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INHALTSVERZEI - Burgenland.at: Burgenland.at nach Triest an der Adria ist ein „Eiserner Vorhang“ über den Kontinent gezogen. Hinter jener Linie liegen alle Hauptstädte der alten

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VorwortKulturlandesrat Helmut Bieler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Dieter SzorgerDer Eiserne Vorhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Dieter SzorgerDer letzte Tote am Eisernen Vorhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Pia BayerUngarn und der Fall des Eisernen Vorhangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Dieter SzorgerFlucht und Hilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Interview mit Ministerpräsident Miklós Németh Über die politische Dimension des 11. September 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Dieter SzorgerDie „sanften Revolutionen“ im Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Pia BayerChronik 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

INHALTSVERZEICHNIS

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Betrachtet man heute die politischeKarte Europas und vergleichtdiese mit jener des Jahres 1989,

offenbart sich die weltpolitische Dimensiondes Umbruchs im Osten. Ungarn wurdedemokratische Republik, die !SSR, dieUdSSR und Jugoslawien existieren nichtmehr und mit der Slowakei und Slowenienhaben wir neue Nachbarn bekommen.

Das Wort „tote Grenze“ scheint nahezufür die Situation des Burgenlandes kreiertworden zu sein: „Tote Grenze“ bedeutete,dass hier nicht nur Österreich, sondern dieuns vertraute westliche Welt zu Ende warund es über diese Grenze hinweg nahezukeinen Kontakt gab. Zur „Todesgrenze“wurde sie aber auch für viele Hundert Bür-ger Ost- und Südosteuropas, die beim Ver-such, den Eisernen Vorhang zu überwin-den, ihr Leben lassen mussten.

Der Kalte Krieg ist Geschichte – und dieGeschichte von seinem Ende ist eine, diesich vor unserer Haustür ereignete und inder das Burgenland keine unwesentlicheRolle spielte. Die Bilder vom Fall des Eiser-

nen Vorhangs – jene vom 2. Mai 1989, alsder ungarische Staat bei Nickelsdorf mitdem Abbau der Grenzbefestigung begann,jene vom 27. Juni, als bei Klingenbach derStacheldraht symbolisch durchschnittenwurde, oder jene vom 19. August, als beim Paneuropäischen Picknick bei St. Margarethen mehr als 600 DDR-Bürgerin die Freiheit flohen – sind untrennbarmit dem Burgenland verbunden.

Die Burgenländerinnen und Burgenlän-der waren aber nicht passive Beobachter,sondern halfen aktiv vielen DDR-Bürgernin den schwierigen ersten Tagen nach derFlucht. 1989 wurden Freundschaften zwi-schen Flüchtlingen und Helfern geschlos-sen, die bis heute währen.

Mit unseren neuen Nachbarn in Europaist auch das offizielle Burgenland freund-schaftlich verbunden. Heute, 20 Jahrenach dem Fall des Eisernen Vorhangs, sindlängst nicht alle Probleme gelöst, aber diejungen Demokratien Ost- und Südosteuro-pas haben ihren fixen Platz im neuen HausEuropa gefunden.

VORWORT

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Helmut Bieler Kulturlandesrat

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Im Spätsommer und Herbst 1989 er-eignete sich vor unserer Haustür daswahrscheinlich bedeutendste histori-

sche Ereignis aller Zeiten. Der Eiserne Vor-hang – eine Bruchlinie der Menschlichkeit,die den Ostblock von der westlichen Weltmehr als 40 Jahre hermetisch abgeriegelthatte – wurde überwunden. HunderteMenschen starben in den Jahren von 1948bis 1989 beim Versuch, den Eisernen Vor-hang zu überwinden. Das Bild, das Landes-hauptmann Hans Sipötz und die beidenAußenminister Alois Mock und GyulaHorn beim Durchschneiden des Stachel-drahtes zeigt, ging um die Welt und stehtheute als Symbol für das Ende des KaltenKrieges.

Im Jahr 1948 wurde an der burgenlän-disch-ungarischen Grenze mit dem Bauder mechanischen Sperranlage begonnen.Dahinter befand sich der gefürchtete Mi-nengürtel. Doch bereits 1955/56 wurdeder Stacheldraht erstmals entfernt. DieTauwetterperiode nach dem Tod Stalins

machte es möglich. Nach dem Trauma desVolksaufstands des Jahres 1956 wurde erwieder errichtet, höher und unüberwind-barer denn je.

1965 modernisiert, begann am 2. Mai1989 der kaum wahrgenommene Abbau.Durchlässig wurde die burgenländisch-ungarische Grenze aber erstmals am 19.August 1989 im Zuge einer Veranstaltungder Paneuropa Bewegung im Grenzgebietvon St. Margarethen. Mehr als 600 DDR-Bürger kehrten nach einem spontanen Be-such im Burgenland nicht mehr nach Un-garn zurück. Im Sommer 1989 sah dasBurgenland eine beispiellose Fluchtbewe-gung, bis am 11. September 1989 dieGrenze schließlich geöffnet wurde. An die-sem Tag kündigte Ungarn einseitig das Reiseverkehrsabkommen mit der DDR. Da-mit durften Bürger des Ostblocks ungehin-dert die burgenländisch-ungarische Grenzepassieren.

Der Eiserne Vorhang war gefallen.

EINLEITUNG

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Auf Grund der besseren Lesbarkeit wurden geschlechtsneutrale Formulierungen unterlassen.

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Die Metapher vom „Eisernen Vor-hang“ stammt aus einer Redevon Winston Churchill, die er

am 5. März 1946 am Westminster Collegein Fulton, Missouri, hielt. Der Eiserne Vor-hang sollte die Bürger der sowjetischen Ein-flusssphäre vor der „Gefahr“ der westlichenWelt schützen. Tatsächlich sollte er dieFlucht in den Westen verhindern. Der Ei-serne Vorhang hatte in jedem SatellitenstaatMoskaus eine andere Gestalt. In Ost-deutschland war er ab 1961 auf einerStrecke von 166 km1 gar als Mauer ausge-baut. An der burgenländisch-ungarischenGrenze bestand er die längste Zeit aus Sta-cheldraht, einem Minengürtel und Wach-türmen – zumindest soweit dies aus der sicheren österreichischen Seite einsehbarwar. Dahinter befand sich ein System vonGrenzschutzeinheiten und Spitzeln, welche

die grenznahe Bevölkerung überwachte.Entlang dieser ca. 350 km langen ge-

meinsamen Grenze wurde ab 1948 einemechanische Sperranlage errichtet, dieendgültig am 11. September 1989 zu be-stehen aufhörte. In diesen 41 Jahrenwurde der Eiserne Vorhang zweimal besei-tigt und die Grenze war damit – fast – pro-blemlos zu überqueren. Der Phase des Ab-baus 1955 folgte eine Wiedererrichtungder Sperrlinie, ehe 1989 das Ende kam.

Im Sommer des Jahres 1948 wurde ander burgenländisch-ungarischen Grenzemit dem Aufbau des Eisernen Vorhangesbegonnen. Dieses technische Abriegelungs-system sah bereits neben Drahthindernis-sen ein unmittelbar vor der österreichi-schen Staatsgrenze befindliches Minenfeldvor.2

DER EISERNE VORHANG

„…Wir verstehen, daß Rußland seine Grenzen im Westen gegen einen eventu-ellen neuen deutschen Angriff sichern muß. Von Stettin an der Ostsee bis hin-unter nach Triest an der Adria ist ein „Eiserner Vorhang“ über den Kontinentgezogen. Hinter jener Linie liegen alle Hauptstädte der alten Staaten Zentral-und Osteuropas: Warschau, Berlin, Prag, Wien, Budapest, Belgrad, Bukarestund Sofia…“

Winston Churchill, 5. März 1946, Westminster College in Fulton, Missouri

DER EISERNE VORHANG

1 Davon verliefen 46 km entlang der Zonengrenze im Stadtgebiet Berlins. 120 km lang war die Mauerrund um Berlin entlang der Grenze zur DDR.

2 Dieter Szorger, Keine Grenze wie jede andere. Das Burgenland und der Eiserne Vorhang in den Jah-ren 1945–1957, in: Vom Traum zum Trauma. Der Ungarnaufstand 1956. Begleitband zur Ausstellung,WAB 116, Eisenstadt 2006, S. 64 ff.

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Zuerst wurden die Wachtürme, danachzwei Reihen Stacheldrahtzäune errichtet,die auf 1,5 m hohen Holzpfeilern fixiertwaren. 1949 wurde mit dem Verlegen vonMinen begonnen, einer Tätigkeit, die vonden Experten der 101. Minensuchdivisionder Ungarischen Volksarmee übernommenwurde. Der Minengürtel war ca. 4 m breitund bestand aus hölzernen Tret- und Kon-taktminen. Dem Minengürtel folgten zu-erst ein weiterer Stacheldrahtzaun, dannein Spurstreifen, der täglich auf Fußspurenuntersucht wurde. An diese Sperrlinienschloss eine Grenzzone, die nur mäßig be-wachsen sein durfte, damit die Grenzwa-chen freie Sicht auf Flüchtende hatten.3

Die Gemeinden des als „Grenzgebietes“bezeichneten Hinterlandes, das bis zu 20km ins Landesinnere reichte, unterlagender besonderen Kontrolle der Staatssicher-heitsorgane. Militär- und Grenzwacheein-heiten waren in den Dörfern des Grenzge-bietes stationiert.

Bei starken Regenfällen konnte es vor-kommen, dass einzelne Minen über die

Staatsgrenze auf österreichisches Territo-rium gespült wurden und dann in Öster-reich detonierten. Gegen das Minenfeldnahm das österreichische Außenamt mehr-fach Stellung. Da es im Laufe der frühen1950er Jahre wiederholt zu Grenz-zwischenfällen kam, wurde eine öster-reichisch-ungarische Grenzkommissioneingerichtet, die alle Vorfälle gemeinsamaufklären sollte. Diese Kommission hattedurchaus politische Brisanz, galt es dochinternationale Zwischenfälle unter Wah-rung des Gesichts im Keim zu ersticken.

Mit dem Tod Stalins 1953 und demMachtwechsel in der sowjetischen Füh-rung war in den Satellitenstaaten eine Auf-bruchsstimmung zu verzeichnen. NachChruschtschows Abrechnung mit dem Sta-linismus verbesserte sich auch das bilate-rale Verhältnis zwischen Österreich undUngarn. In diese Phase fiel die über-raschende Ankündigung Ungarns, den Eisernen Vorhang zu beseitigen.

Am 15. Juni 1955 waren die Arbeitenan den Grenzschutzanlagen entlang der

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DER EISERNE VORHANG

3 Jósef Révész, Grenzschutz und Flüchtlingswesen 1956–1989, in: Vom Traum zum Trauma. Der Un-garnaufstand 1956. Begleitband zur Ausstellung, WAB 116, Eisenstadt 2006, S. 132 ff.

Foto: BF

Foto: Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung (VGA)

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burgenländisch-ungarischen Grenze voll-endet, und die Militärs sowie die Grenz-schutzorgane konnten ihre neuen Unter-künfte in den Bereitstellungsräumen bezie-hen. Nur wenige Monate später folgte dasEnde des ersten Eisernen Vorhangs. In sei-ner Sitzung vom 9. März 1956 entschieddas Politbüro der ungarischen KP den Sta-cheldraht und das dahinter befindliche Mi-nenfeld zu beseitigen.4 Im Herbst des vor-angegangenen Jahres hatte man bereits da-mit begonnen, die Minen zu entschärfen.Diese besonders gefährliche Arbeit musstehändisch bewerkstelligt werden, was zweijungen Soldaten das Leben kostete. 40 Per-sonen wurden dabei ernsthaft verletzt.5

Diese Initiative der ungarischen Regie-rung war im Ostblock einzigartig und mitden übrigen Verbündeten genauso wenigabgesprochen wie mit Moskau. Im Bereichdes Nordburgenlandes war der Stachel-

draht Mitte Mai 1956 von Kittsee bis Klin-genbach bereits entfernt. Bis Mitte Septem-ber waren die Arbeiten abgeschlossen unddie burgenländisch-ungarische Grenzewurde eine Grenze „wie jede andere“.6

Unmittelbar danach kamen bereits dieersten Flüchtlinge über die Grenze. ImSeptember 1956 registrierten die österrei-chischen Behörden 112 Flüchtlinge, in derZeit von Jänner bis September 1956 warenes insgesamt 561.

Trotz politischen Tauwetters und der Be-seitigung des Minengürtels war es ungari-schen Staatsbürgern nur in Ausnahmefäl-len gestattet, die Grenze zu überschreiten.Wurden sie bei illegalen Übertritten er-wischt, hatte dies nach wie vor schwer-wiegende Konsequenzen. In den erstenneun Monaten des Jahres 1956 kam es zu33 schweren Grenzzwischenfällen, wobeidie ungarischen Behörden nicht zögerten,Schusswaffen zu gebrauchen.7

Infolge des Ungarnaufstandes und derIntervention der Sowjetischen Armee kames schließlich ab 4. November 1956 zu ei-ner unfassbaren Fluchtbewegung. Mehr als180.000 Menschen flüchteten in den kom-menden Wochen über den ehemaligen Ei-sernen Vorhang in die Freiheit. Das ganzeBurgenland wurde Auffanglager. Knapp

DER EISERNE VORHANG

4 Lajos Gencsényi, Die Beziehung zwischen Ungarn und Österreich 1945–1964, in: Der Eiserne Vor-hang. Katalog zur Ausstellung, Heeresgeschichtliches Museum, Wien 2001, S. 62.

5 Révész, S. 133 f.6 Bericht der Sicherheitsdirektion für das Burgenland an das Bundesministerium für Inneres vom

30.5.1956, BLA A/VII/14.7 In Deutsch Schützen starb ein Ungar beim Versuch, mit dem LKW die Grenze zu überqueren, im Ku-

gelhagel der Grenzsoldaten. Bericht der Sicherheitsdirektion für das Burgenland an das Bundesministe-rium für Inneres vom 1.10.1956, BLA A/VII/14.

Foto: Otto Pammer

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36.000 Personen wählten Österreich alsneue Heimat, viele davon das Burgenland.

Im Jänner 1957 richtete das Österreichi-sche Bundesheer eine Sperrzone ein. Da-mit wollte man das organisierte Schlepper-wesen in Griff bekommen und den Waren-schmuggel bzw. den illegalen Devisenhan-del mit Forint unterbinden. Erstmalswurde der Grenzraum von der österreichi-schen Seite aus abgeriegelt.8

Im März 1957 begannen die Ungarn mitder Wiedererrichtung der mechanischenSperranlage. Drahtverhaue und Minengür-tel waren bis Juli 1957 wieder aufgebaut.Insgesamt wurden über 800.000 Tretmi-nen verlegt. Im September 1958 schlossman das letzte Loch des Eisernen Vor-hangs: Im Neusiedler See wurden entlangder Schilflinien Minen verlegt.9

Das Jahr 1957 war das opferreichste inder Geschichte des Eisernen Vorhangs. Vorden Augen der österreichischen Zollbeam-ten spielten sich regelrechte Menschenjag-den ab, und die ungarischen Grenzwach-organe schreckten nicht davor zurück, dieösterreichische territoriale Integrität zuverletzten. Bei Moschendorf wurde EndeJänner 1957 eine Gruppe von 22 Flücht-lingen von ungarischen Soldaten mit Spür-hunden dazu gezwungen, nach Ungarn

zurückzukehren. Die Soldaten gaben aufösterreichischem Territorium mehr als 300Schüsse auf die Flüchtlinge ab.10 WenigeTage später wurden gar zwei patrouillie-rende Zollwachebeamte von Ungarn ausbeschossen.11 Ein 17-jähriges Mädchen tratim Mai 1957 bei Helenenschacht vor denAugen österreichischer Beamter auf eineTellermine. Mit vorgehaltener Waffe wur-den die Österreicher daran gehindert, demMädchen zu helfen. Das Mädchen wurdevon ungarischen Grenzsoldaten geborgenund ins Landesinnere verschleppt.12 BeiHammerteich flüchtete ein junger Soldat,der mit dem Verlegen von Minen beauf-

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DER EISERNE VORHANG

8 Militärhistorische Forschungsabteilung, Studiensammlung 1956, Abschrift der Meldung der Sicher-heitsdirektion an die Bezirkshauptleute des Burgenlandes vom 18.1.1956.

9 Szorger, S. 74.10 BF, 21.1.1957.11 BVZ, 2.2.1957.12 BVZ, 11.5.1957.

Foto: BF

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tragt war, nach Österreich. Auf österreichi-schem Boden wurde er von einer Maschi-nengewehrsalbe schwer verletzt und an-schließend wieder über die Grenze nachUngarn gebracht.13 Am 13. November1957 versuchten zwei junge Ungarn beiStrem die Flucht. Dabei wurde der einevon einer explodierenden Mine schwerverletzt. Da sich die Tragödie nahe derGrenze aber auf ungarischem Staatsgebietereignete, mussten die Zollwachebeamtenzusehen, wie der junge Ungar hilflos ver-blutete.14

Von einem geflüchteten Leutnant derGrenzwache, der im Raum Szentpeterfa-Pinkamindszent eingesetzt war, war zu er-fahren, was die Österreicher ohnehin auseigener Erfahrung wussten: Die Grenzwa-chen hatten die Order, Grenzübertritte mitallen Mitteln zu verhindern. Er beschrieb,dass die Wachtürme an der burgenlän-disch-ungarischen Grenze doppelt besetztund mit Maschinengewehren ausgestattetwaren. Amikale Kontakte mit österreichi-schen Kollegen, wie bis kurz davor üblich,waren strikt verboten und die Ungarn hät-ten gar den Befehl gehabt, auf die österrei-chische Zollwache das Feuer zu eröffnen,falls diese sich der ungarischen Grenze nä-herte.15 Die Maßnahmen zeigten Wirkung.

In der ersten Hälfte des Jahres 1957 gelanges nur 67 Ungarn, ins Burgenland zu flie-hen. Im Folgejahr waren es nur 88.16 Eineungarische Statistik für das Komitat Szom-bathely dokumentiert für 1957 91 geschei-terte Fluchtversuche. Im Jahr 1958 warenes nur mehr 14, 1959 31 und im Jahr1960 lediglich 11.17

1965 entschied sich Ungarn – nicht zu-letzt aufgrund der anhaltenden diplomati-schen Interventionen Österreichs – das Mi-nenfeld zu räumen. Stattdessen installierteman ein modernes, aus der Sowjetunionstammendes System mit der BezeichnungSZ-100.18 Der Eiserne Vorhang erhielt einneues Gesicht: Waldflächen entlang derGrenze wurden weiträumig gerodet, Wild-zäune aufgestellt. Auf Betonpfeilern verliefeine Schwachstromleitung. Der Zaun be-stand abwechselnd aus normalen Kontakt-drähten und Stacheldraht und war mit ei-ner Meldezentrale und etlichen Lautspre-chern gekoppelt. Löste ein Flüchtling dasSignal aus, kamen in kürzester Zeit Grenz-soldaten aus nahe gelegenen Bereitstel-lungsräumen. Unmittelbar nach der Draht-linie befand sich ein 8 bis 12 m breiterSpurstreifen, in welchen man die Fußab-drücke erkennen konnten, davor und da-hinter gab es eine Straße. An den Zaun

DER EISERNE VORHANG

13 BVZ, 1.6.1957.14 BVZ, 23.11.1957.15 BVZ, 9.3.1957.16 BLA A/VIII/14/6 Sicherheitsdirektion Burgenland; Auswertung der Jahresberichte 1957 und 1958

der Autoren.17 Révész, S. 135.18 ERJ – das ungarische Kürzel für „Elektronisches Warnsystem“ – war die ungarische Bezeichnung für

den sowjetischen SZ-100.

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DER EISERNE VORHANG

schloss eine 2 km tiefe Meldezone undeine 15 km breite Sperrzone.

Die Bewohner der ungarischen Grenz-dörfer – insbesondere auch jene von So-pron – waren damit hermetisch vom RestUngarns abgeschnitten. Die Bewohner derGrenzzonen wurden besonders über-wacht. Erst 1969 wurde die Grenzzoneabgeschafft.19

Das SZ-100 war anfangs sehr effizient,immer mehr Fluchtversuche über die„grüne“ Grenze konnten verhindert wer-den. In den 1970er Jahren häuften sich des-halb Fluchtversuche, bei welchen mit Fahr-zeugen die Grenzschranken durchbrochenwurden. Ungarn reagierte darauf, indemunmittelbar vor den Grenzbalken so ge-nannte Fahrzeugstopper installiert wurden.

Das System war hoch technisiert,musste aber dennoch mit großem finan-ziellen Einsatz regelmäßig modernisiertwerden. Dennoch zeigten sich bald dieTücken der elektronischen Überwachung.Ein Großteil der Alarmmeldungen warenFehlalarme, die von Wildbewegungen aus-gelöst wurden. Beispielsweise gab es 1980im Nordabschnitt, von Rajka bei Pressburgbis Jánossomorja bei Andau, einem Ab-schnitt von knapp 30 km, 842 Alarmmel-dungen. Nur 30 davon waren nachweis-lich auf Fluchtversuche zurück zu führen.Nur 14 Personen konnten aufgrund derAlarmmeldungen von illegalen Grenzüber-tritten abgehalten werden.20 Der organisa-torische und finanzielle Aufwand zur Er-haltung des Systems war enorm.

19 Révész, S. 138.20 Nach der Analyse von Jósef Révész kam es im oben zitierten Nordabschnitt von 1980 bis 1988 zu

mehr als 12.500 Alarmeinsätzen, im Zuge derer 112 Personen gefasst werden konnten. Allein in den er-sten vier Monaten des Jahres 1989 gingen 2157 Alarmmeldungen ein. Für den Zeitraum sind 2.259 ge-glückte Fluchtversuche dokumentiert, vgl. Révész, S. 140.

Foto: János Nemeth

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Der Kommandant des Landesgrenz-schutzes, Generalmajor János Székely ver-fasste bereits 1987 einen Bericht an dasungarische Innenministerium, in dem eralle Bedenken betreffend des großen Perso-naleinsatzes, der Funktionsstörungen undder steigenden Kosten des Überwachungs-systems anführte. Die notwendige Erneue-rung des SZ-100/ERJ würde mehrere Mil-lionen Forint kosten.21

Im Umbruchjahr 1989 verschärften sichdie Probleme: In den ersten vier Monatenkam es zu 2.000 Alarmmeldungen. DieAufrechterhaltung des Grenzüberwa-chungssystems wurde nun nicht nur einlogistisches, sondern mehr und mehr einwirtschaftliches Problem.

Ungarn befand sich in einer wirtschaftli-chen Krise und auch das Budget für dieGrenzüberwachung musste massiv gekürztwerden. In dieser Situation – und vor demHintergrund des politischen Wandels imOstblock – empfahl das ungarische Innen-ministerium die Auflösung des Überwa-chungssystems. Der Landesgrenzschutz-kommandant gab am 19. März 1989 dendiesbezüglichen Plan zum Abbau des SZ-100/ERJ bekannt.

Am 2. Mai 1989 meldete der Stellvertre-tende Landeskommandant des Grenz-schutzes, Oberst Balász Nováky, dass derStaat Ungarn damit begonnen hatte, anvier Stellen den Eisernen Vorhang abzu-bauen.

DER EISERNE VORHANG

21 Révész, S. 140.

Foto: Tamás Lobenwein

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DER LETZTE TOTE AM EISERNEN VORHANG

Kurt Werner Schulz stammte ausFalkenstein.1 Er war in der StadtWeimar zuerst als Architekt tätig,

wechselte aber in den Betrieb des Vatersseiner Lebensgefährtin, in dem er als Tisch-ler tätig war. Gemeinsam mit GundulaSchafitel und dem gemeinsamen 6-jährigenSohn Johannes plante er, wie viele andereDDR-Bürger auch, im Sommer 1989 dieFlucht in den Westen. Die begehrten Rei-sedokumente erhielt Kurt am 2. Februar1989 ausgestellt. Für Ungarn benötigeman zwar kein Visum, dafür aber eine„Reiseanlage für den visafreien Reisever-kehr“, die bei der Volkspolizei beantragtwerden musste und jederzeit verweigertwerden konnte. Mitte August 1989 starte-ten sie ihre Reise nach Ungarn. Reisezielwar ursprünglich der Plattensee. Auf demWeg dorthin besuchten sie einen ungari-schen Freund in Budapest. Nach dem Ba-deurlaub wollten sie die Flucht wagen.

Zu diesem Zeitpunkt wurden die west-deutschen Botschaften in Warschau, Pragund vor allem in Budapest von DDR-Bür-gen regelrecht belagert. Die Botschaft inBudapest musste wegen der sich zuspit-zenden sanitären Situation bereits am 13.August geschlossen werden.

DER LETZTE TOTE AM EISERNEN VORHANG

„Eine Gesellschaft hat nur so viel Zukunft, wie sie Kraft zur Erinnerung aufbringt.“

Botschafter Dr. Emil Brix

1 TV Dokumentation: „Határeset“ aus dem Jahr 2005, Stiftung Forum Film Ungarn.Vgl. Wolfgang Freitag, in „Die Presse“, 14.8.2009Für die umfassende Unterstützung bei der Recherche möchten sich die Autoren ausdrücklich bei

Heinz Ritter aus Lutzmannsburg bedanken, der nicht nur mit Rat und Tat zur Seite stand, sondern auchQuellenmaterial und Exponate zur Verfügung stellte.

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DER LETZTE TOTE AM EISERNEN VORHANG

In Budapest kursierten zu diesem Zeit-punkt Gerüchte um eine angebliche Grenz-öffnung im Zusammenhang mit dem Pan-europäischen Picknick bei Fertörakos undSt. Margarethen. Kurt Werner Schulz undGundula Schafitel sahen am 19. August dieBilder von St. Margarethen im Fernsehenund beschlossen die sofortige Flucht. Siebegaben sich mit ihrem Trabi nach Sopron.Dieser Tage ein Zimmer in der Umgebungvon Sopron zu finden, war unmöglich. AlleUnterkünfte waren mit ausreisewilligenDDR-Bürgern bereits belegt. Viele konntensich ein Zimmer nicht leisten und logiertenin ihren Trabis und Wartburgs.

Am Sonntag, dem 20. August, wagtensie einen ersten Versuch. Die spektakuläreFlucht von über 600 DDR-Bürgern bei St.Margarethen war bereits in aller Welt be-kannt und die ungarischen Grenzbehördenverstärkten nach heftigen politischen Aus-einandersetzungen zwischen Reformernund Hardlinern in der Regierung sowie aufDruck der übrigen Ostblockstaaten dieKontrollen. An den Grenzstellen wurdenDDR-Bürger ohne Ausnahme zurückge-schickt. Die „grüne“ Grenze wurde eben-falls verstärkt überwacht.

Bis vor kurzem war es noch üblich ge-wesen „Republikflüchtlinge“, die an derGrenze gefasst wurden, an die DDR zuüberstellen. Am 12. Juli ging der letzte„Gefangenentransport“ vom BudapesterFlughafen in Richtung Ostberlin, wo dieca. 100 „Grenzverletzer“ der Stasi (Staats-sicherheit) übergeben wurden.2

Sie wagten dennoch die Flucht, wurdenaber von den Grenzbehörden aufgegriffenund aus dem Grenzbezirk verwiesen.

Schulz musste befürchten, dass die un-garischen Behörden die Stasi in der DDRvon dem Fluchtversuch in Kenntnis setz-ten, was zu ernsthaften Konsequenzen fürihn und seine Familie führen würde. EineRückkehr kam für beide nicht in Frage. Siehatten nichts zu verlieren.

Mit dem Auto erkundeten sie die Umge-bung, was in den kleinen Grenzgemeindenfür Aufsehen sorgte. Schließlich entschiedman sich bei Répcevis – Lutzmannsburgden Eisernen Vorhang zu überwinden, derzu diesem Zeitpunkt in der Form nichtmehr vorhanden war. Dennoch wurde dieGrenze verschärft bewacht.

Die Grenzwachorgane, oft junge Men-schen, die ihren Präsenzdienst abdienten,hatten auch weiterhin die ausdrücklicheErlaubnis von der Waffe Gebrauch zu ma-chen, um Flüchtende am Grenzübertrittzu hindern. Die Verordnung ließ aber einen Ermessensspielraum zu. Tatsächlichwar aufgrund der politischen Lage der Ein-satz von Schusswaffen immer unwahr-scheinlicher geworden.

Bei einer ungarischen Familie erkundigtesich Kurt Werner Schulz nach dem Wegzur Grenze. Man kam ins Gespräch unddie Ungarn boten der Familie an, dass siesich ein wenig ausruhen könnten. In derNacht des 21. August gegen 22.00 Uhr

2 Hamburger Abendblatt, 27.6.2009.

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DER LETZTE TOTE AM EISERNEN VORHANG

machten sich Kurt Werner Schulz, Gun-dula und Johannes Schafitel auf den Weg.Sie erkannten in der Ferne einen Wach-turm, zu dem sie sich hinbewegten.

Noch vor der Grenzlinie wurden sie vonmehreren ungarischen Grenzsoldaten ent-deckt. Eine Signalrakete war zu sehen. Siewurden aufgefordert, stehenzubleiben undbegannen zu laufen. Nahe dem Grenzsteinmit der Bezeichnung B.80.4. überwandGundula mit Johannes im Arm die Grenze.Knapp dahinter folgte Kurt, der aber in einHandgemenge mit einem ungarischen Sol-daten verwickelt wurde. Dabei löste sichein Schuss, und Kurt Werner Schulz sanktödlich getroffen zusammen. Das Handge-menge ereignete sich ca. 10 m auf österrei-chischem Boden in einem Pfirsichwäld-chen in Lutzmannsburg. Gundula rief nachKurt, der sich nicht meldete. Sie packte Jo-hannes, lief zu Kurt zurück, den sieschwerverletzt im Beisein von zwei ungari-schen Soldaten fand. Sie folgte den Grenz-

soldaten. Die Nacht verbrachten sie in ei-ner Kaserne in Köszeg. Dort wurde Gun-dula vom Tod ihres Lebensgefährten inKenntnis gesetzt.

Wie bei solch schwerwiegenden Grenz-zwischenfällen vorgesehen, erfolgte die so-fortige Einleitung einer Untersuchungdurch das ungarische Militärgericht vonGyör.3 Diese kam zu dem Schluss, dass essich bei dem tragischen Zwischenfall umeinen Unfall handelte. Gundula Schafitelbestätigte diese These in einem Interview.4

Da sich das Ereignis aber auf österreichi-schem Hoheitsgebiet ereignet hatte, wurdenoch am 23. August eine gemeinsameösterreichisch-ungarische Grenzkommis-sion einberufen, die zum selben Schlusskam.5

Mit der Situation sichtlich überfordert,stellten die ungarischen Behörden Gun-dula Schafitel und ihrem Sohn die freieAusreise nach Österreich in Aussicht.

3 „Der Standard“, 23.8.1989.4 „Határeset“, Dokumentation, MTV 2005.5 Das war der 25. Grenzzwischenfall seit Gründung der Kommission im Oktober 1955.

Foto: Dieter Szorger

Foto: Dieter Szorger

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DER LETZTE TOTE AM EISERNEN VORHANG

Diese sollte aber, um diplomatische Ver-strickungen zu vermeiden, bei Nacht undan der offenen, grünen Grenze erfolgen.Gundula und Johannes Schafitel wurdenam 24. August von ungarischen Grenzor-ganen zur Staatsgrenze gebracht, die siebei Rechnitz zu Fuß überschritten. Vondort gelangten sie mit einem Bus nachWien und schließlich mit dem Zug nachGießen in Bayern.

Bundeskanzler Helmut Kohl nahm am22. August die kritische Situation an derburgenländisch-ungarischen Grenze zumAnlass für eine Pressekonferenz in Bonn.Darin forderte er Erich Honecker zu ei-nem sofortigen Treffen auf, bei welchemdie Flüchtlingsfrage geklärt werden sollte,um weitere ernste Grenzzwischenfälle zu

vermeiden. In seinem Statement hobKohl die „konstruktive Haltung“ der un-garischen Regierung besonders hervor.Mitten in diese Pressekonferenz platztedie Nachricht vom Tod von Kurt WernerSchulz.6

Am 23. August wurden die DDR-Bürger,die sich in der Budapester Botschaft befan-den, offiziell nach Westdeutschland ge-bracht. 19 Tage später gestattete Ungarnallen DDR-Bürgern die freie Ausreise insBurgenland.

Kurt Werner Schulz wurde am 25. Juli1953 in Falkenstein geboren. Er starb am21. August 1989 um 22.40 Uhr in Lutz-mannsburg. Er war der letzte Tote des Kal-ten Krieges.

6 Die Presse, 23.8.2009.

Foto: Landespolizeikommando Burgenland

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UNGARN UND DER FALL DES EISERNEN VORHANGS

Ausschlaggebend für die ungari-sche Öffnung des Eisernen Vor-hangs war ein Politbürobe-

schluss vom 19. Mai 1987, der mit Wir-kung von Anfang 1988 den sogenannten„Weltpass“, einen Reisepass, mit dem dieUngarn ohne jede weitere Ausnahmege-nehmigung in alle Länder reisen durften,einführten. Damit war für Ungarn der Ei-serne Vorhang überflüssig. Dieser Entschei-dung vorausgegangen – und erst dadurchermöglicht – war ein interner Machtwech-sel, der die „alte Garde“ um János Kádárabgelöst hatte. Ebenso innenpolitisch be-deutend war im Jänner 1989 der Verzichtder Ungarischen Sozialistischen Partei(USAP) auf ihre bis dahin verfassungsmä-ßig garantierte Führungsrolle. Bis MitteSeptember 1989 fanden sogenannteRunde-Tisch-Gespräche1 der Oppositions-parteien mit den Machthabern statt. Es er-folgte eine Neubewertung der Ereignissevon 1956 als Revolution und Volksauf-stand, und als ein sichtbares Zeichen des-sen wurden am 16. Juni Imre Nagy undandere Opfer des Volkaufstandes feierlichneu beigesetzt.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt wardie Tatsache, dass die Grenzsicherungdurch die Anlagen des Eisernen Vorhangsmit einem hohen technischen, personellenund vor allem finanziellen Aufwand ver-bunden war. Als sich die Frage stellte, dieGrenzanlage zu erneuern oder abzubauen,entschied man sich nicht nur aus pragmati-schen Gründen für letzteres.

UNGARN UND DER FALLDES EISERNEN VORHANGS

„Der Fall der Berliner Mauer begann in Sopron.“

Lothar de Maizière, letzter Ministerpräsident der DDR, 1990

1 Als „Runde Tische“ bezeichnete man in der ersten Phase der Demokratisierung in Ungarn die sichbildenden politischen Foren aller nicht kommunistischen Parteien.

Foto: BF

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Der offizielle Beginn des Abbaus wurdeam 2. Mai 1989 auf einer internationalenPressekonferenz in Hegyeshalom vor rundzweihundert in- und ausländischen Journa-listen verkündet. Noch am gleichen Tagwurden mehrere Kilometer der Sperranla-gen an den drei am stärksten frequentier-ten Grenzposten in Hegyeshalom, Sopronund Köszeg abgebaut. Am 27. Juni folgteein offizieller Akt: Der österreichische Au-ßenminister Alois Mock und sein ungari-scher Amtskollege Gyula Horn sowie derburgenländische Landeshauptmann HansSipötz durchschnitten an der Grenze vonSopron/Klingenbach symbolisch mit Bol-zenschneidern den Stacheldrahtzaun. Da-mit rückte auch das Burgenland insScheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit.Weltpolitisch gesehen erfolgte nach diesemsymbolischen Akt der Niedergang deskommunistischen Systems der Ostblock-länder und damit auch das Ende des Kal-ten Krieges.

Die Zahl der DDR-Bürger, die nach Be-ginn des Grenzabbaues einen Reiseantragnach Ungarn stellten, erhöhte sich umrund ein Drittel. Da die ungarischen Be-hörden damit rechnen mussten, dass DDR-Touristen verstärkt vorhatten, über die

österreichisch-ungarische Grenze in dieBRD zu gelangen, wurde über die Som-mermonate 1989 der Eiserne Vorhang aufweiten Abschnitten an der österreichisch-ungarischen Grenze belassen und dieGrenzbewachung vorerst sogar noch inten-siviert.

Die DDR-Führung drohte Ungarn zwar,setzte darüber hinaus aber keine Maßnah-men. Aufgrund eines bilateralen Vertrageszwischen der DDR und Ungarn durfte Un-garn keine Ausreisevisa ausstellen, undUngarn hatte sich gegenüber der DDR ver-pflichtet, die ausreisewilligen DDR-Bürgerwenn notwendig sogar unter Gewaltan-wendung in die DDR zurückzubringen.

Gleichzeitig war Ungarn jedoch im März1989 als erstes osteuropäisches Land derFlüchtlingskonvention der Vereinten Natio-nen beigetreten. Dies bedeutete, dass dieVerpflichtungen Ungarns aus dem bilatera-len Vertrag mit der DDR denjenigen ausder Flüchtlingskonvention der UNO dia-metral widersprachen. Ungarn entschiedsich letztendlich dafür, der UNO-Konven-tion den Vorrang zu geben und argumen-tierte, dass man niemanden zwingenkönne, dort zu leben, wo er nicht lebenwolle.

Ministerpräsident Miklós Németh, In-nenminister István Horváth und Außenmi-nister Gyula Horn hatten sich darauf geei-nigt, dass, auch wenn die DDR-Bürgerbeim Paneuropäischen Picknick am 19. Au-gust 1989 keinen Reisepass vorzeigenkonnten, sie trotzdem die Grenze nachÖsterreich passieren durften. Die Organisa-tion der Grenzwache wurde auch dahinge-hend instruiert.

UNGARN UND DER FALL DES EISERNEN VORHANGS

Foto: BF

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Die Idee des Paneuropäischen Picknickswar am 20. Juni 1989 von Ferenz Mészá-ros auf einem Empfang nach einem Vortragvon Dr. Otto Habsburg in Debrecen gebo-ren worden. In kurzer Zeit wurde aus derIdee ein handfester Plan: An der Grenze inSopron sollte das Paneuropäische Picknickam 19. August 1989 bei einem Lagerfeuerstattfinden. Damit auch die österreichi-schen Gäste daran teilnehmen konnten,sollte ein improvisierter Grenzübergangauf der alten Pressburger Straße zwischenSt. Margarethen und Fertörakos für dreiStunden offen stehen. Die Zeit zur Organi-sation war überaus knapp bemessen, muss-ten doch zahllose Genehmigungen einge-holt werden. Auf ungarischer Seite halfenvor allem die lokalen Netzwerke und dieVerbindungen des reformfreudigen Staats-ministers Imre Pozsgay, der gemeinsammit Dr. Otto Habsburg die Schirmherr-schaft übernahm. Auf der österreichischenSeite fand man im damaligen Bürgermei-ster von St. Margarethen, Andreas Waha,einen bereitwilligen Unterstützer.2

Das offizielle Programm begann um14.00 Uhr mit einer internationalen Pressekonferenz in Sopron. Pünktlich um15.00 Uhr wurde das Tor geöffnet und dierund 200 auf österreichischer Seite war-tenden Personen stellten sich zur Grenzab-fertigung an. Die Grenzkontrolle sollte vonBeamten des Zollamtes Klingenbach sowievon ungarischen Grenzorganen erfolgen.Plötzlich stürmten Hunderte DDR-Bürgervon einem Maisfeld auf österreichischesStaatsgebiet. Die ungarischen Zöllner wa-ren mit der Situation völlig überfordert –ihre Möglichkeiten beschränkt. Sie hättenin die Menge schießen können, oder dieFlüchtenden laufen lassen. Für eine ge-zielte Kontrolle oder das Stoppen des An-sturmes waren sie zu wenige. Österreichi-sche Exekutivbeamte folgten der Men-schenmenge und als man den Flüchtendenzu verstehen gab, dass sie sich bereits aufösterreichischem Boden befanden, spieltensich unbeschreibliche Szenen ab: Die Men-schen tanzten, umarmten einander undweinten vor Freude.

Bei dieser Massenflucht gelang allein am19. August über 600 DDR-Bürgern dieFlucht in den Westen. Sie wurden vorerstim Freizeitzentrum von St. Margarethenuntergebracht, von dort mit Bussen zurBotschaft der BRD nach Wien und an-schließend mit Sonderzügen nach West-deutschland gebracht.

Das Paneuropäische Picknick gilt als we-sentlicher Meilenstein jener Ereignisse, diezum Ende der DDR und zur deutschenWiedervereinigung führten.

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2 Telefonisches Interview mit Andreas Waha vom 25.8.2009.

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Die Massenflucht von Sopron hatte Si-gnalwirkung. Die Zahl der DDR-Bürger, diesich gegen Ende August 1989 in Ungarnaufhielten und nicht mehr in die DDR zu-rückreisen wollten, lag nach verschiede-nen Schätzungen zwischen 40.000 und60.000 Personen. Die ungarische Regie-rung vertrat allerdings die Ansicht, dass esnicht die Aufgabe Ungarns sein könne, die-ses Problem zu lösen, sondern dass es sichdabei vielmehr um ein deutsch-deutschesProblem handle. Zweifelsohne lastete aufder ungarischen Regierung großer Druck,es musste eine Lösung gefunden werden,die DDR-Flüchtlinge in den Westen ausrei-sen zu lassen. Auf der einen Seite gab esden bilateralen Vertrag mit der DDR, dar-über hinaus war auch die Gefahr einer mi-litärischen Intervention nicht gänzlich aus-zuschließen, denn die gegenseitigenFreundschaftsverträge der WarschauerPakt Mächte waren alle noch in Kraft. Undimmerhin befanden sich zu diesem Zeit-punkt rund 200.000 sowjetische Soldatenin Ungarn.

Auf der anderen Seite erhoffte man sichUnterstützung seitens der BRD: Am 25.August 1989 kam es zu einem Treffenvon Bundeskanzler Helmut Kohl, Außen-minister Hans-Dietrich Genscher mit Mi-nisterpräsident Miklós Németh und Au-ßenminister Gyula Horn auf Schloss Gym-nich bei Bonn. Ungarn wurde ein Kreditin Aussicht gestellt, im Gegenzug erklärte

man sich dazu bereit, für DDR-Bürger dieGrenze zu öffnen.3

Ungarn teilte der DDR schließlich mit,das fragliche bilaterale Abkommen im Hin-blick auf veränderte äußere Umstände vor-übergehend außer Kraft zu setzen und be-schloss am 11. September 1989 um 00.00Uhr die Grenzen für die DDR-Flüchtlingezu öffnen. Daraufhin verließen täglich Tau-sende – vor allem junge Menschen – dieDDR. Vier Wochen später hatten bereitsüber 49.000 DDR-Bürger ihre Heimat ver-lassen.

Die Ereignisse um die Grenzöffnung be-wirkten auch in Ungarn innenpolitischeVeränderungen. Am 6. Oktober 1989wurde am Parteitag der Ungarischen Sozia-listischen Arbeiterpartei (USAP) die alteUSAP aufgelöst und die neue UngarischeSozialistische Partei (USP) gegründet. Am23. Oktober wurde die Republik Ungarn –und damit die erste Republik Osteuropas –proklamiert.4

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3 Charles S. Maier, Das Verschwinden der DDR und der Untergang des Kommunismus, Princton1997, Frankfurt am Main 1999, S. 218 ff.

4 Lisa Anna Moser, Der Fall des Eisernen Vorhangs und die Auswirkungen auf das Burgenland, Di-plomarbeit, Wien 2008, S. 12 ff.

Foto: VGA

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Seit dem Amtsantritt Michail Gorba-tschows als Generalsekretär derKPdSU im Jahr 1985 und dem

XXVII. Parteitag mit der Verkündung derKonzepte der Glasnost (Offenheit) und Pe-restroika (Umstrukturierung) hatte sich dasGesicht des Ostblocks gewandelt. Nur zag-haft akzeptierte das SED-System in derDDR die neue Zeit.1

In Ungarn hatten es inzwischen die Re-formkommunisten unter Miklós Némethgewagt sich einer demokratischen Wahl zustellen. Zu den dringenden politischen Re-formen gehörte die Verbesserung der wirt-schaftlichen Situation und damit der Le-benssituation der ca. 10 Millionen Ungarn.Zusätzliche Sprengkraft erhielt die Situa-tion durch die größtenteils ungarisch-stäm-migen rumänischen Flüchtlinge, die 1989in Ungarn Zuflucht suchten. Nachdem Un-garn kurz davor der Genfer Flüchtlingskon-

vention beigetreten war, wurden dieseFlüchtlinge auch nicht über die ungarisch-rumänische Grenze zurückgeschickt.

Die massenhafte Fluchtbewegung imBurgenland 1989 begann mit den TV-Bil-dern vom Durchschneiden des EisernenVorhangs. Mit diesen Bildern wusste jederim Osten, dass es eine „ungesicherte“Grenze zum Westen gab. Im Sommer1989 versuchten viele die Grenze ins Bur-genland auf den offiziellen Grenzübergän-gen zu überqueren. Entsprechend ihrenAnordnungen wurden sie von den ungari-schen Grenzbehörden davon abgehalten,was nicht selten zu unangenehmen Zwi-schenfällen führte.

Als am 9. Juli 1989 drei DDR-Bürger amGendarmerieposten in St. Margarethen umpolitisches Asyl ansuchten, sorgte dies für

FLUCHT UND HILFE

„Ohne die unschätzbare Hilfe der Burgenländer für die Deutschen aus der DDRhätte die Fluchtbewegung vor der Öffnung der Grenze nie das Ausmaß ange-nommen, das sie dann bekam.“

Dietrich Graf Brühl, 1989 Deutscher Botschafter in Wien und Koordinator der Hilfsaktion seitens der BRD

FLUCHT UND HILFE

1 Von 1987 bis 1989 wurde die Anzahl der Reiseerlaubnisse nach Westdeutschland geringfügig er-höht. 1987 waren es knapp 2,4 Mio. Menschen, 1988 fast 2,8 und von Jänner bis September 1989 wur-den ca. 2,2 Mio. Bewilligungen erteilt. Neben den willkommenen Deviseneinnahmen – die Reiseerlaub-nis musste mit D-Mark bezahlt werden – sah Honecker diese Steigerung als großes politisches Entge-genkommen. Die Bürger der DDR strömten indes aus dem Land und besetzten die deutschen Botschaf-ten in Warschau, Prag und vor allem in Budapest, vgl: Charles S. Maier, Das Verschwinden der DDR undder Untergang des Kommunismus, Princton 1997, Frankfurt am Main 1999, S. 218 ff.

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großes Aufsehen. Sie hatten illegal dieGrenze überschritten. Dieses Ereignis bliebkein Einzelfall und die Grenzüberschrei-tungen stiegen kontinuierlich an. DerRaum Mörbisch und die Gegend umDeutschkreutz kristallisierten sich alsHauptziele der DDR-Flüchtlinge heraus. Illegale Grenzgänger wurden auf den Gen-darmerieposten registriert und danach zurBRD-Botschaft nach Wien gefahren, dortwurden sie mit den notwendigen Doku-menten ausgestattet und anschließend indie BRD gebracht.

In der Zeit von Mai bis zum 19. August1989, dem Tag des Paneuropäischen Pick-nicks, stieg die Zahl der Flüchtlinge entlang der burgenländisch-ungarischenGrenze merklich an. Juni und Juli melde-ten sich täglich 25 DDR-Flüchtlinge in derBotschaft. Bis zum 19. August stieg dieFlüchtlingszahl auf täglich ca. 100. In derNacht des 19. August und am Folgetagmeldeten sich je 600 DDR-Flüchtlinge beider Botschaft.2

Ende August kam es zum Massenexodusaus der DDR. Nicht nur der burgenlän-disch-ungarische Grenzraum wurde „bela-gert“, auch in den deutschen Botschaftenin Warschau, Prag und Budapest suchtenDDR-Bürger Zuflucht.

Die Österreichische Bundesregierung be-auftragte deshalb das Österreichische RoteKreuz mit der Abwicklung der humanitä-ren Aktion an der Grenze und mit der Ko-ordination des Weitertransports der Flücht-linge in die Auffanglager in Deutschland.Die Kosten dafür trug die Deutsche Bot-schaft. Die Hilfsmaßnahmen hatten aucheine politische Dimension. Auf Weisungder Bundesregierung durften für denTransport in die westdeutschen Auffangla-ger keine „staatlichen“ Institutionen, wieetwa die ÖBB oder die Postbusse herange-zogen werden, da dies aufgrund von Öster-reichs Neutralität zu diplomatischen Ver-strickungen mit der DDR geführt hätte.Das Rote Kreuz entschied sich deshalb da-für, private Busunternehmer, darunter etli-

FLUCHT UND HILFE

2 Insgesamt wurden über 7.000 DDR Flüchtlinge über die Deutsche Botschaft in die BRD gebracht.

Foto: Landespolizeikommando Burgenland

Foto: Landespolizeikommando Burgenland

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FLUCHT UND HILFE

che aus dem Burgenland wie etwa das Un-ternehmen Blaguss, heranzuziehen.

Die Hilfsaktion dauerte vom Septemberbis zum 9. November 1989. An diesemTag fiel die Berliner Mauer und diedeutsch-deutsche Grenze war für alle Bür-ger der DDR offen. Bis zu diesem Zeit-punkt kamen täglich Hunderte zu Fußoder mit ihren Trabis und Wartburgs insBurgenland. An der Grenze wurden siemit Nahrungsmitteln, Getränken und dennotwendigsten Sanitärartikeln versorgt. Inden Orten wurden Lager eingerichtet. DieBevölkerung spendete Spielzeuge, Decken,Kleidung usw.

Dietrich Graf Brühl, im Jahr 1989 Deut-scher Botschafter in Wien und Koordinator

der Hilfsaktion seitens der BRD, beschriebdie Situation folgendermaßen:

„Ohne die unschätzbare Hilfe der Bur-genländer für die Deutschen aus der DDRhätte die Fluchtbewegung vor der Öffnungder Grenze nie das Ausmaß angenommen,das sie dann bekam. Diese Hilfe erstrecktesich von der Unterstützung bei der Über-windung der Grenze, der Fluchthilfe, überdie erste Hilfe in den an der Grenze gele-genen Häusern über die Unterrichtung,wo der Bus zur Botschaft stand, bis zu län-geren Familienaufenthalten, wenn dieFlüchtlinge erschöpft hinter der Grenzezur Ruhe kamen und dann auf die Abho-lung durch Verwandte aus der Bundesre-publik warteten. Bürgermeister der kleins-

Foto: BF

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FLUCHT UND HILFE

3 Dietrich Graf Brühl: Flucht in die Freiheit. Die Flüchtlingsbewegung aus Ungarn im Jahr 1989. EinBericht, in: Der Eiserne Vorhang. Katalog zur Sonderausstellung 2001. Hrsg. Heeresgeschichtliches Mu-seum Wien, Wien 2001, S. 101 ff.

4 Maier S 221.

ten Dörfer an der ungarischen Grenzerichteten Betreuungsstationen in Sporthal-len und ähnlichen Gebäuden ein.

Neben dem Gefühl, in Österreich in derFreiheit zu sein, waren die Flüchtlinge im-mer wieder von der Art und Weise beein-druckt, wie die Burgenländer halfen: ohnegroßes Aufheben, selbstverständlich undvor allem einfühlsam in die Nöte derFlüchtlinge. Diese fühlten sich bei ihnensofort „daheim“ und konnten schon jetztMut schöpfen für die nächste Phase, dieReise und den Neuanfang in Westdeutsch-land. Freundschaften, die damals geschlos-sen wurden, bestehen noch heute.“ 3

Diejenigen, die mit dem Fahrzeug unter-wegs waren, erhielten ein Begrüßungsgeld

von ATS 700,--, das zum Tanken vorgese-hen war. Die Gelder wurden vom RotenKreuz ausgehändigt und von der Botschaftder BRD finanziert. Ein Teil der Flüchtlingewurde aus ungarischen Lagern nach Öster-reich gebracht. Auch diese Aktionen wur-den vom Roten Kreuz mit seinen unzähli-gen freiwilligen Helfern koordiniert.

Die Zahl der Flüchtlinge ging im Herbstauf durchschnittlich 150 täglich zurückund am 9. November versiegte der Flücht-lingsstrom. Als die Berliner Mauer fiel wa-ren 10.000 DDR-Bürger über die BRD-Bot-schaft in Budapest, 17.000 über Prag und700 über Warschau in den Westen ge-bracht worden.4 Über das Burgenland hat-ten 50.000 DDR-Bürger den Weg in dieFreiheit gewählt.

Foto: Österreichisches Rotes Kreuz – Burgenland

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INTERVIEW

DIE WELT: Herr Németh, war dieGrenzöffnung am 11. September mit Mos-kau abgestimmt?

Miklós Németh: Wir haben die Sowjet-union nicht gesondert informiert, sondernsie wenige Stunden vor der Verkündungunterrichtet.

DIE WELT: Was wussten Bonn undOst-Berlin?

Miklós Németh: Mit der Bundesregie-rung hatte ich schon Ende August bei mei-nem Besuch über derartige Pläne geredet,ohne ein Datum zu nennen. Davon wuss-ten Anfang September nur wenige Verant-wortliche in der ungarischen Regierung.Zu dieser Zeit war eine SPD-Delegationmit Karsten Voigt bei uns zu Besuch. Voigtbekam Wind davon und deutete bei seiner

Rückkehr in Deutschland vage „große Ver-änderungen“ in Ungarn an. Vor der Grenz-öffnung wollte ich auch nach Ost-Berlinfahren und mit der Regierung sprechen.Aber sowohl Staats- und Parteichef ErichHonecker als auch Ministerpräsident WilliStoph waren krank, so dass ich keinen Ver-handlungspartner hatte. Wir haben dannAußenminister Oskar Fischer informiert –ebenfalls ohne das Datum zu nennen.

DIE WELT: Wie reagierte die DDR aufdie Grenzöffnung?

Miklós Németh: Nach der Grenzöff-nung schickte die DDR-Führung einenBrief an den ungarischen Parteichef, weilsie hoffte, dass die Partei auf mich Einflussnehmen würde. Die Antwort lautete: InUngarn schreibt die Partei der Regierungnicht mehr vor, was sie zu tun hat.

INTERVIEW MIT MINISTER-PRÄSIDENT MIKLÓS NÉMETH ÜBER DIE POLITISCHE DIMENSION DES 11. SEPTEMBER 1989

„Wir müssen zur äußeren Welt nicht nur die Fenster, sondern auch die Türen öffnen.“

Miklós Németh

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INTERVIEW

DIE WELT: Im März 1989 hatten Siesich vier Monate nach Ihrer Amtsüber-nahme zum ersten Mal mit Michail Gor-batschow getroffen. Vom Antrittsbesuchin Moskau ist Ihr Satz überliefert: „Wirmüssen zur äußeren Welt nicht nur dieFenster, sondern auch die Türen öffnen“.Meinten Sie die Grenze?

Miklós Németh: Zu diesem Zeitpunktnoch nicht. Aber ich habe ihn darüber in-formiert, dass wir die Stacheldrahtsperrenzur österreichischen Grenze nicht mehr erneuern werden. Gorbatschow fragtewarum. Ich sagte, wir haben verschiedeneGründe, einer ist, dass wir kein Geld ha-ben. Ich befürchtete, er sagt: Wir bezahlendas. Dann hätte ich politische Gründe nen-nen müssen. Aber Gorbatschow hat gelä-chelt und von sich aus gesagt, dass dieBreschnew-Doktrin, das heißt die Einmi-schung Moskaus in die Belange der ande-ren Staaten, beendet sei. Allerdings war ernicht einverstanden damit, dass wir kurzzuvor ein Mehrparteiensystem eingeführthatten und freie Wahlen wollten. AberGorbatschow sagte: So lange ich auf die-sem Stuhl sitze, wird sich 1956 (Nieder-schlagung des Ungarn-Aufstandes, Anm. d.Red.) nicht wiederholen.

DIE WELT: Im Juni 1989 schnitten Au-ßenminister Gyula Horn und sein österrei-chischer Kollege Alois Mock symbolischden Stacheldraht an der Grenze durch.Danach schwoll der Flüchtlingsstrom ausder DDR nach Ungarn an.

Miklós Németh: Möglicherweise lösteunsere Aktion eine Signalwirkung aus. Zu-vor war Ungarn der Genfer Flüchtlingskon-vention beigetreten. Das hatte zur Folge,dass wir Rumänen, die vor Ceau!escus Politik zu uns geflüchtet waren, nichtmehr zurückschickten. Auch das wurde inder DDR registriert.

DIE WELT: Bereits 1989 war Ihr Zieleine Anbindung an die EU. 15 Jahre spä-ter ist Ungarn Vollmitglied. Welche Rollekann es spielen?

Miklós Németh: Ungarn kann aufGrund seiner Lage und der historischenKontakte zur Annäherung Südosteuropasan die EU beitragen. Meiner Meinungnach war der Zweite Weltkrieg erst mit derdeutschen Wiedervereinigung beendet.Wenn die Länder aus Südosteuropa undvom Balkan EU-Mitglieder sind, ist sozusa-gen auch der Erste Weltkrieg zu Ende.

Das Interview führten Lars-Broder Keil und Hans-Hermann Hertle. Zitiert aus: „Die Welt“, 11. September 2004.

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DIE “SANFTEN REVOLUTIONEN“ IM OSTEN

In den Jahren von 1989 bis 1991 än-derte sich die politische LandkarteEuropas grundlegend. Auslöser für

den Demokratisierungsprozess war dieneue Politik der UdSSR unter Michail Gor-batschow, aber auch handfeste ökonomi-sche Gründe spielten eine Rolle. Allen poli-tischen Veränderungsprozessen im Ostenund Südosten Europas ist gemein, dass siein verhältnismäßig kurzer Zeit eine grund-legende Änderung der politischen Verhält-nisse brachten. Der Prozess des friedlichenÜbergangs Bulgariens in die Demokratiebeispielsweise dauerte von 1989 bis 1991und verlief weitgehend unblutig. Amschnellsten verlief der Wandel in derTschechoslowakei, am nachhaltigsten inder DDR.

Mit zwei Ausnahmen fanden die politi-schen Veränderungen ohne größere politi-sche oder gar militärische Konflikte statt.Jugoslawien zerfiel nach einem blutigenBruderkrieg in mehrere Teilrepubliken,und in Rumänien gingen blutige Demon-strationen dem Schauprozess und der Hin-richtung von Nicolae Ceau!escu voraus.

Die historisch bedeutendste Verände-rung spielte sich aber in Mitteleuropa ab.Wie alle übrigen westlichen Staaten pflegteauch Österreich korrekte diplomatischeBeziehungen mit der 1949 gegründetenDDR. So besuchte etwa BundeskanzlerFred Sinowatz im Jahr 1985 Ostberlin.

Im August 1961 sprang der damals 19-jährige Conrad Schumann über einen Sta-cheldrahtzaun an der Bernauer Straße inden Westen. Das dabei entstandene Fotowurde weltberühmt und zum Symbol fürdie gewaltsame Teilung Deutschlands.

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„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Zitiert nach Michail Gorbatschow

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Im August 1961 errichtete die DDR un-ter Walter Ulbricht mitten durch Berlin dieBerliner Mauer. 271 Menschen kamen bis1989 beim Versuch, diese Mauer zu über-winden, ums Leben. Die Prozesse um dieMauerschützen beschäftigten noch Jahrespäter die Gerichte des inzwischen wieder-vereinigten Deutschlands.

Das 40-Jahre Jubiläum der Gründungder DDR Anfang Oktober 1989 feierteErich Honecker noch im Kreis der Regie-rungschefs des Ostblocks. Hinter den Ku-lissen ließ er Hunderte Demonstranten ver-haften.

Unüberbrückbar waren 1989 bereits dieSpannungen zwischen Michail Gorba-tschow und Erich Honecker. Gorba-tschows Zitat „Gefahren warten nur aufjene, die nicht auf das Leben reagieren“,war sein lapidarer Kommentar zur notori-schen Reformverweigerung Honeckers.1

Am 18. Oktober 1989 entband das Zen-tralkomitee der SED Honecker „aus ge-sundheitlichen Gründen“ von seinem Amt.

Am 9. November 1989 fiel schließlichdie Berliner Mauer. Am 3. Oktober 1990wurde Deutschland wieder vereinigt.

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1 Daraus bastelten deutsche Medien den Jahrhundertspruch „Wer zu spät kommt, den bestraft das Le-ben“, der aber in dieser Form von Gorbatschow nie gesagt worden war.

Foto: Jutta Graf

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In Rumänien endete der politische Um-sturz blutig. Ausgehend von Temesvar ent-wickelte sich eine Revolutionsbewegung,die in wenigen Tagen das Terrorsystem un-ter Nicolae Ceau!escu hinwegfegte undHunderten Menschen das Leben kostete.

Der Umbruch in Rumänien gestaltetesich zum Medienereignis. Später mehrtensich sogar Gerüchte, wonach die Revolu-tion von westlichen Geheimdiensten ge-steuert worden sein soll.

Am 25. Dezember wurden NicolaeCeau!escu und seine Frau Elena verhaftetund in einem politischen (Eil-)Prozess zumTod verurteilt. Mit seinem Tod sollten dieSpuren des alten Systems mitbegrabenwerden.

Ganz am Anfang der politischen Neuerun-gen im Ostblock stand die Gründung derGewerkschaft Solidarno"# in Polen im Jahr1980. Die Arbeiter der Danziger Werftenreagierten damit auf eine massive Lebens-mittelteuerung.

Der Weg zu den ersten freien Wahlen inPolen war kein einfacher: Am 13. Dezem-ber 1981 verhängte Staats- und ParteichefGeneral Wojciech Jaruzelski über die Volks-republik Polen das Kriegsrecht. Mehrere

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Tausend Oppositionelle kamen ins Gefäng-nis, die Streiks wurden mit Hilfe der Armeeniedergeschlagen. Am 4. Juni 1989 erzieltedas „Bürgerkomitee Solidarität“, die politi-sche Organisation der Gewerkschaft Soli-darno!", einen überwältigenden Wahlsieg.

Die Stützen der Demokratiebewegung inPolen waren neben der Gewerkschaft undden Intellektuellen vor allem die katholischeKirche. Im Dezember 1990 wurde LechWa!#sa zum Staatspräsidenten gewählt.

Die „samtene“ Revolution in Prag be-gann mit Demonstrationen am Wenzels-platz. Einer der Unterzeichner der legendä-ren Menschenrechtsbewegung Charta 77,der Schriftsteller Václav Havel, und derKP-Chef zur Zeit des Prager Frühlings1968 Alexander Dub$ek waren die be -deutendsten Persönlichkeiten des System-wechsels in der Tschechoslowakei.

Václav Havel wurde 1989 der letzte Prä-sident der Tschechoslowakei. Am 1. Jänner1993 löste sich die %SSR auf, als Nach -folgestaaten entstanden die RepublikenTschechien und Slowakei.

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CHRONIK 1989

Vorgeschichte

11. März 1985: Einen Tag nach demTod des sowjetischen Staats- und Partei-chefs Konstantin Tschernenko wird Polit-büromitglied Michail Gorbatschow zumneuen Generalsekretär der sowjetischenKP gewählt – damit ist der längst fälligeGenerationswechsel vollzogen. WestlicheBeobachter und auch die Sowjetbürger er-warten von Gorbatschow keine durchgrei-fenden Liberalisierungsmaßnahmen, abereinen wirtschaftlichen Reformkurs!

27. Jänner 1987: Gorbatschow kündigteine weitreichende Demokratisierung derGesellschaft an.

3. Juli 1988: In Moskau endet die ersteParteikonferenz seit rund 50 Jahren. Dieca. 5.000 Delegierten stimmen für einenAntrag, wonach künftig der Parteichefauch als Staatschef fungieren soll.

1989

6. Feber: An der Berliner Mauer wirdder 20-jährige Chris Geoffroy von DDR-Grenzsoldaten erschossen.

17. April: Reformprozess in Polen ein-geleitet: Die über sieben Jahre lang verbo-tene Gewerkschaft Solidarno!" wird wie-der zugelassen, dies ist ein Ergebnis derVerhandlungen am runden Tisch zwischenVertretern der Regierung und der Opposi-tion. Lech Wa!#sa bezeichnet die Eini-gungserklärung mit Staatschef Wojciech Ja-ruzelski als „Jahrhundertvertrag“.

2. Mai: Ungarn beginnt mit dem Abbauder Grenzbefestigungen zu Österreich.Damit öffnet Ungarn als erstes Land desWarschauer Paktes seine Grenzen zumWesten – der Eiserne Vorhang wird durch-lässig!

3. Mai: Auf einer internationalen Pres-sekonferenz wird der Abbau der elektroni-schen Signalanlagen bekannt gegeben.

13. Mai: Auf dem Pekinger Platz desHimmlischen Friedens beginnt ein Hunger-streik mehrerer Tausend Studenten.

28. Mai: Die ungarische Regierungspricht sich nunmehr auch formell für denAbbau der Grenzanlagen aus.

4. Juni: Das chinesische Militär beendetmit einem Blutbad den Hungerstreik derStudenten.

4. Juni: Parlamentswahlen in Polen:Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg sindwieder Kandidaten der Opposition zugelas-sen. Das „Bürgerkomitee Solidarität“, diepolitische Organisation der GewerkschaftSolidarno!", erzielt einen überwältigendenSieg. Ihr Kandidat Tadeusz Mazowieckiwird am 24. August zum polnischen Regie-rungschef gewählt.

12. Juni: Gorbatschow zu Besuch in derBRD – Unterzeichnung einer Erklärung,worin die SU erstmals gegenüber einemwestlichen Land das Recht eines jedenStaates bekräftigt, „das eigene politischeund soziale System frei zu wählen“.

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CHRONIK 1989

16. Juni: In Budapest wird Imre Nagy,Führer des ungarischen Volksaufstandes1956, mit allen Ehren beigesetzt. Seine Re-habilitierung gilt als Zeichen für den Re-formwillen der Kommunisten.

27. Juni: In einem symbolischen Aktdurchtrennen die Außenminister AloisMock und Gyula Horn den Stacheldrahtbei Sopron/Klingenbach an der gemeinsa-men Grenze.

7. Juli: Gorbatschow gesteht auf derOstblock-Gipfelkonferenz in Bukarest je-dem sozialistischen Staat seine eigene Ent-wicklung zu – damit verliert die soge-nannte Breschnew-Doktrin ihre Gültig-keit.

19. August: Etwa 600 DDR-Bürger nut-zen eine Veranstaltung der Paneuropäi-schen Bewegung („Paneuropäisches Pick-nick“) an der österreichisch-ungarischenGrenze bei Fertörakos/St. Margarethen zueiner Flucht in den Westen. Dies ist diegrößte Massenflucht von DDR-Bürgern seitdem Mauerbau.

4. September: In Leipzig findet die er-ste Montagsdemonstration statt: Gefordertwird mehr Reisefreiheit und die Abschaf-fung des Ministeriums für Staatssicherheit.Von nun an finden wöchentlich Montags-demonstrationen statt.

11. September: Erste Organisation derDDR-Opposition: 30 DDR-Regimekritikergründen die Reformbewegung „Neues Fo-rum“, es ist dies die erste landesweite Op-

positionsgruppe in der DDR und die größteaußerhalb der Evangelischen Kirche.

30. September: Die über 4.000 DDR-Flüchtlinge in den deutschen Botschaftenin Prag und Warschau dürfen in den We-sten ausreisen. Sonderzüge der DDR-Reichsbahn befördern über 6.000 Men-schen in die BRD. Im Laufe des Septem-bers spitzt sich die Flüchtlingsfrage für dieDDR dramatisch zu.

7. Oktober: Im Beisein von hohenStaatsgästen aus 70 Ländern, darunterauch Staats- und Parteichef Gorbatschow,begeht die DDR mit einer Militärparadeden 40. Jahrestag ihrer Staatsgründung. Ei-nige Straßen weiter demonstrieren Tau-sende gegen die SED-Führung.

Gorbatschow betont vor der Presse dieNotwendigkeit von Reformen und äußertsinngemäß die berühmten Worte: „Wer zuspät kommt, den bestraft das Leben.“

9. Oktober: Bei der bereits traditionel-len Montagsdemonstration in Leipzig de-monstrieren 70.000 Menschen – wie spä-ter bekannt wird, hatte Honecker einenmassiven Polizeieinsatz angeordnet, der allerdings von regionalen Stellen nicht befolgt worden war.

16. Oktober: 120.000 Menschen de-monstrieren in Leipzig – ihre Parole „Wirsind das Volk“ stammt aus Georg BüchnersRevolutionsdrama „Dantons Tod“. Gefor-dert werden: Verzicht der SED auf ihrMachtmonopol, freie Wahlen, eine Be-schneidung des Staatssicherheitsdienstes,

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die Verbesserung der Versorgungslage. Diedeutsche Einheit steht zu diesem Zeit-punkt noch nicht auf dem Forderungskata-log!

18. Oktober: Unter dem Druck der Aus-reisewelle und der Demokratisierungsbewe-gung in der DDR tritt Staats- und ParteichefErich Honecker zurück. Neuer SED-Chefwird Egon Krenz. Diese Entscheidung wirdin der DDR mit Enttäuschung registriert,Egon Krenz gilt als Hardliner.

23. Oktober: Der ungarische Parla-mentspräsident Mátyás Szürös proklamiertdie „Republik Ungarn“. Der symbolträch-tige Schritt am Jahrestag des Volksaufstan-des (23. Oktober 1956) stellt den Höhe-punkt rasanter Reformprozesse und dasformale Ende des kommunistischen Staatesin Ungarn dar. Der Namenswechsel von„Volksrepublik“ zu „Republik Ungarn“ be-zeugt den in der neuen Verfassung veran-kerten Übergang hin zu einer parlamenta-rischen Demokratie mit Mehrparteiensy-stem, Gewaltenteilung, Meinungs- undReisefreiheit sowie marktwirtschaftlichenPrinzipien.

Anders als in Polen war die herrschendeUngarische Sozialistische Arbeiterpartei(USAP) selbst der Motor der Veränderun-gen. Bereits am 8. Oktober hatte sich dieUSAP selbst aufgelöst und sich als Ungari-sche Sozialistische Partei neue Statuten ge-geben.

4. November: Auf der bisher größtenKundgebung in der DDR in Ostberlin de-monstrieren etwa eine Million Menschen

für demokratische Reformen und gegendas Machtmonopol der SED.

9. November: Die DDR öffnet ihreGrenzen zur BRD und zu Westberlin –Mauer und Stacheldraht trennen nichtmehr:

Der SED-Bezirkschef von Ostberlin Gün-ter Schabowski verkündet um 18.57 Uhrauf einer vom DDR-Fernsehen übertrage-nen Pressekonferenz den Beschluss desDDR-Ministerrates, wonach DDR-Bürgerohne besondere Voraussetzungen ins Aus-land und somit auch nach Westberlin rei-sen können. Wenige Minuten später ver-breitet die DDR-Nachrichtenagentur ADNdie Meldung von der Grenzöffnung, die inaller Welt wie eine Bombe einschlägt. Tau-sende von DDR-Bürgern machen sich zuGrenzübertrittsstellen auf. Da sich die Ab-fertigung an den Kontrollstellen zunächstschleppend vollzieht, öffnen sich um23.14 Uhr unter dem Ansturm der Men-schen in Berlin die Schlagbäume und dieMenschen strömen in den Westteil, wo siebegeistert empfangen werden. Insgesamtkommen etwa vier Millionen Menschen inden ersten vier Tagen zu einem Kurzbe-such in die BRD. Ca. 20.000 kehren nichtzurück.

Jeder DDR-Bürger erhält von der Bun-desregierung ein einmaliges Begrüßungs-geld von 100 DM.

10. November: Staats- und ParteichefTodor Schiwkow tritt zurück. Er hat Bulga-rien seit 1954 mehr als 33 Jahre geführtund war damit der am längsten amtie-rende Staats- und Parteichef in Osteuropa.

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Medien schreiben von einem internenPutsch in der Führung der KP, eine blutigeRevolution bleibt aus. Moskau ist im vor-aus informiert, die Änderungen sind mitder Sowjet-Führung abgesprochen.

13. November: Hans Modrow wirdzum DDR-Ministerpräsidenten gewählt,noch am 17. November erteilt er Spekula-tionen über eine Wiedervereinigung eineklare Absage.

28. November: Bundeskanzler HelmutKohl legt dem Bundestag einen Zehn-Punkte-Plan zur deutschen Einheit vor.

24. November: Eine Woche, nachdemdie Polizei eine große Kundgebung aufdem Prager Wenzelsplatz blutig niederge-schlagen hat, tritt unter dem Druck der an-haltenden Massenproteste die Führung derKommunistischen Partei der !SSR zurück.Sprachrohr des Protestes ist das „Bürgerfo-rum“ um den Dramatiker Václav Havel.

19. Dezember: Helmut Kohl stattet derDDR seinen ersten offiziellen Besuch ab undnennt die Wiedervereinigung das Ziel seinerPolitik, „wenn die Geschichte es zulässt“.

15. Dezember: Blutiger Umbruch inRumänien: In Temesvar demonstrierenTausende für die Absetzung von Staats-

und Parteichef Nicolae Ceau"escu. Die Ar-mee eröffnet das Feuer. Nach Berichtenvon Augenzeugen werden über 5.000Menschen niedergemetzelt. Die Protest-welle breitet sich auf die Hauptstadt Buka-rest aus, wo in der Nacht zum 21. Dezem-ber die ersten Schüsse fallen.

22. Dezember: Tausende Menschenversammeln sich in der Bukarester Innen-stadt. Abermals eröffnet die berüchtigte Securitate das Feuer auf die Menge, dochdann laufen überraschend Soldaten undSecuritate-Mitglieder zu den Demonstran-ten über.

25. Dezember: Ceau"escu und seineFrau werden verhaftet, vor ein Militärge-richt gestellt und hingerichtet. Mit der Re-volution in Rumänien verschwindet dasletzte stalinistische Regime innerhalb desWarschauer Pakts. Im Gegensatz zu denanderen osteuropäischen Staaten, wo derUmbruch ohne Blutvergießen vollzogenwurde, verlieren in Rumänien Tausendeihr Leben.

29. Dezember: Václav Havel wird zumStaatspräsidenten der Tschechoslowakeigewählt. Alexander Dub#ek, Symbolfigurdes „Prager Frühlings“ von 1968, hat amVortag das Amt des Parlamentspräsidentenübernommen.

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LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

Dietrich Graf B r ü h l: Flucht in die Frei-heit. Die Flüchtlingsbewegung aus Ungarnim Jahr 1989 in: Der Eiserne Vorhang. Ka-talog zur Ausstellung. Heeresgeschichtli-ches Museum Wien, Wien 2001

Bodo H a r e n b e r g: Chronik des 20.Jahrhunderts, Chronik-Verlag Dortmund1982, 10. Aufl. 1990

Lajos G e n c s é n y i: Die Beziehungzwischen Ungarn und Österreich 1945–1964 in: Der Eiserne Vorhang. Katalog zurAusstellung. Heeresgeschichtliches Mu-seum, Wien, Wien 2001

Charles S. M a i e r: Das Verschwindender DDR und der Untergang des Kommu-nismus, Princton 1997, Frankfurt 1999

Lisa Anna M o s e r: Der Fall des Eiser-nen Vorhangs und die Auswirkungen aufdas Burgenland, Diplomarbeit, Wien 2008

Dieter S z o r g e r: Keine Grenze wiejede andere. Das Burgenland und der Ei-serne Vorhang in den Jahren 1945–1957in: Vom Traum zum Trauma. Der Ungarn-aufstand 1956. Begleitband zur Ausstel-lung. WAB 116, Eisenstadt 2006

Jósef R é v é s z: Grenzschutz undFlüchtlingswesen 1956–1989 in: VomTraum zum Trauma. Der Ungarnaufstand1956. Begleitband zur Ausstellung. WAB116, Eisenstadt 2006

Quellenverzeichnis

Burgenländisches Landesarchiv:

Bericht der Sicherheitsdirektion für dasBurgenland an das Bundesministerium fürInneres vom 30.5.1956, BLA A/VII/14

Bericht der Sicherheitsdirektion für dasBurgenland an das Bundesministerium fürInneres vom 1.10.1956, BLA A/VII/14

Auswertung der Jahresberichte 1957und 1958 der Autoren, Sicherheitsdirek-tion für das Burgenland, BLA A/VIII/14/6

Militärhistorische Forschungsabteilung,Studiensammlung 1956, Abschrift derMeldung der Sicherheitsdirektion an dieBezirkshauptleute des Burgenlandes vom18.1.1956.

Zeitungen

Burgenländische Freiheit, BFBurgenländische Volkszeitung, BVZDer StandardDie PresseDie WeltHamburger Abendblatt

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DANKSAGUNG

WIR BEDANKEN UNS FÜR DIEFREUNDLICHE UNTERSTÜTZUNG

BEI:

Dr. Evelyn Fertl

Heinz Ritter

Mag. Stefan Schinkovits

Landespolizeikommando Burgenland

Österreichisches Rotes Kreuz – Burgenland

Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung

Den Opfern des Kalten Krieges gewidmet.

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Impressum:Medieninhaber, Herausgeber und Verleger:Amt der Burgenländischen Landesregierung, Abteilung 7 – LandesmuseumA-7000 Eisenstadt, Museumgasse 1–5Direktor w. Hofrat Dr. Josef TiefenbachRedaktion:Dr. Pia Bayer und Dr. Evelyn FertlUmschlagbild & Layout: Kreativgrafik Simone Klemenschits, Dammstraße 10, 7011 SiegendorfDruck: Druckzentrum Eisenstadt, Mattersburger Straße 23, 7000 Eisenstadt

ISBN 978-3-85405-175-6WAB 132, Eisenstadt 2009

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