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Universität Würzburg Prof. Dr. Eva-Maria Kieninger Sommersemester 2018 VORLESUNGSMATERIAL Internationales Privatrecht

Internationales Privatrecht - jura.uni-wuerzburg.de · • Römisches Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ) „Rom I– -Übereinkommen“,

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Universität Würzburg

Prof. Dr. Eva-Maria Kieninger

Sommersemester 2018

VORLESUNGSMATERIAL

Internationales Privatrecht

Universität Würzburg Sommersemester 2018 Prof. Dr. Eva-Maria Kieninger

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Internationales Privatrecht

Gliederungsübersicht A. Allgemeiner Teil § 1 Einführung: Gegenstand des IPR, Begriff, Abgrenzung zu benachbarten

Rechtsgebieten, praktische Bedeutung, Schrifttum § 2 Ziele des IPR, Gerechtigkeit im IPR

§ 3 Aufbau der Kollisionsnormen, Arten von Kollisionsnormen

§ 4 Quellen des IPR, insbesondere zur Kollisionsrechtsvereinheitlichung durch

Verordnungen der EU und Staatsverträge § 5 Die Ermittlung des anwendbaren Rechts: Anknüpfungsmomente, Qualifikation,

Renvoi, Art. 3a Abs. 2 EGBGB, Mehrrechtsstaaten § 6 Die Anwendung fremden Rechts: Vorfrage, ordre public, Anpassung, Amtsermittlung B. Besonderer Teil § 7 Vertragliche Schuldverhältnisse im Allgemeinen § 8 International zwingende Vorschriften (Eingriffsnormen) § 9 Exkurs: Anwendungsbereich des CISG § 10 Verbrauchervertragsrecht § 11 Weitere besondere Vertragsverhältnisse § 12 Deliktsrecht § 13 Weitere gesetzliche Schuldverhältnisse (entfallen) § 14 Sachenrecht § 15 Personalstatut (natürliche Personen), Namensrecht § 16 Familienrecht § 17 Erbrecht § 18 Juristische Personen und Gesellschaften

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Gliederung mit Fällen und Hinweisen zu Vor-, Nachbereitung und Vertiefung (zusätzlich zu den einschlägigen Lehrbuchkapiteln)

A. Allgemeiner Teil

§ 1 Einführung: Gegenstand des IPR, Begriff, Abgrenzung zu benachbarten

Rechtsgebieten, praktische Bedeutung, Schrifttum

Beispiele 1. Ein Autozulieferer (A) mit Sitz in Nürnberg liefert Zündkerzen an eine in England ansässige Tochtergesellschaft (T) eines Automobilherstellers mit Hauptverwaltungssitz in den USA. Der technische Leiter des Betriebs in England behauptet, die letzte Lieferung sei mangelhaft gewesen und habe zu erheblichen Verzögerungen bei der Herstellung geführt. T verlangt von A Schadensersatz. 2. Auf dem Main bei Würzburg stoßen aufgrund von Nebel zwei niederländische Binnenschiffe (die „Amsterdam“ und die „Rotterdam“) zusammen. Die Reederei R (Sitz in Rotterdam) der „Rotterdam“ behauptet, der Kapitän der „Amsterdam“ sei an dem Unfall schuld und verlangt Schadensersatz vom Betreiber der A (Sitz in Amsterdam).

§ 2 Ziele des IPR, kollisionsrechtliche und materiell-rechtliche Gerechtigkeit

§ 3 Aufbau der Kollisionsnormen, Arten von Kollisionsnormen

§ 4 Quellen des IPR, insbesondere zur Kollisionsrechtsvereinheitlichung durch EU-

Verordnungen und Staatsverträge I. Hierarchie der Quellen

II. Sinn und Zweck der Kollisionsrechtsvereinheitlichung, insbesondere durch die EU III. Instrumente und Akteure IV. Bestehendes Einheitsrecht (Überblick) V. Auslegung des vereinheitlichten Rechts VI. Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung und Drittstaaten (Haager Konferenz)

Zur Vertiefung:

Dutta, Europäische Integration und nationales Privatrecht nach dem Vertrag von Lissabon: die Rolle des Internationalen Privatrechts, EuZW 2010, 530 ff.; W.-H. Roth, Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung – Überblick, Kompetenzen, Grundfragen, EWS 2011, 314 ff.; R. Wagner, EU-Kompetenz in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, RabelsZ 79 (2015) 521 ff.; M.-Ph. Weller, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht: Abschied von der „klassischen“ IPR-Dogmatik?, IPRax 2011, 429 ff. Jährlich in der IPRax erscheinende Berichte zum Stand des Europäischen Kollisionsrechts von Mansel/Thorn/Wagner (früher: Jayme/Kohler), zuletzt: IPRax 2018, 1 ff. Jährliche Rechtsprechungsübersicht zum IPR von Rauscher in NJW, zuletzt NJW 2017, 3486 ff. Überblick über Rom I und II: Jessica Schmidt, Grundlagen des europäischen Internationalen Privatrechts, JURA 2011, 117 ff. Zu VI.: Basedow, EU-Kollisionsrecht und Haager Konferenz – Ein schwieriges Verhältnis, IPRax 2017, 194 ff.

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Rückblick zur Entwicklung des IPR seit 1970: Sonnenberger, Beständigkeit und Wandel des IPR im Spiegel von fünf Auflagen des MünchKomm BGB, in: FS Säcker, 2011, 1141-1173. Zur Sonderrolle Dänemarks: P.A. Nielsen, ZEuP 2016, 300 ff. Dänemark hat sich im Referendum vom 3.12.2015 gegen den opt-in Mechanismus ausgesprochen!

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Art. 3 Nr. 2 EGBGB

Autonome Auslegung

RECHTSQUELLEN DES INTERNATIONALEN PRIVATRECHTS UND INTERNATIONALEN ZIVILVERFAHRENSRECHTS

Staatsverträge

IPR

• Römisches Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ) – „Rom I-Übereinkommen“, vgl. auch Art. 27 ff. EGBGB. Seit 17.12.2009 für alle EU-Staaten mit Ausnahme Dänemarks außer Kraft

• Haager Unterhaltsprotokoll 2007 (seit 8/2013 in Kraft)

• Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ)

IZVR

• Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ) (Neufassung, ABl. EG Nr. L 339/3 vom 21.12.2007)

• Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbareungn

Europäisches Gemeinschaftsrecht

IPR (Art. 81 Abs. 2 lit c AEUV)

• VO über das auf vertragliche Schuldver-hältnisse anzuwendende Recht (Rom I)

• VO über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II)

• Unterhalts-VO v. 18.12.2008 • VO über Verstärkte Zusammenarbeit im

Bereich des auf die Ehescheidung anzuwendenden Rechts vom 20.12.2010 (Rom III), anwendbar seit 21.6.2012

• VO über Zuständigkeit, das anzuwen-dende Recht... in Erbsachen v. 4.6.2012, anwendbar ab 17.8. 2015 (Todesfall)

• VO über Zuständigkeit, das anzuwen-dende Recht... in Fragen des ehelichen Güterstandes v. 24.6.2016, anwendbar ab 29.1.2019 (Verfahrensbeginn)

IZVR (Art. 81 Abs. 2 lit a u. c AEUV)

• Verordnung (EG) über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVOneu oder Brüssel Ia)

• Verordnung (EG) über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Ent-scheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (EheVO II oder Brüssel IIa)

• Europäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBVO) • Europäische Zustellungsverordnung (EuZVO) • Europäische Verordnung über das Insolvenz-

verfahren (EuInsVO) • Verordnung (EG) über den europäischen Voll-

streckungstitel (EuVTVO) • Verordnung (EG) zur Einführung eines europäischen

Mahnverfahrens • Verordnung (EG) zur Einführung eines europäischen

Verfahrens für geringfügige Forderungen

Autonomes deutsches Recht

IPR

• Art. 3 ff. EGBGB (teilweise aber nur noch eingeschränkter Anwendungsbereich, zB Art. 40 ff.)

• Richterrecht, Gewohnheitsrecht, z.B. Internationales Gesellschaftsrecht

IZVR

• §§ 12 ff., 328, 722 ZPO (doppelfunktional) • §§ 97 ff. FamFG

Art. 3 Nr. 1 EGBGB

Autonome Auslegung durch den

EuGH

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§ 5 Die Ermittlung des anwendbaren Rechts: Allgemeine Fragen I. Anknüpfungsmomente, insbesondere zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts II. Qualifikation III. Renvoi IV. Mehrrechtsstaaten V. Das Verhältnis von Gesamtstatut zu Einzelstatut

Fall 1: (nach BGH XII ZR 107/08 vom 9.12.2009): Zwei iranische Staatsangehörige heirateten 1992 in Teheran. Dabei verpflichtete sich der Ehemann zur Leistung einer Morgengabe in Höhe von 1500.- €, die auf Anforderung durch die Ehefrau auszuzahlen war. 1993 verließen die Parteien den Iran und lebten fortan in Deutschland. Sie erwarben 2000 die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Ehe soll nun in Deutschland geschieden werden. Die Ehefrau verlangt Zahlung der Morgengabe unter Anpassung an die Geldwertentwicklung, wie es dem iranischen Recht entspricht. Welches Recht ist anwendbar?

Fall 2: Ein deutscher Staatsangehöriger (S) stirbt im Januar 2016 in Malaga (Spanien), wo er gemeinsam mit seiner französischen Ehefrau (E) seit 2008 gelebt hatte. Zuvor hatten die beiden Ehegatten seit der Hochzeit im Jahr 1993 durchgehend in Berlin gelebt und gearbeitet. S hatte weder ein Testament errichtet noch einen Erbvertrag oder Ehevertrag geschlossen. Kann die Ehefrau (E) eine Erhöhung des gesetzlichen Erbteils um ¼ nach § 1371 BGB verlangen? Fall 3: E ist britischer Staatsangehöriger mit letztem britischen Wohnsitz in London. 1990 siedelt er mit seiner Ehefrau (ebenfalls britische Staatsangehörige) nach München über. Das Paar hat drei Kinder, die in München aufwachsen, E arbeitet für ein deutsches Unternehmen, die Familie ist zweisprachig und hat auch die Absicht, weiter in München zu bleiben. 2011 stirbt E und hinterlässt ein Hausgrundstück in München und Bankguthaben bei der Deutschen Bank. Nach welchem Recht richtet sich die Erbfolge? Fall 4: E ist britischer Staatsangehöriger, wohnte aber seit 1995 ständig in Kalifornien und hatte auch die Absicht, dort zu bleiben. Er stirbt am 19.8.2015 in Kalifornien. Er hinterlässt Bankguthaben und Wertpapiere bei verschiedenen Banken in den USA und in England sowie eine Wohnung in München, in der er vor seiner Übersiedlung in die USA gelebt hatte. Die Wohnung hat einen Marktwert von 500.000.- €. E hinterlässt seine Ehefrau und einen Sohn. Nach welchem Recht richtet sich die Erbfolge nach E, unterstellt ein deutsches Gericht hätte hierüber zu befinden?

Vertiefungshinweise: Zu I.: EuGH 2.4.2009, Rs. C-523/07 (A.), Slg. 2009 I 2805; EuGH 22.12.1010, Rs. C-497/10 (Mercredi) Dutta, Der gewöhnliche Aufenthalt, IPRax 2017, 139 ff.; M.-Ph. Weller, Der „gewöhnliche Aufenthalt“ – Plädoyer für einen willenszentrierten Aufenthaltsbegriff, in: Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 2013, 292 ff. Zu II: EuGH 1.3.2018, Rs. C-558/16 (Mahnkopf) Zu III.: Henrich, Der Renvoi: Zeit für einen Abgesang?, in: FS von Hoffmann (2012), 159 ff.; Schack, Was bleibt vom renvoi, IPRax 2013, 315 ff.; Jan von Hein, Der Renvoi im europäischen Kollisionsrecht, in: Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 2013, 341 ff.; Corneloup, Zum Bedeutungsverlust des Renvoi, IPRax 2017, 147 ff.

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§ 6 Die Anwendung fremden Rechts

I. Vorfrage II. Ordre Public III. Anpassung IV. Amtsermittlungsgrundsatz und praktische Fragen

Fall 1: Die dt. Staatsangehörige Martha (M) und der Österreicher Alfons (A) haben sich 2005 auf einer Weltreise kennengelernt und sogleich von einem Stammeshäuptling der Amazonasindianer „trauen“ lassen. Sie lebten seither gemeinsam in Wien und betrachten sich als verheiratet. Im Januar 2015 kehrt M auf Dauer nach Deutschland zurück und will im November 2015 in Deutschland den Scheidungsantrag stellen. Im Vorfeld will sie wissen, welches Recht auf die Scheidung und den güterrechtlichen Ausgleich anzuwenden ist? Fall 2: Frau Drossel, in Deutschland geborene deutsch-griechische Doppelstaaterin, und Herr Vasallis, griechischer Staatsangehöriger, beide Angehörige der griechisch-orthodoxen Kirche, lebten von 1982 bis 2013 gemeinsam in Deutschland und haben 1985 in Duisburg vor einem Popen nach griechisch-orthodoxem Ritus geheiratet, ohne zuvor standesamtlich die Ehe geschlossen zu haben. Sie siedeln auf Wunsch des V 2013 nach Griechenland über und haben die Absicht, dort den Lebensabend zu verbringen. V stirbt kinderlos im Januar 2016, ohne ein Testament zu hinterlassen. Die Geschwister und Eltern des V sind vorverstorben. D kehrt daraufhin nach Deutschland zurück. Wer ist gesetzlicher Erbe des V? (IZ eines dt. Gerichts vorausgesetzt) Hinweis: Nach Art. 1821 griech. ZGB erhält die Ehefrau des Erblassers den gesamten Nachlass, wenn keine näheren Angehörigen vorhanden sind. Fall 3: Der saudi-arabische Staatsangehörige S heiratet während des Studiums in Deutschland seine langjährige Freundin F, die ebenfalls die saudi-arabische Staatsangehörigkeit besitzt. Beide leben nach Beendigung des Studiums zunächst weiterhin in Deutschland. Am 1.9.2012 tritt S eine lukrative Stelle in Saudi-Arabien an und beschließt nach einigen Monaten, künftig dort auch leben zu wollen. F dagegen bleibt in Deutschland und will auch in Zukunft nicht in die Heimat zurückkehren, da sie die dortigen Lebensverhältnisse als frauenfeindlich empfindet. Am 2. April 2013 kommt es zu einem Treffen der Eheleute in Deutschland. Dort verstößt der Ehemann seine Ehefrau durch dreimaliges Sagen des Satzes „Ich verstoße Dich“. Ein islamischer Geistlicher verfasst darüber gemäß dem saudi-arabischen Recht eine Niederschrift. Seither leben S und F getrennt. Variante 1: Am 1.6. 2013 verklagt F den S auf Zahlung von ehelichem Unterhalt und trägt vor, sie sei trotz der Verstoßung weiterhin die Ehefrau des S. Variante 2: Am 1.6.2013 reicht F in Deutschland Scheidungsantrag ein.

Fall 4: (nach City of Gotha and Federal Republic of Germany v Sotheby's and Cobert Finance, S.A., High Court, QB v. 9.9.1998, vgl. dazu Remien, AcP 201 (2001) 730 ff.) Die "Heilige Familie", ein Gemälde von Wtewael, hing in der Kunstsammlung der Stadt Gotha, bis es gegen Ende des II. Weltkriegs verschwand. Auf unbekannten Wegen gelangte es aus der Sowjetunion 1987 nach West-Berlin, wurde dort von einer Diplomatengattin unterschlagen und an die panamaische Gesellschaft „Cobert Finance“ weiterveräußert. Als das Bild 1992 bei Sotheby's versteigert werden sollte, verlangen die Stadt Gotha und die Bundesrepublik Herausgabe. Die Beklagten berufen sich auf Verjährung. Nach Ansicht des englischen Gerichts unterlag die Frage der Verjährung deutschem Recht.

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Fall 5: (nach OLG Stuttgart NJW-RR 2005, 740 ff. = JuS 2006, 952 ff.; siehe auch OLG Schleswig NJW 2014, 88 ff.); siehe dazu aber jetzt EuGH 1.3.2018, Rs. C-558/16 (Mahnkopf) Der Erblasser ist Österreicher und war in zweiter Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Die Eheleute lebten in Deutschland. Außer einer gemeinsamen Tochter lebt beim Tod des Erblassers noch ein in Wien wohnhafter Enkel, der Sohn eines vorverstorbenen Sohnes des Erblassers aus erster Ehe. Wie gestaltet sich die Erbfolge? Hinweise: Nach österreichischem Erbrecht erhält der überlebende Ehegatte neben Verwandten der ersten Ordnung 1/3 des Nachlasses. Einen zusätzlichen güterrechtlichen Zugewinnausgleich bei Auflösung der Ehe durch Tod kennt das österreichische Recht nicht.

Zur Vertiefung: Zu I.: Zur Vorfragenproblematik im Europäischen IPR: Dennis Solomon, Die Anknüpfung von Vorfragen im Europäischen Internationalen Privatrecht, in: FS Spellenberg 2010, 355 ff.; sehr kritisch gegenüber der Figur der Vorfrage: Gerald Mäsch, Zur Vorfrage im europäischen IPR, in: Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? 2013, 201 ff. Zu II.: Zur Talaq-Scheidung: Andrae, Anwendung des islamischen Rechts im Scheidungsverfahren vor deutschen Gerichten, NJW 2007, 1730 ff.; BGH 6.10.2004, BGHZ 160, 322 ff. Zur Scheidung durch „Selbstloskauf“ nach ägyptischem Recht vgl. OLG Koblenz 19.9.2012, NJW 2013, 1377 ff. Insgesamt zum islamischen FamR vor deutschen Gerichten: Bock, NJW 2012, 122 ff. Zur Nicht-Anwendbarkeit der Rom III-VO auf Privatscheidungen siehe EuGH 20.12.2017, Rs. C-372/16 (Sahyouni/Mamisch) Zu IV.: Kieninger, Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts, in: Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? 2013, 479 ff. Zur Revisibilität ausl. Rechts nach § 545 ZPO und § 72 Abs. 1 FamFG siehe BGH 4.7.2013, NJW 2013, 3656 ff. mit umfassender Darstellung des Streitstands.

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B. Besonderer Teil § 7 Vertragliche Schuldverhältnisse im Allgemeinen

I. Anwendungsbereich der Rom I VO II. Rechtswahl III. Grenzen der Rechtswahl bei Inlands- bzw. Binnenmarktsachverhalten IV. Objektive Anknüpfung V. Reichweite des Vertragsstatuts VI. Form VII. Stellvertretung VIII. Forderungsabtretung IX. Aufrechnung Fall 1: Die S. GmbH mit Sitz in Frankfurt a.M. schließt mit der Y. S.A.R.L. mit Sitz in Paris einen Vertrag über die Lieferung und Errichtung einer Industrieanlage für Y’s neuen Standort in Algerien. Der 200 Seiten umfassende Vertrag enthält als letzten Punkt folgende Vereinbarung: Subsidiär anwendbar auf diesen Vertrag ist schweizerisches Recht. Variante 1: Die Rechtswahlklausel lautet wie folgt: „Sollte irgendein Punkt in diesem Vertrag nicht geregelt sein, finden subsidiär die Unidroit Regeln über internationale Handelsverträge Anwendung. Ausschließlicher Gerichtsstand für Streitigkeiten aus diesem Vertrag ist Paris.“ Variante 2: Der Vertrag enthält keine Regelung zum anwendbaren Recht oder zum Gerichtsstand. Es kommt bei S. zu Verzögerungen bei der Abwicklung des Auftrags. Y verklagt die S-GmbH vor dem Handelsgericht Paris auf Zahlung von Schadensersatz für Betriebsausfall in Höhe von 1 Mio. €. Beide Parteien stützen sich in ihren Schriftsätzen ausschließlich auf Normen des Code civil und des Code de Commerce. Fall 2: Die X-GmbH mit Sitz in Stuttgart liefert Autozubehör an verschiedene Großhändler mit Sitz im Vereinigten Königreich. Das von der X versandte Bestellformular enthält auf der Rückseite die Verkaufsbedingungen. Darin findet sich unter anderem eine Rechtswahlklausel zugunsten des englischen Rechts, denn die international agierende Anwaltskanzlei, die X bei der Ausarbeitung der Verkaufsbedingungen beraten hat, behauptet, auf diese Weise ließe sich „das missliebige deutsche AGB-Recht, mit dem die Gerichte ohnehin nur Unfug trieben, ausschalten.“ Stimmt das? Variante: Gilt dasselbe Ergebnis auch im Verhältnis von X zu ihren Kunden mit Sitz in Deutschland? Fall 3: Tourist T mit gewöhnlichem Aufenthalt in München reist in den Sommerferien nach Italien, kommt zufällig bei einem Bummel durch Bologna an dem Haushaltswarengeschäft des U vorbei, das keinerlei Internetwerbung betreibt und sich auch nicht speziell an Touristen wendet, und erwirbt dort eine Espressomaschine (Preis: 500.- €). 13 Monate später ist das Gerät irreparabel defekt. T schreibt an U und fordert ihn zur Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rücksendung des Geräts auf. U hält entgegen, dass nach den im schriftlichen Kaufvertrag abgedruckten AGB Schweizer Recht gewählt sei; das hatte ihm einmal ein befreundeter Unternehmer aus dem Tessin geraten. Nach Art. 210 OR verjährten Mängelgewährleistungsansprüche nach 1 Jahr. Hinweis: § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB beruht auf Art. 5 Abs. 1 VerbrauchsgüterkaufRL. Nach Art. 7 Abs. 1 RiLi ist die Verjährungsfrist von 2 Jahren unabdingbar.

Fall 4: (nach BGH IPRax 2005, 342 ff. m. Anm. Unberath aaO, 308) K, eine Gesellschaft mit Sitz auf den Philippinen, verhandelt mit B, einer deutschen Hypothekenbank, über den Kauf einer Forderung in Höhe von 4 Mio. €. Die Forderung ist durch Grundpfandrechte an verschiedenen Immobilien gesichert. Diese stehen im Eigentum der S, einer Gesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Frankreich, und sind in Frankreich belegen. Der Forderungskauf sollte in Frankreich durch französische Notare beurkundet

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werden. Der Beurkundungstermin platzt in letzter Minute, weil die französische Staatsanwaltschaft die Transaktion zuerst anhand des Geldwäschegesetzes überprüfen muss. Darauf bricht B die Verhandlungen ab und veräußert die Forderung an einen in den Niederlanden ansässigen Dritten. K verlangt von B Schadensersatz aus culpa in contrahendo. Anwendbares Recht?

Fall 5: Privatier und Kunstfreund K mit Wohnsitz in München will in New York eine von mehreren Skulpturen von A. Giacometti erwerben, die aus Privatbesitz in einer New Yorker Galerie zum Kauf angeboten werden. Verkäuferin ist eine amerikanische Stiftung mit Sitz in San Francisco. Da K sich zum fraglichen Zeitpunkt auf einer dringend notwendigen Kur in Marienbad (Tschechien) befindet, beauftragt er telefonisch seinen ebenfalls in München wohnhaften Sekretär S, nach New York zu reisen und eine der Skulpturen zu einem angemessenen Preis zu erwerben, wobei er 500.000 USD als Maximum angibt. S vereinbart mit dem Geschäftsführer der Galerie (G) einen Kaufpreis von 500.000 USD, obwohl die Skulptur eigentlich nur 400.000 USD kosten sollte, und behält 100.000 USD ein. Welches Recht ist auf die Frage der wirksamen Vertretung des K durch S anwendbar, wenn ein deutsches Gericht zur Entscheidung berufen wäre?

Fall 6: (nach Hoge Raad v. 16. Mai 1997, RdW 1997, Nr. 126 c) Hansa, ein Unternehmen mit Sitz in Deutschland, liefert im August 1994 chemische Produkte an die in den Niederlanden ansässige Bechem B.V.; der Kaufvertrag enthält einen verlängerten Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretungsklausel. Einen Tag später verkauft Bechem die Produkte weiter an Senzora B.V., eine ebenfalls in den Niederlanden ansässige Gesellschaft. Zwei Wochen später stellt Bechem ihre Zahlungen ein, kurz darauf wird der Konkurs eröffnet. Weder Bechem noch Senzora haben zu diesem Zeitpunkt den jeweils geschuldeten Kaufpreis bezahlt. Der Konkursverwalter und Hansa erheben Anspruch auf den von Senzora hinterlegten Geldbetrag. Hinweis: Nach niederländischem materiellen Recht ist die Veräußerung von Sachen und Rechten zu Sicherungszwecken unwirksam (Art. 3:84 Abs. 3 BW).

Zur Vertiefung:

Zur Wählbarkeit von Principles nach Art. 3 Abs. 1 EVÜ (in Rom I unverändert): Michaels, Privatautonomie und Privatkodifikation, RabelsZ 62 (1998) 580-626.

Zur Rom I-Verordnung im Überblick: Leible/Lehmann, Die VO über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), RIW 2008, 528 ff.; Mankowski, Die Rom I-Verordnung – Änderungen im europäischen IPR für Schuldverträge, IHR 2008, 133 ff.; Pfeiffer, Neues Internationales Vertragsrecht, EuZW 2008, 622 ff.; Rolf Wagner, Der Grundsatz der Rechtswahl und das mangels Rechtswahl anwendbare Recht (Rom I-VO), IPRax 2008, 377 ff. Spickhoff, Die Rechtswahl und ihre Grenzen unter der Rom I-VO, in: Kieninger/Remien (Hrsg.), Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung, 2012, 117 ff. Zu den Auswirkungen auf das EGBGB: Martiny, Neues deutsches internationales Vertragsrecht, RIW 2009, 737 ff.

Zu Art. 3 Abs. 4 Rom I-Verordnung (Binnenmarktklausel): Johannes Hoffmann, Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO – Das Ende des Quellenpluralismus im europäischen internationalen Vertragsrecht?, EWS 2009, 254 ff.

Zur Stellvertretung: Art. 8 EGBGB neu! dazu Spickhoff, RabelsZ 80 (2016), 481. Zur Forderungsabtretung: Kieninger, Das Statut der Forderungsabtretung im Verhältnis zu Dritten,

RabelsZ 62 (1998) 678-711; dies., Die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Abtretung, in: Basedow/Remien/Wenckstern (Hrsg.), Europäisches Kreditsicherungsrecht, 2010, 147 ff. Siehe jetzt auch Vorschlag der EU Kommission COM (2018) 96 final

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§ 8 International zwingende Vorschriften (Eingriffsnormen)

Fall 1 (angelehnt an EuGH 9.11.2000, Rs. C-381/98 (Ingmar)) Die Ingmar Ltd. mit Sitz in England schloss 2010 einen Handelsvertretervertrag mit der Eaton Technologies Inc. (Sitz in Kalifornien, USA), worin sich Ingmar verpflichtete, für Eaton in GB und den Niederlanden tätig zu werden. Dieser Vertrag, der kraft einer Rechtswahl kalifornischem Recht unterlag, wurde 2013 beendet. Ingmar verlangt entsprechend der Handelsvertreterrichtlinie eine Entschädigung. Eaton dagegen erklärt (richtig), dass das kalifornische Recht einen solchen Ausgleichs- oder Entschädigungsanspruch des Handelsvertreters nicht kenne. Ingmar Ltd. klagt Entschädigung vor dem High Court ein. Auszug aus der RiLi 86/653/EWG zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter KAPITEL I Anwendungsbereich Artikel 1 (1) Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Harmonisierungsmaßnahmen gelten für die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Rechtsbeziehungen zwischen Handelsvertretern und ihren Unternehmern regeln. (2) Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen. Artikel 17 (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen dafür, daß der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 hat. [....] Artikel 19 Die Parteien können vor Ablauf des Vertrages keine Vereinbarungen treffen, die von Artikel 17 und 18 zum Nachteil des Handelsvertreters abweichen.

Fall 2 (nach Cour Cass. 16.3.2010, n. 08-21.511): M., ein französisches Unternehmen mit Sitz in Marseille, exportiert französisches Rindfleisch. M. beauftragte V, eine Lieferung Rindfleisch, die von dem in Ghana ansässigen K. bestellt worden war, nach Ghana zu transportieren. Das Rindfleisch wurde an der Grenze zu Ghana vom ghanaischen Zoll zurückgewiesen, weil Ghana kurzfristig ein Importverbot für Rindfleisch aus Frankreich und anderen europäischen Ländern erlassen hatte, um seine Bestände vor einer Tierseuche zu schützen. Das Fleisch wurde von V. wieder nach Marseille zurückgebracht und dort wegen des nahenden Verfalldatums zu einem Schleuderpreis verkauft. M verklagt V auf Schadensersatz wegen seines finanziellen Verlusts. Nach französischem Recht sei der Transportunternehmer für alle Schäden und jeden Verlust des Gutes auf dem Transport verantwortlich (diese Angaben sollen als richtig unterstellt werden).

Zur Vertiefung: Spickhoff, Zwingendes Recht und Internationales Privatrecht, JURA 2007, 407 ff.; Freitag, Die kollisionsrechtliche Behandlung ausländischer Eingriffsnormen nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, IPRax 2009, 109 ff.; Wulf-Henning Roth, Savigny, Eingriffsnormen und die Rom I-Verordnung, in: FS Kühne, 859 ff.; Remien, in: FS von Hoffmann, 2012, 334 ff.; Sonnenberger, Eingriffsnormen, in: Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-VO?, 2013, 429 ff.

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§ 9 Exkurs: CISG

Fall 1: Im Mai 2006 kauft das Würzburger Möbelhaus „Stilvoll Wohnen“, ein Unternehmen der Schöner Wohnen GmbH mit Sitz in München, 200 auf der Insel Murano hergestellte Kronleuchter von der L. S.p.A. (Sitz in Venedig). Ist auf den Vertrag UN-Kaufrecht anzuwenden?

Fall 2: Am 1.10.2011 schließen die BASF (Sitz in Ludwigshafen) und die Bananas of Brasil Ltd. einen Vertrag über die Lieferung von 10 Tonnen Schädlingsvernichtungsmittel durch die BASF. Die Bananas of Brasil Ltd. ist eine Gesellschaft nach dem Recht des US-Bundesstaates Delaware, der Kaufvertrag wird jedoch durch die brasilianische Zweigniederlassung geschlossen und abgewickelt. Trotz der Anwendung des Mittels wird ein Teil der Bananen von Schädlingen befallen. Die Käuferin klagt vor einem deutschen Gericht auf Schadensersatz. Wird das Gericht auf den Vertrag UN-Kaufrecht anwenden?

Fall 3: Der Verlag Oxford University Press (Sitz in Oxford) verkauft 1000 englische Wörterbücher an eine Buchladenkette mit Sitz in Stuttgart. Der Vertrag wird am 2.5.2011 geschlossen, als spätester Liefertermin wird der 16.8.2011 vereinbart. Die Bücher treffen erst im September beim Käufer ein. Daraufhin erklärt der Käufer, er wolle nur noch 500 Bücher abnehmen, an dem Vertrag im Übrigen aber nicht mehr festhalten, da die Bücher nach Beginn des Schuljahres nicht mehr in so hoher Zahl verkauft werden könnten. Der Verlag klagt in Deutschland auf Zahlung des vollen Kaufpreises. a) Welches Recht wird das Gericht anwenden? b) Würde sich am Vertragsstatut etwas ändern, wenn die Oxford University Press vor einem englischen Gericht klagen würde? Fall 4: Für das Weihnachtsgeschäft 2011 kauft die Nanz AG durch ihre Münchner Niederlassung 5 Tonnen getrocknete Datteln von einem Fruchtgroßhändler in Ankara. Der Vertrag enthält u.a. folgende Bestimmungen: a) Der Gerichtsstand für alle aus diesem Vertrag resultierenden Streitigkeiten ist Berlin. b) Auf diesen Vertrag ist deutsches Recht anzuwenden. Die Datteln sind bei ihrem Eintreffen in München verdorben. Die Nanz AG ist der Ansicht, dass sie gegen den türkischen Vertragspartner nach §§ 437 ff. BGB vorgehen kann. Sind §§ 437 ff. BGB auf diesen Vertrag anzuwenden? Fall 5: (Nach OLG Stuttgart, IHR 2008, 102). K, Unternehmer mit Sitz in Deutschland, erwirbt von einem lettischen Unternehmen mit Sitz in Riga einen gebrauchten Mercedes als Geschäftswagen. Das Auto erweist sich später als mangelhaft. K fordert deshalb Rückabwicklung des Kaufs, hilfsweise Schadensersatz. Der Vertrag enthielt nur eine Gerichtsstandsklausel (Wahl der dt. Gerichte), aber keine Rechtswahlklausel. Beide Parteien verhandeln erstinstanzlich auf der Basis von BGB und HGB.

§ 10: Verbrauchervertragsrecht Quellen: Art. 6 und Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO; Art. 46b EGBGB.

Rechtsprechung des EuGH (zu der Parallelvorschrift des Art. 17 EuGVVO):

EuGH 20.1.2005, Rs C-464/01 (Gruber/BayWa AG)

EuGH 7.12.2010, Rs. C-585/08 und C-144/09 (Pammer/Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH/Heller) = EuZW 2011, 98 ff. m. Anm. Clausnitzer. EuGH 6.9.2012, Rs. C-190/11 (Daniela Mühlleitner/Ahmad Yusufi und Wadat Yusufi) BGH 24.4.2013, ZIP 2013, 1141.

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EuGH 17.10.2013, Rs. C-218/12 (Lokman Emrek/Vlado Sabranovic), IPRax 2014, 63 ff, mit Besprechungsaufsatz Rühl, IPRax 2014, 41 ff. EuGH 25.1.2018, Rs. C-498/16 (Schrems/Facebook) Zur Rechtswahl: EuGH 28.7.2016, Rs. C-191/15 (Amazon), EuZW 2016, 755 ff.: Bespr. Mankowksi, NJW 2016, 2705 ff.

I. Kollisionsrechtlicher Schutz des Verbrauchers: Sinn und Grenzen

Fall 1:

Frau Schmitt, wohnhaft in Würzburg, sieht zu Hause in einer Teleshopping-Sendung ein Armband, das ihr spontan gefällt. Sie bestellt es umgehend telefonisch bei der in Belgien ansässigen Fa. „Bijoux Madeleine S.A.“ (B). Die belgische Rufnummer war in der Teleshopping-Sendung eingeblendet worden. Als das Armband bei Frau Schmitt eintrifft, stellt sie fest, dass es von minderwertiger Qualität ist. Sie will es zurücksenden und den bereits von ihrer Kreditkarte abgebuchten Betrag von 99.- € erstattet bekommen. Am Telefon erklärt ihr ein Mitarbeiter der B jedoch, dass es sich um ein Sonderangebot gehandelt habe. Die Ware könne nicht umgetauscht werden. S ärgert sich über diese Antwort derartig, dass sie den Anwalt Dr. Normal in seiner Kanzlei in der 0815-Straße aufsucht und ihn um Rat fragt. Variante 1: Frau Schmitt bestellt das Armband durch Ausfüllen eines Bestellformulars im Internet an ihrem PC. Die Fa. Bijoux Madeleine wirbt dort auch in deutscher Sprache sowie explizit damit, dass sie von deutschen Kunden keine höheren Versandkosten verlangt als von inländischen. S kreuzt an, dass sie die AGB des Verkäufers gelesen und akzeptiert habe. In den AGB steht u.a.: „Für diesen Vertrag gilt ruritanisches Recht.“ Ruritanien ist kein Mitgliedstaat der EU. Das ruritanische Recht kennt keine Widerrufsrechte bei Fernabsatzverträgen. Variante 2: Frau Schmitt kauft das Armband im Ladengeschäft in Antwerpen. (i) nachdem sie im Internet gezielt nach Modeschmuckanbietern in Antwerpen gesucht und dabei auf das Ladengeschäft der Fa. Bijoux Madeleine gestoßen war; (ii) an dem sie zufällig beim Spazierengehen vorbeikommt. Das Geschäft betreibt keinerlei Internet- oder sonstige überregionale Werbung. Welches Recht ist auf den Kaufvertrag jeweils anzuwenden?

II. VSS des Art. 6 Rom I VO im Einzelnen

III. Rechtsfolgen

IV. Weitere Vorschriften zum Verbraucherschutz:

(i) Art. 3 Abs. 4 Rom I

Fall 2:

Die spanische Niederlassung der Happy Living GmbH mit Hauptverwaltungssitz in Berlin wirbt in Hotels auf Gran Canaria, die überwiegend von deutschen Pauschalreisetouristen besucht werden, für Einkaufs- und Besichtigungsfahrten ins Inselinnere. Bei den auf deutsch abgehaltenen Einkaufsveranstaltungen werden in Deutschland hergestellte Produkte verkauft (Heizdecken, Steppmäntel, elektronische Haushaltsgeräte u.ä.). Ehepaar Schmidt aus Würzburg nimmt am 15. Juli an einem solchen Ausflug teil und erwirbt eine Heizdecke und eine Kaffeemaschine. Wieder zuhause angekommen, stellen sie fest, dass beide Produkte erheblich überteuert waren. Sie möchten von dem Kauf zurücktreten. In dem schriftlichen (auf deutsch) abgefassten Kaufvertrag heißt es unter III. „Rechtswahl“: „Dieser Vertrag unterliegt

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dem Recht der Isle of Man.“ Der Vertrag enthält kein Rücktritts- oder Widerrufsrechte und keine Belehrungen über solche Rechte. Trotzdem senden die Eheleute S am 2. August einen Brief an die Happy Living, in dem sie vom Vertrag zurücktreten und Rückzahlung der bereits geleisteten 250.- € verlangen. Ist eine Klage von Herrn und Frau Schmidt gegen die Happy Living GmbH auf Rückzahlung des Kaufpreises von insgesamt 250.- € begründet?

Hinweis: Das Recht der Isle of Man kennt keine dem deutschen Recht (§ 312 BGB) vergleichbaren Vorschriften. Im Übrigen soll davon ausgegangen werden, dass das internationale und nationale Vertragsrecht der Isle of Man mit dem deutschen identisch ist.

(ii) Verbraucherschutz im Richtlinienkollisionsrecht (Art. 46b EGBGB) (iii) Zur Rechtswahl in AGB (EuGH Amazon): RiLi 93/13

§ 11: Weitere besondere Vertragsverhältnisse I. Arbeitsverträge: Art. 8 Abs. 1 Rom I VO 1. Anwendungsbereich: Erfasst sind Individualarbeitsverträge, im Gegensatz zu Verträgen des kollektiven Arbeitsrechts wie Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Nicht zu verwechseln mit Individualvereinbarungen im Sinn des AGB-Rechts, d.h. selbstverständlich werden auch formularmäßig abgeschlossene Verträge erfasst. Erfasst werden auch nichtige und nur faktische Arbeitsverhältnisse; folgt aus Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I: Folgen der Nichtigkeit regelt das Arbeitsvertragsstatut. Arbeitsvertrag (autonom zu bestimmen; maßgeblich ist Rspr. des EuGH zu Art. 45 AEUV) = „jeder rechtlich wirksame Dienstvertrag, der eine fremdbestimmte und weisungsgebundene Tätigkeit des wirtschaftlich und persönlich abhängigen Arbeitnehmers gegen Vergütung zum Gegenstand hat und zugleich zu einer Einbindung des Verpflichteten in den Betrieb des Arbeitgebers führt“ (vgl. Nomos-Kommentar/Doehner, Art. 8 Rom I, Rz. 6) Also: auch Teilzeit-, Ausbildungs-, Leiharbeits-, Heim-, Telearbeitsvertrag. Problematisch können sein: Scheinselbständige, ltd. Angestellte, Geschäftsführer, arbeitnehmerähnliche Personen, Handelsvertreter Vgl. auch die Def. in § 5 Arbeitsgerichtsgesetz, die aber für die Rom I-VO nicht bindend ist! 2. Bestimmung des anwendbaren Rechts a) Rechtswahl, siehe Art. 8 Abs. 1 S. 1 iVm Art. 3. ABER: Ebenso wie bei den Verbraucherverträgen bleiben die für den AN günstigeren, nicht dispositiven Vorschriften des obj. Vertragsstatuts anwendbar („Law mix“, „ Rosinentheorie“). Davon erfasst sind (aus dt. Sicht)

• die nicht-dispositiven Vorschriften des Individualarbeitsrechts (z.B. Kündigungsschutz, gesetzl. Mindestlohn, arbeitsrechtl. Gleichbehandlungsgrundsatz, Urlaubsansprüche, Arbeitnehmerschutz bei Betriebsübergang, § 613a BGB, Arbeitsschutz- und Arbeitszeitbestimmungen, Schutzvorschriften für Mütter, Schwerbehinderte und Jugendliche, Vorgaben des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes).

• zwingende Vorschriften des allg. Vertragsrechts wie §§ 305 ff. BGB, die ja seit Schuldrechtsmodernisierung auch für das Arbeitsrecht gelten

• auch Bestimmungen in Tarifverträgen, wenn jedenfalls eine Tarifpartei aufgrund von Tarifunterworfenheit oder Allgemeinverbindlicherklärung an den Tarifvertrag gebunden ist

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Trotzdem kann sich eine Rechtswahl empfehlen, vor allem bei wechselnden Einsatzorten oder bei vorübergehender Beschäftigung im Ausland. b) Ohne Rechtswahl: Art. 8 Abs. 2 „lex loci laboris“ Primär ist das Recht des gewöhnlichen Arbeitsortes anwendbar (EuGH: „Ort, wo der AN regelmäßig und im Wesentlichen seine geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich erbringt.“ Bei unterschiedlichen Orten (zB teilweise Tele- oder Heimarbeit in einem anderen Staat als dem, in dem der Betrieb liegt) kommt es auf den Ort an, an dem die überwiegende Arbeitsleistung erbracht wird.

Fall 1: Herr X, französischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Arnheim (Niederlande), erhält ab dem 1.1.2010 bei der WITOX-Schrauben und Beschläge-GmbH die Position eines Vertriebsleiters für Westdeutschland, Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Ca. 30 % seiner Arbeitszeit verbringt er in seinem Büro in der Hauptniederlassung der GmbH in Viersen (Deutschland), weitere 35 % an verschiedenen Kundenstandorten im Raum Köln, Aachen und im Ruhrgebiet und weitere 35 % auf Geschäftsreisen zu Kunden in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg. Welches Recht ist auf den Arbeitsvertrag zwischen X und der GmbH anwendbar, wenn der Vertrag keine Rechtswahl enthält? Fall 2: Die österreichische Studentin Sarah Schmidt, die in Frankfurt a.M. Ethnologie studiert, bessert ihr BaFöG durch eine regelmäßige Tätigkeit als Stewardess bei Ryanair (irische Fluggesellschaft mit Sitz in Dublin) auf. Sie fliegt pro Woche zwei Mal von Frankfurt/Hahn nach Santiago de Compostela (wöchentliche Arbeitszeit 14 Std.). Der Arbeitsvertrag mit R endet mit der Klausel: „This contract is governed by Irish law“. Als S schwanger wird, fragt sie sich, ob für ihr Arbeitsverhältnis das deutsche Mutterschutzgesetz (zB Beschäftigungsverbote in der Schwangerschaft, Schutzfristen, Entgeltfortzahlung etc.) anwendbar sei.

c) Wenn Arbeitsort nicht nach Art. 8 Abs. 2 Rom I bestimmbar: Nur noch Einzelfälle, seit Gesetzgeber in Abs. 2 die Worte „von dem aus“ eingeführt hat und damit alle Fälle erfasst, in denen die wechselnde Tätigkeit im Ausland immerhin von einer Basis aus organisiert wird, an die der AN immer wieder zurückkehrt. Bsp.: Beschäftigung mit ständigem Arbeitsort auf hoher See (Bohrinsel); oder wechselnder Einsatzort (Montage) in verschiedenen Staaten ohne regelmäßige Rückkehr zu einer Basis. Dann: Anknüpfung an Belegenheit der Niederlassung, die den AN eingestellt hat. d) Ausweichklausel in Abs. 4: Kommt v.a. bei Anknüpfung nach Abs. 3 in Frage, da Anknüpfung an Sitz der einstellenden NL kein allzu prägendes SV Element sein muss. 3. Reichweite des Arbeitsvertragsstatuts Siehe die allg. Regeln in Art. 10 und 12. Bedeutung hat hier die Ausnahme in Art. 12 Abs. 2, dazu unten. Neben den allg. Vorschriften über Zustandekommen, Auslegung, Leistungspflichten, Folgen bei Nichterfüllung etc. sind vom Arbeitsvertragsstatut folgende besondere arbeitsrechtliche Normenkomplexe erfasst:

• Urlaubsanspruch • Elternzeit • Arbeitszeit • Vertragsübernahme bei Betriebsübergang (§ 613a BGB) • Zulässigkeit von Befristungen • Kündigung, einschl. allg. Kündigungsschutz nach dem KüSchG • Haftung für gefahrgeneigte Arbeit (auch wenn Ansprüche auf Delikt gestützt werden, vgl. Art.

4 Abs. 3 Rom II-VO)

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• betriebl. Altersversorgung • nachvertragl. Wettbewerbsverbot

4. Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO Wenn Arbeitsort und Arbeitsvertragsstatut auseinanderfallen (zB bei vorübergehender Entsendung): Bsp. arbeitsfreie Feiertage 5. Eingriffsnormen im Arbeitsrecht Str., ob einfach zwingende Normen (die sich gegen eine Rechtswahl behaupten) und international zwingende Vorschriften (die sich immer durchsetzen) klar abzugrenzen sind. Richtiger Ansicht nach werden einfach zwingende Vorschriften auch int. zwingende sein, d.h. es gibt einen Überschneidungsbereich. Es gibt allerdings einfach zwingende Vorschriften, die nicht zugleich auch int. zwingend sind (zB der allgemeine Kündigungsschutz). Int. zwingende Vorschriften des dt. Rechts sind zB:

• besonderer Kündigungsschutz (Betriebsrat, Schwerbehinderte, Schwangere und Mütter, Jugendliche)

• Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall • Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld

Exkurs: ArbeitnehmerentsendeG Nach Art. 8 Abs. 2 S. 2 Rom I bleibt das Arbeitsvertragsstaut unberührt, wenn AN vorübergehend in einen anderen Staat „entsandt“ werden, um dort tätig zu sein. Vorbehaltlich international zwingender Vorschriften der lex fori gilt also gerade nicht das Arbeitsvertragsrecht des Arbeitsortes, sondern das des Staates, in dem der entsendende Unternehmer sitzt, wenn das der frühere und spätere Arbeitsort ist. Bsp.: Der polnische Bauunternehmer B beschäftigt 50 AN und „entsendet“ diese vorübergehend auf eine von ihm in Berlin betriebene Großbaustelle. Es gelten die Bestimmungen des polnischen Arbeitsrechts. AEntsendeG dient der Umsetzung der RiLi 96/71/EG (Auszug in J/H Nr. 88!). Regelungsziel: Den in einen Ziel-MS entsandten AN soll unabhängig vom Arbeitsvertragsstatut dasselbe Schutzniveau zuteil werden, das am Arbeitsort gilt. Damit soll Lohn- und Arbeitsschutzdumping verhindert werden. Dazu § 2 Arbeitnehmerentsendegesetz: Die in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften enthaltenen Regelungen über

1. die Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze, 2. den bezahlten Mindestjahresurlaub, 3. die Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, 4. die Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen, 5. die Sicherheit, den Gesundheitsschutz und die Hygiene am Arbeitsplatz, 6. die Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen und 7. die Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen

finden auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend Anwendung. (§ 2 AEntG in der Fassung vom 20.4.2009) H.M: § 2 AEntG ist keine international zwingende Vorschrift nach Art. 9, auch keine einfach zwingende, sondern gilt kraft einseitiger nationaler Anordnung. Art. 23 Rom I-VO räumt solchen Vorschriften Vorrang vor der Rom I-VO ein! Aber str.

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II. Versicherungsverträge Auch hier gibt es kollisionsrechtliche (und zuständigkeitsrechtliche) Sondervorschriften, die auf die sogenannte „2. Richtliniengeneration“ zurückgehen. Im EVÜ noch nicht enthalten, seinerzeit Umsetzung in den Nationalen IPR’s der MS. Seit Rom I in der Rom I VO selbst, aber – trotz mancher Kritik am Inhalt (und an der Komplexität) – sind RiLi aus den 1980er-Jahren mehr oder weniger unverändert übernommen worden. WICHTIG: Art. 7 regelt die Anknüpfung von Versicherungsverträgen keineswegs einheitlich, sondern enthält ein gespaltenes Anknüpfungsregime, vgl. die verschiedenen Kategorien in Art. 7 Abs. 1! Das macht die Rechtsanwendung kompliziert und ist nur teilweise Sachunterschieden geschuldet; überwiegend resultiert es aus der Übernahme der alten RiLi-Vorschriften, nachdem Vorschläge für eine grundlegende Reform im Rahmen der Rom I Verhandlungen im Rat gescheitert waren. Art. 7 unterscheidet zwischen (i) „Großrisiken“ (Art. 5 RiLi 73/239/EWG) Art. 5 RiLi: Großrisiken: i) Die unter den Zweigen 4, 5, 6, 7, 11 und 12 von Buchstabe A des Anhangs eingestuften Risiken, ii) die unter den Zweigen 14 und 15 von Buchstabe A des Anhangs eingestuften Risiken (Kreditversicherungen), wenn der Versicherungsnehmer eine Erwerbstätigkeit im industriellen oder gewerblichen Sektor oder eine freiberufliche Tätigkeit ausübt und das Risiko damit im Zusammenhang steht, iii) die unter den Zweigen 3 (KfZ Kaskoversicherungen), 8, 9 (Feuer-, Elementar- und sonstige Sachschäden), 10 (KfZ Haftpflicht), 13 (allg. Haftpflicht) und 16 (Versicherungen gegen verschiedene Vermögensschäden) von Buchstabe A des Anhangs eingestuften Risiken, sofern der Versicherungsnehmer bei mindestens zwei der drei folgenden Kriterien die Obergrenzen überschreitet: 1.Stufe: bis zum 31. Dezember 1992: Bilanzsumme: 12,4 Millionen ECU Nettoumsatz: 24 Millionen ECU durchschnittliche Beschäftigtenzahl im Verlauf des Wirtschaftsjahres: 500. 2. Stufe: ab 1. Januar 1993: Bilanzsumme: 6,2 Millionen ECU Nettoumsatz: 12,8 Millionen ECU durchschnittliche Beschäftigtenzahl im Verlauf des Wirtschaftsjahres: 250. Gehört der Versicherungsnehmer zu einer Unternehmensgruppe, für die der konsolidierte Abschluß nach Maßgabe der Richtlinie 83/349/EWG (1) erstellt wird, so werden die genannten Kriterien auf den konsolidierten Abschluß angewandt. Jeder Mitgliedstaat kann zu der unter Ziffer iii) genannten Kategorie Risiken hinzufügen, die von Berufsverbänden, „Joint ventures” oder vorübergehenden Gruppierungen versichert werden. Für die Großrisiken erlaubt Art. 7 Abs. 1 iVm Art. 3 Rom I die Rechtswahl. Objektiv wird an den gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherers (charakteristische Leistung!) angeknüpft. Hinzu tritt eine Ausweichklausel. Wichtig: Art. 7 Abs. 1 und 2 unterscheiden hinsichtlich der Großrisiken nicht danach, ob das Risiko in einem Mitgliedstaat „belegen“ ist oder nicht. Art. 7 Abs. 2 gilt also für alle Versicherungsverträge über Großrisiken. Wichtig außerdem: Großrisiken werden in der EuGVVO anders definiert!! (Vgl. Heiss, in: FS Kropholler, 464 ff.). Außerdem: In der EuGVVO Gleichlauf zwischen Zuständigkeit bei Massenrisiken und bei Großrisiken.

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(ii) Rückversicherungsverträge (Gegensatz: Erstversicherung): ausgenommen! Rückversicherungsverträge sind Versicherungsverträge, mit der sich Versicherungsunternehmen selbst versichern, um auf diese Weise Großschäden (zB durch Naturkatastrophen) besser streuen zu können und – auch im Interesse der Erstversicherten – ihre Insolvenz vermeiden. Große deutsche Rückversicherer sind die „Münchener Rück“ („Munich Re“), Hannover Rück, Deutsche Rück. Das heißt: Hier gelten die „normalen“ Regeln der Rom I-VO (problematisch allerdings, wie bei Fehlen einer Rechtswahl angeknüpft werden sollte. Sitz des Versicherers oder akzessorische Anknüpfung an das Statut des Erstversicherungsvertrags?) Auch hier: keine Unterscheidung nach der Belegenheit des Risikos. (iii) Erstversicherungsverträge über andere als „Großrisiken“: Hier unterscheidet Art. 7 nach der Belegenheit des Risikos: Art. 7 Abs. 3-5 gelten nur für Versicherungsverträge über in den Mitgliedstaaten belegene Risiken; Versicherungsverträge über Risiken, die außerhalb der EU (einschließlich DK) belegen sind, richten sich nach den allg. Regeln, also Art. 3 und 4, ggfalls auch Art. 6 Rom I (Ausnahme der Versicherungsverträge in Art. 6 Abs. 1 „unbeschadet Art. 7“ gilt nur für die Verträge, die von Art. 7 erfasst werden). Wo das Risiko belegen ist, entscheidet sich nach Art. 7 Abs. 6, der allerdings auf die 2. VersicherungsRiLi verweist (sehr unpraktisch) Entsprechend den RiLi unterscheidet auch Art. 7 Abs. 6 Rom I zwischen den Lebensversicherungen und allen sonstigen Versicherungen (a) Für Nicht-Lebensversicherung gelten die Regeln der 2. RiLi Schaden (auch wenn es sich nicht um Schadensversicherungen handelt)

Art. 2 d ) RiLi 88/357/EWG: „Mitgliedstaat, in dem das Risiko belegen ist :

- bei der Versicherung entweder von Gebäuden oder von Gebäuden und den darin befindlichen Sachen, sofern diese durch die gleiche Versicherungspolice gedeckt ist, der Mitgliedstaat, in dem die Gegenstände belegen sind,

- bei der Versicherung von zugelassenen Fahrzeugen aller Art der Zulassungsmitgliedstaat,

- bei einem höchstens viermonatigen Vertrag zur Versicherung von Reise - und Ferienrisiken, ungeachtet des betreffenden Zweigs der Mitgliedstaat, in dem der Versicherungsnehmer den Vertrag geschlossen hat,

- in allen Fällen, die nicht ausdrücklich unter den vorstehenden Gedankenstrichen bezeichnet sind, der Mitgliedstaat, in dem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder, wenn der Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, der Mitgliedstaat, in dem sich die Niederlassung dieser juristischen Person befindet, auf die sich der Vertrag bezieht;

Unter den 4. Spiegelstrich fallen alle zuvor nicht ausdrücklich genannten Summenversicherungen mit Ausnahme der Lebensversicherung, also insbesondere Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherung. (b) Lebensversicherung: Belegenheitsstaat = „Staat der Verpflichtung“ nach Art. 1 Abs. 1 lit. g RiLi 2002/83/EG: „g) Mitgliedstaat der Verpflichtung: der Mitgliedstaat, in dem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder, wenn der Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, der Mitgliedstaat, in dem sich die Niederlassung dieser juristischen Person befindet, auf die sich der Vertrag bezieht;“ Wenn also nach diesen Regeln das Risiko in einem MS belegen ist, dann ist nach Art. 7 Abs. 3 anzuknüpfen: eingeschränkte Rechtswahl; obj. Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem das Risiko belegen ist.

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Fall 3: Der in Würzburg wohnhafte 25-jährige Student S, deutscher Staatsangehöriger, will im Hinblick auf seine Leidenschaft für das Mountainbiken und River-Rafting eine Unfallversicherung abschließen. Im Internet findet er ein besonders günstiges Angebot des englischen Versicherungsunternehmens „Life&Help“ mit Sitz in London. Dieses Angebot gilt aber ausdrücklich nur bei Anwendbarkeit englischen Versicherungsrechts. S fragt daher, ob er dieses Angebot wählen kann. Fall betrifft keine Großrisiko und keinen Rückversicherungsvertrag. Belegenheit? Art. 7 Abs. 6 Rom I iVm Art. 2 lit d, 4. Sp.strich RiLi 88/357/EWG (kein Ferienrisiko: MünchKomm/Martiny: „Mit den Reise- und Ferienrisiken sind solche gemeint, welche typischerweise mit Reise und Urlaub verbunden sind. Dazu gehören u. a. Reiserücktrittsversicherungen, Reisekrankenversicherungen, Gepäckversicherungen und Verkehrsserviceversicherungen“. Unfallversicherung nicht erfasst, denn Unfälle können überall passieren. D.h. gewöhnlicher Aufenthalt des VN ist in Dt.: Risiko ist in Dt. belegen, also Art. 7 Abs. 3 anzuwenden. Danach Rechtswahl nur eingeschränkt möglich: Belegenheit hier Dt. = gew. A. des VN; lit. c, d und e nicht einschlägig. Also nur dt. Recht wählbar, das gleichzeitig auch obj. Vertragsstatut wäre. Folge: engl. Recht kann nicht gewählt werden, so dass S von dem günstigen Angebot keinen Gebrauch machen kann. Verstoß gegen Dienstleistungsfreiheit? Rechtfertigung durch zw Erfordernisse des AI? (Versichertenschutz? Verbraucherschutz?) Sehr umstritten! Umfassende Kritik an der geltenden Regelung und Neuregelungsvorschlag, der in sich (und mit EuGVVO und Art. 6 Rom I) konsistent ist, bei Heiss, in: FS Kropholler, 2008, 459 ff.

§ 12 Deliktsrecht I. Vergleich Art. 40 ff. EGBGB / Rom II Verordnung II. Vorrangige Staatsverträge: Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anwendbare Recht III. Umfang des Deliktsstatuts IV. Ordre public V. Besondere Delikte (Produkthaftung, unlauterer Wettbewerb, Persönlichkeitsrechtsverletzungen)

Fall 1: Anton Achtsam (A) will in den Sommerurlaub nach Masuren (Polen) fahren. A lässt daher sein Auto in der Werkstatt des Willi Werkel (W) überholen. W übersieht, dass die Bremsbeläge abgefahren sind. Aufgrund des Defekts und der daraus folgenden überhöhten Geschwindigkeit kommt es bei der Urlaubsfahrt in Polen zu zwei aufeinanderfolgenden Unfällen. Zuerst stößt A bei einer engen Dorfeinfahrt gegen eine Hauswand, wobei er selbst und sein Beifahrer, Markus Müller, leicht verletzt werden. Dann gerät das Auto ins Schlingern und prallt mit dem entgegenkommenden Fahrzeug des Lubos Lygorski (L) zusammen. Das Fahrzeug des L ist beschädigt und L trägt ebenfalls Verletzungen davon. A und M hatten sich tags zuvor auf einem Campingplatz an der masurischen Seenplatte angefreundet und beschlossen, gemeinsam eine Ausflugsfahrt zu unternehmen. L ist polnischer Staatsangehörige mit gew. Aufenthalt in Polen; M ist Deutscher und wohnt in München.

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A, L und M verlangen Schadensersatz von W. L und M verlangen außerdem Schadensersatz von A aufgrund von Gefährdungshaftung. A wohnt seit seiner Geburt in Neuss, W ist Deutscher, unterhält seine Werkstatt jedoch in Arnheim (NL), wo er auch seit 20 Jahren wohnt. Allerdings wurde die Reparatur durch einen Mitarbeiter des W in der Zweigniederlassung des W in Neuss ausgeführt. W verwendet für alle Reparaturaufträge Formulare, die eine Wahl des niederländischen Rechts enthalten. (i) Welchem Recht unterliegen die Ansprüche von A, L und M, wenn W bzw. A in Deutschland verklagt werden? (A siehe Art. 2 EuGVVO; W siehe Art. 5 Nr. 3 EuGVVO, Handlungsort). (ii) Variante: Ändert sich das anwendbare Recht, wenn M und L den A bzw. W gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO (Erfolgsort) in Polen verklagen? Fall 1a (neu) nach EuGH 10.12.2015, Rs. C-350/14 (Lazar/Allianz SpA), JZ 2016, 308 (Anm. Mankowski) Bei einem Verkehrsunfall in Italien am 13.2.2013 wird Frau Lazar, rumänische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Italien, durch das unachtsame Fahren des Herrn I, italienischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Italien, getötet. Die in Rumänien wohnhaften Eltern des Unfallopfers erleiden bei der Übermittlung der Nachricht vom Tod ihrer Tochter einen Schock und leiden bis heute psychisch unter dem Verlust. Sie begehren von dem Haftpflichtversicherer des Schädigers, Allianz SpA, Ersatz der immateriellen Schäden. Welches Recht ist auf Ansprüche der Eltern gegen I. anzuwenden?

Fall 2: Die International Toys Inc. (I) mit Hauptniederlassung in Shanghai stellt in China Kinderspielzeug her und vertreibt es über ihre Niederlassungen in einigen Ländern der EU (Italien, Frankreich, Spanien) und in der Türkei, aber nicht in Deutschland. Ottilie Ohnesorg, die Großmutter des 2-jährigen Kevin (beide wohnhaft in München), kauft auf einer Urlaubsreise in Italien Holzspielzeug der Fa. I und schenkt es dem K. Da die Lackierung des Spielzeugs mit gesundheitsschädlichen Lösungsmitteln versetzt ist, bekommt K nach intensivem Gebrauch des Spielzeugs einen Hautausschlag, der zwei Wochen anhält und stark juckt. Seine Eltern wollen I wegen Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nehmen. Anwendbares Recht (IZ dt. Gerichte vorausgesetzt)?

Variante: K benutzt das Spielzeug zum ersten Mal während eines Urlaubsaufenthaltes in der Türkei und erkrankt dort. Welches Recht ist anzuwenden, wenn I das Spielzeug wegen der strikten Sicherheitsvorschriften in der EU bewusst nicht in der EU vertreibt, aber der italienische Verkäufer probehalber einige wenige Stücke in der Türkei aufgekauft und illegal nach Italien geschafft hat? Fall 3: In einem Artikel, der auf der Webseite einer französischen Tageszeitung veröffentlicht ist, wird der in Hamburg wohnhafte Guido Graulich (G) zu Unrecht als Betrüger und Geldwäscher dargestellt. Nach welchem Recht richtet sich ein möglicher Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch des G?

Zur Vertiefung: A. Junker, Die Rom II-Verordnung: Neues Internationales Deliktsrecht auf europäischer Grundlage, NJW 2007, 3675 ff.; ders., Der Reformbedarf im Internationalen Deliktsrecht der Rom II-Verordnung drei Jahre nach ihrer Verabschiedung, RIW 2010, 257 ff.; G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1 ff.; Leible/Lehmann, Die neue EG-Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), RIW 2007, 721 ff.; Peter Hay, Contemporary Approaches to Non-Contractual Obligations in Private International Law and the European Community’s Rome II Regulation, EuLF 2007, I, 137 ff.; von Hein, Europäisches Internationales Deliktsrecht nach der Rom II-Verordnung, ZEuP 2009, 6 ff.

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§ 13 Weitere gesetzliche Schuldverhältnisse I. Bereicherungsrecht II. Geschäftsführung ohne Auftrag III. Culpa in contrahendo

Vertiefungshinweise: Siehe § 12. Außerdem: Nehme, Die Internationale Geschäftsführung ohne Auftrag nach der Rom II-Verordnung – Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungspunkte, IPRax 2012, 136-140.

§ 14 Sachenrecht I. Grundregel II. Ausnahmen III. Statutenwechsel bei beweglichen Sachen IV. Art. 43 III EGBGB V. Ausweichklausel

Zur Vertiefung: Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001) 383 ff. (435-462); ders., Zur Anwendung des Art. 43 Abs. 3 EGBGB, in: FS Bechtold, 2006, 253 ff.; Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Art. 43-46 EGBGB, IPRax 2000, 259 ff.; Schurig, Statutenwechsel und die neuen Normen des deutschen internationalen Sachenrechts, in: Festschrift Stoll, 2001, 577 ff.

Fall 1: (nach Cour de Cassation 8.7.1969, Rev.crit.d.i.p. 1970, 75 ff.) Die Bank (B) mit Sitz in Saarbrücken gewährt der S-GmbH, deren Sitz sich ebenfalls in Saarbrücken befindet, ein Darlehen zur Anschaffung eines Autos. Das Auto wird, während es sich in Deutschland befindet, an B sicherungsweise übereignet. Auf einer Geschäftsreise in Frankreich hat das Auto einen Motorschaden und muss repariert werden. Da der Geschäftsführer von S die Reparaturrechnung nicht bezahlen will, behält der KfZ-Mechaniker O den Wagen als Pfand und betreibt die Sicherungsvollstreckung (saisie conservatoire). B verlangt das Auto auf der Grundlage ihres Sicherungseigentums heraus. Mit Recht?

Fall 2: (nach BGH 20.3.1963, BGHZ 39, 173 ff) Die Bekl., eine saarländische Firma, erwirkte im Jahre 1960 gegen ihre Schuldnerin F, eine Schrotthändlerin in Lothringen, mit der sie in Geschäftsbeziehungen gestanden hatte, ein rechtskräftiges Urteil des LG Saarbrücken über 133.000 DM und vollstreckte in Deutschland in einen Lastkraftwagen der Schuldnerin. Die Klägerin, ein Kreditinstitut in Frankreich, hatte den Kauf dieses Fahrzeugs in Frankreich finanziert und sich von der Käuferin durch schriftlichen Vertrag ein Pfandrecht (gage sur véhicule) wegen ihrer Forderung einräumen lassen; das Pfandrecht ist in dem Register der zuständigen Präfektur eingetragen. Auf Grund dieses Registerpfandrechts beansprucht die Klägerin gemäß § 805 ZPO vorzugsweise Befriedigung aus dem Fahrzeug, das die Schuldnerin nach dem Kauf nach Deutschland gebracht und dort in ihrem Gewerbe eingesetzt hatte.

Fall 3: A ist begeisterter Kunstliebhaber und Eigentümer eines Caravaggio. Als er für einen weiteren Kunstankauf einen Bankkredit benötigt, übereignet er den Caravaggio sicherungshalber an die B-Bank. Im Zuge einer Retrospektive am kunsthistorischen Museum in Wien leiht A seinen Caravaggio für drei Monate aus. Anschließend kehrt das Bild wohlbehalten zu A nach Deutschland zurück. A hat sich mittlerweile bei einigen Kunstauktionen finanziell völlig übernommen und ist zahlungsunfähig.

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Kann die Bank den Caravaggio nach Maßgabe der Sicherungsabrede zur Verwertung herausverlangen? Variante: Das Bild wird in Wien in einer privaten, von G betriebenen Galerie ausgestellt und dort auch zum Verkauf angeboten. X, ein in Wien lebender öst. Staatsangehöriger sieht das Bild, verliebt sich und erwirbt es sofort für 300.000.- €. Der Vertrag wird am Telefon mit A geschlossen, der froh ist, einen so hohen Preis erzielen zu können. X nimmt das Bild mit. Ist X Eigentümer des Bildes geworden, wenn er A kannte und wusste, dass A in finanziellen Schwierigkeiten war?

Hinweis: Nach Auffassung der österr. Rechtsprechung ist die Sicherungsübereignung wegen fehlender Besitzaufgabe seitens des Übereignenden unwirksam.

Fall 4: (nach BGH 2.2.1966, BGHZ 45, 95 ff „Strickmaschinenfall“) Der Kl., ein Maschinenhändler mit Sitz in Italien, lieferte an die Fa. W in Deutschland 18 Strickmaschinen zum Preis von je 6700 DM. Die Parteien des Kaufvertrages vereinbarten mündlich für den Kl. einen Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises. Die bekl. AOK pfändete als Gläubigerin der W vier Strickmaschinen. Hiergegen protestierte der Kl. und verlangte auf der Grundlage des Eigentumsvorbehalts die Strickmaschinen heraus. Zu Recht?

Art. 1523 Codice civile (Cc): Übergang des Eigentums und der Gefahr Bei einem Ratenkaufvertrag mit Eigentumsvorbehalt erwirbt der Käufer das Eigentum an der Sache mit der Bezahlung der letzten Kaufpreisrate. Die Gefahr geht jedoch bereits mit der Übergabe der Sache auf den Käufer über.

Art. 1524 Cc: Wirksamkeit des Eigentumsvorbehalts gegenüber Dritten (1) Der Eigentumsvorbehalt kann dritten Gläubigern des Käufers nur dann entgegengehalten werden, wenn er in einem Schriftstück enthalten ist, welches ein sicheres Datum trägt. (2) Ist eine Maschine verkauft und beträgt der Kaufpreis mehr als 30.000 Lire, kann der Eigentumsvorbehalt dritten Erwerbern der Sache entgegengehalten werden, wenn der Vertrag in ein bei dem Landgericht, in dessen Bezirk die Maschine aufgestellt ist, geführtes Register eingetragen ist und wenn sich die Maschine im Zeitpunkt des Erwerbs durch den Dritten noch am Ort der Eintragung befindet.

Fall 5: (= BGH 11.3.1991, NJW 1991, 1415; Anm. Kreuzer, IPRax 1993, 157 ff.) Der Italiener S kaufte am 24.9.1987 von seinem Landsmann C dessen Ferrari 208 Turbo. S nahm zur Finanzierung des Kaufpreises bei der Kl., einer ital. Bank, einen Kredit in Höhe von umgerechnet 110.000 DM auf. Zur Sicherung wurde an dem Fahrzeug eine Mobiliarhypothek bestellt und – gemäß den ital. Vorschriften – in das „foglio complementare“ (Zusatzblatt zur Zulassungsbescheinigung – carta di circolazione – für das KfZ) eingetragen. S schaffte den Ferrari nach Deutschland und bot ihn, vor dem Eingang des Frankfurter Messegeländes abgestellt, zum Kauf an. Dort wurde die Bekl., welche die zu dieser Zeit stattfindende Frankfurter Automobilausstellung besuchte, auf das Fahrzeug aufmerksam. Sie kaufte den Ferrari schließlich für 75.000 DM. Dabei ließ sie sich die carta di circolazione vorweisen, die auf den Namen des ersten Eigentümers C ausgestellt war. Zusätzlich nahm sie Einsicht in eine Photokopie des foglio complementare, das wiederum nur Eintragungen enthielt, die den Voreigentümer C betrafen. Das Fahrzeug wurde an die Bekl. übergeben und wird nunmehr von der Kl. auf der Grundlage ihres Hypothekenrechts mit dem Ziel der Verwertung herausverlangt, da S mit mehreren Darlehensraten in Verzug ist. Die Bekl. macht geltend, sie habe von der Kraftfahrzeughypothek nichts gewusst und könne auch nichts davon wissen, da ein solches Recht in Deutschland unbekannt sei.

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Fall 6: (nach BGH 10.6.2009, NJW 2009, 2824 ff.) B, eine deutsche Opel-Vertragshändlerin, verkaufte einen Pkw Opel Astra an eine deutsche Zwischenhändlerin (DBD) unter Eigentumsvorbehalt. DBD verkaufte das Fahrzeug an den in Frankreich ansässigen K und ließ es durch einen Frachtführer, der das Auto bei B abholte, zu K nach Dijon transportieren. KfZ-Brief und KfZ-Schein verblieben bei B. K verkaufte es in Frankreich an A weiter und lieferte es an A aus. Da bestimmte Ausstattungsmerkmale fehlten, wurde das Fahrzeug nochmals zu B transportiert, um das fehlende Tuning nachzuholen. B behielt das KfZ allerdings ein mit dem Argument, DBD habe den Kaufpreis noch immer nicht bezahlt. A, der alle seine Ansprüche an K abgetreten hat, und K machen geltend, sie hätten von dem Eigentumsvorbehalt keine Kenntnis gehabt. K verlangt Fahrzeug, KfZ-Brief und -Schein von B heraus.

§ 15 Personalstatut (nat. Personen) und Namensrecht

I. Rechts-und Geschäftsfähigkeit Fall 1: Der 18jährige Tennisstar Ferdinand Forster, bisher Deutscher, will künftig in Monaco leben und erwirbt am 1.6.2013 die monegassische StA, wobei er gleichzeitig die dt. aufgibt. Am 1.7.2013 erscheint F vor dem Notar in Würzburg und will einen Kaufvertrag über ein Grundstück in Randersacker im Wert von 1,5, Mio. € schließen. Der Notar hat Zweifel, ob F den Vertrag allein unterzeichnen kann. Hinweis: In Monaco liegt die Volljährigkeitsgrenze bei 21 Jahren. Variante zu Fall 1: Der 18-jährige deutschstämmige Ferdinand Forster besitzt von Geburt an ausschließlich die monegassische Staatsangehörigkeit. (i) Er erscheint am 1.6.2013 vor dem Notar in Würzburg und will einen KV über das o.g. Grundstück schließen. (ii) Er kauft am 1.6.2013 beim Juwelier J in Würzburg eine Armbanduhr zu einem Preis von 1299.- €, die er mittels seiner American Express Kreditkarte bezahlt. II. Namensrecht EuGH 2.10.2003, Rs. 148/02 (Garcia Avello); EuGH 27.4.06, Rs. C-96/04 (Standesamt Niebüll), und EuGH 14.10.2008, Rs. C-353/06 (Grunkin Paul); dazu Anm. von Kroll-Ludwigs, JZ 2009, 153 ff.; EuGH 22.12.2010, Rs. C-208/09 (Sayn-Wittgenstein/Landeshauptmann von Wien); EuGH 2.6.2016, Rs. C-438/14 (Nabiel Peter Bogendorff von Wolfersdorff/Standesamt der Stadt Karlsruhe). Zur mitgliedstaatlichen Rechtsprechung vgl. Nordmeier, Stand, Perspektiven und Grenzen der Rechtslagenanerkennung im europäischen Rechtsraum anhand Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte, IPRax 2012, 31 ff. OLG München 19.1.2010, IPRax 2010, 452 ff. Zur Frage der Rechtslagenanerkennung statt Verweisung als „neuer Methode“ des IPR siehe Mansel, Anerkennung als Grundprinzip des Europäischen Rechtsraums (Neunte Ernst-Rabel-Vorlesung 2004), RabelsZ 70 (2006), 651-731. Fall 2 (nach BGH 20.6.2007 XII ZB 17/04, vgl. JA 2008, 65 ff.): Frau Celan und Herr Türk, bei türkische Staatsangehörige, heiraten 1988 in der Türkei. Frau C. führt fortan den Familiennamen T. 1990 ziehen die Eheleute nach Deutschland, 1994 nimmt Herr T. die dt. StA an. Im Jahr 2000 wird die Ehe in Deutschland geschieden. Das Scheidungsurteil ist bisher in der Türkei nicht anerkannt. 2002 kommt der Sohn der geschiedenen Frau T. in Deutschland

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zur Welt. Er besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Welchen Nachnamen soll der Standesbeamte für das Kind und die Mutter im deutschen Geburtenbuch eintragen? Hinweise: Nach türk. IPR wird die Namensführung geschiedener Eheleute als Nebenfolge der Scheidung qualifiziert. Art. 13 türk. IPRG knüpft die Scheidung primär an die gemeinsame StA der Eheleute bei Zustellung des Scheidungsantrags an. Falls keine gemeinsame StA vorhanden ist, Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt. Fall 3: (nach EuGH 22.12.2010, Rs. C-208/09 (Sayn-Wittgenstein/Landeshauptmann von Wien) Frau Ilonka Fürstin von Sayn-Wittgenstein, geb. 1944, in Deutschland wohnhafte öst. StA, war 1991 in Deutschland von Fürst von Sayn-Wittgenstein adoptiert worden. Mit dem neuen Nachnamen Fürstin von Sayn-Wittgenstein wurde sie in das deutsche Personenstandsregister und in das österreichische Geburtenbuch eingetragen. Aufgrund einer Entscheidung des ÖsterrVerfGH in einer anderen Sache wollte die österreichische Behörde nunmehr die österr. Eintragung in „Sayn-Wittgenstein“ ändern, da „von“ und Fürstentitel nach dem AdelsaufhebungsG nicht mehr geführt werden dürften, auch nicht als ausländische Titel oder solche, die durch Adoption erworben wurden. Ilonka klagte in Österreich gegen diese beabsichtigte Berichtigung ihres Nachnamens. Hinweise: Das AdelsaufhebungsG von 1919 hat in Österreich Verfassungsrang. Vollzugsanweisung von 1919: Aufhebung betrifft auch „ausländische Vorzüge“. Nach öst. IPR wird Personalstatut durch StA bestimmt. Nach § 13 IPRG richtet sich der Name nach dem Personalstatut.

Art. 48 EGBGB n.F.

Art 48 Wahl eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworbenen Namens Unterliegt der Name einer Person deutschem Recht, so kann sie durch Erklärung gegenüber dem Standesamt den während eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworbenen und dort in ein Personenstandsregister eingetragenen Namen wählen, sofern dies nicht mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Die Namenswahl wirkt zurück auf den Zeitpunkt der Eintragung in das Personenstandsregister des anderen Mitgliedstaats, es sei denn, die Person erklärt ausdrücklich, dass die Namenswahl nur für die Zukunft wirken soll. Die Erklärung muss öffentlich beglaubigt oder beurkundet werden. Artikel 47 Absatz 1 und 3 gilt entsprechend. (IdF d. Art. 1 Nr. 7 G v. 23.1.2013 I 101 mWv 29.1.2013) § 16 Juristische Personen und Gesellschaften Quellen: Keine Regelung im EGBGB; ausschließlich Richterrecht

Fall 1: Die Hochschulabsolventen A, B und C wollen gemeinsam eine Werbeagentur gründen. Um Mindestkapital zu sparen, möchten sie die Agentur nicht als GmbH, sondern als englische Company Ltd. gründen. A, B und C erwerben für 300 brit. Pfund eine im Companies House in Cardiff registrierte shell-company; das eingezahlte Kapital beträgt 100 brit. Pfund. Sodann mieten sie unter der Firma "ABC Werbeagentur co.ltd." in Frankfurt Büroräume und kaufen eine Computeranlage sowie Büromöbel. Die Tätigkeit der Agentur beschränkt sich auf den Frankfurter Raum. Als die Möbelrechnung auch nach mehrfacher Mahnung nicht bezahlt wird, fragt der Möbellieferant M an, ob er die "ABC Werbeagentur co.ltd." und gegebenenfalls A, B und C persönlich auf Zahlung verklagen kann. Variante: A, B und C gründen eine Gesellschaft schweizerischen Rechts.

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Fall 2: Die Gesellschafter einer nach deutschem Recht gegründeten GmbH beschließen, den Sitz der Gesellschaft, der sich bislang in Deutschland befindet, in die Niederlande zu verlegen. Variante 1: Die Gesellschafter wollen nur den tatsächlichen Sitz verlegen, (zB weil sich ihre Geschäftstätigkeit in die NL verlagert hat), i.Ü. aber als deutsche Gesellschaft fortexistieren

• Fraglich, ob das unter die NL-freiheit fällt; EuGH in Cartesio eher nein; nach Polbud eher ja. Aufgrund deutschen autonomen Rechts (Wegfall des zwingenden inländischen Realsitzes nach dem GmbHG idF seit dem MoMiG) aber jedenfalls möglich).

Variante 2: Die Gesellschafter wollen die Gesellschaft in eine Gesellschaft nach niederländischem Recht (B.V. besloten vennootschap) umwandeln und dabei auch ihren Realsitz und ihre Tätigkeit in die Niederlande verlegen.

• Nach EuGH (obiter) in Cartesio unter dem Schutz der NL-Freiheit Variante 3: Die Gesellschafter wollen die Gesellschaft in eine Gesellschaft nach niederländischem Recht (B.V. besloten vennootschap) umwandeln und dabei weder ihren Realsitz noch ihre Tätigkeit in die Niederlande verlegen.

• Nach EuGH in Polbud fällt das unter die NL-freiheit •

Variante 4: Die Gesellschafter wollen mit der in den Niederlanden real ansässigen United Pictures B.V. fusionieren. Die neue Gesellschaft soll ihren Sitz in den Niederlanden haben.

• Nach EuGH in Sevic steht die grenzüberschreitende Fusion unter dem Schutz der NL-freiheit, auch in Bezug auf die übertragende Gesellschaft

Hinweise zur Vor- und Nachbereitung (EuGH Entscheidungen unbedingt lesen): EuGH 27.9.1988, Rs. 81/87 Daily Mail, Slg. 1988, 5483 = NJW 1989, 2186; EuGH 9.3.1999, Rs. C-212/97 Centros, Slg. 1999-I, 1459 = NJW 1999, 2027; EuGH 5.11.2002, Rs. C-208/00 Überseering, Slg. 2002-I, 9919 = NJW 2002, 3614; BGH 13.3.2003, BGHZ 154, 185 = NJW 2003, 1461; EuGH 30.9.2003, Rs. C-167/01 Inspire Art, NJW 2003, 3331; EuGH 13.12.2005, Rs. C-411/03 Sevic Systems AG Slg. 2005-I, 10805 = NJW 2006, 425; BGH 14.3.2005, NJW 2005, 1648; EuGH 16.12.2008, Rs. C-210/06, Cartesio Slg. 2009, I-09641; EuGH 12.7.2012 – Rs. C-378/10 Vale; EuGH 25.10.2017, Rs. C 106/16 Polbud = NJW 2017, 3639 (Anm. Kieninger NJW 2017, 3624) Für das dt. Int. GesR zentral: BGH 1.7.2002, BGHZ 151, 204 = NJW 2002, 3539 (EU/EWR); Im Verhältnis zu Drittstaaten gilt nach wie vor die Sitztheorie!! (vgl. BGH 27.10.2008, NJW 2009, 289, Anm. Kieninger (Trabrennbahn). Anders nur bei völkerrechtl. Übereinkommen, die bilateral die Gründungstheorie vorsehen, siehe zB Dt.-USA. Guten Überblick bietet: Dirk Verse, Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitende Sitzverlegung, ZEuP 2013, 458 ff. Kurzdarstellung auch bei Rauscher, IPR, Rn. 626 ff.

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Das Wichtigste in Kürze: I. Terminologie: „Tatsächlicher Sitz“ oder „Hauptverwaltungssitz“ einer Gesellschaft ist dort, wo die unternehmerischen Entscheidungen laufend in Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. „Statutarischer Sitz“ oder „Satzungssitz“ ist der im Gesellschaftsvertrag/in der Satzung der Gesellschaft festgelegte Sitz. Sofern eine Registrierungspflicht besteht, ist die Registrierung am Satzungssitz vorzunehmen. II. Sitz- und Gründungstheorie: Die Sitztheorie knüpft an den tatsächlichen Sitz der Gesellschaft an. „Strenge Sitztheorie“: Wenn die Gesellschaft nicht nach dem Recht des Staates gegründet ist, in dem sie ihren tatsächlichen Sitz hat, ist sie rechtlich inexistent. Modifizierte Sitztheorie seit BGH-Rechtsprechung 2002: Eine nach einem ausl. Recht gegründete Gesellschaft, die in Dt. ihren tatsächlichen Sitz hat, kann in eine (nicht registrierungspflichtige) OHG oder BGB-Gesellschaft umgedeutet werden. Folge aber: persönliche Haftung der Gesellschafter. Gründungstheorie knüpft das Gesellschaftsstatut an den statutarischen Sitz der Gesellschaft an; dieser muss nicht mit dem tatsächlichen Sitz der Gesellschaft identisch sein. Folge: Die Gründer können mittels des Gesellschaftssitzes mittelbar das anwendbare Recht wählen. Gefahr der Ausnutzung von Regelungsgefällen (Stichwort „Delaware-Effekt“).

III. EuGH-Rechtsprechung Verstoßen die Folgen der Sitztheorie (Verneinung der Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft, pers. Haftung der Gesellschafter, Versagung der Möglichkeit der grenzüberschreitenden Sitzverlegung oder Fusion) gegen die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften? 1. Daily Mail: Niederlassungsfreiheit hat keinen Einfluss auf das internationale Gesellschaftsrecht. Muss durch Sekundärrecht oder völkerrechtliches Übereinkommen gelöst werden. EuGH hält in der Folge von Daily Mail bis heute daran fest, dass die „Vorfrage“ der Existenz der Gesellschaft nach autonomem nationalen Recht zu beurteilen sei (sog. „Geschöpftheorie“).

Zur Behandlung von Auslandsgesellschaften (einschließlich Briefkastengesellschaften) 2. Centros: Eine Gesellschaft genießt auch dann sekundäre Niederlassungsfreiheit, wenn sie in einem anderen MS der EU als Briefkastengesellschaft zur Umgehung von strikteren Vorschriften des Rechts am tatsächlichen Sitz gegründet wird. 3. Überseering: Jeder MS hat die Rechts- und Parteifähigkeit einer nach dem Recht eines anderen MS gegründeten Gesellschaft zu achten und darf sie nicht aufgrund der Sitztheorie verneinen. 4. Inspire Art: Auch bezüglich der Haftung des Gesellschafter ist eine Gesellschaft, die nach dem Recht eines MS gegründet ist, nach ihrem Gründungsrecht zu beurteilen.

Zur Behandlung der grenzüberschreitender Fusion und Sitzverlegung 5. Sevic Systems: Zur Niederlassungsfreiheit gehört auch die Freiheit der grenzüberschreitenden (Hinein)Umwandlung. Sekundäres Recht: RiLi über grenzüberschreitende Fusion. 6. Cartesio: Der Wegzugsstaat ist frei, die Existenz der Gesellschaft an einen inlädnischen tats. Sitz zu knüpfen (sog. „Geschöpftheorie“). Existiert die Gesellschaft aber nach dem Recht des Wegzugsstaats, genießt sie im Zuzugsstaat Niederlassungsfreiheit. Das andere MS als Zuzugsstaat darf ihre Existenz nicht verneinen und muss ihre Umwandlung nach denselben Regeln vornehmen. 7. Vale (und Cartesio): Die grenzüberschreitende formwechselnde Sitzverlegung steht unter dem Schutz der Niederlassungsfreiheit, wenn die Gesellschaft im Zuzugsstaat tatsächlich eine feste

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Niederlassung anstrebt. Zuzugs- und Wegzugsstaat sind verpflichtet, den Formwechsel zu ermöglichen. In Vale betont der EuGH (obiter), dass die Niederlassungsfreiheit der Niederlassungsbegriff „die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmemitgliedstaat auf unbestimmte Zeit“ impliziere1. Hierin sahen manche deutsche Kommentatoren schon eine Rücknahme von Centros und Inspire Art2. 8. Polbud: Auch die reine, formwechselnde Satzungssitzverlegung, d.h. ohne gleichzeitige Verlegung des tatsächlichen Sitzes, fällt unter die NL-Freiheit. Damit Abkehr vom Niederlassungsbegriff in Vale. Formell aber Festhalten an Daily Mail („Geschöpftheorie“)

1 EuGH VALE, Rn. 34. 2 Böttcher/ Kraft, NJW 2012, 2701 ff.; Günter H. Roth, ZIP 2012, 1744; König/ Bormann, NZG 2012, 1241 ff.; a.A. Verse, ZEuP 2013, 458, 471 ff.

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§ 17 Familienrecht (nur Übersicht; siehe Vertiefungsvorlesung für SPB 3) Vorspann: Hier ist die Quellenlage besonders unübersichtlich!!

• Eheschließung, allg. Ehewirkungen, Güterstatut: (noch) EGBGB; für Güterstatut bislang nur Vorschlag der EU-Kommission

• Ehescheidung: Rom III-VO. • Unterhalt (ehelicher und nachehelicher; Verwandtenunterhalt): EuUnthVO (Art. 15) iVm

HaagerUntProt • elterliches Sorgerecht: HaagerKSÜ; EGBGB • Abstammung: EGBGB • Adoption: Haager AdoptionsÜ, EGBGB

I. Eherecht

1. Eheschließung: autonomes Kollisionsrecht a) Materielle Voraussetzungen für eine wirksame Eheschließung: Art. 13 Abs. 1 und 2 EGBGB; Zu Art. 13 Abs. 2 EGBGB: Vorgeschichte "Spanier"-Beschluss des BVerfG v. 4.5.1971, BVerfGE 31, 58. b) Form: im Inland: Art. 13 III, im Ausland: Art. 11 I EGBGB c) Gesetz gegen Kinderehen; siehe dazu Antomo, Kinderehen, ordre public und Gesetzesreform, NJW 2016, 3558-3563

2. Allgemeine Ehewirkungen: autonomes Kollisionsrecht, Art. 14 EGBGB 3. Ehegüterrecht:

a) Noch: Art. 15 EGBGB b) EuGüterVO (ab Januar 2019)

Fall 1 (nach KG 20.12.2006, FamRZ 2007, 1561 ff.): D, ein deutscher Staatsangehöriger, der seit 2003 in Nigeria lebt und arbeitet, heiratet 2007 in Nigeria Frau R, eine deutschstämmige Rumänin mit bisherigem gewöhnlichen Aufenthalt in Rumänien. Die beiden begründen ihren ersten gemeinsamen Wohnsitz in Nigeria. Schon 2008 verlässt R Nigeria allerdings wieder, um künftig in den USA zu leben, während D weiterhin in Nigeria bleibt, aber die Absicht hat, nach Beendigung des gegenwärtigen Arbeitsverhältnisses nach Deutschland zurückzukehren. R hatte 2008 einen Einbürgerungsantrag in Deutschland gestellt, der aber abgewiesen wurde. Die Ehe der Parteien ist bisher nicht geschieden. Welches Recht ist Ehegüterstatut, wenn ein deutsches Gericht hierüber zu befinden hat? Hinweis: Das nigerianische IPR kennt keine Kollisionsnormen für das Ehegüterrecht. Sofern die nigerianischen Gerichte international für einen Güterrechtsstreit zuständig sind, wenden sie ihr eigenes Recht an. Nigerianische Gerichte sind nur international für Güterrechtsverfahren zuständig, wenn der Antragsteller in Nigeria ein „domicile“ hat. Es soll davon ausgegangen werden, dass D sein „domicile“ weiterhin in Deutschland hat.

Ergänzungsfall zur EuGüterVO: Zwei deutsche StA lerenen sich in Belgien bei einem LLM.-Studium kennen und treten beide ihre erste (unbefristete) Stelle bei der EU-Kommission an. Sie heiraten in Belgien und begründen dort ihren ersten gemeinsamen Wohnsitz. Nach fünf Jahren kündigen beide bei der

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Kommission und ziehen nach Berlin, wo sie die nächsten 20 Jahre leben, ein Haus erwerben, Kinder in die Welt setzen etc. Welches Recht wäre nach der EuGüterVO auf die güterrechtlichen Fragen anzuwenden, wenn sich die Eheleute nach 25 Jahren Ehe scheiden ließen?

4. Scheidung: Rom III-VO und Art. 17 EGBGB n.F.

(1) Vermögensrechtliche Scheidungsfolgen, die nicht von anderen Vorschriften dieses Abschnitts erfasst sind, unterliegen dem nach der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 auf die Scheidung anzuwendenden Recht. (2) Eine Ehe kann im Inland nur durch ein Gericht geschieden werden. (3) Der Versorgungsausgleich unterliegt dem nach der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 auf die Scheidung anzuwendenden Recht; er ist nur durchzuführen, wenn danach deutsches Recht anzuwenden ist und ihn das Recht eines der Staaten kennt, denen die Ehegatten im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags angehören. Im Übrigen ist der Versorgungsausgleich auf Antrag eines Ehegatten nach deutschem Recht durchzuführen, wenn einer der Ehegatten in der Ehezeit ein Anrecht bei einem inländischen Versorgungsträger erworben hat, soweit die Durchführung des Versorgungsausgleichs insbesondere im Hinblick auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse während der gesamten Ehezeit der Billigkeit nicht widerspricht.

Welche rechtlichen Fragen können bei einer Scheidung auftreten? • Scheidung selbst = Auflösung des Ehebandes Rom III • nachehelicher Unterhalt EuUnthVO iVm HaagerUnthProt • Zugewinnausgleich o.ä. Ausgleichsansprüche Art. 15 EGBGB • Versorgungsausgleich Art. 17 Abs. 3 EGBGB • Sorgerechtsentscheidungen für mj Kinder KSÜ • Verteilung des Hausrats; Ehewohnung Art. 17a EGBGB

Fall 2: Frau Fröhlich (F), dt. Staatsangehörige mit Wohnsitz in Würzburg, zieht es in den sonnigen Süden. Sie erwirbt ein Reihenhaus in Marbella (Spanien) und lernt am dortigen Strand den britischen Staatsangehörigen Herrn Halisham (H), der in Marbella seinen Urlaub verbringt, kennen. Beide schließen nach wenigen Wochen des vollkommenen Glücks in Oxford, dem Heimatort von H, die Ehe, und leben anschließend zunächst einige Wochen in Marbella, siedeln dann aber in das Feriendomizil des H in Nizza über. Ob sie ihren weiteren Lebensabend in Würzburg, Oxford, Marbella oder Nizza verbringen wollen, wissen sie noch nicht. Bei einem ihrer Familienbesuche in Würzburg sucht F den Rechtsanwalt Dr. Alleswisser (A) auf. Sie frage sich, wem seit ihrer Eheschließung ihr beachtliches, überwiegend in Grundbesitz in Deutschland bestehendes Vermögen eigentlich gehöre und nach welchem Recht sich dies richte. Sie frage sich auch, ob in dieser Hinsicht irgendetwas zu veranlassen sei. Überdies habe sie in den letzten Wochen häufig Streit mit H gehabt. Falls sie sich doch wieder vom ihm trennen wolle: Nach welchem Recht würde sich dies richten?

Vertiefungshinweis zur Rom III-VO: Peter Winkler v. Mohrenfels, Die Rom III-VO, ZEuP 2013, 699 ff. Zur (analogen) Anwendbarkeit auf Privatscheidungen EuGH v. 20.12.2017, Rs. C-372/16, NJW 2018, 447; dazu Antomo, Anerkennung ausländischer Privatscheidungen – Rom III-VO analog?

5. Versorgungsausgleich: Art. 17 Abs. 3 EGBGB n.F.

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6. Hausrat und Ehewohnung: Art. 17a EGBGB

II. Kindschaftsrecht Quellen: Autonomes Kollisionsrecht: Art. 19-21 EGBGB Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) v. 19.10.1996 (J/H Nr. 55), seit 2002 in Kraft, seit 17.9.2010 auch von Dt. ratifiziert, seit 1.1.2011 in Deutschland in Kraft. Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen v. 25.10.1980 (HKÜ) J/H Nr. 222. (Kindesentführung wird hier nicht behandelt). Zur Konkurrenz mit EheVO II siehe zB Rieck, NJW 2008, 182 ff. 1. Abstammung a) Allgemeines: autonomes Kollisionsrecht, keine Überschneidungen mit dem KSÜ b) Zu Art. 19 im Einzelnen c) Renvoi/Erstfragen/Vorfragen d) Anfechtung der Abstammung (Art. 20)

Fall 3 (nach BGH NJW 2017, 2911): Anna Amalia (A), deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in Berlin, bringt am 4.5.2016 ihren Sohn Samuel (S) zur Welt. Am 10.5. erklärt Viktor Vogel (V), der ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und mit A in Berlin lebt, gegenüber dem Standesamt in Berlin in notarieller Urkunde und mit Zustimmung der A, dass er der Vater von S sei. A war zuvor fünf Jahre lang mit Karol Kycinski, polnischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Krakau, verheiratet. Die Eheleute lebten seit der Eheschließung bis zur Trennung im Jahr 2014 ebenfalls in Krakau. Die Ehe zwischen A und K war vom Familiengericht in Berlin am 30.3.2016 rechtskräftig geschieden worden. A und V beantragen die Eintragung des V als Vater des S im deutschen Geburtenregister. Hinweis: Nach polnischem Recht (Art. 62 § 1 Satz 1 des Familien- und Vormundschaftsgesetzbuchs vom 25. Februar 1964 – FVGB) wird vermutet, dass ein Kind, das vor Ablauf von 300 Tagen seit Beendigung der Ehe (= Rechtskraft der Scheidung) geboren werde, vom (ehemaligen) Ehemann der Mutter abstamme. Im Übrigen soll davon ausgegangen werden, dass das polnische Abstammungsrecht mit dem des BGB übereinstimmt. Frage: Wer ist als Vater des S im deutschen Geburtenregister einzutragen?

Fall 4: (nach OLG Stuttgart v.3.8.2000, IPRax 2002, 128; dazu Henrich, IPRax 2002, 118 ff.) S ist die 1990 in Belgrad geborene Tochter der damals unverheirateten O; beide haben die jugoslawische, jetzt serbische Staatsangehörigkeit. Der leibliche Vater der S ist unbekannt. 1997 lernten sich O und M, deutscher Staatsangehöriger, in Griechenland kennen. Sie schlossen am 30.11.1997 in Belgrad die Ehe. Am 2.12.1997 erklärte M mit Einverständnis der O vor dem Standesbeamten in Belgrad (unter Beteiligung eines Dolmetschers), dass er der natürliche Vater der S sei. Die Erklärung wurde in das Geburtenregister eingetragen. Unstreitiger Anlass für die Erklärung des M war, dass O ohne die Tochter nicht nach Deutschland gekommen wäre. Ursprünglich wollte M die Tochter sogar adoptieren, aber dies erschien den Eheleuten zu langwierig. Der Vorschlag, ein bewusst wahrheitswidriges Vaterschaftsanerkenntnis abzugeben, ging vom serbischen Standesbeamten aus. 1998 trennten sich die Eheleute. Am 3.12.1998 erhob M Vaterschaftsanfechtungsklage beim zuständigen AG – Familiengericht in Deutschland. Am 22.2.2000 wurde die Ehe der O und M durch Urteil eines deutschen Familiengerichts geschieden.

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M behauptet jetzt, er habe der Verhandlung vor dem serbischen Standesbeamten nicht richtig folgen können und sei sich über den Inhalt seiner damaligen Erklärungen nicht im Klaren gewesen. Ist die Vaterschaftsanfechtung begründet?

Hinweise: Nach serbischem Recht ist das Vaterschaftsanerkenntnis vom 2.12.1997 wirksam. Das Kind muss nach serbischem Recht nur zustimmen, wenn es zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses bereits über 16 Jahre alt ist. Nach serbischem Recht gibt es keine Anfechtungsmöglichkeit für den Mann, der die Vaterschaft zu einem Kind wider besseres Wissen freiwillig rechtswirksam anerkannt hat. Ein Anfechtungsrecht besteht nur bei Täuschung, Irrtum oder Drohung. Laut Art. 224 § 1 Abs. 1 EGBGB richtet sich die Vaterschaft hins. eines vor dem 1.7.1998 geborenen Kindes nach den bisherigen Vorschriften (= Art. 19 ff. EGBGB a.F.). Für die hier interessierenden Fragen ergeben sich aber keine Unterschiede, so dass die geltende Fassung der Art.19 ff. EGBGB angewendet werden kann. Nach dem intertemporal anwendbaren § 1600c BGB a.F. musste vor dem 1.7.1998 in jedem Fall das Kind selbst (ggfalls vertreten durch die Mutter) dem Vaterschaftsanerkenntnis zustimmen.

2. Eltern-Kind-Verhältnis (Elterliche Sorge, Sorgerechtsentscheidungen bei Getrenntleben und bei Scheidung, Kindesentführung) Autonomes Kollisionsrecht: Art. 21 EGBGB Aber: Teilweise verdrängt durch Staatsverträge, insbesondere das Haager KSÜ und EuEheVO a) Haager KSÜ 1996 (JH Nr. 53) In Kraft für D seit 1.1.2011, (Beachte: KSÜ noch nicht von allen EU-MS ratifiziert, zB nicht von Belgien, Griechenland , UK, Italien, Schweden); räuml.-pers. Anwendbarkeit: grundsätzlich, wenn MJ seinen gew. Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat b) Brüssel IIa/EuEheVO Verordnung (J/H Nr. 162), in Kraft seit 1.3.2005 c) Kindesentführung: Spezielles Haager Kindesentführungsübereinkommen das dem KSÜvorgeht (J/H Nr. 222), nachlesen zB bei Kropholler, S. 382 ff; Zur Konkurrenz mit EheVO II siehe zB Rieck, NJW 2008, 182 ff. d) Autonomes Kollisionsrecht: Art. 21 EGBGB: Hat der MJ seinen gew. Aufenthalt nicht in einem Vertragsstaat des Haager KSÜ, gilt Art. 21 EGBGB: Recht am gew. Aufenthalt. 3. Adoption a) Vorrangig vor aut. Recht (Kollisionsrecht und mat. Recht) anzuwenden: Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (J/H Nr. 223), für Dt. in Kraft getreten am 27.11.2001 Lit.: Wolfgang Weitzel, Das Haager Adoptionsübereinkommen vom 29.5.1993, NJW 2008, 186 ff. b) Zum autonomen Kollisionsrecht (wenn Haager Übereink. nicht anwendbar): Art. 22 f. EGBGB

III. Unterhalt Quellen: Verordnung (EG) Nr. 4/2009 über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUntVO) v. 18.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. L 7/1, anwendbar ab dem 18. Juni 2011. Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007, ABl. EU 2009 Nr. L 331/9.

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Zur Vertiefung: Gruber, Die neue EG-Unterhaltsverordnung, IPRax 2010, 128 ff.; ders., Das Haager Protokoll zum internationalen Unterhaltsrecht, in: FS Spellenberg 2010, 177 ff.

§ 18 Erbrecht

Zur Vertiefung: Simon/Buschbaum, Die neue EU-Erbrechtsverordnung, NJW 2012, 2393 ff.; Wilke, Das internationale Erbrecht nach der neuen EU-Erbrechtsverordnung, RIW 2012, 601 ff. Beiträge in Dutta/Herrler (Hrsg.): Die Europäische Erbrechtsverordnung, 2014. I. Grundregeln zum anwendbaren Recht nach der EuErbVO: Art. 21, 22 EuErbVO Vorspann: Anwendbarkeit: (i) Zeitlich: Gilt ab 17.8.2015. Nach Art. 83 Abs. 1 ist Stichtag der Todestag. Liegt er vor Inkrafttreten der VO: altes EGBGB, liegt er danach: VO. ABER: Art. 83 Abs. 2, 3 und 4 enthalten spezielle Vorschriften für die Rechtswahl (ii) Räumlich/pers.: ist von allen mitgliedstaatlichen Gerichten und Behörden anzuwenden, mit Ausnahme von GB, IRL und DK (Erwgr. 82 f.). Unabhängig von der StA/dem gew A des Erblassers. Loi uniforme, vgl. Art. 20 (iii) Sachl. Anwendungsbereich siehe Art. 1 Abs. 1 mit Ausnahmen in Abs. 2. Wichtig: Verhältnis zu anderen Übereinkommen:

• Haager TestamentsformÜK bleibt unberührt. • Bilaterale Übereinkommen (zB dt.-türk. Konsularvertrag JH Nr. 62) bleiben ebenfalls

unberührt! 1. Grundregel Art. 21 EuErbVO: gew A des Erblassers im Todeszeitpunkt; mit Ausweichklausel in Abs. 2! Renvoi: Anders als in Rom I-III kein genereller Ausschluss des Renvoi, sondern differenzierte Lösung in Art. 34.

Bsp: Ein Deutscher mit gew. Aufenthalt in Kalifornien stirbt und hinterlässt bewegliches Vermögen in Deutschland und unbewegliches Vermögen in Frankreich. In Deutschland Prozess zwischen potentiellen Erben.

2. Rechtswahl nach Art. 22 Erweiterung der Rechtswahl: statt nur für unbewegl. Vermögen Lageortsrecht (Art. 25 Abs. 2 EGBGB) jetzt für Erbfall insgesamt, aber beschränkt auf StA (in Form einer letztwilligen Verfügung).

II. Reichweite des Erbstatuts III. Zulässigkeit, Wirksamkeit, Form und Inhalt von Verfügungen von Todes wegen: Sonderregeln in Art. 24-27 EuErbVO für die Wirksamkeit (formell und materiell) von Testamenten und Erbverträgen (teilweise Unterschiede zum bisherigen aut. Recht) Haager Übereinkommen bleibt für die MS, die Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens sind (zB Dt.), in Kraft, vgl. Art. 75 Abs. 1 EuErbVO. Fragl., ob Art. 26 EGBGB im Gesetz stehen bleiben wird. Art. 24 Abs. 1 EuErbVO: Testamente: Wirksamkeit des Testaments (einschl. Widerruf) in materieller Hinsicht richtet sich nach dem (fiktiven) Erbstatut im Zeitpunkt der Errichtung (einschl. Rechtswahl).

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Reichweite in Art. 26: a) Testierfähigkeit (zB Altersgrenzen) b) zB Verbote in Heimgesetzen c) Höchstpersönlichkeit d) Auslegung! (hier zB Änderung: nach dt. Recht richtet sich Auslegung nach Erbstatut im Todeszeitpunkt) e) Willensmängel und Folgen (Anfechtbarkeit) Erbverträge: Art. 25 EuErbVO Abs. 1: Einseitiger Erbvertrag: fiktives Erbstatut im Zeitpunkt der Errichtung, einschl. Rechtswahlmöglichkeit (Art. 25 Abs. 3) Abs. 2: Zwei- oder mehrseitiger Erbvertrag: Zulässigkeit: Kumulation; i.ü. engste Verbindung. Für Reichweite gilt ebenfalls Art. 26 Form: Siehe oben. Haager Übereinkommen.

D. Abgrenzung zum Sachenrecht Fall: Ewald Ernst, deutscher Staatsangehöriger, hat seinen Lebensmittelpunkt mit Eintritt seines 65. Lebensjahres an die französische Mittelmeerküste verlegt und deutschen Boden seither nicht mehr betreten. Er stirbt am 1.1. 2016 mit 75 Jahren nach durchzechter Silvesternacht in St. Moritz, Schweiz, an Herzversagen. Er hinterlässt zwei Kinder, Antoine und Beatrice, die beide in Brüssel leben und arbeiten und ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind. E hat am 24.12.2015 handschriftlich folgendes Schriftstück errichtet: „Mein letzter Wille: Antoine und Beatrice, meine beiden geliebten Kinder, sollen mein Vermögen erben. Das Haus „In der Sandgrube Nr. 1, Kampen, Sylt“, vermache ich meinem treuen Freund Ferdinand Friedrich. gezeichnet Ewald Ernst, 24.12.2015, St.Moritz“.

F ist der Auffassung, dass er mit dem Tod des E unmittelbar Eigentümer des Anwesens auf Sylt geworden ist und nimmt A und B auf Grundbuchberichtigung in Anspruch.

Hinweis: Article 1014 Code civil lautet: Tout legs pur et simple donnera au légataire, du jour du décès du testateur, un droit à la chose léguée, droit transmissible à ses héritiers ou ayants cause.

Néanmoins le légataire particulier ne pourra se mettre en possession de la chose léguée, ni en prétendre les fruits ou intérêts, qu'à compter du jour de sa demande en délivrance, formée suivant l'ordre établi par l'article 1011, ou du jour auquel cette délivrance lui aurait été volontairement consentie.

Vertiefung: BGH 28.9.1994, NJW 1995, 58 ff.; Zu EGBGB und EuErbVO: Jan Peter Schmidt, RabelsZ 77 (2013) 1 ff.;

EuGH 12.10.2017, Rs C-218/16 (Kubicka): „Art. 1 Abs. 2 Buchst. k und l sowie Art. 31 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 […] sind dahin auszulegen, dass sie der Ablehnung der Anerkennung der dinglichen Wirkungen des Vindikationslegats, das dem von einem Erblasser gemäß Art. 22 Abs. 1 dieser Verordnung gewählten auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht bekannt ist, durch eine Behörde eines Mitgliedstaats entgegenstehen, wenn die Ablehnung allein auf der Begründung beruht, dass dieses Vermächtnis das Eigentum an einer Immobilie betrifft, die in diesem Mitgliedstaat belegen ist, dessen Rechtsordnung das Institut des Vermächtnisses mit unmittelbarer dinglicher Wirkung im Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls nicht kennt.

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Abschließender Hinweis:

Unter www.conflictoflaws.net findet sich ein Blog, in dem namhafte Autoren aus dem In- und Ausland Neuigkeiten, Themenbeiträge und Kommentare zum IPR posten. Über die neuesten Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung kann man sich hier gut auf dem Laufenden halten.

Literaturvorschläge Textsammlung:

Jayme, Erik / Hausmann, Rainer (Hrsg.): Internationales Privat- und Verfahrensrecht 18. Auflage 2016 (aber EGBGB bereits veraltet!) Preis: 25,90 €

Lehrbücher:

Brödermann, Eckart/Rosengarten, Joachim: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht (IPR/IZVR): Anleitung zur systematischen Fallbearbeitung 7. Auflage 2015 243 Seiten; Preis: 24,90 €

Coester-Waltjen, Dagmar/Mäsch, Gerald: Übungen in Internationalem Recht und Rechtsvergleichung 5. Auflage 2017 428 Seiten; Preis: 39,95 €

Hay, Peter/Rösler, Hannes: Internationales Privatrecht einschließlich des Internationalen Zivilverfahrensrechts, Reihe: „Prüfe Dein Wissen“ 5. Auflage 2016 3126 Seiten; Preis: 28,90 €

Von Hoffmann, Bernd/Thorn, Karsten: Internationales Privatrecht 10. Auflage 2018 612 Seiten; Preis: ca. 40 € (erscheint im Mai 2018)

Fuchs, Angelika/Hau, Wolfgang/Thorn, Karsten: Fälle zum Internationalen Privatrecht 4. Auflage 2009 200 Seiten; Preis: 19,80 €

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Junker, Abbo: Internationales Privatrecht 2. Auflage 2017 521 Seiten; Preis: 29,80 €

Kegel, Gerhard/Schurig, Klaus: Internationales Privatrecht 9. Auflage 2004 1190 Seiten; Preis: 57,00 €

Koch, Harald/Magnus, Ulrich/Winkler von Mohrenfels, Peter: IPR und Rechtsvergleichung 4. Auflage 2010 354 Seiten; Preis: 29,00 €

Kropholler, Jan: Internationales Privatrecht 6. Auflage 2006 742 Seiten; vergriffen, kein Nachdruck

Posch, Willibald: Bürgerliches Recht VII. Internationales Privatrecht 5. Auflage 2010 246 Seiten; vergriffen, kein Nachdruck

Rauscher, Thomas: Klausurenkurs im Internationalen Privatrecht Ein Fall- und Repetitionsbuch mit Internationalem und Europäischen Vefahrensrecht mit Schwerpunktbereich und Masterprüfung 3. Auflage 2013 375 Seiten; Preis: 24,95 €

Rauscher, Thomas: Internationales Privatrecht Mit internationalem und europäischem Zivilverfahrensrecht 5. Auflage 2017 697 Seiten; Preis: 32,99 €

Zeitschriften:

– EuLF, European Legal Forum (Sig.: 250/Vv4/Z27) – GPR, Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht (Sig.: 250/Vv4/Z26) – IHR, Zeitschrift für das Recht des internationalen Warenkaufs und –vertriebs

(Sig.: 250/GZ/W2) – IPRax, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Sig.: 250/EZ/p6) – RabelsZ, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

(Sig.: 250/EZ/p1) – RIW, Recht der Internationalen Wirtschaft (Sig.: 250/AZ/29a) – ZEuP, Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (Sig.: 250/EZ/E1) – ZfRV, Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht

(Sig.: 250/AZ/v6)

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– Revue critique de droit international privé (Sig.: 250/EZ/p2) – Journal of Private International Law (Sig.: 250/EZ/p9)