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Thema: Inklusion Herausforderungen für die Kommunalpolitk Jugendpolitische Informationen vom BDKJ Erzdiözese Köln Ausgabe 2012

Inklusion - Herausforderung für die Kommunalpolitik

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Das Teil liefert Jugendpolitische Informationen im Erzbistum Köln

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Thema: InklusionHerausforderungen für die Kommunalpolitk

Jugendpolitische Informationen vom BDKJ Erzdiözese Köln Ausgabe 2012

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VorwortLiebe jugendpolitisch Interessierte, liebe Verbandlerinnen und Verbandler,

mit dieser Ausgabe unserer kommunal-politischen Handreichung ‚das TEIL‘ möch-ten wir mit Euch das Thema „Inklusion“ aufwerfen und vertiefen. Das Wort „In-klusion“ ist dieser Tage in aller Munde. Nicht zuletzt durch die Schwerpunkt-setzung der Landesregierung NRW wer-den auch Forderungen an die Jugend-verbände herangetragen sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Wir ver-folgen mit dieser Ausgabe das Ziel die Idee einer inklusiven Gesellschaft in der Breite zu denken und die Diskussion in

die kommunalpolitische Landschaft zu pflanzen. Dabei ist unser Motor jedoch nicht die Projektförderung der Landes-regierung in diesem Bereich. Vielmehr interessieren wir uns für die je eigene Lebenswirklichkeit der Menschen und ihre Möglichkeiten und Begabungen.

Seid herzlich gegrüßt

Tobias AgreiterBDKJ-Diözesanvorsitzender

&Ansgar Kesting

Referent für Jugend- &Gesellschaftspolitik

InhaltVon Inklusion, Begriffswirrwarr und dem wirklich wahren Leben Seite 3

Auf dem Weg zu einer inklusiven Schulkultur? Kein Sparmodell! – Im Gespräch mit Christiane Weiser Seite 6

Inklusion in der KommunalpolitikIm Gespräch mit Michael Herwartz Seite 10

Inklusion DeutschlandweitInterview mit Hubert Hüppe, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen Seite 13

Von dicken Brettern und langem Atem:Der Diözesanarbeitkreis All-in der DPSG setzt sich für Inklusion ein Seite 17

Inklusion: aus der Praxis der DjK Diözesanverband Köln Seite 19

Rat & Tat Seite 21

Seite 3

Wer sich dem Thema Inklusion nähern will, kommt an einer kurzen Begriffsbe-stimmung nicht vorbei – sonst kann man schnell den Überblick verlieren. Also soll hier versucht werden, drei unterschied-liche Modelle gegeneinander abzugren-

zen, wie jeweils auf Minderheiten und Mehrheiten geschaut werden kann, um sie so verständlich zu machen. Dabei ist es für das Verständnis erstmal egal, ob es sich dabei um eine Jugendgruppe oder die ganze Gesellschaften handelt.

Exklusion meint dem Wortsinn nach Ausschluss. Übertragen auf den gesell-schaftlichen Kontext meint das Modell, dass ein Teil der Gruppe „drin“ ist und ein anderer Teil eben „draußen“. Wer draußen ist kommt auch nicht rein – da kann man nix machen. Bestimmte Merk-male können beispielsweise festlegen wer nicht dazugehört oder an etwas nicht teilnehmen kann. Ohne Geld keine Teilnahme an der Ferienfahrt, mit Roll-stuhl kein Zugang zum Bahngleis oder als Frau keinen Zugang in den Verwal-tungsrat. Andere auszuschließen muss keine schwierige Entscheidung sein, wenn man einer Mehrheit angehört und ist deshalb auch oft relativ offen anzu-treffen. Ausgrenzungsstrategien können aber natürlich auch eher versteckt zum Tragen kommen.

Von Inklusion, Begriffswirrwarr und dem wirklich wahren Leben

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Genau andersherum verhält es sich mit der Separation. Hier will sich eine Gruppe von Menschen von anderen be-sonders stark abgrenzen, also beispiels-weise gar nicht Teil der Gesellschaft sein. Kontakt wird vermieden und Ab-wehrstrategien werden gepflegt.

Wenn man von Integration spricht, möchte man solche Missstände über-winden. Das Modell der Integration geht nämlich davon aus, dass eine Mehrheit gibt, in der eine abweichende Minder-heit ihren Platz finden soll. Die Ande-ren bleiben die Anderen, sollen aber dabei sein können – jedenfalls wenn sie sich an die Regeln und Vorstellun-gen der Mehrheit halten oder diesen entsprechen. Das ist schon mal besser als Ausgrenzung, doch die Vorstellung

einer inklusiven Gesellschaft geht noch einen Schritt weiter.

Inklusion meint, dass alle Menschen schon einbezogen sind. Bildlich gedacht, ändern sich nicht die Menschen, son-dern der Rahmen ändert sich so, dass alle hineinpassen. Wie ein Bilderrahmen der nicht mehr viereckig bleibt, sondern sich vielformig erweitert. Im Fokus steht das Verbindende, das „Mensch-Sein“. Hier soll sich jede/jeder einbringen kön-nen und in seiner Unterschiedlichkeit selbst Gesellschaft sein. Niemand kann definieren wer „in“ oder „out“ ist oder wem zu helfen ist, um sich besser zu integrieren. Vorraussetzung ist die Be-reitschaft sich aufeinander einzulassen: Verschiedenheit ist zutiefst natürlich und das macht alle gleich.

Der Inklusions-Gedanke geht uns also alle an – und durch seine Weite ist er auch nicht nur an Menschen mit Behin-derung gebunden. Doch sicherlich liegt hier der erste Anknüpfungspunkt, denn weltweit leben schätzungsweise 650 Mil-lionen Menschen mit Behinderung und nur in etwa 45 Staaten gibt es rechtliche

Regelungen die die Rechte dieser Men-schen besonders schützen. So haben sich die Vereinten Nationen (United Nations – UN) in einem ersten Schritt dieses The-mas angenommen, um eine Verbesse-rung der Lebensbedingungen durch eine UN-Konvention, die sich der Rechte der Menschen mit Behinderung annimmt, zu erreichen.1 Auf der Internetseite des Be-auftragten der deutschen Bundesregie-rung für Menschen mit Behinderung wird der Prozess so beschrieben: „Die Gene-ralversammlung der Vereinten Nationen hat (…) 2001 beschlossen, dass Vorschlä-ge für ein umfassendes internationales Übereinkommen zur Förderung und zum Schutz der Rechte von Menschen mit Be-hinderungen entwickelt werden sollten. Bereits 5 Jahre später, am 13. Dezember 2006 hat die Generalversammlung das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behin-derungen („UN-Konvention“) sowie das dazugehörige Zusatzprotokoll angenom-

1 http://www.behindertenbeauftragter.de/DE/Koordinierungsstelle/UNKonvention/ UNKonvention_node.html, Zugriff am 26.9.2012

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men.Teilhabe behinderter Menschen ist ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsor-ge oder Gnade. Die Konvention stellt dies klar und konkretisiert damit grundlegen-de Menschenrechte für die Lebenssituati-on von Menschen mit Behinderungen. Sie erfasst Lebensbereiche wie Barrierefrei-heit, persönliche Mobilität, Gesundheit, Bildung, Beschäftigung, Rehabilitation, Teilhabe am politischen Leben, Gleich-berechtigung und Nichtdiskriminierung. Grundlegend für die Konvention und die von ihr erfassten Lebensbereiche ist der Gedanke der Inklusion: Menschen mit Be-hinderung gehören von Anfang an mitten in die Gesellschaft.“ 2

2 http://www.behindertenbeauftragter.de/DE/Koordinierungsstelle/UNKonvention/ UNKonvention_node.html, Zugriff am 26.9.2012

Spätestens seit dem hat in Deutschland der Diskurs um die Notwendigkeit eine Gesellschaft zu gestalten, an der möglichst jedeR partizipieren kann, an In-tensität zugenommen. Die Herausforderungen sind vielfältig, aber gerade am Thema „Bildung und Teil-habe“ in Schule entflammt die Diskussion besonders, da hier einerseits augen-fällig neue Lösungen benö-tigt und gefordert werden und es andererseits aber kaum pauschal richtige Antworten gibt. Auch die Kommunen sind also gefragt, ihr Schulangebot für Kinder und Jugend-liche zu überprüfen und auch darüber hinaus zu schauen, wie die UN-Behinder-tenkonvention umgesetzt werden kann. Natürlich kann so ein Thema in kommu-nalpolitischen Zusammenhängen erstmal Ratlosigkeit hervorrufen, doch diese soll-te zum Wohle der BürgerInnen vor Ort schnell überwunden werden, beginnt

doch Inklusion direkt in der Lebenswirk-lichkeit vor der Haustür und sollte sich nicht auf defizitorientierte Integrations-versuche beschränken. Aber: Eine inklu-sive Gesellschaft kann natürlich nicht von heute auf morgen entstehen – sie braucht Raum zur Entfaltung, Zeit für Diskussion und Entscheidung, Mut zum Ausprobieren und eine Erweiterung des Denkhorizonts.

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Du bist Lehrerin an einer Förderschu-le mit dem Förderschwerpunkt geisti-ge Entwicklung, wie positionierst du dich bezüglich Inklusion?

Eine grundsätzliche Positionierung ist meiner Meinung nach nicht mehr gefragt. Für uns alle gilt: Inklusion ist durch die UN-Konvention beschlossen. Wir stehen vor der gesellschaftlichen Aufgabe jetzt

ein inklusives Schulsystem zu gestal-ten. Über das ‚Ob?‘ und ‚Für und wider!‘ müssen wir nicht diskutieren, sondern vielmehr die Situation als Chance nut-zen und nach Antworten für das ‚Wie?‘ zu suchen.

Und ‚Wie?‘ soll das gehen?

Für mich bedeutet es, dass wir gesamt-gesellschaftlich auf den unterschiedlichs-ten Ebenen mit unseren vielfältigen Er-fahrungen in Dialog treten, und unsere jeweiligen Kompetenzen einbringen müs-sen. Auf der Basis der individuellen Be-dürfnisse aller Schülerinnen und Schüler, müssen notwendige Standards und Be-

dingungen entwickelt werden, um eine inklusive Schulkultur wachsen zu lassen. Diese Bündelung der unterschiedlichen Kompetenzen geschieht meiner Meinung nach bisher erst in Ansätzen.

Auf dem Weg zu einer inklusiven Schulkultur?Kein Sparmodell! – Im Gespräch mit Christiane Weiser

Christiane Weiser ist Lehrerin an einer Förderschule mit dem Förder-schwerpunkt geistige Entwicklung und bildet zukünftige Lehrer/-innen in den Fächern geistige Entwick-lung und katholische Religion am Zentrum für schulpraktische Leh-rerausbildung aus. Sie ist ehren-amtlich für die DPSG und BDKJ im Diözesanverband Köln aktiv.

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Wie kann ich mir eine inklusive Schulkultur vorstellen?

Inklusive Schulkultur wie ich sie ver-stehe bedeutet für mich die uneinge-schränkte Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen. Damit meine ich z. B. Kin-der und Jugendliche aus benachteilig-ten Familien, mit Migrationshintergrund, Hochbegabte und Kinder und Jugend-liche mit Behinderung. Ich habe oft das Gefühl, dass Inklusion bisher noch zu kurz gedacht wird. Sobald ein Kind bzw. Jugendlicher mit einer geistigen Behinderung in einer Schule unterrich-tet wird, heißt es diese Schule arbeitet inklusiv. Aber für mich zählt nicht die Quantität sondern die Qualität von Un-terricht.

Beschreibe doch mal deine Vision von gelungenem inklusivem Unterricht

Meiner Meinung nach reicht es nicht aus, wenn Schülerinnen und Schüler voneinan-der lernen sollen, oder wenn als Argument verwendet wird, dass Schülerinnen und Schüler mit Behinderung dazu beitragen mehr soziales Miteinander untereinander zu fördern. Dies sehe ich als Zweckent-fremdung der Kinder und Jugendlichen an. In einem inklusiven Unterricht arbei-ten Grund- und Förderschullehrerinnen und -lehrer synergetisch, da darf es nicht sein, dass der/die Sonderpädagoge/-in mit Schülerinnen und Schülern in den Nebenraum geht. Das Lernen am gemeinsa-men Gegenstand wird als zielfüh-rend beschrieben. Dennoch bleibt für mich die zen-trale Frage wie können wir ge-

meinsam einen Unterricht und eine Lern-umgebung schaffen, die alle Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit eröffnet, sich zu selbstbestimmten und selbststän-digen Persönlichkeiten zu entwickeln. Hier ist meiner Meinung nach die Kom-petenz gefragt, sich mit den individuel-len Zugangsweisen und Lernwegen, mit den individuellen oft lebensnotwendigen Bedürfnissen auseinanderzusetzen und handlungsorientierte Lernangebote und Erfahrungsräume zu ermöglichen. Dies-bezüglich sehe ich aber dringenden Be-darf nach Veränderungen und Neuerun-gen in der Lehrer/-innenausbildung.

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Wie bewertest du die derzeitigen Entwicklungen?

Kritisch sehe ich die rasante Schlie-ßung von Förderschulen mit den För-derschwerpunkten Sprache, Lernen und emotionale und soziale Entwicklung. Langjährig entwickelte Konzepte und Standards, gehen mit der Schließung ver-loren und die Sonderpädagogen/-innen werden an allgemeine Schulen versetzt. Dort gibt es verständlicherweise weder Konzepte, noch notwendige Bedingun-gen. Einige Kollegen/-innen beschreiben es als Einzelkämpfer/-innentum, da oft der Raum für fachlichen Austausch fehlt. Vor allem mangelt es meist an Zeit ge-meinsam erforderliche Standards zu entwickeln. Allerdings gibt es auch neue

wegweisende Ent-wicklungen und es werden aus priva-ter Initiative von Lehrerinnen und Lehrern, Eltern usw. neue Schu-len gegründet die von Beginn an die notwendige Stan-dards berücksich-tigen und erfüllen. Allerdings sehe ich hier die Gefahr hin zu einer Privatschulkultur. Ebenso gibt es Schulen die schon viele Jahre im gemeinsamen Unterricht unterrichten, deren langjährige Erfahrung viel stärker in den Blick genommen werden sollte.

Meiner Auffassung nach kann ein inklu-sives Schulsystem nur gelingen, wenn es motivierte Lehrerinnen und Lehrer gibt, die die Idee der Inklusion verwirklichen wollen und dabei notwendigen Ressour-cen zur Verfügung gestellt bekommen. Im Moment habe ich das Gefühl, dass Schülerinnen und Schüler meist in beste-

hende Bedingungen hineingepresst wer-den und dann wird halt geschaut wie es läuft. Ich will nicht zu pessimistisch sein, aber meine Vermutung ist, dass dies für viele Lehrerinnen und Lehrer aber be-sonders für die Schülerinnen und Schüler eine Überforderung sein wird. Da kann ich die verständlichen Sorgen der Eltern von ‚mein Kind lernt nicht genug‘ bis hin zu ‚die Bedürfnisse meines Kindes wer-den nicht befriedigt‘ teilen.

Ebenso habe ich die Sorge, dass Schüle-rinnen und Schüler mit einer sogenannten

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geistigen Behinderung bzw. Schwerstbe-hinderung aus dem Blick verloren werden. Selbst in Ländern, die beispielhaft genannt werden, gibt es Schülerinnen und Schüler die nicht beschult werden oder in Betreu-ungseinrichtungen unterkommen. Diesen Zustand hatten wir in den 70er Jahren und dahin wollen wir ja wohl nicht zurück.

Was sollten deiner Meinung nach kommunale Politiker tun?

Ich lade alle Verantwortlichen ein, Kon-takt zu einer Förderschule mit den Förder-schwerpunkten geistige Entwicklung oder körperlich und motorische Entwicklung aufzunehmen und sich die dort langjäh-rig entwickelten Standards anzuschauen. Es wird meiner Meinung nach zu schnell

von der Abschaffung der Förderschulen gesprochen und nicht gesehen, welche Qualitäten dort entwickelt wurden, die zukünftig genutzt werden müssen.

So sehe ich z. B. die Förderschule kör-perlich und motorischen Entwicklung als ein wegweisendes Beispiel einer inklu-siven Schule. Dort werden Kinder und Jugendliche nach unterschiedlichen Bil-dungsgängen unterrichtet und es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum dieser Schultyp nicht beispielhaft genutzt wird. Dort können Schülerinnen und Schüler einen Schulabschluss absolvieren und gleichzeitig werden dort Schülerinnen und Schüler nach dem Bildungsgang geis-tige Entwicklung unterrichtet. Hier wird allen ziemlich schnell deutlich werden, dass gelungene Inklusion kein Sparmodell sein kann. Inklusion sollte in alle Richtun-gen gedacht werden. Demnach können sich auch die bisherigen Förderschulen hin zu einer inklusiven Schule entwickeln. Der Vorteil wäre, dass notwendige räum-liche Bedingungen vorhanden wären. So könnten auch Schülerinnen und Schüler der allgemeinen Schule in den bisherigen

Förderschulen, also zukünftig inklusiven Schulen unterrichtet werden.

Du hast anfänglich von einer gesell-schaftlichen Aufgabe gesprochen – kannst du das abschließend noch etwas genauer ausführen.

Ich verstehe Inklusion nicht als ein al-leiniges Schulthema. Inklusion geht uns alle an. Ich lade alle, die dieses Inter-view lesen ein, sich 5 min Zeit zu neh-men und darüber nachzudenken, wie in-klusiv ihr Arbeitsplatz gestaltet ist oder wie inklusiv sie ihren Alltag leben? Ge-sellschaftliche Teilhabe aller Menschen?! Eine inklusive Schulkultur zieht eine in-klusive Arbeitswelt, ein inklusives kultu-relles Angebot und eine inklusive Kirche nach sich. Dies ist noch ein langer Weg …

Meines Erachtens geht es nicht nur um die Abschaffung von räumlichen Bar-rieren sondern vielmehr um das Aufbre-chen von Barrieren in unseren Köpfen. Vielfalt als Selbstverständlichkeit anzu-erkennen sehe ich als Chance hin zu ei-ner inklusiven Gesellschaft.

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Lieber Michael, du bist Ratsmitglied in Erftstadt, einer Mittelstadt im Rhein-Erft-Kreis und hast begonnen dich für das Thema Inklusion zu interessieren. Nicht gerade typisch für einen Kommu-nalpolitiker. Wie kam es dazu und was ist an dem Thema für dich wichtig?

Bei den Pfadfindern gab’s in den 1970ern jährlich eine bundesweite Aktion „Flinke

Hände Flinke Füße“. Ich glaub, die gibt’s heute noch. Ab und zu war das Thema Umgang mit Behinderten. Es sollte z.B. mit Kleidersammlungen Geld gesammelt werden für das Projekt Westernohe, das heutige Bundeszentrum der DPSG, das

damals entstand. Aber genauso wichtig war, sich selbst Gedanken zu machen zu dem Thema. So waren wir in einer Schu-le für Körperbehinderte, haben Vorträ-ge gehört, haben einfach den Blickwin-kel erweitert, wer zu uns passen könnte. Das führte wohl dazu, dass zu unserer Gruppe ein geistigbehinderter Junge gehörte. Das war nicht immer einfach, aber es ging. Das hört sich heute nicht

unbedingt beeindruckend an. Damals war aber der allgemeine Blickwinkel viel enger. „Krüppel“ gehörten ins Heim, nicht auf die Straße und selbst einen al-ten Menschen mit Rollator gab es damals so gut wie nicht.

Aber es geht bei Inklusion ja nicht nur um behinderte Menschen, sondern um alle, die anders sind als der Mainstream. Als ich

Inklusion in der KommunalpolitikIm Gespräch mit Michael Herwartz

Michael Herwartz, Mensch, Christ, Mann, Ehemann und Vater, Großva-ter. Sozialarbeiter (Bewährungshel-fer, Mitarbeiter in der Führungsauf-sichtsstelle), Demokrat, Grüner. 54 Jahre alt.

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zwölf war nahm meine Familie ein Kind aus dem Heim auf. Das war nicht körper-behindert, aber „schwer erziehbar“. Er hat uns damals manchmal den letzten Nerv gekostet und wir waren auch nicht immer nett zu ihm. Max hat sich in einer Weile verhalten, die wir anfangs überhaupt nicht deuten konnten. Aber er hat auch Interes-se geweckt: Warum tickt der so? Wie sieht die Welt mit seinen Augen aus?

Im Studium der Sozialarbeit wurde der Blick dann auf sogenannte Randgruppen gelenkt, Patienten aus der Psychiatrie, die ich vorher nur als „Irre“ kannte, Ge-fangene und andere. In meinem Beruf als Bewährungshelfer habe ich mit sehr ver-schiedenen Menschen zu tun, von denen viele von anderen schwer zu ertragen sind. Und die ich meistens einfach mag.

Auch meine Kinder haben meinen Blickwinkel erweitert: Jedes hat neue Einsichten, Sichtweisen, Freunde, Er-fahrungen eingebracht und jedes war ganz anders als das vorige.

Mein Traum ist, dass alle diese Men-schen einfach dazu gehören. Ich sehe oft Menschen, die sich so verhalten, dass sie ausgegrenzt werden und die sich so verhalten, weil sie ausgegrenzt werden. Das ist oft nicht auseinander zu halten.

Diesen Traum strebe ich an in mei-nem Beruf, in der Kirche und als ich in die Politik kam, auch dort.

Wie waren die Reaktionen, als du be-gonnen hast erste Fragen zu stellen und Gespräche zu führen?

Das Thema ist ja nicht mein Thema al-leine. Dass man was für Behinderte tun muss, ist ja geläufig. Weniger selbstver-ständlich ist, dass es kein von oben herab ist, dass es schön ist, wenn es bunt wird, dass es gleiche Rechte gibt. Da ist in den Jahren, seit ich Pfadfinder war, viel

passiert, aber es ist mindestens genauso viel zu tun. Schade finde ich, dass Behin-derte Menschen oft als Problem gesehen werden, also: Oh, wie kriegen wir denn jetzt einen Aufzug in die Schule?, statt erst einmal froh zu sein über die Berei-cherung: Ja es ist gut, dass mein Kind auch einen „Rolli“, „Spastiker“ oder so in der Klasse hat. Weil das eine zusätzli-ches Erfahrungsfeld ist. Wäre Max nicht gewesen: Ich wäre wohl kaum heute Be-währungshelfer und so glücklich, wie ich bin. Ich habe ihm viel zu verdanken.

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Ich bin nicht unbedingt ein Vorreiter in Sachen Inklusion. Da läuft man inzwi-schen sogar manchmal offene Türen ein. Schwierig wird es, wenn Inklusion weiter gefasst wird, als nur bezüglich Behinder-te Menschen, sondern die Idee anwendet auf Straffällige z.B. Aber auch da war in den letzten Jahres vieles möglich.

Welche Herausforderungen siehst du mit diesem Thema auf die Kommunal-politik zu kommen?

Aktuell ist der Umbau der Schulen ein Riesenthema. Da

gibt es LehrerInnen, die sich bewunderns-wert einsetzen, und es bewegt sich viel. Wenn jetzt endlich das Gesetz kommt und hoffentlich auch entsprechende Gel-der, könnte man auf diesen Vorerfahrun-gen gut aufbauen. Ein anderes Thema ist der Rechtsanspruch auf einen Kindergar-tenplatz, der ja für behinderte Kinder ge-nauso gilt wie für „nicht“-behinderte. Das scheint mehr oder weniger einfach nicht im Blick gewesen zu sein. Er ist, zumin-dest in unserer Kommune, kaum zu erfüllen, wobei

mir inzwischen scheint, dass die Lösung nicht die

großen integrativen Einrichtungen sein müssen, die auf alle möglichen Behinde-

rungsarten eingerich-

tet sind, sondern dass vielleicht Einzellö-sungen besser und auch preiswerter sind. Ein blindes Mädchen braucht keine Behin-dertentoilette und ein Kind, das Anfälle bekommen kann, braucht wieder etwas ganz anderes. Ich weiß selbst nicht, wie man zu einer Lösung kommen kann. Ich lerne noch, wie immer.

Welchen Umgang würdest du dir mit dem Thema in den Kommunen wün-

schen?

Freude über Buntheit. Es ist gut, dass wir nicht alle gleich sind,

dass es große und kleine, schwarze und gelbe Menschen gibt, Frauen und Män-ner, Schwule, Lesben, Heteros, Men-schen die ackern, die singen, die beten, die Geschichten schreiben, die Post aus-tragen oder Brötchen backen.

Wie geht es jetzt weiter?

Ich weiß es nicht. Aber solange ich Men-schen mag habe ich keine Angst wegen der Richtung.Fo

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Sehr geehrter Herr Hüppe, Inklusion ist spätestens seit der Ratifizierung der UN-Konvention ein Thema, das immer mehr Bürgerinnen und Bürger beschäftigt. Was sind die wichtigsten Ziele, zu denen sich auch Deutschland verpflichtet hat?

Mit der UN-Behindertenrechtskonventi-on ist klargestellt: Teilhabe ist ein Men-schenrecht. Hierzu hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behinder-tenrechtskonvention bekannt. Die Be-hindertenrechtskonvention hat eine

Antwort auf die Frage gegeben, wie die Menschenrechte für die speziellen Be-dürfnisse und Lebenslagen behinderter Menschen ausgestaltet werden können. Das bedeutet auch, nicht Menschen mit Behinderungen müssen sich anpassen, sondern alle müssen Hindernisse und Barrieren abbauen, um Menschen mit

Behinderungen Zugang zu verschaffen. Inklusion bedeutet, dass Menschen so angenommen werden, wie sie sind und mitten in der Gesellschaft leben können.

Deutschland hat sich zur gleichbe-rechtigten Teilhabe am politischen, ge-

Inklusion DeutschlandweitInterview mit Hubertus Hüppe, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen

Hubertus Hüppe, geboren am 3.11.1956 in Lünen, verheiratet, drei Kinder, war von 1991 bis 2009 und ist seit dem 16. August 2012 Mitglied des Deutschen Bundes-tages. In der 17. Wahlperiode ist Hubert Hüppe der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen.

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sellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben bekannt. Es geht ins-besondere um Chancengleichheit in der Bildung, berufliche Inklusion und um die Aufgabe, allen die Möglichkeit für einen selbstbestimmten Platz in einer barrie-refreien Gesellschaft zu geben.

Bei der Umsetzung sind alle gefragt: Bund, Länder, Kommunen, Kirchen, Ver-bände und Vereine, Wirtschaft, Gewerk-schaften und Medien.

Wo sehen Sie die größten Herausfor-derungen für Deutschland auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft?

Die größte Herausforderung und zugleich die Basis für ein inklusives Miteinander ist ein grundlegender Mentalitätswech-

sel bei vielen Menschen. Häufig hindern Vorurteile und Vorbehalte daran, Bar-rieren in den Köpfen abzubauen. Diese Barrieren bestehen oft nicht aus böser Absicht, sondern weil nicht behinderte Menschen nie gelernt haben mit Men-schen mit Behinderung umzugehen.

Am besten gelingt der Abbau von Bar-rieren in den Köpfen, wenn Menschen mit und ohne Behinderungen von Anfang an zusammen aufwachsen, gemeinsam zum Kindergarten und zur Schule gehen, zusammen eine Ausbildung machen und arbeiten.

In welchen Bereichen ist die Koordi-nierungsstelle zurzeit aktiv, welche guten Erfahrungen gibt es und woran können Sie anknüpfen?

Die staatliche Koordinierungsstelle ist seit 2008 beim Beauftragten der Bundes-regierung für die Belange behinderter Menschen angesiedelt. Um die UN-Be-hindertenrechtskonvention umzusetzen übernimmt sie im Wesentlichen folgen-de Aufgaben: Sie bindet verschiedene Akteure ein, ist ein Forum für Informa-tion und Diskussion und als Schnittstelle

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zwischen Zivilgesellschaft und staatli-cher Ebene für Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung zuständig.

Um diese Aufgaben umzusetzen, wur-de ein Inklusionsbeirat eingerichtet. Der Inklusionsbeirat hat 15 Mitglieder, er wird von vier Fachausschüssen zu un-terschiedlichen Themengebieten unter-stützt. Inklusionsbeirat und Fachaus-schüsse werden von einer Geschäftsstelle beim Beauftragten der Bundesregierung koordiniert. Wichtig im Koordinierungs-prozess ist, dass hier immer Menschen mit Behinderungen entscheidend mitar-beiten, dass also im Koordinierungspro-zess selbst immer der inklusive Gedanke verwirklicht wird.

Die Koordinierungsstelle kann erste Erfolge vorweisen. Der Wissens- und

Ideenaustausch während und zwischen den Sitzungen an sich ist bereits ein großer Gewinn. Die Koordinierungsstel-le ermöglicht es übergreifende gemein-same Positionen zu erarbeiten. Bei den Sitzungen des Inklusionsbeirats und der Fachausschüsse eröffnen sich Kooperati-onsmöglichkeiten. Aktuelle Themen, die für Menschen mit Behinderungen wich-tig sind, werden so zugänglich, das ist vor allem für die Akteure wichtig, die sonst keinen direkten Bezug zu deren Belangen haben.

Welche Chancen sehen Sie speziell für Kommunen, die jetzt schon Inklusion vor Ort gestalten wollen? Und auch: Was könnten erste Ansätze sein?

Kommunen können eine Menge tun, um das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen nach vorne zu trei-ben, weil kommunal Aktive die Akteu-re vor Ort kennen. Viel kann im Klei-nen bewirkt werden, dazu kann man die gute Vernetzung vor Ort ausnutzen, in Vereinen, in Betrieben, in Nachbar-

schaften. Für die Verwaltungen bleibt weiter eine wichtige Aufgabe, auf Barri-erefreiheit zu achten: Gebäude, Straßen, Plätze, aber auch örtliche Verkehrspla-nung, städtebauliche Planung und auch Personalplanung. Um den Gedanken der Inklusion zu verwirklichen, ist es dabei immer entscheidend, Menschen mit Be-hinderungen einzubeziehen, denn sie sind die Experten.

Es gibt etliche Kommunen, die etwa eigene Aktionspläne entwickelt haben. Kommunen wirken in viele Lebensberei-che herein und sind für viele Bereiche zuständig; nicht umsonst spricht man von der „Allzuständigkeit der Kommu-nen“, die sogar verfassungsrechtlich ab-gesichert ist. Kommunen können örtliche Verkehrsplanung und städtebauliche Pla-nung so gestalten, dass Menschen mit Be-hinderungen sich barrierefrei selbst ver-sorgen und mobil sein können. Sie können ihre eigene Personalplanung so gestalten, dass Menschen mit Behinderungen eine Beschäftigungschance bekommen. Und natürlich haben Kommunen auch viele gute Kontakte zu Unternehmen, Vereinen

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und anderen gesellschaftlichen Gruppen. Sie können diese Kontakte nutzen und selbst für eine inklusive Gesellschaft vor Ort sorgen.

Gibt es etwas, dass Sie gerade den in der Kommunalpolitik Engagierten im Bezug auf Inklusion wünschen möchten?

Ich wünsche den in der Kommunalpolitik Engagierten, dass sie sich dem Thema Inklusion gegenüber noch mehr öffnen. Sie sind wichtige Akteure in der Kom-mune und können ihre Kontakte vor Ort mit Kirchen, Sozialpartnern, sozialen Dienstleistern, aber beispielsweise auch mit Sportvereinen oder anderen gesell-schaftlichen Gruppen nutzen, um Inklu-sion nach vorne zu bringen und ande-

re mitzunehmen. Die Botschaft lautet: Jeder kann Inklusion mitgestalten. Das kann auch eine Kirchengemeinde sein, die etwa gemeinsamen Kommunions- und Firmungsunterricht für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung anbietet.

Und noch einmal: wichtig ist die Be-teiligung von Menschen mit Behinderun-gen, nicht über die Köpfe behinderter Menschen hinweg zu entscheiden. Kom-munale Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention etwa können Umsetzungsschritte nicht erset-zen. Sie können aber den Weg bereiten zu diesen Umsetzungsschritten. Am bes-ten ist es, wenn die Umsetzungsschritte schon im Aktionsplan benannt werden. Sie sollten möglichst mit einem Umset-zungsdatum versehen sein, es kann im Aktionsplan etwa ein bestimmtes Ziel definiert werden, so könnte eine Kom-mune – je nach Zuständigkeit – den An-teil von abgesenkten Bordsteinen für Menschen im Rollstuhl, Ampeln mit akustischem Signal für sehbehinderte

Menschen oder barrierefreien öffentli-chen Gebäuden bis zu einem bestimm-ten Datum auf 100 % erhöhen.

Bloße Absichtserklärungen ohne Um-setzungsfrist sind nicht hilfreich. Natür-lich wird es Themen geben, bei denen bei der Erstellung des Aktionsplans kei-ne konkrete Einigung für konkrete Um-setzungsschritte erfolgt; dann sollte das Ziel zumindest umschrieben werden und nach der Erstellung des Aktionsplans wei-ter bearbeitet werden, um konkrete Um-setzungsschritte herauszuarbeiten.

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Inklusion ist in aller Munde. Auch bei der DPSG Köln und vor allem im Arbeitskreis

„All-in“, der hier für die Behindertenar-beit zuständig ist. Behindertenarbeit hat in der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg eine lange Tradition und ist neben den Handlungsfeldern Ökologie und in-ternationale Gerechtigkeit eine der drei Säulen der DPSG. Wir als Arbeitskreis ha-ben uns auf die Fahne geschrieben, al-

les zu geben, damit „Inklusion“ im Ver-band selbstverständlich wird. Aber das ist manchmal leichter gesagt, als getan …

Mit verschiedenen Angeboten haben wir immer wieder versucht, unsere Lei-terinnen und Leiter zu ermutigen und

offen zu sein, für das „Abenteuer“ Inklu-sion. Mit einem inklusiven Zeltlager der Roverstufe (Rover sind die 16–21 Jähri-gen Pfadfinderinnen und Pfadfinder), zu dem wir Jugendliche mit Behinderung einluden, machten wir einen großen Schritt in die richtige Richtung. Das La-ger stand unter dem Titel „RoverJam“. Es wurde ein Festival mit diversen Ange-boten rund um das Thema Kultur. Vom

Aktionpainting, über Fotokurse bis hin zur Stadterkundung wurden Workshops angeboten, die so gestaltet waren, dass Jeder daran teilnehmen konnte. Uns war im Vorhinein wichtig, nicht das Thema „Behinderung“ oder „anders sein“ in den Vordergrund zu stellen, sondern ein ganz normales Zeltlager anzubieten, was so barrierefrei war, dass es jedem Interessierten möglich war, daran teilzu-

Von dicken Brettern und langem AtemDer Diözesanarbeitkreis All-in der DPSG setzt sich für Inklusion ein

Felicitas Wewer, Sonderpädago-gin und Referentin des Diözesan-arbeitskreieses „All-in“ der Deut-schen Pfadfinderschaft St. Georg, DV Köln

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nehmen. Das Lager war ein voller Erfolg und das Fazit des Ganzen lautete: „Be-sonders war, dass es nichts besonderes war“. So geht Inklusion und so soll es auch weiter gehen!

Für verschiedene Ausbildungsveran-staltungen bereiteten wir unterschiedli-che Angebote rund um das Thema Inklu-sion vor, doch leider mussten wir diese alle mangels TeilnehmerInnen wieder absagen. Wir machten uns auf die Suche, nach Gründen und immer wieder beka-men wir die Antwort, dass das Wort „In-klusion“ im Titel der Veranstaltung schon so abschreckend sei, dass „man“ dann schon keine Lust mehr auf den Rest hät-te. „Schade eigentlich“, dachten wir und versuchten es mit provokanten Titeln, wie „Quotenbehinderter? – Nein danke!“.

Unsere Idee dazu: Inklu-sion bedeutet nicht Men-schen mit Behinderung auf Biegen und Brechen inte-grieren zu müssen. Inklu-sion soll keine Belastung für Leiterinnen und Leiter, sondern kann eine Berei-cherung für die Gruppe und möglicherweise den ganzen Stamm sein. Diese Veranstaltung sollte Lust auf mehr ma-chen, aber auch diese Veranstaltung fiel aufgrund weniger Anmeldungen aus.

Nach dieser langen „Durststrecke“ wurde uns klar: Inklusion geht nicht mit der Holzhammermethode. Inklusion kann man nicht alleine machen. Inklusi-on kann man nur gemeinsam leben. So, wie es einige Stämme in unserer Diöze-se schon vorbildlich tun!

Wir als Arbeitskreis wollen immer wieder dafür sorgen, dass sinnbildliche Türen im Alltag der Gruppenarbeit für Inklusion geöffnet werden. Wir werden Angebote schaffen, die unsere Leiterin-nen und Leiter für das Thema sensibili-

sieren und ihnen helfen, wenn Sie neues ausprobieren oder vor Ort eine inklu-sive Gruppe öffnen wollen. Aber auch, wenn sie im Rahmen von Inklusion an ihre Grenzen stoßen wollen wir als An-sprechpartnerInnen bereit stehen. Denn auch der Umgang mit Grenzen gehört zum Thema Inklusion dazu.

Wir tun weiterhin alles dafür, dass In-klusion irgendwann selbstverständlich wird und wir freuen uns über jeden der mitmacht, aber vielleicht braucht auch ein so großer Verband mehr Zeit und vielleicht passiert es … – hoffentlich bald!

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Inklusion ist in aller Munde, es wird viel darüber gesprochen. Doch was bedeu-tet Inklusion? Und wie kann es konkreter werden, wie umgesetzt werden?

Inklusion bedeutet, dass jeder von An-fang an dabei sein kann. Dazu müssen zunächst Hindernisse und Barrieren ab-gebaut und Zugänge ermöglicht werden. Dies ist ein Prozess, der in kleinen Schrit-ten gegangen werden muss. Ein erster

Schritt beginnt im Kopf (Kopfbarriere lö-sen). Es ist bedeutsam zu verstehen, dass jeder etwas einzubringen hat und mag es noch so gering erscheinen (vom defizit-orientierten zum ressourcenorientierten Denken) und es als „normal“ zu sehen,

verschieden zu sein. Des Weiteren ist es hilfreich zu erkennen, dass Inklusion kein Nebenschauplatz ist. So sind über 90 % der Handicaps NICHT von Geburt an.

Doch nun zu einem Praxisbeispiel, wie Inklusion in kleinen Schritten verwirk-licht werden kann:

Die Sporthelfer-Ausbildung des DJK Sportverbandes, dem Bildungsanbieter

im Bereich des Sports in Kirche. Es han-delt sich dabei um eine 30 Lerneinhei-ten umfassende Ausbildung, Spiel- und Sportangebote im Schulalltag (z. B. Pau-sensport) und in der Freizeit (z. B. Bewe-gungsspiele im Verein oder Verband) an-leiten und betreuen zu lernen. Seit zwei Jahren wird diese Qualifizierung auch an Förderschulen angeboten und ist mittler-weile inklusiv. So konnten in diesem Jahr

Inklusionaus der Praxis der DjK Diözesanverband Köln

Pascal Priesack, Dipl. Sportwiss. mit dem Schwerpunkt Sportökono-mie und Management, seit 2 Jah-ren als Sport- und Bildungsreferent beim DJK Sportverband DV Köln, Ehrenamtlich im CRUX aktiv.

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bereits drei Ausbildungen mit Schüler/in-nen von Förderschulen und Regelschulen gemeinsam durchgeführt werden. „Be-eindruckend zu erleben, wie die unsicht-baren Barrieren zwischen den Schülern gefallen sind“, so Daniel Wangler, Refe-rent der Ausbildung. Die gemeinsame Leidenschaft für den Sport hat die Schü-ler/innen zusammengeführt und eine Be-gegnung ermöglicht, die für beide Seiten sehr bereichernd war. Man ist sich nicht mehr fremd, hat Vorurteile abbauen können, konnte erfahren, dass gemein-samer Sport möglich ist. Die Sporthelfer/innen selbst können diese Erfahrungen nun weitergeben, sei es in ihren eigenen Übungsstunden oder in der Freizeit.

Darüber hinaus schult der DJK Sport-verband seit gut einem Jahr all diejeni-

gen, die sich für das Thema Inklusion und ihre praktische Umsetzung interessieren (bspw. Übungsleiter/innen, Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen). In einer praxisori-entierten Tagesveranstaltung werden die wesentlichen Aspekte heterogener Grup-pen thematisiert und methodisch-didakti-sche Schritte zur Durchführung verschie-dener Sport- und Bewegungsspiele für die Freizeit vermittelt (nächster Termin am 10.11.12/Infos unter www.djkdvkoeln.de). Eine gute Möglichkeit, sich für die inklu-

sive Arbeit zu rüsten und Unsicherheiten abzubauen.

„Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen ist es schwer“ (Seneca)

In diesem Sinne wünsche ich uns allen Mut und Gelassenheit für die ersten Schritte, und mögen sie auch noch so klein sein.

Pascal Priesack

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Rat & TatFür Fragen & Anregungen, aber auch mit Informationen & Unterstützung steht Euch die BDKJ Diözesanstelle zur Verfügung

Ansgar KestingReferat für Jugend- und

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Fon: +49 (0) 221 1642-6212 · Fax: [email protected] · www.bdkj-dv-koeln.de

Downloads & LinksBundesministerium für Arbeit und So-ziales, hier: Nationaler Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/ a740-aktionsplan-bundesregierung.html

Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung www.behindertenbeauftragter.de

Beauftragter der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behin-derung Behindertenbeauftragter NRW www.lbb.nrw.de/

VdK Bayern, Integration und Inklusion vdk.de/cgi-bin/cms.cgi?ID=by26741

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