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INTERFERENZ BEIM BEACHTEN SIMULTANER SPRACHLICHER TEXTE: UNSPEZIFISCHE KAPAZITÄTSBEGRENZUNG ODER SPEZIFISCHE VERARBEITUNGSSCHWIERIGKEITEN?

INTERFERENZ BEIM BEACHTEN SIMULTANER SPRACHLICHER … · 1. EINLEITUNG Das Experiment, über das ich berichten werde, ist Teil eines Projekts (Neumann 1978 a, 1978 b, 1978 c, 1980;

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INTERFERENZ BEIM BEACHTEN SIMULTANER

SPRACHLICHER TEXTE: UNSPEZIFISCHE

KAPAZITÄTSBEGRENZUNG ODER SPEZIFISCHE

VERARBEITUNGSSCHWIERIGKEITEN?

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Zusammenfassung

Zwei verschiedene, getrennt über die beiden Ohren (dichotisch) gebotenesprachliche Texte können nicht ohne gegenseitige Beeinträchtigung simul-tan beachtet werden (Cherry 1953). Dies galt lange Zeit als einer derBelege für die Existenz einer unspezifischen 'begrenzten zentralen Ver-arbeitungskapazität'. Allport, Antonis und Reynolds (1972) haben jedochgezeigt, daß die Interferenz erheblich abnimmt, wenn einer der beidenTexte visuell geboten oder durch eine Folge von Abbildungen ersetzt wird.Dem Cherry-Effekt könnten demnach spezifische Verarbeitungsschwierigkei-ten in der Situation des dichotischen Hörens zugrundeliegen, und nichteine generelle Kapazitätsbegrenzung. Der Befund von Allport et al. wirdallerdings mit der Kapazitäts-Hypothese vereinbar, wenn man ad hoc an-nimmt, daß die Verarbeitung der visuellen Reize in einem derartigen Ex-periment weniger Kapazität beansprucht als die der auditiven Reize. DasExperiment sollte diese Möglichkeit prüfen. Es wurden simultan zweiTexte geboten, die entweder modalitätsgleich (auditiv/auditiv oder vi-suell/visuell) oder modalitätsverschieden (visuell/auditiv oder auditiv/visuell) sein konnten. Einer der Texte war nachzusprechen, der andereauf Zielwörter hin zu überwachen. Beide Aufgaben waren außerdem in ihrerSchwierigkeit abgestuft. Entgegen der Kapazitätshypothese war die Lei-stung in beiden Aufgaben bei modalitätsgleichen Paarungen stets geringerals bei modalitätsverschiedenen, und die Schwierigkeitsfaktoren zeigtennicht die nach dieser Hypothese zu erwartende Wechselwirkung. Zusammenmit weiteren Detailbefunden deuten diese Ergebnisse darauf hin, daß dieInterferenz beim Beachten simultaner sprachlicher Texte nicht auf derBegrenztheit einer 'zentralen Verarbeitungskapazität' beruht, sondernauf spezifischen Verarbeitungsschwierigkeiten bei der Informationsselek-tion (perzeptive Trennung der Texte) und Handlungssteuerung (Koordina-tion der Teilhandlungen).

Summary

A Person who is shadowing one of two dichotically presented messages isunable to attend to the second message without interference (Cherry 1953).This finding has long been considered as evidence for the existence ofan unspecific 'limited central processing capacity'. However, Allport,Antonis & Reynolds (1972) have shown that the interference can be reducedconsiderably if one of the messages is presented visually or is replacedby a series of pictures. Thus the Cherry effect may be caused by specificprocessing difficulties in the dichotic listening situation rather thanby a general capacity limitation. There is, however, a possibility to rec-oncile the finding of Allport et al. with capacity theory by assuming posthoc that the processing of visual stimuli in this type of situation Je-mands less capacity than the processing of auditory stimuli. The experi-ment was designed to test this possibility. Two passages were presentedsimultaneously which could be either of the same modality (auditory/audi-tory or visual/visual) or of different modality (auditory/visual or visul/auditory). The S was to shadow one of the passages while monitoring theother for the occurence of target words which had to be responded to bypressing a Button. Both tasks varied in difficulty. Contrary to the capa-city hypothesis, performance in both tasks was always better when thepassages were presented in different modalities, and task difficultiesdid not interact as predicted by this hypothesis. Together with other de-tails of the results, these findings indicate that interference when twosimultaneous verbal passages have to be attended to simultaneously is notdue to limited central processing capacity, but rather to specific pro-cessing difficulties at both the levels of selecting input information(perceptual Separation of the passages)and controlling action (coordina-tion of operations within the two tasks).

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INHALT

1. Einleitung 1

2. Problem und frühere Befunde 2

3. Versuchsidee und allgemeiner Versuchsplan 8

4. Methode 13

5. Befunde 20

6. Diskussion 31

LITERATUR

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ANHANG 44

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1. EINLEITUNG

Das Experiment, über das ich berichten werde, ist Teil

eines Projekts (Neumann 1978 a, 1978 b, 1978 c, 1980;

Schattschneider 1977), das sich kritisch mit der Kapa-

zitätstheorie der Aufmerksamkeit befaßt; also mit der

Auffassung, der Enge der Aufmerksamkeit liege eine Be-

grenzung der 'zentralen Verarbeitungskapazität' zugrunde,

und die Selektivität der Aufmerksamkeit habe die Funk-

tion, diese begrenzte Kapazität zu verteilen.

Das Projekt hat folgende Aspekte, die man in einer

Vierfeldertafel ordnen kann: Es ist zunächst einmal de-

struktiv, d.h. ich versuche zu zeigen, daß die Kapazi-

tätstheorie kein geeigneter Ansatz zum Verständnis der

Aufmerksamkeitsphänomene ist. Es ist andererseits - und

wird hoffentlich zunehmend - konstruktiv, d.h. ich will

den Versuch machen, eine zur Kapazitätstheorie alterna-

tive Auffassung zu entwickeln. Beides ist - das wäre die

zweite Dimension der Vierfeldertafel - ein teils theore-

tisches, teils experimentelles Unternehmen.

Das jetzige Experiment gehört seiner Konzeption nach

in die experimentell - destruktive Zelle der Vierfelder-

tafel. Es sollte primär dazu dienen, einen der experi-

mentellen Belege gegen die Kapazitätstheorie weiter zu

untermauern, und zwar durch eine verbesserte und erwei-

terte Replikation eines Experiments, über das ich früher

berichtet habe (Neumann 1978 b). Die Daten lassen sich

aber auch in einigen Aspekten konstruktiv interpretieren.

Sie weisen auf Mechanismen hin, die statt der hypo-

thetischen 'zentralen Verarbeitungskapazität' für die

Interferenz verantwortlich sein könnten, wie sie in die-

sem Paradigma - dem dichotischen Hören zweier simultaner

verbaler Texte - eintritt.

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Das Experiment gehört ein bißchen also auch in die

experimentell - konstruktive Zelle; mit diesem Aspekt

werde ich mich hauptsächlich in der Diskussion befassen,

da die destruktive Absicht des Experiments so eindeutig

erreicht wurde, daß ich mich hierzu kurz fassen kann.

Am Schluß werde ich noch einen Abstecher in den kon struk-tiv-theoretischen Bereich machen und einige Überlegungen

zu der Art von Aufmerksamkeitstheorie skizzieren, die

derartigen Befunden gerecht werden könnte. Die vierte,

die destruktiv-theoretische, Zelle bleibt aber ausge-

klammert. In sie gehörte der Beitrag zur Borkumer Tagung

vor zwei Jahren (Neumann 1978 a).

PROBLEM UND FRÜHERE BEFUNDE

Die gleichzeitige Darbietung von zwei unterschiedlichen

verbalen Texten 1) über die beiden Hörmuscheln eines Kopf-

hörers gehört zu den klassischen Techniken der modernen

Aufmerksamkeitsforschung (Broadbent 1952, Cherry 1953,

Poulton 1953; überblick z.B. bei Broadbent 1958, 1971,

Moray 1969, Neumann 1978 c, Treisman 1964). Insbesondere

die Variante, in der die Vp einen der beiden Texte nach-

spricht ('shadowing') und man prüft, was sie vom anderen

Text noch mitbekommt, hat seit der Frühzeit dieser For-

schungstradition eine große Rolle gespielt. Der Umstand,

daß die Fähigkeit der Person, während des Nachsprechens

zugleich den zweiten Text zu beachten, außerordentlich

begrenzt ist (Cherry-Effekt), gilt als einer der ent-

scheidenden Belege für die Begrenztheit der 'zentralen

Verarbeitungskapazität'.

1) Durch die enge Verknüpfung der frühen Untersuchungen mit prakti-schen 'Human Engineering'-Problemen bei der Nachrichtenübertragunghat es sich anfangs eingebürgert, diese Texte als 'messages' zubezeichnen, was gelegentlich nicht sehr glücklich mit 'Botschaften'eingedeutscht wurde. Ich spreche im folgenden stets von 'Texten',auch wenn es sich nicht um Texte i.e.S. handelt, sondern z.B. umeine Folge von Ziffern oder sinnlosen Silben.

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Nun ist das 'zentrale' an dieser Verarbeitungskapazi-

tät ihr unspezifischer Charakter. Sowohl in der ursprüng-

lichen 'Einkanal'-Theorie von Broadbent (1958) ('Single

Channel Theory'; vgl. die ähnlichen Ansätze bei Craik

1948 und Welford 1952) als auch in der Fassung Kahnemans

(1973), in der die Kapazität den Charakter einer energe-

tisierenden Substanz hat, ist sie nicht spezifischen

Verarbeitungsleistungen zugeordnet, sondern zwischen

Inputs und Tätigkeiten austauschbar. Die kritische An-

nahme ist die, daß die von zwei gleichzeitigen Verarbei-

tungsprozessen benötigte Kapazität (und damit der Grad

ihrer Interferenz, wenn diese Kapazität nicht zur Verfü-

gung steht) nur von ihrer jeweiligen Schwierigkeit ab-

hängt, nicht aber von ihrer qualitativen Beschaffenheit 1).

Im Fall des dichotischen Hörens würde die Interferenz,

wie sie sich im Cherry-Effekt zeigt, also darauf zurück-

gehen, daß die Verarbeitung eines verbalen Textes bis zur

Ebene der bewußten Repräsentation seines Sinns so kapazi-

tätsaufwendig ist, daß nicht zwei solcher Prozesse simul-

tan ohne Störung ablaufen können. Die besonderen Darbie-

tungsbedingungen - dichotisches Hören gesprochener Spra-

che - dürften demgegenüber nicht kritisch sein. Der

Cherry-Effekt müßte folglich erhalten bleiben, wenn man einen

der beiden Texte durch einen visuellen ersetzt, dessen

Verarbeitung vergleichbare Kapazitätsanforderungen stellt.

1) Diese Annahme wird von Kahneman zunächst als zentrale theoretischeAussage eingeführt ("... interference is nonspecific, and it de-pends only an the demands of both tasks"; Kahneman 1973, S.11),später aber mit dem zusätzlichen Postulat einer 'strukturellenInterferenz', die nicht nur selbst beeinträchtigend wirkt, sondernsogar einen zusätzlichen Kapazitätsbedarf mit sich bringt (a.a.O.5. 198 f), wieder aufgehoben. In dieser letzteren Version ist dieKapazitätsannahme nicht mehr überprüfbar, da sie jedem Resultatnachträglich gerecht werden kann (s.Neumann 1978a) . In dem vor-liegenden Beitrag lasse ich diese Fassung außer acht und bezeichneals 'Kapazitätstheorie' die Auffassung, wie sie z.B. von Broadbent(1958, 1971), Moray (1967) sowie von Kahneman (1973) bis zum vor-letzten Kapitel vertreten wird.

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Diese naheliegende Konsequenz der kapazitätstheoreti-

schen Deutung des Cherry-Effekts ist erstaunlicherweise

erst zwei Jahrzehnte nach der Einführung dieses experi-

mentellen Paradigmas in ihrer kritischen Bedeutung erkanntworden, und zwar von A. Allport (Allport, Antonis & Rey-

nolds 1972). Allport et al. verglichen die Fähigkeit,

beim Nachsprechen eines auditiven Textes zugleich auf

einen zweiten, über das andere Ohr gebotenen Text zu ach-

ten, mit der entsprechenden Leistung für eine visuell

gebotene Folge von Wörtern und von Abbildungen. Die Vp

hatte stets einen über ein Ohr gebotenen auditiven Text

nachzusprechen. Zugleich hörte sie entweder eine Folge

von Wörtern , über das andere Ohr, oder sie sah eine Folge

von geschriebenen Wörtern, oder eine Folge von Abbildun-

gen. Anschließend wurde im Wiedererkennenstest geprüft,

was sie von diesen zusätzlichen Reizen bemerkt und behal-

ten hatte. In der doppelt-auditiven Bedingung fand sich

der übliche Cherry-Effekt, d.h. die Wiedererkennenslei-

stung lag kaum über der Ratewahrscheinlichkeit. Deutlich

besser war die Leistung bei visuellen Wörtern, und noch

erheblich besser bei den Abbildungen. Eine Kontrollbedin-

gung ohne die Nachsprechaufgabe zeigte, daß die visuellen

Wiedererkennensaufgaben für sich genommen nicht wesent-

lich leichter waren als die auditive Wiedererkennensauf-

gabe; das visuelle Wiedererkennen der Wörter hatte sogar

die höchste Fehlerrate in der Kontrollbedingung.

Dieser Befund scheint so eindeutig mit der Kapazitäts-

annahme unvereinbar zu sein, daß Allport et al. sich be-

rechtigt sahen, von einer Widerlegung der Einkanal-

Hypothese zu sprechen. Wenn die Nachsprechaufgabe den

einzigen zentralen Kanal so vollständig in Anspruch nimmt,

daß die Leistung bei den auditiven zusätzlichen Wörtern

kaum über dem Zufallsniveau liegt, wo soll dann die Kapa-

zität für die Verarbeitung der visuellen Wörter und Ab-

bildungen herkommen?

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Aber wie meist, wenn ein Experiment eine Theorie zu

widerlegen scheint, gibt es auch hier für den Kapazi-

tätstheoretiker eine Möglichkeit, sich dieser Konsequenz

zu entziehen. Seine Argumentation könnte etwa folgender-

maßen lauten: Erstens: Die Wiedererkennensleistung hängt

zwar, wie Allport et al. voraussetzen, davon ab, wie

gut die Vp die Reize zu beachten und sich einzuprägen

vermag, aber auch von der Fähigkeit, die beachteten

Reize zu behalten. Zweitens: Das Beachten und Einprägen

auditiver Reize benötigt erheblich mehr Kapazität als

das visueller Reize. Drittens: In den Kontrollbedingungen

ohne Zusatzreiz reicht die verfügbare Kapazität zum Be-

achten und Einprägen der auditiven, erst recht dann der

visuellen Reize aus. Die Wiedererkennensleistung be-

stimmt sich dann im wesentlichen durch die Behaltens-

komponente, die für beide Modalitäten ungefähr gleich

ist, so daß sie sich in der Kontrollbedingung nicht un-

terscheiden. Schließlich viertens: Kommt die kapazitäts-

aufwendige Nachsprechaufgabe hinzu, dann reicht die ver-

bleibende Kapazität nicht mehr für das ebenfalls kapazi-

tätsaufwendige Beachten der auditiven Wörter aus, so daß

- unter zusätzlicher Wirkung des Vergessensfaktors - die

Leistung fast das Zufallsniveau erreicht. Das visuelle

Beachten, das weniger Kapazität benötigt, ist jedoch mit

der verbleibenden Restkapazität noch weitgehend aufrecht-

zuerhalten, so daß die Wiedererkennensleistung hier

erheblich besser ist.

In der Kontrollbedingung würden sich die Modalitäten

also nur wenig unterscheiden, weil der begrenzende Faktor

die für beide vergleichbare Behaltensleistung ist. Hat

die Vp gleichzeitig die Nachsprechaufgabe, dann wird der

begrenzende Faktor die für das Beachten und Einprägen

benötigte Kapazität, und hier könnten die visuellen Reize

den auditiven überlegen sein.

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Unser früheres Experiment (es wurde von Werner Schatt-

schneider im Rahmen seiner Diplomarbeit durchgeführt) war

so angelegt, daß diese Möglichkeit einer kapazitätstheo-

retischen Erklärung ausgeschaltet war. Zum einen war die

Gedächtniskomponente dadurch weitgehend eliminiert, daß

die Vp auf den zweiten Text sofort, und nicht erst im An-

schluß an die Darbietung der Texte, zu antworten hatte.

Wir benutzten hierzu die Klopf- ('tapping'-) Technik von

Treisman & Geffen (1967). Die Vp hatte den Auftrag, auf

den zweiten, nicht nachgesprochenen Text, so gut sie

konnte zu achten und immer dann eine Morsetaste zu drük-

ken, wenn dort das Wort 'KLOPFE' erschien.

Um der möglichen kapazitätstheoretischen ad-hoc-Annahme

zu begegnen, daß visuelle und auditive Reize unterschied-

lich viel Kapazität benötigen, um mit Bewußtsein beachtet

zu werden, haben wir zwei weitere Modifikationen des

Allport-Experiments vorgenommen: Erstens wurden die Nach-

sprech- und die Zusatzaufgabe innerhalb der Logik des Ex-

periments gegenüber Allport et al. vertauscht. Statt daß

immer ein auditiver Text nachzusprechen war und die Zu-

satzaufgabe (bei Allport Einprägen, bei uns Tastendruck)

auditiv oder visuell sein konnte, war die Zusatzaufgabe

immer identisch (Tastendruck auf das auditive Wort 'Taste'),

und die Nachsprechaufgabe konnte auf einen auditiven oder

aber auf einen visuellen Text gerichtet sein. Die kriti-

sche Aufgabe, die als Indikator für die Interferenz dient,

war damit in allen Bedingungen völlig identisch. Aller-

dings könnte die kapazitätstheoretische Argumentation

nun auf die Nachsprechaufgabe übertragen werden. Es könn-

te ja sein, daß das Nachsprechen eines visuellen Textes

weniger Kapazität benötigt als das eines auditiven. Wir

haben deshalb zweitens beide Nachsprechaufgaben in ihrerSchwierigkeit in weiten Grenzen variiert, und zwar da

durch, daß der nachzusprechende Text in unterschiedlichem

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Maß mit Rauschen überlagert war. Die Zahl der Nachsprech-fehler wuchs dadurch von .03 % auf 17.7 % beim visuellen

und von 5.2 % auf 17.4 % beim auditiven Nachsprechen.

Trotz dieser Maßregeln wurde der Befund von Allport et

al. eindeutig repliziert. Auch in der schwierigsten vi-

suellen Nachsprechaufgabe wurden signifikant mehr audi-

tive Zielwörter mit Tastendruck beantwortet als in der

leichtesten auditiven Nachsprechbedingung (Abb. 1).

KEINE LEICHT MITTEL SCHWER KEINE LEICHT MITTEL SCHWERMASKIERUNGAbb. 1:. Fehlerrate in der Entdeckungsaufgabe in Abhängigkeit von

der Schwierigkeit der Nachsprechaufgabe (Maskierstpfe)und der Nachsprechmodalität im Experiment von Schattschnei-der (1977) (aus Neumann 1978b).

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Dieses Ergebnis muß bei unvoreingenommener Betrachtung

als Beleg gegen die kapazitätstheoretische Deutung des

Cherry-Effekts gewertet werden. Es wird einen Anhänger

dieses Ansatzes aber vielleicht immer noch nicht völlig

überzeugen. Er könnte einwenden, daß die Operationalisie-

rung der Nachsprech-Schwierigkeit durch die Maskierung

als unabhängige und die Fehlerrate als abhängige Variable

nicht zwingend ist; vielleicht war die visuelle Nach-

sprechaufgabe irgendwie leichter als die auditive, auch

wenn sie wie diese durch Maskierung erschwert wurde und

die Vp in ihr dann nicht weniger Fehler machte als beim

auditiven Nachsprechen.

Das Experiment, das ich nun berichten möchte, ist der

Versuch, auch noch diesen Rest an Zweifel zu beseitigen,

und zwar durch einen Versuchsplan, der durch seine logi-

sche Struktur diese Erklärungsmöglichkeit ausschaltet,

unabhängig von inhaltlichen Plausibilitätserwägungen zur

Aufgabenschwierigkeit. Außerdem wurde das Experiment in

verschiedenen Einzelheiten der Methodik verbessert.

VERSUCHSIDEE UND ALLGEMEINER VERSUCHSPLAN

Die Logik des Experiments war einfach: Die kapazitäts -

theoretische Interpretation des vorausgehenden Experi-

ments macht die Annahme, daß das auditive Nachsprechen

für sich genommen schwieriger ist als das visuelle. Wenn

man nun jede der beiden Nachsprechaufgaben mit einer

visuellen Entdeckungsaufgabe kombiniert, dann muß, daderen Kapazitätsanforderung ja in beiden Kombinationen

dieselbe ist, nach dieser Annahme auch hier die Inter-

ferenz bei der auditiven Nachsprechaufgabe größer sein

als bei der visuellen (es sei denn, daß die visuelle

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Entdeckungsaufgabe um soviel leichter ist als die audi-

tive, daß ihre Kombination mit beiden Nachsprechaufgaben'

nicht die verfügbare Kapazität überschreitet. In diesem

Fall dürfte es in beiden Kombinationen überhaupt keine

Interferenz geben). Wenn sich aber finden sollte, daß

auch hier bei gleicher Modalität (visuelles Nachsprechen

und visuelles Entdecken) die Interferenz größer ist als

bei verschiedener Modalität (auditives Nachsprechen und

visuelles Entdecken), dann wäre die Kapazitätstheorie

zwingend widerlegt. Sie könnte diesen Befund ja nur mit

der ad-hoc-Annahme erklären, daß visuelles Nachsprechen

generell schwieriger ist als auditives; also mit dem

Gegenteil der Annahme, zu der sie der vorausgehende B -

fund genötigt hat.

Wir haben also den Versuch gegenüber dem früheren um

zwei Modalitätsbedingungen erweitert. Es gab wieder vi-

suelles Nachsprechen und auditives Nachsprechen; zu der

auditiven kam jetzt aber eine visuelle Entdeckungsaufgabe,

so daß es vier Kombinationen gab, zwei mit gleicher und

zwei mit verschiedener Modalität der beiden Aufgaben.

Hierzu mußte ein visuelles Analogon zum dichotischen

Hören konstruiert werden. Als geeignet erwies sich die

folgende Methode: Statt die Wörter einzeln tachistosko-

pisch darzubieten (wobei der Wechsel von einem Wort zum

nächsten mit der auditiven Wortfolge synchronisiert war),

wurden sie mit Hilfe eines Trickfilms als ein von rechts

nach links über die Leinwand ziehendes Schriftband dar-

geboten, dessen Bewegungsgeschwindigkeit der Geschwindig-

keit entsprach, mit der die auditiven Wörter aufeinander

folgten. (Dies hatte den zusätzlichen Vorteil, die vi-

suelle und die auditive Bedingung in der zeitlichen

Struktur der Reizdarbietung in größere Übereinstimmung zu brin-

gen als im vorausgehenden Experiment.) Für den nachzu-

sprechenden Text wurden große schwarze Letraset-Buchstaben

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benutzt, für den zu überwachenden Text kleine rote Buch-

staben.

Die Folge der kleinen, rot geschriebenen Wörter über-lagerte die der großen, schwarz geschriebenen, d.h. auf

jedem Buchstaben der schwarzen Wortfolge befand sich ein

Buchstabe der roten Wortfolge. Da alle Wörter beider Fol-

gen fünf Buchstaben hatten, überlagerte zugleich ein ro-

tes Wort stets genau ein schwarzes Wort. Die Buchstaben

waren so gewählt, daß jede der beiden Wortfolgen für sich

ohne Beeinträchtigung durch die andere lesbar war (Abb. 2).

Abb. 2: Beispiele für die Buchstaben, aus denen die visuellenReize konstruiert wurden. Buchstabe E Maskierstufe 0,Buchstabe 0 Maskierstufe 1, Buchstabe N Maskierstufe 2.Die großen Buchstaben waren schwarz, die kleinen (in derAbbildung punktierten) rot. Weitere Erläuterungen imAbschnitt 'Methode'.

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Weiter wurden gegenüber dem vorausgehenden Experiment die

folgenden Modifikationen und Erweiterungen eingeführt:

1) Maskierung. Die Schwierigkeit der Nachsprechaufgabewurde wieder durch Maskierung variiert. Bei den visuellen

Wörtern wurden Papierstreifen unterschiedlicher Breite in

der Farbe des Hintergrunds quer über die Buchstaben ge-

legt, so daß diese eine schmale (Maskierstufe 1) oder

breite (Maskierstufe 2) Lücke erhielten. Die Maskierung

der auditiven Wörter erfolgte wieder durch Überlagerung

mit weißem Rauschen. Es wurde aber gegenüber dem früheren

Experiment eine Änderung vorgenommen, die ein dort aufge-

tretenes Methodenproblem beseitigen sollte. Dort hatte

der nachzusprechende Text immer dieselbe Lautheit; er

wurde entweder allein oder mit weißem Rauschen unterschied-

licher Lautheit geboten. Es ist nicht auszuschließen, daß

dadurch auch der über das andere Ohr gebotene, zu überwa-

chende Text durch kontralaterale Maskierung beeinträch-

tigt wurde. Dies könnte zum Modalitätseffekt beigetragen,

vor allem aber die Abhängigkeit der Entdeckungsrate von

der Maskierstärke in dieser Bedingung (s. Abb. 1 ) verur-

sacht haben.

Um diese Möglichkeit auszuschalten, war im jetzigen

Experiment die Maskierung des nachzusprechenden Textes

nicht mit einer Erhöhung der Lautheit dieses Kanals ver-

bunden. Dies wurde dadurch erreicht, daß die Sprache im

nachzusprechenden Kanal um etwa den Betrag in ihrer Laut-

heit abgesenkt wurde, der durch das Rauschen hinzukam.

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2) Zielwörter. Während im vorausgehenden Experiment nur

die Schwierigkeit der Nachsprechaufgabe abgestuft worden

war, wurde jetzt außerdem die Schwierigkeit der Entdek-

kungsaufgabe variiert. Das Zielwort konnte entweder das

Wort TASTE sein (das wir in der Tradition derartiger Ex-

perimente als 'physisches' Zielwort bezeichnen), oder

aber ein Wort aus der Kategorie STÄDTENAMEN ('semanti-

sches' Zielwort). Damit sollte eine zusätzliche Über-

prüfung der Kapazitäts-Hypothese ermöglicht werden. Wenn

die Nachsprech- und die Entdeckungsaufgabe von derselben

unspezifischen Kapazität zehren, dann müßte allgemein

die Schwierigkeit einer der beiden Aufgaben die Leistung

um so mehr beeinträchtigen, je mehr Kapazität von der

anderen beansprucht wird, je schwieriger diese also ist

(Kantowitz & Knight 1978). Speziell nimmt Kahneman

(1973, S. 145) an, daß bei semantischen Zielwörtern dem

zu überwachenden Text mehr Kapazität zugeteilt wird als

bei physischen. Wenn andererseits die Nachsprechaufgabe

mit zunehmender Maskierung des nachzusprechenden Textes

ebenfalls mehr Kapazität benötigt, ist nach der Kapazi-

täts-Hypothese eine Interaktion zwischen diesen beiden

Schwierigkeitsfaktoren zu erwarten.

Der Versuchsplan umfaßte also die folgenden vier Fak-

toren: 1. Nachsprechmodalität: Nachsprechen einer rechts

gebotenen auditiven Wortfolge oder einer visuellen, als

bewegtes Schriftband aus großen schwarzen Buchstaben er-

scheinenden Wortfolge. 2. Überwachungsmodalität: Überwachen

einer auditiven Wortfolge links oder einer visuellen Wort-

folge, die als bewegtes Schriftband aus kleinen roten

Buchstaben erscheint. 3. Maskierung: Der nachzusprechende

Text ist urmaskiert (Maskierstufe 0), oder in zwei Ab-

stufungen (Maskierstufe 1 und 2) durch weißes Rauschen

(auditiver Text) oder Abdeckstreifen (visueller Text)

maskiert. 4. Zielwörter: Physisch definiert (das Wort

TASTE) oder semantisch definiert (Kategorie 'STÄDTENAMEN').

Diese Bedingungen waren orthogonal kombiniert.

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Zu den 2 x 2 x 3 x 2 24 experimentellen Bedingungskombi-

nationen kamen 12 Kontrollbedingungen (alle Kombinationen

von Nachsprechmodalität, Überwachungsmodalität und Mas-

kierstufe), die in der Reizdarbietung mit den entsprechen-

den experimentellen Bedingungen identisch waren. In die-

sen Kontrollbedingungen hatte die Vp nur die Nachsprech-

aufgabe; den zweiten Text sollte sie ignorieren.

4. METHODE

Reize

Aufbau der Listen. Die Nachsprechlisten wurden aus 30 zwei-

silbigen, fünfbuchstabigen, auf der ersten Silbe betonten

Substantiven zusammengestellt (siehe Anhang). Je zwei Sub-

stantive begannen mit denselben beiden Buchstaben (z.B.

EIFER - EISEN), so daß ein Wort nicht allein aufgrundsei-

nes Anfangs eindeutig identifizierbar war. Je eine zufäl-

lige Permutation der 30 Wörter bildete einen Block. Jede

Liste bestand aus vier ohne Unterbrechung aufeinanderfol-

genden Blöcken sowie einem Vorlauf von 5 Wörtern, der

nicht in die Auswertung einbezogen wurde. Eine Liste um-

faßte also 125 Wörter. Zu jeder Liste wurde eine Zweit-

liste zusammengestellt. Hierzu wurde jeder Block in drei

Unterblöcke zu 10 Wörtern zerlegt, und es wurde sowohl

die Reihenfolge der Blöcke innerhalb der Liste als auch

die Reihenfolge der Unterblöcke innerhalb der Blöcke ge-

ändert. Für jede der sechs Kombinationen von Maskierstu-

fen und Nachsprechmodalitäten gab es ein Paar aus Erst-

und Zweitliste.

Für die Überwachungslisten wurden 30 neue Substantive

benutzt. Sie genügten denselben Kriterien wie die Wörterin den Nachsprechlisten, mit der Ausnahme, daß darauf

verzichtet wurde, Paare mit übereinstimmenden Anfangs-

buchstaben zu bilden. Eine Liste umfaßte wieder vier

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Blöcke mit je einer zufälligen Permutation der Wörter.

Der Vorlauf enthielt hier nur zwei Wörter, so daß die

Überwachungsliste mit einer Verzögerung von drei Wörtern

gegenüber der Nachsprechliste begann. In jeder Liste wa-

ren sechs Wörter durch ein Zielwort ersetzt. Die Posi-

tion der Zielwörter war zufällig mit der Einschränkung,

daß in jedem Unterblock von 10 Wörtern nicht mehr als

ein Zielwort vorkommen konnte (d.h. es gab in einer Liste

sechs Unterblöcke mit Zielwort und sechs Unterblöcke ohne

Zielwort), und daß zwischen zwei aufeinanderfolgenden

Zielwörtern wenigstens zwei andere Wörter lagen. Die Ziel-

wörter waren, wie die übrigen Wortreize, fünfbuchstabig

und auf der ersten Silbe betont. Das 'physische' (durch ein-

deutige physische Merkmale definierte) Zielwort war das

Wort TASTE. Semantische Zielwörter waren 12 Städtenamenaus den drei Gruppen 'internationale Städte' (PADUA,

SOFIA, TOKIO und KAIRO), 'deutsche Städte' (HUSUM, FULDA,

WESEL und EMDEN) und 'Städte der näheren Umgebung'(HERNE,

HAGEN, KAMEN und LEMGO). Eine Liste enthielt jeweils zwei

Namen aus jeder der drei Gruppen. Die restlichen sechs

Zielwörter erschienen in der Zweitliste, die mit der Erst-

liste bis auf die Identität und Position der Zielwörter

übereinstimmte. Sowohl bei physischem als auch bei seman-

tischem Zielwort waren die Zielwörter der Zweitliste in

den sechs Unterblöcken enthalten, die in der Erstliste

kein Zielwort hatten.

Herstellung der Reize. Die visuellen Wörter wurden ausgroßen schwarzen Buchstaben (Letraset Compacta 42,2 mm)

für die Nachsprechlisten und kleinen roten Buchstaben

(Letraset Microgamma Medium Extended 12,1 mm) für die

Überwachungslisten hergestellt. Zur Maskierung wurde über

jeden der schwarzen Buchstaben ein diagonaler weißer Strei-

fen von 7 mm Breite (Maskierstufe 1) oder 9 mm Breite

(Maskierstufe 2) gelegt. Die Buchstaben wurden einzeln

so auf 32 mm breite Plastikplättchen geklebt, daß ihre

Erkennbarkeit beim Übereinanderlegen nicht beeinträchtigt

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war (Abb. 1 ). Beim Legen der Wörter in der Art eines

'Scrabble' -Spiels bildeten je zwei geschwärzte Plätt-

chen derselben Breite die Grenze zwischen zwei Wörtern.

Mit einer 8-mm-Kamera mit Einzelbildschaltung (Braun Nizo

Sound 1048) wurde aus diesen Reizen ein Trickfilm herge-

stellt. Der Aufnahmeabstand war so gewählt, daß der Bild-

ausschnitt genau eine Wortbreite umfaßte. Nach jeweils

zwei Aufnahmen wurde die Vorlage um eine Plättchenbreite

nach links weitergeschoben. Dies ergab bei der Projektion

den Eindruck eines Schriftbands aus übereinandergelegten

schwarzen und roten Wörtern, das von rechts nach links

durch den Bildausschnitt zog. Die Geschwindigkeit betrug.

ca. 1.38 Wörter/sec.

Zur Herstellung der auditiven Nachsprechlisten wurden ei-

ne Studer-Tonbandmaschine und ein Mischpult benutzt. Zu-

nächst wurde die Wortliste von einer Sprecherin auf Band

gesprochen, wobei die Sprechgeschwindigkeit für die Kom-

bination auditiv/auditiv durch ein Metronom kontrolliert

wurde. Sie lag dadurch mit 1.33 Wörtern/sec geringfügig

niedriger als die Darbietungsgeschwindigkeit der visuellen

Reize. Für die Kombination auditives Nachsprechen/visuelles

überwachen wurde die Sprechgeschwindigkeit durch den Film

mit den visuellen Wörtern bestimmt, den die Sprecherin

während des Sprechens sah. Zur Maskierung wurden die Tex-

te mit weißem Rauschen aus einem Peekel-Rauschgenerator

überlagert (Rauschabstand ca. 20 dB in Maskierstufe 1,

ca. 10 dB in Maskierstufe 2). Die Darbietung erfolgte mit

einer Gesamt-Lautstärke von ca. 75 dB (für Text und Rau-

schen zusammen), die für alle drei Maskierstufen gleich

war. Bei der Herstellung der auditiven Überwachungslisten

wurde darauf geachtet, daß sie so weit wie möglich mit den

zugehörigen Nachsprechlisten synchron waren. Für die Kom-

bination mit auditivem Nachsprechen hörte die Sprecherin

die Nachsprechliste und sprach die Überwachungsliste so,

daß die Wörter nach subjektivem Eindruck in Beginn und

Dauer übereinstimmten. Für die Kombination mit visuellem

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Nachsprechen wurde so verfahren, wie oben für die Kombina-

tion auditives Nachsprechen/visuelles Überwachen angege-

ben. Für die Wiedergabe der Überwachungstexte wurde eine

Lautstärke eingestellt, die mit der Lautstärke des Nach-

sprechtextes in Maskierstufe 1, gemessen ohne das Rauschen,

übereinstimmte.

Versuchsgeräte

Reizdarbietung. Die Filme wurden mit einem Projektor Bau-

er T 180 auf eine Mattscheibe projiziert, vor der die Vp

im Abstand von ca. 2 m saß. An der Rückseite der Mattschei-

be waren zwei lichtempfindliche Zellen angebracht, die

über ein Relais (Verzögerungszeit < 1 msec) mit einem Rika-

denki-Mehrfachschreiber verbunden waren (s.u.). Die Be-

leuchtung dieser Zellen wurde durch die schwarzen Flächen

zwischen zwei Wörtern jeweils kurz unterbrochen, so daß

die zeitliche Abfolge der visuellen Reize fortlaufend re-

gistriert werden konnte. Die Vp trug einen Kopfhörer, über

dessen linken Kanal sie bei der Kombination visuelles

Nachsprechen/auditives Überwachen die Tonspur des Films

hörte. Bei der Kombination auditives Nachsprechen/visuel-

les Überwachen hörte sie über den rechten Kanal den eben-

falls von der Tonspur des Films kommenden Nachsprechtext.

In der Kombination auditives Nachsprechen/auditives Über-

wachen wurden der Nachsprech- und der Überwachungstext

über zwei Spuren eines Vierkanal-Tonbandgeräts (Akai

Surround Stereo) geboten, wobei der Nachsprechtext stets

rechts und der Überwachungstext stets links zu hören war.

Datenregistrierung. Die Antworten wurden sowohl auf

Tonband als auch mit dem Mehrfachschreiber aufgezeichnet.

Das Nachsprechen wurde von zwei nebeneinander angebrach-

ten Mikrofonen aufgenommen, von denen eines an ein zwei-

tes Tonbandgerät (Uher Variocord) angeschlossen war, das

andere über einen Verstärker an einen Kanal des Mehrfach-

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schreibers. Über einen zweiten Kanal des Mehrfachschrei-

bers wurde der Nachsprechtext, der jeweils als Reiz dien-

te, aufgezeichnet (zur Aufzeichnung des visuellen Texts

s.o.). Der dritte Kanal des Schreibers diente zur Auf-

zeichnung der Tastendruck-Reaktion. Die rechte Hand der.

Vp lag auf einer Morsetaste, die beim Entdecken eines

Zielreizes zu drücken war. Über einen Verstärker war die-

se Taste mit dem Schreiber verbunden. Auf eine fortlau-

fende Aufzeichnung des Überwachungstextes konnte verzich-

tet werden, da die Zeitdifferenz zwischen dem Beginn ei-

nes Zielwortes und dem Beginn des mit ihm gepaarten Wor-

tes im .Nachsprechtext für jede Liste ermittelt worden

war. Damit konnte die Reaktionszeit der Tastendruck-Reak-

tion zunächst relativ zu diesem Wort aus dem Nachsprech-

text gemessen und dann mit dem Differenzmaß korrigiert

werden.

Versuchsplan und Versuchsablauf. Jede Vp nahm an fünfSitzungen teil. Die erste Sitzung diente der Übung im

Nachsprechen. Die Vp sprach zwei achtminütige visuelle

und zwei achtminütige auditive Listen nach, die alle in

den Experimenten vorkommenden Wörter in allen drei Mas-

kierbedingungen enthielten, wobei die Reihenfolge aber

anders war als in den experimentellen Listen. In jeder

der anschließenden experimentellen Sitzungen erhielt die

Vp eine der vier Kombinationen von Überwachungsmodalität

(auditiv oder visuell) und Zielwörtern (physisches oder

semantisches Zielwort). Die 24 Vpn wurden in der Reihen-

folge ihrer Meldung zum Versuch in vier Sechsergruppen

aufgeteilt. Die Vpn in einer Sechsergruppe durchliefen

die Sitzungen in derselben Reihenfolge, und die vier Rei-

henfolgen bildeten ein lateinisches Quadrat.

Die beiden anderen Faktoren, Nachsprechmodalität und

Maskierstufe, wurden innerhalb der Sitzungen variiert.

Drei der Vpn in jeder Sechsergruppe hatte das auditive

Nachsprechen in der ersten und das visuelle Nachsprechen

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in der zweiten Hälfte, die restlichen drei Vpn die umge-

kehrte Reihenfolge. Die sechs möglichen Reihenfolgen der

drei Maskierstufen waren so verteilt, daß (•) in einer

Sitzung (d.h. Kombination von Überwachungsmodalitätenund

Zielwörtern) jedes Mitglied einer Sechsergruppe eine an-

dere Reihenfolge hatte und (b) keine Vp in ihren vier

Sitzungen eine Reihenfolge mehrmals hatte. In den beiden

Nachsprechmodalitäten (erste und zweite Versuchshälfte)

in einer Sitzung war die Reihenfolge der Maskierbedingun-

gen für eine Vp dieselbe.

Jede Sitzung begann mit einer zweiminütigen Übungspha-

se, in der die Vp noch einmal kurze Ausschnitte aus den

Nachsprechtexten der Übungssitzung erhielt. Es folgten

die beiden in der Nachsprechmodalität verschiedenen Ver-

suchshälften, die jeweils aus den drei Teilen Kontroll-

durchgang - experimenteller Durchgang - Kontrolldurchgang.

bestanden. Im ersten Kontrolldurchgang wurde die Erst-

liste (s.o. 'Aufbau der Listen') geboten, im zweiten Kon-

trolldurchgang die Zweitliste. Im experimentellen Durch-

gang wurden Erst- und Zweitliste unmittelbar nacheinander

geboten. Die Reizdarbietung (Nachsprech- und

Überwachungsliste) war in den Kontrolldurchgängen dieselbe wie in den

experimentellen Durchgängen; die Vp war aber instruiert,

auf den überwachungstext nicht zu achten. In den Kontroll-

durchgängen für die Kombination auditives Nachsprechen/

visuelles Überwachen wurde auf die Darbietung des visuel-

len Textes verzichtet, da die Vp ihn ohnehin durch Schlie-

ßen der Augen oder Wegblicken hätte ignorieren können.

Die für eine Vp für eine Sitzung festgelegte Reihenfolge

der drei Maskierbedingungen galt auch für die Kontroll-

durchgänge. Die Instruktion, die zu Beginn jedes Versuchs-

teils verlesen wurde, bereitete die Vp darauf vor, daß

die Wörter in der Nachsprechliste unterschiedlich gut zu

hören bzw. sehen sein würden. Sie sollte so fehlerfrei

wie möglich nachsprechen, und es wurde betont, daß in den

experimentellen Durchgängen das Nachsprechen wichtiger

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sei und nicht durch die Überwachungsaufgabe beeinträch-

tigt werden sollte. Sobald sie ein Zielwort hörte, soll-

te die Vp in den experimentellen Durchgängen die Taste

drücken. Das physische Zielwort wurde als das Wort

'Taste' definiert, die semantischen Zielwörter als die

Kategorie 'Städtenamen' ohne Aufzählung der Reize.

Versuchspersonen

Die 24 Versuchspersonen waren Psychologiestudenten und

-studentinnen des ersten Studienabschnitts, die durch

die Studienordnung zur Ableistung von Versuchspersonen-

Stunden verpflichtet waren.

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5. BEFUNDE

Nachsprechfehler. Wie im vorausgegangenen Experiment

sollte die Maskierung dazu dienen, die Nachsprechaufgabe

in ihrer Schwierigkeit zu variieren. Abb. 3a und 3b zei-

gen, daß dies gelungen ist. Die Zahl der Nachsprechfehler

(überwiegend Auslassungen) nimmt in allen Bedingungen

von Maskierstufe 0 zu 1 und von dort zu Maskierstufe 2

zu.

Der zweite in Abb. 3a und 3b ins Auge springende Be-

fund ist die Abhängigkeit der Nachsprechfehler von der

Modalität des zweiten Textes. Auch in den Kontrollbedin-

gungen, in denen dieser Sekundärtext ignoriert werden

sollte, wurden in den modalitätsgleichen Paarungen sowohl

beim visuellen als auch beim auditiven Nachsprechen mehr

Fehler gemacht als in den modalitätsverschiedenen Paarun-

gen. Diese modalitätsspezifische Interferenz durch den

Sekundärtext, auch wenn dieser gar nicht beachtet werden

soll, nimmt mit wachsender Maskierung zu.

Die Varianzanalyse der arc-sin-transformierten relativen Häufig-keiten der Nachsprechfehler in der Kontrollbedingung ergab für dasauditive Nachsprechen signifikante Effekte der Maskierung (F(2,46)=225.72, p < .001) und der Modalität des Sekundärtextes (F(1,23) =99.92, p < .001) sowie eine signifikante Interaktion (F(2,46) =39.01, p < .001). Beim visuellen Nachsprechen fand sich ebenfalls

ein sehr ausgeprägter Effekt der Maskierung (F(2,46) = 101.36, p <.001); die Modalität des Sekundärtextes (F(1,23) = 10.57, p< .01)und die Wechselwirkung (F(2,46) = 7.52, p < .01) hatten weniger mas-sive, aber immer noch deutliche Effekte.

Drittens zeigen Abb. 3a und 3b zusätzliche Beeinträch-

tigungen des Nachsprechens, wenn der Sekundärtext nicht

ignoriert werden kann, sondern auf das Auftreten eines

physischen oder eines semantischen Zielwortes hin über-

wacht werden muß. Dieser Effekt ist aber beim auditiven

und beim visuellen Nachsprechen in unterschiedlicher Weise

ausgeprägt. Beim auditiven Nachsprechen (Abb. 3a) findet

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0 1 2M A S K 1 E R S T U F E

Abb. 3: Nachsprechfehler (ausgelassene oder falsch nachge-sprochene Wörter) in Prozent in den Bedingungen'auditives Nachsprechen' (Abb. 3a, oben) und 'visuel-les Nachsprechen' (Abb. 3b, unten).

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er sich sowohl beim Überwachen eines auditiven als auch

beim überwachen eines visuellen Textes, und bei semanti-

schem Zielreiz ist die Interferenz in beiden Modalitäten

deutlich größer als bei physischem Zielreiz. Beim vi-

suellen Nachsprechen fehlt diese Beeinträchtigung hin-

gegen fast völlig, wenn der zu überwachende Text auditiv

geboten wird, und zwar bei physischem ebenso wie bei

semantischem Zielreiz. Ist der zu überwachende Text eben-

falls ein visueller, dann gibt es eine Beeinträchtigung

durch beide Überwachungsaufgaben. Wie beim auditiven

Nachsprechen ist dabei das überwachen bei semantischem

Zielreiz störender als bei visuellem Zielreiz. Der Un-

terschied zwischen diesen beiden Bedingungen ist aber,

gemessen an der Stärke des Interferenzeffekts, erheblich

geringer als beim auditiven Nachsprechen.

Der vierte Sachverhalt, der sich aus Abb. 3a und 3b

ablesen läßt, ist eine Tendenz zur Konvergenz zwischen

den Kurven für Ignorieren des Sekundärtextes (Kontrolle),

Überwachen nach physischem Zielwort und Überwachen nach

semantischem Zielwort mit zunehmender Maskierung. Dies

ist eine Interaktion zwischen der Schwierigkeit der Nach-

sprechaufgabe und der Schwierigkeit (bzw. Existenz) der

Überwachungsaufgabe. Es ist aber genau das Gegenteil der

Interaktion, die nach der Kapazitätstheorie zu erwarten

wäre (s.o. S. 12). Diese hätte ja darin bestehen müssen,

daß die Schwierigkeit der einen Aufgabe die Leistung um

so mehr beeinträchtigt, je schwieriger die andere wird.

Wir finden hingegen einen größeren Effekt der Maskierung

in der Kontrollbedingung als in den Bedingungen mit zu-

sätzlicher Überwachungsaufgabe, und dort ist wiederum

die Beeinträchtigung des Nachsprechens durch Maskierung

beim Überwachen nach einem semantischen Zielwort eher ge-

ringer als beim überwachen nach einem physischen Zielwort.

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Die Nachsprechfehler wurden getrennt für auditives und visuellesNachsprechen analysiert. Für das auditive Nachsprechen ergaben sichsehr signifikante Effekte aller drei Faktoren (Maskierstufe: F (2,46)= 210.94; p< .001; Überwachungsmodalität: F (1,23) = 145.42; p< .001;physischer Zielreiz /semantischer Zielreiz/Kontrolle: F (2,46) =48.40; p < .001) sowie sehr signifikante Wechselwirkungen zwischen.Maskierstufe und Überwachungsmodalität (F (2,46)=91.09; p< .001)und zwischen Maskierstufe und Zielreizbedingung (F (4,94)=16.08;p < .001). Die beiden übrigen Wechselwirkungen waren nicht signifi-kant (jeweils F< 1.0). Die Auslassungen beim visuellen Nachsprechenzeigten ebenfalls drei signifikante Haupteffekte (Maskierstufe:F (2,46) = 124.72; p< .001; Überwachungsmodalität: F (1,23) = 78.41;p< .001; physischer Zielreiz / semantischer Zielreiz/Kontrolle:F (2,46) = 26.64; p< .001). Auch die Wechselwirkungen zwischen Mas-kierstufe und Überwachungsmodalität (F (2,46) =7.84; p< .01) undzwischen Maskierstufe und Zielreizbedingung (F (4,94)=5.13; p<.01)waren wieder signifikant. Im Unterschied zum auditiven Nachsprechengab es aber auch eine sehr signifikante Wechselwirkung zwischenÜberwachungsmodalität und Zielreizbedingung (F (2,46) = 10.19; p <.001).

Es ist nicht sinnvoll, die Einzelheiten dieses Be-

fundmusters jetzt schon zu interpretieren, bevor wir uns

die anderen Daten angesehen haben. Als die beiden für die

Ausgangsfrage entscheidenden Ergebnisse können wir aber

festhalten, daß erstens die Nachsprechleistung durch die

Maskierung in der beabsichtigten Weise beeinträchtigt

wurde, die Operationalisierung des Faktors 'Schwierig-

keit der Nachsprechaufgabe' also gelungen ist; und daß

zweitens die Schwierigkeit der Nachsprech- und der über-

wachungsaufgabe nicht in der nach der Kapazitäts Hypo-

these zu erwartenden Art miteinander interagieren.

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Ausgelassene Zielwörter. Die für die Versuchsfrage kriti-

sche abhängige Variable ist die Leistung in der Überwa-

chungsaufgabe, als deren (negatives) Maß wir zunächst den

Prozentsatz der ausgelassenen (nicht durch Tastendruck

beantworteten) Zielwörter betrachten wollen. In dem vor-

ausgehenden Experiment lag dieser Prozentsatz unabhängig

von der Schwierigkeit der Nachsprechaufgabe bei modali-

tätsgleichen Paarungen deutlich höher als bei modalitäts-

verschiedenen Paarungen. Da aber die modalitätsverschie-

denen Paarungen immer auch diejenigen waren, in denen ein

visueller Text nachgesprochen wurde, kann die Kapazitäts-

Hypothese diesen Befund, wie oben (S. 8) beschrieben, mit

der ad-hoc-Annahme erklären, daß visuelles Nachsprechen.

grundsätzlich weniger Kapazität benötigt als auditives

Nachsprechen. Wenn das stimmt, dann müßte auch bei der

visuellen Überwachungsaufgabe im jetzigen Experiment dieEntdeckungsleistung bei Paarung mit visuellem Nachsprechen

besser sein als bei Paarung mit auditivem Nachsprechen.

In Abb. 4a ist der Prozentsatz der ausgelassenen Ziel-

reize als Funktion der Nachsprechmodalität aufgetragen.

Die Vorhersage der Kapazitäts-Hypothese hat sich eindeu-

tig nicht bestätigt. Wie im vorausgegangenen Experiment

werden von den auditiven Zielreizen durchweg weniger aus-gelassen, wenn der nachzusprechende Text visuell geboten

wird, als wenn er ebenfalls auditiv geboten wird (durch-

gezogene Linien). Aber für das visuelle Überwachen kehrt

sich dieses Verhältnis um; hier werden bei Paarung mit

visuellem Nachsprechen in allen Fällen mehr Zielwörter

ausgelassen als bei Paarung mit auditivem Nachsprechen

(gestrichelte Linien). Die Interferenz bestimmt sich also

nicht durch die Aufgabenschwierigkeit, sondern sie ist

stets bei modalitätsgleichen Paarungen größer als bei mo-

dalitätsverschiedenen Paarungen.

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ART DES ZIELREIZESAbb. 4: Ausgelassene Zielreize (Prozent). Abb.4a (oben) und

4b (unten) zeigen dieselben Daten in unterschiedli-cher Darstellung.

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Über diesen Hauptbefund, der die Kapazitäts-Hypothese

widerlegt, hinaus zeigt Abb. 4a drei interessante Sach-

verhalte:

Erstens ist der Prozentsatz der ausgelassenen Ziel-wörter unter allen Bedingungen von der Maskierstufe prak-

tisch unabhängig; die drei Teildarstellungen in Abb. 4a

zeigen nahezu identische Befundmuster. Die Schwierigkeit

der Nachsprechaufgabe, wie sie durch die Maskierung vari-

iert wurde, hatte also keinen Einfluß auf die Leistung

in der Entdeckungsaufgabe. Auch dieser Befund steht im

Gegensatz zu dem, was nach der Kapazitäts-Hypothese zu .

erwarten war.

Zweitens werden in allen Bedingungen mehr semantische(schwarze Quadrate) als physische (offene Kreise) Ziel-

reize ausgelassen, wobei interessanterweise diese Diffe-

renz aber für modalitätsgleiche und modalitätsverschiedene

Paarungen dieselbe ist. Das Entdecken eines semantischen

Zielreizes wird also dadurch, daß die Vp überhaupt zugleicheine Nachsprechaufgabe hat, stärker beeinträchtigt als

das Entdecken eines physischen Zielreizes ; aber die zu-

sätzliche Erschwerung bei modalitätsgleicher Paarung ist

für beide Arten von Zielwörtern dieselbe.

Der dritte Befund, der sich aus Abb. 4a ablesen läßtund den Abb. 4b verdeutlicht, zeigt, daß der Unterschied

zwischen physischem und semantischem Zielreiz in anderer.

Weise aber doch modalitätsabhängig ist: Beim visuellen

überwachen ist er größer als beim auditiven überwachen;

und zwar auf allen Maskierstufen und bei modalitätsglei-

chen ebenso wie bei modalitätsverschiedenen Paarungen.

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Eine vierfache Varianzanalyse des arc-sin-transformierten Pro-zentsatzes ausgelassener Zielwörter zeigte sehr signifikante Haupt-effekte der Art des Zielreizes (physisch/semantisch) (F(1,23) =108.65, p < .001) und der Modalitätspaarung (modalitätsgleiche /modalitätsverschiedene Nachsprechaufgabe) (F(1,23)=242.34, p< .001).Die Maskierstufe (F(2,46) = 0.33, n.s.) und die Modalität der Über-wachungsaufgabe (F(1,23) = 0.43, n.s.) hatten keinerlei Effekt.Die einzige deutlich signifikante Wechselwirkung war die zwischender Art des Zielreizes und der Überwachungsmodalität (F(1,23) =22.22, p < .001). Keine der anderen Wechselwirkungen näherte sichder Signifikanz, ausgenommen die Interaktion zwischen allen vier.Faktoren (F(2,46) = 4.17, p < .05). In diesem schwach ausgeprägtenEffekt dürfte sich, wie Abb. 4b erkennen läßt, der Umstand aus-drücken, daß die Modalitätsabhängigkeit des Unterschieds zwischenphysischem und semantischem Zielreiz auf Maskierstufe 0 bei modali-tätsgleicher Paarung kleiner und auf Maskierstufe 2 bei modalitäts-verschiedener Paarung größer ist als in den übrigen Bedingungskom-binationen. Die Ursachen hierfür sind unklar.

Es zeigen sich hier, ebenso wie schon bei Nachsprech-

fehlern, Zusammenhänge, die über die destruktive Absicht,

die Kapazitäts-Hypothese zu widerlegen, hinaus Ansatz-

punkte zum Verständnis der Mechanismen geben, die der In-

terferenz tatsächlich zugrundeliegen. Bevor ich versuche,

dieses Puzzle zusammenzusetzen, sind noch die letzten

Bausteine hinzuzufügen, nämlich die Reaktionszeit-Daten.

Reaktionszeiten. Neben der Wahrscheinlichkeit, daß dieVp einen Zielreiz mit Tastendruck beantwortet, ist die

Latenz dieser Reaktion ein Maß für die Entdeckungsleistung.

Die Reaktionszeit-Daten sind in Abb. 5 zusammengestellt.

Der Vergleich mit Abb. 4a zeigt, daß das Befundmuster

für die beiden abhängigen Variablen nur teilweise über-

einstimmt. Eine deutliche Übereinstimmung besteht in Bezug

auf die Art des Zielreizes: Semantische Zielreize werden

häufiger ausgelassen als physische (Abb. 4a), und sie ha-

ben durchweg längere Reaktionszeiten als diese (Abb. 5).

Auch die Wechselwirkung zwischen der Art des Zielreizes

und der Überwachungsmodalität findet sich in den Reak-

tionszeitdaten wieder. Bei den Auslassungen war, wie wir

gesehen haben, der Unterschied zwischen physischen und

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NACHSPRECH-MODALITATAbb. 5: Reaktionszeiten der Tastendruck-Reaktionen (Arithmetische

Mittel der arithmetischen Mittel der Vpn, die in der be-treffenden Bedingungskombination wenigstens eine Reaktionabgaben). Wegen der unterschiedlichen Reaktionshäufigkei-ten (siehe Abb. 4) gehen in die einzelnen Datenpunkte un-terschiedlich viele Reaktionszeiten und Vpn ein.

semantischen Zielreizen beim visuellen Überwachen größer

als beim auditiven Überwachen. Dies gilt auch für die

Reaktionszeiten; die Wechselwirkung stellt sich hier so

dar, daß die Reaktionszeit bei auditivem und visuellem

überwachen für semantische Zielreize annähernd dieselbe

ist, während die Reaktion auf einen physischen Zielreiz

beim visuellen überwachen um rund ein Drittel schneller

ist als beim auditiven Überwachen.

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In einem wichtigen Punkt fehlt aber diese Übereinstimmung:

Die massive Beeinträchtigung der Entdeckungsrate bei mo-

dalitätsgleichen Paarungen, die das charakteristische.

kreuzförmige Muster der Kurven in Abb. 4a ergab, zeigt

sich bei den Reaktionszeiten nicht. Nur geringfügige Ten-

denzen gehen in diese Richtung, und sie finden sich nicht

in allen Bedingungskombinationen.

Bei der Interpretation dieser Befunde ist zu berück-

sichtigen, daß die Zahl der Reaktionen in den verschiede-

nen Bedingungskombinationen außerordentlich unterschied-

lich war (siehe Abb. 4), und daß in den modalitätsver-

schiedenen Paarungen ein Teil der Vpn keinen der 12 Ziel-

reize beantwortete. Eine statistische Analyse dieser Da-

ten steht noch aus.

Der Zusammenhang zwischen der Reaktionszeit und der

prozentualen Häufigkeit ausgelassener Zielreize ist in

Abb. 6 als Korrelationsdiagramm dargestellt. Es ist erstens

zu sehen, daß sich der Unterschied zwischen physischen und

semantischen Zielreizen gleichermaßen in der Reaktionszeit

wie in der Auslassung von Zielreizen ausdrückt. Der Ver-

gleich zwischen der auditiven und der visuellen

Überwachungsmodalität zeigt zweitens, daß bei einer gegebenen Re-aktionszeit beim visuellen Überwachen mehr Zielreize aus-

gelassen werden als beim auditiven Überwachen, oder, um-

gekehrt ausgedrückt, daß bei einer gegebenen Auslassungs-

rate die Reaktionszeit beim auditiven überwachen länger

ist als beim visuellen Überwachen.

Dabei stimmen die beiden überwachungsmodalitäten bei

physischem Testreiz ungefähr in der Zahl der ausgelasse-

nen Zielreize überein, unterscheiden sich aber in der

Reaktionszeit. Bei den semantischen Zielreizen ist es um-

gekehrt: Die Reaktionszeit ist für visuelle und auditive

Zielreize dieselbe, während die Auslassungsrate in d er

visuellen Modalität höher liegt als in der auditiven Mo-

dalität. Dadurch ist in beiden Maßen der Unterschied

zwischen den beiden Arten von Zielreizen beim visuellen

Überwachen größer als beim auditiven Überwachen.

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REAKTIV O N S Z E I T (ms)

Abb. 6 : Zusammenhang zwischen der mittleren Reaktionszeit(Abszisse) und dem Prozentsatz ausgelassener Ziel-reize (Ordinate) für die einzelnen Bedingungskombi-nationen. Die Ziffern bei jedem Symbol bezeichnendie Maskierstufe (1 =keine Maskierung, 2

=Maskierstufe 1, 3 =Maskierstufe 2).

Der dritte und massivste Sachverhalt, den Abb. 6 ver-

deutlicht, ist der unterschiedliche Effekt der Modaititäts-paarung. Bei den Auslassungen liegen alle Werte bei

modalitätsgleichen Paarungen über den Werten bei modalitäts-

verschiedenen Paarungen. In der Reaktionszeit unterschei-

den sich die beiden Gruppen von Daten hingegen nur gering-

fügig.

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6. DISKUSSION

Was den hauptsächlichen Zweck des Versuchs angeht, sind

die Befunde so eindeutig, daß sie keiner ausführlichen

Erörterung bedürfen. Die Entdeckungsleistung in der Über-

wachungsaufgabe hängt davon ab, ob die Nachsprechaufgabe

modalitätsgleich oder modalitätsverschieden ist. Dieser

Effekt kann nicht auf unterschiedliche Schwierigkeit des

Nachsprechens zurückgeführt werden, denn er findet sich

beim visuellen ebenso wie beim auditiven Nachsprechen

(Abb. 4a und 4b). Die kapazitätstheoretische Deutung,

die für unser früheres Experiment noch möglich war, schei-

det also aus.

Auch die weiteren Befunde entsprechen zum großen Teil

nicht dem, was man aufgrund der Kapazitäts-Hypothese er-

warten würde. Die Nachsprechleistung wird zwar durch die

hinzukommende Überwachungsaufgabe und in Abhängigkeit

von deren Schwierigkeit beeinträchtigt, aber diese In-

terferenz wird mit zunehmender Schwierigkeit des Nach-

sprechens keineswegs größer, sondern sie zeigt im Gegen-

teil eine Tendenz, sich zu verringern (Abb. 3a und 3b).

Bei der Überwachungsaufgabe läßt sich nicht nur die Mo-

dalitätsabhängigkeit der Interferenz nicht auf einen

Schwierigkeitsfaktor zurückführen, sondern die Zahl der

ausgelassenen Zielwörter ist überhaupt praktisch unab-

hängig von der Schwierigkeit des Nachsprechens, wie sie

durch die Maskierung und die Zahl der Nachsprechfehler

operationalisiert ist (Abb. 4a und 4b).

Die destruktive Absicht des Experiments ist also er-

reicht. Ich komme nun zu der Frage, wie sich die Befunde

besser als mit der Kapazitäts-Hypothese erklären lassen,

und welche Hinweise auf generelle Mechanismen der Inter-

ferenz bei einer verbalen Doppelhandlung sich ihnen ent-

nehmen lassen.

Page 35: INTERFERENZ BEIM BEACHTEN SIMULTANER SPRACHLICHER … · 1. EINLEITUNG Das Experiment, über das ich berichten werde, ist Teil eines Projekts (Neumann 1978 a, 1978 b, 1978 c, 1980;

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Der hervorstechende Befund ist die modalitätsspezifi-

sche Interferenz zwischen den beiden Aufgaben: Das Nach-

sprechen wird durch eine modalitätsgleiche stärker als

durch eine modalitätsverschiedene Überwachungsaufgabe be-

einträchtigt; und entsprechend werden beim Überwachen

weitaus weniger Zielreize entdeckt und beantwortet, wenn

die Nachsprechaufgabe auf dieselbe als wenn sie auf die

andere Modalität gerichtet ist. Aber diese modalitäts-

spezifische Interferenz ist nicht die einzige Störung,

die in den Daten in Erscheinung tritt. Interferenzeffekte

geringerer Stärke finden sich in beiden Aufgaben auch bei

modalitätsverschiedenen Paarungen; des weiteren wird das

Nachsprechen auch durch einen Sekundärtext beeinträchtigt,

der gar nicht beachtet, sondern im Gegenteil ignoriert

werden soll (Kontrollbedingung in Abb. 3a und 3b).

Diese Störungen unter verschiedenen Aufgaben-Bedingungen

deuten, wie auch das unterschiedliche Befundmuster bei

den drei abhängigen Variablen (Nachsprechfehler, ausge-

lassene Zielwörter und Reaktionszeit) darauf hin, daß die

Beeinträchtigung bei einer Doppelhandlung der untersuchten

Art nicht auf eine einzige Ursache zurückgeht. Die Vermu-

tung, daß hier unterschiedliche Formen der Interferenz

mit ihrer jeweils spezifischen Funktionsgrundlage zusam-

mentreffen, erhärtet sich, wenn man das Befundmuster im

einzelnen analysiert. Ich beginne mit der Interferenz in

der Kontrollbedingung ohne überwachungsaufgabe, befasse

mich dann mit der Interferenz bei modalitätsverschiedenen

Paarungen und komme zum Schluß zum Hauptbefund, der moda-

litätsspezifischen Interferenz.

Page 36: INTERFERENZ BEIM BEACHTEN SIMULTANER SPRACHLICHER … · 1. EINLEITUNG Das Experiment, über das ich berichten werde, ist Teil eines Projekts (Neumann 1978 a, 1978 b, 1978 c, 1980;

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Interferenz bei der Nachsprechaufgabe allein. Die Nachsprech-

leistung in der Kontrollbedingung verschlechtert sich,

wie wir beabsichtigt hatten, mit zunehmender Maskierung.

Dieser Effekt wird aber erheblich verstärkt, wenn zu-

gleich ein Sekundärtext in derselben Modalität geboten.

wird, den die Vp ignorieren soll (Abb. 3a und 3b) . Die sehr

ausgeprägte Wechselwirkung zwischen diesen beiden Fakto-

ren legt die Vermutung nahe, daß sie gemeinsam, und sich

in ihrem Effekt gegenseitig verstärkend, auf demselben

Teilprozeß einwirken. Dies ist, anders als bei Reaktions-

zeitdaten, kein zwingender Schluß, aber doch eine plau-

sible Möglichkeit, die an Wahrscheinlichkeit gewinnt,

wenn man sich die perzeptive Struktur der Reizsituation

vor Augen führt.

Der nachzusprechende und der Sekundärtext bilden ja

bei modalitätsgleichen Paarungen ein perzeptives Ensemble

(sie gehören, um mit Wolff (1977, 1978) zu sprechen,der-

selben Einheit auf einer höheren Hierarchieebene an).

Die Nachsprechaufgabe ist (vgl. Neumann 1980, S. 409 ff.)

nur korrekt zu lösen, wenn es der Vp gelingt, innerhalb

dieses Ensembles auf der untergeordneten Ebene die rich-

tige Einheit zu fokussieren und zu identifizieren (also

den schwarzen und nicht den roten bzw. den rechten und

nicht den linken Text). Dieser Vorgang, so die Annahme,

wird um so schwieriger, je mehr der nachzusprechende

Text bereits ohnehin durch Maskierung perzeptiv beein-

trächtigt ist.

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Dieses erschwerte Fokussieren gewissermaßen entgegen

einem Gefälle perzeptiver Deutlichkeit (das bei Maskie-

rung des nachzusprechenden Textes ja den zu ignorieren-

den Sekundärtext begünstigt) wird subjektiv als erhöhte

Konzentration erlebt, so daß diese Bedingungen im um-

gangssprachlichen Sinn besonders 'viel Aufmerksamkeit'

verlangen. Sie verlangen aber offenkundig nicht besonders

viel 'zentrale Verarbeitungskapazität' im Sinn der Kapa-

zitätstheorie, denn sie werden, wie wir gesehen haben,

durch die Einführung der Überwachungsaufgabe und durch

Erhöhung von deren Schwierigkeit nicht generell stärker ge-

stört als die anderen, subjektiv leichteren Nachsprech-

bedingungen.

Interferenz bei modalitätsverschiedener Doppelaufgabe. In den

eben besprochenen Bedingungen hat die Vp nur eine einzige

Aufgabe. Die Interferenz kommt, wie ich annehme, dadurch

zustande, daß die Einbeziehung von Reizinformation in

diese Handlung durch Maskierung und durch den Sekundär-

text erschwert wird. Die Doppelaufgaben mit modalitäts-

verschiedener Paarung, die wir als nächste betrachten

wollen, sind gewissermaßen das Gegenstück dazu. Bei ihnen

ist die Informationsselektion unproblematisch, aber es

werden von der Vp zwei simultane Handlungen verlangt, de-

ren gegenseitige Abstimmung offenbar nicht problemlos

gelingt.

Das Fokussieren eines visuellen Textes dürfte, auch

wenn er maskiert ist, nicht durch einen auditiven Text

erschwert werden, und ebensowenig umgekehrt, denn sie ge-

hören keinem gemeinsamen, in der Hierarchie übergeordne-

ten Ensemble an. Aber mit dem Fokussieren der Reize ist

es ja nicht getan. Sie müssen auch so transformiert wer-

den, daß sie sich zur Einbeziehung in die Handlung eignen;

und hier liegt, wie die Daten vermuten lassen, die Schwie-

rigkeit in diesen Bedingungen.

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Den ersten Hinweis hierauf gibt das unterschiedliche

Verhalten der visuellen und der auditiven Nachsprechauf-

gabe bei modalitätsverschiedener Paarung (Abb. 3a und 3b).

Das visuelle Nachsprechen wird durch die auditive über-

wachungsaufgabe praktisch nicht beeinträchtigt, und zwi-

schen physischem und semantischem Zielreiz gibt es über-

haupt keinen Unterschied. Hingegen wird die Leistung in

der auditiven Nachsprechaufgabe durch das visuelle Über-

wachen verschlechtert, und zwar bei semantischem Zielreiz

mehr als bei physischem Zielreiz.

Was es mit dieser Asymmetrie auf sich hat, läßt sich

erschließen, wenn man sich klarmacht, welche Teilleistungen

in den beiden Paarungen verlangt werden. Die Kombination,

in der es keine Beeinträchtigung des Nachsprechens gibt,

lautet: (LESEN + SPRECHEN) - (HÖREN + TASTE DRÜCKEN).

Die Kombination, in der es beim Nachsprechen zu einer Be-

einträchtigung kommt, lautet: (HÖREN + SPRECHEN) - (LESEN

+ TASTE DRUCKEN). LESEN und HÖREN sind also, wenn sie

auf unterschiedliche Reize gerichtet sind, miteinander

vereinbar, ebenso SPRECHEN und HÖREN sowie die entspre-

chenden Kombinationen mit TASTE DRÜCKEN. Die Interferenz

in der zweiten Kombination kann folglich nur entweder an

HÖREN - TASTE DRÜCKEN oder an SPRECHEN - LESEN liegen.

Das erste scheidet als Erklärung der Beeinträchtigung des

Nachsprechens aus, da das TASTE DRÜCKEN ja nur gelegent-

lich (6 mal bei jeweils 120 Wörtern) verlangt war. Die

Interferenz ist also bei den Teilfunktionen LESEN -

SPRECHEN zu lokalisieren.

Diese Folgerung steht im Einklang mit zahlreichen Be-

funden anderer Autoren, die spezifische Interferenz zwi-

schen Sprechen und Lesen gefunden haben (z.B. Kleiman

1975, Levy 1977, Martin 1978). Sie läßt sich theoretisch

in den Rahmen der Sprechplan-Hypothese des Lesens (Neumann

1979, 1980) stellen, die besagt, daß beim Lesen zwar nicht,

wie einige Autoren annehmen, 'implizites Sprechen', jedoch

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die Sprechplanung auf einer abstrakten, der artikulatori-

schen Programmierung funktional vorausgehenden Stufe be-

teiligt ist.

Gleichzeitiges Lesen und Sprechen ist natürlich nicht

generell unmöglich, sonst könnte man ja nicht laut lesen.

Man ist auch durchaus in der Lage, zugleich ein Wort zu

lesen und ein anderes zu sprechen; dies geschieht beim

geübten Leser sogar ständig, da das Lesen dem Sprechen

um mehrere Wörter vorauseilt (Blick-Sprech-Spanne).

Schwierigkeiten sind nach der Sprechplan-Hypothese aber

zu erwarten, wenn die Aufgabensituation es verlangt, zu-

gleich auf derselben Steuerungsebene (z.B. auf der Silben- oder

der Wortebene) unterschiedliche Einheiten zu aktivieren

(s. Neumann 1979, 1980). Dies ist in unserem Experiment

bei gleichzeitigem auditivem Nachsprechen und visuellem

überwachen zu erwarten, da auditive und visuelle Wörter

synchron geboten wurden.

Damit erklärt sich auch der zunächst überraschende Be-

fund, daß die Interferenz, der die visuelle

Überwachungsaufgabe unterliegt, für physische und semantische Ziel-

reize so unterschiedlich ist (Abb. 4a und 4b). Das Lesen

(der visuellen Wörter) beeinträchtigt das Sprechen (der

gehörten Wörter im auditiven Text), aber ebenso muß na-

türlich das Sprechen (auditiver wie visueller Wörter) das

Lesen (eines [zweiten] Textes visueller Wörter) beein-

trächtigen (wie z.B. in den Experimenten von Levy 1977

u.a.). Ein semantischer Zielreiz kann vermutlich nur ent-

deckt werden, wenn er als Wort gelesen wurde; er muß also

dieser Form der Interferenz unterworfen sein. Das Wort

TASTE dürfte jedoch von einer mit der Aufgabe vertrauten

Vp wenigstens in einem Teil der Fälle auch als visuelle

Konfiguration identifizierbar sein, d.h. ohne notwendige

Beteiligung der Sprechplanung (vgl. Neumann 1979, S. 101),und

damit fast interferenzfrei, wenn (beim auditiven Nachsprechen)

hier die einzige Quelle der Interferenz liegt.

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Ich fasse diesen Schritt der Interpretation zusammen:

Die erklärungsbedürftigen Befunde sind erstens, daß das

auditive Nachsprechen durch das visuelle Überwachen,

nicht aber das visuelle Nachsprechen durch das auditive

überwachen beeinträchtigt wird; zweitens, daß der Unter-

schied zwischen der Entdeckungsrate für physische und

für semantische Zielreize beim visuellen Überwachen er-

heblich größer ist als beim auditiven Überwachen. Beides

läßt sich mit der Sprechplan-Hypothese des Lesens erklä-

ren. Wenn die abstrakte Sprechplanung eine Komponente

des Lesens ist, dann ist wechselseitige Interferenz mit

dem gleichzeitigen Nachsprechen eines visuellen wie au-

ditiven Textes zu erwarten; es sei denn, daß die visuelle

Überwachungsaufgabe, wie es vermutlich bei physischem

Zielreiz wenigstens z.T. möglich ist, auch ohne Lesen

bewältigt werden kann.

Wenn diese Interpretation richtig ist, dann haben wir

es hiermit einer zweiten Form spezifischer Interferenz

zu tun, die nicht nur in Bezug auf die für sie kritischen

experimentellen Faktoren das Gegenstück der im vorausge-

henden Abschnitt erörterten Interferenz beim Fokussieren

ist, sondern auch in funktioneller Hinsicht. Unser Ver-

such verlangt - wie die meisten Aufgaben, die Versuchs-

personen in Laborexperimenten gestellt werden - die

Konkretisierung von Handlungen durch die selektive Ein-

beziehung von Reizinformation. Eine Beeinträchtigung

dieses Vorgangs kann zum einen dadurch herbeigeführt

werden, daß die Informationsselektion erschwert wird; oder

zweitens dadurch, daß die Vp simultan Handlungen ausfüh-

ren soll, deren Abstimmung schwierig ist, weil die

Handlungssteuerung für sie sich auf bestimmten Ebenen überlappt.

Die beiden bisher erörterten Gruppen von Befunden waren

Beispiele für diese beiden Aspekte der Interferenz. Ich

komme nun zum Hauptbefund, der modalitätsspezifischen

Interferenz in der Doppelaufgabe, wo diese beiden Aspekte,

wie ich glaube, zusammenwirken.

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Interferenz bei modalitätsgleicher Doppelaufgabe. Beim Nach-

sprechen als Einzelaufgabe ist es der Vp, wie wir gesehen

haben, nicht möglich, einen modalitätsgleichen Sekundär-

text ganz zu ignorieren, insbesondere nicht in der audi-

tiven Modalität. Wenn sie nicht fähig ist, in dieser Auf-

gabensituation auf den Sekundärtext nicht zu achten,

dann müßte sie - so könnte man meinen - auf ihn gut ach-

ten können, wenn die Aufgabe dies verlangt. Die Daten

zeigen aber das Gegenteil: Gerade bei den modalitätsglei-

chen Paarungen, in denen die Vp augenscheinlich den Se-

kundärtext unfreiwillig beachten muß, wenn sie ihn igno-

rieren möchte, gelingt es ihr besonders schlecht, ihn

freiwillig zu beachten, wenn die Aufgabe dies verlangt!

Dieses scheinbare Paradox läßt sich mit Hilfe von

Wolffs (1977) Hierarchie-Modell lösen. In der Tat wird

'der Sekundärtext' beim Nachsprechen als Einzelaufgabe

genau in denjenigen Bedingungen unfreiwillig beachtet,

in denen 'der Sekundärtext' in der Doppelaufgabe nicht

erfolgreich intentional beachtet werden kann. Aber die

Art, wie er dort jeweils repräsentiert ist, unterscheidetsich. Das unfreiwillige Beachten im ersten Fall haben

wir damit erklärt, daß es der Vp schwerfällt, in der mo-

dalitätsgleichen Paarung, und hier insbesondere bei den

auditiven Texten, den nachzusprechenden Text aus dem

perzeptiven Ensemble, das er mit dem zweiten Text bil-

det, herauszulösen und zu fokussieren. Soweit dies nicht

gelingt, wird auch der Sekundärtext beachtet, aber nicht

auf der 'Korngröße' der beiden individuellen Texte,

sondern auf der Korngröße eben ihres perzeptiven Ensem-

bles. Auf dieser hierarchischen Ebene sind einige seiner

physischen Merkmale repräsentiert, aber er ist ebenso-

wenig zu verstehen wie der nachzusprechende Text. Er störtalso das Nachsprechen, aber er kann selbst nicht ver-

standen und beantwortet werden.

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Innerhalb des Hierarchie-Konzepts widersprechen die

beiden Sachverhalte einander also nicht. Sie lassen

sich mit seiner Hilfe im Gegenteil auf denselben Sach-

verhalt zurückführen: Eine Grundannahme des Hierarchie-

Modells besagt, daß Einheiten, die derselben übergeord-

neten Einheit auf einer höheren Repräsentationsebene

angehören, nicht zugleich fokussiert werden können

(Wolff 1977; zur handlungstheoretischen Begründung siehe

Neumann 1980, S. 355ff). Wenn bei modalitätsgleichen

Paarungen die beiden Texte ein perzeptives Ensemble auf

einer übergeordneten Ebene bilden, dann kann es einer-

seits schwierig sein, überhaupt einen der beiden Texte

zu fokussieren; andererseits ist es aber ebenfalls

nicht möglich, beide als Einheiten (und nicht als Bestand-teile ('Eigenschaften') des übergeordneten Ensembles)

simultan zu fokussieren.

Es muß also unterschieden werden zwischen - in der

Terminologie der klassischen Aufmerksamkeitspsychologie-

verteilter und geteilter Aufmerksamkeit ('distributed

attention' 'divided attention'). Die Zugehörigkeit der

modalitätsgleichen Texte zu einem übergeordneten Ensem-

ble ist die (notwendige, noch nicht die hinreichende)

Voraussetzung für die Schwierigkeit, bei der Einzelauf-

gabe von der verteilten zur gerichteten Aufmerksamkeit

zu gelangen, und sie ist zugleich die Ursache für die

Unmöglichkeit, beide Texte zugleich mit geteilter Auf-

merksamkeit zu fokussieren. Diese letztere Annahme

trifft sich mit der klassischen 'single channel'-Theorie,

die für den speziellen Fall der gleichzeitigen Verar-

beitung dichotischer verbaler Texte starke empirische

Unterstützung hat (siehe z.B. Moray 1975), die aber, wie

ich zu zeigen versucht habe, kein zutreffendes allgemei-

nes Modell der Aufmerksamkeit abgibt.

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Mit dieser Modellvorstellung lassen sich die Befunde

zum Modalitätseffekt gut integrieren:

Die Reaktionszeit des Tastendrucks auf einen entdeck-

ten Zielreiz war von der Art der Modalitätspaarung im

wesentlichen unabhängig, obwohl die Zahl der ausgelasse-

nen Zielreize bei modalitätsgleichen Paarungen gegenüber

modalitätsverschiedenen Paarungen ja drastisch erhöht

war. Wenn, wie das Hierarchiemodell annimmt, die Vp zu

einem Zeitpunkt bei modalitätsgleichen Paarungen nur ei-

nen der beiden Texte fokussieren kann, dann läßt sich

dieser Befund darauf zurückführen, daß ein Zielreiz nur

dann zu einer Entdeckungsreaktion führt, wenn er als

erster, vor dem mit ihm gepaarten Wort im nachzusprechen-

den Text, fokussiert wird. Die Reaktionszeit ist dann

nicht wesentlich niedriger als bei den modalitätsver-

schiedenen Paarungen, wo die beiden Reize zugleich fokus-

siert werden können, obwohl die Entdeckungswahrschein-

lichkeit in diesem letzteren Fall wegen der Möglichkeit

des gleichzeitigen Fokussierens weitaus größer ist.

Auch der zunächst überraschende Befund, daß die Ent-

deckungsrate von der Maskierung des nachzusprechenden

Textes - also von der Schwierigkeit der Nachsprechauf-

gabe - praktisch unbeeinflußt bleibt, obwohl anderer-

seits die Entdeckungsaufgabe und deren Schwierigkeit sich

beeinträchtigend auf die Nachsprechleistung auswirkt,

läßt sich innerhalb des Hierarchie-Modells erklären. Die

Vp hat bei modalitätsgleichen Paarungen eine doppelte

Selektionsaufgabe: Sie muß eine bestimmte hierarchische

Ebene fokussieren, und auf ihr einen bestimmten Reizge-

genstand. Die Maskierung macht es schwer, den nachzu-

sprechenden Text auf seiner Ebene (und nicht die überge-

ordnete Ebene des Ensembles aus den beiden Texten) zu

fokussieren. Dies fordert 'konzentrierte Aufmerksamkeit';

aber die strukturellen Voraussetzungen dafür, daß der

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zweite, nicht nachzusprechende Text auf seiner Ebenefokussiert werden kann, werden durch die Maskierung

nicht tangiert. In welchem Maß ihm, und in welchem Maß

dem nachzusprechenden Text in ihrer Konkurrenz auf der

untergeordneten Hierarchieebene die Priorität einge-

räumt wird, hängt von der Strategie der Vp und den ihr

zugrundeliegenden Aufgabenanforderungen ab. Die zusätz-

liche überwachungsaufgabe und deren subjektive Schwie-

rigkeit ändern, wie man annehmen kann, die Gewichte bei

dieser Entscheidung; deshalb leidet die Nachsprechlei-

stung unter der zusätzlichen Überwachungsaufgabe.

4

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ANHANG

Die Nachsprechlisten wurden aus den folgenden 30 Wörtern

zusammengestellt:

BEINE HAARE LEBEN SONNEBESEN HAKEN LEHNE SORGEEIFER HILFE REISE THEMAEISEN HITZE RENTE THESEFADEN KERZE SACHE WEIDEFASER KETTE SAHNE WELLEGABEL LANZE SEELEGALLE LATTE SEITE