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Interview mit Tetsuya Honda
Die Reiko Himekawa-Reihe war in Japan außerordentlich erfolgreich und
soll jetzt auch in den USA und in Deutschland erscheinen. Wie kamen Sie
auf die Idee, als Protagonistin eine junge Frau zu wählen, die es ohne
fremde Hilfe in den Polizeidienst geschafft hat?
Kennen Sie den japanischen Horrorfilm Ring? Vor einigen Jahren gab es davon
eine Hollywood-Neuverfilmung. Nun, in der japanischen Originalfassung wird die
Hauptrolle von Nanako Matsushima gespielt. Sie ist nicht nur groß gewachsen
und schön, sondern auch sehr klug. Sie stellt die Redakteurin eines
Fernsehsenders dar, und ich war von ihrer schauspielerischen Leistung sehr
angetan. In einer Szene bittet sie einen jüngeren Redakteur, etwas für sie zu
recherchieren, und verlässt dann das Büro. Ich dachte, es wäre toll, wenn es eine
Polizistin gäbe, die genauso viel Stil hätte wie sie – so fing das Ganze an.
Außerdem verlangte auch der Handlungsaufbau nach einer Figur wie Reiko. Die
Reihe sollte sich mit grausamen Todesfällen befassen. Die Mordszenen waren
ziemlich blutig angelegt, und wo bliebe die Farbe, die Freude, wenn es auf der
Seite der Ermittler nur Männer mittleren Alters in schmuddeligen alten Mänteln
gäbe. Viel spannender wäre es doch, wenn bei den Besprechungen der Polizei
eine Frau wie Reiko in der ersten Reihe säße. Sie brächte das aufregende Rot in
ein ansonsten trostloses Szenario voller Schwarz-, Grau- und Brauntöne. Ihre
Figur würde der nüchternen Ermittlungsroutine einen unterhaltsamen Touch
verleihen und Tatorte in einem glanzvollen neuen Licht erscheinen lassen.
Wie kommt es, dass Sie sich mit den Interna polizeilicher Verfahren so gut
auskennen?
Zu Beginn sammelte ich Informationen aus Büchern und Zeitschriften. Ich las
auch die offiziellen Dokumente, die von der Polizei zur Verfügung gestellt wurden.
Ich studierte zudem die Lehrbücher und Vorbereitungstests, mit denen
Polizeianwärter sich auf ihre Prüfungen vorbereiten. Heutzutage habe ich einige
Ansprechpartner im aktiven Dienst und auch pensionierte Ermittler, die mir meine
Fragen beantworten. Ich interessiere mich nicht für Skandale oder so – Ich will
lediglich wissen, wie die Polizei ihre Arbeit tut, und wie es hinter den Kulissen
zugeht. Meine Kontaktleute verstehen das. In den letzten Jahren hat die Anzahl
der aktiven und pensionierten Beamten zugenommen, die mich aus freien
Stücken mit Informationen versorgen.
Soweit wir wissen, haben Sie in Tokio ein Studium absolviert, dann in einer
Rockband gespielt und schließlich mit dem Schreiben angefangen? Würden
Sie uns verraten, warum Sie ausgerechnet Krimis schreiben?
Heute spiele ich natürlich in keiner Rockband mehr, den Durchbruch als Musiker
habe ich nicht geschafft. Als ich dreißig wurde, beschloss ich daher, die Musik an
den Nagel zu hängen. Stattdessen begann ich ein Volontariat als Journalist für
eine Kampfsport-Webseite. Ich wusste, dass ich irgendetwas produzieren musste
– entweder als Musiker oder als Autor, sonst wäre mein Leben eine Sackgasse.
Ich gab die Musik daher endgültig auf und suchte mir einen Job als Schriftsteller.
Die Idee, Romane und andere fiktive Texte zu schreiben, gefiel mir besser als
Kampfsport-Ereignisse zu kommentieren, und so fing ich an, das zu schreiben,
was mir gefiel. Und schon nach zwei Jahren erlebte ich meinen ersten Erfolg.
Während ich mich fünfzehn Jahre lang vergeblich darum bemüht hatte, Musiker
zu werden, hatte ich mit dem Schreiben schon nach zwei Jahren Erfolg. Stellen
Sie sich das vor.
Mein Talent als Musiker ist sicher nicht weniger ausgeprägt, als meine
schriftstellerische Begabung, aber Tatsache ist nun einmal, dass die Welt kein
Interesse hatte an meiner Musik. Sie schien sie nicht zu brauchen, meine
Romane dagegen schon – tja, die waren offenbar gefragt. So war das.
Das erste meiner Bücher war eine Horrorgeschichte. Wie in Ring muss die Polizei
ermitteln, weil eine Leiche auftaucht – auch wenn der Killer ein Monster oder ein
Geist ist. Ich fing also an, mich mit Polizeiarbeit zu beschäftigen. Und je mehr ich
darüber herausfand, desto faszinierter war ich. Und bevor ich wusste, wie mir
geschah, hatte ich beschlossen, dass ich statt Horrorgeschichten lieber Krimis
schreiben wollte.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? Werden Sie die Reiko-Serie fortsetzen?
Oder schwebt Ihnen eine andere Figur vor, über die Sie schreiben möchten?
Die Reiko Himekawa-Reihe besteht jetzt aus acht Bänden, und ich habe noch
weitere geplant. Außerdem sind noch zwei andere Krimireihen in Arbeit. Die Jiu-
Reihe handelt von groß angelegten Verbrechen, und die Hisae Uozumi-Reihe
beschäftigt sich eher mit kleinen Alltagsverbrechen. Ich habe vor, meinen Debut-
Roman zu einer neuen Reihe auszuarbeiten, über einen Vampir, außerdem
schwebt mir ein Roman vor, dessen Protagonist, ein Privatdetektiv, mit
übernatürlichen Kräften ausgestattet ist. Ich schreibe noch an einem anderen
Buch, dessen Heldin Gitarre spielt. 2015 habe ich meine Bushido-Reihe
abgeschlossen, Romane über Schülerinnen in einem Kendo-Club. Das ist also
erledigt.
Japan – das ist für unsere deutschen Leser ein fernes, exotisches Land.
Können Sie unseren Lesern beschreiben, wie ein Tag in Ihrem Leben
aussieht?
Ziemlich normal, eigentlich. Gegen acht Uhr morgens gehe ich zu Hause in mein
Büro und schreibe oder recherchiere bis gegen Mittag. Manchmal sehe ich mir
auch Filme an. Nach dem Mittagessen, so gegen zwei, schreibe ich ungefähr bis
um sechs. Ich arbeite grundsätzlich nicht nachts, sondern spanne lieber aus, mit
meinem Lieblingswhiskey, Jack Daniels, sehe fern oder spiele Gitarre. Um
Mitternacht gehe ich dann zu Bett.
Welche deutschen oder amerikanischen Künstler mögen Sie am liebsten?
Und haben sie Einfluss auf Ihr Schreiben?
Früher habe ich mir immer MTV angesehen und mir oft Nenas 99 Luftballons
angehört. Ich hatte das Album.
Seit meiner Teenager-Zeit mag ich Sting und The Police. Ich habe große Achtung
vor Sting und wollte immer sein wie er. Bis zu meinem dreißigsten Geburtstag
habe ich Bass gespielt und war der Sänger in meiner Band. Das zweite Buch in
der Reiko Himekawa-Reihe trägt den Titel Soul Cage, nach The Soul Cages – so
hieß das dritte Solo-Album von Sting. Der Roman handelt wie Stings Album von
einer Vater-Sohn-Beziehung. Mein Schreiben ist stark von Sting beeinflusst.
Seit etwa zehn Jahren bin ich auch ein großer Fan von John Mayer. Er ist
außerordentlich talentiert – als Gitarrist, als Sänger und auch als Songwriter. Er
liebt die Musik, und wenn ich ihm zuhöre, geht es mir gut. Er ist ein
herausragender Musiker.
Vor kurzem habe ich die Band Alabama Shakes entdeckt. Brittany Howard
schreibt tolle Songs. Sie singt auch ganz fantastisch. Ihre Technik als Gitarristin
ist zwar nicht perfekt, aber sie vermittelt einem ein richtig gutes Gefühl. Ihre Art,
Gitarre zu spielen, ist typisch für eine Songwriterin. Ich bin sicher, dass wir noch
Großartiges von ihr erwarten dürfen.
Während ich schreibe, höre ich übrigens keine Rockmusik. Die Musik in meinen
Ohren würde sich mit den Worten in meinem Kopf bekriegen. Wenn ich während
des Schreibens überhaupt Musik höre, dann üblicherweise von Ryuichi
Sakamoto. Mein Lieblingsalbum von ihm ist 1996.