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NETZ UND NETZWERK Samstag, 18. April 2009 / Nr. 89 Neue Luzerner Zeitung Neue Urner Zeitung Neue Schwyzer Zeitung Neue Obwaldner Zeitung Neue Nidwaldner Zeitung Neue Zuger Zeitung 43 CYBERMOBBING Auf Facebook, Netlog und anderen Platt- formen tummeln sich nicht nur Freunde. Virtuelle Angriffe treffen vor allem Lehrer und Mitschüler. Seite 47 Besser als Kaffeekränzchen Interaktive Netzwerke wie Facebook, Xing oder Twitter stehen erst am Anfang. Simon Künzler, Experte für Online- Kommunikation, findet: Sie haben noch viel Potenzial, sich vom Tratsch- und Informationskanal zu einem täglichen Arbeitsinstrument zu entwickeln. «Auch Firmen profitie- ren von dem riesigen Netzwerk ihrer Mitarbei- ter, von dem Zugang zu so vielen Nutzern und Daten.» SIMON KÜNZLER, HOCHSCHULE LUZERN S imon Künzler, kann man Sie auf Facebook treffen? Simon Künzler*: Ja sicher, ich bin regelmässig auf Facebook, Xing, Twitter, Flickr, YouTube, Qype, Mybonitos sowie Blogs und noch einigen anderen Plattformen. Das klingt nach einem immensen Zeit- aufwand. Künzler: Eine Stunde pro Tag muss es mindestens sein. Wozu brauchen Sie diese Netzwerke und Plattformen? Künzler: Für mich sind sie wichtige Informations- und Kommunikationska- näle. Beruflich verfolge ich die Entwick- lungen in diesem Bereich, und privat pflege ich so Kontakte mit meinen Bekannten und Freunden. Zudem finde ich viele Plattformen für den Freizeitbe- reich wertvoll. So zum Beispiel nutze ich die Plattform Qype regelmässig, wo Users Tipps zu Hotels, Restaurants und Ausflugszielen austauschen; die Platt- form Flickr ist wiederum eine Art globale Plattform für Foto-Sharing. Da teile ich private Fotos mit meiner Familie oder meinen Freunden, statt dass wir uns diese per E-Mail hin- und herschicken. Das interaktive Web 2.0 als Informati- ons- und Tauschkanal? Künzler: Genau. Diese beiden Funk- tionen stehen ja im Zentrum des Social Webs, wie ich Web 2.0 lieber nenne. Es geht darum, Informationen und Emo- tionen zu teilen sowie Kontakte aller Art zu pflegen. Wird es in drei Jahren Facebook immer noch geben? Künzler: So, wie man sich vor drei Jahren kaum vorstellen konnte, dass Facebook einst so mächtig wird, so weiss heute auch kaum jemand, wie sich die virtuellen Kommunikationskanäle in den nächsten drei Jahren entwickeln werden. Ich wage aber die Prognose: Ja, Facebook wird es weiterhin geben. Wieso sind Sie sich da so sicher? Plattfor- men wie StudiVZ wachsen nicht mehr, andere sind gar verschwunden, sobald etwas Neues entwickelt wurde. Künzler: Der grösste Unterschied zu früheren Plattformen besteht darin, dass Facebook die erste länderübergreifende, mehrsprachige Plattform ist. Das ist der grösste Erfolgsfaktor, denn alle früheren Plattformen funktionierten länderspezi- fisch, das heisst, sie waren in bestimmten Regionen dominant. Zudem vereint Face- book verschiedene Kommunikationsfor- men und -funktionen; es macht beispiels- weise das E-Mail zusehends obsolet. Und drittens bietet Facebook Möglichkeiten für weitere Anwendungen. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass Microsoft in naher Zukunft viele Applikationen wie zum Beispiel Textprogramme gleich auf Facebook integriert. Wird dies gelingen, könnte Facebook zu einem alltäglichen Arbeitsinstrument in unseren Büros wer- den. Derzeit sperren aber viele Unternehmen und Behörden die Plattform für ihre Mitarbeiter. Künzler: Das ist so, weil sie von der Entwicklung überrollt werden. Die Men- schen haben Facebook aus dem priva- ten Raum in den Berufsbereich hinein- getragen. Die Firmen sind darauf nicht vorbereitet und sperren zuerst einmal die Website aus Angst vor Missbrauch oder Viren. Ich denke aber, dass sich das in Kürze ändern wird. Wieso sollte es? Künzler: Zuerst einmal profitieren auch Firmen von dem riesigen Netzwerk ihrer Mitarbeiter, von diesem Informati- onsaustausch, von dem Zugang zu so vielen Nutzern und auch Daten. Studien zeigen zudem, dass Menschen schneller und innovativer arbeiten, wenn sie Zu- gang zu ihrem Sozialnetz haben. Die Frage ist nur, wie man den Gebrauch regeln kann, ohne ihn zu verbieten. Die IT-Abteilungen sind sicherlich im Stan- de, praktikable Lösungen dafür zu fin- den und für Vorgesetzte nützliche Richtlinien zu formulieren. Ist es aber nicht so, dass Junge einen Trend fallen lassen, sobald er Ältere zu interessieren beginnt? Mit Facebook ist dieser Zeitpunkt erreicht: Immer mehr 40- und 50-Jährige erstellen inzwischen ihre Facebook-Profile. Künzler: Das ist so. Facebook geht derzeit enorm in die Breite, der Zulauf ist immens. Ich glaube aber nicht, dass Junge deswegen Facebook verlassen: Es bietet genug Möglichkeiten, sich darin so einzurichten, dass nur die eigenen Interessen und Bedürfnisse gedeckt wer- den. Das Fortbestehen von Facebook hängt eher davon ab, ob es den Grün- dern gelingt, ein tragbares Geschäftsmo- dell zu entwickeln. Bislang waren die Versuche erfolglos. Künzler: Ja, die User haben sich gegen die kommerzielle Nutzung gewehrt. Doch die Kehrseite des Erfolgs ohne kommerzielle Verwertung bedeutet im- mense Kosten: Die Firma zahlt inzwi- schen etwa 1 Million US-Dollar pro Monat, nur um den Strom zu bezahlen. Ich nehme an, Facebook kommt nicht darum herum, nach dem Vorbild ande- rer Plattformen bezahlte Premium-Ac- counts einzuführen, um Mittel zu gene- rieren – oder sich anderweitige Ertrags- quellen zu erschliessen. Und was kommt nach dem Web 2.0? Künzler: Zuerst muss sich das Web 2.0 weiterentwickeln. Seine Potenziale sind noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Mittelfristig dürfte das mobile Internet eine wichtigere Rolle spielen. Es wird ermöglichen, je nach Aufenthaltsort ei- ner Person auf Benutzer-generierte In- halte zuzugreifen. Auch dieVerknüpfung von geografischer Ortung mit der Identi- fizierung einer Person und ihrem Social- Network-Profil rückt näher. Der nächste grössere Entwicklungsschritt ist vermut- lich das «Semantische Web». Das heisst, Informationen im Web werden von Ma- schinen interpretiert und automatisch weiterverarbeitet. Lernfähige Datenban- ken könnten dann aufgrund von gespei- cherten Informationen und User-Ver- bindungen die nächsten Entscheidun- gen oder Präferenzen der Nutzer voraus- sehen. INTERVIEW VON IWONA MEYER HINWEIS U * Simon Künzler (35) ist Dozent für Online-Kom- munikation an der Hochschule Luzern – Wirtschaft und Geschäftsführer der Online-Agentur Xeit GmbH (www.xeit.ch). T Auf dem Laufenden sein: Dank Facebook geht es heute viel schneller. GETTY

Interview zum Thema Web 2.0 in der Neuen Luzerner Zeitung mit Simon Künzler, xeit GmbH

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Interaktive Netzwerke wie Facebook, Xing oder Twitter stehen erst am Anfang. Simon Künzler, Experte für Online-Kommunikation, findet: Sie haben noch viel Potenzial, sich vom Tratsch- und Informationskanal zu einem täglichen Arbeitsinstrument zu entwickeln.

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NETZ UND NETZWERK

SSaammssttaagg,, 1188.. AApprriill 22000099 // NNrr.. 8899 Neue Luzerner Zeitung Neue Urner Zeitung Neue Schwyzer Zeitung Neue Obwaldner Zeitung Neue Nidwaldner Zeitung Neue Zuger Zeitung 43

CYBERMOBBINGAuf Facebook, Netlog und anderen Platt-formen tummeln sich nicht nur Freunde.Virtuelle Angriffe treffen vor allem Lehrerund Mitschüler. Seite 47

Besser als KaffeekränzchenInteraktive Netzwerke wie Facebook, Xing oder Twitterstehen erst am Anfang. Simon Künzler, Experte für Online-Kommunikation, findet: Sie haben noch viel Potenzial, sichvom Tratsch- und Informationskanal zu einem täglichen

Arbeitsinstrument zu entwickeln.

«Auch Firmen profitie-ren von dem riesigen

Netzwerk ihrer Mitarbei-ter, von dem Zugang zuso vielen Nutzern und

Daten.»

S I M O N K Ü N Z L E R ,

H O C H S C H U L E L U Z E R N

Simon Künzler, kann man Sie aufFacebook treffen?Simon Künzler*: Ja sicher, ich

bin regelmässig auf Facebook,Xing, Twitter, Flickr, YouTube,

Qype, Mybonitos sowie Blogs und nocheinigen anderen Plattformen.

Das klingt nach einem immensen Zeit-aufwand.Künzler: Eine Stunde pro Tag muss es

mindestens sein.

Wozu brauchen Sie diese Netzwerkeund Plattformen?Künzler: Für mich sind sie wichtige

Informations- und Kommunikationska-näle. Beruflich verfolge ich die Entwick-lungen in diesem Bereich, und privatpflege ich so Kontakte mit meinenBekannten und Freunden. Zudem findeich viele Plattformen für den Freizeitbe-reich wertvoll. So zum Beispiel nutze ichdie Plattform Qype regelmässig, woUsers Tipps zu Hotels, Restaurants undAusflugszielen austauschen; die Platt-form Flickr ist wiederum eine Art globalePlattform für Foto-Sharing. Da teile ichprivate Fotos mit meiner Familie odermeinen Freunden, statt dass wir unsdiese per E-Mail hin- und herschicken.

Das interaktive Web 2.0 als Informati-ons- und Tauschkanal?Künzler: Genau. Diese beiden Funk-

tionen stehen ja im Zentrum des SocialWebs, wie ich Web 2.0 lieber nenne. Esgeht darum, Informationen und Emo-tionen zu teilen sowie Kontakte aller Artzu pflegen.

Wird es in drei Jahren Facebook immernoch geben?Künzler: So, wie man sich vor drei

Jahren kaum vorstellen konnte, dassFacebook einst so mächtig wird, so weissheute auch kaum jemand, wie sich dievirtuellen Kommunikationskanäle in

den nächsten drei Jahren entwickelnwerden. Ich wage aber die Prognose: Ja,Facebook wird es weiterhin geben.

Wieso sind Sie sich da so sicher? Plattfor-men wie StudiVZ wachsen nicht mehr,andere sind gar verschwunden, sobaldetwas Neues entwickelt wurde.Künzler: Der grösste Unterschied zu

früheren Plattformen besteht darin, dassFacebook die erste länderübergreifende,mehrsprachige Plattform ist. Das ist dergrösste Erfolgsfaktor, denn alle früherenPlattformen funktionierten länderspezi-fisch, das heisst, sie waren in bestimmtenRegionen dominant. Zudem vereint Face-

book verschiedene Kommunikationsfor-men und -funktionen; es macht beispiels-weise das E-Mail zusehends obsolet. Unddrittens bietet Facebook Möglichkeitenfür weitere Anwendungen. Ich kann mirbeispielsweise vorstellen, dass Microsoftin naher Zukunft viele Applikationen wiezum Beispiel Textprogramme gleich aufFacebook integriert. Wird dies gelingen,könnte Facebook zu einem alltäglichenArbeitsinstrument in unseren Büros wer-den.

Derzeit sperren aber viele Unternehmenund Behörden die Plattform für ihreMitarbeiter.

Künzler: Das ist so, weil sie von derEntwicklung überrollt werden. Die Men-schen haben Facebook aus dem priva-ten Raum in den Berufsbereich hinein-getragen. Die Firmen sind darauf nichtvorbereitet und sperren zuerst einmaldie Website aus Angst vor Missbrauchoder Viren. Ich denke aber, dass sich dasin Kürze ändern wird.

Wieso sollte es?Künzler: Zuerst einmal profitieren

auch Firmen von dem riesigen Netzwerkihrer Mitarbeiter, von diesem Informati-onsaustausch, von dem Zugang zu sovielen Nutzern und auch Daten. Studienzeigen zudem, dass Menschen schnellerund innovativer arbeiten, wenn sie Zu-gang zu ihrem Sozialnetz haben. Die

Frage ist nur, wie man den Gebrauchregeln kann, ohne ihn zu verbieten. DieIT-Abteilungen sind sicherlich im Stan-de, praktikable Lösungen dafür zu fin-den – und für Vorgesetzte nützlicheRichtlinien zu formulieren.

Ist es aber nicht so, dass Junge einenTrend fallen lassen, sobald er Ältere zuinteressieren beginnt? Mit Facebook istdieser Zeitpunkt erreicht: Immer mehr40- und 50-Jährige erstellen inzwischenihre Facebook-Profile.Künzler: Das ist so. Facebook geht

derzeit enorm in die Breite, der Zulaufist immens. Ich glaube aber nicht, dassJunge deswegen Facebook verlassen: Esbietet genug Möglichkeiten, sich darinso einzurichten, dass nur die eigenenInteressen und Bedürfnisse gedeckt wer-den. Das Fortbestehen von Facebookhängt eher davon ab, ob es den Grün-dern gelingt, ein tragbares Geschäftsmo-dell zu entwickeln.

Bislang waren die Versuche erfolglos.Künzler: Ja, die User haben sich gegen

die kommerzielle Nutzung gewehrt.Doch die Kehrseite des Erfolgs ohnekommerzielle Verwertung bedeutet im-mense Kosten: Die Firma zahlt inzwi-schen etwa 1 Million US-Dollar proMonat, nur um den Strom zu bezahlen.Ich nehme an, Facebook kommt nichtdarum herum, nach dem Vorbild ande-rer Plattformen bezahlte Premium-Ac-counts einzuführen, um Mittel zu gene-rieren – oder sich anderweitige Ertrags-quellen zu erschliessen.

Und was kommt nach dem Web 2.0?Künzler: Zuerst muss sich das Web 2.0

weiterentwickeln. Seine Potenziale sindnoch bei weitem nicht ausgeschöpft.Mittelfristig dürfte das mobile Interneteine wichtigere Rolle spielen. Es wirdermöglichen, je nach Aufenthaltsort ei-ner Person auf Benutzer-generierte In-halte zuzugreifen. Auch die Verknüpfungvon geografischer Ortung mit der Identi-fizierung einer Person und ihrem Social-Network-Profil rückt näher. Der nächstegrössere Entwicklungsschritt ist vermut-lich das «Semantische Web». Das heisst,Informationen im Web werden von Ma-schinen interpretiert und automatischweiterverarbeitet. Lernfähige Datenban-ken könnten dann aufgrund von gespei-cherten Informationen und User-Ver-bindungen die nächsten Entscheidun-gen oder Präferenzen der Nutzer voraus-sehen.

INTERVIEW VON IWONA MEYER

HINWEIS

* Simon Künzler (35) ist Dozent für Online-Kom-munikation an der Hochschule Luzern – Wirtschaftund Geschäftsführer der Online-Agentur XeitGmbH (www.xeit.ch).

Auf dem Laufenden sein: Dank Facebook geht es heute viel schneller. GETTY