12
Innovationen im Dialogmarketing Michel Clement 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken ................................................145 2 Motivation der Sender und Empfänger von Word-of-Mouth .........................................146 2.1 Sendermotive ..........................................................................................................................146 2.2 Empfängermotive ...................................................................................................................147 3 Erfolgswirksamkeit von Word-of-Mouth in sozialen Netzwerken ................................148 4 Seeding-Strategien ..................................................................................................................151 5 Hubs .........................................................................................................................................152 6 Implikationen ..........................................................................................................................153 Literatur ..........................................................................................................................................154 Prof. Dr. Michel Clement, Lehrstuhl für Marketing und Medienmanagement, Institut für Marketing und Medien, Research Center for Media and Communication, Universität Hamburg. Der Autor bedankt sich an dieser Stelle sehr herzlich bei dem SVI für die hervorragende Kooperation mit dem Institut für Marketing und Medien an der Universität Hamburg. J. Gerdes et al. (Hrsg.), Dialogmarketing im Dialog, DOI 10.1007/978-3-658-02000-2_9, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

Michel Clement 143

Innovationen im Dialogmarketing

Michel Clement

1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken ................................................ 145

2 Motivation der Sender und Empfänger von Word-of-Mouth ......................................... 1462.1 Sendermotive .......................................................................................................................... 1462.2 Empfängermotive ................................................................................................................... 147

3 Erfolgswirksamkeit von Word-of-Mouth in sozialen Netzwerken ................................ 148

4 Seeding-Strategien .................................................................................................................. 151

5 Hubs ......................................................................................................................................... 152

6 Implikationen .......................................................................................................................... 153

Literatur .......................................................................................................................................... 154

Prof. Dr. Michel Clement, Lehrstuhl für Marketing und Medienmanagement, Institut für Marketing und Medien, Research Center for Media and Communication, Universität Hamburg.

Der Autor bedankt sich an dieser Stelle sehr herzlich bei dem SVI für die hervorragende Kooperation mit dem Institut für Marketing und Medien an der Universität Hamburg.

J. Gerdes et al. (Hrsg.), Dialogmarketing im Dialog,DOI 10.1007/978-3-658-02000-2_9, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Page 2: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

144 Innovationen im Dialogmarketing

Abstract

Das Dialogmarketing steht durch technische Innovationen vor massiven Veränderungen. Vor allem die digitale Kommunikation in sozialen Netzwerken rückt zunehmend in den Fokus des Dialogmarketing und stellt neue Herausforderungen an das Management. Diese bestehen insbesondere in der Analyse der sozialen Struktur der Kommunikation und den Beziehungen der Akteure zueinander. Die Kernaufgaben in der Initiierung eines Dialoges im Rahmen von sozialen Netzwerken liegen darin, (1) diejenigen Personen im Netzwerk zu identifizieren, die als „Superspreader“ fungieren und (2) diese dann so zu motivieren, dass sie sich als Multiplikatoren im Netzwerk einsetzen.

Page 3: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

Michel Clement 145

1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken

Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“ bekommt durch technische Neuerungen mehr Gewicht im Rahmen der Kommunikation. Die persönliche Struktur der Kommunikation in sozialen Netzwerken kann durch die digitale Übertragung des Inhalts über diverse Kommunikationskanäle besser abgebildet werden. Vor allem die (mobile) Kommunikation per Sprache, E-Mail oder Messaging Dienste wird zunehmend in den sozialen Netzwerken wie Xing oder Facebook gemessen und zur Abbildung der sozialen Netzwerkstruktur genutzt (z.B. Barrot, Becker & Clement, 2011). Die Digitalisierung ermöglicht es Unternehmen, effizienter mit Kunden (und Nicht-Kunden) in den Dialog zu treten bzw. den Dialog zu initiieren und ggfs. zu steuern.

Die technischen Neuerungen bilden damit die Basis eines immer mehr in den Vordergrund drängenden Word-of-Mouth (WOM)-Marketing. Mund-zu-Mund-Progaganda ist am wirkungsvollsten, wenn im zwischenmenschlichen Dialog Argumente diskutiert werden und der Rezipient von dem Sender überzeugt (und nicht überredet) wird. In der Psychologie spricht man von der „zentralen Route“ der Informationsverarbeitung. Hierbei sind die Empfänger von Informationen in der Lage und willens, die Informationen kognitiv abzuwägen und zu verarbeiten. Nur dann kommt es gemäß des Elaboration-Likelihood-Models zu langfristig stabilen Einstellungen (Petty & Cacioppo, 1986). Daher versuchen zahlreiche Firmen WOM-Kampagnen in sozialen Netzwerken zu initiieren. Idealerweise leitet die Nachricht ein Freund (und nicht die absendende Firma) an seine Freunde weiter. Damit wird die Glaubwürdigkeit gesteigert, denn dem Freund wird kein kommerzielles Interesse unterstellt, wohingegen ein Empfänger eine Nachricht von einer Firma eher als Werbung wahrnimmt. Entsprechend wird der Empfehlung eines Freundes eher wohlwollend gefolgt und die Empfehlung wird nachhaltiger gespeichert.

Die Kernherausforderung der Initiierung eines Dialoges im Rahmen von sozialen Netzwerken besteht darin, diejenigen Personen im Netzwerk zu identifizieren, die als „Superspreader“ fungieren. Das Superspreader-Prinzip ist der Medizin bzw. Biologie entnommen und kann sehr plastisch in Bezug auf die Verbreitung von Viren dargestellt werden (Lloyd-Smith et al. 2005). Das Hanta Virus wird häufig von Mäusen übertragen. Im Rahmen eines Experimentes wurden in den USA freilebende Hirschmäuse, die sehr häufig das Virus übertragen, von Wissenschaftlern eingefangen und individuell zurechenbar mit unterschiedlichen Farbpartikeln markiert (Clay et al. 2009). Diese Partikel werden durch Kontakt von einer Maus auf die andere übertragen. Nach ein paar Monaten wurden die Mäuse eingefangen und die an ihnen haftenden Farbpartikel analysiert. Das Ergebnis war, dass 75,4 % der Zusammentreffen von Mäusen von nur 17,5% der Mäuse initiiert wurden. Dieses Ergebnis stützt die 80/20-Regel, die besagt, dass viele Personen (80 %) von einigen wenigen (20 %) angesteckt werden. Die hohe Aktivität einer relativ kleinen Anzahl von Individuen führt demnach zu einer schnellen und massiven Ausweitung von Viren (z.B.

Page 4: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

146 Innovationen im Dialogmarketing

SARS oder AIDS; Clay et al. 2009). Die Ergebnisse der Epidemiologie können problemlos auf das Dialogmarketing übertragen werden - allerdings mit einem anderen Ziel. Im Marketing sollen gerade die Superspreader identifiziert und motiviert werden, um eine Zielbotschaft möglichst nachhaltig und umfassend zu übertragen.

Für das Dialogmarketing lassen sich entsprechend folgende Herausforderungen ableiten:

Identifikation von Superspreadern in sozialen Netzwerken.

Motivation von Superspreadern zur Übertragung einer Botschaft.

Diese Herausforderungen können nur mit einem Verständnis bezüglich der Psychologie der Kommunikation (warum sprechen Personen über Dinge) und bezüglich des Kommunikationsverhaltens innerhalb von sozialen Netzwerken gemanagt werden. Nur dann können erfolgreiche Dialogmarketingstrategien, in denen viele Personen positiv über ein Produkt sprechen, initiiert werden.

2 Motivation der Sender und Empfänger von Word-of-Mouth

2.1 Sendermotive

Das zentrale Motiv einer Person einer anderen etwas über die eigenen Produkterfahrungen zu erzählen ist, dass der Sender einen Nutzen aus dieser Kommunikation ziehen kann. Dichter (1966) unterscheidet vier Motive, die empirisch gestützt werden (z.B. Berger & Heath 2007):

Produkt-Involvement: Die schiere Freude über die Nutzung eines Produktes oder Services führt häufig dazu, dass Personen über das Produkt sprechen. Die Begeisterung über die Eigenschaften des Produkts schwappt nahezu über und führt bei einer unerwartet positiven Nutzungserfahrung dazu, dass sich der Sender nach außen (z.B. via Facebook) mit der Message exponiert. Interessanterweise gilt dieser Effekt auch bei produktspezifischen Vorankündigungen der Markteinführung eines neuen Produktes. Bereits vor Produkt-Release (z.B. bei Apple) entsteht so ein Hype durch die Vorfreude der „Apple-Jünger“. Auch die Filmindustrie weiß dies geschickt für sich zu nutzen und bietet Kampagnen für Facebook an, die eine Exponierung der Person mit dem Produkt unterstützt (siehe Abbildung 2.1 für die Facebook-Kampagne für den Hobbit-Film).

Selbst-Involvement: Die Kommunikation über Produkte oder Services kann auch dem Ziel dienen, sich gegenüber anderen zu positionieren. Vor allem Produkte, die über ihr Markenimage als anerkanntes Symbol gelten (z.B. Harley Davidson oder Rolling Stones), können sich zu eigen gemacht werden. Hierbei werden Spill-Over-Effekte der

Page 5: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

Michel Clement 147

Marken auf die eigene Person in sozialen Netzwerken genutzt. Dies geht in Online-Medien sehr einfach, indem „coole“ Marken geliked werden und so zum Bestandteil des eigenen Profils werden.

Dritten-Involvement: Das Gefühl, anderen etwas geben zu wollen, ist ebenfalls ein zentrales Motiv von Mund-zu-Mund-Aktionen. Hierbei wird die Empfehlung quasi als „Geschenk“ stilisiert, mit dem Ziel, anderen etwas „Gutes zu tun“. Geheimtipps oder Neuentdeckungen, die von hohem spezifischen Nutzen für eine befreundete Person sind, werden mit Freude weitergegeben.

Message-Involvement: Dialoge können auch durch Produktpräsentationen in der Werbung stimuliert werden. Hierbei ist es nicht zwingend erforderlich, dass eigene Erfahrungen vorliegen. Vielmehr wird über die Message (z.B. eine innovative oder provokante Werbung) gesprochen. Vor allem diese Form des Involvements kann in Verbindung mit dem Produkt-Involvement zu sehr starken sich selbst tragendenen Effekten führen, da die Originalnachricht (z.B. ein YouTube Video) weitergeleitet wird und so über eine Vielzahl von Sendern im Netzwerk diffundieren kann (siehe auch Ab-bildung 2.1).

Abbildung 2.1 Facebook-Kampagne des Filmes „Der Hobbit“ (Pfeil zeigt auf das Foto der postenden Person)

Quelle: Cinemaxx Banner bei Facebook

2.2 Empfängermotive

Um ein effektives Dialogmarketing im Rahmen einer Social-Media-Kampagne zu erreichen, müssen die Empfänger motiviert sein, dem Sender zuzuhören. Im Wesentlichen sind zwei

Page 6: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

148 Innovationen im Dialogmarketing

Kernvoraussetzungen maßgeblich für die Neigung des Empfängers dem Sender zuzuhören:

Keine kommerziellen Interessen des Senders. Je unabhängiger der Sender wahrgenommen wird, desto vertrauenswürdiger ist er (Dichter, 1966).

Glaubwürdigkeit des Senders. Bringt der Sender seine Erfahrungen mit dem Produkt bzw. Service glaubwürdig in die Diskussion ein, dann kann durch Expertenwissen die wahrgenommene Kompetenz des Senders steigen.

Die Motivation beim Empfänger, die Message zu verarbeiten, hängt wesentlich vom sozia-len Gruppengefüge zwischen Empfänger und Sender ab. Hierbei sind digitale soziale Netzwerke von besonderem Nutzen, da dort die sogenannten „influential groups“ messbar werden. In der Literatur (u.a. Dichter 1966) werden vier Personengruppen unterschieden, die eine erfolgreiche Empfehlung abgeben können: (1) Personen, die ein Interesse am Wohlbefinden des Empfängers haben (d.h. Familie oder Freunde); (2) Personen, die ein hohes Maß an Ähnlichkeit bezüglich des Geschmacks, Lebenssituation, Lebensstil etc. auf-weisen; (3) kommerzielle Vorbilder, wie z.B. Stars oder Experten; (4) Personen, die einen Beweis mit sich führen, der sie hinsichtlich der Message glaubwürdig macht.

Daraus lässt sich für das Dialogmarketing ableiten, dass zum einen mit den Marketingin-strumenten ein Produktinvolvement mit Symbolwert erzielt werden muss. Idealerweise wird dies durch eine intelligente Kommunikation (z.B. Videos) erreicht, die gesprächsanre-gend ist. Zum anderen muss sich der Absender der Nachricht in die Lage des Empfängers versetzen und entweder mit ihm befreundet sein oder aber wissen, wie er die Freunde ersten oder zweiten Grades erreichen kann, damit diese dann als Absender auftreten. Zwingend erforderlich hierfür ist eine uneingeschränkte, authentische Beziehung des Sen-ders mit dem Produkt.

3 Erfolgswirksamkeit von Word-of-Mouth in sozialen Netzwerken

Die hohe Relevanz des Dialogmarketing in sozialen Netzwerken rückt in aktuellen Unter-suchungen immer mehr in den Fokus. Bond et al. (2012) untersuchen in dem wohl größten Experiment die Wirkung von Marketingmaßnahmen in sozialen Netzwerken. Konkret analysieren sie, wie eine politische Kampagne bei Facebook das Verhalten der Empfänger beeinflusste. Auf Basis eines Feldexperiments mit über 61 Millionen Teilnehmern stellen die Autoren fest, dass ein Wahlaufruf in den USA, der auf Facebook gepostet wurde, das Ver-halten der Empfänger direkt beeinflusste. Interessant ist allerdings weniger der unmittelba-re Werbeeffekt, als vielmehr die Wirksamkeit der Beeinflussung von direkten Freunden (1. Grad) und deren Freunden (2. Grad) durch die Kampagne. Die soziale Beeinflussung von direkten Freunden war wirksamer als der Aufruf selbst. D.h., die Kampagne wirkte stärker auf das Wahlverhalten, wenn sie von einem Kontakt weitergegeben wurde. Interes-santerweise wurde die Information vor allem an enge Freunde weitergegeben, sodass die

Page 7: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

Michel Clement 149

Empfehlung nicht nur von irgendeinem Bekannten, sondern von einem engen Bekannten kam.

Die Ergebnisse der Studie zeigen die immense Erfolgswirksamkeit des Dialogmarketing auf. Nachrichten, die sich für die Weiterleitung eignen, können durch die soziale Kompo-nente erheblich an Erfolg gewinnen. Allerdings ist die Basis eines erfolgreichen Dialogmar-ketings in innovativen Netzwerken eine Analyse der Netzwerkbeziehungen.

Ein soziales Netzwerk besteht aus mindestens zwei Personen, die eine soziale Beziehung haben. Die Art dieser Beziehung und die Implikationen daraus sind für erfolgreiches Dia-logmarketing zentral. Formen von sozialen Beziehungen lassen sich vielfach messen - zu-meist werden sie aber nach dem Konzept des Soziologen Granovetter (1973) in zwei Typen (strong und weak ties) unterschieden, die von vier Faktoren abhängen: (1) verwendete (gemeinsame) Zeit der Akteure, (2) die emotionale Intensität dieser verbrachten gemeinsa-men Zeit, (3) die Intimität in Form von Vertrauen und Verständnis und (4) die Reziprozität im Handeln, das durch die gemeinsame Interaktion gestützt ist.

Abbildung 3.1 Mikro-Level soziale Beziehungen

Je nach Ausprägung der Ties bestehen enge (Strong Ties) oder lose (Weak Ties) Beziehun-gen zwischen den am Netzwerk beteiligten Akteuren. Abbildung 3.1 zeigt die grundle-gende Annahme Granovetters (1973) auf. In seinem Mikromodell sind drei Akteure A, B und C gegeben. A unterhält mit B und C jeweils eine starke Beziehung. Zwischen B und C existiert keine Beziehung (Forbidden Triad). Granovetter (1973) argumentiert, dass diese fehlende Beziehung jedoch unwahrscheinlich ist, denn mit zunehmender Intensität einer Beziehung ist die Wahrscheinlichkeit gemeinsamer Freunde sehr groß, sodass zügig neue Beziehungen entstehen und sich B und C schnell kennenlernen.

Die Überlegungen Granovetters (1973) zeigen auf, dass vor allem die Weak Ties eine zent-rale Rolle bei der Diffusion von Informationen in einem sozialen Netzwerk haben

A

C

B

New tieStrong ties

Existieren enge Beziehungen zwischen A-B und A-C, ist die Zeitdauer, die C mit B verbringt (teilweise) von der Zeitdauer abhängig, die A mit B und C verbringt.Haben C und B keine Beziehung, können gemeinsame starke Beziehungen (strong ties) mit A Interaktionen zwischen C und B fördern und eine Beziehung herstellen.Theorie der kognitiven Balance: Existieren starke Kanten zwischen A-B und A-C (psychological consistency) und B und C haben Kenntnis voneinander, versuchen B und C sich kongruent aufeinander einzulassen.

Page 8: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

150 Innovationen im Dialogmarketing

(Abbildung 3.2). Je mehr Weak Ties ein Individuum besitzt, desto stärker ist die Brücken-funktion, die den Informationsfluss zwischen den unverbundenen Gruppen sichert. Ent-sprechend können neue, weiter entfernte Zielgruppen (bzw. Subnetzwerke) im System erreicht werden. Sofern in den weiter entfernten Bereichen eine Person durch eine Weak Tie erreicht wurde, kann diese dann direkt ihre eigenen Strong Ties weiter „anstecken“.

Die immense Relevanz von Weak Ties bei der schnellen Diffusion von Informationen zeigt sich in zahlreichen Simulationen und empirischen Studien. Vor allem in Simulationsstudi-en, in denen soziale Beziehungen über die räumliche Distanz von Objekten approximiert werden, wird gezeigt, dass Weak Ties die Geschwindigkeit der Diffusion einer Neuerung in einem sozialen System erheblich steigern (z.B. Goldenberg, Libai & Muller, 2001).

Abbildung 3.2 Die Stärke der Weak Ties

Interessanterweise wurden die Daten, die die Tie-Struktur des Netzwerkes abbilden, bis-lang kaum systematisch für das Dialogmarketing aufbereitet. Zwar arbeiten die sozialen Netzwerke wie etwa Facebook mit Hochdruck an der Aufbereitung ihres Netzwerkes, allerdings sind die Beziehungsebenen bislang nur sehr rudimentär erfasst bzw. vermarktet. Die Methoden der sozialen Netzwerkanalyse bieten jedoch zahlreiche Optionen zur Be-stimmung von relevanten Knotenpunkten im Netzwerk (Wassermann & Faust, 2008).

Für das Dialogmarketing ist es zentral, die Struktur eines sozialen Netzwerkes zu kennen. Nur so können gezielt Personen innerhalb eines Netzwerkes identifiziert werden, die schnell die Zielnachricht innerhalb des sozialen Netzwerkes verbreiten. Entsprechend wird nach der optimalen „Seeding-Strategie“ gesucht, in der die Datenanforderungen an die Struktur des Netzwerkes nicht zu komplex sind (Hinz et al., 2011).

Brücke: Kante in einem Netzwerk, die die einzige Verbindung zwischen zwei Knoten herstellt, nur weak ties können Brücken seinIn großen Netzwerken kommt es (in der Praxis) eher selten vor, dass eine bestimmte Kante die einzige Verbindung zwischen zwei Knoten herstelltA

Local bridges

B

D

E

C

Page 9: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

Michel Clement 151

4 Seeding-Strategien

Als Erfolgsfaktoren von viralen Kampagnen gelten in der Regel Inhalte, die möglichst un-gewöhnlich, witzig, unterhaltsam oder lukrativ sein sollen (Berger & Milkman, 2012). Dies wird oftmals mit Anreizen zur Weiterleitung (z.B. Coupons, Preisausschreiben, finanzielle Anreize) verknüpft (Berger & Schwarz, 2011). Neben diesen beiden zentralen Aspekten ist die Seeding-Strategie von höchster Relevanz. Hierbei geht es um die optimale Auswahl von Personen, die die größtmögliche Reichweite in einem sozialen Netzwerk haben (Hinz et al. 2011). Diese Daten sind vergleichsweise einfach zu erheben, sofern es nur darum geht, die Anzahl der Kontakte einer Person zu zählen. Sobald die Kontakte jedoch gewichtet werden sollen, steigt die Anforderung an die Daten substanziell an.

Abbildung 4.1 Strategische Optionen des Seedings

Quelle: Hinz et al., 2011

Strategieoption 1: High-Degree-Seeding: Annahme: Seeding von Personen mit vielen Kontakten (High-Degree) erzielt die größte Reichweite bei viralen Marketing-Kampagnen

High-Degree

Strategieoption 2: High-Betweenness-SeedingAnnahme: Seeding von Personen, die als Brücken oder Intermediäre zwischen Subnetzwerken agieren (High-Betweenness), erzielt die größte Reichweite bei viralen Marketing-Kampagnen

High-Betweenness

Page 10: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

152 Innovationen im Dialogmarketing

Prinzipiell werden zwei zentrale Strategien als sinnvoll erachtet (Abbildung 4.1). Die in Abbildung 4.1 dargestellten Strategien wurden in Hinz et al. (2011) mit zwei Experimenten und einem Feldversuch zu einem zufälligen Seeding und einem Low-Degree-Seeding verglichen. Die Ergebnisse sind konsistent und zeigen, dass zentrale Personen (High-Degree) sowie Personen mit Brückenfunktion (High-Betweenness) sich sehr gut für das Seeding eignen. Daraus folgt, dass Unternehmen Informationen über die soziale Position von Personen für das Seeding bei viralen Marketingkampagnen nutzen sollten. Der Vorteil hierbei liegt darin, dass die Position einer Person in einem Netzwerk relativ gut bestimmt werden kann. Zum Beispiel ist es relativ einfach den „Degree“ einer Person in einem digital betriebenen Netzwerk zu ermitteln - Xing oder Facebook können relativ einfach diese Maß-zahl für ihre Kunden generieren. Entsprechend ist es von sehr hoher Relevanz „Hubs“ im Netzwerk für sich zu gewinnen.

5 Hubs

Als Hub gelten Personen, die über außergewöhnlich viele Kontakte verfügen. Generell wird unterstellt, dass einflussreiche Personen drei zentrale Eigenschaften aufweisen. Zum einen wird unterstellt, dass sie charismatisch und überzeugend die Nachricht zielgerichtet transportieren. Zum anderen weisen Sie Expertenwissen auf. Schließlich sind sie „gut ver-drahtet“ - d.h., sie verfügen über zahlreiche Verbindungen in einem sozialen Netzwerk und stellen einen „Hub“ dar (Watts & Dodds, 2007; Goldenberg et al., 2009).

Die zentrale Frage ist jedoch, ob diese Hubs früher oder später eine Innovation überneh-men. Idealerweise übernehmen Hubs sehr früh eine Innovation, sodass ihr Netzwerk schnell von der Übernahme erfährt und ein Imitationsverhalten initiiert wird (Watts & Dodds, 2007). Damit wird der Diffusionsprozess durch das Zusammenspiel zwischen In-novatoren und Imitatoren beschleunigt.

Goldenberg et al. (2009) identifizieren auf Basis von koreanischen Netzwerkdaten zwei Typen von Hubs: Innovatoren- und Imitatoren-Hubs. Sie zeigen einerseits, dass Innovato-ren-Hubs sehr früh adoptieren und einen hohen Einfluss auf die Diffusionsgeschwindigkeit aufweisen. Andererseits haben Imitatoren-Hubs einen zentralen Einfluss auf die Marktgrö-ße. Interessanterweise sind Innovatoren-Hubs nicht notwendigerweise bezüglich ihrer Persönlichkeit innovativer, sondern werden durch ihre zahlreichen Verbindungen schneller durch andere Personen, die noch früher adoptieren, beeinflusst. Die Vielzahl der Verbin-dungen führt beim Innovatoren-Hub zu zahlreichen Impulsen, die dann weitergegeben werden. Dies hat zur Folge, dass die Motivation von Innovatoren-Hubs nicht per se durch ihre persönliche Eigenschaft als Innovator im Sinne der Adoptionstheorie getrieben ist. Vielmehr müssen diese durch kommunikative Maßnahmen frühzeitig eingebunden (bzw. überzeugt) werden. Das gelingt durch die Motivation von Innovatoren, die einen sozialen Druck auf den Innovatoren-Hub ausüben. Eine derartige Vorgehensweise, gekoppelt mit Anreizen bzw. nutzenstiftenden Elementen bei der Ansprache von Hubs, kann den Diffusi-onsprozess beschleunigen.

Page 11: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

Michel Clement 153

Die gezielte Einbindung von Hubs in die Kommunikation ist ein zweischneidiges Schwert. So werden systematisch Personen in Netzwerken gesucht, die sich früh und nachhaltig mit ihrem großen persönlichen Netzwerk in die Kommunikation einbringen. Sobald diese Hubs identifiziert sind, werden sie (z.B. in der Modeindustrie) mit Musterartikeln beliefert - in der Hoffnung, dass sie darüber sprechen. Je auffälliger sich diese jedoch von den Firmen vereinnahmen lassen, desto schneller schwindet ihre Relevanz. Denn ein Empfänger einer Message übernimmt diese nur dann zentral, wenn er dem Sender keine kommerziellen Interessen unterstellt und ihn für glaubwürdig hält. Entsprechend ist es wichtig, dass der Hub als unabhängig wahrgenommen wird und weiterhin glaubwürdig bleibt.

6 Implikationen

Virale Kampagnen haben zentrale Vorteile, die sie für das Dialogmarketing so attraktiv machen:

Bekannte Absender besitzen eine höhere Glaubwürdigkeit beim Empfänger als anony-me Absender.

Bekannte Absender umgehen Spam-Filter und weisen so eine höhere Empfangswahr-scheinlichkeit auf.

Kommt eine virale Kampagne erst einmal in Fahrt, so entstehen relativ geringe variable Kosten, weil der Versand der Message durch die Akteure im sozialen Netzwerk voran-getrieben wird.

Entsprechend stehen bei zahlreichen Unternehmen virale Aktionen im Fokus (Berger & Milkman, 2012; Berger & Schwartz, 2011). Allerdings stellen diese Kampagnen zentrale Herausforderungen an das Dialogmarketing. Viral werden Inhalte nur, wenn sie dem Ab-sender einen Nutzen stiften können. Dies wird durch vier zentrale Involvement-Faktoren erreicht: (1) Produkt-, (2) Selbst-, (3) Dritt- und (4) Message-Involvement. Insofern ist das Dialogmarketing zentral vom Produkterlebnis abhängig, das entweder zu Begeisterungs-stürmen führt (Produkt-Involvement) oder sich als Signal zur Selbstpositionierung eignet (Selbst-Involvement). Allerdings kann das Dialogmarketing auch Messages kreieren, die ein Gespräch initiieren (Message-Involvement). Diese Aspekte lassen sich testen. Z. B. bietet Metrixlab Analysen an, bei denen Kampagnen im Test-Channel bei YouTube von Nutzern evaluiert werden und danach deren Weiterleitungsintention gemessen wird. Kombiniert mit Daten zum tatsächlichen Weiterleitungsverhalten, können so bereits vor dem großem „Roll-out“ Kampagnen hinsichtlich ihrer Viralität umfassend geprüft werden.

Neben der Sendermotivation muss sichergestellt werden, dass die Empfänger ebenfalls motiviert sind, die Message aufzunehmen. Entsprechend darf der kommerzielle Aspekt des Absenders oder der in den Kommunikationsprozess eingebundenen Hubs nicht offen-sichtlich sein. Nur wenn der Absender als glaubwürdig angesehen wird, greifen die oben genannten Vorteile bei viralen Aktionen.

Page 12: Innovationen im Dialogmarketing...Michel Clement 145 1 Herausforderungen durch Innovationen in Netzwerken Das Dialogmarketing steht vor einer zentralen Herausforderung. Das Wort „Dialog“

154 Innovationen im Dialogmarketing

Virale Aktionen müssen zielgerichtet in das soziale Netzwerk eingespeist werden. Analysen zum optimalen Seeding zeigen, dass schon relativ einfach umzusetzende Strategien zur Identifikation von Superspreadern erfolgversprechend sein können. Die gezielte Motivation von Personen, die über viele Kontakte verfügen, kann zu schnellen Ausbreitungsprozessen führen. Idealerweise haben diese Superspreader neben zahlreichen Strong Ties auch eine Vielzahl von Weak Ties, um so die Nachricht auch in äußere Bereiche des sozialen Netzwerkes zu transportieren. In der Regel geht das auch unmittelbar mit einer schnellen Verbreitung in unterschiedlichen räumlichen Regionen einher.

Entsprechend muss sich das Dialogmarketing in der Zukunft sehr viel stärker als zuvor mit den sozialen Netzwerken und den persönlichen Beziehungen der Akteure untereinander auseinandersetzen. Nur so können die relevanten Knoten im Netzwerk (1) entdeckt, (2) angesprochen und (3) zur Weitergabe motiviert werden. Wenn sie es dann allerdings tun, kann es zu sehr starken Nachfrageeffekten kommen.

Literatur

Barrot, C., Becker, J.U. & Clement, M. (2011). Entrepreneurial Marketing in Online-Netzwerken. Zeit-schrift für Betriebswirtschaft, 81 (Special Issue 6), S. 5–25.

Berger, J. & Heath, C.E. (2007). Where Consumers Diverge from Others: Identity Signaling and Product Domains. Journal of Consumer Research, 34, S. 121-34.

Berger, J. & Milkman, K. (2012). What Makes Online Content Viral? Journal of Marketing Research, 49 (2), S. 192-205.

Berger, J. & Schwartz, E. (2011). What Drives Immediate and Ongoing Word-of-Mouth? Journal of Marketing Research, 48 (5), S. 869-880.

Bond, R.M., Fariss, C.J., Jones, J.J., Kramer, A.D.I., Marlow, C., Settle, J.E. &. Fowler, J.H. (2012). A 61-million-person experiment in social influence and political mobilization. Nature, 489, S. 295-298.

Clay, C.A., Lehmer, E.M,. Previtali, A, St. Jeor, S. & Dearing, M.D. (2009). Contact heterogeneity in deer mice: implications for Sin Nombre virus transmission. Proceedings of the Royal Society Biology Sci-ences, 276 (April 7), S. 1305-1312.

Dichter, E. (1966). How Word of Mouth Advertising Works. Harvard Business Review, November-Dezember, S. 147-166.

Goldenberg, J., Libai, B. & Muller, E. (2001). Talk of the Network: A Complex Systems Look at the Underlying Process of Word of Mouth. Marketing Letters, 12, S. 211-23.

Goldenberg, J., Han, S., Lehmann, D.R. & Hong, J.W. (2009). The Role of Hubs in the Adoption Pro-cesses. Journal of Marketing, 73 (March 2009), 1–13.

Granovetter, M.S. (1973). The Strength of Weak Ties. American Journal of Sociology, 78, S. 1360-1380. Hinz, O., Skiera, B., Barrot, C. & Becker, J.U. (2011). Seeding Strategies for Viral Marketing: An Empiri-

cal Compariso. Journal of Marketing, 75 (4), S. 55-71. Lloyd-Smith, J.O., Schreiber, S.J., Kopp, P.E. & Getz, W.M. (2005). Superspreading and the effect of

individual variation on disease emergence. Nature, 438, S. 355-359. Petty, R.E. &. Cacioppo, J.T (1986). The Elaboration Likelihood Model of Persuation. Advances in

Experimental Social Psychology, 19, S. 123-192. Watts, D.J. & Dodds, P.S. (2007). Influentials, Networks, and Public Opinion Formation. Journal of

Consumer Research, 34 (December), S. 441-458. Wassermann, S. & Faust, K. (2008). Social Network Analysis. Cambridge University Press.