die erste und zweite Klasse sind mit ihrer Lehrerin FrauEndres für ein Foto auf die andere Mainseite gekommen

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Der Krieg ist vorbei – die Zeit nach 1945 • 117116 • Kirche und Kinder prägen das dörfliche Leben

Abb. 62: Die dritte und vierte Klasse wurde 1957von Lehrer Pickel betreut

Abb. 63: Schwester Reginharda unterrichtete diegrößeren Mädchen. Hier eine Aufnahme aus demJahre 1957.

Abb. 65: Konrad Silberhorn warbis 1970 Lehrer an der Kemmer-ner Schule. Sein Sohn Thomas,vielen durch seine Tätigkeit alsMitglied des Deutschen Bundes-tages für Bamberg und Forch-heim bekannt, wurde inKemmern geboren.

Abb. 66: Lehrerin Tremlkümmerte sich im Schuljahr1989/90 liebevoll um diedamalige erste Klasse

Abb. 67: Über 30 Jahre warHeinz Gerst, der Vater von Bürgermeister Rüdiger Gerst,Lehrer an der KemmernerSchule. Dieses Foto machteihm seine damalige 3. Klassedes Schuljahre 1994/95, sei-nem letzten Arbeitsjahr vor derPensionierung, zum Geschenk.

Abb. 64: Lehrerin Inge Rüb kümmerte sich imSchuljahr 1968/69 um die damaligen Erst klässler

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Seit 1927 wurden die Proben in der Brauerei Leicht ab-gehalten, wo sich noch heute das Vereinslokal befindet. DenHöhepunkt des gesanglichen Erfolges in der Zwischenkriegs-zeit war der erste Preis beim Wertungssingen des Obermain-gaues in Hallstadt im Juni 1939. Der nur wenige Monatespäter ausbrechende Zweite Weltkrieg brachte einen tiefenEinschnitt, war doch durch die zahlreichen Einberufungenzur Wehrmacht die Zahl der Sänger immer mehr gesunken.1943 musste die Chortätigkeit ganz eingestellt werden. Auchals sich 1946 alte und zum Teil neue Sängerinnen und Sängerum Philipp Aumüller und Josef Neppig aus dem Leingrabenwieder zusammenfanden, hatte der Verein noch viele Höhenund Tiefen zu durchschreiten. Aufgrund der Versetzung vonHauptlehrer Wachter 1947 musste dieser schon nach einemJahr die Chorleitung wieder abgeben, diese übernahm ab1948 der neue Schulleiter, Hauptlehrer Michael Pickel. Esfolgten in dieser Funktion aushilfsweise Hans Bössert undschließlich, aufgrund der Bemühungen des 1951 zum ErstenVorsitzenden gewählten Josef Neppig, der Postbeamte HansBatz aus Bamberg. 1965 war die bisherige Zweite Loni Main-bauer zur Ersten Vorsitzenden gewählt worden. ObwohlLehrer Konrad Silberhorn zwischenzeitlich als Chorleiter

aushalf, kam es 1968 zur völligen Einstellung der Singstun-den, bis bei der Generalversammlung am 28. März 1969der Hallstadter Sängergruppenvorsitzende Geo Deusel vor-läufig die Chorleitung übernahm. Die Chorleitung gingkurze Zeit später auf dessen Sohn, den Lehrer WolfgangDeusel über. Am 23. April 1971 übernahm dann schließlichWalter Blume die Funktion des Ersten Vorsitzenden. Das50-jährige Jubiläum konnte Anfang Juni 1973 unter Schirm-herrschaft von Bundestagsmitglied Paul Röhner öffentlichgefeiert werden. Die jüngere Vereinsgeschichte war durchden Kemmerner Oberlehrer Heinz Gerst geprägt, der seitseiner Wahl am 4. Juli 1975 bis zu seinem Unfalltod im Au-gust 1996 an der Spitze des Vereins stand. 1977 erfolgte aufdessen Initiative die Gründung eines Kinderchores, der nachzunächst großem Zulauf und beachtlichen musikalischenErfolgen unter Leitung von Wolfgang Deusel schließlichdie Konkurrenz anderer aufkommender Jugendfreizeitan-gebote zu spüren bekam. 1982 folgte Hans Forster aus Brei-tengüßbach, der ab 1982 bereits den Kinderchor dirigierthatte, nach Wolfgang Deusel und Marianne Markert ausStettfeld (1981) als Dirigent des gemischten Chores nach.Die „Cäcilia“ wirkte auf vielen überörtlichen Veranstaltun-

Vereine • 203202 • Vereine, Vereine, Vereine

Abb. 26: Die ersten schriftlichen Nachrichten über den Gesangverein Cäcilia finden sich aus dem Jahre 1923. Lehrer Franz Bäumel inder Mitte (21.12.1883–28.10.1971), 1923 an die Kemmerner Schule gekommen, engagierte sich als Dirigent. Philipp Aumüller (unterLehrer Bäumel), Bürgermeister von 1948 bis 1952 und Mai 1960, war damals der Erste Vorstand des Vereines. Viele Sänger der erstenStunde des Gesangvereins spielten später eine Rolle im politischen Leben der Gemeinde wie Pankraz Brehm (oben links), Johann Molitor (ganz rechts, 2. von oben) und Josef und Adam Neppig (3. Reihe von unten, rechts). Auch Brauereibesitzer Baptist Leicht, der1922 die Brauerei übernommen hatte und in dessen Räumen die Proben stattfanden, ist unter den Sängern (schräg links über LehrerFranz Bäumel).

Abb. 27: Seit 1996 ist Margarete Gerst die Erste Vorsitzende des Vereins (fünfte von rechts), schräg hinter ihr in der letzten Reihe istder seit 1999 amtierende Dirigent Peter Günther zu sehen. Die Aufnahme entstand am 17. Juli 2016.

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mannschaft. Kriegsbedingt kam das Vereinsleben nach 1939zum Erliegen, auch der Zusammenschluss mit Hallstadtkonnte die vielen im Kriegseinsatz befindlichen Männernicht ersetzen. Doch kurz nach Kriegsende wurde der Spiel-betrieb wieder aufgenommen. Auch wenn es finanziell nichtgut um den Verein bestellt war, baute man 1949 ein kleinesSporthaus. Nach dem Spielen säuberte man sich in der Ba-dewanne der Vereinswirtin im Gasthaus Dorsch oder im na-he gelegenen Main. 1952 übernahm Richard Hofmann die Vorstandschaft,

bis 1983 leitete er die Geschicke des SC Kemmern, heuteder einzige Ehrenvorstand. Die kurzfristige Gründung eineszweiten Fußballvereins endete nach nur wenigen Jahren miteinem Zusammenschluss im Sport-Club Kemmern. Dengewachsenen Ansprüchen der Sportler folgend, baute manin den 1970er Jahren mit viel Eigenleistung ein größeresSportheim, nun auch mit Duschen. Eine Baustein-Spen-denaktion der Kemmerner, Zuschüsse und Spenden derMitglieder unterstützte das Projekt finanziell. Vor allem Bür-germeister Förtsch und der damalige Gemeinderat unter-stützten die Aktivitäten des Vereins und machten es möglich,dass er das Gelände im Anschluss an den bisherigen Sport-platz erhielt. In die Jahre gekommen, waren ab Anfang des21. Jahrhunderts umfangreiche Sanierungsarbeiten im Sport-heim durchzuführen. Durch das Engagement der Gemeindekonnte 2011 mittels einer Unterdükerung des Maines derAnschluss an die Kanalisation ermöglicht werden. Dochauch abseits des grünen Rasens sind die Fußballer aktiv. Sierichten seit vielen Jahren das „Gaßbockreiten“ beim Kirch-

weihumzug aus, dessen spektakulärer Abschluss immer beimSportheim endet. Ein besonderer Höhepunkt der Vereins-geschichte war das Spiel anlässlich der Einweihung des neuenSportplatzes und -heimes im Jahre 1976 gegen den VfL Bo-chum. Das Spiel endete 14:2 für die Gäste. Zum 75-jährigenJubiläum des Vereins im Jahr 2005 verpflichtete der SCKemmern den 1. FC Nürnberg. Vor mehreren tausend Zu-schauern gewann der „Club“, der 1. FC Nürnberg, mit 14:1Toren – ein unvergessliches Spiel. Es war und ist eine Vielzahlvon Trainern und Betreuern, die sich in den letzten Jahr-zehnten enthusiastisch für fußballbegeisterte Jugendlicheengagiert haben. Stellvertretend sei hier die erfolgreiche Zeitunter Trainer Rainer Sachs von 1968 bis 1978 genannt. Aus-landsreisen in dieser Zeit nach Italien, Griechenland und indie USA bleiben in Erinnerung.

Vereine • 205

gen, wie 1981 beim „Großen Chorkonzert“ des Sängerkreisesin Bamberg und bei jährlichen Auftritten, etwa bei den Som-merserenaden in Schloss Seehof und den Gedächtnisgottes-diensten beim Sängerehrenmal in Melkendorf, mit. Für denVerein bedeutsam war die Wahl seines Vorsitzenden HeinzGerst zum Vorsitzenden des Sängerkreises Bamberg im März1979. Dadurch wurde die Akzeptanz des Gesangsvereins„Cäcilia“ Kemmern auch auf überörtlicher Sängerebene un-terstrichen. Viele Fahrten ins In- und Ausland wurden un-ternommen. Im Juli 1983 konnte der Verein unter Schirm-herrschaft des Ersten Bürgermeisters Alois Förtsch das 60-jährige Jubiläum feiern.Seit 1996 wird der Verein von der Ersten Vorsitzenden

Margarete Gerst geleitet. Als Dirigent fungiert seit 1999,als Nachfolger des Fachmusikers Wolfram Brüggemann(1994–1999), der Bamberger Rechtsanwalt Peter Günther.Höhepunkte der jüngeren Vereinsgeschichte stellten 1998das 75-jährige Jubiläum unter Schirmherrschaft von KreisratRüdiger Gerst, die Mitwirkung bei der Einweihung des neu-gestalteten Kirchplatzes 2010 sowie das 90-jährige Jubiläumim Jahre 2013 dar. Seit einiger Zeit nehmen an den Chor-proben zusätzlich die noch verbliebenen Sängerinnen derChorgemeinschaft „Wunderburg – Sängertreue“ aus Bam-berg teil.

Sportclub Kemmern e.V.

Ansprechpartnerin: Erste Vorsitzende Heike BräuerNäheres unter: www.sc-kemmern-1930-ev.deTreffpunkt: SportheimMitglieder: 893Gründung: 1930

Es waren die frühen 1870er Jahre, als die Fußballbegeiste-rung von Großbritannien aus nach Deutschland schwappte.Zögernd etablierte sie sich anfänglich in nördlichen Groß-städten wie Hannover, Braunschweig, Berlin oder Leipzig.Bis die „Fußlümmelei“, wie sie anfangs genannt wurde,nach Bayern kam, sollte es noch dauern. Hof hatte hierdie Vorreiterrolle mit einem 1893 gegründeten ersten Fuß-ballverein. Zwar verbreitete sich dieser Sport, trotz allerVerbote, schnell, blieb aber weiter ein städtisches Phäno-men. Selten kam es in unserer Region vor 1914 zu Ver-einsgründungen, wie in Gaustadt oder Baunach.8 Im Jahre1929 kamen Kemmerner Musiker, die sich im Mandoli-nenverein zusammengeschlossen hatten, auf die Idee, ge-meinsam Fußball zu spielen. Da ein Vereinszusammen-schluss aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen nicht

möglich war, entschlossen sich einige der Fußballbegeis-terten, einen eigenen Verein zu gründen. Am 15. März 1930 schloss man sich dem 1920 in Würz-

burg gegründeten katholischen Sportverband der DeutschenJugendkraft (DJK) an. Zur Gründungsversammlung am5. April 1930 waren 16 Sportler im Gasthaus Dorsch er-schienen. Einstimmig wurde Georg Spörlein zum Vorstandund Kassier, Otto Dorsch zum Schriftführer gewählt. Zuden Gründungsmitgliedern gehörten außerdem MichaelGick, Markus Endres, Valentin Aumüller, Johann Dorsch,Kaspar Spörlein, August Eichhorn, Gottfried Keller, AdamAmtmann, Georg Nüßlein, Andreas Dorsch, Wendelin Eich-horn, Johann Höfler, Kilian Dorsch und Michael Nüßlein.Zu den Mitgliedern der ersten Stunde zählten Andreas Au-müller, Gottfried Aumüller und Andreas Eichhorn. Vomreinen Fußballclub entwickelte er sich im Laufe der Jahr-zehnte zu einem Zusammenschluss von Sportlern mit sehrunterschiedlichen Sportarten in mittlerweile acht Abteilun-gen. Um die Pacht für den Sportplatz decken zu können,beschloss man, Eintritt bei den Fußballspielen zu verlangen:20 Pfennige kostete es für Nicht-Vereinsmitglieder, für Mit-glieder war es auf 10 Pfennige festgesetzt. Der Verein erhieltden Namen „Deutsche Jugendkraft ,Edelweiss‘ Kemmern“.Im Herbst 1933 wurde, nachdem von der politischen Polizeidie Deutsche Jugendkraft wiederholt Spielverbot erhaltenhatte, die Auflösung des Vereins beschlossen. Bei der sofortinitiierten Neugründung einigte man sich auf den NamenSport-Club Kemmern. Im Dezember 1934 ermöglichte derBeitritt von 15 Jugendlichen die Angliederung einer Jugend-

204 • Vereine, Vereine, Vereine

Abb. 28: Feuchtfröhlich ging es bei den Ausflügen der Fußball-mannschaft in den 1950er Jahren zu

Abb. 29: Eine Aufnahme der ersten Mannschaft bei einem Auswärtsspiel um das Jahr 1960

Abb. 30: So präsentierte sich der Fußballplatz im Juni 1969 beim Besuch des Landrates Otto Neukum. Das kleine Sporthaus hatte derVerein 1949 errichtet.

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Längst vorbei sind die Zeiten, als für den SC Kemmerngleich acht Sportkameraden pfiffen – darunter die FamilieEichelsdörfer mit Vater Andreas, genannt Anda, und denSöhnen Bernd und Thomas. An dieser Stelle sei hier auchdas Vereinsehrenmitglied Siegfried Brehm genannt, dessenKarriere nach Ablegung der Prüfung 1965 ihren Höhepunktmit dem Aufstieg in die Bundesliga im Jahre 1981 fand.Brehm leitete dort 69 Partien, zwei davon in der Schweiz.In der Zweiten Liga kam er auf über 100 Spiele. Hinzu ka-men Auslandseinsätze als Linienrichter bzw. Assistent in Tif-lis, Moskau, Glasgow, Paris und Wien. 1989 beendete erseine aktive Tätigkeit als Schiedsrichter, ist aber bis heutedem SC Kemmern treu geblieben.

Alte Herren

Im April 1962 wurde von einem Häuflein gleichgesinnterFußballbegeisterter im damaligen Vereinslokal Peter Eich-horn die „Kuckuckself“ aus der Taufe gehoben. Dies war dieGründung der „Alten Herren“, von Anfang an mit dabeider am 21.8.2016 verstorbene Karl Dinkel. Mittlerweile war-ten die „Alten Herren“ auf Nachwuchs zum gemeinsamenFußballspiel, allerdings wird dies noch einige Jahre dauern.

Tischtennis

Im Jahr 1976 machten elf sportbegeisterte Vereinsmitglieder,an der Spitze Günter Benoit, das Spiel mit dem kleinen Zel-

luloid-Ball in Kemmern „salonfähig“. Fortan war Fußballnicht mehr die einzige Sportart im Gemeindebereich, die Be-geisterung für den Tischtennissport wuchs, die Zahl derMannschaften ebenso. An drei Trainingstagen pro Woche hatJung wie Alt die Möglichkei,t sich im Tischtennis zu üben.

Damengymnastik

Am 1. April 1977 wurde die Damengymnastikgruppe ge-gründet, eine der mitgliederstärksten Abteilungen des SCKemmern. Für jede Altersgruppe, begonnen bei den Vier-jährigen bis zu den Seniorinnen, gibt es hier ein breites An-gebot. Engagierte Übungsleiterinnen Gisela Weigel ist seit

Vereine • 207206 • Vereine, Vereine, Vereine

Abb. 31: Die erste Mannschaftdes SC Kemmern während des Faschings am 4. März 1973

Abb. 32: Die Italienjungmann-schaft

Abb. 33: Lang, lang ist’s her, dieSchiedsrichter des SC Kemmern.Von links: Thomas Eichelsdörfer,Günter Schwank, Siegfried Brehm,Andreas (Anda) Eichelsdörfer, EmilHerrmann und Fritz Deuber.

Abb. 34: Die Tischtennismannschaft zu Beginn der 1970er Jahre:von links Jakob Bank, Theo Haderlein, Klaus Lang, Helmut Friedmann, Gerd Fahner, Günter Benoit

Abb. 35: Im Jahre 1977 gründete sich die Damengymnastik undkonnte so 2002 bereits ihr 25-jähriges Bestehen feiern

Abb. 36: Seit 1988 besteht die Gruppe der Seniorengymnastik,hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1994

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im Nordwesten ist ein Ergebnis des Heranarbeitens des Mai-nes an den westlichen Prallhang. Die Schichtenfolge desKeupers, der den Semberg aufbaut, beginnt am Hangfußmit dem Mittleren Burgsandstein, über dem der Obere Burg-sandstein und die Feuerletten anstehen.Zerschnitten wird dieser Hang durch fünf west-ost-ver-

laufende, tief eingeschnittene Kerbtäler, die als Zeugen dermenschlichen Beeinflussung geomorphologischer Prozesseam Beispiel des Wolfsgrabens intensiv erforscht wurden.3

Hier wurde gezeigt, dass erst die Rodung dieser Taleinschnit-te, die dann auf ihren südexponierten Hängen als Weinbergeund auf den nordexponierten als Hutung genutzt wurden,im Mittelalter die natürliche Talbildung destabilisierte. Sokonnten Starkregenereignisse im 14. Jahrhundert tiefe Ker-ben in das Tälchen reißen und das Material als Schwemm-fächer an den Hangfuß transportieren. Im 19. Jahrhundertwiederholte sich dies erneut. Nachdem dort die Nutzungheute weitgehend aufgeben wurde, ist die Gefahr einer Tie-fenerosion geringer geworden.Die Hochfläche wird durch die Schicht des Rhätsand-

steins ausgebildet, auf dem bisweilen noch Reste des Schwar-zen Juras (Lias Alpha 2) aufsitzen. Die im Rhät ausgebildetenSteilhänge sind von Hangschutt überlagert. Zwei dieserSchichten werden kulturlandschaftlich in mehrfacher Hin-sicht wirksam, dies sind der Rhätsandstein und der Mittlere

Burgsandstein. Letzterer ist mit seinen wechselnden harten,aber relativ mürben und damit leicht zu bearbeitenden Sand-steinbänken das in Franken am häufigsten für die Anlagevon Felsenkellern aufgesuchte Gestein, so auch inKemmern.4 Die Kulturlandschaft des Rhäts in der Gemar-kung Kemmern ist einerseits am Ort ganz spezifisch ausge-prägt, denn das Areal, in dem er ansteht, ist weitgehend voll-flächig mit historischen Steinbrüchen durchsetzt.5 (Abb. 2)Andererseits strahlt er über dieses engere Gebiet hinaus,denn es handelt sich um den wichtigsten Bausandstein derRegion, der vor allem die repräsentativen Bauten der um-liegenden Orte bestimmt.Kemmern liegt im Gegensatz zu den meisten Dörfern

des Obermainraumes nicht am Talrand und damit am Hang-fuß des ansteigenden Keuperberglandes, sondern mitten inder Talaue, ähnlich platziert sind vielleicht noch Hallstadtund Ebing. Was die Gemarkung aber von allen anderen amObermain unterscheidet, ist die Tatsache, dass der Main kei-ne Rolle als Gemarkungsgrenze spielt. Während sich dieGrenzen der anderen Dörfer direkt auf den Main oder einenseiner historischen Verläufe beziehen, verläuft der Fluss mit-ten durch das Gemeindegebiet und stellt an keiner Stelleeine Grenze dar. Siedlungs- und territorialgeschichtlich istdies eine Besonderheit, ist doch der Main seit dem Früh-mittelalter die Grenzlinie zwischen Grabfeld- und Radenzgau

Thomas Gunzelmann • 235

Einleitung

Die Kulturlandschaft ist das sichtbare Ergebnis der Ausei-nandersetzung des Menschen mit dem von der Natur vor-gegebenen Raum im Verlauf der Geschichte. Je weiter manzeitlich zurückgeht, desto stärker war eine Dorfgemeindewie Kemmern auf die lokalen Ressourcen angewiesen unddesto intensiver war auch die kleinräumige Gestaltung derLandschaft durch die Landnutzung fast aller Einwohner.Heute ist diese enge Bindung der materiellen Lebensgrund-lagen an die überschaubare Gemarkung eines Ortes weit-gehend aufgehoben und durch supranationale Wirtschafts-kreisläufe mit den Tendenzen zur Konzentration bis hinzur Monopolisierung ersetzt. Dennoch lassen sich die Zeug-nisse der historischen Nutzung dieses Raumes durch Land-wirtschaft, Gewerbe, Verkehr und auch durch Erholungs-funktionen immer an bestimmten landschaftlichen Merk-malen – sowohl einzelnen Elementen wie auch größerenStrukturen – ablesen, in Kemmern sogar weit stärker als invielen Nachbarorten. Denn einerseits gab es hier besondersintensive landschaftsprägende Nutzungen in der Vergan-genheit, andererseits war die Veränderung in der Gemar-kung Kemmern schon aufgrund der bisher ausgebliebenenFlurbereinigung weniger dramatisch als andernorts. Diesführt sogar so weit, dass man das Gebiet der Gemeindedurchaus als eine „historische Kulturlandschaft“ beschreibenkann, denn auch die Struktur und das Erscheinungsbildder aktuellen Kulturlandschaft wird hier immer noch sehrstark durch längst vergangene Prozesse und Strukturen be-stimmt.

Die Vorgaben des Naturraums

Die Gemarkung Kemmern ist großräumig dem Fränkisch-Schwäbischen Schichtstufenland und genauer dessen Un-tereinheit des Fränkischen Keuperberglandes zuzuordnen.Auf lokaler Ebene erstreckt sich das Gemeindegebiet überzwei Naturräume: Im kleineren westlichen Teil sind dies diesüdlichen Haßberge, im größeren östlichen der Talraum desObermains. (Abb. 1) Der tiefste Punkt des Gemeindegebietesliegt beim Austritt des Maines aus diesem bei etwa 235 m,der höchste Punkt liegt bei 380 m auf dem Semberg im Be-reich des „Wiesenthauer Schlages“. Morphologisch ist dasAreal deutlich in zwei gegensätzliche Teile geteilt und diesentlang einer geologischen Störungslinie, dem Talrandbrucham westlichen Rand des Maintales, der sehr geradlinig vonNordnord-West nach Südsüd-Ost verläuft. Westlich dieserLinie steigt das Bergland der Südlichen Haßberge, hier imBereich des Höhenzuges des Sembergs, steil um bis zu 140Höhenmeter auf einer Entfernung von 800 m an, währendsich nach Osten der flache Talraum bis zur Grenze der Ge-markung am Rande des „Zückshuter Forstes“ nur um etwa10 m erhöht. Der westliche, bergige Teil der Gemarkung istheute fast durchgängig bewaldet, was er in der Vergangenheitkeineswegs war. Er ist im 19. Jahrhundert als „Centberg“auf den ältesten topographischen Karten verzeichnet undwird in spätmittelalterlichen Quellen „Send(t)berg“genannt.1 Der östliche und weit größere Teil war und istheute immer noch fast ausschließlich Offenland.Der Hang des Sembergs im Westen verläuft sehr gerad-

linig, was dem Talrandbruch des Bamberger Kessels zu ver-danken ist. Entlang dieser Linie ist die Schichtenfolge imOsten etwa 50 m abgesunken.2 Die leichte Ausbauchung

234 • Die historische Kulturlandschaft von Kemmern

DIE HISTORISCHE KULTUR-LANDSCHAFT VON KEMMERN

Thomas Gunzelmann

Abb. 1: Das Gemeindegebiet hat Anteil an zwei Naturräumen, dem ebenen Talraum des Obermains und dem Semberg als südöstlichstem Ausläufer der Haßberge. Im Vordergrund das Feldkreuz der Familie Kraus von 1887 zwischen zwei Linden.

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sollte für die Dauer eines Jahrhunderts zunächst einmal be-endet sein. (Abb. 3)Seit wenigen Jahrzehnten steht der Umgang mit dem

Fluss selbst unter anderen Vorzeichen. Er hat keinen ge-werblichen Zwecken mehr zu dienen, daher können seineökologischen Funktionen und ein möglichst naturnahes Ab-flussverhalten gefördert werden.12 So finden sich nun westlich(Kemmern-Mitte, 400 m Länge) und nordwestlich (Kem-mern-Nord, 300 m Länge) solche renaturierten Mainberei-che. Es handelt sich dabei aber nicht – wie die Fachliteratursuggeriert – um eine „natürliche Auenlandschaft“13, sondernum eine vom Menschen geschaffene, möglichst naturnaheKulturlandschaft mit höherer Biodiversität als zuvor,14 diejedoch nur ansatzweise den Zustand des Flusses und seinerUferbereiche vor der Korrektion des 19. Jahrhunderts wie-dergeben mag.

Die Kulturlandschaft

SiedlungDie historische Ortsform von Kemmern ist die eines füroberfränkische Verhältnisse sehr dichten Haufendorfes, dasum die Mitte des 19. Jahrhunderts schon zwei straßenan-gerartige Siedlungserweiterungen besaß. Die eine führtenach Osten im Bereich der heutigen Hauptstraße (ehemalige„Schweitzergasse“, mindestens seit 1600), die andere nach

Norden im Bereich der heutigen Breitengüßbacher Straße.Diese Erweiterungen überschritten die charakteristischeOrtsumgrenzung, die aus einem wassergefüllten Graben undmöglicherweise einem Erdwall bestand. Die Wasserversor-gung dieses Grabens erfolgte über den Leingraben und überein sogenanntes Güßbeck15, eine Stauvorrichtung. Drei Tor-häuser ergänzten an den Hauptstraßen die Ortsbefestigung,von welchen das letzte an der Breitengüßbacher Straße erst1969 abgerissen wurde.16 Der Verlauf des Grabens lässt sichheute noch im Ortsgrundriss ablesen, und zwar – im Uhr-zeigersinn – an den Straßen Torhausweg, Leingraben, Klos-terstraße und Brückenstraße. Der Graben wurde schon inhistorischer Zeit von einem um das Dorf herumlaufendenWeg begleitet, dieser wurde zusammen mit dem verfülltenGraben in eine Straße umgewandelt. Der sonst in seinenGrundstrukturen gut erhaltene Ortsgrundriss hat sich dahergerade am Ortsrand erheblich gewandelt, da in den ehema-ligen Gras- und Baumgärten der am Rand gelegenen Höfeneue Wohnhäuser entstanden, die zu den Straßen auf demehemaligen Graben hin orientiert sind.Die größte Veränderung in der Kemmerner Kulturland-

schaft ergab sich jedoch durch das Siedlungswachstum dervergangenen 160 Jahre. Besaß die Ortschaft 1849 eine Flächevon 9,51 ha, so sind es heute 80,7 ha, also gut das Achtfache.Im Hinblick auf die Grundfläche pro Einwohner zeigt sich,dass die moderne Zeit wesentlich verschwenderischer mitder Fläche umgeht. 1852 hatte der Ort 640 Einwohner, da-

Thomas Gunzelmann • 237

sowie ab 1007 zwischen den Bistümern Bamberg und Würz-burg gewesen. Welche Ursachen zu dieser besonderen Si-tuation geführt haben, liegt noch im Dunkeln.Damit liegt das Dorf zwar ziemlich zentral in seiner Ge-

markung, öffnete sich aber dem Fluss wie kaum ein anderesam Obermain. Die zentrale Platzaufweitung südwestlich vorder Kirche, heute die stärker überbaute Straße „Am Bäch-lein“, wurde um 1850 direkt von einem Altarm des Mainesbegrenzt. So hatte das Dorf aber immer wieder intensiveAuswirkungen der flussnahen Lage zu verspüren. In denletzten 200 Jahren waren besonders katastrophal die Hoch-wasser von 1819 und 1920, vor allem aber das von 1909.Dabei wurde immer wieder der Humus abgetragen und dieFelder mit Sand überspült.6 Solche übersandeten Flächenin Flussnähe wurden im Volksmund „Gries“ genannt. InKemmern gibt es entsprechend einen „Oberen“ und einen„Unteren Gries“. Darauf verweisen ebenso die Flurnamen„Im Sand“ sowie „in der Sandwellen“.7 Aber auch im 20.

Jahrhundert, so vor allem 1967 und 1970, wurde das „Un-terland“ von Kemmern noch überschwemmt.8 Dies ändertesich erst, als 1980 eine Hochwasserfreilegung über eine Ein-deichung entlang des westlichen Ortsrandes erfolgte. Den-noch muss heute schon wieder über eine Ertüchtigung desHochwasserschutzes nachgedacht werden.Aber nicht nur durch Hochwasser bedrohte der Fluss in

der Vergangenheit den Ort, sondern weil er selbst mit seinemBett in das Dorf einzudringen versuchte. Schon seit 1688sind wir über Wasserbauten bei Kemmern unterrichtet,9 diedennoch nicht verhindern konnten, dass der Main in seinemBogen immer näher an das Dorf heranrückte. In den 60erJahren des 18. Jahrhunderts musste schließlich etwas unter-nommen werden, aber die Gemeinde, das Domkapitel alsGrundherr und das Hochstift als Landesherr stritten sichwegen der anfallenden Kosten. Am 3. September 1767 ergabschließlich eine Ortseinsicht in Anwesenheit des IngenieursFranz Ignaz Michael Neumann, dass der Fluss „sich täglichdem Dorf Kemmern mehr und mehr nähere“.10 Es wurdesogar die Gefahr gesehen, dass der Fluss beim nächstenHochwasser Häuser und Stadel hinwegreißen und schließlichseinen Lauf durch das Dorf Kemmern nehmen würde. ÜberBuhneneinbauten im Fluss wurde der Lauf im Jahr 1768wieder vom Dorf weggedrängt und auf die gegenüberlie-gende Sandbank geleitet. Bei den Arbeiten waren die Ein-wohner Kemmerns weitgehend auf sich allein gestellt, we-nigstens wurden die Kosten gedrittelt. Auch mit diesemWasserbau waren die Probleme des Ortes nicht aus der Weltgeschafft, spätestens 1820 werden wieder drei Uferabrissebeim „Fährenhaus“ vermeldet.Schrittweise erkannte der bayerische Staat, dass ein dau-

erhafter Uferschutz den Gemeinden aus finanziellen undorganisatorischen Gründen kaum möglich war. Dennochmussten noch 1849 die Gemeinden Kemmern, Breitengüß-bach und Baunach gemeinsam einen Antrag stellen, denLauf des Mains von übergeordneter Stelle aus zu korrigieren.Der Staat hatte nach ihrer Auffassung über das Fischrechtund die Flößerei den großen Nutzen aus dem Fluss, währenddie Gemeinden die Lasten zu tragen hätten. Diese Zuständekonnten sich erst ab 1852 ändern, als zumindest an schiff-oder floßbaren Flüssen der Kreis den Uferschutz übernahm.Die Arbeiten zogen sich bis etwa 1910 hin. 1880 erreichtedie von der Mündung flussaufwärts fortschreitende Fluss-korrektion Kemmern.11 Dabei wurde am gesamten Ober-main, so auch bei Kemmern, eine komplette Längsverbau-ung mit schrägen Uferböschungen aus Sandsteinpflasterhergestellt, was dem Flussbett einen trapezförmigen Quer-schnitt gab. Die Floßfahrt konnte dadurch wesentlich er-leichtert werden, die natürliche Flussdynamik des Mains

236 • Die historische Kulturlandschaft von Kemmern

Abb. 2: Das Revier der Rhätsandsteinbrüche auf dem Semberg.Die östliche Hälfte liegt in der Gemarkung Kemmern. Karten-grundlage: Uraufnahme Bayern mit unterlegtem Schummerungs-layer.

Abb. 3: Der regulierte und mit befestigten Uferböschungen versehene Main, der um 1880 bei Kemmern für die Flößerei optimiert wurde