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Leseprobe Sager, Peter Englische Gartenlust Von Cornwall bis Kew Gardens Mit zahlreichen Farbfotografien © Insel Verlag insel taschenbuch 4133 978-3-458-35833-6 Insel Verlag

Insel Verlag - bücher.de · Umschlagfoto: Robert Harding/Masterfile insel taschenbuch 4133 Erste Auflage 2012 Insel Verlag Berlin 2012 Schçffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH,

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Leseprobe

Sager, Peter

Englische Gartenlust

Von Cornwall bis Kew Gardens

Mit zahlreichen Farbfotografien

© Insel Verlag

insel taschenbuch 4133

978-3-458-35833-6

Insel Verlag

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»Wir sind aus einem Garten vertrieben, so erz�hlt es die biblische Ge-schichte. Seither suchen wir das Paradies. Auf dem Weg dorthin gibtes englische G�rten.« Peter Sager

Wer nur einmal einen englischen Garten gesehen hat, erliegt demCharme der Atmosph�re alter Landsitze, der �berw�ltigenden Vielfaltder Blumen, Kr�uter und akkurat geschnittenen Hecken.

In Englische Gartenlust erz�hlt Peter Sager von zwanzig G�rten –mit Lust, großer Kenntnis und feinem englischem Witz. Er stellt Blu-men- und Landschaftsg�rten vor, K�nstlerg�rten, Collegeg�rten, Ho-telg�rten und Kr�uterg�rten, mittelalterliche, botanische, private, ver-wunschene, exotische und am Ende g�nzlich verlorene G�rten.

Peter Sager, geboren 1945, gilt als profunder Kenner der BritischenInseln. Von 1975 bis 1999 arbeitete er als Reporter der Zeit, seitdemals freier Autor. 1989 wurde er mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis aus-gezeichnet. Peter Sager lebt in Hamburg.

Von ihm sind im insel taschenbuch außerdem erschienen: England,mein England (it 3180),Oxford. Eine Kulturgeschichte (it 3334),Cam-bridge. Eine Kulturgeschichte (it 3335) und Englische Landschaften(it 3613).

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insel taschenbuch 4133Peter Sager

Englische Gartenlust

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Sutton Place

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Peter SagerEnglische Gartenlust

Von Cornwall bis Kew Gardens

Mit zahlreichen Farbfotografiendes Autors

Insel Verlag

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Umschlagfoto: Robert Harding/Masterfile

insel taschenbuch 4133Erste Auflage 2012

Insel Verlag Berlin 2012� Schçffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH,

Frankfurt am Main 1999Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere dasdes çffentlichen Vortrags sowie der �bertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch VerlagUmschlaggestaltung: b�ros�d, M�nchenSatz: H�mmer GmbH, Waldb�ttelbrunn

Druck: Kçsel, KrugzellPrinted in Germany

ISBN 978-3-458-35833-6

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Inhalt

Flora im Kristallpalast · Kew Gardens . . . . . . . 11Die Blumen des Toten · Derek Jarman in

Dungeness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25Sir Geoffreys kleine Wassermusik · Zwei Jellicoe-

G�rten: Sutton und Shute . . . . . . . . . . . . 34Kçnigin der Blumenrabatten · Gertrude Jekyll . . . 45Ein Platz f�r Zier-Eremiten · Painshill Park

in Surrey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53Hummer im Gr�nen: Ivan Hicks · Eine Geschichte

aus drei G�rten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58Warum ist Heligan so sexy? · Das Gartenwunder

von Cornwall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74Spielwiesen der Gelehrtenrepublik · Collegeg�rten

in Oxford . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86Einer sprang �ber den Gartenzaun · William Kent

in Rousham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114Im Rausch der D�fte · Kr�uterg�rten, kriminell

und kulinarisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123Figuren immergr�ner Phantasie · Von Irrg�rten

und Heckenschneidern . . . . . . . . . . . . . . 145Die Natur des Universums · Im Chaosgarten

von Charles Jencks . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Nachwort · Von englischer Gartenlust . . . . . . . 167Adressen und �ffnungszeiten . . . . . . . . . . . . 175Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

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Drummond Gardens

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The English, who are so introverted and cold,express all their romanticism and passionin their gardens. They don’t do it through foodor sex but if you walk into their gardensyou can see it pouring out.

Raymond Blanc

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F�r Ellehead gardener of my heart

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Flora im Kristallpalast

Kew Gardens

Mit der District Line direkt in den Dschungel zu fahrengehçrt zu den Vorz�gen der Londoner U-Bahn. Da sitzeich also im Palmenhaus von Kew und versuche, mich andie feuchte Hitze zu gewçhnen. Plop. Plop. Tr�ge tropftes von den Bl�ttern. Hinter den Bananenstauden ent-fernte Stimmen. Ein Murmeln, ein T�renklicken, Stille.Wunderbare gr�ne Stille. Tropisches Inselgl�ck, ohneSchlangen, ohne Insekten. Gef�hl der Zeitlosigkeit. Cy-cadeen-Gef�hle.

Neben mir in einem Holzk�bel w�chst eine Cycadeevor sich hin, seit 1775. Diese Farnpalme aus S�dafrika,Encephalartos altensteinii, h�lt den Weltrekord f�r Topf-pflanzen. Cycadeen haben alle Katastrophen der Erdge-schichte �berlebt, sie wachsen langsam, kaum mehr alszwei Zentimeter im Jahr, das aber seit Millionen Jahren.Nichts ist beruhigender als der Anblick einer Cycadee.Immer wenn er Sehnsucht nach seiner Heimat hatte, da-mals im Londoner Exil, besuchte der Politiker JoshuaNkomo aus Simbabwe die Cycadeen im Palmenhausvon Kew.

Plçtzlich das Gef�hl anzuwachsen. Rasch aufstehen,die gußeiserne Wendeltreppe hinauf. Ich gehe die Gale-rie entlang, �ber den Wipfeln der Kaffeeb�ume und Rat-tanpalmen, wie auf einer Br�cke �ber dem Regenwald.Unten leuchtet ein Hawaiihemd zwischen den Bl�ttern.Eine Gruppe von Sch�lern schwirrt durch die G�nge.

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Dschungelgeschnatter. Mit einem leichten Zischen çff-nen sich die automatischen Sprinklerd�sen und h�llenalles in einen warmen Nebel. So schwebt das Palmen-haus von Kew dahin wie ein kieloben treibendes gl�ser-nes Schiff, voll von den botanischen Wundern der Welt.Fast h�tte ich den Termin mit Sir Ghillean verpaßt.

Sir Ghillean Prance ist Direktor der Royal BotanicGardens in Kew, ein schlanker Mann von 60 Jahren,grauer Vollbart, braungegerbte H�nde, ein Feldforscherim Maßanzug, mit Brusttuch und Goldrandbrille. Pro-moviert hat er in Oxford �ber eine tropische Pflanzen-familie, deren Namen ich nicht einmal richtig ausspre-chen kann. »Chrysobalanaceae«, sagt er, t�nzerisch �berdie lateinischen Silben h�pfend. An der Wand seines B�-ros, neben den Portr�ts seiner Amtsvorg�nger, h�ngtdas Foto einer exotischen Bl�te: Gleasonia prancei, eineder f�nfzig Pflanzenarten, die nach Ghillean Prance be-nannt sind. Entdeckt und klassifiziert hat er etwa 450Pflanzenarten. F�r die Flora des brasilianischen Regen-waldes gibt es keinen grçßeren Experten als Sir GhilleanPrance. 25 Jahre hat er im Botanischen Garten in NewYork gearbeitet, dann kehrte er zur�ck nach England.»Jeder Botaniker tr�umt davon, Direktor von Kew zusein, es ist die begehrteste Stelle der Welt. Aber«, f�gter hinzu, »Pflanzen sind meine Leidenschaft, nicht nurdiese Institution.«

Jeden Morgen, noch vor seiner B�roarbeit, geht SirGhillean f�r eineinhalb Stunden hin�ber ins Herbarium,um die Amazonas-Flora weiter zu erforschen. Und nochimmer macht er allj�hrlich seine Expedition nach Brasi-lien. »Ich will hinaus zu den Pflanzen.« Das wollen auch

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seine 180 Kollegen. Etwa zwanzig von ihnen sind st�n-dig unterwegs in den entlegensten Winkeln der Erde,um Samen und Pflanzen zu sammeln f�r Kew, die un-ers�ttlichste Botanisiertrommel der Welt. Wer sagt, dasZeitalter der Entdeckungen sei zu Ende? Madagaskarzum Beispiel: Da sollte einer aus Kew die Palmen studie-ren, drei Jahre sp�ter kam er mit 67 neuen Arten zur�ck.»Allein Palmen! Und nur auf Madagaskar!« Sir Ghil-leans Bart vibriert vor Begeisterung wie ein Lianenge-flecht im Tropengewitter.

Allj�hrlich werden etwa 2000 neue Pflanzenarten vonBotanikern in aller Welt beschrieben. Im Index Kewen-sis laufen diese Informationen zusammen, seit mehr alshundert Jahren. Den Anstoß gab Charles Darwin, derKew etwas Geld hinterließ, um alle Pflanzennamen sy-stematisch zu erfassen. »Es gibt regionale Verzeichnis-se, aber wir sind die einzige Institution, die f�r die ganzeWelt verantwortlich ist.« An Kews F�hrungsrolle l�ßtSir Ghillean, bei allem Understatement, nicht den ge-ringsten Zweifel. »Unser Ziel ist es, jede Pflanze aus je-dem Teil der Welt identifizieren zu kçnnen.« Doch wasn�tzt soviel Spezialwissen, wenn die kostbare Flora im-mer mehr schrumpft?

Von den rund 250 000 Bl�tenpflanzen der Erde sindmehr als zehn Prozent in den G�rten von Kew zu finden,aber genauso viele, etwa 25 000 Pflanzenarten, sind welt-weit vom Aussterben bedroht. »Einen wesentlichen Bei-trag zu ihrer Erhaltung zu leisten ist heute die wichtigsteAufgabe von Kew, my real vision.« Schon ist Sir Ghilleanbei seinem Lieblingsthema,der Millennium Seed Bank.

Eine Genbank f�r Pflanzen betreibt Kew in bescheide-

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nem Maße schon seit 25 Jahren. Doch jetzt gibt es Geld,viel Geld von der National Lottery. Mit rund 90 Millio-nen Mark fçrdert sie die Samenbank als eines ihrersechs Pilotprojekte zur Feier der Jahrtausendwende. Da-mit will Sir Ghillean einen Neubau in Wakehurst Placefinanzieren, Kews Dependance in Sussex, vor allem aberdie Sammlung von Pflanzensamen. »Wir wollen bis zumJahr 2000 die gesamte britische Flora speichern, bis2010 weitere zehn Prozent der Weltflora.« In Reagenz-gl�sern, bei minus 20 Grad, bleiben manche Samen meh-rere hundert Jahre keimf�hig. Als kçnnte man, notfalls,eines Tages von Kew aus die Welt neu erschaffen, zumin-dest die Pflanzenwelt.

Still und schçn gedeiht in Englands botanischer Inten-sivstation auch eine Spezies, die andernorts immer selte-ner wird. Exzentriker – da leuchten Sir Ghilleans Augen,als seien dies die wahren Exoten von Kew. »Einige unse-rer Forscher sind so in ihre Arbeit versunken, daß sieden Rest der Welt, ja, ihr eigenes Leben vçllig verges-sen.« Dr. Richard Dennis zum Beispiel, Spezialist f�rPilze, saß noch, unber�hrt vom Umbau des Labors, �bersein Mikroskop gebeugt, als unter seinem Tisch bereitsder Preßlufthammer durch die Decke stieß.

Jeder hier in Kew kennt solche Kollegen, Kakteenspe-zialisten, Farnfetischisten, real characters. Eines Tageswerden sie pensioniert, zu ihrer grçßten �berraschung,aber schon am n�chsten Tag sind sie wieder da, als seinichts geschehen, und arbeiten weiter, unbezahlt, work-ing for ever. Manche �bernehmen mit den Jahren dieVitalit�t und Anpassungsf�higkeit der Pflanzen, die siestudieren. Essen ihre Sandwiches stets im Freien, selbst

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bei widrigem Wetter. Tragen auch im Winter nur Sanda-len, immer ohne Socken. Reisen in seltsame L�nder undtauchen nie wieder auf. Legenden, dachte ich, Botani-kerlatein. Bis ich Dusha kennenlernte.

Dusha Hayes stammt aus Kroatien, eine Frau von 56Jahren, mit hennarotem Haar und einer einzigen Leiden-schaft: Orchideen. Ich traf sie in einem der vielen Ge-w�chsh�user hinter den Kulissen von Kew. Was hiergr�nt, dient der Forschung, nicht dem gemeinen Blick.Ein warmer, feuchter Duft weht mir entgegen und dasGef�hl sublimer Bl�tentr�ume. »Das ist mein Paradies«,sagt Dusha. Stellagen voll von Orchideen, in sorgsametikettierten Tçpfen, gef�llt mit Kiefernrinde und vulka-nischem Grit, ringsum an den W�nden Epiphyten aufKorkeichenbrettern. Dusha greift eine heraus, eine bra-silianische Zwergorchidee mit winzigen,weißen Bl�ten.»Phymatidium tillandsioides«, sagt sie z�rtlich. »WeißeOrchideen werden nachts von Motten best�ubt.«

Dusha ist Autodidaktin. Ihre erste Orchidee erwarbsie f�r ein paar Pfund auf einer Flower Show. »Dannsah ich, wie viele Arten es gibt. Ich kaufte immer wiederwelche, ich las immer mehr, seitdem komme ich nichtmehr davon los.« Nach einem dreij�hrigen Gartenbau-kurs bewarb sich die ehemalige Lehrerin 1985 in derOrchideenabteilung von Kew. »Wir haben hier etwa5000 verschiedene Arten, rund 25 000 gibt es welt-weit.«T�glich kontrollieren Dusha und ihre beiden Kol-legen Feuchtigkeit, L�ftung, Temperatur, das empfind-liche Gleichgewicht der computergesteuerten Tropen.»Deine Pflanzen sagen dir schon, ob sie gl�cklich sindoder nicht.«

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Zu Hause in der Londoner Vorstadt hat Dusha ihreeigene Orchideensammlung, »ein paar hundert Arten«,auf zwei Gew�chsh�user verteilt. Familie, Freunde, Frei-zeit, Reisen, alles kreist um diese eine, schçne, r�tselhaf-te Pflanze. Dusha zeigt mir eine Lady’s Slipper Orchid.Von dem einzigen in England �berlebenden Frauen-schuh-Exemplar wurden nach 15j�hrigen Recherchenin Kew Samen entwickelt und die ersten Jungpflanzenim Fr�hjahr 1997 wieder in Yorkshire angesiedelt. »Wirhaben hier Orchideen, die wir nie ausstellen werden.«Zum Beispiel Paphiopedilum Rothschildianum sabahaus Borneo, eine der unsichtbaren Kçniginnen von Kew.»Liebhaberst�cke, very pocketable«, sagt Dusha. »Ja,es gab Diebst�hle, eine große Verf�hrung, ich kann’s ver-stehen.«

Wir gehen hin�ber ins Princess of Wales Conservatory.Zehn Klimazonen unter einem Dach, von den Tropenzur Arktik in einem Spaziergang. Kew, eine Kreislaufbe-schleunigung. Zone 7 ist eine Art Hochsicherheitstrakt.Hinter Glasscheiben, von Videokameras bewacht, bl�-hen einige der Star-Orchideen, Rarissima aus Ekuadoroder Papua-Neuguinea, in ihren Heimatl�ndern schonfast ausgestorben. Aus Sicherheitsgr�nden, um keineSammler anzulocken, hat eine der unscheinbarsten Or-chideen nicht einmal ein Etikett. »Paphiopedilum dele-natii aus Vietnam, very rare«, sagt Dusha. »Wir kriegenauch die vom Zoll konfiszierten Pflanzen, und manch-mal, nach dem Gerichtsverfahren, kommen die Leutedann nach Kew, um sich ihre Orchidee irgendwie wie-derzuholen.«

Nebenan, in einem Seitenkabinett, recken langstielige,

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fahle, gelb-gr�ne Pflanzen ihre H�lse, wippende Vulva-h�lse, braungesprenkelt, von feinen roten �derchendurchzogen. Venusfliegenfallen, fleischfressende Pflan-zen. Auch sie, wie bestimmte Kakteen, z�hlen zu den be-vorzugten Objekten botanischer Langfinger. Denis kenntsie alle: die Spezialisten, die im Auftrag professionellerSammler klauen, und die Hausfrauen, die mal eine Li-lienknolle in ihrer Handtasche verschwinden lassen,mal eine Gemswurz im Regenschirm.

Denis Langley ist einer der acht Polizisten, die in dem121 Hektar großen Gel�nde rund um die Uhr unterwegssind. Hin und wieder eine Ohnmacht im Tropenhaus,eine alte Dame, die ihren Pekinesen unter der Jacke ein-geschmuggelt hat (no pets, please), mehr passiert hiereigentlich nicht. »Gelegentlich ein Selbstmord«, f�gtDenis hinzu. Mit einer schnellen Bewegung fahren seinekleinen, dicken Finger �ber die �rmel seiner Uniform.»Der letzte schnitt sich die Pulsadern auf, dr�ben imTeich.« Selbstmord, ausgerechnet in Kew? »Es ist ebenso ein ruhiger Ort«, sagt Denis, »peaceful, ye know.«

Vom Tulpenbaum f�llt eine Bl�te, gr�n-gelb-orange,ein Duft von Schokolade. Ein Besucher b�ckt sich,nimmt eine Handvoll Erde und l�ßt sie langsam durchdie Finger rieseln. Immer wieder schnuppern sie an denRosen, streichen �ber Bl�tter und Baumrinden: Ach,Kew, warum ist unser eigener Garten so kl�glich? Unddann fragen sie einen der G�rtner: »Excuse me, kçn-nen wir nicht einen Ableger haben?« Mr. Fliegners Ant-wort war immer dieselbe: »Wir haben eine Million Be-sucher im Jahr. Wenn jeder einen Steckling will, bleibtbald nichts mehr �brig.«

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Bis zu seiner Pensionierung war Hans Fliegner Abtei-lungsleiter der Kalth�user von Kew. Seinen ersten Ar-beitstag im April 1963 wird der geb�rtige Berliner nievergessen: »Jeder Student bekam ein Okuliermesser,clog and apron, Holzschuhe und Sch�rze, das war derAnfang der g�rtnerischen Ausbildung.« Daran erinnertheute nur noch das Clog and Apron Race. Allj�hrlichim September rennen Kews Jungg�rtner in blauenSch�rzen und klappernden Pantinen auf dem Broad-walk um die Wette, zwischen Orangerie und Palmen-haus. Der L�rm ist gewaltig, die Rekordzeit 49 Sekun-den.

Eigentlich wollte Hans Fliegner nur ein paar Jahre inKew bleiben. Es wurden 32 Jahre. In dieser Zeit hat erden großen Umbruch erlebt, von der Gießkanne zurcomputergesteuerten Spr�hanlage, von der T�tensaatzur Samenbank. Landschaftsdesign zog in die Gew�chs-h�user ein, Didaktik f�r jedermann. Doch wenn im Prin-cess of Wales Conservatory das Regenwaldgezwitschervom Band ertçnt, verzieht Fliegner das Gesicht, als h�tteer in einen Kaktus gefaßt. Ein Hauch von Disneyland,gottlob noch nicht in seinem geliebten Palmenhaus, die-sem Glanzst�ck viktorianischer Glasarchitektur. Stan-desgem�ßer kann man als seltene Pflanze nirgendwo ge-deihen als im Kristallpalast von Kew.

Draußen sitzen sie wieder auf den B�nken und passenauf, wie die Rosen geschnitten werden. »Sobald Sie hierarbeiten, auch als einfacher G�rtner, sind Sie ein Spezia-list«, sagt Fliegner, »und die Besucher erwarten, daß Siealles wissen.« Kews G�rtner heißen ja auch nicht gar-dener, sondern horticulturist, und statt head gardener

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sagt man hier curator,wie im Museum. Die 180 G�rtnerhaben es mit den living collections zu tun, die 180 Bota-niker mit pr�parierten Pflanzen. »Da haben wir geradeeinen langen lateinischen Pflanzennamen gelernt«, sagtDusha, die Orchideenfrau, »schon kommen die Botani-ker mit einer neuen Klassifizierung.«

G�rtner und Wissenschaftler arbeiten in Kew so ein-tr�chtig zusammen wie Hase und Igel. Rivalit�ten? Ani-mosit�ten? »Nennen wir es freundliche Konkurrenz«,lacht Dr. Cutler. »Katastrophen gibt es immer mal wie-der. Wenn man Pflanzen f�r eine Laboruntersuchungzieht und so lange wartet, bis sie eine bestimmte Grçßeerreichen, und kurz davor entscheidet der G�rtner, essei Zeit, sie zu stutzen, und schneidet sie alle wieder zu-r�ck . . .« Bek�mmert blickt Dr. Cutler auf seine Kar-teik�sten und die Baumscheiben im B�cherregal seinesB�ros. Seit 1962 erforscht er nun die Mikrostrukturenvon Bl�ttern, Pollen und Fasern, aber das grçßte R�tselbleibt wohl doch die menschliche Natur.

David Cutler ist stellvertretender Leiter des JodrellLaboratory. Mit der sanften Stimme eines Homçopa-then versucht er, mich von dem popul�ren Mißverst�nd-nis abzubringen, Kew sei ein Vergn�gungspark. »Wirsind in erster Linie eine wissenschaftliche Institution.«Rundgang durchs Jodrell, vorbei an Zentrifugen, Elek-tronenmikroskopen, pflanzenstillen Laboranten. Grund-lagenforschung, physiologische, biochemische, zytoge-netische. Doch werden im Jodrell die Pflanzen auchauf Bestandteile untersucht, die zur Heilung von Aidsund Diabetes dienen kçnnen. »Zur Zeit arbeiten wiran einer Pflanzensubstanz aus Chile, die Fadenw�rmer

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tçtet«, sagt Dr. Cutler, »sehr vielversprechend.« Er selbst,Spezialist f�r die Anatomie s�damerikanischer Lilien-gew�chse, schreibt gerade ein Buch zur Bestimmungarch�ologischer Pflanzenfunde, von der Antike bis zumMittelalter. Nein, die Arbeit wachse ihm nicht �berden Kopf, allenfalls der eigene Garten zu Hause: »B�u-me, Knollenpflanzen, zu viele Pflanzen.« Der Kew-Ef-fekt.

L�ngst habe ich die Hoffnung aufgegeben, diesen bo-tanischen Kosmos an der Themse g�nzlich zu erfassen.Azaleengarten, Bambusgarten, Berberitzengrund, Stein-garten, Wassergarten – Kew ist der Garten der G�rten.Auch den wahren Plural von Gras habe ich erst im Gr�-sergarten von Kew erfahren: Nutzgr�ser, Ziergr�ser,Wildgr�ser, mehr als 600 Arten von Gr�sern wachsenda in einem gr�nen Karree. Selbst der Weg zum Klo istmit Skimmia japonica und anderen duftenden Kr�uterngesegnet. Vielleicht sollte ich noch ins Arboretum, zueiner vergleichenden Wanderung unter rund 250 Ei-chenarten? Oder den Rest des Tages vor einer einzigenPflanze sitzen, wie dr�ben die Malerin auf ihrem Klapp-hocker, versunken in das Lianenlabyrinth von Strophan-tus courmontii?

»Man lernt Geduld im Umgang mit Pflanzen, denn siewachsen langsam«, hatte David Cutler gesagt. Im Her-barium ist dieses Wachstum zum Stillstand gekommen.Hier herrscht die Ruhe der gepreßten Pflanzen, hier be-ginnt ihr zweites Leben, ihre kleine botanische Ewig-keit zwischen zwei Bogen Papier. Daß sie auch hiernicht g�nzlich zur Ruhe kommen, daf�r sorgt ProfessorOwens, H�ter des Herbariums. Ein Mann mit grauem

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