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Z Gerontol Geriat 6 2007 F. Höpflinger Interdisziplinäre Ansätze in der Gerontologie Entwicklungen in der Schweiz Z Gerontol Geriat 40:438–442 (2007) DOI 10.1007/s00391-007-0501-z BEITRAG ZUM THEMENSCHWERPUNKT Eingegangen: 13. September 2007 Akzeptiert: 1. Oktober 2007 Prof. Dr. François Höpflinger ( ) ) Soziologisches Institut der Universität Zürich Andreasstr. 15 8050 Zürich-Oerlikon, Switzerland E-Mail: [email protected] Interdisciplinary approaches in gerontology – developments in Switzerland " Zusammenfassung Trotz früher Verankerung einer professionellen Altersarbeit erfolgte eine institu- tionelle Verankerung gerontologi- scher Forschung und Lehre in der Schweiz sehr spät, namentlich in der deutschsprachigen Schweiz. Ein Ausbau der Altersforschung erfolgte erst in den 1990er Jahren, und noch später kam es zur Ein- richtung universitärer gerontolo- gischer Weiterbildung. Der Bei- trag beschreibt und analysiert die bisherige Entwicklung und den gegenwärtigen Stand der geronto- logischen Weiterbildung in der Schweiz (einem Kleinstaat, der zur Entwicklung der Gerontologie auch in Zukunft auf eine enge Kooperation mit den Nachbarlän- dern angewiesen sein wird). " Schlüsselwörter Schweiz – Altenforschung – Gerontologische Ausbildung – Universitäten " Abstract Even though a profes- sional approach in Swiss geronto- logical work was established early on in the process, institutional entrenchment of gerontological research and education happened very late; this is particularly true for the German-speaking part of Switzerland. Further development of gerontological research did not take place before the 1990es, and it took several years longer before gerontological master pro- grammes were institutionalised at the universities. The contribution describes and analyses the devel- opment and current situation of gerontological studies in Switzer- land (a comparatively small state, which will continue to depend on close cooperation with its neigh- bouring states in order to develop gerontology). " Key words Switzerland – ageing research – gerontological formation – universities Hintergrund: Frühe ausgebaute gerontologische Praxis – verspätete hochschulgebundene Qualifikationen Obwohl die Schweiz dank der 1918 erfolgten Gründung der Stiftung Pro Senectute – schon seit langem über eine flächendeckende und ausgebaute gerontologische Praxis verfügt, erfolgte eine institu- tionelle Verankerung der Gerontologie an den Hoch- schulen sehr spät. Dies ist mit spezifischen Merkma- len der schweizerischen Sozialstruktur verknüpft: So erlebte die Schweiz aufgrund einer dezentralisierten industriellen Entwicklung eine stark verzögerte Ur- banisierung, wodurch auch hochschulgebundene Qualifikationen – außerhalb naturwissenschaftlich- technischer Bereiche – verzögert ausgebaut wurden. Von Bedeutung war und ist zudem der föderalisti- sche Aufbau der Schweiz. Sowohl für Gesundheits- als auch Alterspolitik sind weitgehend die einzelnen Kantone (und innerhalb vieler Kantone die einzelnen

Interdisziplinäre Ansätze in der Gerontologie

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Page 1: Interdisziplinäre Ansätze in der Gerontologie

Z Gerontol Geriat 6 2007

F. Höpflinger Interdisziplinäre Ansätze in der GerontologieEntwicklungen in der Schweiz

Z Gerontol Geriat 40:438–442 (2007)DOI 10.1007/s00391-007-0501-z B E I T R AG Z U M T H E M E N S CH W E R P U N K T

Eingegangen: 13. September 2007Akzeptiert: 1. Oktober 2007

Prof. Dr. François Höpflinger ())Soziologisches Institutder Universität ZürichAndreasstr. 158050 Zürich-Oerlikon, SwitzerlandE-Mail: [email protected]

Interdisciplinary approachesin gerontology –developments in Switzerland

� Zusammenfassung Trotz früherVerankerung einer professionellenAltersarbeit erfolgte eine institu-tionelle Verankerung gerontologi-scher Forschung und Lehre in der

Schweiz sehr spät, namentlich inder deutschsprachigen Schweiz.Ein Ausbau der Altersforschungerfolgte erst in den 1990er Jahren,und noch später kam es zur Ein-richtung universitärer gerontolo-gischer Weiterbildung. Der Bei-trag beschreibt und analysiert diebisherige Entwicklung und dengegenwärtigen Stand der geronto-logischen Weiterbildung in derSchweiz (einem Kleinstaat, derzur Entwicklung der Gerontologieauch in Zukunft auf eine engeKooperation mit den Nachbarlän-dern angewiesen sein wird).

� Schlüsselwörter Schweiz –Altenforschung –Gerontologische Ausbildung –Universitäten

� Abstract Even though a profes-sional approach in Swiss geronto-logical work was established early

on in the process, institutionalentrenchment of gerontologicalresearch and education happenedvery late; this is particularly truefor the German-speaking part ofSwitzerland. Further developmentof gerontological research did nottake place before the 1990es, andit took several years longer beforegerontological master pro-grammes were institutionalised atthe universities. The contributiondescribes and analyses the devel-opment and current situation ofgerontological studies in Switzer-land (a comparatively small state,which will continue to depend onclose cooperation with its neigh-bouring states in order to developgerontology).

� Key words Switzerland –ageing research –gerontological formation –universities

Hintergrund:Frühe ausgebaute gerontologische Praxis –verspätete hochschulgebundene QualifikationenObwohl die Schweiz – dank der 1918 erfolgtenGründung der Stiftung Pro Senectute – schon seitlangem über eine flächendeckende und ausgebautegerontologische Praxis verfügt, erfolgte eine institu-tionelle Verankerung der Gerontologie an den Hoch-schulen sehr spät. Dies ist mit spezifischen Merkma-

len der schweizerischen Sozialstruktur verknüpft: Soerlebte die Schweiz aufgrund einer dezentralisiertenindustriellen Entwicklung eine stark verzögerte Ur-banisierung, wodurch auch hochschulgebundeneQualifikationen – außerhalb naturwissenschaftlich-technischer Bereiche – verzögert ausgebaut wurden.Von Bedeutung war und ist zudem der föderalisti-sche Aufbau der Schweiz. Sowohl für Gesundheits-als auch Alterspolitik sind weitgehend die einzelnenKantone (und innerhalb vieler Kantone die einzelnen

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Kommunen) zuständig, wodurch sich der Bedarfnach sozialwissenschaftlicher Expertise nur langsamerhöhte, und eine zentralstaatliche Ressortforschung– die in Ländern wie Frankreich und Deutschlandwesentliche Impulse zur Altersforschung vermittelte– fehlte lange Zeit.

Das ausgeprägte Autonomiebedürfnis von Kanto-nen und Gemeinden führte und führt gerade auchbei alters- und gesundheitspolitischen Fragestellun-gen dazu, dass jede Region für analoge Probleme ei-gene Lösungen entwickelt. Dies hat zwar den Vorteil,dass bürgernahe Lösungen entwickelt werden, jedochden Nachteil, dass professionelle Strategien behin-dert werden. Professionalisierung wird in derSchweiz auch dadurch geschwächt, dass der Miliz-gedanke bei vielen sozialen Aufgabenbereichen ver-ankert bleibt. Viele soziale und sozialpolitische Auf-gaben, die in Nachbarländern von vollamtlichen Ex-perten (etwa ausgebildeten Altersfachleuten und Ge-rontologinnen) geplant und organisiert sind, werdenin der Schweiz im Nebenamt ausgeübt.

Ein Entwicklungsmerkmal der Altersarbeit derSchweiz besteht darin, dass zwar schon sehr frühspezielle Altersinstitutionen, Beratungsdienste undBetreuungseinrichtungen für ältere Menschen ent-standen, diese lange Zeit jedoch weitgehend losgelöstvon fachlich-wissenschaftlichen Perspektiven arbeite-ten. Es ergab sich das Muster einer hoch entwickel-ten Altersarbeit ohne wissenschaftliche Forschungoder universitäre Qualifikationen. Eine ausdifferen-zierte Altersarbeit entstand früh, aber sie war langeZeit dissoziiert von der Entwicklung einer gerontolo-gischen Forschung. Notwendiges gerontologischesFachwissen wurde primär durch Rückgriff auf aus-ländische Studien und Theorien – namentlich ausFrankreich und Deutschland – integriert [1, 2].

Zur Entwicklung der gerontologischen Forschungund Ausbildung in der Schweiz

Mit der 1953 gegründeten Schweizerischen Gesell-schaft für Gerontologie (SGG) besteht seit langem einegesamtschweizerische Fachvereinigung zur Förderunggerontologischer Diskurse. Die SGG umfasst sowohlgeriatrische Fachkräfte als auch sozialgerontologischausgerichtete Fachleute, und im Gegensatz zu anderenLändern konnte die organisatorische Trennung inGeriatrie und Sozialgerontologie bisher vermiedenwerden. Da in der Schweiz lange Zeit keine eigenstän-dige universitäre gerontologische Forschung und Aus-bildung vorhanden war, bestand eine wesentlicheFunktion der SGG darin, die in den Nachbarländernentwickelten Forschungskonzepte und Ergebnisse indie Altersdiskussionen der Schweiz einfließen zu las-

sen (wogegen die Bemühungen um einen Ausbauder schweizerischen Forschung nur langsam Früchtetrugen). Bis Ende der 1980er Jahre blieb die Geronto-logie an den Universitäten trotzdem nirgends institu-tionalisiert, weder bezüglich Forschung noch bezüg-lich Ausbildung.

Ein erster Ausbau der gerontologischen Grund-lagenforschung ergab sich in den frühen 1980er Jah-ren als im Rahmen eines Nationalen Forschungspro-gramms (NFP 3) sowohl die soziale Integration jun-ger Menschen als auch die Lebenslage älterer Men-schen untersucht wurden. Zu einer Verankerung ei-ner universitären Gerontologie (Forschung und Aus-bildung) kam es vorerst einzig in der französisch-sprachigen Schweiz. 1992 wurde in Genf ein interdis-ziplinäres gerontologisches Forschungszentrum –das Centre interfacultaire de Gérontologie (CIG) –gegründet. Neben bedeutsamen Forschungsprojekten– etwa zur Hochaltrigkeit und zum Wandel des Al-ters – wurde ein universitäres gerontologisches Zer-tifikatsprogramm (Certificat de formation continueen gérontologie (CEFG) entwickelt und durchgeführt.Die Zielgruppe waren universitär ausgebildete Fach-leute aus der gerontologischen und geriatrischenPraxis, wobei in Einzelfällen auch Doktoranden auf-genommen wurden. An der Universität Lausannewurde 1995 ein weiteres gerontologisches Studien-zentrum („Unité de recherche et d’intervention engérontologie“ UNIGER) errichtet.

In der deutschsprachigen Schweiz misslang hin-gegen vorläufig sowohl die Institutionalisierung sozi-algerontologischer Lehrstühle als auch die Veranke-rung universitärer gerontologische Ausbildungspro-gramme. In dieser schwierigen Phase – wachsendeswissenschaftliches Interesse bei fehlender institutio-neller Verankerung – war es vor allem Prof. Dr.Hans-Dieter Schneider, der am Psychologischen In-stitut der Universität Fribourg die gerontologischeForschung mit wenig finanziellen Mitteln, aber ho-hem professionellem Einsatz vorantrieb. Durch seineengen Kontakte zur deutschen Gerontologie gelanges ihm, die in Deutschland entwickelten neuenTheorien und Konzepte auch in der Schweiz zu ver-breiten. Dadurch – sozusagen dank Theorieimport –behielten gerontologische Fachleute und interessierteWissenschaftler den Anschluss an wesentliche geron-tologische Entwicklungen. 1 Gleichzeitig entstand –auch dank den Aktivitäten der SGG – eine bis heutewirksame fruchtbare Verbindung zwischen geronto-logischer Forschung und konkreter Altenarbeit.

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1 Für Kleinstaaten sind Wissensimport und wissenschaftspoliti-sche Allianzen mit größeren Ländern generell eine zentraleStrategie, auch mit wenigen Binnenstrukturen den wissenschaft-lichen Anschluss beizubehalten

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Erst in den 1990er Jahren erlebte die Altersfor-schung und anschließend auch die gerontologischeAusbildung einen Aufschwung:

Zu Beginn der 1990er Jahre beschloss die Schwei-zer Regierung die Durchführung eines NationalenForschungsprogramms (NFP 32) zum Thema Alter,und sie stellte für die Laufzeit von 1992–1998 einGesamtbudget von 12 Mio. Franken zur Verfügung.Gemäß Regierungsauftrag sollte das Forschungspro-gramm (NFP 32) „Alter/Vieillesse/Anziani“ dazudienen, wichtige Forschungslücken im Bereich derschweizerischen Altersforschung abzudecken. Gleich-zeitig sollte eine verstärkte Verankerung gerontologi-scher Qualifikationen erreicht werden. Gemäß Vor-gaben der Regierung wie auch der schweizerischenForschungsförderungsstelle – Schweizerischer Natio-nalfonds – wurde bei den ausgewählten Forschungs-projekten die interdisziplinäre Ausrichtung der Ge-rontologie explizit hoch gewichtet. Dank diesem For-schungsprogramm erfuhr die Altersforschung – undnamentlich die Sozialgerontologie – einen klarenAufschwung. Die starke Anlehnung an deutsche undfranzösische Methoden, Konzepte und Theorien derGerontologie ermöglichte – trotz fehlender einhei-mischer universitärer gerontologischer Qualifikatio-nen – den raschen Aufbau gerontologischen For-schungswissens. 2

In den frühen 1990er Jahren kam es dabei aller-dings zuerst außerhalb der Hochschulen zu einemverstärkten Ausbau gerontologischer Ausbildungen,etwa durch die Gründung der Schule für Angewand-te Gerontologie (SAG), die zuerst als Fachschule undheute als höhere Fachschule in der Altersarbeit täti-gen Frauen und Männern eine gerontologische Wei-terbildung vermittelt. Was universitäre Strukturenbetrifft, kam es erst Ende der 1990er Jahre zu Neu-gründungen.

Gerontologische Weiterbildungan den Universitäten

Zur Stärkung sprachübergreifender gerontologischerForschung und Weiterbildung in der Schweiz aufuniversitärer Ebene wurde im Oktober 1998 das Uni-versitäre Institut „Alter und Generationen“ (INAG)gegründet (seit Juni 2002 dem Universitären InstitutKurt Bösch in Sion angegliedert). Neben Forschungs-

projekten zu Alters- und Generationenfragen organi-siert das INAG seit 2000 einen zweijährigen interdis-ziplinären universitären Studiengang in Gerontologie(Zertifikatsstudium für Personen mit abgeschlosse-ner universitärer Ausbildung). Konzeptuell geht derINAG-Studiengang von folgenden zentralen geronto-logischen Grundsätzen aus:1. Die Gerontologie ist ein multidisziplinäres The-

menfeld, wobei insbesondere folgende Fachberei-che für gerontologische Themen zentral sind: Psy-chologie (namentlich Entwicklungspsychologie),Soziologie, Alters- und Sozialmedizin. Danebenergeben sich Verknüpfungen mit Demografie,Ökonomie, Architektur, Anthropologie, Sozial-und Gesundheitspolitik u. a.

2. Das Alter/n unterliegt raschen gesellschaftlichenWandlungen, und eine klare Unterscheidung zwi-schen Alterseffekten und Kohorteneffekten ist einzentraler Schlüssel zu einem wissenschaftlichenVerständnis der Lebenslage älterer Menschen. Dif-ferenzierte kohortenspezifische Analysen – die de-mografische Fehlschlüsse vermeiden – sind zent-ral.

3. Alternsprozesse sind heterogen und differenziert.Deshalb steht das Konzept der „differenziellen Ge-rontologie“ im Zentrum. Die Heterogenität der äl-teren Bevölkerung und die individuellen Variatio-nen der Alternsprozesse erfordern eine Loslösungvon schematischen Denkmodellen. Frauen alternanders als Männer, und soziale Ungleichheiten inLebenserwartung und Alternsprozessen sind zuberücksichtigen.

4. Alter/n kann nur durch eine enge Verknüpfungvon persönlichen und gesellschaftlichen Determi-nanten sowie eine Vernetzung von psychischenund physischen Dimensionen erklärt werden. Einedifferenzierte Sozialgerontologie basiert auf einerMehrebenen-Analyse sowie auf den gleichzeitigenEinbezug objektiver und subjektiver Lebensele-mente.

5. Die beobachtbare Plastizität von Alternsprozessenimpliziert, dass individuelle, soziale und gesamt-gesellschaftliche Interventionen eine enorme Be-deutung aufweisen. Die Gerontologie muss sichauch als Handlungswissenschaft verstehen (mitallen damit verbundenen wissenschaftssoziologi-schen Vor- und Nachteilen).

Der universitäre Studiengang des INAG umfasst vierModule von je fünf Studientagen: a) Altern – demo-grafisch, sozial und kulturell, b) Altern und Lebens-verläufe – differenzielle Aspekte des Alterns, c) Wohl-befinden, Gesundheit und Krankheit in späteren Le-bensphasen, d) Individuelle Bewältigungsstrategienälterer Menschen – sozial- und gesundheitspolitischeInterventionen.

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2 Als Glücksfall erwies sich, dass das schweizerische Forschungs-programm Alter zu einem Zeitpunkt stattfand, als auch inDeutschland neue gerontologische Konzepte entstanden undgrößere Studien durchgeführt wurden (wie Berliner Altersstu-die, Alterssurvey u. a.)

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Der Studiengang kann wahlweise mit einem uni-versitären Zertifikat (vier Module und Synthese-arbeit, 12 ECTS-Punkte) oder mit einem universitä-ren Diplom (vier Module, vier Vertiefungsarbeiten,eine mündliche Prüfung sowie eine Abschlussarbeit18 ECTS-Punkte) abgeschlossen werden.

Die gerontologischen Grundsätze und die modul-artige Struktur des INAG-Studiengangs wurden seit-her von Fachhochschulen wie auch von der Univer-sität Zürich bei der Gestaltung ihrer eigenen geron-tologischen Weiterbildungsangebote weitgehendübernommen. Das INAG selbst ist deshalb daran,sich bildungsmäßig neu zu orientieren, und den all-gemeinen INAG-Studiengang durch spezifischerewissenschaftliche Weiterbildungsangebote zu erset-zen. Ein erster Schritt dazu ist die Durchführungvon Trinationalen Gerontologischen Studienwochen(in enger Zusammenarbeit mit dem Zentrum „Al-tern und Gesellschaft“ an der Hochschule Vechta).

An der Universität Zürich – von Forschern ausdem Forschungsprogramm Alter und Fachleuten ausder Altenarbeit angeregt und initiiert – wurde imHerbst 1998 das Zentrum für Gerontologie (ZfG)gegründet. 2002 wurde das Zentrum für Gerontolo-gie – das sich als interdisziplinäres universitäres ge-rontologisches Kompetenzzentrum versteht – durchdie Einrichtung eines Lehrstuhls für Gerontopsycho-logie institutionell wesentlich gestärkt. Dadurchkonnten erstmals regelmäßige Studienveranstaltun-gen zu gerontopsychologischen Fragen angeboten,werden, selbst wenn bisher ein grundständiges Stu-dium der Gerontologie im eigentlichen Sinne fehlt.Die Einführung von gerontologischen Doktoranden-seminaren ist geplant, aber noch nicht realisiert. Seit2005 wird im Rahmen des ZfG ein multidisziplinärkonzipiertes gerontologisches Zertifikatsprogramm„Gerontologie heute“ angeboten, und zwar für Per-sonen verschiedener Fachrichtungen mit anerkann-tem akademischem Abschluss. Als Dozierende wer-den Experten aus den Fachrichtungen Psychologie,Soziologie, Geriatrie, Psychiatrie, Psychotherapie, Al-terspolitik, Gesundheitsförderung, Ethik und Theo-logie einbezogen. Diese nachberufliche Weiterbil-dung umfasst dreizehn Kurstage sowie einen an-schließenden Leistungsnachweis (Projektpräsentationund Reflexionsbericht). Mit einem Arbeitsaufwandvon mindestens 300 Stunden erhalten die Teilnehme-rinnen und Teilnehmer ein Zertifikat der UniversitätZürich (das 10 ECTS-Punkten entspricht). Entspre-chend dem Charakter als berufsbegleitende geronto-logische Weiterbildung wird neben der Vermittlungder neuesten Grundlagen und Forschungserkenntnis-se der Gerontologie der Fokus auch auf die berufli-che Weitergabe und Anwendungspraxis gelegt.

Der gegen Ende der 1990er Jahre erfolgte rascheAusbau der Fachhochschulen in der Schweiz führte

parallel dazu auch zur Einführung eigenständigergerontologischer Weiterbildungsangebote durch ver-schiedene Fachhochschulen. So führt die BernerFachhochschule seit 2001 ein berufsbegleitendes Stu-dienangebot „Altern – Lebensgestaltung 50 +“ durch,mit starker Ausrichtung auf sozialarbeiterische Beru-fe. Seit 2006 wird dieser – ebenfalls interdisziplinärausgerichtete – gerontologische Studiengang als sogenannter „Master of Advanced Studies“ (MAS)geführt. Das Berner Ausbildungsmodell erwies sichals höchst erfolgreich, und entsprechend haben wei-tere schweizerische Fachhochschulen analoge geron-tologische Weiterbildungsangebote entwickelt (z. B.Zürich, St. Gallen).

Die Studienangebote der Fachhochschulen erwei-sen sich zunehmend als bedeutsame Konkurrenz füruniversitäre Studiengänge; einerseits weil die Zahl angerontologisch interessierten Fachleuten mit Fach-hochschulabschluss weitaus höher liegt als die Zahlan gerontologisch interessierten Akademikern. Ande-rerseits erweist sich bei gerontologischen Aus- undWeiterbildungen eine Kombination von wissenschaft-lichen Grundlagen und breiter Vermittlung von pra-xisorientierten Ansätzen und Projekten als erfolgver-sprechend und attraktiv. Auch von Arbeitgeberseite(Pro Senectute, Alters- und Pflegeheime usw.) wirdprimär eine (oftmals berufsbegleitend organisierte)praxisnahe Weiterbildung in gerontologischen Fra-gen verlangt. Für primär wissenschaftlich ausgerich-tete gerontologische Studiengänge erweist sich dieSchweiz als zu klein, und eine wissenschaftliche Aus-bildung von Gerontologen und Gerontologinnen fürForschungszwecke wird auch in Zukunft nur in en-ger Zusammenarbeit mit Hochschulen und Institutenaus den Nachbarländern Frankreich, Deutschlandund Österreich möglich sein.

Perspektiven

Gegenwärtig besteht in der Schweiz gegenwärtig einwenig koordinierter „Wildwuchs“ an (berufsbeglei-tenden) gerontologischen Weiterbildungsangeboten. 3

Von Wirtschaft und Verwaltung besteht dabei primärein Interesse an praxis- bzw. berufsorientiertem ge-rontologischem Wissen (als Teil der allgemeinen be-ruflichen Weiterbildung von Fachpersonen). Ver-

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3 Für die formelle Anerkennung von Ausbildungs- und Studien-gängen an Fachhochschulen und Universitäten sind in derSchweiz die jeweiligen Kantone zuständig. Dies führt auch dazu,dass Weitebildungsabschlüsse je nach Kanton unterschiedlichbezeichnet werden (Zertifikat, Diplom, MAS (Master of Advan-ced Studies), CAS (Certificate of Adanced Studies etc.)

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stärktes Interesse – namentlich bei Fachleuten, dievermehrt mit älteren Menschen bzw. älteren Kundin-nen zu tun haben – finden gegenwärtig kurze geron-tologische Module innerhalb anderer Ausbildungen(z. B. bei Personalchefs, Marketingleiter, Architekten,Theologen, Gesundheitsexperten usw.). Kursblöckezu gerontologischen Fragen – innerhalb berufsspezi-fischer Weiterbildungskurse – werden vermehrt auchvon Unternehmen, die mit älter werdenden Kundenund Kundinnen konfrontiert sind (wie Banken, Ver-sicherungen, Immobilienfirmen) unterstützt bzw. or-ganisiert.

Hingegen fehlt eine grundständige universitäregerontologische Ausbildung (Bachelor oder Master)weiterhin, und entsprechende Angebote sind auf-grund der Kleinheit der Schweiz auch zukünftignicht zu erwarten. Längerfristig dürfte sich bezüg-lich gerontologischer Weiterbildung zwischen denFachhochschulen und den Universitäten eine gewisseArbeitsteilung ergeben: Fachhochschulgebundene ge-rontologische Qualifikationen mit starker Praxisaus-

richtung einerseits, zumeist in Form von berufs-begleitenden Kursen für Fachleute, die aufgrund ih-rer beruflichen Karriere direkt oder indirekt mit äl-teren Menschen zu tun haben. Die Universitäten an-dererseits werden primär universitäre Qualifikations-angebote mit expliziter Orientierung an gerontologi-sche Grundlagenforschung und Forschungsmethodenanbieten, zumeist als post-graduale Studienangebote.Als kleiner Teil des europäischen Wissenschafts-betriebes werden die Schweizer Universitäten dabeinoch stärker als bisher auf enge Kooperationen mitden Nachbarländern angewiesen sein, und auch inZukunft werden Schweizer Altersforscher einen we-sentlichen Teil ihrer gerontologischen Qualifikatio-nen außerhalb der Schweiz zu erlernen haben.

� Interessenkonflikt Es besteht kein Interessenkonflikt. Der kor-respondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit ei-ner Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einerFirma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Prä-sentation des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-halte produktneutral.

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Literatur

1. Höpflinger F (1999) Soziale Gerontolo-gie in der Schweiz. In: Jansen B, KarlF, Radebold H, Schmitz-Scherzer R(eds) Soziale Gerontologie. Ein Hand-buch für Lehre und Praxis. Beltz,Weinheim, S 65–76

2. Michel JP, Stuckelberger A, Grab B(1993) Switzerland. In: Palmore (ed)Developments and research on aging.An International Handbook. Green-wood Press, Westport pp 299–315

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