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1 Transkription des Interviews mit Melander Holzapfel alias Lando. November 2012, Dauer: ca. 50 Minuten Melander Holzapfel ist ursprünglich Graffiti-Künstler der zweiten Münchner Sprayer- Generation. Heute leitet er zwei erfolgreiche Agenturen: eine Werbe- und eine Graffitiagentur. In der Graffitiagentur „funky-fresh“ arbeitet er unter anderem mit Loomit zusammen. Melander ist Mitglieder der Writers Corner München, einem Zusammenschluss der Münchner Graffiti Szene. Warum glaubst du ist Street Art zur Zeit so erfolgreich? Momentan würde ich mal sagen ist der Grund dafür, dass Street Art - also eigentlich ist Graffiti ja eine Form der Street Art - aber das Street Art was wir oder du oder die da draußen in den Medien alle kennen, ist dieses Schablonengraffiti, populär gemacht durch einen Engländer, Banksy, und das hausiert natürlich, wird auch wieder eingehen, irgendwann. Was glaubst du, was der Grund dafür ist, dass Street Art so populär wurde? Warum spricht es die Menschen so an? Naja gut, Graffiti ist ja immer oder war ein Ausdruck für soziale Probleme eines Viertels zum Beispiel. Wie habe ich mal einem Bürgermeister gesagt: er soll sich doch freuen, Graffiti zu entdecken in seiner Ortschaft, dann weiß er wie die Jugend tickt. Da passt was nicht! Nicht in dem Hinblick, dass das Sachbeschädigung ist, das heißt er muss ein paar Monster jagen, sondern er muss vielleicht mal kucken wie er seine Jugend besser abfängt, weil das ist meistens ein Ausdruck von Unzufriedenheit. Ein Ausdruck um Dinge zu verarbeiten, so hat's mit Graffiti angefangen. Das kommt ja nicht aus irgendeinem Luxusviertel, sondern das kommt aus der Bronx. Und Street Art denk ich mal (...) es ist alles irgendwo schnelllebiger geworden, wir haben ja angefangen auf S- Bahn-Züge zu sprühen, erstens aus dem Grund „Hit your name to get fame“, also um bekannt zu werden. Heute hast du durchs Internet ganz andere Medien und einen ganz anderen Verbreitungsgrad und Street Art war einfach eine neue Art und Form, die auch sehr schön anzuschauen war und leicht zu imitieren war. Und da kommt dann das eine zum anderen. Mit der Dose umzugehen und dann etwas Entsprechendes zu machen ist nicht so einfach wie mir einen Stern auszuschneiden aus Karton und den Stern auf die Wand zu sprühen. Ich hab SOFORT ein Ergebnis, auch ohne große Kunstkenntnisse. Ich glaube das war ein bisschen auch der Durchbruch, warum so schnell erst unter den Künstlern die Kunst angekommen ist und dann durch die Medien natürlich, weil natürlich ganz tolle Motive entstanden sind. Glaubst du also, dass es wichtig war, dass die Leute selbst partizipieren konnten? Weil man bei Stencil wenig Technik braucht? Die Technik brauchst du, die ist ne Schablone, aber du kannst zuhause dran tüfteln von mir aus zwei Tage an einer Schablone, detailliert () Und hast dann einen fünf bis zehnminütigen Auftritt und bist dann wieder weg. Und bei uns war das so, wir hatten zwei Stunden recherchiert oder für eine Skizze gebraucht und haben dann eher länger

Interviews: Kommerzialisierung von Street Art & Graffiti

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Transkription der Interviews für die Diplomarbeit zum Thema: Das Verhältnis von Kunst und Wirtschaft am Beispiel der Entwicklungen der Street Art Szene - Auswirkungen der Kommerzialisierung auf die Künstler

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Transkription des Interviews mit Melander Holzapfel alias Lando. November 2012, Dauer: ca. 50 Minuten Melander Holzapfel ist ursprünglich Graffiti-Künstler der zweiten Münchner Sprayer-Generation. Heute leitet er zwei erfolgreiche Agenturen: eine Werbe- und eine Graffitiagentur. In der Graffitiagentur „funky-fresh“ arbeitet er unter anderem mit Loomit zusammen. Melander ist Mitglieder der Writers Corner München, einem Zusammenschluss der Münchner Graffiti Szene. Warum glaubst du ist Street Art zur Zeit so erfolgreich? Momentan würde ich mal sagen ist der Grund dafür, dass Street Art - also eigentlich ist Graffiti ja eine Form der Street Art - aber das Street Art was wir oder du oder die da draußen in den Medien alle kennen, ist dieses Schablonengraffiti, populär gemacht durch einen Engländer, Banksy, und das hausiert natürlich, wird auch wieder eingehen, irgendwann. Was glaubst du, was der Grund dafür ist, dass Street Art so populär wurde? Warum spricht es die Menschen so an? Naja gut, Graffiti ist ja immer oder war ein Ausdruck für soziale Probleme eines Viertels zum Beispiel. Wie habe ich mal einem Bürgermeister gesagt: er soll sich doch freuen, Graffiti zu entdecken in seiner Ortschaft, dann weiß er wie die Jugend tickt. Da passt was nicht! Nicht in dem Hinblick, dass das Sachbeschädigung ist, das heißt er muss ein paar Monster jagen, sondern er muss vielleicht mal kucken wie er seine Jugend besser abfängt, weil das ist meistens ein Ausdruck von Unzufriedenheit. Ein Ausdruck um Dinge zu verarbeiten, so hat's mit Graffiti angefangen. Das kommt ja nicht aus irgendeinem Luxusviertel, sondern das kommt aus der Bronx. Und Street Art denk ich mal (...) es ist alles irgendwo schnelllebiger geworden, wir haben ja angefangen auf S-Bahn-Züge zu sprühen, erstens aus dem Grund „Hit your name to get fame“, also um bekannt zu werden. Heute hast du durchs Internet ganz andere Medien und einen ganz anderen Verbreitungsgrad und Street Art war einfach eine neue Art und Form, die auch sehr schön anzuschauen war und leicht zu imitieren war. Und da kommt dann das eine zum anderen. Mit der Dose umzugehen und dann etwas Entsprechendes zu machen ist nicht so einfach wie mir einen Stern auszuschneiden aus Karton und den Stern auf die Wand zu sprühen. Ich hab SOFORT ein Ergebnis, auch ohne große Kunstkenntnisse. Ich glaube das war ein bisschen auch der Durchbruch, warum so schnell erst unter den Künstlern die Kunst angekommen ist und dann durch die Medien natürlich, weil natürlich ganz tolle Motive entstanden sind. Glaubst du also, dass es wichtig war, dass die Leute selbst partizipieren konnten? Weil man bei Stencil wenig Technik braucht? Die Technik brauchst du, die ist ne Schablone, aber du kannst zuhause dran tüfteln von mir aus zwei Tage an einer Schablone, detailliert (…) Und hast dann einen fünf bis zehnminütigen Auftritt und bist dann wieder weg. Und bei uns war das so, wir hatten zwei Stunden recherchiert oder für eine Skizze gebraucht und haben dann eher länger

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gemalt. Das war was anderes und ein bisschen gefährlicher, das heißt, wir waren viel größerem Risiko ausgesetzt, wie's bei uns normalen Graffiti-Sprayern war, als wie's in der typischen Street Art Szene ist, die da sind, die Schablonen halten, malen und weg sind. (…) Wir haben mal einen Auftrag gemacht für eine Firma und haben in einer deutschen großen Stadt ein gewisses Motiv, was ich jetzt auch gar nicht sagen werde, über Nacht gesprüht und zwar in der ganzen Stadt am Boden und zwar mit Kreidesprays, um nicht völlig Sachbeschädigung zu betreiben (…) davon ein Motiv war golden, das goldene Motiv musste man suchen, das ging durch alle Radios durch, die anderen Motive waren gelb. Und die Vorbereitung war da echt lange, wir haben da überlegt, wie kann man das machen, wie kann man auf dem Boden ein Schablonengraffiti machen. Und wir haben da so eine Konstruktion gebaut, so eine große Einkaufstasche, die im Boden ein Loch hatte, wir haben uns jedesmal hingekniet in die Tasche gegriffen, gesprüht, die Dose hing an einem Seil, also quasi gleich griffbereit, die Schablone war unten im Boden reingeklebt. Es hat halt so ausgesehen als wären wir Penner. Wir haben uns dann wie Penner angezogen, haben Mülleimer durchwühlt, der eine hat am Boden eben was gesprüht, da sind wir von nachts um halb drei bis in der Früh um sechs haben wir bei Eiseskälte die ganze Stadt zugepflastert, die ganze Fussgängerzone. Und das geht eben über diese Technik! Und deswegen hat das auch wahrscheinlich soviel Anklang gefunden. Die Leute sind so ungeduldig geworden über die ganzen Medien, Handy, Internet, schnelllebig. Die Romantik fehlt, wir haben früher (…) um an gutes Material ranzukommen, da hast du jemanden aushorchen müssen. Es war toll was weiterzugeben, ein Geheimnis wie: welcher Sprühaufsatz ist gut? Heute kannst du alles kaufen, kannst alle Dosen kaufen, alle Caps kaufen, es ist richtig schnelllebig geworden. Keiner hat mehr Bock sich Zeit zu nehmen, bis auf die ganz alten Hasen, wo ich schon fast dazugehöre mit 38 oder die noch älteren, ich bin die zweite Münchner Generation, Loomit die erste, wo ich grad war. Der ist 43, zwei Kinder, lebt davon. Wir haben auch ne ganz andere Ruhe, wir setzen uns damit ganz anders auseinander, deshalb mal ich auch schon seit 25 Jahren. Und nicht drei Jahre, wie manche. Ich habe in der SZ einen Bericht über dich gelesen, da stand drin, dass du noch nie etwas illegal gemalt hast? Das war dann eigentlich für die Öffentlichkeit gedacht, diese Message oder? Wo war das? Auf deiner funky-fresh.de Seite im Pressebereich. Das muss ich mir nochmal durchlesen. Ich habe nie einen Hehl draus gemacht, dass ich illegal angefangen habe. Ja, ich hatte mich gewundert, wie das dann in der Szene überhaupt funktioniert. Ich gebe ja viele Workshops mittlerweile, da ist immer ein ganz wichtiger Punkt, das illegale Malen, da sage ich immer, man muss heute nicht mehr illegal malen, weil wir haben ja nur gemalt für nen Ausdruck, um unsere Persönlichkeit voran zu bringen sozusagen, „Hit your name to get fame“. Also man konnte hier punkten in der Szene bei Leuten, indem man viel illegal gemalt hat. Heute brauchst du's nicht, heute malst du ein

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saucooles Bild, stellst es auf nen Blog und kriegst eine response und deshalb musst du heute nicht mehr illegal malen. Aber ich mach da keinen Hehl draus, ich bin auch schon vor Gericht gestanden mit 14, mit 13 habe ich angefangen zu sprühen. 88 war das vor Gericht und allein deswegen kann ich gar nicht sagen, ich habe nie illegal gesprüht, ich habe ja alles schwarz auf weiß da. Wie bist du dann auf die Idee gekommen, dass du mit deiner Kunst Geld verdienst? Angefangen irgendwo, aufgewachsen mit ziemlich vielen wilden Leuten, ist nicht wichtig, dass ich das erwähne, aber ab und zu denke ich mir, hat's mich doch sehr stark geprägt. Ich bin in einem Vorort von München aufgewachsen, aber ein sehr wildes Eck, auch ein paar Zigeuner mit dabei, sehr kreative Leute, die eher das Leben im Kopf hatten, als einen gerade, guten Weg zu gehen. Ich hab mit ach und Krach und Nachprüfung meinen Quali [Anmerkung: Qualifizierter Hauptschulabschluss] gemacht, habe zum Glück immer Sport gemacht, der mich irgendwo immer auf einem guten Weg gehalten hat. Was ich auch heute noch mache: Fussballspielen. Und ja dann gings auch noch weiter, dann war ich trotzdem noch irgendwo (…) mein Vater ist früh ausgezogen, ich habe nicht gewusst, was ich machen soll, wollte was Seriöses machen, habe Einzelhandelskaufmann gelernt, habe aber immer noch gesprüht nebenbei. Habe Angefangen Aufträge zu machen, ich habe damals auch als Ableistung meiner Sozialstunden, die ich im Jugendzentrum abgeleistet habe, auch nen Raum gestaltet. Das war dann auch so die erste Situation: hey du wirst für etwas bestraft und darfst auch noch malen. Das war so ein Zündfunke bei mir: hey du kriegst auch noch Kohle vielleicht! Also dafür habe ich keine Kohle bekommen, aber (…) das hat sich dann rumgesprochen. Mundpropaganda, der macht was... und dadurch habe ich auch ein bisschen Selbstständigkeit gelernt, habe gelernt etwas zu verkaufen, dich zu verkaufen und dann geht das so weiter, die Aufträge kommen, trotzdem traut man sich's nicht zu. Ich trau es mir heute nicht zu. Das war damals mit 14 dann? Ja genau richtig, mit 13 habe ich angefangen und dann ging es halt so weiter. Dann geht man auch verschiedene Beziehungen durch, also ich habe mit verschiedenen Sprüher-Kollegen zusammengearbeitet, das ist meistens so, dass man halt so verschiedene... der eine hört auf, ich habe dann halt weitergemacht, mit dem nächsten gemalt und ich bin einfach bei der Stange geblieben. Naja gut, da habe ich dann irgendwann gemerkt, dann kam der Zivildienst, nach zwei Jahren Berufserfahrung, nach der Lehre, immer noch im Sportgeschäft, völlig öder Job und nichts verdient und dann hat mal einer meiner besten Freunde zu mir gesagt: hey, du hast es doch voll drauf, mach' doch, studier' doch Kommunikationsdesign, du bist doch auch ein guter Künstler! Gut, dann habe ich eben das Abitur nachgeholt, Fachabitur. Dann hat mich aber die Hochschule nicht genommen in München, aber die Firma wo ich dann ein Praktikum gemacht habe fürs Studium, die hat mich dann fest angestellt, das heißt da kam ich zum ersten Mal in Berührung mit einem Computer, den ich auch noch nie vorher hatte, zum ersten Mal in Berührung mit dem Internet, das war... ich weiß nicht wann das war, 95 oder so. Und dann habe ich als Datentypist eine Festanstellung bekommen, habe ein Team geführt, bin dann in die Grafik reingerutscht, habe dann die Grafik übernommen.

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Und dann habe ich mich irgendwann selbstständig als Grafikdesigner, als nicht ausgebildeter Grafikdesigner, ich bin Autodidakt. Was du hier siehst, meine Agentur, ist selber erarbeitet. Ich habe zwei Agenturen, ich habe eine Werbeagentur mit herzwild und eine Graffitiagentur mit funky fresh, habe nichts davon gelernt und mir alles selber beigebracht. Und so kam ich also peu à peu über die Straßenkunst in die Werbung rein und komme jetzt ziemlich ausgelaugt mit 38 wieder zurück in die Kunst. Wo ich mir sage, ich habe überhaupt keinen Bock auf die Agenturscheiße, auf die mörderischen Arbeitszeiten, auf das, dass man sich völlig aufarbeitet und schon fast einen Herzkasper hatte, hatte ich alles schon hinter mir. Und ich traus mir jetzt schon ein bisschen eher zu, mit der Kunst Geld zu verdienen, nur nicht selber als Künstler, das probiere ich gerade, ein bisschen Agenturleben, ein bisschen Kunst, mal hier mal dort. Geld ist für mich jetzt nicht soo wichtig, sondern die Freiheit ist mir wichtig. Ist es dann für dich noch Kunst, wenn du eine Auftragsarbeit kriegst? Also drückst du dich dann selbst in den Werken noch aus? Also das ist schwierig. Als Auftragskünstler prostituierst du dich komplett. Du bist also wie eine Nutte irgendwo im Straßenstrich und verkaufst ein Produkt und wirst dafür bezahlt und danach wirst du wieder rausgetreten. Knallhart formuliert. Das machen wir ganz gerne. Wir hatten letztens nen Auftritt und sollten in acht Minuten vor gehobener Münchner Gesellschaft ein Graffiti malen, haben wir auch gemacht und danach waren wir weg und haben richtig gut Asche kassiert. Und der eigene Spielraum ist da gering, du musst da machen was der Kunde wünscht, aber du kannst natürlich deine Erfahrungen reinbringen, du kannst den schon leiten, schau mal her, DAS wär doch cool, das wär doch gut. Und ich selber habe ein Schablonengraffiti gemacht, das sich komplett in Schablonen aufgebaut hat und meine Kollegen haben ein freies Bild gemalt in acht Minuten. Und das war dann schon ein bisschen eine Technikvermittlung, was ich da gemacht habe, also nicht das, was ich sonst machen würde. Wenn ich frei male, das machen wir auch ab und zu. Ich habe ja noch eine Crew, eine private, wo wir uns privat treffen und nicht kommerzielle Sachen machen, momentan gestalten wir gerade eine Unterführung in Starnberg, die haben wir von der Stadt bekommen, was einfach rein „just for fun“ ist für uns, dabei zu bleiben uns zu sehen, zu treffen, Spaß zu haben, mal nicht bezahlt werden für etwas. Auch wenn wir natürlich froh sind, dass wir vielleicht Benzingeld kriegen und das Material. Aber einfach mal das machen, an was wir Spaß haben. Wir durften alles selber aussuchen, da funktioniert das. Bei einer Auftragsmalerei funktioniert das nicht. Da wirst du gebucht für ein Produkt, die wollen dich für etwas haben und dann können sie mich gerne dafür haben. Und wie machst du das dann mit dir aus? Kannst du dich dann mit dem was du für einen Auftrag malst noch identifizieren? Weiß ich nicht. Also ich kann das so beantworten: Ich versuche dann halt auch hier meinen Namen voran zubringen, es ist dann natürlich ein Originales „Lando“ oder eines meines Kollegen ein Original „Loomit“, das hat 'ne gewisse Wertigkeit und das wollen auch die Kunden teilweise, den Namen dahinter, und ich bin auf alles stolz und habe eine hohe Identifikation mit dem was ich mache, egal ob ich bezahlt werde dafür, was ja auch schon ein riesengroßes Beispiel dafür ist, dass du was richtig machst. Es gibt ja... wie viel Künstler hat's gegeben in der Vergangenheit, die nicht bezahlt wurden, die noch

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tausendmal besser sind als ich. Ich werde dafür bezahlt! Und das für ab und zu mal für ein paar Striche, in Anführungsstrichen (lacht)... und ich steh da voll dahinter, bin voll stolz drauf für Geld zu malen – was früher sehr verpönt war, als wir angefangen haben – das hat sich meiner Meinung nach, für mich in meiner Welt, komplett gedreht. Ich habe vor dem Respekt, vor Loomit Respekt und vor mir selber Respekt, dass wir mit der Kunst unsere Familie ernähren. Und das schaffen die wenigsten. Loomit hat zwei Kinder und eine Frau und lebt davon und macht NICHT noch 'ne Agentur wie ich und hat noch ein income, weil ich was programmieren lasse. Er ist nur Künstler. Und da habe ich allen Respekt davor. Wenn du was malst, was ist dann der Anspruch an deine Werke? Ist es zum Beispiel eher wichtig, dass es eine Message hat oder ist eher die Optik entscheidend? Auch ein wichtiges Therma. In meiner Crew zum Beispiel da ist Politisches eher verpönt. Warum? Ich hab die gar nicht gefragt, die wollen das nicht. Und ich finde, für mich persönlich: mit dem Strich an der Wand beginnt Politik, weil wenn ich illegal male, dann beginne ich Politik. Dann beginne ich eine innere Politik an die Gemeinde, die sich damit auseinander setzen muss, dass jemand die Ortschaft „verschantelt“ in Anführungsstrichen. Also gibt’s eine Gemeinderatssitzung, wo ich auch schon mal vorgeladen war, aber im positiven Sinne, um vorzusprechen und Graffiti stark zu machen, für eine Unterführung. Also ich finde man kann sich den Dingen eigentlich nicht entziehen, indem man in die Öffentlichkeit geht mit Graffiti macht man meiner Meinung nach eh schon ein bisschen Politik. Man macht Politik für die Jugend oder für die Kunst oder halt im negativen Sinne für den Vandalismus. Und ich finde, Graffiti und Politik gehört zusammen, schau mal zum Beispiel den Arabischen Frühling an, der da ganz stark auch Ausdruck gefunden hat, indem die Leute, auch die jungen Leute, Bilder gemalt haben und die dann gepostet haben auf Facebook. Ich finde es wichtig, ich finde das legitim, ich finde es gut, ich finde man darf da Politik machen, manche sehen das komplett anders, die trennen das. Wenn ich male – ich male leider sehr selten privat, weil ich bin schon Familienvater, spiele auch nebenbei aktiv Fussball, hab ne Agentur, hab nen Hund, hab mal nen Graffitiauftrag, dass heißt du bist ja... sobald ich meinen PC verlasse, bin ich mal vier, fünf Stunden weg, das reißt ein riesen Loch auf der Seite rein. Da könnte ich ja irre viel machen in der Zeit. Man hat wenig Zeit privat zu machen, ich wüsste jetzt gar nicht, was mir wichtig wäre, wenn ich jetzt Zeit hätte... momentan malen wir ja so ein Waldgedöns in Starnberg, das macht sehr viel Spaß. Zum Beispiel verzichten wir da auf sehr viel Style, was ja Graffiti pur ist, Style bewegte Buchstaben. Wir malen da gegenständlich, also einen Wald. Deshalb kann ich vielleicht schon mal beantworten, dass mir ein gutes Gesamtbild wichtiger ist, als nur Style oder nur das typische Style Graffiti. Momentan! Das ändert sich auch, ich les jeden Tag ne Stunde Zeitung, bin ein sehr offener Mensch, gehe mit offenen Augen durch die Welt, ich nehme viel auf und bin da auch unglaublich flexibel. Mal so, mal so. Also ich kann das gar nicht beantworten.

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Du bist ja schon sehr lang in der Szene dabei, kannst du sagen, wann du für die Kommerzialisierung bemerkt hast? Also schon mit 14, 15, 16, 17 oder bis 20, da malst du ja und wirst auch ausgenutzt. Da kriegst du Farben und es wird gesagt: mal! Das ist ein wichtiger Prozess, du kriegst ja trotzdem Anerkennung dafür. Dann hast du nur einen Auftrag, was dann ein Highlight ist. Wir durften mal nach Koblenz zu Harley Davidson und durften da die ganze Halle malen und da hat man... das war EIN Auftrag, man kann ja nicht sagen, jetzt hab ichs geschafft, jetzt bin ich dabei. Das geht natürlich nicht. Aber irgendwann kann man das dann. Die Phase als ich dann eben bei der Firma noch war, die hat dann eine Tochterfirma gegründet, die danach hops gegangen ist, das war dann 2000, als der neue Markt zusammengebrochen ist, oder 2001, unsere Firma hat dann Insolvenz angemeldet und wurden dann gekauft von einer Hamburger Firma, die dann auch – zwei Wochen später!- Insolvenz angemeldet hat, sehr mysteriös alles, und dann hab ich mir gedacht: Jedes Mal dein Glück in fremde Hände geben und auf Geld warten? Und dann beschissen zu werden, da hab' ich keinen Bock mehr. Und nur von Webseiten zu leben, ich, als nicht gelernter Grafikdesigner, mit den bisschen Programmierkenntnissen – mit viel Talent vielleicht – hat auch nicht gereicht. Ich habe mir das ein oder andere Mal von meinem besten Spezl Geld geliehen, weil sie mir das Internet gekappt haben zuhause, weil ich's nicht bezahlen konnte, ich kam nicht über die Runden, also musste ich mir ein zweites Standbein aufbauen, habe dann eben gedacht, wie wollen die Leute mich sonst finden, außer Mundpropaganda, die recht wenig war, ich brauche eine Webseite. Ich kann auch selbst designen also programmieren, dann kam ich auf den Namen funky fresh, warum auch immer und dann hab ich eine Graffiti- und Webdesign Webseite gemacht, von der ich bis heute profitiere, weil ich wenn du Graffiti und München eingibst auf Nummer 1 von Google komme und ich pro Woche eine Anfrage krieg' und ich wirklich selektiere, was ich mache über eine gewisse Preispolitik. Also es ist nicht so, dass du sagst – mal plakativ - für McDonalds zum Beispiel würdest du nichts machen, sondern es entscheidet der Preis? Ach pfff, gerade für McDonalds würde ich was machen, die zahlen doch richtig gut! (lacht) Wobei man da ja für die Agentur von McDonalds arbeitet und nicht für McDonalds selber, aber ich würde für alle arbeiten, aber auch nicht mehr für jeden Preis, darum geht’s mir. Wenn ich meine Agentur verlasse für etwas, dann muss es sich lohnen, alles andere mache ich nicht mehr. Die Wertigkeit, die würde ich mir auch woanders wünschen. Bei allen Leuten, weil natürlich auch ich damals einer derjenigen war, die den Fehler gemacht haben, die mit einer sehr aggressiven Preispolitik Graffitiaufträge gemacht haben. Das sehe ich jetzt im Alter. Ich weiß noch wo wir einen Auftrag Loomit weggenommen haben – mit dem ich heute zusammen arbeite – und er dann gesagt hat, wir machen den Markt kaputt und ich habe gar nicht gewusst, was er damit meint. Ich war froh um den Auftrag, haben gut verdient, er hätte aber ganz andere Summen genommen. Heute weiß ich, was er meinte, da müssen wir als Künstler alle die Arschbacken zusammen kneifen und sagen: Nee, wir machen's nicht für jeden Preis. Ganz wichtig! Weil sonst kommt man nicht voran. Weil dann wird man nicht für die Wertigkeit bezahlt. Mittlerweile sehe ich Graffiti als Handwerk, natürlich gibt’s da keinen

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Ausbildungszweig, es gibt auch keinen Abschluss, aber es ist ein richtiges Handwerk und die Leute, die es richtig gut machen, die kriegen auch richtig gut Geld. Da kann man schon mal davon sprechen, von Tagesgagen von 1.000 bis weiß ich nicht, mehr Euro, ich muss ja nicht alles verraten (lacht). Und die, die neu in den „Markt“ kommen, machen dann für euch die Preise kaputt? Das ist keine Konkurrenz, mittlerweile haben wir ja den Nimbus, dass wir mehr – ich denke es, ich habs noch nie erfragt – wir werden schon eher deswegen gebucht, weil sich die Firmen, meistens sind das, wenn das jetzt große Konzerne sind wie Siemens... Das kann ich noch erzählen, von einem witzigen Meeting mit Siemens, die wollen sich eher die Sicherheit einkaufen, dass das Event funktioniert, als dass sie einen guten Graffitisprüher haben. Wir waren bei Siemens Anfang des Jahres. Und ich erinnere mich da, in der Hauptzentrale in München und hatten acht Leute am Tisch und ein Ufo in der Mitte des Tisches mit Live-Schaltung nach Erlangen, wo noch jemand zugeschaltet war, um zu klären, welcher Sprüher oder was wir da machen. Es ging um einen Workshop in der Pause. Das haben die zu acht bestimmt. Und da ist mir dann klar geworden, nicht nur... also ich find's überzogen natürlich, gut die haben auch gewisse Rituale und gewisse Schemen, aber die wollten die Sicherheit haben, die wollten wissen, da hängt ein Kopf am anderen: können das die Jungs? Sind die dafür richtig, wir wollen unseren Mitarbeitern das Beste geben, also nicht nur das Beste, sondern auch die Zuverlässigkeit, dass das Ganze was wird. Nicht, dass die sagen: was für einen Schrott haben sie uns denn da hingestellt? Und das war eine große Eigenschaft bei mir, warum ich wachsen konnte in dem Bereich. Viele Graffitisprüher haben ein Problem, dass sie unzuverlässig sind, behaupte ich jetzt mal, dass sie zu phlegmatisch sind auch nicht alles machen, ich weiß nicht, dass sie einfach zu eigen sind. Und ich habe mir gesagt: ich verbiege mich supergerne für dich, lieber Kunde, wenn du mich dafür gut bezahlst. Und ich melde mich postwendend, ich kriege eine Anfrage und schreibe sofort zurück, das kommt gut an. Das ist ein kleines Geheimnis in dem Geschäft: Dranbleiben. Genau. Das ist dieses Geschäft, das Loomit zum Beispiel nicht mag, deshalb funktioniert unsere Arbeit zusammen so gut. Was glaubst du, was die Firmen erwarten, warum buchen die euch überhaupt? Sehr interessant. Gutes Beispiel, wir haben vor zwei Jahren zur Markteinführung des Audi A1, das kleine Auto, das in den Mini-Markt reingreifen soll gesprüht. Was will Audi? Also Audi hat ein riesengroßes Budget, denke ich mal, für dieses Auto ausgelobt. Und warum? Weil sie in diesem Segment keine Marktanteile hatten, und dieses Segment, ein kleines Auto, wer kann sich das leisten? Das sind eben jüngere Leute. Und wie kannst du jüngere Leute begeistern? Eben mit Dingen für die sich junge Leute eben interessieren, mit Straßenkunst mit Musik, mit laut und mit Lärm, mit Tanzen. Da haben die eine Kampagne gehabt, quer durch die besten Clubs in Deutschland, also München im P1, in Hamburg irgendwo weiß ich nicht am Hafen halt irgendwo schön und da wurde dann das Auto enthüllt, dazu wurde Breakdance gemacht, ganz laute Musik, ein Film gespielt und wir haben im Hintergrund gesprüht. Die haben uns dann gebucht für die ganze Deutschlandtournee. Das ist vielleicht die Beantwortung auf deine Frage: man kauft sich damit Klientel ein, man kann sozusagen seine Marke verjüngen in gewissen

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Bereichen. Da gibt’s vielleicht zig Beispiele wo es vielleicht noch greift. Sagen wir mal so, das mit Siemens, vieles ist vielleicht auch abgelutscht, ich weiß nicht was die sonst machen, aber es ist gerade Trend, man liest täglich in der Zeitung etwas über Street Art und Graffiti, gerade in München passiert hier sehr, sehr viel, München ist da sehr aufgeschlossen der Kunst gegenüber, wir haben hier sehr viele Förderer. Die Stadt macht seit drei, vier Jahren ganz, ganz viel, gibt Brücken frei, sponsort das auch mit Material, das läuft dann über Writers Corner München, kurz WCM, eine ganz eigene Gruppierung, wo ich auch dabei bin, da macht München sehr viel, das ist dann gut in den Medien vertreten und dann sagen sich natürlich die Firmen: was hier in den Medien gut ankommt und in der Zeitung ist, das möchte ich auch meinen wertvollen Mitarbeitern bieten oder meinen Kunden und dann suchen sie und buchen eben eine Graffitiagentur. Also es geht eigentlich um Image? Ja, genau richtig. Früher hatte Graffiti ein anderes Image... Was heißt früher, regional: wenn wir jetzt nach oben gehen in Deutschland, da hat Graffiti noch ein schlechtes Image. Berlin ist die Graffitihauptstadt Nummer 1, aber hat noch nicht DAS Image, weil der Vandalismus noch so groß ist. Bei uns gibt’s ganz wenig Vandalismus. München hat die großen Zeiten hinter sich, die großen illegalen Zeiten, wo echt die S-Bahnen alle voll waren. Wir haben halt ein gutes Image hier, es wird auch viel dafür gemacht. Es ist auch die richtige Politik, es ist einfach, wenn du ein Problem hast und alles voll ist, dann gib doch der Jugend Plätze, wo sie sich austoben kann, entzieh' ihr nicht die Plätze. Entzieh' ihr die Plätze, dann wird wieder der Vandalismus steigen. Ganz einfach, ganze einfaches Gesetz. Und das kapieren die nicht. Oder es gibt verständlicherweise auch wenig Budget dafür. Man baut lieber eine Kindertagesstätte. Ich als Papa wäre auch froh da lieber eine Kita zu haben, als dass die Kids irgendwo eine tolle Wand haben zum Bemalen. Also es ist schwierig. Zum Glück bin ich in München, ich glaube ich würde auch in Berlin untergehen. Ich könnte dort nicht existieren. Da wäre ich einer von vielen. Wir haben jetzt gerade eine Anfrage gehabt von einem Hotel in München, was auch einen Hotelstandort in Berlin hat, in Berlin haben sie eine tolle Fassade gemalt, die haben uns angefragt, wir haben ein Angebot abgegeben und haben den Job nicht bekommen und wir sind uns GANZ sicher, dass die Berliner Jungs ankommen lassen und die auch nur die Hälfte verlangen. Das heißt, in Berlin, wenn du's nicht machst, oder frech bist oder einen aggressive Preispolitik machst, scheißegal, dann ist der nächste dran, dann macht's ein anderer. In München ist das nicht so einfach, wenn ich das nicht mache, dann brauchen die schon mal vielleicht 'ne Woche mehr, um jemanden zu finden, der das zuverlässig macht. Dann hast du also einen Standortvorteil. Ja, würde ich sagen. Und wie würdest du es finden, wenn die Werke, die du privat malst in eine Gallerie kommen würden oder in ein Museum? Großartig! Es gibt ja den Spruch, Graffiti gehört nach draußen. Ich mein, alles hat so seinen Anfang, ein Auto gehört auf die Rennstrecke, was macht's dann im

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Straßenverkehr? Ein Auto ist eigentlich nur ein Fortbewegungsmittel, mehr ist es nicht. Also es gibt halt den Bereich, der eine sieht das so, der andere sieht das so, und Graffiti ist draußen entstanden, ist urban, kein Thema. Aber ich finde es geil, wenn man von Graffiti, von Kunst leben kann. Da kann ich nur dann leben, wenn's einer kauft, als Auftragsmaler oder in einem Museum. Stell dir vor, du wirst bezahlt für ein Bild und dann kannst du dir zwei Monate Zeit lassen, und kannst dich hier dann weiterbilden, was tolles machen, dich weiter entwickeln, wie soll denn das sonst funktionieren? Wenn du Gas-Wasser-Installateur bist, Bäcker oder sonst irgendwas, Grafiker und bist den ganzen Tag beschäftigt, wann hast du denn dann Zeit für die Kunst? Dann kann sich auch in der Kunst nichts entwickeln. Dann entwickeln sich alle anderen weiter, meistens da, wo halt vielleicht auch große soziale Probleme da sind, wo's Arbeitslose gibt, die haben die Zeit und wir können uns gar nicht weiterentwickeln. Ne! Ich hab damit kein Problem, dass unsere Kunst ins Museum wandert und ich finde das auch richtig so. Weil die Kunst die auch jetzt da ist, wie soll ich sagen, die hat's verdient da drin zu sein, sich messen mit den anderen. Ich sag's ungern, aber es gibt auch viel Schrott im Graffitibereich oder in der Kunst generell auch. Und es ist viel Unberechtigtes meiner Meinung nach im Museum drin. Von der Technik her dann schlecht? Ach, weiß ich nicht. Über Geschmack lässt sich auch streiten. Was heißt von der Technik. Wir haben's einfach auch verdient drin zu sein, gesehen zu werden, gekauft zu werden. Ganz wichtig, auf jeden Fall. Hat viel Geschichte auch viel Masse, alle haben gesagt, irgendwann gibt’s uns nicht mehr und heute gibt’s mehr denn je. Und die alten Böcke, die 40, 50 sind, hey die malen immer noch. Die leben davon und das sind ganz wunderbare friedfertige Menschen. Ich kenne ganz wenige, die aggressiv sind. Und lieber äußere deinen Unmut über diese Ausdrucksform, als irgendjemandem deinen Ellbogen ins Gesicht zu hauen. Hatte ich letztens zu einer Passantin gesagt, die sich aufgeregt hat über die Graffitisprayer. Man muss das auch so sehen! Lieber sich da austoben, als anders. Und vor fünf Jahren war in aller Munde U-Bahn-Schlägerei und weiß ich nicht. Ich finde gut so wie es ist, ich finde gut, dass Graffiti den Weg ins Museum gefunden hat, nicht nur jetzt schon, sondern schon Ende der Achziger Jahre, Mitte der Achziger Jahre schon, wissen wir nur gar nicht. In Amsterdam zum Beispiel hatte das schon angefangen, das ist richtig so, ist gut so. Ist es dann für dich noch Street Art, wenn es im Museum hängt? Banksy hat ein Bild gemalt irgendwo und dann haben sie's glaub ich irgendwie abgetragen und ich weiß nicht wo sie's jetzt wieder hingebracht haben. In irgendeine tolle Örtlichkeit, in irgendeinem Raum. Was ist das? Natürlich ist es Street Art! Klar, man kann Graffiti nicht einsperren. Aber ich seh's auch nicht als einsperren, ich finde wenn ich mich in meinem Atelier, wenn jemand, der ein wunderschönes Atelier hat, wenn der dann ein paar Tage an 'nem Bild malt und seine ganze Erfahrung einfließen lässt und seinen ganzen Style und alles. Das ist auch Graffiti pur. Das ist... weil ja jemand, der auf der Straße angefangen hat, das gemacht hat, ich find das schwebt so irgendwo weiter, das kann man ab und zu spüren. Also ich spürs. Ich weiß nicht wie's die Gesellschaft sieht. Ich find es gut. Ganz klar die Antwort mit Ja! Ich find' es ist noch Street Art! Klar!

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Und theoretisch, wenn es jemand wäre, der noch nie auf der Straße gemalt hat, der immer im Atelier gemalt hat, aber eben Graffitis? Ich weiß nicht, wo das ganze hin wandert. Mit dem Internet hat sich das Ganze verändert. Es gibt vielleicht auch Aufkleberkünstler und es gibt Tape-Art Künstler, die mit Tapes irgendwas machen. Man braucht nicht den Hintergrund, es werden neue Sachen entstehen. Es gibt vielleicht irgendwann nur noch digitale Künstler, die nur digital etwas machen. Es gab ja diese Leute, die Häuserfronten angestrahlt haben, mit irgendwelchen Motiven. Das alles sehe ich als eine Family, den Raum zu brechen mit etwas unorthodoxem und dich lacht ein Gesicht an auf der S-Bahn. Das verändert auch was in dir. Du gehst mit einem Lächeln im Gesicht weiter. Nicht nur ich, als jemand der sich für die Kunst begeistert, auch wenn man die Leute beobachtet. Allein, wenn jemand sagt: „Do ham's wos higschmiert die Sauburschen“, das ist auch schon eine Reaktion! Im positiven Sinn, wo die Leute aus ihrem Alltag herausgerissen werden! Also ich weiß nicht, man muss nicht den Rattenschwanz mitgemacht haben, um irgendwo gut zu sein. Definitiv nicht. Wenn ich überlege, dass es so viele talentierte – das regt mich auf!- es gibt so viele talentierte Künstler, ob jetzt in Deutschland, in München oder in Brasilien in irgendeinem Armenviertel, die wahrscheinlich ihr Leben lang nicht da raus kommen werden, weil sie die Fläche nicht haben und es gibt Künstler, die nichts, kein Talent, haben, noch gar nichts gerissen haben und die kommen raus, weil sie Kontakte haben. Also, ich weiß nicht, wie soll ich sagen, man muss nicht den Background haben, man kann auch mit nichts oben dran stehen, wenn man's drauf hat. Ob's verdient ist, weiß ich nicht, es gibt welche, die nie groß raus kommen, haben aber was auf dem Kasten. Also kann ich nicht richtig beantworten, was jetzt richtig wäre oder vor wem ich Respekt hätte. Wenn ich jetzt was sehen würde von einem, der noch nie was draußen gemalt hat und mir gefällt das, ich glaub dann würde ich den auch respektieren, dann finde ich das auch geil. Auf jeden Fall. Aber es ist schwierig Kunst zu definieren oder? Ja also, ich weiß nicht. Heute bin ich beim Gassi gehen... da ist mir ein Baum aufgefallen, der war komplett gelb, der Rest war grün witzigerweise. Und ich dachte mir, Wahnsinn, früher wär mir das nicht aufgefallen. Jetzt fällt mir das auf, weil ich mittlerweile einen fotographischen Blick bekommen habe. Da habe ich mir gedacht, den wenn ich jetzt fotografieren würde, groß ausplotten würde, kann ich mir gut vorstellen, das schaut geil aus. Ich hängs im Büro auf und es kommt einer rein und sagt: geil, wo hast'n das gekauft, von welcher Galerie ist das? Er würde es als Kunst betrachten. Also ist da doch schon wieder Kunst passiert, indem ich was gesehen habe, mir vorgestellt habe. Und ich glaube, das ist der springende Punkt, in dem Moment wo sich jemand was vorstellt... „you are what you drink“ steht da hinten drauf (deutet auf ein Tablett im Raum), kann einfach ne Typographie sein oder auch Kunst sein. Ich finde es ist Kunst, ich finde das gut, deswegen habe ich's damals gekauft, weil ich für mich da was rein interpretiere. Und ich glaube, Kunst entsteht da, wo man sich selbst damit auseinander setzt und sich Gedanken macht. Und wenn's der Passant ist, der vor einer einfahrenden S-Bahn schimpft über ein Graffiti und ich betrachte den, dann kann auch dieser Passant, der Renter, der sich da übel aufregt, Kunst sein. Das klingt total blöd, weil ich mir das alles so zusammen reime, stell dir vor ich würde das Ganze gegenüber stellen. Malen

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oder fotografieren, eindeutige Gestiken, dann muss ich sagen, geil, dass man diesen Prozess festhält und zeigt und das wäre für mich auch Kunst. Es ist unglaublich breit natürlich, viele finden etwas gut was Kunst ist, ich sage auch, vieles gefällt mir nicht, das ist auch Geschmackssache, aber mit einer eigenen Imagination, mit einer eigenen Vorstellung. Wenn man die hat, dann entsteht Kunst, egal was. Und wenns eine Typographie ist, ein Hinweisschild, was dich langführt in einem öffentlichen Gebäude. Das ist auch ein bisschen Kunst, das gut umzusetzen. Damit alle verstehen, da geht’s lang. Als Kreativer kann ich das auch schwer beantworten, weil ich ja eh mit offenen Augen gehe und viel Kunst interpretiere. Gibt es auch kritische Stimmen dazu, dass du Aufträge annimmst? Das gibt’s bestimmt, ist klar. Aber wie gesagt, ich habe mehr Respekt für Loomit, als für jemanden, der illegal malt und meint er ist der Kunst treu. Aber dir ist sowas noch nicht passiert, dass du damit konfrontiert wurdest von irgendwem? Ach, ich glaub schon. Aber ich habe eine Eigenschaft, das was ich nicht behalten will kann ich ganz schnell löschen. Ich kann das gar nicht mehr beantworten. Bestimmt, hab ich da schon mal irgendwo... aber kann ich gar nicht mehr richtig sagen, weil ich das ausgeblendet habe. Auf jeden Fall, jeden, der mich da kritisieren würde, dem würde ich sagen, ich habe viel mehr Respekt vor den Leuten, die dafür Geld bekommen, wo die anderen sagen, die lassen sich da voll prostituieren, malen nur für Geld. Das ist wichtig, man muss vorankommen. Wenn man für seine Kunst bezahlt wird, noch besser, irre, Wahnsinn! Das schaffen die Wenigsten! Die Wenigsten schaffen das. Und, ja, ich weiß es nicht, wie gesagt, kann mir auch noch passieren, aber wenn man jetzt rauskuckt, wer alles... Gott und die Welt malt, Gott und die Welt möchte dafür auch Geld kriegen, keiner macht mehr was umsonst, ich mache teilweise Workshops umsonst, wenn irgendwo kein Budget da ist, vielleicht noch Material, das könnte vielleicht noch drin sein. Loomit ist weltweit unterwegs und ist irgendwo in Los Angeles am Montag und macht am Mittwoch in München Aubing einen Workshop in der dritten Klasse zu Graffitikunst. Man muss sich mal die Welt vorstellen, das finde ich respektabel, das ist der Hammer! Ohne Starallüren! Das muss ich auch sagen, das ist mir aufgefallen, als ich die verschiedensten Leute nach Interviews gefragt habe, alle sind total nett. Ja, wir sind halt so aufgewachsen, das ist halt wie eine Family, wir kennen uns ja schon fast 25 Jahre, man kennt den Lebensweg von den Leuten und wir haben uns jetzt, es war so ganz wild, dann hört man vielleicht ein bisschen auf und hat eine Ruhephase und seit fünf, sechs, sieben Jahren mit Writers Corner München, kommen die Alten wieder zusammen, wir haben auch Stammtische und malen auch zusammen, es ist irre, ganz vernünftig und und friedfertig. Es gibt schon sicher ein paar, die sind abgehoben in der Szene und leben da in einer anderen Welt. Die muss es auch geben. Ich bins nicht.

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Warst du auf der STROKE in München? Als Besucher auf jeden Fall, ich wäre auch gerne mal als Künstler irgendwo, dafür brauchst du aber die Zeit und den Ort. Aber ich finde, dass eine Agentur wie wir sind, wir arbeiten viel mit Freiberuflern, nicht das ganze Büro braucht, deshalb will ich dann in den Raum eine Wand reinziehen und möchte ein bisschen Malerei reinbringen um auch mal eigene Bilder einzubringen. Momentan male ich ja nur eigene Aufträge oder vermittel Aufträge, aber mache nie was selber, total schade. Außer halt in Starnberg gerade, wo wir gerade dabei sind. Ich hoffe natürlich, dass ich auch irgendwann mal... wir haben jetzt den Auftrag mit den Handy-cases, also die zu bedrucken, und mein Agenturkollege sagt zu mir: Hey Melander, gib's doch nicht immer raus, mach doch mal selber was. Und da wache ich nicht auf, aber ich sag' natürlich: wann bitte? Wann? Dazu brauch ich auch Zeit, da musst du auch mal Zeit haben und so wichtig nehme ich mich auch gar nicht. Da habe ich auch schon viel gelernt, die Kunst zu handeln ist auch ein wunderbarer Job, macht genauso viel Spaß wie selber Kunst zu machen und ich arbeite mit einem der besten Künstler zusammen überhaupt, das macht soviel Spaß, ich habe damit kein Problem. Aber es drückt mich sehr stark rein, selber mal wieder mehr Hand anzulegen, weil ich, glaub ich, viel, viel breiter wäre, als ein Graffiti-Künstler. Für mich ist Graffiti, sag ich jetzt mit 38, ein Einstieg. Ich hab mal in einen Zeitungsartikel, vielleicht hast du den gelesen, der ist bestimmt 10, 15 Jahre her: Da habe ich gesagt, ich möchte in die Desginbranche. Und jetzt bin ich in der Branche und hab das auch gepackt und hingebracht. Auf jeden Fall bin ich bereit, ich möchte zum Beispiel Flockkunst machen und möchte Leinwände beflocken mit verschiedenen Techniken. Und ich bin da bisschen anders, ich denke, dass Graffiti für mich ein Einstieg war in eine neue Welt, wie jetzt auch hier wo ich das Kunstmanagement übernehme, und diese Geräte bedrucken lasse. Künstler zu finden, gar nicht selbst Hand anzulegen, sondern Künstler zu finden, selber mal was zu gestalten vielleicht. Aber auch gern mal mit dem PC. Ich habe mir so einen sündhaft teuren Bildschirm gekauft auf dem ich mit der Hand zeichnen kann und der steht seit drei Monaten verpackt da hinten. Ich habe den gekauft, noch nie ausgepackt, weil ich keine Zeit habe. Aber es geht in die richtige Richtung. Ich komme dahin. Ich hab noch viele, viele mehr Ideen, die ich jetzt gar nicht sagen möchte. Also es geht mehr in Richtung Selbstverwirklichung? Genau, das ist das, was mich ein Leben lang angetrieben hat. Als wir eine erste Vernissage gemacht haben, damals ich weiß auch nicht, wie alt ich war, war wahrscheinlich so 1993 und mein bester Spezl war damals Grafiker. Er hat dafür den Flyer hingebastelt und ich sag: machen wir den Flyer doch so! Ich konnte aber mit dem Werkzeug nicht umgehen, ER war der Grafiker, er konnte. Wir haben ihn dann so gemacht, wie er das wollte und ich hätte ihn aber anders gemacht. Und ich hatte dann irgendwann keinen Bock mehr, ich wollte meine Ideen verwirklichen, nicht dass dauernd ein anderer aus irgendwelchen Gründen über mir steht, und seine Ideen verwirklicht. Ich war mir sicher, dass meine Ideen Anklang finden und ich habe Recht behalten, sonst wäre ich nicht von Null auf Hundert gestartet ohne eine Ausbildung und hätte eine Grafik entworfen, wo jemand sagt: Find ich geil, kauf ich dir ab! Hat von Anfang an funktioniert.

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Und das ist das, was mich heute noch antreibt. Ich glaube ich würde zum Beispiel T-Shirts vollkommen neu gestalten. Ein dummes Beispiel, weil es gibt so unglaublich tolle geile Shirts. Ich würde die so machen, wie ich das möchte und wenns nur ich trage. Macht nichts. Und das ist das was mich antreibt. Nicht dauernd in Abhängigkeiten von anderen zu stehen, sondern ich möchte es dann selbst machen. Aber mit dem Graffiti seh ich's sportlich, ich muss es nicht selber machen, ich gebe den Auftrag gerne weiter für denjenigen, der's richtig gut kann. Und da habe ich gute Leute an der Hand.

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Mathias Köhler alias Loomit November 2012, ca. 30 Minuten Mathias Köhler alias Loomit ist ein Sprayer der ersten Graffiti-Generation Deutschlands und einer der wichtigsten deutschen Sprayer. Er ist auf der ganzen Welt bekannt. 1983 sprühte er sein erstes Graffiti am Buchloer Wasserturm, kurze Zeit später zusammen mit sechs anderen Sprayern den ersten komplett bemalten Zug, den so genannten „Geltendorfer Zug“, eine Sensation in der damaligen Szene. Seitdem hat er die ganze Welt bereist, lernte von der New Yorker Sprayer-Legende Seen das Tätowieren und ist seit Langem hauptberuflich Graffiti-Künstler (vgl. ARD 2006). Er wohnt in München. Quelle: ARD einsfestival (2006): Loomit der Sprayer URL: http://www.youtube.com/watch?v=E74CEecsfiM Mich würde interessieren wie es dazu gekommen ist, dass du mit deiner Kunst Geld verdienst? Das hat damit angefangen, dass wir damals sozusagen hier in München die ersten legalen Plätze auch in Deutschland geschaffen haben, hier in der Dachauer Straße, wo heute das Goethe-Institut residiert, so ein Freigelände mit großen Hallen, wo die amerikanische Armee früher Panzer repariert hatte und keine Fenster brauchte, da gabs große Wände mit allerdings sehr rauhem Putz und da haben wir irgendwann mal durch Zufall die Möglichkeit bekommen, legal zu malen und das auch einem großen Publikum zu präsentieren. Da waren dann jedes Wochenende, Freitag, Samstag, Sonntag fast 5.000 bis 7.000 Leute auf dem Gelände, die an den Bildern vorbeigegangen sind. Da hat man sich natürlich auch Mühe gegeben schöne Bilder zu machen, dann am Wochenende auch zu malen um angesprochen zu werden, um die ersten Jobs zu bekommen. Natürlich jetzt nicht mit DEM Hauptaugenmerk, aber man hat ja auch überall immer die Telefonnummer dann schon auf der Wand hinterlassen und hatte dann schon paar Mal so die Möglichkeit Geld zu verdienen. Das war auch noch vor dem Abitur, da habe ich auch schon während dem Abitur so viel verdient, da wars dann für mich auch keine Frage, dass ich da versuche ein bisschen mehr in der Richtung zu machen, für Agenturen zu arbeiten und für Clubbetreiber und ich habe eben sehr viel für die Firmen hier gemalt, das war fast schon eine stetige Einnahmequelle. Gab es damals dann aus deinem Umfeld auch kritische Stimmen, die da etwas von Sell Out gesagt haben? Damals gab's ja hauptsächlich noch gar keine Stimmen, da hat sich ja die Szene erst formiert, da war das eigentlich schon immer Gang und Gäbe, dass man auch mal froh ist, einen Job zu haben. Wir haben ja damals auch die EGU [Anmerkung: Europäische Graffiti Union] schon gegründet, das war eine Organisation von Sprühern aber eben auch von Prof. Peter Kreuzer, das war so der (…) ein Professor an der FH, der für das Stadtarchiv Graffitos mit dem Fotoapparat schon dokumentiert hat. Da war schon eine Sensibilität für Graffiti da in München. Deshalb hat sich hier auch ein Markt entwickelt. Da haben die dann von beiden Seiten schon gearbeitet, die Leute, die das attraktiv fanden auf Events und uns dann engagiert haben, um schöne attraktive Wände zu

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machen. Wie hast du die Veränderung in der Szene von damals bis heute miterlebt? Es ändert sich ja permanent was, das kann man ja so nicht festhalten, insofern, wenn man hier von einem Werdegang von fast 30 Jahren spricht, also nächstes Jahr sind's sogar 30 Jahre, da ist es wirklich schwierig zu sagen, was hat sich da in den 30 Jahren verändert. Einfach alles! Ich habe in einer Zeit begonnen vor Internet und vor Mobiltelefonen und habe trotzdem schon global agiert sozusagen. Halt einfach mit Postkarten oder Briefe schreiben und Fotoabzügen und dann selber auch erscheinen und viel rumreisen. Das war eine andere Geschichte, etwas intensiver, wie man sich damit beschäftigen konnte. Ich hab ja dann auch in Amerika viele Jobs gemacht, da habe ich ja fast auch von der ganzen Sache gelebt, es war halt so eine Art von Arbeit, die man überall hin mitnehmen konnte. Wenn man ein Portfolio dabei hatte, ein paar Fotos, hat man die Leute schnell überzeugt, dass sie sowas an die Wand brauchen. Wie siehst du die Szene heute? Ich lebe davon, ich habe Familie, wir haben eine Wohnung hier gekauft, alles drum und dran, also das bürgerliche Leben ist mir möglich mit dem Einkommen , dass ich hier habe. Ich habe eine Steuerberaterin, seit achtundachzig, da habe ich meine erste Steuererklärung abgegeben und da stand ja auch nicht Graffitisprühen drin, das hieß noch Designer, eher so wie ein Kunstdienstleister, weil ich der Erste war. Also jetzt ist es natürlich schon so, man kann damit Geld verdienen, das weiß das Finanzamt auch, insofern, da hat sich einiges geändert. Ich hab's bis jetzt heute noch nicht geändert, ich bin immer noch bei 19 Prozent Mehrwertsteuer statt sieben Prozent, da war ich zu faul und dann die Befürchtung, wenn es nicht funktioniert, da hatten wir natürlich schon Angst: Wie lang hält das und wie gesagt, seit 25 Jahren habe ich jetzt auch keine Bedenken mehr, es funktioniert halt einfach. Nach welchen Kriterien wählst du deine Aufträge aus? Du kriegst ja sicher viel angeboten. Ja, aber das wird ja nicht alles realisiert. Das was dann realisiert wird, das mach' ich ja dann auch. Und nach welchen Kriterien wählst du das dann aus? Dein Arbeitskollege Melander meinte zum Beispiel, dass für ihn vor allem die Preise das Entscheidungskriterium sind. Ja, ich habe halt eine feste Vorstellung von meinen Preisen und von meiner Arbeitskraft und das ist halt so, das kriegt der Kunde gleich mit, das kostet so und soviel und, mein Gott, ich mein ich hab halt ab und zu jetzt nen Pitch oder so, das ist keine Frage, da wird halt dann erstmal kalkuliert also, das ist keine Frage. Und das Image der Firma ist das wichtig für dich? Oder was die Firma genau macht?

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Also ich habe wenig jetzt für Waffenhändler oder Drogenbosse gemacht (lacht), ah Moment für Drogenkartelle habe ich natürlich in Rio de Janeiro ziemlich viel in den Favelas gemacht, also das ist wieder eine andere Geschichte, aber (…) das war jetzt auch nicht kommerziell, aber ich habe ja alles mögliche schon mal was gemacht, du kommst ja auch mit allen möglichen Geschichten und Leuten in Kontakt und für mich ist es halt jetzt so, ich weiß dass es eine bestimmte Attraktivität für junge Menschen hat und natürlich sind es Firmen, die auch junge Menschen ansprechen wollen. Das sind dann meistens nicht die Bösen, sondern halt die Coolen, ob das jetzt Autos, Handys oder sonstwas sind, Getränke oder frag mich nicht, schlag mich tot, alles Dinge wo's einfach in der heutigen Gesellschaft natürlich irgendwie wichtig ist, sich mit Produkten zu identifizieren. Ich meine, der Kapitalismus hat gesiegt, man definiert sich über Autos, Lifestyle-Produkte, Handy oder sonstwas. Es ist natürlich so, das hat sich auch mit der Zeit entwickelt. Früher war das eine ganz andere Geschichte, da haste halt für 'ne Firma ein Schild gemalt oder eine Fassade, heute wird das dann mit Film und Livestream im Internet und frag mich nicht, alles kommerzialisiert. Natürlich hat sich da SO viel verändert, aber das jetzt alles im Detail aufzuzählen ist einfach zu viel. Und du hast gesagt, du hast für Drogenkartelle gemalt, wie kommt man dazu? Indem man einfach in die Favelas geht und Leute dort hat, die dort leben, sprich also auch Writer-Kollegen und natürlich nicht irgendwie durch die Hintertür, sondern dann wird man wirklich dem Boss vorgestellt: Das ist der berühmte Sprüher aus Deutschland und dann hat der mit seinem Maschinengewehrchen um die Schulter dir dann die Hand gereicht, die gleiche Hand hat natürlich schon ungefähr 17 Leute erwürgt oder sonstwas und hat lächelnd gesagt: du kannst hier alles anmalen, wenn ihr Essen braucht oder Drogen sag Bescheid! Da bist du dann komplett sakrosankt da drin, da macht dich keiner an und die Jungs mit dem Maschinengewehr kommen dann öfters mal vorbei, ob du mal ne Handgranate anmalen kannst, also ich mein da gibt’s sogar nen Film drüber. Musst mal schauen, „graffitero alemao“, der deutsche Graffitisprüher, von (...) was ist das, Daniel van Houten, findest sicher was auf youtube. Da steht jetzt nicht mein Name drauf, aber da siehst du wie ich Handgranaten anmale. Wir haben halt gelernt, überall unser Geschäft zu machen und wenn du so viel gereist bist wie ich und merkst du kannst, egal wo du gehst und stehst damit Geld machen, egal ob das in Australien, Neuseeland, oder auf einer Insel ist. Da malst einen Bus von einem Touristikunternehmen an, es funktioniert überall. Da hast du auch keine Angst, irgendwie so, da weißt du auch, mit deiner Fähigkeit kommst du dann auch an Sachen ran, die normale Menschen einfach nicht so erleben. Und was ist dann der Anspruch an deine Werke? Mit welcher Motivation malst du sie? Es geht mir schon darum, dass ich als Graffiti-Sprüher Plätze im öffentlichen Raum besetze. Das ist der ganz normale Graffiti-Anspruch, dass man raus geht und entweder ein Tag möglichst oft überallhin an die Plätze bringt, wo viele Leute vorbeikommen oder eben riesengroße Wände. Auf denen wird thematisch alles irgendwie verarbeitet was einen so umgibt.

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Wie groß ist da der künstlerische Freiraum, wenn du einen Auftrag kriegst? Das ist unterschiedlich. Es gibt... Also viele Aufträge in letzter Zeit geben mir extrem viel Raum, da merkt man natürlich schon, man ist jetzt in der Wertsteigerung gestiegen. Da ist jetzt nicht mehr so viel, das ist halt so, so und so, wenn sie dann wirklich schon den Namen haben, die Bilder kennen, dann ist es natürlich so, dann erwarten die schon von dir DEINE Ideen mit dem Stil mit dem du da irgendwie Furore gemacht hast. Das war früher dann noch nicht so? Da wurden die Aufträge eher klarer formuliert? Wurden klarer formuliert und es waren ja teilweise auch noch sehr viel improvisierte Sachen, da hast du dann auch unheimlich viel Freiheit gehabt. Also es ist jetzt nicht so, dass sich da irgendwas groß was in der Sache geändert hat. Es hat sich alles weiterentwickelt, jeder Aspekt davon. Hast du auch Kontakt zu Leuten, die jünger sind und noch nicht so lange in der Szene dabei sind? Sehr oft, ich mach ja hier Kurse. Ich gebe ja in der Volkshochschule Kurse und sonstwas. Auch zu Schülern, die jetzt gerade mit Graffiti angefangen haben, das ist ne Sache da habe ich durchaus immer Kontakt und reise natürlich auch sehr viel, lerne auch viele junge Sprüher kennen. Es ist nicht so, dass ich da irgendwie den Kontakt verloren hätte. Und wie schätzt du die dann ein, was haben sie für Motivationen zu sprühen? Die sind mit neuen Medien groß geworden. Die Motivationen sind die gleichen wie früher. Sie sind halt einfach, das Ganze außen rum ist halt einfach viel ...wie soll man sagen, es ist halt mit sehr viel Bling Bling verbunden. Ob es jetzt Blogschreiben oder sonstwas ist. Ich meine, ich frag mich da immer, wer liest das oder ich meine, muss die Langeweile in der Welt so groß sein, dass es wirklich, wirklich die Leute gibt, die das alles verfolgen? Aber naja. (lacht) Also für dich ist die Internetpräsenz nicht sehr wichtig? Sagen wir mal so, ich kanns nicht vermeiden, es ist nicht geplant, ich habe damit kein Problem. Aber ich kümmere mich einfach einen Scheißdreck drum, weil ich meine, ich weiß, dass es auf Youtube diesen oder jenen Film gibt, das weiß ich, das einzige mit GRAFITEIRO ALEMÃO war ich natürlich... das war, das ist lange her, das haben wir 2006 gedreht, dann habe ich mir das mal angekuckt. Und sonst, ich meine, von der Süddeutschen haben sie wieder 'nen Film reingestellt, wie ich Autos bemale, das hat mich alles nicht so (…) das interssiert mich nicht. Ich meine, ich habe das Ding gemalt, ich war ja dabei, ich stand ja vor der Kamera, warum soll ich das wiederkauen, ich habe ja die nächsten Projekte hier auf dem Tisch liegen, die viel interessanter sind.

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Das ist dann wahrscheinlich der Unterschied zur aktuellen Generation, das die viel mehr im Internet unterwegs ist. Ja und auch eine viel intensivere Verarbeitung ihrer Bilder haben. Wo sie die präsentieren und wie, schlag mich tot noch was. Das ist natürlich auch so ne Sache, wo ich mir denke, naja... pffff es gibt Beispiele, die kommen super damit klar, finde ich supergenial, was die daraus machen, auch gerade mit dem Nutzen von Computern und so weiter, ist das schon genial. Aber, ich bin eine andere Generation, also ich komm von der Generation komplett Straße, Handwerk, und draußen und schmutzig machen, ich hab' da nicht viel mit elektronischen Medien am Hut. Melander hat gestern gesagt, dass er findet, dass man eigentlich gar nicht mehr illegal malen muss in der heutigen Zeit. Wie siehst du das? (lacht) Es kommt drauf an WER malen will. Und wenn es ein Jugendlicher ist, der seine Grenzen testen will, dann will der illegal malen, dann will der Züge anmalen, das ist natürlich genau das wo er seinen Kick auch bekommt und wo er sich seinen Freunden präsentieren kann. Also das ist 'ne Sache, nie was verallgemeinern, weil jeder Mensch kann irgendwas in der Straße hinterlassen und wenn es irgendwie auch nur ein Handabdruck mit Schuhcreme an einer Zapfsäule ist. Es ist ja, Graffiti ist ja nicht für irgendeinen Menschenschlag da, es macht ja jeder und so viele Definitionen von Graffiti gibt’s natürlich auch. Da kann man nichts verallgemeinern, also der eine hat halt einfach mehr Bock auf genau diesen Abenteueraspekt, der andere mehr darauf die Kunst zu schaffen, dem anderen ist es hauptsächlich nur wichtig überall seine Marke zu sehen oder sonstwas, also die Motivation ist unterschiedlich. Gibt es im Moment kritische Stimmen aus der Szene, dass du mit der Kunst Geld verdienst? Es gibt ja auch Leute, die genau das Gegenteil von dir sind, die gar kein Geld damit verdienen wollen. Was würdest du denen dann sagen? Ich muss sagen, ich habe das noch nie erlebt, sowas sagen mir die Leute auch nicht ins Gesicht, da haben sie zuviel Respekt davor. Was ich total lustig finde sind dann solche Sachen wie, für ne Fernsehgeschichte hatte ich mal irgendwie so mit nem (...) also jetzt nicht direkt zu tun, aber von den Recherchen wusste ich halt von nem Sprüher aus Nürnberg, der halt so tolle Sachen macht, so konzeptionellmäßig mit der Stadt arbeitet und nie sein Gesicht zeigen wollte im Film und auch aus dem Off sprechen sprechen. Derselbe Typ hat dann eine riesen Homepage, wo er alles breit tritt, wie er heißt und sonstwas und und und. Also das finde ich total affig. Ich meine, das ist so wie: wir wollen geheim bleiben aber dann pruste ichs der ganzen Welt raus, dass ich geheim geblieben bin. Da lach' ich meistens drüber. Das ist auch grade mit den kommerziellen Aspekten, so dieser Idealismus, das ist nur für dies und jenes da. Das ist es auch für die Leute, ich habe auch nicht gesagt, dass das schlimm ist. Es ist halt ihre Auslegung von Graffiti, meine ist es nicht. Und wir sind alle verschieden.

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Du findest also, dass sich manche auch selbst widersprechen, nach außen Idealismus suggerieren, aber dem dann nicht entsprechen? Kann es auch sein, dass sie die Aufträge nicht kriegen, die du kriegst? Neid, jaja, das ist das was du seit 30 Jahren mitbekommst. Neid passiert hier jede Menge. Und ich meine, ich seh es wie's ist: es ist eigentlich ein negatives Kompliment und wenn die Leute dir schon sehr neidisch gegenüberstehen, weißt du natürlich, eigentlich finden sie deine Sachen ja doch gut. Also so schlimm ist das nun auch nicht, auch wenn sie dich hassen. Ich kann damit umgehen, ich habe damit keine großen Probleme. Also ist das Ziel der meisten Geld damit zu verdienen, sie schaffen es nur nicht? Jaaa, naja Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich meine, das Geld der heutigen Zeit ist die Aufmerksamkeit. Ob es sich dann in klingende Münze umwandelt oder nicht, es ist Aufmerksamkeit. Wirst du auch in Galerien ausgestellt? Ja ab und zu, aber das interessiert mich nicht groß. Ne, das ist jetzt so ne Sache wo ich in Hamburg OK gesagt hab, weil das halt ein Hausblock ist, mit so einem kleinen Vorbau, wo sie halt die Galerie drin haben und ich eigentlich nichts anderes mache, als komplett dieses Haus anmalen, von allen vier Seiten mit dem Vorbau und allem. Und sie das dann halt in der Galerie dokumentieren, weil da weiß ich dann auch was ich mache. Und warum findest du Galerien nicht so spannend für dich? Wie gesagt, ich bin ein Mensch der Straße, ich bin draußen und ich find' Galerien toll und ich geh' auch gern in Galerien und schau mir Ausstellungen an, aber selber bin ich ein bisschen faul. Ich bleib' lieber auf der Straße. Wenn jemand etwas zum Beispiel ein Graffiti auf eine Leinwand sprüht und das in einer Galerie hängt, ist das dann noch Street Art? Oder ist das was anderes? Das ist was anderes. Das ist halt ein Bild von Graffiti, aber es keine Street Art, denn da fehlt ja die Straße! Ich meine, was jetzt für mich ein Graffiti oder Street Art ist, ist der Code wo du sagst: es ist für jedermann zugänglich, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden. Da kann er Bier drauf verschütten oder drauf malen, es wegreißen, die Wand neu streichen, DAS ist Graffiti oder Street Art. Wenn dein Bild wirklich der Öffentlichkeit zugänglich ist. Ich kann jetzt nicht mehr kontrollieren, was damit passiert und auch nicht wie lang, ich habe keinen Ewigkeitenanspruch, der öffentliche Raum verändert sich permanent. Und das ist in der Galerie nicht gegeben, da ist dann plötzlich der Anspruch: das ist ein Wertgegenstand, der muss geschützt werden, es gibt bestimmte Eintritte, Besichtigungszeiten und wer das Ding nach Hause nehmen will, muss dafür Geld zahlen oder wer es sehen will, der muss ins Museum rennen. Das sind ja alles Sachen, die mir einfach komplett widersprechen, wenn du plötzlich keinen Teil des öffentlichen Raum mehr hast, sondern halt eine komplett privatisierte Geschichte, die plötzlich einen

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Wertgegenstand darstellt. Was du persönlich dann im öffentlichen Raum anbringst, ist es dir da wichtig, dass du eine Message dahinter hast , dass es den Leuten irgendetwas vermittelt? Pfff, das tun die wenigsten Graffitis. Also das ist immer das, was man versucht hinein zu interpretieren, dass wir tiefphilosophische Ansätze haben, die Gesellschaft zu verändern, aber eigentlich mache ich mir über alle möglichen Sachen Gedanken und installiere die irgendwie oder irgendwo, das sind halt die unterschiedlichsten Arten. Ich könnte jetzt nicht sagen, ich mache nur dies oder nur jenes. Es sind für mich alle Themen, die mich da irgendwie manchmal eher ansprechen und dann weiß ich wie das vielleicht so umsetzen kann. Das kommt drauf an (…) das ist also immer wichtig, ich find's halt immer sehr spannend, einfach Plätze zu finden, die man gestalten kann. Aufgrund dessen wie die Plätze wirken, entwickle ich dann erst meine ganzen Themen. Es ist also in dem Sinn kein Statement oder Sozialkritik? Manche sagen ja, sobald man den ersten Strich malt, ist das eigentlich schon ein Zeichen der Rebellion. Ich hab's ja gerade gesagt, was sie machen ist, dass sie ihre Arbeit der Öffentlichkeit übergeben, das ist eher eine Rebellion gegen dich selbst. Dass du natürlich da sagst, ich bin so selbstlos, hier habt ihr mein Bild und macht was damit, was ihr wollt. Ob das Bild jetzt aussagt, dass ihr die Regenwälder schützen sollt oder kein Plastik mehr wegwerfen sollt oder weniger Energie verbrauchen sollt, ich find das (…) das ist reine Wohlfühlromantik. Die meisten Leute, wenn sie was auf der Straße machen, nehmen die härteste Chemie, also Sprühdosen und Sachen wo die EU schon seit Jahren versucht, die Rezepturen immer mehr in Richtung Umweltverträglichkeit zu drängen. Da ist halt wirklich 100 Prozent Erdöl drin, es ist nichts anderes als Chemie, es ist Petrochemie, es ist Weißblech, das auch mit viel Energie hergestellt wird, also allein schon die Tatsache, dass wir für eine bessere Welt kämpfen, erübrigt sich, indem sie so viel Müll produzieren. Und dann wie gesagt, die ganze Geschichte das in elektronischen Medien zu verbreiten, das ist ja auch nicht gerade stromsparend. Kann es sein, dass du und Melander ziemlich unterschiedliche Ansichten habt? Naja, wir haben beide ein gemeinsames finanzielles Interesse. Also er hat eine Agentur, ist natürlich auch ein Writer hat natürlich bei mir auch Respekt weil er vom Handwerk versteht und ich weiß, was er gemacht hat. Natürlich muss man auch irgendwo leben und ich finde das ganz gut. Ich selber muss sagen, naja ich bin jetzt so lange in der Geschichte drin, ich muss von niemandem jetzt irgendwie Rechenschaft ablegen oder sonstwas. Ich kanns einfach sagen, wie's ist, weil ich war neugierig genug, alles zu hinterfragen und mir da sämtliche Illusionen und sonstiges von der Backe zu schminken. Aber es ist trotzdem geil in so einer Bewegung drin zu sein, die immer wieder neue Sachen bringt und halt total globalisiert funktioniert, die erste Popkultur. Ich meine, was wir jetzt haben: es werden einfach wahnsinnig viele Konturen eingeebnet, das heißt wir werden uns immer ähnlicher, der Inder in der Straße fingert genauso an seinem Smartphone rum, wie jeder andere auch, was da dudelt oder sonstwas, alles wird immer gleicher. Und das ist natürlich so, dass sich da jetzt Kulturen schaffen, die überall gleich funktionieren, das passiert auch mit Street Art und Graffiti und das siehst du, wenn du mal von Shanghai bis Mumbai, von Petersburg bis Kapstadt oder sonstwo

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warst. Es funktioniert auf jedem Punkt dieses Planeten, also in keiner Großstadt gibt es unangetastete Wände, es passiert immer irgendwas. Meinst du, das ist dann auch der Grund, warum Street Art so gehypt wird, warum das gerade jeden interessiert? Pfff, irgendwas müssen wir ja als Inhalt in diesen tollen elektronischen Medien haben, das heißt wir können ja nicht ewig spielen und dudeln und durch Zukunftswelten laufen, wir müssen ja auch irgendwann mal den Anspruch haben, den ruhigen Bildern eine Chance zu geben. Und das was neu ist an Street Art, dass es im öffentlichen Raum passiert, das ist natürlich viel cooler. Da findest du natürlich unerwartet Dinge vor, die gestaltet worden sind und nicht wie erwartet in einem Museum. Das ist schon so eine Sache, wo ich mir denke, das hat seine Faszination durchaus beibehalten, weil das hat es ja auch schon in der ganzen Menschheitsgeschichte gegeben. Bildnerische Zeugnisse haben ja meistens doch irgendwie mit Gegnern zu tun. Ob es jetzt Höhlenmalerei oder die Barockmalerei in den Kirchen waren, das waren ja immer öffentliche Räume und wichtige Räume und das ist einfach definitiv auch im Menschen drin, dass man Architektur auch mit Malerei kombiniert. Und ich denk' mir mal, das hat natürlich auch wahnsinnig viel mit der Entwicklung zu tun, was die Medien angeht und Bildschirme in jeder Form und Farbe und bewegte Bilder. In jedem Bahnhof hast du einen Bildschirm, das ist ja 'ne Sache wo ich mir denke: solange das so übertrieben wird, weil jede technische Neuerung wird ja erstmal komplett übertrieben, bis man auch irgendwann wieder einen Rückbau hat. Es wird sicher nicht den Rückbau geben, dass es dann irgendwann mal nur noch weiß gestrichene Wände gibt, sondern dass die Leute es auch mal gut finden, wenn die wieder Ruhe geben und ruhig sind und Ruhe ausstrahlen. Da immer noch diese Überraschung an diesen Orten zu haben, das ist immer noch der Reiz, den es ausmachen wird und ich denke mal, sooo schnell wird es nicht aussterben. Das was man im Moment so mit Street Art verbindet ist ja auch meistens von Banksy die Schablonentechnik. Glaubst du, dass es auch wichtig ist, dass die Schablonentechnik einfacher ist, als zum Beispiel Graffiti, sodass die Leute selbst leichter partizipieren können? Na, wenn die Ideen gut sind. Du hast natürlich auch die Möglichkeit über den Computer deine ganzen Schablonen auszuschneiden, ansonsten sind die natürlich immer noch kräftig mit Messern unterwegs, man darf das auch nicht so einfach über den Kamm scheren, da ist schon auch sehr viel Handwerk darin, wobei natürlich der Computer das immer mehr abnimmt, du kannst das natürlich plotten lassen und das ist dann auch mit Photoshop sehr einfach zu machen. Das heißt den Fotorealismus über Schablonen laufen zu lassen ist keine große Kunst mehr. Das ist es nicht, weil der Computer dir einfach zu viel abnimmt. Die Kunst ist aber, eine gute Idee darin zu transportieren. Und ich hab nichts gegen eine Idee, die über solche Mittel auch transportiert wird, wenn sie gut ist. Hast du selbst Vorbilder oder Leute, die dich inspirieren? Zu viele, ich hab ja soviele getroffen, da könnte ich jetzt gar nicht alle nennen.

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Wie stehst du zu Banksy? Wunderbar! Ich mag seinen Humor, das ist vielleicht auch die Ikone an der sich alle messen müssen, wenns um Schablone geht, obwohl es natürlich weit vor ihm schon angefangen hat. Das hab ich ja damals schon, als ich 86 in Paris war, da habe ich schon zig Dinge gefunden. Aber er hat natürlich diesen Inhalt, der ist bei ihm ganz große Klasse, sein Humor, seine Art von Humor ist natürlich riesig. Ich find's (…) seine Bücher wenn man mal liest, ich habe sehr viel Witz gesehen! Wir hatten zwar mal eine Ausstellung zusammen in Hamburg, aber da war ich gerade in Brasilien, das heißt kennengelernt habe ich ihn NICHT, wir hatten auch in Los Angeles eine zusammen, das ist witzig, ich hing manches Mal mit ihm in der selben Galerie aber ich habe ihn noch nicht getroffen – aber auf der anderen Seite: ich find das auch nicht wichtig. Ich finde seine Arbeit gut, ich muss jetzt nicht unbedingt jeden treffen, weil ich hab schon so viele Leute getroffen, das reicht mir auch schon, wenn's der Zufall so will, dann ist es wunderbar, wenn nicht dann nicht, also ich muss mich da jetzt nicht stressen. Also die Kunst ist wichtiger als die Person? Du kriegst aber trotzdem seinen Humor mit. Das ist ein sehr lustiges Kerlchen... ja also ich hab ja mal mit Shepard Fairey unterhalten, also so ein bisschen über die Szene und so wie das alles zusammen gekommen ist. Da waren wahnsinnig viel, die ich eigentlich auch kannte, also ich habe ja auch Leute gehabt, die da mit Kameras hinterher sind in den 90er Jahren und so weiter, den ganzen Scheiß. Und deshalb mein ich ja, Banksy bereitet das gut zu, er hat das Netz, ob das jetzt der Kunstmarkt ist, für die Bücher, für den Film, er hat mit jedem Produkt richtig Kohle gemacht. Banksy hat ja auch sowas wie „Angestellte“. Wie findest du das? Bzw. ist das bei dir auch so? Ne, das wäre mir zuviel Verantwortung übernehmen, weil ich bin viel zuviel unterwegs, als das ich das irgendwie managen könnte, ich habe ja zwei kleine Projekte wo ich dann mit Jugendlichen arbeite und dies und das mache, aber das sind zeitlich begrenzte Geschichten. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich bin heilfroh, dass ich mit Melander einen Partner gefunden habe und ich für nichts verantwortlich bin, was die Personen angeht und dass ich sozusagen mein Leben sehr frei bestimmen kann. Er übernimmt also auch hauptsächlich die Organisation? Ja! Als letzte Frage: Hattest du auch schon mal schlechte Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Firmen? Nein hatte ich nicht. Vielleicht haben sie mal nicht gezahlt, da gab's dann mal vielleicht ein bisschen Ärger, aber sonst.

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Transkription Thomas Naumann November 2012 Dauer ca. 1:23 Stunden Thomas Naumann ist ein Künstler aus dem Osten Berlins. Er begann kurz nach der Wende mit dem Graffiti-Sprayen und hat seinen künstlerischen Stil im Laufe der Zeit sehr weiterentwickelt und malt heute unter anderem auch auf mit Stoff bespannte Leinwände. Er stellt seine aktuellen Werke auf der STROKE – urban art fair aus, wo er jedoch nicht von einer Galerie vertreten wird. Er wohnt in Berlin und arbeitet hauptberuflich als Kameramann. Meine erste Frage wäre, wie du zu Graffiti gekommen bist und wann ungefähr. Das war eigentlich direkt nach der Wende 91/92, da habe ich meine ersten Sachen gemacht... im Osten durfte man Beat Street kucken und da gab's mal ein paar Aufführungen im Kino, aber da hat's noch nicht so richtig gefunkt. Es war zwar schon mal eine krasse Optik irgendwie, aber eigentlich wars dann nach der Wende, als die Mauer dann sozusagen offen war und ich dann durch West-Berlin gefahren bin, speziell in Kreuzberg und dann natürlich die ganzen Graffitis hier in Berlin gesehen habe. Weil Beat Street New York, das ist einfach ganz weit weg. Da habe ich aber gesehen: ok, krass, gibt’s ja hier auch und das war eigentlich die Initialzündung. In der DDR gab's gar kein Graffiti oder einen Einfluss aus den USA? Nee, überhaupt nicht. Da gab's vielleicht so in den letzten Jahr, vielleicht so von 87/88 so ein bisschen, so ein ganz ganz kleines Aufkeimen von einer Hip Hop Szene wo eben die Musik auch langsam rübergeschwappt ist. Aber Graffiti in dem Sinne überhaupt nicht, weil es einfach keine Sprühdosen gab. Und was war, als du angefangen hast zu sprühen so deine Hauptmotivation? Gute Frage, das frage ich mich auch jetzt immer noch. Also ich glaube einfach überhaupt so – wie es bei vielen Sachen ist – da braucht man überhaupt gar nicht nur an Graffiti zu denken: warum macht man irgendwas, warum fängt man irgendwas mal an? Weil man irgendwie eine Neugier verspürt. Es hatte in keinstem Sinne etwas damit zu tun, mich gegen meine Eltern aufzulehnen oder GEGEN irgendwas zu sein, sondern es war glaube ich einfach nur diese Neugier auf etwas, was einem mal in den Kopf kam. Die Tatsache, dass es auch illegal war hat für dich keinen Reiz ausgeübt? Vielleicht auch, das weiß ich nicht. Der Abenteuer-Aspekt, den es dann am Anfang hat oder immer hatte, hat die Begeisterung natürlich unterstützt, klar. Aber vielleicht hätte ichs auch gemacht, wenn's legal gewesen wäre. Das ist jetzt gar nicht mal unbedingt nur Graffiti-spezifisch. Warum fängt man mit irgendwas an, mit irgendeinem Hobby oder

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einer Leidenschaft? Weil irgendwas einen dazu treibt, klar kann man es auch philosophisch nehmen und sagen: vielleicht war das schon immer da und man ist eben derjenige, der sowas machen muss und andere machen eben etwas anderes. Das ist dann einfach etwas, was schon immer in einem geschlummert hat, dann war der Zeitpunkt reif und dann hat man gesagt: Komm jetzt, jetzt muss es sein. Und am Anfang hast du da auch Aufträge bekommen? Neee! Das kam erst sehr, sehr spät. Wann ungefähr? Das weiß ich jetzt so nicht, vielleicht erst so nach sieben oder acht Jahren. Aber das habe ich auch nie so ernst genommen, ehrlich gesagt. Warum? Ja, weil's mich nicht interessiert hat. Ich hab schon 92 die ersten Fotos von den Graffitis gemacht, angefangen habe ich eigentlich schon in der Schule damit, also Tags zu machen, ein bisschen rumzukritzeln, die Schulbank vollzuschmieren, das Klo und die Turnhalle. Das sind ja die Anfänge, man fängt ja nicht gleich an, einen Style an die Wand zu malen, sondern am Anfang malt man ja Tags und versucht die dann zu verbessern und dann wird es immer größer. Aber im Grunde genommen war es von Anfang an klar: Buchstaben, rausgehen und dann hat man's eigentlich auch relativ schnell verstanden den Namen irgendwie zu malen. Erstmal irgendwo in der Umgebung und dann vielleicht an der S-Bahn Linie, wo man langfährt. Also die Wege, die man auch sonst nimmt, in seinem alltäglichen Leben, die werden markiert. Um es natürlich auch anderen zu zeigen. Denn Graffiti ist glaube ich so ein Ding – im Gegensatz zu Street Art- das ist nur für die eigene Szene, für dich selbst, für deine Gruppe. Mit Graffiti versucht man nicht, in erster Linie, am Anfang, die Stadt zu verschönern. Oder den Leuten was Gutes zu tun. Klar kommt dann irgendwann später die Einstellung: Ich will die ganzen grauen Wände schön bunt haben. Graffiti hat aber auch erstmal gar nicht das Potenzial wie Street Art. Graffiti ist was, was man für sich und für die Szene macht. Weil zum Beispiel Tags die Leute, die nicht in der Szene sind, einfach nicht ansprechen? Ja, zum Beispiel. Aber damit fängt es eben an, mit einem Tag. Das ist nun mal der Ursprung von Graffiti in New York. Als du dann deinen ersten Auftrag gekriegt hast, was war das? Das weiß ich auch nicht mehr so genau. Das waren so 'ne kleinen, halblegalen Sachen die habe ich auch vorher hier und da mal gemacht... Ich glaub das war auf der Insel der Jugend in Treptow, so 'ne Location. Da war ich dann relativ schnell auch Mitglied von so 'ner Swotposse. Das war so ne Organisation, so 'ne kleine Gruppe, so 'ne Crew, die sich damals auf die Fahnen geschrieben hat eine Hip-

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Hop Szene vor allem in Berlin und in den Ostbundesländern zu etablieren. Die haben dann Partys organisiert auf der Insel, Konzerte gemacht und so weiter und so fort... und ich glaube so in diesem Rahmen habe ich so ein paar Räume auf der Insel bemalt. Naja Auftrag ist da jetzt ein bisschen übertrieben. Ich hab irgendwann dann viel, viel, viel, viel später mal einen ziemlich großen Auftrag gekriegt, da habe ich dann aber auch schon einige Jahre gesprüht, da konnte ich dann auch schon mehr als nur Styles. Das war im Promarkt, das heißt glaub ich jetzt Media Markt, da habe ich mit meinem damaligen... der damals diese Swotposse-Nummer geleitet hat, der hat dann damals, als es die Swotposse nicht mehr gab, weil irgendwann gab's ja dann eine Hip-Hop-Szene und dann hat das einfach nur noch gekostet, das hat sich dann einfach finanziell nicht mehr getragen und wir haben ja unseren Job auch gemacht, die Hip-Hop Szene gab's ja dann eben überall in Deutschland. Da ist er dann eben umgestiegen und wollte da eine Graffiti Connection gründen, die gibt’s jetzt immer noch. Und das war eben mit den Leuten, mit denen er damals immer so gearbeitet hat, wo er gemerkt hat: Ok, ein paar haben wirklich Talent. Lass uns doch zusammen eine Firma machen, um eben Graffiti-Aufträge oder überhaupt Malaufträge zu bekommen und damit unser Geld zu verdienen. Und da habe ich so einen relativ großen Auftrag gemacht, der auch relativ aufwändig war, da habe ich in den Räumlichkeiten von diesem Pro Markt gemalt. Und er hat mich dann eben auch gefragt: Na wie sieht's denn aus, willst du das nicht machen? Und da hab ich aber relativ schnell gesagt: Nee, da hab' ich keinen Bock drauf. Warum? Ja weil mich erstens die Motive nicht interessieren. Ich habe keine Lust was zu malen, was mir andere vorschreiben. Und zweitens würde ich eben auch nicht mit dieser Art von Auftragsmalerei mein Geld verdienen wollen, weil ich ... ja wie soll ich sagen... Graffiti ist ja nun eine absolut freie Sache, da redet dir keiner rein. Und mich jetzt einer Tätigkeit zu widmen wo ich jeden Tag mehr oder weniger male, da hätte ich irgendwann keine Lust mehr auf Graffiti. Du meinst, wenn du es dann machen MUSST? Ja, da bin ich dann froh, wenn ich nach Hause komme und keine Farbe mehr an den Fingern habe. Hauptberuflich bist du ja Kameramann oder? Genau. Du würdest auch gar nicht hauptberuflich etwas mit Kunst oder Graffiti machen wollen? Überhaupt nicht! Mal einen Auftrag hier, mal einen Auftrag da ist ok. Aber damit jetzt mein Geld zu verdienen, da hätte ich keinen Bock drauf. Ich hätte die Möglichkeit gehabt, habe aber nein dazu gesagt. Einfach schon aufgrund der Motive. Ich male auch, hast du ja gesehen, Leinwände. Auch da redet mir ja keiner rein. Das ist völlig ok.

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Wenn du einen Auftrag annimmst, nach welchen Kriterien wählst du den dann aus? Es muss schon irgendwie ein Thema sein, technisch oder thematisch irgendwas sein, wo ich sage: Ok, da kann ich irgendwie was mit anfangen. Also wenn ich jetzt irgendwie eine Blümchenwiese malen muss, dann sag ich auch: Naja nee, das muss dann nicht sein. Ist der Preis dann auch entscheidend? Naja also, wenn ich wirklich finanziell abgebrannt bin, dann ok, dann lass ich mich da schon auch irgendwie prostituieren. Aber an sich... Also ich helfe ab und zu einem Kumpel, der verdient da auch wirklich damit sein Geld, da ist das auch ok. Da habe ich für mich eine klare Trennung, da sage ich: Ich helfe dir, mach mal deine Motive und versuche natürlich – weil ich kann nicht anders – dann doch noch, mal mit einzugreifen und mich da irgendwie auch inhaltlich dran zu beteiligen. Aber in dem Sinne, kommen solche Aufträge auch nicht zu mir, weil ich in dieser Szene auch überhaupt nicht so drinnen bin und man mich als Auftragsmaler auch nicht wahrnimmt. Ich lege es eben nicht großartig darauf an. Dafür sind die Sachen, die ich mache bzw. die man von mir kennt auch zu speziell, als dass man sie so wahrnimmt, nach dem Motto: Ach ja wenn sie eh schon so schöne Gesichter oder Blümchen malen können, dann können sie bei mir auch gleich was malen. Das würde bei meinen Sachen auch gar nicht funktionieren. Deswegen stellt sich die Frage nicht. Wird sich auch nicht stellen. Wenn da jetzt wirklich so ein großer Auftrag reinkommen würde, dann würde ich lieber abgeben. Da würde ich sagen: Du pass auf, ich kenn' da wen, der kann das viel besser als ich, hier. Du bist ja schon so lange dabei. Wie hat sich deiner Meinung nach die Szene verändert durch die Kommerzialisierung? Also da muss man unterscheiden zwischen der Graffiti-Szene und der Street Art-Szene. Also wenn wir mal so bei der Graffiti-Szene bleiben: natürlich gibt’s da einen Unterschied zu früher, klar. Also die, die jetzt anfangen, die haben natürlich schon alles: es gibt Magazine, es gibt Filme, es gibt Dosen in allen möglichen Variationen. Es gibt ALLES. Nach der Wende und überhaupt gab's zu der Zeit kaum Magazine. Es gab ein paar wenige, mit ein paar wenigen ausgewählten Fotos und du hast halt das gesehen, was in Westberlin, in Kreuzberg an einer Mauer war. Und von den Sachen hat man sich natürlich inspirieren lassen. Inspirieren lassen heißt in diesem Fall: komplett geklaut (lacht). Du malst ja erst mal, um zu imitieren und dann irgendwann nabelst du dich ab und dann machst du dein eigenes Ding. Und die Dosen, da gab es auch nicht allzu viele, die Qualität war eher mittelmäßig. Und die Stadt, als Stadt so als Berlin, hat natürlich auch noch 'nen ganz anderen Charakter gehabt als jetzt. Da war alles im Umbruch, da gab's viele Freiflächen, viel drunter und drüber, viele rechtsfreie Räume, das ist ja auch Teil meiner Arbeiten. Es war natürlich alles anders. Jetzt ist nicht nur in Berlin, sondern in der Gesellschaft allgemein, alles viel geordneter, viel mehr marktorientiert. Graffiti ist natürlich auch ein Geschäft geworden, was ein Vorteil sein mag, für die die anfangen, denn sie haben erstmal sehr

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viel Input, kommen sehr schnell rein in diese ganze Szene, also in ihren eigenen Style. Weil sie ganz viel Material haben und sehen: Ah das geht, das geht, das geht, alles klar. Haben aber andererseits dann auch nicht mehr so diese lange Lernphase. Die sind halt sehr schnell relativ gut, was dann aber auch sehr schnell dazu führt, dass dann nicht mehr soviel kommt. Das ist natürlich auch – für mich – noch viel viel mehr als Street Art, absolutes Spiegelbild der Gesellschaft. Inwiefern? Naja Graffiti versucht ja nicht, sozusagen zu erklären oder irgendetwas zu thematisieren. Graffiti, da gehst du raus und sagst: ich will meinen Namen malen, fertig. Das ist ja der Ursprung von Graffiti: Ich will aus der Masse heraustreten, irgendwie auffallen. Das ist natürlich die erste Frage in New York oder auch hier, überall: Warum wollen wir unbedingt auffallen? Fühlen wir uns so in einer Masse oder so irgendwie... klein oder grau, dass wir dieses Bedürfnis verspüren unsere Identität nach außen zu tragen? Gut, das machen in gewissem Sinne auch alle, jeder zieht sich irgendwie an und versucht ja damit auch zu sagen: Kuck mal das bin ich, ich bin eben so! Aber Graffiti ist natürlich schon noch mal eine andere Nummer, in dem Moment in dem man rausgeht und sagt: Kuck mal, ich bin da, ich LEBE, das ist ja nochmal eine ganz andere Message, als jetzt zu sagen: Kuck mal, ich hab hier 'ne schicke Brille auf (lacht). Ist das dann auch eine Form von Rebellion? Ein bisschen schon. Das hatte für mich zwar keine Rolle gespielt, das war für mich einfach Faszination und Abenteuer. Aber natürlich im Nachhinein gesehen ist es das auch. Aber es ist keine wirkliche Rebellion. Zumindest hier in Deutschland – in New York war das vielleicht was anderes, da wars glaub ich schon eher eine Rebellion aus der Not heraus, ein Strohhalm, um sich irgendwie noch lebendig zu zeigen – aber hier fängt man nicht an zu sprühen, um irgendeine Rebellion zu starten oder um ein gesellschaftliches Ziel zu verfolgen oder auch um eine andere Gesellschaft anzustreben. Überhaupt nicht. Es hat einfach damit etwas zu tun, sich am leben zu fühlen, man ist da, man lebt, man hinterlässt Spuren. Das interessante, warum ich jetzt meinte Graffiti ist ein Spiegelbild der Gesellschaft ist ja... wie soll man sagen, also das gibt es einfach, weil die Gesellschaft so ist, wie sie ist. Heißt, wenn es eh viele Freiräume geben würde, damit sich jeder Einzelne frei ausdrücken kann, dann würde es gar nicht zu diesem Drang danach kommen, sich auszudrücken. Wenn man nicht alle Freiheiten hat, ist es natürlich klar, dass es bestimmte Menschen gibt, die sagen: Hey ich will irgendwie was, ich muss das irgendwie kanalisieren. Grade im Osten nach der Wende, wo alles irgendwie relativ egal war und du unglaublich viele Möglichkeiten hattest, waren sozusagen die Leute, die dann halt angefangen haben, wesentlich kreativer, vielseitiger und kreativer, als das was dann fünf, sechs Jahre davor in Westberlin entstanden ist. Westberlin war halt 'ne kleine Insel, es war ein bisschen ruppig, war alles so ein bisschen Gangster und so, was natürlich Quatsch ist, aber so haben die sich gefühlt. Entsprechend sahen dann die Styles aus. Im Osten, wir haben halt irgendwie keine Drogen an der Schule gehabt, uns gings relativ gut, vom politischen mal abgesehen. Dementsprechend waren die Leute nicht so auf Gangster Ghetto Style eingefahren, das waren eher so die Künstler, die ein

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bisschen rumgespielt haben, das hast du unglaublich gut an den Styles gesehen. Allein schon DAS ist doch ein Zeichen dafür, dass es nicht darum geht: Ich will jetzt hier alles voll malen, sondern... die erste und zweite Generation aus dem Osten war unglaublich kreativ, weil sie halt eben nicht in diesen Denkschemata „ich bin jetzt hier so Ghetto und muss einen auf New York machen“ gefangen waren. Das hat überhaupt keine Rolle gespielt. Um jetzt einen ganz großen Bogen zu spannen, weil dich ja interessiert, wie die Leute jetzt sind: Jetzt ist alles krass kommerziell, alles ist bunt, alles ist übelst auf Output, also naja gut MTV is nun nicht mehr neu aber alles ist blinkend, geleckt, Ipod und Ipad und so sehen auch die Styles aus. Weil es auch jetzt die Dosen dafür gibt. Alles so sauber und schnieke und ordentlich. Also vieles zumindest. Warum ist das so? Das war vor zehn Jahren noch nicht so. Da hatte niemand Lust so zu malen. Und warum ist es jetzt so? Weil damals das dreckige auch eben die Stadt widergespiegelt hat, jetzt ist eben alles relativ schick, nicht nur die Stadt selbst, sondern auch das was wir so sehen. Ich meine, Apple ist ein gutes Beispiel dafür! Diese ganze Performance von so einem Iphone ist ja auch etwas oder auch das Design von irgendwelchen Gebrauchsgegenständen, ist ja auch etwas, was jeden Tag auf uns eintrudelt. Auch die Werbung. Alles was man visuell aufnimmt, siehst du kurze Zeit später auch im Graffiti. Du hast vorhin gesagt, wenn die Leute keine Freiheiten haben, müssen sie sich andere Wege suchen, wie sie sich ausdrücken können. Heißt das dann, dass wir uns gerade alle sehr unfrei fühlen? Denn es gibt ja zur Zeit eine Menge Street Art. Oder hat das andere Gründe? Graffiti ist ja nur ein Beispiel. Andere machen halt irgendeinen anderen Kram, machen Extremsport oder irgendwas, was irgendwie an die Grenzen stößt, vielleicht mehr im legalen Rahmen. Allgemein der Drang sich auszudrücken ist sowieso im Menschen verankert. Wenn es jetzt soviel Street Art gibt, kann man dann im Umkehrschluss auch sagen, dass die Leute sich unfrei fühlen? Würde ich eben gerade nicht sagen. Da gibt es einen Unterschied, weil Graffiti ist halt einfach unreflektiert, wird einfach so gemacht. So wie die Menschen drauf sind, das sieht man auch an den Styles. Bei Street Art ist es eher so... also nicht umgedreht, das ist Quatsch, aber Street Art hat glaub ich nicht so eine lange Tradition – zumindest hier in Deutschland, in Europa wie Graffiti. Das ist eine relativ neue Art und Weise sich auszudrücken, die auch relativ zu einer Popkultur geworden ist. Was glaubst du sind hierfür die Gründe? Ja, naja, die Gründe sind für mich persönlich, ich kann da jetzt echt nur von mir reden. Die Gründe sind, es ist natürlich die Street Art, die es erlaubt – von der Grundcharakteristik her – etwas zu sagen, eine Message rüberzubringen, was Graffiti überhaupt gar nicht kann und auch nicht will. Dementsprechend musst du dir als Street Art Künstler natürlich auch überlegen, was will ich sagen und WIE will ich das sagen.

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Und das sind so die beiden ganz entscheidenden Sachen, die Graffiti von Street Art trennen. Erstens, ich kann was sagen und zweitens ich habe viel, viel mehr Möglichkeiten, sowohl technisch als auch stilistisch, wie ich es rüberbringe. Ich kann Schablonen machen, kann es mit Farben machen, irgendwelche Installationen machen, ich habe unglaublich viele Möglichkeiten. Andererseits hat man dementsprechend auch eine große Verantwortung, wobei ich denke 80 Prozent der Street Art Künstler sehen das überhaupt nicht so. Verantwortung heißt, wenn man schon so viele Möglichkeiten hat, die man dann auch illegal im öffentlichen Raum umsetzen will, dann sollte man sich auch gut überlegen, was man macht. Das können halt die Allerwenigsten, die wenigsten schaffen das wirklich gut. Banksy, klar, absoluter King, der hat es gut verstanden. Hat eine gute Technik gehabt, eine Message gehabt und wusste auch, wie in welcher Technik er diese Message umsetzt. Blue ist auch ein gutes Beispiel, politisch, inhaltlich der absolute Wahnsinn. Es gibt ein paar Größen. Zef aus Paris, es gibt ein paar Leute, die es auf jeden Fall wissen, das komplette Potential von Street Art auszunutzen. Nicht irgendwo hingehen, sondern zu wissen: an diesem Ort funktioniert diese Message. Man muss sich überlegen, was funktioniert an diesem Ort und sich fragen, wie kann ich das, was ich mache mit diesem Ort in Verbindung setzen, so dass dann irgendwie eine Art interessante Spannung auftritt. Dieselbe Message oder das selbe Bild würde irgendwo anders, lustig sein, aber würde überhaupt nicht richtig zünden. Graffiti kann das zum Beispiel nicht. Da klatscht du einen Style an die Wand und fertig. Aber wenn ich gute Ideen habe, kann ich natürlich den Ort mit einbeziehen, müsste ich sogar. Ich würde sogar sagen, das ist die Pflicht des Street Art Künstlers. Durch das was man sagt und wie man es sagt und die Wahl des Ortes, müsste man beides in Beziehung stellen und eine Spannung aufbauen. Aber genau das passiert nicht. Das passiert nur bei ganz, ganz wenigen Künstlern. Da wird das ein Gesamteindruck. Das passiert aber eben nicht, da wird wild durch die Gegend gekleistert, Hauptsache, da ist eine Mickey Mouse an der Wand. Und das ist meiner Meinung nach... bei Street Art ist der Schritt zu anderen Disziplinen zum Beispiel Grafik Design, Typographie, Werbung sehr klein. Von Graffiti zu diesen ganzen anderen visuellen Art und Weisen sich auszudrücken oder Medien ist der Schritt ziemlich groß. Und Street Art ist natürlich klar, die bedienen sich großteils Darstellungen, wie funktioniert was, irgendwelche Kompositionen. Dementsprechend ist natürlich auch der Schritt nicht mehr sehr groß einfach relativ wahllos zu werden, sich einfach daran zu ergötzen, DASS man etwas macht und das dann irgendwie in der Stadt zu plakatieren, Hauptsache man klebt irgendwo irgendwas hin. Ist es dann nicht mehr wirklich Street Art, sondern eher Graphik Design, wenn es keine Message mehr hat? Graphik-Design, naja. Da ist dann die Frage, was hat Graphik-Design auf der Straße zu suchen? Es wird einfach schnell wahllos. Dass man sich Techniken aus anderen Disziplinen leiht bzw. die benutzt, das finde ich überhaupt gar nicht verwerflich, aber es wird dementsprechend bei vielen nur noch zu so einem: Ich mach's einfach, weils gut aussieht. Aber es heißt ja Street ART und das ist ja dann keine Kunst. Nicht mehr so richtig zumindest.

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Ich habe mal ein Interview mit dir gelesen, da hast du gesagt, dass du viele der Werke auf der STROKE sehr belanglos findest. Das ist dann auch einer deiner Kritikpunkte an der Szene oder? Richtig. Definitiv. Gerade WEIL Street Art so unglaublich viel Potential hat, etwas zu sagen – das hat ja Graffiti nicht – wenn nur das dabei rauskommt, was ich zum Beispiel auch hier in Berlin so sehe, dann ist das schon sehr traurig. Und natürlich durch diese Verquickung mit anderen Disziplinen – gerade Richtung Werbung – ist natürlich sehr groß, weil beide ja mit ähnlichen Elementen spielen und die Annährung beider – also Street Art und Werbung – ging natürlich sehr schnell. Man sieht das ja auch überall, an diesen vielen Werbungen. So schnell ist das bei Graffiti nie gegangen. Hat das dann einen negativen Einfluss auf die Kunst? Nicht unbedingt auf die Kunst, sondern auf die Masse der Künstler. Die damit natürlich dann sehr schnell sich irgendwie von ihrem Thema – wenn sie überhaupt eines haben – abbringen lassen. Und dann einfach nur noch nach optischen Kriterien rechnen. Aber danach sollte es nicht nur gehen, es sollte eigentlich um Inhalte gehen, das macht doch die Kunst aus. Ist es dann für dich persönlich auch interessant, dich mit Street Art auszudrücken? Sehr interessant. Absolut. Bis jetzt ist es nicht meine Hauptdisziplin, aber ich bin auch auf der Straße unterwegs. Aber da bin ich dann doch zu 70 oder 80 Prozent dann doch Sprüher und da fehlt mir dann auch die Zeit, mich dem so zu widmen, dass ich sage ok. Da bin ich einfach nicht so reingewachsen, wobei denke ich, das Potential wäre schon da. Aber ich habe einfach nicht so die Zeit dafür, auch auf der Schiene dann noch intensiver zu arbeiten. Gerade weil ich's eben nicht so auf die leichte Schulter nehmen würde, sondern wenn dann will ich mir schon intensiv Gedanken machen: Was will ich wie sagen. Und das würde ich an verschiedenen Kriterien festmachen und die müsste ich dann schon bedienen. Sonst bin ich ja genauso wie viele andere und das geht natürlich nicht (lacht). Und warum hast du dich entscheiden bei der STROKE auszustellen? Na das kam hier durch meinen Kollegen LAKE und der kannte ein paar Münchner Leute und der hat mich dann gefragt. Du wurdest ja nicht von einer Galerie vertreten. Was ist da der Vorteil? Der erste und eigentlich der Hauptgrund war: Wir können es auch so machen, also machen wirs. Ganz unkompliziert. Galerie interessiert mich jetzt auch nicht so sehr. Weil die Leinwände mache ich eigentlich aus deinem ähnlichen Beweggrund heraus wie Graffiti: Weil es mir gefällt. Also klar, nach der zweiten, dritten STROKE war schon auch

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mal der Gedanke da, naja vielleicht sollte man sich schon auch mal mit eine paar Galerien kurzschließen, weil wenn man ein paar Leinwände verkauft, ist es ja auch nicht so schlimm. Aber ich merke auch, ich habe es dann mal kurz probiert, aber ich habe es auch relativ schnell wieder einschlafen lassen, weil es mich einfach nicht interessiert. Warum interessiert es dich nicht? Überhaupt dieses ganze Kunstmarkt-Business interessiert mich nicht. Mit den Galerien da irgendwie... wenn was kommt ist es super, aber es ist halt irgendwie... sagen wir mal so: Sowas macht man dann eigentlich nicht nebenbei. Das muss man dann schon richtig angehen und da muss man eigentlich auch sehr viel Zeit und Engagement investieren und auch sehr viel Durchhaltevermögen und Liebe zur Sache. Und das habe ich halt nicht. Und dass ist auch wieder eine ähnliche Sache wie damals mit der Auftragsmalerei, als ich gesagt habe: Ne, meine Zeit will ich damit nicht verschwenden. Wenn dann richtig. Dann hat man eben wenig Zeit für anderes und dann weiß ich eben nicht, ob ich dann noch so gerne Leinwände malen würde oder dann noch so gerne sprühen würde. Ich glaube nicht. Ich könnte das nicht so ohne weiteres trennen. Glaubst du, es ist dann wichtig, dass man Geldverdienen und Kunst trennt? Das mag bei jedem anders sein. Bei mir ist es jedenfalls so. Zumindest jetzt. Wenn ich einen Galeristen hätte, der mir alle Freiheiten lässt, dann wäre ich natürlich blöd, nein zu sagen. Das ist dann wohl nicht der Fall? Werden da Motive oder Themen vorgegeben? Jein. Also es kommt drauf an. Wenn jetzt ein Galerist sagt, ja das ist ein guter Stil, dem vertraue ich, mag ich, ich nehme dich mal für ein, zwei, vier, fünf Jahre und der Galerist sagt die Arbeiten in dem Stil mit der Technik gehen weg wie warme Semmeln, dann wäre er natürlich blöd dem Künstler nicht nahe zu legen, dass er in dem Stil und der Technik weitermachen soll. Aber wenn der Künstler jetzt sagt: Oh super, jetzt bin ich fünf Jahre unter Vertrag und habe vielleicht auch noch die Garantie, dass ich monatlich meine 3.000 Euro kriege, dann kann ich ja jetzt ein bisschen anfangen zu experimentieren! Da läuft der Galerist natürlich Gefahr, wenn er nicht gut ist, dass das irgendwann den Leuten einfach nicht mehr gefällt und dann sitzt er da. Das ist jetzt EIN Beispiel. Natürlich sind die Galeristen daran interessiert, das was ich male zu verkaufen. Und auch wirklich nur das in ihrer Galerie zu haben, was sich verkauft. Das ist ja auch nur ein Geschäft, eine Geschäftsidee, ein Geschäftskonzept. Es gibt bestimmt auch Galeristen, die einem gewisse Freiheiten lassen, aber sagen wir so, da muss man sich nichts vormachen, zu 95 Prozent müssen sich Künstler, die eine Galerie haben in jedem Fall mit diesen Zwängen auseinander setzen. Ist es dann wichtig einen Namen zu haben in der Szene, um dadurch mehr Freiheiten zu bekommen? Ja klar. Logisch.

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Das ist in Berlin vermutlich schwierig oder? Ja klar. Andererseits besteht die Schwierigkeit jetzt gar nicht mal darin, dass es so viele gibt. Das ist eher ein Vorteil, weil dann ja auch viel mehr Leute auf Berlin kucken und sagen: Was passiert denn da, da geht ja was ab! Das ist ja quasi – wenn man's ein bisschen stilisiert – fast ein Qualitätsmerkmal. Schwierig ist eher, dass es kaum Leute gibt, die dann auch was kaufen. Weil dein Namen steigt ja nicht damit, dass ich jetzt immer mehr Leinwände male, sondern der Name selbst steigt ja damit, dass Leute was kaufen. Und viel kaufen. Der Name, dein Ranking sozusagen, ist ja gekoppelt an die Anzahl der Ausstellungen und die verkauften Bilder. Und da gibt es in Berlin eben nicht sehr viel Kaufpublikum, dementsprechend schwer ist es, aus diesem unteren Kreis irgendwie rauszukommen. Wenn man jetzt irgendwie zum Beispiel in Düsseldorf oder Köln ist, in anderen Städten, wo halt auch deutlich mehr Geld ist, und man sich ein wenig gut anstellt, dann könnte man da mehr erreichen. Damit steigt halt dann auch die Attraktivität deines Namens. Es liegt also nicht daran, dass es hier viele Maler gibt, sondern dass es hier keinen gibt, der etwas kauft. Verkaufst du deine Bilder auch über deine Homepage? Ja natürlich, klar. Also ich habe diese Homepage zwar nicht danach ausgebaut, dass es wie ein Online Shop rüberkommt, das ist auch nicht Sinn und Zweck der Sache, aber wenn mich jetzt jemand anruft und sagt: Ich habe das gesehen, kann ich das kaufen? Dann sage ich natürlich: Klar, logisch. Aber ich habe jetzt keine Preisliste oder kein pdf, das man sich da runterladen kann. Und das Konzept der STROKE findest du das gut, bist du auch weiterhin dabei? Ja, grundsätzlich finde ich es ok. Andererseits glaube ich ist ich die STROKE so ein bisschen... naja ist jetzt schwer zu sagen, weil beim letzten Mal in Berlin, war schon irgendwie eine Verbesserung zu sehen. Aber es war mal so, die davor in München und dann davor die STROKE in Berlin, letztes Jahr, da war es schon irgendwie so, dass ich mir dachte: Das wird jetzt hier schon irgendwie sehr... naja... sehr belanglos. Da dachte ich mir, das hat jetzt nicht mehr so viel – naja mit Street Art hat es sowieso schon so gut wie gar nichts mehr zu tun – aber da müssten sie sich eigentlich, wenn sie wirklich überleben wollen in Zukunft ein bisschen wieder mehr zurück besinnen auf dieses Ding: urban art. Da gibt es wirklich zuviele Leute, die einfach irgendeinen Quietschmist machen, einfach bunt, ist IRGENDWIE wie Street Art. Aber ganz ehrlich, das ist einfach nur Kindergarten. Das ist natürlich jetzt schwer aus den Leuten, die sich da anmelden und den Galerien, die sagen, sie hätten gerne einen Stand, die dann alle durch zu checken und zu kucken, welche Künstler da passen. Aber rein theoretisch müsste man das in Zukunft viel krasser aussieben. Sodass man wirklich mehr auf Qualität Wert legt, als auf irgendwelches buntes Zeug. Wenn diese Bilder in einem Museum oder zum Beispiel bei der Stroke in einem Raum hängen, ist das dann noch Street Art?

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Nein überhaupt nicht. Das ist keine Street Art mehr, weil da keine Straße mehr ist. Das ist aber auch die Schwierigkeit von solchen Ausstellungen, dass man als Künstler versuchen muss, das was draußen ist, was man draußen auf der Straße macht, auf die Leinwand zu heben. Ich kann ein Graffiti auf eine Leinwand malen, aber was soll denn das? Genauso wie ich Street Art auf eine Leinwand machen kann. Man kann das schon machen, das geht schon irgendwie. Aber auf der STROKE ist ja auch wunderbar zu sehen, wie nur ein ganz kleines Stückchen rausgenommen wird und dann riesig aufgeblasen wird und irgendwelches Zeug gemalt wird, was irgendwie vielleicht so von der Ästhetik her an irgendwelche Street Art Nummern erinnert. Aber die Energie und die Grundkonzeption kann natürlich nie und nimmer in einer Galerie umgesetzt werden. Das geht gar nicht. Auf der STROKE in München, da war auf der gegenüberliegenden Seite der Isar ein „richtiges“ also illegales Graffiti angebracht, das hat aber keinen interessiert. Ist dir das auch aufgefallen? Ja, also ich habe mich an dem Blick ergötzt. DAS einfache Ding – es war jetzt nichts besonderes – aber so wie es da war in dieser Gesamtoptik: Der Fluss, diese Brücke, das hat besser ausgesehen als 80 Prozent dieser Arbeiten auf der STROKE. Ich fand es auch witzig, dass es kaum jemanden interessiert hat. Aber das ist eben so mit dem Kunstmarkt und bei Street Art im ganz Besonderen: Dadurch, dass es eben auch für Konsumenten leichter zu verdauen ist oder leichter zugänglich ist, ist natürlich die Gefahr groß, dass es sich eben an die Käufer und die Konsumenten anbiedert. Und wenn du nun mal kein Künstler bist, der einfach etwas zu sagen hat und so und so malt, dann bist du natürlich sehr empfänglich, dich schnell in Richtungen zu bewegen, die eben gerade angesagt sind. Was ja auch wieder eine ganz klare Entwicklung in unserer Gesellschaft ist. So richtig eine klare Kante zu zeigen ist eher schwierig. Es ist schon eher besser alles ein bisschen weichgespülter zu machen, um erfolgreicher zu sein. Eine klare Kante zu haben, das war vor 40 Jahren vielleicht noch irgendwie richtig und wichtig. Und auch eine Meinung zu haben und dazu zu stehen und auch mal Kritik einzufahren. Um mal aus Graffiti ein Beispiel zu bringen: Die Styles sind doch ziemlich glatt, aufgrund der Dosen, die es gibt. Die malen eben sehr sanft und poppig, mit poppigen Farben. Die einzigen, die in Berlin noch ein bisschen belächelt werden sind in Berlin die, die noch mit Standardcaps arbeiten, wo eben ein relativ rotziger Strich rauskommt und da eben viele sagen: iiiih was ist denn das, das sieht ja total dreckig aus. Aber klar, das ist genau das, das ist eben das Leben. Das ist ja kein Design-Objekt. Oder eben auch in Russland, da ist es auch extrem rotzig. Klar, weil es da gerade anfängt und Russland auch nicht unbedingt Paris-Innenstadt ist. Da gibt es eben härtere Bedingungen, entsprechend sehen die Sachen auch anders aus, als in Spanien wo die Sonne scheint. Kannst du das dann aus den Styles rauslesen, woher jemand kommt? Nein, das kann ich so nicht sagen. Aber aus der Masse. Wenn man 100 verschiedene

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Styles sieht, dann kann man schon sagen, kommt das aus einem Land wo gerade etwas anfängt oder was für Dosen haben die? Sprich, was ja dann auch schon interessant ist: wenn die jetzt über diese und jene Dosen verfügen, heißt das ja, dass die Industrie bzw. der Markt ja schon ziemlich etabliert ist. Dass die Leute die Auswahl haben. Es ist ja nicht so, dass die in den Baumarkt gehen und sich irgendwelche Scheiß-Dosen klauen müssen, entsprechend sehen dann auch die Farben und die Styles aus. Oder wenn ich jetzt sage, das sind jetzt schöne geleckte Sachen, dann kann ich sagen: Da ist schon viel passiert, da wird schon seit einigen Jahren gemalt. Das kann man dann schon sehen. Bestimmte Länder, bestimmte Mentalitäten bringen dann auch bestimmte Stile hervor. Also in Berlin bzw. in Deutschland kannst es auch schon an den Städten sehen. Hamburg zum Beispiel hat einen anderen Stil als Berlin. Auch wenn es da auch Ähnlichkeiten gibt. Aber allgemein so zum Beispiel die westdeutschen Städte, Köln, München, Stuttgart, Wiesbaden, was da so passiert, das ist etwas ganz anderes, als das was in Berlin passiert. Das war schon immer so. In München gibt’s ja ziemlich viele legale Wände, hat das dann auch einen Einfluss? Ja sicherlich, klar. In Berlin wurden dann auch irgendwann viele legale Wände gecancelled, weil sie dachten, damit kriegen sie's irgendwie besser in den Griff, aber es war natürlich genau das Gegenteil der Fall. Aber du hast eben in so Städten, wo es keine großartige Reibung gibt – so wie München, das jetzt den Schritt gemacht hat und sagt, wir geben euch ganz viele Wände – da hat man natürlich auch ein bisschen die Luft aus den Segeln genommen. Und in so Städten wie Stuttgart oder Köln wo es halt nicht wirklich ruppig zur Sache geht, wo alles ein bisschen Friede, Freude, Eierkuchen ist – ganz allgemein gesprochen, da gibt’s natürlich auch Gegenden, da hat man keinen Bock tot über den Zaun zu hängen – aber eben in so Gegenden wo alles easy ist, entsprechend sehen die Styles dann aus. Das ist genau das was ich meinte, das ist alles ein Spiegelbild der Gesellschaft. Dort wo keine Reibung ist, entsteht natürlich auch nichts, was großartig Energie hat. Hamburg ist eben auch eine Stadt, die ist reich, die hat Geld. Aber das ist auch so eine Stadt, die hat noch ihre harten, ruppigen Kanten, genauso wie Berlin. Dementsprechend gibt’s da auch Sachen, die haben mehr Energie, mehr Power, mehr Dynamik, mehr Kraft. Gerade weil eben nicht alles rund läuft, gerade weil es eben viele Gegensätze gibt. In Berlin sowieso. Das wird natürlich weniger, klar. Aber das ist schon relativ gut zu sehen. Was eben aus Stuttgart kommt, ist eher langweilig, uninteressant. Oder wenn es dann mal einen Eindruck macht, dann ist eben schön. Aber schön ist jetzt nicht unbedingt energiegeladen. Ich weiß nicht, ob du das verfolgt hast, aber Loomit war ja einer der ersten in Deutschland und er lebt ja von seinen Auftragsmalereien. Was hältst du da allgemein davon? Ist völlig ok. Gerade bei ihm – ich kenn ihn nicht, ein, zwei Leute kennen ihn, die sagen: Boah, voll der Arsch. Ist mir egal, ich kenne ihn nicht, deswegen kann ich das relativ objektiv betrachten. Ich habe gesehen, dass er noch als ich angefangen habe, durch die Welt gereist ist und mit allen möglichen Leuten gemalt hat, in New York auch U-Bahnen gemalt hat. Er hat

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einfach eine Geschichte, eine richtige Graffiti-Karriere gemacht und Graffiti-Geschichte geschrieben und da braucht er sich überhaupt nicht verstecken. Er ist nicht irgend so ein Typ, der zwei, drei Jahre lang mal illegal rumgetaged hat und dann gleich angefangen hat, Aufträge zu machen, weil das Geld gelockt hat. Er hat es sich quasi auch verdient, damit jetzt richtig Geld zu machen. Das ist völlig ok. Ich finde es auch ok, wenn Leute relativ schnell anfangen, Aufträge zu malen, das finde ich auch in Ordnung. Das einzige was ich eben schwierig finde ist, dass man sich als irgendwas bezeichnet, aber dieser Bezeichnung nicht gerecht wird. Das ist eben meine große Kritik an der Masse der Street Art Leuten, nicht an allen: Artist. So als Auftragsmaler bist du für mich auch kein Künstler. Die meisten sind es nicht. Die sind halt gute Techniker, die das malen, was jemand anders will. Ein Künstler, der macht dann schon das, was er selber will, der hat auch eine Message. Eine Blumenwiese ist ja keine Message. Das reicht eben nicht. Das ist zu wenig. Gibt es auch einen Punkt an dem du Auftragsarbeiten kritisch siehst, also abgesehen von dem künstlerischen Aspekt? Zum Beispiel wenn Aufträge von bestimmten Firmen angenommen werden? Ja, es sollte natürlich schon auf die Firma ankommen. Also da bin ich dann aber auch ein Teil dieser Gesellschaft, der dann sagt: Interessiert mich nicht. Muss ich mich jetzt nicht damit befassen, das wird ausgeblendet, da habe ich andere Sachen zu tun. Ja was soll man sagen. Warum ich es ausblende ist: das ist nicht wirklich ein Problem. Dafür gibt’s tausend andere Probleme auf der Welt, da müssen wir nicht unbedingt nach Afrika oder nach Asien gehen, auch hier in Deutschland, da sollte man eher hinkucken. Da rede ich jetzt nicht über irgendwelche Kunst oder Street Art, sondern was es eben wirklich für Probleme gibt. Ein Typ der 20 ist und sagt: Woah ich habe meinen ersten riesengroßen Auftrag für McDonalds, drauf geschissen, ist ok. Vielleicht sollte man so nicht denken, aber ich glaube, das ist noch ein relativ kleines Übel. Da gibt es ganz andere Sachen. Also ich würde für McDonalds nicht malen, weil ich es mir leisten kann. Wenn ich jetzt aber einen Typen sehe, der sagt: Oh das ist mein erster großer Auftrag, geil Geld und Erfahrung, dann sage ich ok, dann mache es. Irgendwie ist es akzeptabel. Nicht für mich. Auch nicht für Leute, die ähnlich alt sind wie ich. Weil da sage ich: Entweder hast du gar kein Geld, dass du sowas machen musst oder du hast gar keine Überzeugungen. Aber junge Leute, das ist in Ordnung. Was glaubst du wie sich die Szene in Zukunft weiter entwickeln wird? Geht der Trend noch weiter? Gute Frage, weiß ich nicht. Vom Gefühl her würde ich sagen, das wird sich nicht mehr so ewig lange halten. Also diese Masse an Leuten, die jetzt mal irgendwie so rausgehen und irgendwelches Zeug machen und – ganz ehrlich – größtenteils ist es eben auch nur „irgendwelches Zeug“. Ich glaube da ist die Energie schon längst raus. Es war einfach nur immer hipp und schick. Sowas hält sich nicht lange, denn in zwei Jahren ist irgendwas anderes hipp und schick. Ich glaube nicht, dass sich Street Art auch schon allein durch diese Verwässerung durch den Markt, in Medien, Werbung und so weiter und so fort, dadurch dass es überall aufgegriffen wird, dadurch wird es dann natürlich

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auch nicht mehr interessant sein für die meisten. Der Thrill ist schon nicht mehr da und wird auch nicht größer werden. Es kann gut sein, dass es immer wieder Leute gibt, die geile Sachen machen, keine Frage. Aber es wird sich glaube ich nicht insofern weiter entwickeln, dass man sagen könnte: Hier entsteht gerade richtig was und das wird noch in irgendwelche ungeahnten Höhen führen. Das glaube ich nicht. Jedenfalls nicht Street Art, Graffiti wird einfach weitergehen. Da wird es im besten Falle immer wieder irgendwelche Generationen geben, die immer wieder etwas neues und interessantes machen, die wirklich neue Einflüsse in diese ganze Style-Landschaft bringen. Kann sein und das glaube ich schon wesentlich eher, als dass ich etwas Neues von den Street Art Künstlern hören werde. Jedenfalls nicht in Deutschland oder Berlin. Weil es hier auch einfach keine Reibung gibt, wenn du nach Brasilien gehst zum Beispiel, da ist natürlich nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen und deshalb ist dort der Drang sich ausdrücken zu wollen, viel größer als hier. Hier bist du einfach eingelullt und dir geht es gut. Und da sollst du irgendwas machen. Konsumieren ist aber wesentlich einfacher, als etwas zu produzieren. Und der Glücksmoment oder dieses, dass man sich damit gut fühlt ist natürlich beim Konsumieren auch einfacher. Beim Produzieren kostet es Kraft, es kostet Schweiß, es kostet Geld und die Glücksmomente, die lassen lange auf sich warten, da muss man Geduld haben und das haben viele Leute nicht mehr. Das ist wieder ein gutes Beispiel dafür ist, wie die Gesellschaft funktioniert: instant! Jetzt sofort, schnell! Ok, da. Das ist in anderen Ländern eben nicht so. Spanien ist da vielleicht auch interessant, da kann sowas vielleicht auch funktionieren. Ich war gerade in Athen mit meiner Freundin und bin da mal kurz U-Bahn gefahren und klar, da geht natürlich viel ab. Die U-Bahnen sind besprüht, das ist eine wahre Augenweide. Klar, weil da ist natürlich auch nicht alles gut. Die Leute haben jetzt Freiheiten, die sie vorher nicht hatten. 2004 waren dort Olympische Spiele, da haben sie alles neu gemacht und Kameras aufgestellt, da war es nicht so leicht, etwas zu machen. Jetzt haben die Leute ganz andere Sorgen, die Gesellschaft verändert sich, wie in welcher Art, das ist eine andere Frage. Die Leute haben andere Probleme, in dem Moment entstehen Freiräume, die sofort genutzt werden. Hier in Deutschland gibt es diese Freiräume immer weniger, deswegen. Kuck dir London an oder Paris. Was willst du da machen in der Stadt, das kannst du vergessen. Street Art und Graffiti verschiebt sich eher in die Gegenden, wo es eben geht und das sind dann eher – könnte man so sagen – soziale Brennpunkte. Das ist glaube ich auch in Berlin, wenn man es jetzt nur lokal sieht, verschiebt es sich sicher in den nächsten fünf bis zehn Jahren aus der Innenstadt raus und dann muss man eben kucken, wo eben etwas entsteht. Aber ich glaube, um deine Frage abschließend zu beantworten, dass es Street Art-mäßig weniger werden wird, es wird so vor sich hinplätschern. Glaube ich. Aber du, wer weiß. Mich würde noch interessieren, wie das bei Leuten ist, die illegal malen – du hast ja früher auch illegal gemalt – was ist da die Hauptmotivation? Da gibt’s sicher so zwei Unterschiede. In Graffiti gehen die Leute nicht raus und sprühen eine Message an die Wand, um irgendwie die Leute aufzuwecken. Vielleicht ein klitzekleines bisschen macht man es deswegen, aber eigentlich macht man's für die eigene Szene. Bei Street Art, bei der Masse der Menschen ist es ähnlich, man macht's einfach, weil es cool ist und ein bisschen Abenteuer und ein bisschen Adrenalinkick. Aber bei den wirklichen Street Art-Künstlern, den wirklich großen, die machen das, weil

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sie wirklich was zu sagen haben. Die wollen was sagen, die sehen einen geilen Ort und sagen: hier muss die und die Message ran. Bei Graffiti ist die Annäherung, sprich in der Nacht rauszugehen und sich an Orten zu bewegen, wo man sich eigentlich nicht zu bewegen hat, ist natürlich auch eine Annäherung an einen Extremzustand, den man so im Leben nicht hat. Wenn ich jetzt so arbeite, wie ich es mache, als Kameramann, da werde ich diese Momente nie haben. Es mag sicherlich sein, da habe ich mich auch schon mit anderen unterhalten, dass das ist wie in Fight Club. Da kann man ja halten was man will von diesem Film, der greift aber auch was Ähnliches auf. Da gibt’s einen Spruch wo er vor diesen Typen steht und sagt: wir sind eigentlich alle weichgespült, wir wollen wieder an unsere Grenzen gehen, wir wollen wieder das Tier rauslassen. Ok, er sagt jetzt hauen wir uns alle schön auf die Fresse und dann sind wir wieder Männer. Was steckt aber eigentlich dahinter? Dieses an die Grenzen gehen steckt natürlich in uns drin, im Mensch selbst, in unserer Natur, in unseren Genen. Aber so diese Grenzerfahrung, wie auch immer die jetzt aussehen mag, körperlich oder geistig, die sind nicht mehr so da heutzutage. Und ich glaube, dass so Extremsportler oder Künstler einfach noch viel stärker diesen Drang haben oder dieser Drang hat nicht so viele Widerstände in sich, die sind da nicht so blockiert, sodass dieser Drang sehr stark verspürt wird und ihm willig nachgegeben wird. Dieser Drang danach, an neue Grenzen zu stoßen, etwas zu erforschen. Ob es jetzt der eigene Körper ist, wenn man irgendwie Bergsteigen geht oder Marathon läuft oder eben sich künstlerisch, eben nur geistig, gar nicht mal jetzt unbedingt illegal oder im besten Fall noch Graffiti, wo man sehr körperlich betont arbeitet. Man muss planen, man muss organisieren, man muss sozusagen wirklich intensiv arbeiten. Diese Erfahrung ist sehr intensiv. Wenn man das ein paar Mal gemacht hat, da nachts rauszugehen, da hat man einen ganz anderen Eindruck, irgendwohin zu gehen, wo man weiß, es ist nicht legal, dann kommt das Adrenalin dazu, auch dieses schnelle Malen, dieses schnelle Arbeiten. Egal ob jetzt Street Art oder Graffiti. Dieses „jetzt auf diesen Punkt funktionieren“. Das ist eine Sache, die man auch so selten macht. Wenn ich jetzt Kameramann bin, dann muss ich auch funktionieren, da kann ich auch nicht sagen: Ach, ein Fehler, scheißegal. Aber so dieses jetzt auf den Punkt in diesem Moment, da muss es funktionieren, weil du hast nicht viel Zeit. Da entsteht einfach in dir was, neben dem Adrenalinschub, so eine Art „Jetzt-in-diesem-Moment-Sein“. Alles andere kannst du dann ausblenden. Das ist für mich, jetzt so im Nachhinein, da habe ich das analysiert, das war aber schon immer da, ist wahrscheinlich bei vielen anderen auch so ist. Dass du dich in einen Zustand begibst, in dem du dein Handeln, was du jetzt machst: Ich ziehe einen Style vor, fülle aus, hast ne halbe Stunde Zeit. In dieser halben Stunde denke ich an nichts anderes. Dann bin ich nur jetzt mit dieser Tätigkeit beschäftigt. Ich habe noch nicht mal Zeit mich daran zu erfreuen. Was ist der Unterschied zwischen dem, dass ich jetzt mit dir spreche oder irgendwie in fünf Stunden, dass ich woanders hingehe. Ich würde mal soweit gehen zu sagen, dass alles was wir sonst in unserem Leben so machen, dass wir da immer Entscheidungen treffen und das abhängig machen von Fragen wie: Was erhoffe ich mir davon, was wünsche ich mir, und so weiter. Sprich, ich gehe in die Zukunft und irgendwo in der Zukunft soll irgendwas sein und danach treffe ich jetzt die Entscheidung. Oder irgendwie so: Damals in der Vergangenheit war es so und so, das ist nicht gut gelaufen, deshalb mache ich das jetzt mal anders. Aber alle Entscheidungen, die wir treffen spiegeln wir, reflektieren wir immer mit der Vergangenheit und mit der Zukunft. Irgendwas ist ja immer da. Du triffst ja nicht einfach so wie irgendein vollkommener Buddhist aus dem Jetzt heraus die Entscheidung. Wenn du aber malst oder bergsteigen

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gehst oder irgendwas anderes, wo du an deine Grenzen gehen musst, um dein Ziel zu erreichen: da hast du keine Zeit, sondern du tauchst da in etwas ein, wo du nur für dieses Jetzt funktionierst und auch nur für dieses Jetzt lebst, das ist sehr befreiend. Du musst dich dann nicht von anderen Entscheidungen abhängig machen. Klar, du gehst los, weil du dann am nächsten Tag dein Piece sehen willst. Aber im Moment wo du's malst, denkst du da nicht dran. Also wie ein Flow-Erlebnis, man ist nur im Hier und Jetzt? Richtig. Und das kann schon zu einer Sucht werden. Weil das sind Momente voll von – das kann ich sagen, weil ich's ja doch schon eine zeitlang mache – wo alles dann irgendwann, man selbst dann eins wird mit seiner Arbeit und mit dem Ort, wo dann auch die Grenzen verfließen. Funktioniert das nur, wenn du draußen malst, also wenn du mit Konsequenzen rechnen musst? Nicht unbedingt. Also ich glaube, wenn man wirklich ein Künstler ist, der sehr intensiv arbeitet und sein Thema sehr ernst nimmt, oder ein Schriftsteller, Regisseur, jeder der sehr intensiv an seinen kreativen Ideen arbeitet, dann hat man genau die selben Erfahrungen. Das ist eine Sache, wo man dann, wenn man fertig ist und zurückblickt sagt: dieser intensive Moment hat jetzt dieses Resultat. Da kann man sich schon freuen und da kann das schon zu einer Sucht werden. Alles andere, alle anderen Momente im Leben haben dann einfach nicht die gleiche Wertigkeit. Und das ist sicherlich eine Sache, die man sich als junger Sprüher, wo man rausgeht und nur ans Adrenalin denkt und ans Abenteuer, ist man sich dem glaube ich nicht so bewusst. Ich glaube aber trotzdem, dass es da schon eine Rolle spielt. Macht man es also deswegen? Nicht nur deswegen, aber ich glaube dieses Suchtpotential ist schon da. Natürlich liegt auch ein Suchtpotential darin, so nach den ersten Erfolgen, wenn man seine Styles sieht und Anerkennung kriegt, und die Leute über einen sprechen, das fühlt sich natürlich gut an. Also auch die Anerkennung ist wichtig. Gehst du dann auch an den Ort zurück, um dir dein Werk bei Tag anzusehen und zu erleben, wie die Leute darauf reagieren? Jein. Weil man malt ja Graffiti nicht, um den Leuten zu gefallen. Und wenn du Street Art machst? Ich weiß nicht, wie die Leute das machen. Tendenziell, wenn ich mir die Arbeiten so ankucke, werden sie das wohl genauso wenig machen, wie Graffiti-Sprüher. Selbst bei so größeren Arbeiten glaube ich das auch nicht. Es mag vereinzelte geben, die mal kucken, die das interessiert: Funktioniert jetzt meine Arbeit? Aber ich nehme mir jetzt mal raus, doch auch für die Masse zu sprechen: ich glaube nicht, dass sie zurück kehren und das beobachten. Weil sie einfach, also bei Street Art

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Künstlern, darauf vertrauen, dass das was sie irgendwie mal ausgedacht haben, geplant haben und realisiert haben, dass das auch funktioniert. Das ist sicherlich auch etwas, was eine Gemeinsamkeit zwischen Graffiti und Street Art ist: man setzt sich was in den Kopf, findet eine Berechtigung dafür, für das was man da machen will und dann macht man es einfach. Egal was danach kommt. Das hat man vorher eigentlich schon durchgespielt. Gibt es auch Leute, die ihre Werke auch einfach anonym an der Straße anbringen? Die es nicht machen, um Fame zu kriegen? Ja mag es sicherlich auch geben. Aber das ist dann schon sehr nobel, kann man fast sagen. Das ist eher sehr selten. Ich glaube oder ich bin eigentlich fest davon überzeugt, dass ich, wenn ich mich mal mit irgendeinem Kunsthistoriker oder Psychologen zusammensetzen würde, ich glaube im schlimmsten Falle, wenn man alles mal so runterbricht und sich fragt: Warum macht man das? Dann würde man auf ganz – und das meine ich nicht negativ – primitive Gründe kommen. Das ist alles gar nicht so brillant und toll, wie man denken mag. Das sind ganz simple Urängste oder Hoffnungen, die sich eben in unserer Gesellschaft jetzt so ausdrücken. Vor 5.000 Jahren hat man das eben anders ausgedrückt. Logisch, der Mensch ist kein Tier, er hat eine Kreativität und Vorstellungskraft, deshalb drückt sich das anders aus. Aber ich glaube, das ist immer alles gekoppelt mit der Gesellschaft, wo wächst man auf, wie wächst man auf, was für einen Input hat man. Dementsprechend gibt man auch den Output. Aber ich glaube so die ureigensten Beweggründe sind total einfach, die sind überhaupt nicht so grandios. Ich glaube schon, dass es dann doch ziemlich ernüchternd sein kann. Man will's zum Beispiel den anderen nur zeigen, weil man sich fortpflanzen will oder sowas. Warum will ich jetzt die tollen Klamotten haben? In der Summe sind es wohl eine Handvoll von Grundinstinkten. Ich habe mich mal mit einem Kunsthistoriker unterhalten, das war ziemlich aufschlussreich das Gespräch. Da hat er mal ein bisschen angefangen so zu erzählen, wie denn so eigentlich der Werdegang der Signatur eines Künstlers von statten ging. Wann sind denn so die ersten Signaturen unter einer künstlerischen Arbeit hervorgegangen. Das interessante ist, dass die ersten wirklich künstlerischen Arbeiten eigentlich architektonische Arbeiten waren. Wo man gesagt hat, da hat man sich schon Gedanken gemacht. Das war nicht nur eine Zweckaktivität oder ein Zweckbau, sondern da geht es jetzt über den Zweck, über das Handwerk hinaus. Die ersten Signaturen kamen wie man sich vielleicht denken kann im alten Griechenland. Im römischen Reich zum Teil auch. Und da ist dann wiederum interessant, was wurde da gemalt. Bis zu Alfred Dürer, um jetzt mal einen ganz großen Schritt zu machen, wurden eigentlich nur Sachen gemalt, die an einen bestimmten Zweck gebunden waren, haben eben dargestellt was zum Beispiel passiert ist. Sie mussten einer Sache dienen und das war ja meistens die Religion. Und das hat sich eigentlich über das ganze Mittelalter hingezogen bis Dürer kam, mit seinem Hasen. Im Grunde genommen kann man sagen: Je freier das Denken, je freier die Gesellschaft, desto freier auch die Spielräume für Künstler. Dementsprechend sind die Zwänge auch nicht so groß, ihre Techniken einem Sinn zu opfern und der Elite und der Macht. Im tiefsten Mittelalter wurden einfach nur Kirchen gemalt zum Beispiel. Dürer war ja dann so der Erste, der in Italien angefangen hat, Sachen zu malen, die ihm

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gefallen. Oder Leonardo da Vinci. Die Auftraggeber waren im 16. Jahrhundert dann nicht mehr so wichtig. Demenstprechend ist die Signatur auch immer wichtiger geworden. Weil du ja als Künstler nicht mehr nur durch deine Technik brillierst, sondern jetzt steht der Künstler ja auch für einen Inhalt. Die Signatur nach Dürer ist viel stärker auch mit dem Inhalt verbunden. Diese Abkopplung von der reinen Technik hin zu einem Individuum, was sich selbst ausdrücken will. Bei Graffiti zählt dann nur noch der Name. Der Name ist der eigentliche Inhalt. So in den 60er, 70ern in New York, den USA der kapitalistischen Weltmacht, da zählst nur du. Da bist du als Individuum Zentrum deiner Welt. Da geht es um kein größeres Konzept wie Religion oder Ideale. Deshalb konnte sowas wie Graffiti auch nur entstehen.

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Anonym, Berlin, ca. 30 Jahre November 2012, ca. 1 Stunde Der Interviewte ist Mitglied einer bekannten und erfolgreichen Crew bzw. Künstlergruppe aus Berlin, die verschiedene kommerzielle Aufträge – auch für große Firmen - übernimmt und bereits in Galerien in New York, Berlin, etc. ausstellte. Er hat im Jahr 1995 als Graffitisprayer begonnen, hat sich im Laufe der Zeit stilistisch stark weiter entwickelt. Er und seine Crew können seit einiger Zeit von der Kunst leben. Er wohnt in Berlin. Meine erste Frage ist, wie du zu Graffiti bzw. Street Art gekommen bist? Ich spreche jetzt auch immer ein bisschen für meine Künstlergruppe. Wir sind alle aus einem Graffiti-Background und das macht man einfach aus so einem jugendlichen Spaß heraus. Also da gibt es jetzt keine Institution oder so. Das fängt hinter dem Haus an und man trifft sich an den Wänden und bildet Crews. Man entwickelt sich dann künstlerisch weiter durch so ein Medium wie Graffiti. Das war auch mein Einstieg ins Malen, ich habe vorher auch nicht gemalt. Kanntest du jemanden, der schon gesprayt hat und der hat dir das dann gezeigt? Genau. Meine Brüder haben viel sowas gezeichnet, aber nie richtig gesprüht. Und Freunde von mir, die haben angefangen zu sprühen und ich fand das cool und wollte das auch machen. War das in Berlin? Das war in Halle an der Saale. Fünf von uns sind aus Halle und einer ist aus Berlin. Der kam dann später erst dazu. Wann hast du ungefähr angefangen? 1995 mit Graffiti. Hast du damals schon bzw. im Laufe der Zeit dann schon einen Auftrag bekommen? Das kam damals schon auf, Moment ich frage mal kurz in die Runde: Wann hatten wir unseren ersten Auftrag? [es wird kurz drüber diskutiert] Das war 1997, das war so der erste große Auftrag, den wir hatten. Das bedeutet: Es gab so eine Bowlingbahn und ein Fitnessstudio und die brauchten für das Treppenhaus so riesengroße Images und die haben wir da reingesprüht. Wie sind die auf euch gekommen? Die sind auf uns gekommen, weil wir glaube ich... wie war das? [Frage in die Runde]

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Ich weiß es nicht mehr. Dass war wohl vielleicht Mundpropaganda oder? Ja, wir hatten keine Homepage, keine Ahnung das war bestimmt Mundpropaganda. Hast du seit deinen Anfängen 1995 eine Veränderung in der Szene bemerkt, vor allem im Hinblick auf Kommerzialisierung? Also ich habe auf jeden Fall bemerkt, dass Graffiti populär wurde. Poplulärer. Als ich angefangen haben 95 war das für mich populär, aber nicht für eine große, breite Masse. Und mittlerweile ist es ja extrem populär, viel mehr als es früher eben war. Und die weiteren Entwicklungsstufen, also Street Art und das was wir jetzt machen, was ich jetzt mal Post-Street Art nenne, das ist auch ein extremer Hype geworden, irgendwann so zwischen 2002 und heute. Was glaubst du warum? Meiner Meinung nach musste das erstmal so erkannt werden als Jugendkultur, also dass man sich damit einfach ausdrücken kann. Da gab's einfach in Berlin zum Beispiel, soweit ich das jetzt beurteilen kann, eine große Szene, die einen extrem großen Output hatte. Da wurden ganz viele Plakate verklebt und Schablonen gesprüht. Das hat natürlich viele Nachahmer angezogen und die überschaubare Szene ist jetzt mittlerweile ziemlich breit und ziemlich groß. Wobei ich jetzt natürlich auch so vom Stil her das einschränken würde und sagen würde: Mir gefällt jetzt nicht alles, was Street Art heißt. Mir gefallen eigentlich wenige Sachen. Die Arbeiten von welchem Künstler gefallen dir zum Beispiel? Und warum? Brad Downey zum Beispiel. Weil Brad Downey besonders diesem Anspruch Street Art gerecht wird, weil er einfach die Situation Stadt oder öffentlicher Raum aufgreift und damit spielt. Und das intensiver als jemand, der sich darauf beschränkt ein Plakat irgendwo hinzukleben oder einen Character irgendwo hinzumalen. Ist es dann die Message, die dich bei seinen Arbeiten anspricht? Die Message, aber oft sind die Bedeutungen auch offen gelassen. Das ist dann so eine Deutungsfrage, das finde ich auch spannend an ihm, dass er eher so eine Art Performance macht oder Installation und die eigentliche Message hängt eigentlich von jedem selber ab. Er gibt das nicht so plakativ vor. Das ist jetzt nicht so mein Geschmack. Anderen wiederum gefällt es wahrscheinlich mehr, was jetzt zum Beispiel Banksy macht. Der ist ja auch nicht schlecht, aber der hat ja oft sehr eindeutige Aussagen in dem was er da so zeigt. Er kritisiert dann zum Beispiel McDonald's, was man eindeutig rauslesen kann. Das ist ja sehr unterschiedlich, wie Street Artists sich darstellen, ich bin da wie gesagt ein Freund von Deutungsfreiheit. Ist das dann auch bei euren Werken wichtig?

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Meinst du jetzt im Bereich Street Art? Weil wir machen ja verschiedene Sachen. Vielleicht um das grundsätzlich mal zu klären: Wir kommen aus dieser Street Art Szene, haben uns aber weiterentwickelt und arbeiten jetzt auf legalem Wege viel mehr als auf illegalem. Das heißt wir machen Aufträge, machen aber auch sehr viel freie Projekte, wir machen Ausstellungen. Und bei diesen Ausstellungen, da ist es ja auch nicht so, dass wir zwingend sagen würden: Das ist Street Art. Man spürt, dass wir daher kommen, weil wir uns stilistisch daran anlehnen, aber wir bezeichnen das dann nicht mehr als Street Art. Ihr macht das aber hauptberuflich oder? Ja, genau. Wir leben davon. Und nach welchen Kriterien wählt ihr die Aufträge aus, die ihr annehmt? Kriterien sind, erstens natürlich, dass es nicht gewaltverherrlichend oder sexistisch ist ...oder eben Dinge, die mit unserer Moral nicht übereinstimmen. Wir haben allerdings auch schon für Coca Cola gearbeitet. Da gab's auf jeden Fall schon so eine Schwelle, die wir überschritten haben, weil wir gesagt haben: Ok, die Bezahlung ist gut, das was wir da malen sollten, also der Auftrag ist spannend. Das was dann an künstlerischem Produkt rauskommt ist interessant. Und man wird ordentlich bezahlt dafür und es gibt genug Freiraum, selbst sein Artwork zu prägen, es ist nicht alles vorgegeben. Das sind so Dinge, die glaube ich, wichtig sind. Also auch die Freiheit ist wichtig. Wenn jemand sagen würde: genau dieses Motiv sollt ihr malen, ist es dann für euch nicht mehr interessant? Nee, das passiert glücklicherweise auch selten. Weil wir uns als Künstler und Designer-Kollektiv bezeichnen und uns auch so präsentieren. Alles was man bei uns sehen kann ist poppig genug, damit die Auftraggeber, die wir haben, auch dieses Vertrauen haben und sagen: Ok, wir wollen euch als Künstler engagieren, geht bitte einfach mit eurem Stil auf unsere Philosophie ein. Sowas kann eine Vorgabe sein. Oder dass man sich vielleicht sogar innerhalb eines Farbspektrums aufhält oder dass man halt das Thema Kommunikation behandelt, wenn es um die Telekom geht oder so. Als ihr den Auftrag für Coca Cola gemacht habt, konntet ihr euch dann mit dem Kunstwerk, das herauskam identifizieren? Da konnten wir uns noch mit identifizieren, wir konnten sagen, das ist ein cooles Artwork. Aber es ist auf jeden Fall so, dass wir uns in Galerien anders präsentieren. Wir würden das jetzt nicht als total freies Artwork hinstellen oder bezeichnen. Es ist ein Artwork, das innerhalb der Rahmen, die wir hatten, ziemlich frei ist. Ihr habt euch ja auch bei Adidas bei einer Kampagne mitgemacht. Da gibt es auch ein Video auf Youtube, das habe ich mir angekuckt. Ich weiß nicht, ob ihr das selbst auch gesehen habt, aber da waren ein paar nicht besonders nette Kommentare drunter, wie zum Beispiel „Medienopfer“. Was sagt ihr dazu?

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Es ist auf jeden Fall in dem Moment, wo wir als Personen zu sehen sind, da ist es auf jeden Fall für uns schwierig. Das würden wir am liebsten gar nicht machen. Das war in dem Fall Teil der Auflage. Aber wir hätten kein Interesse sowas ständig zu machen. Wir haben's aber gemacht, aber diese Richtung finden wir nicht besonders anstrebenswert. Allerdings ist es halt ein Projekt, wo wir insgesamt sagen würden: Das können wir noch mit unserem Gewissen vereinbaren, weil einfach das Produkt, das rauskam, mit dem wir uns präsentieren, frei genug ist. Also in dem Fall ist da eine Häuserwand entstanden, das ist vom Stil her eigentlich das, was wir sonst auch machen. Ziemlich nahe dran an dem, was wir auch in Galerien zeigen. Oder was wir als Kunst bezeichnen oder als freieres Design. Da gab's einen Kampagnennamen, der ist eingebunden, aber alles in unserem Stil, mit unserer Schrift. Für jemanden, der jetzt nicht – sagen wir mal: für den normalen Bürger, wie meine Mutter oder Oma oder jemand, der jetzt nicht besonders werbekritisch ist – der wird nicht an dem Bild vorbeilaufen und denken: ach das ist eine Adidas-Werbung. Also das ist so unterschwellige Werbung, die vielleicht für viele einen Nutzen hat: für uns, weil wir eine Chance hatten, so eine coole Wand zu malen; für Adidas, die sich damit präsentieren und mit dem Image; und für den Anwohner, der da an der ehemals grauen Wand vorbeiläuft und sagt: Sieht ja irgendwie cool aus. Hat euch das auch etwas gebracht im Hinblick auf Werbung? Ich könnte mir vorstellen, dass viele Leute auf euch aufmerksam geworden sind durch die Kampagne. Bis jetzt würde ich sagen, dass es nur leicht spürbar ist. Aber das kommt meistens zeitversetzt. Also man kann schon sagen, wenn man sich medial groß präsentiert, dann gibt’s irgendwo so eine Art Echo und man wird schon eher wieder angefragt. Kann natürlich auch sein, dass – wenn man sich zu stark mit einer Marke präsentiert, dass es dann im Nachhall eher heißt: Die haben ja jetzt schon so viel gemacht mit anderen Marken, jetzt fragen wir dann lieber andere Künstler. War das dann auch der Grund warum ihr mitgemacht habt? Ging es darum, euch bekannter zu machen? Man muss jetzt unterscheiden: Die Kampagne hat den Inhalt, dass man sich praktisch da beteiligen soll als coolste, beste Crew und man hat die Chance auf den Gewinn, dass man da eben diese besondere Crew wird. Wir wurden speziell angefragt auf die Kampagne erstmal hinzuweisen, mit einer coolen Aktion. Also für uns war es ein Job, wir wurden bezahlt dafür, damit diese Kampagne andere anspricht. Wir selber hätten da nicht teilgenommen als Crew, weil wir einfach unseren derzeitigen Präsentationsbedarf nicht bei Adidas suchen, sondern wir würden das eben lieber über eine Ausstellung machen bzw. über freie Projekte. Also so Gewinnspielideen bringen uns gerade nichts. Es kann sein, dass es manchen Leuten was bringt, die da mitmachen, wir hätten uns jetzt persönlich dagegen entschieden, bei so einer Anfrage. Aber wir weisen trotzdem darauf hin, weil es eben vielleicht für andere interessant ist. Wir sind auch Künstler und es gibt ja Musiker oder Skatercrews, die sind auch nicht so empfindlich drauf, was Adidas oder kommerzielle Marken angeht, die haben das noch mehr in ihrem Lebensstil verankert und für die ist das eben irgendwie weniger schwierig.

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Ist dann eure Hauptmotivation, euren Stil weiter beibehalten zu können und trotzdem damit Geld zu verdienen? Also erstens das. Wir können sozusagen unser Schaffen überhaupt finanzieren, wir können es nicht durch Galerieverkäufe oder Förderprogramme finanzieren, deshalb machen wir das über kommerzielle Jobs oder Aufträge, nenne ich's jetzt mal. Und wir finden das auch nicht verwerflich, sondern eher spannend, dass man Kunsthandwerk in kommerzieller Funktion benutzt. Denn ich finde, wenn es gut gemacht ist, bringt's dieser Welt, die ja auch voller Werbung ist irgendwie so ein bisschen diesen Handmade-Charme zurück, den wir vertreten und auch Authentizität, die ich oft vermisse. Und was ich auch denke ist, dass wir halt als Vertreter dieser ehemals kulturellen Bewegung Street Art die Chance eben nutzen, dass wir persönlich gefragt werden, diese Ausdrucksform, diese Ästhetik eines Stils zu prägen und somit auch die Verantwortung übernehmen können, wie das dann eben gemacht ist. Wie sieht diese Kunst aus, ich sage jetzt mal: Werbekunst und mit welchem Vokabular kommuniziert man das und zu welchem Preis kauft man überhaupt diese Kultur ein. Weil wenn wir das jetzt nicht machen, dann imitiert das irgendeine Agentur, die überhaupt nicht aus dieser Bewegung stammt, die überhaupt nicht den Anspruch an Authentizität hat und an Handgemachten und die auch nicht die Grenzen erkennen vielleicht, ob man zum Beispiel ein Adidaslogo in das Bild integriert oder nicht. Das sind eben so Dinge, für die wir uns einsetzen. Bei diesem aktuellen Job haben wir das ja auch gemacht, da gab es mehrere Vorschläge natürlich von der Marketingabteilung, dass man da noch ein Adidaslogo integrieren soll oder andere Hinweise auf die Marke. Und da haben wir eben gesagt: Nee, das funktioniert nicht so. Also nicht mit uns. Und auch nicht in dem Viertel in Kreuzberg, das ist auch nicht förderlich für die Marke. Und diese Grenzen, die ziehen WIR, aber die zieht jetzt nicht eine Agentur, die einfach nur darauf aus ist, Kundenwünsche umzusetzen und am Ende Geld zu verdienen. Wir versuchen natürlich auch, dadurch dass wir damit Geld verdienen, neue künstlerische Ergebnisse zu generieren und geben diesen Input der eigentlichen Szene wieder, weil wir ja Ausstellungen machen. Sprich: in diesem Jahr haben wir ja mehrere Ausstellungen gemacht, in New York, in Paris, in Berlin mehrere Häuserfassaden gemalt. Das alles wäre eben nicht möglich, wenn wir noch nebenbei in einer Bar stehen müssten oder andere Jobs machen müssten, die uns 100-prozentig einnehmen. Wir verbinden das Hobby mit dem Beruf. Wobei Kunst auch schnell kritisch betrachtet werden kann, aber wir versuchen halt das Beste irgendwie und nach bestem Gewissen trotzdem zu handeln. Wie haben sich diese Ausstellungen ergeben in New York und so weiter? Eigeninitiative. Teilweise Eigeninitiative, teilweise wurden wir angefragt. Aus Paris wurden wir angefragt für eine Ausstellung. Und in New York haben wir uns selbst entschieden, dahin zu fahren. Da haben wir uns dann eine Galerie gesucht im Vorfeld und dann haben wir das organisiert. Wie lange war dann so die Vorlaufzeit, bis es dann wirklich geklappt hat? Ich würde mal sagen ein halbes Jahr. Relativ kurzfristig eigentlich. Ich sag mal vom Flug

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buchen, bis zur Ausstellung ist ungefähr ein halbes Jahr vergangen. Der große Energieaufwand Galerien zu finden, der begann ein bisschen später. Und wie läuft das dann so ab, geht man da mit einem Portfolio hin? Es gibt schon auch andere Künstler, die wir kennen, die in dieser Galerie ausgestellt haben. Oder die Leute kennen in New York und über die haben wir dann eigentlich so ein bisschen Kontakte bekommen, die dann dazu geführt haben, eine Galerie zu finden. Aber normalerweise Galerien anzusprechen, das funktioniert wohl nicht so einfach. Wenn man zum Beispiel eine sehr renommierte Galerie in Chelsea erreichen möchte, dann ist es wahrscheinlich andersrum besser. Also wenn die einen anfragen und nicht wir sie. Wenn euch schon jemand aus Paris angefragt hat, dann heißt das ja eigentlich, dass ihr schon sehr etabliert seid, in der Kunstszene oder? Es ist so eine Szene, ja. Kunstszene ist ein Begriff, der ist ja so riesig und umfangreich. Aber in unseren speziellen Kunstszene, da sind wir auf jeden Fall ein Begriff. Wie habt ihr das geschafft? Dadurch, dass wir eigentlich schon lange unter diesem Namen arbeiten und in Magazinen, Büchern, Blogs und auch Fernsehberichten schon erwähnt wurden. Auch auf Facebook. Also alle üblichen Kanäle eben, die sich eben mit dem Thema beschäftigen. Kannst du die Kritik verstehen, die von manchen Leuten in der Szene kommt, so in Richtung Sell-Out? Ja. Ich würde auch sagen, es ist völlig verständlich, dass man sagt, dass Werbung generell schlecht ist. Und auch erst recht, wenn man jetzt mit authentischen Styles arbeitet. Weil man damit ja sehr intelligent an die Zielgruppe rangeht. Ich kann auch verstehen, dass die Szene da nicht besonders, also ich weiß jetzt nicht, ob man da davon ausgehen kann... unsere direkten Szenekontakte haben uns bisher nicht kritisiert dafür, aber es gibt natürlich Kritik, das sind dann – darum sage ich's jetzt mal – also wenn sich die Szene dabei nicht gut fühlt, wenn so eine Formsprache benutzt, die und das muss man ja sagen: einfach schon Mainstream geworden ist, die wirklich in der Werbung angekommen ist. Das kann ich alles verstehen. Aber wir haben da einen ganz anderen Ansatz. Für uns stellt sich gar nicht die Frage, ob man die Werbung aufhalten kann, denn es passiert sowieso. Wir finden es eher einen ganz großen Unterschied, wie man diesen Wandel gestaltet. Also dass die Kulturen aufgegriffen werden. Also: Verheizt man einfach nur billig seine Szene oder findet man intelligentere Lösungen, die sich im Nachhinein gar nicht so als Mega-Sell-Out anfühlen. Also ihr seid auch ein bisschen in einer Mission unterwegs und versucht das Beste aus der Situation zu machen. Richtig. Denn Werbung ist eigentlich auch nur ein Spiegel unserer Gesellschaft und

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zeigt das, was wir alle interessant finden: Modetrends, Sport, Kunst, Street Art, zeitgenössische Kunst. Es wird alles aufgegriffen und verarbeitet. Das ist für mich eigentlich ein ganz natürliches Phänomen und man sollte das auch nicht verbieten. Das ist die Demokratie, das ist einfach nur natürlich. Es ist eigentlich nur die Frage: Wie bedient sie sich? Also so grundsätzlich kann ich die Kritik immer verstehen, aber es ist immer die Frage, warum gibt es da Kritik. Darüber rede ich gerne. Für uns zählt natürlich auch am Ende, was wir diesem ganzen Broterwerb entgegensetzen und was wir an freien Arbeiten danach produzieren können. Nachdem wir uns erstmal durch Jobs finanziell am Laufen halten. Hast du Zeit, dass du privat auch etwas malst? Ja! Muss! Für die persönliche Weiterentwicklung ist das wichtig. Unterscheidest du dich in dem was du hauptberuflich malst? Im Stil vielleicht oder auch im Material? Teilweise gibt es Grenzen im Material. Wir arbeiten zum Beispiel oft mit Kreide. Das haben wir uns vorbehalten für die Arbeit in freien Projekten. Da wollen wir nichts werbemäßiges damit machen. Teilweise gibt es auch viele Materialen, die ich auch im angewandten verwende. Stilistisch unterscheidet sich das nicht komplett, aber natürlich ist man, wenn man jetzt freie Arbeiten macht, viel zukunftsorientierter und versucht mal was Neues zu machen, was weniger dekorativ sein muss, weniger schick sein muss und sich weniger gut anfühlen muss. Das kann auch mal provozieren, weh tun. Soll ja nicht nur schön sein. Ist das vielleicht auch so ein Kritikpunkt, den du hast, dass die Street Art, die man jetzt häufig sieht, einfach nur „schön“ ist? Ja, das ist wirklich so. Auch im freien Street Art, also in der Street Art Szene ganz niedliche Character finde, die mich persönlich jetzt nicht ansprechen. Ich finde es gut, dass diese Szene überhaupt existiert und dass so viele das machen, es soll auch jeder irgendwie das machen dürfen ohne dass man sagt: Nee du musst erst eine gewisse Qualitätsstufe erreichen. Deshalb sieht man eben von naiv, kindlich bis intelligent, provokant alles. Aber oft sehe ich das auch so als kitschig an, was ich gerade so gesehen habe in den letzten Jahren. Und nicht nur in der Werbung, sondern auch da wo man eigentlich keinen Grenzen unterliegt. Es sind also weniger Inhalte und mehr „schickes Design“ auch auf der Straße? Ja, also oft fehlt mir auch der Inhalt oder es sind Leute, die sich ein Thema setzen, zum Beispiel Markenkritik oder überhaupt Kritik an Werbung und die dann Adbusting machen oder so. Und oft dann nur plakativ dagegen sind ohne sich da vielleicht ein bisschen intelligenter damit auseinanderzusetzen. Also das gibt es auch. Entweder es ist sehr gut gemacht oder es ist kitschig, also es fehlt an Inhalt oder es ist gegen irgendwas, aber auch irgendwie zu plakativ dagegen. Da fehlt mir einfach oft die Kreativität dieses „Dagegen-Sein“ lustiger oder interessanter oder eben nicht so „depressiv-punkig“ rüberzubringen. Weißt du was ich meine? So einfach gegen Kommerz ohne zu

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reflektieren. Wenn sie in der gleichen Situation wären wie ihr, vielleicht würden es manche dann genauso machen? Ja, die Fälle gibt’s ja. Die sind dagegen, OBWOHL sie so handeln wie wir. Also parallel auch genau das machen, was sie kritisieren. Das ist dann auch sehr schwierig. Ist es eigentlich schwierig, sich in Berlin als Künstler zu etablieren? Die Konkurrenz ist ja sehr hoch. Konkurrenz belebt das Geschäft. Auf freier Basis ist es ja eher förderlich, wenn es ganz viele Künstler gibt, die sich beteiligen am Stadtbild. Da passiert viel, das motiviert einen, das inspiriert einen. Auf der kommerziellen Ebene würde ich mal sagen, reden wir nicht mehr von Street Artists, sondern von Illustratoren oder Gestaltern. Davon gibt’s auch viele in Berlin. Und da haben wir aber in unserem Umfeld nicht so das Konkurrenzdenken. Wir kennen uns alle und das ist eher belebend, also so ein Konkurrenzdenken zu haben. Teilweise gab's schon solche Gespräche, dass man so eine Art Stammtisch einführt, um seine Preise zu diskutieren oder Moralvorstellungen. Da hält die Szene eher zusammen, als gegeneinander zu arbeiten. Um dann eben stark zu sein gegenüber den Auftraggebern und den Agenturen, die ja tendenziell kucken: Wo kriege ich denn jetzt einen günstigen Künstler her. Gibt es auch Leute, die die Preise kaputt machen? Es gibt natürlich Künstler, die für sehr wenig Geld Werbung machen. Aber die machen auf lange Sicht natürlich sich selbst kaputt. Weil sie ihrem Image entgegen wirken, weil sie dann ja ganz viele kommerzielle Sachen machen müssen, um überleben zu können. Weil sie zu wenig bei dem einzelnen Auftrag verdienen. Dadurch kommen sie eigentlich nicht raus aus diesem Strudel. Aber uns persönlich lässt das jetzt kalt. Wenn wir jetzt merken, es gibt jetzt nicht genug Budget für eine Anfrage, wo wir sagen: naja für den Preis können wir das nicht machen, das ist zu günstig. Dann stehen wir dann da auch drüber und sagen: das ist eben unsere Grenze. War das auch ein Lernprozess? Ja definitiv. Als Studenten haben wir natürlich weniger verlangt, da mussten wir ja nicht davon leben. Da hat man hier und da mal was gemacht für weniger und dann passt sich das relativ schnell an, weil man ja plötzlich davon leben möchte und den ganzen Tag lang nur noch das Eine macht und dann auch der Erfolg kommt – im besten Falle – dann kann man sich's fast aussuchen. Da merkt man dann schon: ich habe ja nur so und so viel Zeit zur Verfügung, ich kann also gar nicht günstiger arbeiten! Weil sonst müsste ich ja doppelt so viel Zeit aufwenden, die ich gar nicht habe. Irgendwann ist dann auch der Preis des Angebots entscheidend? Richtig.

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Glaubst du es könnte passieren, dass man irgendwann nur noch auf den Preis schaut? Es gibt ja auch Unterschiede. Letztens zum Beispiel ging es um einen Workshop für eine fünfte Klasse, da stand eben nur so und soviel Geld zur Verfügung und wir wurden gefragt, ob wir das machen können. Da entscheidet man natürlich, ob das Projekt auch so interessant ist und das war interessant für uns. Die Organisatoren waren nett und haben auch rübergebracht um was es da geht. Da macht man das auch mal. Oder überhaupt, wenn es um so Charityprojekte geht. Mal hier so ein paar Skateboards bemalen für einen guten Zweck. Oder dass man jemandem was zukommen lässt von Bilderverkäufen. Das macht man halt so nebenbei, wenn man sich's leisten kann. Und wenn man Zeit hat. Aber ihr habt wahrscheinlich wenig Zeit oder? Wir haben auf jeden Fall eine sehr knappe Zeit, aber wir machen es regelmäßig, dass wir für finanzschwache Ideen, die aber spannend sind für umsonst oder für ganz wenig arbeiten. Das nenne wir dann ja auch freie Projekte, weil es geht da ja nicht um den Verkauf von einem Produkt, sondern darum zum Beispiel Aufmerksamkeit zu generieren für einen Verein, der sich für was Cooles einsetzt. Letztens haben wir zum Beispiel eine Fassade bemalt in Halle, da wo wir herkommen. Da ging's eben darum, dass ein Viertel belebt wird, das eben sehr für Drogen und Prostitution stand in der Vergangenheit. Und man hat dort fünfzehn Künstler eingeladen, die jeweils eine Hausfassade bemalen und wir waren eben eine von diesen Künstlergruppen. Das sind Sachen, da will man natürlich kein Geld haben, da ist das ja eher noch von Vorteil, dass die für uns eine Wand organisieren, wir haben eine tolle Referenz, können uns auch engagieren und da will man nicht noch Geld verdienen dabei. Kriegt ihr zu solchen Aktion auch eine positive Rückmeldung? Auf Facebook kann man ja immer sehr gut sehen, was so die Meinungen sind. Da gibt’s eigentlich immer eine sehr positive Stimmung auf unserer Facebook-Seite. Es gibt natürlich auch mal Kritik oder Anmerkungen von wegen, naja ihr repräsentiert hier ja mehr Adidas als euch selbst. Diese Bemerkungen sind natürlich völlig zurecht da und die nehmen wir ernst. Das ist halt eine offene Diskussionsplattform, da kann jeder sagen was er will. Ist es wichtig, dass man in der Branche auch Geschäftsmann ist? Also zuverlässig etc.? Der erste Grund jemanden anzufragen, ist schon sein Stil. Wenn derjenige aber nicht „googlebar“ ist, wie die meisten illegalen Graffiti-Sprayer, dann ist es klar, dass die dann keine Aufträge dafür kriegen. Und wenn diejenigen natürlich nachdem man sie angefragt hat erstmal sieben Tage nicht antworten. Klar, dass dann so eine Agentur, die muss ja den Künstler im Griff haben und wenn der aber immer sieben Tag braucht um

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zu antworten, dann kann die ja den Künstler gar nicht ordentlich vertreten. Dann entsteht ein Problem mit dem Künstler, weil er nicht zuverlässig ist. Das ist ein Erfolgskriterium. Aber nicht das allererste. Das kriegt man erst im zweiten Schritt mit. Also man kann sich schon ein bisschen mundzart machen für die Agenturen, indem man eine Adresse hat, eine Plattform im Web, wo man sich präsentiert und indem man einfach vielleicht auch in der Nähe ist und nicht eingeflogen werden muss von irgendwo her. Kennst du persönlich auch Graffiti-Sprayer, die illegal sprühen aber trotzdem ab und zu an Aufträge kommen oder ist das eigentlich ein Widerspruch? Ich kenne da mehrere Beispiele und die haben halt dann verschiedene Identitäten. Teilweise sehr, ich sage jetzt mal schizophren, meine das aber nicht böse. Das sind dann Leute, die haben zum Beispiel Malerei studiert, malen aber immer noch Züge. Und sind trotzdem in ihren Aufträgen so, da könnten sie dir wahrscheinlich das Abendmal als Ölgemälde darstellen. Das sind sehr clevere Menschen, die ihre verschiedenen Leidenschaften parallel ausleben, was bestimmt nicht einfach ist. Was glaubst du ist da die Hauptmotivation noch illegal zu malen? Das ist eine gute Frage. Speziell Graffiti ist ja weniger akzeptiert als Street Art und auch nicht immer so greifbar. Das sind eben Buchstaben, manchmal erkennt man sie gar nicht. Und es ist so abstrakter. Leute, die Graffiti machen, mögen halt so abstrakte Formspielereien. Und die messen sich natürlich anhand der anderen, die auch so ähnliche Zeitgeist-Ästhetiken haben und dann vergleichen die sich: Das ist mein Stil, das ist dein Stil, cool. Die können sich ganz oft nicht mit Street Art identifizieren, weil so eine gut gemalte Mickey Mouse, einen Character, das gehört nicht mehr zu denen, das ist nicht mehr deren Thema. Das finden sie einfach zu schön oder vielleicht gut gemacht, aber sie lehnen es ab, weil es nicht deren Interesse ist. Aber da kann man sich dann ja nicht mehr damit identifizieren oder? Also wenn man hauptberuflich Street Art macht, das aber privat total ablehnt? Na bei denen, die davon leben, da würde ich schon sagen, dass die Street Art akzeptieren. Ich würde jetzt eher sagen, dass Leute die so straight Graffiti malen oft so einen Stolz haben und sagen: Nee, ich lehne Street Art ab, weil Graffiti ist für mich das einzige, das ist noch so rauh und provokativ. Kennst du auch solche Flow-Erfahrungen? Zum Beispiel wenn man beim illegalen Malen unter Zeitdruck steht und an nichts anderes mehr denkt, als die Gegenwart? Definitiv, ja. Oft ist ja auch etwas interessant, wenn man etwas reduziert. Also in dem Fall dann die Zeit. Dann kommen bestimmte Formen raus. Das ist auf jeden Fall eine Erfahrung und ein Prozess, der interessant ist.

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Interview Holger Weißflog von Innerfields November 2012, Dauer ca. 1 Stunde Holger Weißflog, studierter Dipl. Flächen- und Textildesigner, begann 1996 als Sprayer auf den Straßen Berlins. Zusammen mit zwei Sprayerkollegen gründete er die Künstlergruppe Innerfields in Berlin. Innerfields können seit 2008 von ihrer Kunst leben, insbesondere durch Auftragsarbeiten verschiedener Art, ihre große Liebe gilt aber den Fassadenflächen. Sie stellen auch auf der STROKE urban art fair aus. Wann hast du mit Graffiti angefangen und wie bist du dazu gekommen? 1996 war das. Es war damals so, dass es in Berlin auch ziemlich gekocht hat. Ich persönlich bin dazu gekommen, weil ich habe Freunde gehabt, die haben das gemacht und das hat mich halt extrem angezogen damals. Und warum? Also am Anfang war es weniger das Verbotene, sondern vielmehr das Selbstbestimmte. Also wie soll ich das sagen, es war dieses „Sich-nichts-vorschreiben-lassen“. Das machen, was man machen möchte. Das war eigentlich für mich so der Hauptantrieb. Wobei ich dann sehr schnell – als es dann ernst geworden ist, nach dem ersten Jahr oder so – haben wir uns auch angefangen für die Techniken zu interessieren und dafür, das Medium auszureizen. Das haben wir dann gut vier Jahre gemacht und danach haben die ersten Aufträge angefangen. So 99, also nach drei Jahren ungefähr, bei mir. Seit 99 haben wir dann Aufträge gemalt, immer mehr und... ja waren auch eher so auf den geduldeten Flächen unterwegs, weil man da auch die Zeit hatte, sich technisch weiterzuentwickeln. Wenn man halt nachts irgendwo an der Hauswand steht, dann muss das teilweise sehr schnell gehen. Da kann man nicht großartig überlegen, wie man die Sprühdose noch einsetzen kann. Wie haben sich die ersten Aufträge bei euch ergeben? Das ist halt so, dass die Leute sehen, dass man das gut macht und dass man da eben extremes Herzblut reinsteckt. Und dann fragen halt die ersten Kumpels: kannst mir hier mal was malen oder da mal meinen Namen oder ein Logo machen? Und dann geht sozusagen das virale Marketing los, was wir eigentlich bis heute fahren. Höhrensagen, Weitersagen. Lebt ihr heute dann auch noch von der Mundpropaganda? Nicht nur. Wir haben einen Manager in Kassel, der Street Art Projekte für uns akquiriert, wir haben den Till, den Till Egen, seit letztem Jahr ist er bei uns Manager und wir haben eine Agentur in Hamburg, beepop media AG, das ist eine Social Media Agentur, die uns für Street Art Advertising sozusagen unter Vertrag hat und mit denen wir dann für

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Werbekunden etwas machen. Da machen wir zum Beispiel für Yourfone, da haben wir das Headquater Anfang des Jahres gemalt, und jetzt machen wir die Erweiterungsmalereien im Innenbereich bei Yourfone, diese Woche. Zum Beispiel. Das lief zum Beispiel über die Agentur. Ansonsten: Internet. Ich glaube unser größter Punkt ist einfach, dass wir zuverlässig arbeiten und dass deswegen die Leute immer wieder auf uns zurück kommen. Seit wann könnt ihr das hauptberuflich machen? Seit 2008 machen wir das hauptberuflich. War das eine schwierige Entscheidung? Na bei mir war's so, ich war mit dem Studium fertig und wir haben es immer so nebenher gemacht und pünktlich zum Studienende quasi hat sich die Auftragslage auch so ergeben, dass wir gesagt haben: Hey da kann man ja auch eigentlich davon leben. Da haben wir zum ersten Mal wirklich Geld bekommen, also wir haben immer Geld bekommen, aber wir haben da dann eben so Geld bekommen, dass ich dachte: Ok, jetzt kann man halt auch Miete bezahlen und Essen bezahlen und dann probieren wir's. Ist natürlich auch nicht immer einfach, also die ersten Jahre, inzwischen sind wir auf einem ganz guten Level angekommen und machen uns jetzt nicht mehr sooo viele Sorgen. Was waren die größten Probleme, mit denen ihr zu kämpfen hattet? Naja die größten Probleme sind immer die, wenn man eine Firma aufmacht. Ich sag mal, wir haben relativ – wenn man es jetzt betriebswirtschaftlich betrachtet – es ist bei uns relativ vorteilhaft, dass wir eigentlich keine oder wenig laufende Grundausgaben haben. Also auch keinen Lagerplatz, wir müssen keinen großen Maschinenpark erhalten. Wir müssen wenig in Vorkasse gehen und brauchen eigentlich nur die Materialien. Und auch die Materialien brauchen wir erst dann, wenn die Wand feststeht. Schwierigkeiten waren dann einfach wenn du davon leben willst und du mal zwei Monate lang nichts zu tun hast. Ist das am Anfang schon passiert? Ja, vor allem im Winter. Jetzt, diesen Winter können wir uns... wir wissen gerade gar nicht, wie wir das alles bewältigen sollen. Wir haben jetzt viel Graphik, sitzen jetzt dabei neue Handyhüllen zu machen. Wir machen gerade eine Graphik für eine Kosmetikmarke, also eine Bildsprache. Wir haben ein paar Innenraumsachen am Laufen. Aber es gab halt auch Jahre, wo dann so im Dezember, Januar, Februar (...) das ist halt generell ne schwierige Beschäftigungszeit und für uns auch nochmal schwieriger, weil wir halt keine Fassaden malen können in der Zeit, weil es zu kalt ist und die Farben nicht halten. Und ja wir hatten auch mal eine schwere Zeit am Anfang, auf jeden Fall. Ist ja auch nicht so, dass wir mal ein schönes Bild malen und dann sind wir froh darüber und können davon ein Jahr lang leben. Es ist ja schon so, dass wir jeden Tag aufstehen und ja eigentlich produktiv sind und auch sein müssen.

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Also man hat eigentlich schon fast eine 40 Stunden-Woche, wie ein „normaler“ Arbeitnehmer? Ja, wir stehen jeden Tag auf und setzen uns an die Rechner oder fahren auf 'ne Baustelle oder treffen uns mit Kunden. Der Unterschied ist natürlich, dass wir das mit vollem Herzblut machen und dass wir unser eigenes Ding haben. Und im Endeffekt kann man natürlich sagen, dass wir diese kommerziellen Sachen machen, die sind für uns eigentlich auch das Werkzeug, um dann freie Arbeiten machen zu können. Wir arbeiten also, damit wir arbeiten können. Es gibt für uns auch so eine Trennlinie. Es gibt auf der einen Seite die Aufträge, die wir malen, um Geld zu verdienen, die sind auch häufig cool oder interessant oder auch von der Umsetzung oder Technik interessant. Aber dann gibt es eben die Aufträge, wo wir sagen ok, wir wollen hier auf ein Problem aufmerksam machen. Die freien Arbeiten einfach. Um die machen zu können, da müssen wir ja auch von irgendwas leben. Und da sind wir froh, dass wir nicht im Café stehen müssen, sondern malen können. Nach welchen Kriterien wählt ihr die Aufträge aus, die ihr kommerziell macht? Kommt eigentlich auf die Auftragsanfrage an. Ich sage mal, nicht jeden Auftrag, den wir kommerziell machen, den veröffentlichen wir, da gibt’s halt auch ab und zu mal Aufträge, die wir für Geld machen einfach. Entweder irgendwie zum Beispiel eine gewöhnliche Beschriftung eines Ladens XY, dann ist das nichts was wir uns auf die Fahne schreiben, aber das nehmen wir halt einfach mit. Das ist für uns dann auch ok. Ja, wonach wählen wir das aus? Wenn wir's kommerziell machen, dann müssen wir dafür ja auch Geld bekommen. Also nach dem Preis? Ja, nach dem Preis. Ist es zum Beispiel auch wichtig, was die Firma für Werte vertritt? Ja auch. Aber es ist natürlich schwierig. Weil das ist so ein bisschen eine Doppelmoral, die man in einem kapitalistischen System immer hat. Und die ich auch mit der Kunst im Allgemeinen hab. Weil es gibt ja auch Leute, die uns anfeinden, die sagen: Ihr seid so kommerziell und ihr verkauft euch und so und unterstützt damit auch Audi, der auch ein Konzern ist, der in was weiß ich Waffenhandel verstrickt sein könnte, vielleicht. Für uns ist es aber natürlich so: Audi ermöglicht es uns, dass wir auch freie Arbeiten machen können. Und also ich weiß jetzt nicht, ob ich unbedingt für Monsanto arbeiten würde. Da würde es wahrscheinlich bei mir dann auch aufhören, oder für Nestle. Für mich ist es aber so: die Leute, die Kunst machen oder die Bilder produzieren wo eine Leinwand 10.000 oder 20.000 Euro kostet, das kann sich im Endeffekt auch nur jemand leisten, der auch in einem System arbeitet oder dessen Familie mal in einem System gearbeitet hat, die nicht besonders... ja ich sag mal nachhaltig waren. Man

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müsste ja sagen, einen Job, bei dem man so viel Geld verdient, dass man sich teure Kunst kaufen kann ohne dass man irgendjemanden ausbeutet, den gibt’s ja eigentlich nicht. Weil – meiner Meinung nach – je mehr Geld man mit etwas verdient, desto mehr verdient irgendjemand anders nicht, da wird ja das Geld von irgendjemandem dahin verteilt. Deswegen ist das für mich sowieso alles so ein bisschen voller Doppelmoral. Wenn Richter ein Bild, ein sozialkritisches Bild für irgendwie 115.000 Euro verkauft, dann kauft das entweder natürlich ein Fan einfach nur, aber im Endeffekt kauft es jemand, der übermäßig verdient. Ihr macht euch auf alle Fälle viele Gedanken darüber, wie es scheint. Ja, wir müssen uns damit ja auch beschäftigen, weil wir ja auch häufig angefeindet werden. Wir kommen ja aus dem Berliner Graffiti, wenn wir da Auftragsarbeiten gemacht haben, wurden wir auch ständig angefeindet. Wobei es halt auch oft Neid ist. Ich meine, ich kenne es zum Beispiel von Just, das ist so ein Fotograf, der auch aus dieser Street Art Szene kommt und viel in die Richtung macht. Da kann ich mich halt auch dran erinnern, das war auch einer der immer geschimpft hat: Scheiß kommerziell und „keep it real“ und so. Und dann vor ein paar Jahren mal ein Interview wo er sagt: Ja und ich probiere jetzt auch davon zu leben und habe jetzt auch mal für VW was gemacht, voll cool. Ich meine, im Endeffekt ist das halt, man braucht halt Geldgeber und für uns ist das sozusagen so, wir haben unser Unternehmen und unsere Arbeiten, mit denen wir uns auch gestalterisch entwickeln und benutzen sozusagen das Geld, das wir verdienen und die Zeit, die wir bekommen dadurch, dafür Sachen zu entwickeln, die uns gesellschaftlich wertvoll erscheinen. Da machen wir uns viele Gedanken natürlich. Immer schön am Nachdenken [lacht]. Wenn es euch möglich wäre, eure Bilder nur in Galerien zu verkaufen, wäre das dann interessant? Ich glaube nur in Galerien verkaufen würden wir nicht, weil eigentlich unsere Liebe die großen Fassadenflächen sind. Wir würden aber auch nicht nur Fassaden malen. Also wir haben jetzt zum Beispiel für Robert Harting eine Hotelsuite gemacht, da haben wir die Wände ausputzen lassen und da dann Typographie rausgeschlagen. Mit Hammer und Meisel, einen kompletten Raum. Mit dreidimensionaler Typographie. Aber es ist halt für uns cool, wenn man neue Aufgaben kriegt und sowas Interessantes würden wir niemals stehen lassen, weil wir sagen, wir wollen jetzt nur Leinwände malen. Wir sind jetzt auch gerade dabei uns jetzt in den Markt reinzubewegen, deshalb sind wir ja auch immer wieder auf der STROKE. Wir müssen jetzt mal kucken, ob wir mal wieder nach München kommen im März oder April oder wann das sein wird. Aber haben wir eigentlich schon vor. Wir sind auch schon am konzeptionieren, was wir da zeigen können. Was bringt das den Künstlern auf der STROKE zu sein? Kaufen die Leute da auch direkt was? Ja, wir haben jetzt in Berlin ein bisschen verkauft, was für die Berliner Stroke extrem gut war, weil da wenige Leute kaufen. In München haben wir letztes Jahr nichts verkauft, wir

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gehen aber auch eigentlich nicht dahin, um was zu verkaufen. Auf der STROKE geht es uns darum, uns zu präsentieren. Wir hatten jetzt dieses Thema, es geht um Bildschirme, die allgegenwärtig sind und dass die Menschen eigentlich nur noch über ihr Telefon die Welt begreifen und ihre eigenen Sinne eigentlich gar nicht mehr so zum Tragen kommen. Und für uns geht’s dann auf der STROKE darum, uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen und zu zeigen, dass uns das Thema wichtig ist. Und einfach zu zeigen, dass wir nicht nur Wände malen. Die STROKE ist ein gutes Beispiel: wir machen sozusagen kommerzielle Aufträge, um uns dann die Reise, die Ausstellung und die ganze Vorbereitung für die STROKE leisten zu können. Um dann eine Plattform zu bekommen. Dafür ist es halt super so eine Firma zu haben. Ist die STROKE dafür gut geeignet oder hast du da persönlich Kritikpunkte, was du ändern würdest? Es gibt immer Kritikpunkte, auch an der STROKE. Das Konzept humpelt auch an der ein oder anderen Stelle. Aber für uns ist es trotzdem gut, weil sozusagen wir aus dem Metier kommen und ich sag mal so, ich glaube, dass wir uns da im Künstlervergleich eher bei den Nachdenkenden ansiedeln und weniger bei den einfach Sachen-Malenden. Der Anspruch an eure Werke ist dann auch sozialkritisch zu sein oder eine Message zu verbreiten? Genau. Auf jeden Fall. Auf der STROKE gibt es also auch viele, die einfach nur Sachen malen ohne Message? Ja total. Für uns ist ein riesen Problem auf der STROKE die vielen Kunstdrucke. Sachen, die auf Leinwand gedruckt werden, das geht für uns gar nicht. Weil das den Wert schmälert. Und wir haben gerade so einen neuen Begriff geformt, wie heißt das? [Fragt in die Runde] Street Facepainting! Hat Jakob sehr lange darüber nachgedacht und den Begriff geformt. Es gibt halt eine unheimlich große Masse an Leuten, die dieses Street Facepainting betreiben und das sind im Endeffekt Gesichter ohne Aussage. Und alle finden's toll, weil es ein Gesicht ist. Aber wir finden's halt überhaupt nicht cool, weil wenn das Gesicht nicht irgendwas aussagt oder keinen Sinn hat, warum es da ist, dann fehlt halt die Aussage. Und so ein Facepainting ohne weitere Message gibt’s halt auch leider viel auf der STROKE. Das sieht einfach nur schön aus, die Leute feiern es, aber es ist eigentlich nichts. Außer vielleicht irgendwie proportional richtig. Ist das dann noch Street Art, wenn das auf der STROKE hängt? Oder ist das etwas anderes? Das ist mir wurscht (lacht). Weil ich mich mit diesen ganzen Kategorisierungen ein bisschen schwer tu. Wobei ich sagen muss, dass natürlich Street Art etwas ist, was draußen ist. Und wenn's drin ist, dann ist es eben keine Street Art mehr. Es gibt total viele Künstler, die sagen, na ok, dann nehme ich halt ein Straßenschild, mal da was drauf und dann ist das Street Art. Aber finden wir nicht. Haben wir auch noch nicht

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gemacht. Wir probieren halt immer – das sagen wir auch in dem einen Video von uns – wenn wir in die Galerie gehen, Bezug nach außen aufzubauen. Aber wir probieren nicht, so zu tun, als ob drinnen draußen wär. Also deswegen, wenn wir auf der STROKE ausstellen, dann malen wir halt Leinwände, eher im klassischen Sinne, vielleicht auch mit einer Darstellung, die uns eigen ist, die vielleicht auch von draußen kommt, aber eigentlich ist das ja Quatsch. Street Art ist eben etwas, was draußen stattfindet. Deshalb finden wir auch den Begriff „urban art“ ganz schön, der trifft es nämlich viel genauer. Die STROKE nennt sich ja auch „urban art“, das ist einfach eine Kunstform, die von draußen kommt, draußen war und das ist auch so. Ja, Street Art. Alles ist Street Art. Jeder kann eigentlich Street Art machen, wenn man eine Blume in einen Zaun einflechtet ist es eigentlich schon Street Art. Ist auch kein Qualitätsmaßstab. Hast du durch die Kommerzialisierung Veränderungen in der Szene oder in deinem Umfeld bemerkt? Für mich ist es ganz klar. Wenn ich an mich denke, wie ich zu der Kommerzialisierung stehe: Ich bin der Meinung, da sollen sie sich mal alle nicht so haben. Weil, wenn man davon leben will, dann muss man kommerziell arbeiten und alles andere ist fadenscheinig. Vielleicht gibt’s auch Leute, die haben einfach reiche Eltern, die haben es einfach hintenrein gesteckt gekriegt. Die können dann natürlich den ganzen Tag machen, worauf sie Bock haben. Ob des dann aber „real“ ist, ist die Frage. Nur weil sie gepudert sind... Also für mich ist es ganz klar besser, dass ich kommerziell im gleichen Bereich arbeite wie meine freie Arbeiten. Dadurch bin ich auch immer drin. Als wenn ich jetzt einen Lehrerjob hätte und abends mich nochmal hinsetzen würde und überlegen würde, was ich jetzt mache. Da nenne ich auch ganz gerne als Beispiel: Ich habe eben jede Woche den Pinsel in der Hand, das geht gar nicht anders. Ich muss halt ständig malen. Und wenn ich dann eine eigene Arbeit von mir mache, dann sitzt das halt. Ich habe halt die Sicherheit und die Hand dafür und ich weiß auch genau, mit welchen Farben ich dann arbeite, damit es gut wird. Das ist natürlich ein Vorteil gegenüber der Situation, wenn ich einen anderen Job machen würde. Kann man das dann so zusammenfassen, dass die Kommerzialisierung für dich ein Vorteil ist, weil du in deinem Hauptberuf deine künstlerische Technik auch weiter voranbringst? Genau. Und privat: malst du dann anders? Ja privat male ich andere Thematiken und andere Motive, ich male da nicht so gefällig. Wenn ich jetzt zum Beispiel für eine Zahnarztpraxis oder ein Hotel eine Gestaltung entwickle, dann ist das auch ein sehr interessantes Design, aber ich kann natürlich nicht... oder es ist dann natürlich schwieriger zu sagen: Ich will auf verhungerte Kinder hinweisen. Das will natürlich keiner in der Hotellobby sehen und das passt auch nicht in eine Zahnarztpraxis. Das passt halt in einen Ausstellungsraum. Das wäre sonst völlig fehl am Platz. Deswegen, wenn wir für uns arbeiten, dann suchen wir uns natürlich

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dementsprechend immer Themen, die uns interessieren. Die es uns wert sind, sie zu kommunizieren. Warum habt ihr euch dafür entschieden, als Crew zusammen zu arbeiten und nicht jeder eigenständig? Weil es mehr Vorteile hat. Wenn einer nicht weiterkommt kann der andere weitermachen. Wart ihr auch zusammen auf der Straße unterwegs früher? Wir kennen uns alle von früher. Mit Jakob habe ich damals eine Graffiticrew 97 oder so gegründet. Und das ist ja auch ein Vorteil von unserer Firma. Wir wohnen alle in einem Haus in verschiedenen Wohnungen. Es ist halt so, dass, wenn wir zu einem kommerziellen Auftrag fahren und auf der Autobahn sind, so, dann reden wir auch über unsere freien Projekte oder machen uns Gedanken und denken über die Welt nach. Wir funktionieren auch schon ein bisschen so wie ein Organismus und jeder weiß, wann sein Spezialgebiet zum Einsatz kommt und kann sich dann einbringen. Seit ihr auch noch privat in den Straßen von Berlin unterwegs und bringt dort Graffiti oder Street Art an? Reizt uns schon, aber wir müssen schon sagen, wir haben im Moment echt schwer zu tun. Also nachts rausgehen ist echt schwierig, wenn du am nächsten Tag zwei Kundentermine hast, wir haben's leider auch dieses Jahr im Sommer weniger geschafft raus zugehen und einfach mal so an eine Wand zu klatschen. Andererseits haben wir auch durch unsere kommerzielle Arbeit schöne Fassaden vorgesetzt bekommen an denen wir arbeiten durften. Und wir können auch häufig kommerziell so arbeiten, dass wir sagen: Da stehen wir hinter. Wenn wir irgendwo einen schönen großen Bären hinmalen können. Man könnte natürlich noch ne härtere Aussage bringen, jaa. Aber das ist dann schon ok, wir sind dann schon zufrieden. Und wenn ihr jetzt nicht unbedingt hinter dem stehen könnt, was ihr malt, dann macht ihr's einfach nicht publik oder? Also auf der Webseite oder bei Facebook. Genau. Also wir haben jetzt hier gerade – als Beispiel – noch mal so eine ganz schnelle Anfrage hier in Berlin gekriegt. So ein Parkplatz-Pfeilsymbol und zwei Logos zu malen. Wenn die mit unserem Preis cool sind, dann rocken wir da halt hin und machen da zwei Tage Remmidemmi und freuen uns , dass wir unsere Miete davon zahlen können. Aber es ist so, es gibt Sachen, da machen wir nicht mal Fotos von. Es liegt nicht an der Qualität, wir machen alles in unserer Qualität, dass es eben absolut stimmt. Aber wenn es halt uninteressant ist, dann posten wir das nicht. Wenn wir eine Beschriftung machen wie dieses Q216 also auf 1.000 Quadratmetern eine Hausnummer, die irgendwie über acht Stockwerke geht, dann ist das natürlich schon cool. Das ist eine große Aufgabe gewesen und das haben wir ganz gut gelöst und sowas posten wir dann auch. Man muss ja nicht alles zeigen, was man macht. Wir machen ja genug schöne Sachen, die man auch posten kann. Naja das ist ja ne Geschmacksfrage, es kann ja jeder für sich

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entscheiden, ob das schön ist oder nicht. Aber Sachen eben, mit denen wir einverstanden sind. Wenn du so durch Berlins Straßen läufst und die Wände ankuckst, was denkst du so über die aktuellen Sachen, die da angebracht sind? Unterschiedlich. Es gibt coole Sachen, es gibt witzige Sachen, es gibt „Streetfacepainting“ und es gibt schlechte Sachen. Im gleichen Verhältnis? Vor kurzem ist mir etwas aufgefallen, jetzt krieg ich ihn aber nicht mehr zusammen, den Spruch. Gute Sachen sind selten, das ist immer so. Es gibt immer eine große Flut. Wir kucken uns natürlich auch die Graffitis an und wer wo war und so. Wir haben natürlich auch, da wir ja auch auf der STROKE unterwegs sind und auch international etwas abgeht, da haben wir natürlich auch einen hohen Anspruch an die Sachen. Ich filter die meisten Sachen einfach weg. Ich persönlich habe auch gar keinen Bock zu sagen: Ach das ist schlecht oder mich darüber aufzuregen. Da hab ich gar keine Zeit. Ich freu mich einfach, wenn ich etwas schönes sehe und wenn es nicht schön ist, dann ist es halt nicht schön. Ich sag mal, es ist immerhin der persönliche Ausdruck von jemandem. Das ist ja schon mal sehr, sehr viel wert in der Gesellschaft heutzutage. Glaubst du, dass das ein Grund ist warum Street Art so populär wurde? Meiner Meinung nach - nur um nochmal kurz eine kleine Gesellschaftskritik loszuwerden - leben wir in einer Gesellschaft, die Angst und persönliche Verlust- und Versagensängste extrem fördert und dadurch auch persönliche Entfaltung unterdrückt, um sozusagen... ja ich meine, wer sich nicht persönlich entfaltet, der funktioniert besser. Meiner Meinung nach wird das über verschiedene Mechanismen vorangebracht und deshalb gibt es dieses große Verlangen, trotzdem man selbst zu sein. Den Individualisierungstrend, den gibt es ja auch überall. Und inzwischen ist das ja auch ganz offensichtlich, die Leute haben auch keinen Bock mehr auf industriell produzierte Massenware, sondern man will wieder nur manufakturell und klein und am liebsten nur für sich selber gemacht. Und im gleichen Zug will man auch selber sagen: Ich habe einen Kopf, ich habe einen Idee und will dann irgendwie den Sprung schaffen und da ist das natürlich eine super Möglichkeit rauszugehen und was zu machen und dadurch aufmerksam zu machen. Also es gibt ja diese Seite auf Facebook „Streetart in Germany“, die bringen ja wirklich ALLES, was es überhaupt gibt, vom letzten Scheiß bis zu wirklich guten Sachen. Ich mag das total, weil da sieht man halt auch, dass die Leute irgendwie irgendwas sagen wollen, sie wollen nicht niemand sein. Obwohl für die Gesellschaft ein Niemand zu sein eigentlich total super ist. Niemand sein ist für die Gesellschaftsform perfekt. Wie wird deiner Meinung nach diese Angst in der Gesellschaft gefördert? Das passiert eher subtil. Immer mal wieder Impfkampagnen, ich glaube Fernsehen ist ein ganz starker Faktor, da wird extrem viel gemacht. Wenn zum Beispiel RTL II ein Sendeformat bringt oder RTL nur für Dumme und eigentlich in jeder Sendung Leute

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gezeigt werden, die scheitern, dann impliziert das natürlich dem Menschen: „Wenn du irgendwas machst, du wirst auf die Fresse fallen! Lass es lieber!“ Und das wird glaube ich an ganz vielen Stellen gemacht, es wird vor Terror gewarnt, vor Rechtsextremismus gewarnt, bis hin rein in Verschwörungstheorien, das will ich jetzt gar nicht ausweiten. Da wird’s einfach fadenscheinig. Ich bin der Meinung auch über das Bildungssystem. Das Bildungssystem in Deutschland ist ja darauf aufgebaut, dass du auswendig lernst, wiedergibst und vergisst. Anstatt, dass du entwickelst, dich entfaltest und selber produzierst. Und das wird dir vom Grundschulalter beigebracht. Ich gebe dir das, mach das, danach machst du das und dann das. Und nicht: kuck mal, hier ist das, wie würdest du damit jetzt umgehen? Das ist das, was ich vermisse. Und das ist natürlich für die Gesellschaft auch richtig so. Denn je größer die Gesellschaft ist, desto einfacher ist die natürlich dadurch zu kontrollieren, deswegen hat man ja in China den vollen Gehorsam gehabt mit drakonischen Strafen. Das ist natürlich... Wenn in Deutschland jeder irgendwie ein Parallelsystem entwickeln würde und ich sag mal, der letzte Dödel vielleicht mal drüber nachdenken würde, dann wäre es ziemlich schwierig für die Politik ihre Entscheidungen durchzubringen, für die Wirtschaft, ihr System aufrecht zu erhalten und alles am Leben zu halten. Es würde dann viel leichter zu Aufständen kommen. Deswegen gibt es immer so ein paar Leute, die sagen: ich will aber trotzdem. Glaubst du es gibt bei Street Art, weil es ja schon im Mainstream angekommen ist, das Potential, dass man auch die Meinung der Masse ändert? Das ist zu klein und zu speziell. Also ich denke, es gibt deshalb ein sehr großes Interesse dafür. Und es gibt viele Leute, die mögen einfach diese kleinen Gags. Das ist natürlich auch unser Anspruch in unseren freien Arbeiten auf so ein paar Sachen mal aufmerksam zu machen, die vielleicht nicht so publik gemacht werden oder nicht so Mainstream sind. Aber ich würde jetzt nicht von einer Revolution oder so sprechen. Für mich ist das so: Wenn ich eine Idee habe und EINER redet dann hab ich eigentlich schon gewonnen. Du magst zwar keine Kategorisierungen, aber trotzdem die Frage: Gibt es deiner Meinung nach einen Unterschied zwischen Graffiti und Street Art? Oder würdest du Graffiti zu Street Art zählen? Graffiti ist was ganz, ganz anderes als Street Art. Graffiti ist wirklich Tags und Pieces. Graffiti ist auch ein Teil von Street Art, aber Street Art ist nicht unbedingt Graffiti. Immer mit mehr oder weniger Typographie. Kannst du mit der Aussage was anfangen: Street Art sollte eine Message haben, bei Graffiti geht es um Eigenwerbung. Nö. Graffiti hat schon auch durchaus ne Message. Wenn wir das jetzt wie gerade im Rahmen der Gesellschaft besprechen, dann ist Graffiti ja auch irgendwie eine Aussage gegen das System und für die Selbstbestimmung. Und darüber hinaus hat es einen großen narzisstischen Charakter. Und da gibt’s ja auch im Graffiti große Unterschiede. Es gibt Graffitis mit der Hauptaussage „Vandalismus“, also zum Beispiel Pure Hate, mit Videos und so, das sind

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so richtig Vandalisten, bis hin zu Leuten die sagen, ich will auf streetfiles.org. Eben Leute, die wahnsinnig krasse Dinger machen aus Schrift, was dann wirklich Kunst ist. Eines der bekanntesten auf die stehe ich jetzt zwar nicht so, aber die heißt Mad C, das ist eine, die von einer großen Marke gesponsort wird. Ich finde, es gibt viel bessere, aber nur mal so, um was zu zeigen. Ist es dann so, dass bei Graffiti eher die Tatsache, DASS ich was illegal male die Message ist und weniger das was ich male? Joaaah, aber das kann man so auch nicht sagen. Bei Graffiti gibt’s verschiedene Faktoren, zum einen halt der Style. Ob's typographisch ansprechend ist oder nicht, das kann man auch wirklich qualitativ messen. Ob's jetzt Tags sind oder Bilder. Dann die Häufigkeit. Je häufiger, desto krasser. Die Stellen. Je unzugänglicher oder gefährlicher, desto krasser. Und ja es gibt auch Leute, die Aussagen damit verknüpfen. Es ist doch schon komplex. Ob man jetzt Züge malt oder Straße malt, da gibt’s dann auch Codes, die ausgelesen werden können, über den Namen hinaus. Die Codes sind keine Geheimcodes, die keiner wissen darf. Zum Beispiel, wenn ich irgendwo einen Style sehe, der irgendwo auf einem kleinen Vordach angebracht ist und jemand da mit einem Seil hinkam oder so und die Schrift in einer neuen Art, aber trotzdem proportional richtig gemacht wurde und vielleicht noch irgendein Symbol dabei ist, das auf irgendwas hinweist. Das wären dann alles so Codes, die dann noch mit darin versteckt wären. Einer von diesen Codes ist ja auch dieses ACAB-Ding, all cops are bastards. Das ist dann oft noch irgendwo mit drin und fällt eigentlich gar nicht weiter auf. Das transportiert dann auch noch weiter was. Wobei natürlich, sag ich mal, das Transportieren von Inhalten von Graffiti gegenüber Street Art natürlich weit, weit hinten ansteht. Was ich dann auch noch sagen kann: Es gibt ja einmal die Synonyme für die Sprüher, die sie sich geben. Dahinter schützen sie sich und dann gibt’s auch noch Zusammenschlüsse von Crews und die haben dann meistens Abkürzungen von zwei bis, weiß ich nicht, fünf Buchstaben. Und wenn da dann IWS steht, das war die Crew, die wir früher hatten, dann kann das heißen von: „incredible wild style“ oder „immer wieder schrecklich“ oder „ich will schmieren“ in wunderschöner Schrift. Oder was auch immer. Da gibt es dann tausend Sachen, die man dahinter verbergen kann und die man dann ausschreiben kann. Und durch die man dann diese drei Buchstaben auch immer wieder mit einer neuen Bedeutung aufladen kann. Also wir hatten zum Beispiel mal jemanden, mit dem hatten wir Stress – damals – und dann haben wir eben Wildschweine geschrieben. Da wird dann mit viel Buchstaben gespielt und darüber dann kommuniziert. Und da gabs dann natürlich auch Ärger [lacht]. Wer hat dann gewonnen? Das kann man so nicht sagen. Wir sind noch dabei und er nicht mehr. [lacht] Inzwischen macht der Musik und wir haben dann auch später auf der Kunsthochschule zusammen studiert und dann war auch alles ok. Wobei es halt auch wirklich... also diese Pure Hate Leute von denen ich vorhin erzählt habe, bei denen würde ich sowas nicht machen. Weil es gibt halt auch Leute, die heißen „Banger“ im Graffitijargon und da wurde auch schon

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zugestochen in Berlin. Es gibt Leute, die haben keinen anderen Lebensinhalt als das. Wenn das dann für die alles ist, ist das natürlich ein persönlicher Angriff, wenn da drüber gegangen wird. Also für uns war es auch ein persönlicher Angriff, wenn da rüber gegangen wird... Aber mit unserer aktuellen Gestaltungsform haben wir uns dem ein bisschen enthoben und wenn da halt jemand drübergeht, dann ist das wahrscheinlich eh jemand, der keine Ahnung hat und dann ist es halt so. Wenn jemand über deine Sachen rüber geht, dann sagt er eigentlich: Du bist schlecht und ich bin besser als du. Und dann ergibt sich natürlich so ein Battle, ein Konkurrenzkampf. Wenn jemand aber im echten Leben zusticht, dann ist das kein Battle, das ist dann ein Übersprungsakt, eine Übersprungshandlung. Es kann auch einfach sein, dass jemand mit dir ein wirkliches Battle macht, das ist eigentlich der normale Weg: Wir sprühen jetzt beide unsere Namen und wer verliert muss 20, 30 Dosen geben und darf seinen Namen nicht mehr sprühen, da gibt’s dann ne Jury. Aber wie gesagt, es gibt halt auch viele Verrückte. Deswegen sollte man halt sich im Graffiti auch so ein bisschen wissen, was man macht. Zum Beispiel ist das auch bei uns so, wir hatten einen Auftrag, da haben wir eine Netto-Filiale gesprayt, da war von einem Typen ein Bild drunter, der hat da jetzt wieder drüber gemalt über unseren Netto-Auftrag. Und das ist ein Typ, der richtig Radau macht im Norden von Berlin. Da sind wir jetzt am Überlegen, wie machen wir das. Weil wenn wir jetzt einfach wieder rübergehen, dann können wir sicher sein, dass er zwei Wochen später auf der Wand bestimmt richtig Terror macht und crossed. Da ist dann die Überlegung, ob wir ihn in ein kommerzielles Bild irgendwie mit reinarbeiten. Damit er halt einen coolen Gag hat, dass er in 'nem Netto Bild, das ja völlig kommerziell ist, noch seinen Namen mit drin hat. Das wäre vielleicht eine Möglichkeit. Steht da auf der Wand bisher nur „Netto“? Ja da steht „Netto – der Markendiscount“. Der Typ heißt Dirty, da ist jetzt die Frage, ob man da aus ein, zwei Markendiscounts „Dirtydiscounts“ macht oder „Markendirtys“. Das ist sicher nicht perfekt, aber wäre der Situation sicherlich förderlich. Meinst du er ärgert sich dann, dass er in ein kommerzielles Bild integriert ist? Ist die Frage. Oder er feiert es. Also ich würde es feiern. Ist doch cool.

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Interview mit Bernhard Trum alias dem Blumenmaler November 2012, Dauer ca. 1 Stunde Bernhard Trum, Mitte 20, war lange Zeit nur anonym als der Blumenmaler von Augsburg bekannt. Seit 2010 malte er Blumen an die Wände, Mauern und Stromkästen Augsburgs. Die Bevölkerung Augsburgs gewann die Blumen schnell lieb, eine Facebook-Fanpage namens „Augsburg-Blumen“ hat aktuell über 4.000 Fans. Sogar das Stadtmarketing Augsburgs dachte kurzzeitig über die Verwendung der beliebten Blume als Stadtlogo nach. Bernhard Trum wurde 2012 erwischt und zu einer Geldstrafe sowie zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Ich habe ja jetzt diese Geldstrafe von 12.000 Euro gekriegt. Naja, da habe ich eben beantragt 100 Euro im Monat zu zahlen, das wäre vertretbar für mich. Aber jetzt ist es so, dass die das abgelehnt haben, weil ihnen das zu lange dauert. Das heißt, du musst das jetzt auf einmal zahlen? Ja oder ich mache Sozialstunden 400 Tage lang. Das habe ich gerade erfahren. Bei IN YOUR FACE [in der Kunsthalle Augsburg] gibt es ja diese Ausstellung „Blumenschau“ bei der auch deine Werke verkauft werden. Meinst du das bringt geldmäßig was? Ja, ich hoffe. Aber es gibt auch noch eine Feier davor in der Kantine [in Augsburg], am 14. Dezember [2012], da ist dann die ganze Kantine nur Blume und ich kriege vom Eintrittspreis was. Mal schauen. Aber es ist alles nächsten Monat schon, da bin ich gerade voll am Malen und so, schau [zeigt mir seine Hände, auf denen überall Farbflecken sind]. Damit du genug zum Ausstellen hast? Ja, genau. Alles Alte liegt bei der Polizei. Das ist auch noch sowas. Das haben sie einbehalten, als Beweismaterial. Kriegst du das nicht mehr zurück? [schüttelt den Kopf] Wie haben die dich eigentlich erwischt? Also wie sind sie auf dich gekommen? Das ist eigentlich auch eine dumme Geschichte. Eine Bekannte, die hat so eine Abschlussfeier in ihrer Wohnung gemacht und da war ich zu Besuch. Die hat ganz oben gewohnt, oben im 7. Stock oder so. Da habe ich oben an den Balkon Blumen gemalt. Dann hat die Hausverwaltung irgendwie Stress gemacht. Irgendwie war die Polizei auch an dem Abend da und hat halt mitbekommen, dass es eine Hausparty war. Das ist auf

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sie zurückgefallen. War die Polizei wegen dem Lärm da? Ja. Dann hat sie gesagt, dass ich da auch war. Warum? Weiß ich nicht. Weil sie halt Angst vor einer Anzeige hatte. Ja und so sind sie auf mich gekommen. Hat sie sich bei dir entschuldigt? Nein, ich habe sie seitdem nicht mehr wiedergesehen. Die wären sonst nie auf mich gekommen. Aber ich kann sie auch irgendwie verstehen, keine Ahnung. Also ich nehm's ihr nicht so übel. Es ist ja dann auch blöd gelaufen bei der Hausdurchsuchung, da bin ich gerade von einer ganz großen Maltour zurückgekommen und hatte so einen Rucksack dabei, wo alles drin war. Aufkleber, Stifte, Dosen, Handschuhe, alles... Aber du kommst aus den Schulden ja sicherlich raus, denn die Solidarität ist ja wirklich sehr groß. Ich versteh das bis heute nicht, warum die Leute diese Blume so angesprochen hat. Was glaubst du woran das liegt? Es ist einfach ein nettes Motiv. So habe ich das jetzt mitbekommen, dass die Leute das einfach als nettes Motiv empfinden. Aber ich verstehs auch nicht. Aber freut dich das, dass dein Motiv so viele Leute toll finden? Jaaaa! Schon! Es freut mich auch, dass die Leute sich darüber freuen. War das eigentlich dein Ziel, als du dich für das Motiv entschieden hast? Als ich angefangen habe, war's noch nicht so direkt für die Leute. Dann kam die Resonanz und das Feedback und es hat alle gefreut und dann habe ich angefangen es für die Leute zu machen. Ich habe mal ein Interview von dir gelesen, da hast du gesagt, dass die meisten Leute unglücklich sind und dass du die Blume gemalt hast, damit sie sich freuen. Ja ist doch so. Die meisten sind doch unglücklich und schlecht gelaunt. Man lebt halt nur einmal. Da sollte man schon schauen, dass das Leben schön ist! Es gab doch auch ein Spendenkonto für dich, sind da schon Spenden eingegangen?

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Ja, das gibt’s noch! Ja, da ist schon was eingegangen. Verdienst du auch was an den T-Shirts, die verkauft werden? Ja, da verdiene ich auch ein bisschen was dran. Aber die letzte Bestellung, totales Chaos. Da hat der Bekannte von mir von irgendso einem Typen von irgendso einem Laden Unmengen T-Shirts gekauft, die... weiß net... Poloshirts, Zeug halt, das man nicht anzieht mit der Blume drauf. Da hat er ziemlich viel Geld in den Sand gesetzt. Jetzt kommt dann aber eine Internetseite von mir, wo ich dann ganz allein daran beteiligt bin. Wie lange gibt es die Seite schon? Die erste Variante gibt es seit zwei Jahren. Das waren bunte Blumen auf schwarzen Shirts. 100 Stück oder so. Dann war länger Pause. Dann haben das die Medien ja aufgebauscht. Wie findest du das eigentlich mit den Medien? Ist ja schon fast ein Starrummel. Das ist gar nichts für mich. Die Sache, die ist komisch. Augsburg hat irgendwie sowas wie die Blume gebraucht, da gab es lange gar nichts. In der Graffitiszene geht’s jetzt wieder voll ab. Interessant ist, dass Kinder und alte Leute oder Mütter irgendwie die größten Fans sind. Kurz nach der Gerichtsverhandlung hat dieser Laden, wo ich die T-Shirts verkaufe einfach so eine Interviewstunde angekündigt, Autogrammstunde meine ich. Interviews gebe ich. Aber Autogramme, das kann ich nicht mit mir vereinbaren. Schau, ich bin ein verurteilter Straftäter. Da kann ich nicht... Da kann ich keine Autogramme geben. Warum? Ich finde, es geht nicht. Moralisch absolut verwerflich. Siehst du es selbst als so schlimm an, was du gemacht hast? Also, es gibt Blumen, die sind im Einfluss von Alkohol entstanden, an Stellen, die (...) Ich habe Autos angemalt zum Beispiel. Das ist dann halt schon... im Nachhinein muss ich sagen: Das war nicht toll. Die Sache mit den Stromkästen, das ist vielleicht was anderes. Du differenzierst da jetzt also? Würdest du das jetzt anders machen? Jetzt würde ich nur Stromkästen anmalen. Du meinst also öffentliches Eigentum, das eigentlich sowieso „hässlich“ ist und eine Blume verträgt? Ja. Aber die mit den Stromkästen... Also es gibt ja die Gerichtsstrafe 12.000 Euro und

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dann gibt es die Zivilklagen. Das sind die Leute, denen ich was angemalt habe. Und da war bisher die Stadt Neusäß dabei mit 400 Euro, das geht noch. Und auch die Blechwerke mit ihren Stromkästen. Da geht es um zweieinhalb Tausend Euro. Aber viele Stromkästen waren ja auch schon vor mir bemalt. Wenn die Blume über was drüber gemalt ist, dann weiß man, dass das andere davor schon da war. Das wird jetzt auch nochmal was. Ich habe schon gar keine Lust mehr in den Briefkasten zu schauen. Hast du mit sowas gerechnet oder hast du über solche Konsequenzen mal nachgedacht? Also ich wäre nie von soviel ausgegangen. Weil 90 Prozent war mit dem Stift gemalt. Dass der so einen Schaden anrichten kann, hätte ich nicht gedacht. Und eigentlich, wenn die eine Freundin nicht gewesen wäre, wären sie nie auf mich gekommen. Im Großen und Ganzen finde ich es gut, so wie es gelaufen ist. Vielleicht eröffnet es dir ja auch Chancen. Ja, voll. Ich lerne Leute kennen. Und was machst du hauptberuflich? Ja, das ist auch so ne Sache. Also ich habe mir – aufgrund der anstehenden Gerichtsverhandlung habe ich mir einfach einen Job suchen müssen – ich war eigentlich darauf aus, erst auf die Fachoberschule zu gehen und dann auf die FH [Fachhochschule]. Aber ich habe eben dann einen Job gebraucht und war dann auf Zeitarbeit angestellt. Ja, Zeitarbeit halt. Naja. Das sind oft üble Jobs. Jetzt kannst du auch nicht mehr zur Schule gehen? Jetzt warte ich bis die Kunstausstellung rum ist, schaue, dass ich die in ein Büchlein packe mit Fotos und dem ganzen Zeug und bewerbe mich dann an Kunstakademien. Da brauchst du auch kein Abi oder? Da brauchst du gar nichts. Nur die künstlerische Eignung. Also momentan liegt mein Hauptaugenmerk auf der Ausstellung. Viel Zeit ist nicht mehr, au backe! Wann fängt die Ausstellung an? 13. Dezember bis 16. Da gibt’s dann auch eine Podiumsdiskussion. Diskutierst du da auch mit? Ja! Ja, also, am Anfang wird das Thema schon die Blume sein und dann soll es auf Street Art allgemein gelenkt werden. Wir haben einen guten Moderator, den von a3 dem Kulturmagazin, mit dem treffe ich mich morgen und spreche das noch ab. Wird schon. Wenn es nach denen gegangen wäre, wären es nur „Pro-Leute“ gewesen.

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Aber ich wollte unbedingt auch Contra. Warum? Ja, sonst wärs zu langweilig gewesen. Da gibt’s einen von der DAZ-Zeitung, der hat einen ganz bösen Artikel über die Blume geschrieben. Der ist dabei. Und dann gibt’s den, der das Modularfestival hat. Der hat auch mächtig Ärger bekommen. Weil ich habe ja auch an das Kongressgebäude bemalt. Ja. Aufgrund dessen ist es auch nicht zum Stadtlogo geworden bzw. für das Stadtmarketing verwendet worden. Der ist auch dabei. Wie hättest du das gefunden, wenn sie es als Logo genommen hätten? Hatten sie dich eigentlich gefragt? Ja, ich war mit einer Dame in Kontakt. Es war halt echt... sie haben es wirklich überlegt. Dann habe ich ihnen halt an die ganz neu renovierte Kongresshalle gemalt. Und dann gleich am nächsten Tag sind Fotos gekommen. Dann kam gleich die Frage: War das der Blumenmaler? Und dann wurde eben entschieden, das wird nicht das Stadtlogo. So im Nachhinein finde ich das auch ok. Ich hätte es ihnen verkauft. Teuer. Zu solchen Verhandlungen ist es aber gar nicht erst gekommen. Leider. Die Blume ist eine ganz komische Sache. Ich kann sie ja selbst schon gar nicht mehr sehen. Wenn ich Leute treffe, gibt es nur das Thema. Was malst du dann im Moment so privat? Keine Ahnung. Dazu möchte ich eigentlich nichts sagen. Komm auf die Ausstellung! Ich male gerade alles mögliche. Du bist ja eigentlich Sprayer oder? Jaa, naja das ist so eine Sache mit der Dose, das Zeug ist ja echt giftig. Da male ich dann doch lieber in der Wohnung mit Acrylfarbe. Ich habe eine kleine Wohnung, wenn ich da mit Dose male, da regt sich dann auch immer der Nachbar auf und denkt, dass ich ihn vergifte (lacht). Du brauchst vielleicht ein Atelier. Da bin ich dran! Im Grand Hotel. Das ist auch so eine super Sache! Das ist so ein Asylheim, also eigentlich ein Hotel von Asylheimbewerbern, die wohnen da drin und halten das Hotel am Laufen. Das ist der Grundgedanke. Da krieg ich dann wohl eins. Nach der Ausstellung. Im Moment habe ich keine Zeit. Es ist ganz schön stressig gerade. Wann hast du denn zum malen angefangen, du warst bestimmt vorher Sprayer oder? Ja, ein bisschen. Also nicht intensiv.

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Hattest du Kumpels, die dir das beigebracht haben? Ich verkehre schon in so Graffitikreisen. Die Szene ist zwar klein, aber man kennt sich dann halt so. Gibt's in Augsburg auch legale Wände? Ja. Aber das ist sowas, du steckst ja dann einen Haufen Geld rein. In so Dosen, die sind ja jetzt auch nicht billig. Und wenn du Glück hast, dann bleibt es da zwei Wochen. Wenn du Pech hast ist es am nächsten Tag schon übermalt. Das illegale Malen ist auch wie so eine Sucht. Draußen rumzuspringen. Bist du in der Szene dann jetzt sowas wie ein Held? Wenn man von „hit your name to get fame“ ausgeht, dann hast du das ja jetzt geschafft. Hmmm, obwohl mich die Szene eigentlich nie so interessiert hat. Im Graffitimalen, da geht’s ja eigentlich nur um... also ich finde das eigentlich schon fast egoistisch. Du malst ja nur deinen Namen oder deine Crew, je nachdem. Und holzt damit die Stadt voll. Ist dir dann eine Message wichtig? Ja, sehr! Ich habe ja auch zum Beispiel so Aufkleber gemacht mit: Du bist wunderbar. Das Leben ist schön. Genieße deinen Tag. Lauter solche positive Sachen. Richtig Graffiti so mit Namen, ist nicht mein Ding. Obwohl es schöne Graffitis gibt, in denen viel Arbeit steckt. Das sind auch Künstler. Hast du dann so eine Art Mission? Ja, die habe ich noch immer. Aber da geht nicht soviel voran in Augsburg. Wände darf ich jetzt aber legal bemalen! Das geht halt jetzt im Moment nicht, weil es noch zu kalt ist. Aber vielleicht kann ich da auch ein bisschen eine Message verbreiten. Wenn du Sachen auf Leinwand malst und es kauft jemand. Hast du dann das Gefühl, du machst damit jemanden glücklich? Ja, ich denke, die kaufen die Leinwand, weil es ihnen gefällt. Beim Leinwandverkauf, da geht es aber eher um Geld. Leinwände haben auch nicht soviel Message. Teils, teils. Würdest du gerne hauptberuflich Künstler sein? Ja, ich bin jetzt freischaffender Künstler. Ich habe heute beim Finanzamt meinen Antrag abgegeben. Dann kann ich auch Rechnungen stellen und so. Ich brauch auch eine Steuernummer. Würdest du dann trotzdem auf die Schule gehen?

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Das wäre schon auf jeden Fall interessant. Techniken zu lernen. Oder richtiges anatomisches Zeichnen. Ich kann gut Hände malen, aber dann hört es auch schon auf. Deshalb wäre es ganz gut, auf eine Schule zu gehen. Oder dann auch mehr Interpretationen in meine Bilder reinzubringen. Eher für die anderen. Weil ich mal ja meine Bilder... eigentlich sollst du die anschauen und dann soll alles klar sein. Also als ich klein war habe ich viel viel gemalt. Meine Eltern, die sind ja unbegabt was Kunst betrifft. Da braucht man schon viel Übung. War das für deine Eltern ein Schock? Das Thema ist so einen Sache, darüber kann man irgendwie nur schmunzeln. Glaubst du dass du demnächst auch Aufträge von Firmen kriegst? Weil du ja jetzt bekannt bist. Ja hoffentlich. An einer Internetseite bin ich dran. Jetzt gibt es erst einen Shop. Hättest du Lust, was für Firmen zu machen? Ja! Das ist eben die Kommerz-Seite, würde ich machen. Es gibt halt Geld. Man braucht halt Geld. Ich bin ja so erzogen worden: Geld ist nicht das wichtigste. Geld ist eigentlich nicht wichtig. Aber ich merke halt, dass Geld verdammt wichtig ist. Ich habe jetzt schon eine Anfrage von einer Agentur, das ist eher so eine Musikagentur und die haben halt gemeint: Ja, Künstler machen wir auch. Ich wäre da halt der einzige, bzw. der erste Street Artist so. Ich kann's ja mal versuchen. Es kommen tausend Leute zu mir: möchtest du das machen, möchtest du das machen. Ist es schwierig da auszuwählen? Ja, IN YOUR FACE zum Beispiel sind Leute, die ich kenne. Und die haben vor einem halben Jahr die erste Street Art Ausstellung in Augsburg gemacht, das war halt echt ein Bombenerfolg. Das ist gut angekommen. Das war ein bisschen chaotisch organisiert. Die sind dann auch gleich nach der Gerichtsverhandlung auf mich zu gekommen und haben gesagt: Hey, wir haben da Räumlichkeiten und wir würden das machen, mit Werbung und so. Verdienen die da auch dran mit? Ja. Das sind Geschäftsmänner. Wenn Bilder verkauft werden, da kriege einen großen Teil ich. Und bei den Eintrittspreisen da dann Hälfte, Hälfte und Getränke auch. Man muss dazu sagen, sie haben die ganze Aufbau- und Organisationsarbeit. Das passt also schon! Es sind gute Räumlichkeiten und sie machen gute Werbung. Was ist schon kostenlos in der heutigen Zeit. Ich lasse auch meinen Anwalt alles anschauen. Wenn der sagt, ja, dann ist es ok. Ich mache gar nichts mehr ohne meinen Anwalt, vertragstechnisch. Ich habe davon gar keine Ahnung. Da geht’s schon los, wenn Leute zu mir kommen und sagen: Komm, mal mir ne Blume auf mein Auto! Was verlangst du da dafür? Ich habe keine Ahnung. Dann frag ich immer, wie viel

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verdienst du denn? Ich kann da nicht so einen Festpreis machen. Ich brauche drei Sekunden für eine Blume. Wenn ich da einen Festpreis von hundert Euro ansetze – was die einen sagen, dass ich es machen soll – dann ist das in meinen Augen... ich weiß nicht, zu viel. Was anderes ist das bei Graffiti, da steckt richtig viel Arbeit drin, das ist ein riesen Aufwand. Viel mehr als so eine Blume. Da kommen Leute mit ihrer Leinwand und ich male eine Blume drauf. Also es pendelt sich gerade so ein. Du bist also schon sehr idealistisch, weil du den Preis am Verdienst der Person festmachst. Das funktioniert aber auch. Ich bin damit ganz zufrieden. Irgendwie ist die Blume halt kein großer Aufwand, es ist halt einfach nur eine Blume. Vielleicht ist es die Idee, die dahinter steckt. Ja, das kann sein. Aber auf der Straße gibt es viel, viel größere Künstler als mich. Denen eigentlich viel mehr Aufmerksamkeit gebührt als mir. Naja, ich war halt zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Man braucht ja auch Glück. Und du hast ja einerseits Glück und andererseits Pech, das ist bei dir doch irgendwie auch sehr ausgeglichen. So gesehen habe ich Glück, dass ich nicht ins Gefängnis gegangen bin. Das wollten sie von Vornherein. Man muss dazu sagen, ich bin auf Bewährung gewesen, wegen betrunken Autofahren. Leicht angetrunken. Und dann wollten sie mich wegsperren, aber zum Glück hatte ich meinen Anwalt. Jetzt sind es 12.000 Euro, das geht schon irgendwie. Hoffe ich. Mal schauen. Freiheit ist unbezahlbar. Wie fändest du es, wenn jetzt eine Firma kommt und deine Blume vermarkten will. Zum Beispiel auf Handyhüllen oder sowas. Das Logo verkaufen? Hmmm. Für Handyhüllen glaube ich nicht. Für was würdest du's verkaufen? Für irgendwas Gutes. Weiß ich nicht. Kinderhilfe. Wenn ein Verein ein Logo bräuchte. Ein Bioladen. Keine Ahnung. Du hast also noch Ideale. Ja. Deshalb habe ich kein Facebook und kein Handy zum Beispiel. Ich habe nur eine Festnetznummer mit Anrufbeantworter. Warum kein Handy? Hat mich aufgeregt. Ich bin kein Vieltelefonierer. Kurz und knapp. Das funktioniert. Früher als ich klein war, da gab's ja noch keine Handys. Da habe ich auch kein Handy

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gebraucht, das hat ja auch geklappt. Da hat man sich angerufen und draußen getroffen. Das funktioniert heute auch so. Aber Facebook bräuchte ich wohl schon langsam. Es gibt ja diese Fanseite „Augsburg-Blumen“, die ist ja nicht von mir. Die hat irgendjemand vor eineinhalb Jahren gemacht. Aber ich stehe in Kontakt mit der Person. Jetzt schauen wir, dass wir eben diesen T-Shirt Shop da einbinden. Das geht ja irgendwie bei Facebook. Gibt es oft Leute, die dich ausnutzen? Jetzt wo du bekannt bist? Da gabs mal einen Radiosender, da war ich um 6 Uhr morgens eingeladen zu einem Interview. Und da haben sie dann 5 Leinwände verlost von mir, die hab ich da in der früh gemalt. Die waren dann so schnell weg, das war für einen wohltätigen Zweck, dass sie gesagt haben: Mal doch noch die fünfzig Leinwände. Fünzig! Das war schon ok, weil es war ja für einen wohltätigen Zweck. Aber auch viel, so um 6 Uhr morgens. Und ich habe ja auch selbst Schulden und hätte das Geld gut brauchen können. Naja, und ich habe schon Aufträge auch gemalt, wo ich nicht so ganz dahinter gestanden bin. Das sieht man dann auch in den Bildern finde ich. Da ist dann nicht so viel Liebe und Herzblut drin. Also so gesehen wäre es eigentlich ganz gut, wenn ich einen Job habe in der Kunst, egal was, was ich eben hauptberuflich mache, Auftragskunst und privat einfach noch Zeit habe MEINE Kunst zu machen. Weil die Leute aber nur die Blume kennen, ist das ein Problem. Ich finds ja toll, dass die Leute sagen, sie wollen die Blume. Findest du es schade für dich als Künstler, dass du auf die Blume reduziert wirst? Nö. Ich werde zwar schon immer auf diese Blume reduziert. Aber das hoffentlich nur bis zu meiner Ausstellung. Ja aber sowas geniales wie die Blume, wie das jetzt verlaufen ist, das kriege ich wohl nicht nochmal hin. Aber ich nutze das als Sprungbrett. Wie ist das eigentlich, wenn man so auf der Straße unterwegs ist? Ja, draußen rumzuspringen, ist ja schon so eine Sucht. Das kann man nicht beschreiben. Auf der einen Seite ist es ja total... es bringt dir nichts. Es bringt nur einen Haufen Ärger, so gesehen. Wenn man dich erwischt. Aber es ist trotzdem... die Leute, wenn sie sagen, komm wir fahren jetzt Zug und dann sieht man ein riesiges Bild und dann erzählen die dir: Hey wir haben da jetzt gestrichen, vier Stunden. Echt heftig. Und dann ist es zwei Wochen später wieder weg. Und das bei der ganzen Arbeit! Es ist einfach dieser eine Moment, wenn man groß seinen Namen sieht. Geht man da dann auch wieder hin und schaut, wie die Leute darauf reagieren? Weiß ich nicht. Bei Graffiti glaube ich nicht. Die Reaktion auf Graffiti ist halt Großteils eher negativ. An einem Haus... da ist es allgemein negativ. Aber an der Zugstrecke ein buntes Bild auf einer grauen Wand ist vielleicht doch wieder nett für die Leute. Es kommt vielleicht auch darauf an, wo es ist. Aber wo die Leute die Motivation hernehmen, nachts da irgendwo rumzurobben. Weiß ich nicht.

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Was würdest du von so einer Art Fond halten, in den Graffiti Sprayer, die von der Kunst leben können, freiwillig einzahlen und andere, die erwischt werden, werden damit unterstützt. Ich weiß nicht. Das ist ja wie eine Art Freibrief. Was ist für dich Sell Out? Ich mache ja gerade nichts anderes oder? Ich verkaufe die Blume. Und ich finde das nicht schlimm, man muss ja davon leben. Ich würde es auch nicht Sell Out nennen. Wie dann? Auftragsarbeiten. Finde ich absolut in Ordnung. Wenn man nicht den Bezug zu SEINER Kunst verliert. Dann ist es vollkommen in Ordnung.

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Interview mit MINZ November 2012 MINZ ist eine Künstlerin Anfang 20, die ursprünglich aus Linz in Österreich kommt, aber in Wien lebt und studiert. Sie ist vor ungefähr zwei Jahren zu Street Art und Graffiti gekommen, kann also zur „jungen Generation“ gezählt werden, die innerhalb des Hypes mit der Kunst begonnen hat. Sie hatte vor kurzem ihre erste Ausstellung in Wien. Wie bist du zu Street Art gekommen? Also eigentlich hat mich das einfach voll interessiert und ich hab immer mit Begeisterung die Sachen in der Straße beobachtet, wie das so gewachsen ist, irgendwie. Und dann haben wir in der Schule im Zeichenunterricht gelernt, wie Stencil geht. Und dann hab ich halt meine Abschlussarbeit über Street Art geschrieben und ab da war ich dann nicht mehr zu bremsen. Seitdem ich die Technik einmal gelernt habe, habe ich auch während der Schulzeit noch angefangen voll viel zu schneiden und vielmehr noch als wir gelernt haben, wie das mit verschiedenen Layern und Farben geht. Und wann hast du ungefähr angefangen? Das ist eine gute Frage, vor 2 Jahren ungefähr. Und seitdem bist du sehr aktiv oder? Das kann man schon sagen, ich mach schon fast ständig was. Und dann vor allem Stencil oder auch Graffiti? Ja, so gemisch. Also am Anfang hab ich eigentlich nur Stencil gemacht, weil ich bei Graffiti erstens noch nicht wirklich wusste, wie ich das angehen soll und weil ich auch in Linz nicht soviel Raum dafür hatte. Jetzt male ich gerade aber eher mehr Graffiti und weniger Stencil. Hauptsächlich in Wien? Ja eigentlich schon. Und auch viel an legalen Wänden, weil Wien hat viele legale Wände und ich bin auch gerade noch am Üben, ich mache viel an den legalen Wänden. Ich bin halt noch nicht so zufrieden, mit meinem Stil und so und darum möchte ich mir auch Zeit lassen und das geht halt auf den illegalen nicht wirklich und deshalb stellt sich für mich nicht die Frage, ob sich das auszahlt. Weil wenn ich dann eh nicht zufrieden bin mit dem was ich da mache... und es gibt eben auch echt gute Möglichkeiten in Wien. Und was ist dein Anspruch an deine Werke? Ja eigentlich habe ich schon immer eine Message in meinen Bildern. Also eigentlich ist es mir grundsätzlich sehr wichtig, dass es etwas aussagt. Generell sozialkritisch oder

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umweltkritisch oder ökonomisch-kritisch oder so. Also ich schau immer, dass ich sowas einbauen kann. Aber derzeit mach ich auch viel persönliche Sachen oder etwas, was mich eben persönlich beschäftigt. Das ist nicht so extrem kritisch, sondern einfach etwas, was mir in den Sinn kommt und was mich beschäftigt. Bist du da allein unterwegs oder hast du eine Crew bzw. Leute mit denen du malst? Also ich war auch schon mal alleine unterwegs, aber meistens bin ich mit einer Freundin unterwegs, weil das einfach mehr Spaß macht zu zweit, weil alleine ist es ein bisschen fad. Und wenn man länger draußen steht ist es einfach cooler, man kann sich austauschen, gemeinsam weggehen und schauen: Wie schaut das aus? Hmmm ja, mach nochmal. Kannst du dir vorstellen, dass du das hauptberuflich machst? Na, eigentlich nicht. Weil für mich gibt’s einfach... ich habe einfach eine große Leidenschaft für Wissenschaft und ich bin einfach voll so auf Forschung. Biologie und Naturwissenschaft, das ist einfach für mich so meine Flamme. Und darum eigentlich. Das ist für mich vom Interessensbereich her noch viel interessanter und es reizt mich noch mehr als Graffiti. Deshalb nicht hauptberuflich. Mal davon abgesehen, dass es hauptberuflich auch schwierig ist. Würdest du Aufträge annehmen? Ja grundsätzlich schon, das muss man sich ja immer ausmachen. Außer es ist von einem kommerziellen Anbieter, den ich nicht unterstützen will, weil ich einfach Grundprinzipien habe, was manche Firmen betrifft. Wie findest du es dann, wenn ein anderer Künstler für einen großen Konzern, wie zum Beispiel McDonalds etwas malt? Ja, das muss man immer von der individuellen Sicht her sehen. Ich persönlich würde es nicht machen, weil ich kann mir das ja auch leisten, ich gehe auch arbeiten und brauche das Geld nicht so dringend. Aber wenn jemand das zum Beispiel gerade kurz hauptberuflich macht oder kurz vor dem Zeitpunkt ist, dass er es hauptberuflich macht und dann eben das Geld braucht, dann ist das was anderes. Dann würde ich es auch verstehen. Weil wenn jemand sagt, er macht das zum Überleben, dann kann es schon gut sein, dass er gezwungen ist, das zu machen. Es ist eigentlich ein Privileg, wenn man es sich aussuchen kann, es nicht zu machen. Aber ich würde es generell nicht machen. Wenn es jemand anderer macht, muss man die Geschichte von ihm hören, um zu verstehen warum er es macht. Oder ob er das eh nur macht, weil er nicht nachgedacht hat. Was halt auch vorkommt. Merkst du selbst etwas von der Kommerzialisierung in der Szene? Ja, eigentlich schon. Mir ist das eigentlich gleich am Anfang aufgefallen, in Linz

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eigentlich noch. Mir ist aufgefallen, dass es schon ein paar Sachen gibt, dieses abtragende Verfahren haben da schon ein paar Leute genutzt. So extrem nicht, nur solche Läden, wie Sneakerläden, oder Snowboardläden oder Skateboardläden, aber das sind eh die, die auch die Dosen verkaufen – die laden oft Sprayer ein und dann sprayen die bei ihnen die Wände an und so. Und dann schreiben sie auch immer die Marken dazu, die ganzen Skatemarken. Aber das finde ich auch ok, das ist ja wieder Hand in Hand, da unterstützt man sich gegenseitig. Hast du das auf den legalen Wänden in Linz gesehen? Nein, zum Beispiel in Wien auch direkt an den Skateshops, an den Hauswänden, den Fassaden von dem Shop. Es gibt auch Cafés wo das gemacht worden ist, da finde ichs auch einfach cool, weil das einfach eine Innenraumgestaltung ist und das bietet dem Künstler auch wieder voll viel Spielraum und Fläche. In Wien ist des jetzt so, dass zum Beispiel von Nike, da gibt’s ja viele kommerzialisierte Sachen mit Graffiti, wo des eben auch schon wieder ein bisschen zu weit geht. Als Beispiel: Ich glaub, das war in Berlin, da hat Nike so Schuhe aufgestellt bei Hall of Fames oder berühmten Bildern. Alle paar Stunden. Und dann gab es Artists, die die Schuhe eingesammelt haben, komplett zerschnitten haben und daraus dann wieder ein Kunstwerk gebaut haben. Weil sie eben quasi mit dem was sie daraus gemacht haben, gegen die Kommerzialisierung protestiert haben. Und das habe ich echt cool gefunden. Es kommt halt für mich auch drauf an, WER es kommerzialisiert. Bei großen Konzernen findest du diese Art von Werbung dann nicht so ansprechend? Naja, es kommt darauf an. Wenn's ein guter Konzern ist oder wenn der Werbung für sich was, wo ich den Konzern auch unterstützen will, dann finde ich es cool. Für mich ist immer die Frage: Will ich das unterstützen oder nicht. Ich sehe das Ganze eben von meinem umweltpolitischen Standpunkt aus. Welche Werbungen gefallen dir mit Street Art? Von so großen Konzernen eher weniger. Es gab, fand ich, einen Trend zur Kommerzialisierung aber ich habe – in meinem persönlichen Umfeld – das Gefühl, das ist ein bisschen abgeflacht gerade. Aber ich kann das nur österreichweit beurteilen, international verfolge ich es nicht. In Wien finde ich machen nur Firmen Werbung mit Street Art, die auch ein bisschen was mit Hip Hop zu tun haben oder wirklichen eben so Comic Stores, die auch Dosen verkaufen oder Graffiti-Books oder so. Ich mein, dass man so Schriften im Graffiti-Style für Werbungen sieht, das kommt schon oft vor. Aber so richtig, dass ein Künstler sprayt, das kriege ich in Wien nicht so arg mit. Es gibt zum Beispiel einen Club in Wien, der heißt die Grelle Forelle und die machen extrem viel Street Art Werbung und ich finde eigentlich: Sie haben recht. Weil sie erreichen damit genau die Zielgruppe, sie machen überall Paste Ups und auch Graffiti und das ist echt cool. Die haben auch Sticker und ein eigenes Team, das das Ganze verbreitet. Und... ich finde eigentlich sie haben recht, weil warum sollten sie's nicht machen. Sie machen voll die Werbung für ihren Club und es schaut cool aus, ihre Designs mit so einer Forelle eben. Und es ist eben auch so ein Nischenprodukt, denn es

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gibt von keiner anderen Bar in Wien so ein extreme Street Art Verbreitung wie von der Grellen Forelle. Und deshalb finde ich es eigentlich ziemlich genial und komisch, warum das nicht eigentlich auch anderen Leuten früher aufgefallen ist, dass das eigentlich so ziemlich gut geht, damit Werbung zu machen. Glaubst du, dass ein großes Unternehmen es auch schaffen würde, die Leute mit Street Art anzusprechen? Ja, es muss halt sexy verpackt sein (lacht). Also es muss halt gut ausschauen. Die Grelle Forelle, die haben eben eigene Designer, die das machen, das schaut echt cool aus. Ihr Logo ist knackig, es ist klar, es ist ein Fisch mit ein paar Strichen und das geht extrem schnell, das zu verbreiten. Also du musst erstens Mal ein cooles Logo haben, das du verbreitest und dann musst du's halt auch schaffen, dass du die Leute, die auf Street Art ansprechen erwischt. Die älteren Leute, die sehen das und denken sich: „Jo schee“ und gehen weiter. Aber zum Beispiel Studierende oder Leute, die sich für Clubs interessieren, die sehen halt überall des Ding und die spricht des halt an. Deine eigentliche Frage war aber eigentlich, ob des große Firmen auch machen können oder? Ja zum Beispiel in Autowerbungen fällt mir Street Art auf. Und ich frage mich da immer, ob das die Leute anspricht. Und wenn ja, wen das anspricht. Ja ich finde es eigentlich schon interessant. Ich bin zum Beispiel vor zwei Wochen eingeladen worden zu einem Auto Event und ich hätte ein Auto ansprühen sollen mit einer Folie drüber. Und diese Folie wäre dann verkauft worden. Auf einem Auto-Event mit einer Modenschau, wo eben echt solche Leute dort sind, die sich dafür interessieren. Also ich weiß nicht was das für die sein sollte, aber ich hab's ganz lustig gefunden, dass ich dafür eingeladen wurde. Aber ich muss ehrlich sagen, ich weiß auch nicht genau, ob das vielleicht dann irgendwie cool sein sollte oder dass die Leute glauben sollten, das ist cool oder sonst eben überhaupt nichts. Ich weiß nicht, welche Zielgruppen das ansprechen soll. Ich glaube eher, dass so Werbung mit Street Art mehr Sinn macht für Firmen, die auch Zielgruppen in einem gewissen Altersbereich haben. Eben zwischen 20 und 30. Oder zwischen 15 und 30. Oder auch 40, keine Ahnung. Aber eben darüber ist es eben eine andere Generation, die können damit nicht so viel anfangen. Und wirst du das Auto besprühen? Ist das interessant für dich? Ja ich hätte zugesagt, aber es ist dann leider abgesagt worden, weil... es war ein bisschen eine wackelige Geschichte. Aber... egal. Warum haben die abgesagt? Ja, es war ein bisschen blöd. Ich hätte das mit einem Künstlerfreund von mir zusammen gemacht, der musste leider arbeiten, dann ist sich das mit der Zeit nicht ganz ausgegangen. Dann habe ich halt ein bisschen „umanandadruckt“ quasi, ob man da nicht auch ein bisschen später hinkommen können. Und das war dann halt ein bisschen doof, das war dann halt ein bisschen im Schwimmen. Und dann haben sie halt gesagt, sie hatten gerade Besprechung und sie haben das Ganze dann wieder abgesagt. Es

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war eben zu kurzfristig und zu unsicher, ob das was wird. Fandst du das dann schade? Jaaaa. Grundsätzlich hätte ich mir gedacht, ich hätte ja auch Geld gekriegt, deshalb hätte ich mich auch gefreut. Aber es war für mich ein bisschen zu kurzfristig, weil das war echt eine Woche vorher. Und dann hätte ich mir halt ein Motiv überlegen müssen und ja es war mir eigentlich zu stressig mit der Uni und so. Aber ich hätte es schon gemacht, ja. Wie sind die eigentlich auf dich gekommen? Ein Freund von mir arbeitet als Modelbooker, der arbeitet eben mit so 'nem Event-Management-Dings zusammen und der hat das irgendwie organisiert. Du hast ja auch eine Facebook-Seite, ist dir das wichtig, dich im Internet zu präsentieren? Es ist so, dass man halt auf einer Wand in Wien was sprühen kann und das ist eh schön und gut und dann sehen das halt ein paar Leute und dann wird’s wieder übersprüht. Es ist so, dass man im Internet viel mehr Leute erreichen kann. Man kann halt seine Bilder auch zeigen und sich austauschen, also nicht nur auf Facebook, sondern auch auf so Fotoseiten. Flickr oder wie das heißt. Oder wenn wer sagt, zeig mir doch mal ein paar Bilder... es ist halt so, wenn man sich mit Künstlern so „zamredet,“ das habe ich auch erlebt, ich war in Zürich und da habe ich auch viele kennengelernt, das war echt cool, weil die auch gleich voll offen sind: Ja machen wir was gemeinsam und ich will sehen was du für einen Style hast und dann machen wir was zusammen. Alle sind so offen und nett und es ist überhaupt nicht so, wie es geschichtlich aufgerollt ist, so mit den konkurrierenden Crews, mit den Battlen und so. Also die Szene, die ICH kenne zumindest. In Wien ist das halt so chillig einfach, weil jeder respektiert den anderen. Und es gibt nicht so einen städtespezifischen Style, sondern jeder macht, was ihm gefällt... es gibt einfach so viele verschiedene Sachen in Wien, das ist voll schön. So eine Vielfalt. Das heißt, niemand redet einen blöd an, wenn man noch nicht so viel kann? Nein, gar nicht. Ich habe mir eigentlich gedacht, das ist eher so, dass dann so geschaut wird: Du sprühst ja noch nicht so gut. Aber es ist eher so, ich hab mal mit einem Künstler geredet und der hat mir voll viele Tipps gegeben und es ist so, dass er gesagt hat: Es ist so egal, wenn du noch nicht gut bist – und er ist halt voll gut – er hat dann mit mir zusammen ein paar Sachen gemacht und er war voll offen und er hat halt gesagt: Das ist voll ok, weil jeder fängt mal klein an. Und das sagt auch jeder, dass es voll ok ist, wenn eben am Kanal oder auf den Wänden Bilder sind, die noch nicht so gut sind. Weil das ist eh klar, jeder fängt mal klein an. Alle Künstler freuen sich, wenn junge Leute dort sind und was sprühen auch wenn das nicht so fein ist. Weil einfach wieder eine neue Generation daraus wächst und das ist voll cool.

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Du warst ja auch auf der STROKE als Besucher, wie fandst du es dort so? Ja, ich hab's eigentlich schon cool gefunden, es waren auch coole Künstler dort, die auch live gesprayt haben. Aber ich habe ja in Wien eine Ausstellung gehabt, mit Stencil-Bildern von mir und ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich das nicht mehr machen will. Weil das war halt so auf Verkaufen. Und eigentlich habe ich mir dann überlegt, dass ich das gar nicht so mag auf Verkaufen. Und es hat mich dann auch voll gestresst, weil ich musste dann noch voll viel Bilder machen in kurzer Zeit, damit ich eben was habe. Und ich war eigentlich nicht zufrieden mit den Bildern und dann habe ich mir auch gedacht: wenn man was verkauft, dann ist das gleich ganz was anderes, wie wenn man das einfach macht, weil es einem Spaß macht. Und das ist sehr widersprüchlich für mich. Ich möchte jetzt auf jeden Fall eine längere Zeit keine Ausstellung, zumindest keine so wie die war, weil das war so eine Verkaufsausstellung. Es war zwar voll die coole Erfahrung und es hat mich eben viel gelehrt, eben dass das etwas anderes ist, wenn man etwas macht um es zu verkaufen. Aber ich find's eigentlich für mich persönlich nicht so cool, weil ich mache es, weil es mir Spaß macht und... und das Verkaufen ist dann halt so, gibt dem auch irgendwie einen Wert, was ich auch schwierig finde. So die Frage: Wieviel ist dein Bild wert? Das finde ich auch schwierig eigentlich. Sicher kannst es verkaufen und ich verstehe es eben eh voll, wenn Künstler Sachen verkaufen und ich finde das auch cool und schön, aber ich persönlich bin nicht so der Fan davon. Was hat sich da für dich verändert, als du wusstest du malst es, um es zu verkaufen? Hat sich an deinen Motiven etwas verändert? Nein eigentlich gar nicht. Ich habe viel viel gemacht, weil ich eben viele Bilder gebraucht habe für die Galerie. Es hat sich so nichts verändert, es war eben für mich... ich wollte das eigentlich gar nicht verkaufen... und ich habe nach der Ausstellung alle Bilder hergeschenkt. Weil ich mag es voll, wenn ich ein Bild herschenken kann. Wenn jemand sagt: Ma, ich hätte so gern ein Bild von dir mit dem und dem Motiv oder so. Und dann mache ich das und dann schenke ich es der Person und die freut sich dann voll. Das ist für mich viel schöner, als wenn ich es verkaufe. Und deshalb habe ich eben nach der Ausstellung – da war ich dann auch ein bisschen grantig auf mich – weil ich das gemacht habe. Aber jetzt bin ich nicht mehr grantig, jetzt weiß ich eben wie das ist, das war eine Erfahrung. Ich habe eben nachher alle Bilder verschenkt und das war voll cool, weil erstens wollte ich die Bilder auch loswerden, weil man kann nicht immer die ganzen Bilder zuhause haben. Ein paar habe ich mir eh aufgehoben. Aber viele habe ich eben verschenkt, weil ich wollte sie loswerden, ich war da eben so grantig. Ich habe mich dann eben voll gefreut, dass sich die Leute so darüber gefreut haben. Und jetzt wenn ich teilweise zu Freunden heim gehe, hängen da eben meine Bilder und das ist eigentlich auch ganz cool. Warum warst du genau so grantig? Erstens war ich eben nicht zufrieden mit meinen Bildern, weil mich das eben zu sehr gestresst hat und dann waren ein paar Patzer drin. Die Leute, die dort waren, denen ist das eh nicht aufgefallen, weil die halt nicht so das Auge dafür haben. Aber ich habe halt gewusst, ich kann das einfach besser. Das hat mich geärgert. Und dann hat mich noch geärgert, dass es eben so auf Verkaufen war. Das macht einen ganz anderen Flair,

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nicht mehr dieses... es geht irgendwie für mich ein bisschen der Reiz verloren. Auch so eine Art Freiheit geht verloren. Weil wenn ich raus gehe und etwas sprühe, dann muss ich das ja nicht und ich mache das ja auch nicht für irgendwen, sondern nur für mich, weil ICH das eben will. Wenn ich etwas verkaufe, dann ist eben schon Konsum. Für jemand anderes. Wie bist du dann zu der Ausstellung gekommen? Auch durch Bekannte? Das war übers Internet. Da haben die ausgeschrieben, sie suchen Künstler, die was ausstellen. Und da habe ich mich dann gemeldet und da hat es eben gepasst. Es war eh cool, die Leute, die dort waren waren auch cool. Aber für mich war es eben die Erfahrung, dass ich nicht wirklich verkaufen will. In einer Galerie würdest du dann ausstellen, wenn du Lust drauf hast und eh schon viele Werke fertig hast? Ja, genau. Aber das ist sicher in nächster Zeit erstmal nicht. Ich fühle mich eben auch nicht so... ich weiß nicht, wenn ich Leute anschaue, die in Galerien ausstellen, das sind dann teilweise Leute, die schon so viele Sachen gemacht haben oder eben einfach Wahnsinnssachen. Die haben eben auch extrem viel Arbeit investiert, dass sie so gut werden und da finde ichs auch voll ok. Aber ich selber fühle mich da nicht so, ich will das auch nicht, popluär irgendwas auszustellen. Und ich fühle mich auch noch nicht gut genug, ehrlich gesagt. Was sind im Moment so deine Ziele in der Szene? Ich plane ja gerade den Graffiti-Circle in Form unseres Vereins S.O.U.L Flavor in Wien. Und mein Ziel ist eigentlich quasi eine Message zu verbreiten. Und das Ding ist halt, wenn man zum Beispiel Jugendliche mit so Themen wie Umwelt oder so konfrontiert, dann sagen sie halt schnell: laaangweilig. Oder Ernährung und lauter so Sachen. Und wir wollen das halt verpacken mit so coolen Sachen, in Verbindung mit Graffiti oder eben mehr so von meinen wissenschaftlichen Sachen. Oder Chemie so in Graffiti umsetzen, das finde ich extrem genial und an dem arbeite ich und schaue, dass sowas entsteht. Aber ein Ziel habe ich eigentlich kein konkretes. Außer Spaß dran haben und Leute kennen lernen, weil das eben so cool ist, wenn du selbst malst und dann Leute kennenlernst, die die selben Interessen haben. Das ist so ein Netzwerk, wo man sich dann „zamredet“. Das ist eben cool, weil du gleiche Interessen hast und das dann verbinden kannst mit Leuten aus anderen Ländern. Auch mit Couchsurfing zum Beispiel.

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Interview Reinhard Gupfinger November 2012, Dauer ca. 1 Stunde Reinhard Gupfinger ist ein 1977 geborener Künstler aus Linz. Er hat zunächst Bildhauerei studiert und im Anschluss Interface Cultures an der Kunstuniversität Linz. Im Zuge seiner Masterarbeit entwickelte er eine neue Form von Street Art, die sogenannten „Sound Tossing“, die als Sound Street Art im öffentlichen Raum angebracht werden. Er hat demnach keinen Graffiti oder Street Art Hintergrund, sondern kam aus dem Kunstbereich zur Street Art. Er hat mit seiner Arbeit verschiedene Preise gewonnen, unter anderem auch ein Stipendium der Stadt Linz. Warst du früher mal Graffitikünstler? Oder wie bist du zu Street Art gekommen? Mein Zugang ist, also früher war ich so ein Punk Rocker in der Kapu oben, da habe ich in vielen Punkbands gespielt. Und zu Graffiti bin ich eigentlich gekommen, als wir Fotos gemacht haben. Das war praktisch vor Graffitis in Linz, darum kannte ich auch die Graffitispots, das war der Hintergrund von unseren Fotos. Da haben wir dann gepost (lacht) und da haben wir unsere Fotos geschossen. Und dann natürlich die Kapu Backstage, die war natürlich voller Tags und so weiter, das war auch ganz interessant. In Linz die Graffitiszene, da hab ich nie soviel mitgekriegt, ich habe da nur aus dem Bekanntenkreis den ein oder anderen Freund gehabt oder Bandkollegen, die immer ein bisschen gesprüht haben, aber zu so einer richtigen Crew, die es ja auch immer eigentlich gegeben hat, da hatte ich eigentlich keine Bezugspunkte. Wie bist du dann auf das Street Art Konzept Sound Tossing gekommen? Die Idee gab's eigentlich schon länger. Ich habe ja dann diesen Street Art Boom und das Phänomen Banksy näher verfolgt, was da die Intention war und habe seine Arbeiten auch als äußerst künstlerisch anspruchsvoll empfunden. Das war etwas, was mich als Künstler auch interessiert hat. Mich hat interessiert, inwiefern sich das dann von dem, was wir Graffiti nennen oder von dem was gemeinhin als Vandalismus empfunden wird, abhebt. Street Art ist ja viel mehr akzeptiert. So Aktionen wie Invader, mit den ganzen Materialien, die da reinkommen. Ich hatte ja Bildhauerei studiert und da waren Interventionen im öffentlichen Raum ja auch ein großes Thema. Da habe ich an meine alten Bezugspunkte eigentlich wieder angeknüpft. Und dachte mir, es ist eigentlich toll, wenn ich meine Arbeiten jetzt von der Galerie in den öffentlichen Raum bringe. Also erstens einmal habe ich nicht nur meine zwanzig Kollegen, die ich zur Ausstellungseröffnung einlade, die da vorbeischauen. Da habe ich eigentlich ein total großes Publikum, ein Projekt im öffentlichen Raum, da mache ich ein Foto davon und sehe wie die Leute reagieren. Und das war dann der Punkt, wo ich dann angefangen hab. Einerseits habe ich kleine skulpturale Interventionen im öffentlichen Raum gemacht, zum Beispiel haben wir damals als Gruppe einfach eine riesen Skulptur zu den anderen Skulpturen auf der Donaulände [Anmerkung: in Linz/Österreich] gestellt und haben uns angeschaut, was da so im Kontext passiert und wie lang es bleibt. Und haben das auch ein bisschen dokumentiert.

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War das dann auch etwas Abstraktes? Ja, genau. So Metallgebilde eigentlich, eben Bildhauerei. Und gleichzeitig haben wir auch so eine Art Performance gehabt, mit der wir im öffentlichen Raum aufgetreten sind. Das war eine Art „Marschmusik-Kapelle“, midi marching band, wo wir quasi so mit Laptops herumspaziert sind, so wie ein Bauchladen und mit Hornlautsprechern traditionelle Marschmusik nachgespielt haben. Was war die Intention davon? Praktisch dieses Konzept einer Blasmusikkapelle ad absurdum zu führen, dass ich praktisch die Musik wieder aus dem Computer abspiele, mit einzelnen Tönen, wir haben da so auf die Tasten gedrückt und jeder von uns – wir waren meistens so zehn Leute – hat ein Instrument symbolisiert. Hat euch dann die Reaktion der Leute interessiert? Die Reaktion der Leute, ja. Natürlich war das auch wahnsinnig lustig für uns, weil das natürlich dann total dilettantisch war und es war eigentlich als Performance-Gag gedacht. Was glaubst du persönlich, warum Street Art so ein Trend geworden ist? Da bin ich irgendwie überfragt. Aber es ist natürlich mit solchen Pionieren wie Banksy und Blek le Rat, die einfach Stencils... oder auch so große Muralsachen, die einfach ganz viele Leute angesprochen haben. Das war so der Impulsgeber. Natürlich auch wegen der Message und wegen dem Revolutionären, das ja oft dahinter gesteckt ist. Da haben sich die Künstler dann oft mit so ganz brandaktuellen Themen beschäftigt. Also der absolute Durchbruch von Banksy waren ja seine Arbeiten an der Wand am Gazastreifen. Mehrere. Da gibt’s wirklich einige Arbeiten, die er gemacht hat und wo er auch schon mehr oder weniger im Visier war von den Israelis. Und das hat glaube ich auch eine große mediale Welle ausgelöst. Und natürlich seine Aktionen in den Museen, wo er Bilder reingehängt hat in eine bereits bestehende Ausstellung. Du hast ja in deiner Masterarbeit immer wieder von Street Art als Subkultur geschrieben, würdest du sagen, dass Street Art noch eine Subkultur ist und warum? Das ist ganz eine schwierige Frage. Das hängt wirklich von den Akteuren ab. Also ich würde sagen, wenn ich jetzt mit meiner Leidenschaft ein Geld verdienen kann – wie das eben manche Graffiti oder Street Art Künstler machen - dann ist das meiner Meinung nach nichts Verwerfliches. Natürlich, wenn's dann für irgendwelche großen Brands ist, wenn man in London rumgeht in Shortage und sieht dann: Ok, interessante Arbeit und man geht näher hin und sieht dann, ah das ist ja eine Whiskey-Werbung! Und ja, das kommt schon oft vor, das ist dann schon fragwürdig. Das würde ich persönlich halt nicht unterstützen. Natürlich verstehe ich den Künstler, der dann womöglich 5.000 Euro für diese Aktion bekommt, dass er das Geld braucht. Natürlich kann ich das verstehen. Aber ich würde wahrscheinlich strenger sein. Wenn ich in deren Situation wäre, dann wäre es wahrscheinlich schon anders, aber ich glaube ich würde da schon – nachdem

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ich ja auch diesen Punkrock-Hintergrund habe und dieses „Do it Yourself“, ich gebe ja meine Ideen preis, jeder kennt die Techniken mit denen ich arbeite – hätte ich da schon ein bisschen anderes Verständnis. Aber natürlich verstehe ich es, wenn man mit seiner Leidenschaft Geld verdienen kann und so damit über die Runden kommt, dass man das dann macht. Anstatt, dass der irgendwo in einem Schichtbetrieb arbeitet, weil er sonst nicht über die Runden kommt. Da versteh ich's. Was hat das für einen Einfluss auf die Kunst? Natürlich einen schlechten. Na, weil einerseits natürlich für die Künstler... ich hab noch in Linz, wenn da was für eine Firma gesprüht wurde, da bin ich dann hingegangen und hab Hallo gesagt, die waren dann meistens etwas skeptisch, aber schlussendlich haben sie mir dann oft gesagt, wieviel Geld sie dafür kriegen. Das letzte war jetzt wirklich eine größere Arbeit und da waren es dann hundert Euro! Das musst du dir mal vorstellen. Das war so ein junger Kerl, der war gar nicht schlecht und ich wollt ihm dann nicht sagen, dass er sich unter Wert verkauft. Aber das sind immer die Firmen, das kenne ich auch aus dem Kunstbetrieb, wenn die da rumgehen und günstig die Bilder kaufen und man weiß dann, naja das wird um 500 Euro verkauft und der Wert in einer Galerie sind dann schon 5.000 Euro. Bei den ersten Arbeiten ist das so und dann kommt man drauf, was ist meine Arbeit eigentlich wert? Auf dem Gebiet, natürlich wird das ziemlich diskutiert in der Szene, Street Art Sell Out ist ja auch schon drüber geschrieben worden. Ich habe mich jetzt in meiner Arbeit nicht so drauf fokussiert, weil ich mehr oder weniger nur diesen Anknüpfungspunkt habe, meine Philosophie ist ja nicht unbedingt, das zu verkaufen, sondern eben dieser open source-Gedanke. Das ist meine Idee. Ich bin da natürlich total konträr zu einer Verkaufsstrategie. Du würdest es gar nicht hauptberuflich machen wollen? Oder bist du jetzt schon hauptberuflich Künstler? Naja so nebenberuflich, ich bin eher Teilzeit-Künstler [lacht]. Ich denke mal, mit Projekten und so – ich bin ja ganz breit gefächert aufgestellt – ich würde es irgendwie hauptberuflich schaffen, aber mir würde dann immer das Budget für eigene Projekte fehlen. Deswegen nehme ich einen zehn, zwanzig Stunden-Job in der Woche in Kauf, da mache ich Musik für Computerspiele, das ist mein Brotjob. Das nehme ich in Kauf, um in meine Projekte zu investieren. Die sind recht technologisch, da braucht man natürlich oft Hardware und das gönne ich mir und finanziere mir so meine künstlerische Arbeit. Und natürlich das Atelier, ich habe jetzt ein neues Atelier gekriegt. Das ist natürlich viel angenehmer. Ich kenne natürlich auch viele Kollegen, die hundert Prozent von Kunst leben und das ist natürlich ganz ein hartes Brot. Ich habe da für mich schon während dem Studieren einen guten Kompromiss gefunden. Ich habe ja wie gesagt Bildhauerei studiert und dann immer so Bild- und Medientechnik gemacht und am Schluss dann jetzt die Abschlussarbeit war Interface Cultures. Bist du mit der Situation so zufrieden oder würdest du schon gerne hauptberuflich Künstler sein? Die Intention ist das schon.

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Das ist schon so ein Traum. Aber ich bin natürlich Realist, ich kann das so ein bisschen abschätzen. Wenn die Rakete nicht abhebt, indem man in den Betrieb reinkommt – egal, ob das jetzt der Kunstbetrieb ist oder der Street Art-Betrieb – wo man wirklich von Festival zu Festival oder von Galerie zu Galerie fahren kann und regelmäßig Ausstellungen hat... Weil ich verkaufe ja kaum irgendwas. Ein oder zwei Ankäufe hat es gegeben von diesen technologischen Installationen. Das ist ein total hartes Brot und für mich macht es Momentan einfach keinen Sinn. Ich brauche irgendwie so die Sicherheit, dass ich über die Runden komme. Was stellst du in Galerien dann aus? Sound Tossing ist ja nur für die Straße gedacht oder? Ja, es gibt eben schon so Ausstellungssetups. Ursprünglich war das nur für den öffentlichen Raum gedacht, aber dann kommen gleich die ersten und fragen: Wie könnte man das jetzt in einer Ausstellungssituation zeigen, auf einem Festival zum Beispiel? Da habe ich immer so eine Dokumentation, es gibt eben Dokumentationsvideos, da sieht man die Stange, mit der die Urban Crickets aufgehängt worden sind und da ist dann so eine Installation, wo das Licht gedimmt wird praktisch durch ein Mikrofon und Bewegungen im Raum. Je nach Lichtsituation fangen dann die Urban Crickets, diese Solarsoundgeneratoren zum zirpen an. Es gibt also schon ein Ausstellungssetup. Und der nächste Schritt war dann, dass sie gefragt haben: können wir das in einen Workshop verpacken? Dann habe ich mit den Workshops angefangen. Ja wobei, das nicht ganz so spannend ist für mich, weil ich da ab und zu nur zum Bastelonkel herhalten muss für irgendwelche Kinderworkshops. Und das macht mir eigentlich nicht so Spaß. Weil es künstlerisch nicht anspruchsvoll ist? Ja genau, keine künstlerische Herausforderung und nicht so meine Intention. Ich will ja eigene Projekte und Interventionen machen. Natürlich gehört da eine gewisse Art von Vermittlungsarbeit dazu, aber eben keine Kinderworkshops. Was aber auch spaßig sein kann. Junge Leute damit zu konfrontieren, was eben die für eine Meinung haben über Street Art und Graffiti und akkustisches Graffiti und dann: ist das überhaupt erlaubt, dass man nen Sound im öffentlichen Raum anbringt? Und das sind solche Fragen, die auftauchen. Also wer darf mit Sound im öffentlichen Raum arbeiten, wie sind da die Machtstrukturen, wie weit kann man gehen? Ich will da aufmerksam machen, auf einer Metaebene, auf diese Lärmbelästigung und dann hänge ich gleichzeitig selber das Ding dahin. Also das sind diese ganzen Fragestellungen. Hast du dir Sound Tossing dann als Protest überlegt? Ja. Also auf der Metaebene ist eben diese Fragestellung: Die ganzen Fashion-Shops können uns zuballern mit irgendwelcher Chartsmusik und es gibt so ganz skurrile Audiogeräte, die Moskitosoundsysteme, die Jugendliche von öffentlichen Plätzen fernhalten. Das sind Frequenzen, die hören nur Menschen bis ungefähr 25 Jahren und die werden eingesetzt an öffentlichen Plätzen, damit sie da nicht rumlungern, rumsprühen oder Alkohol trinken. Weil's halt so hohe Frequenzen sind und das sind

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praktisch Protesttools – jetzt auf einer Metaebene – gegen diese akustischen Waffen. Oder an Bahnhöfen hört man's ja auch, diese Hintergrundbeschallung mit klassischer Musik. Da sagen die Initiatoren: Wir wollen aufmerksam machen auf die kulturellen Einrichtungen der Stadt. Ist aber eigentlich gedacht dafür, Junkies oder Obdachlose von den Bahnhöfen zu vertreiben. In Hamburg hieß das dann auch: Vivaldi against Junkies zum Beispiel. Und da sieht man halt wie auf akustischer Ebene die Gesetzgeber und die Firmen da arbeiten und uns manipulieren. Ich habe da dann eben Tools entwickelt, wie man sich dem entgegen stellen kann. Warum eine Grille? Die Grille, also ich habe ja verschiedene Geräte entwickelt für verschiedene Situationen. Und die Grille ist global bekannt und kann global verbreitet werden. Andererseits ist es ein Soundgenerator, der ohne Batterien funktioniert, das heißt man braucht bloß Solarzellen. Das heißt die Umweltverschmutzung, also der Umweltgedanke war natürlich auch da. Ich wollte jetzt keine Batterien in der Gegend rumschleudern. Und der andere Impulsgeber war die japanische und chinesische Grillenkultur. Und zwar hat man da über den Winter Grillen in kleinen Käfigen gehalten, damit die praktisch für ihre Besitzer im Winter singen und über die dunkle Jahreszeit hinweghelfen und praktisch auch die Leute glücklich zu machen. Das war dann die Idee. Grundsätzlich haben wir ja auch nette Assoziationen zu Grillen, wir hören sie im Sommer zirpen und es ist eigentlich so ein nettes Insekt. Aber was passiert jetzt eigentlich, wenn wir Grillen an ungewohnten Orten hören? Und so ist es eigentlich auch gedacht, so ist das eine Irritation mit Sound im öffentlichen Raum. Wie lang arbeitest du an diesem Projekt? Ungefähr drei Jahre. Und die Grille die ist mir eigentlich in Japan gekommen. Und zuvor war eben – um das ganze Konzept jetzt an Street Art anzuknüpfen – ist eben dieses Shoe Tossing, das habe ich zum ersten Mal bewusst in Portugal wahrgenommen. Da habe ich mir gedacht: Ok, das mache ich auch, also der Akt jetzt seine alten Schuhe dahin zu hängen ist ja auch eigentlich ganz erstaunlich und nett. Da gibt’s auch viele Mythen darum, wie es entstanden ist. Ich habe mir eben gedacht: ok, das mache ich mit Sound. Mit Sound Interventionen, also ich bediene mich des Visual Codes dieses Shoe Fitting und mache Klang-Street Art. War das dann auch wichtig, dass das rechtlich eine Grauzone ist, damit du es besser dokumentieren kannst? Also ich hätte ja diese Sound Tools auch irgendwie verstecken können, aber mir war es wichtig, dass man die Teile auch sieht. Witzigerweise ist es jetzt eher so, dass die Leute... Also ICH habe immer gedacht: die Leute hören was, sind irritiert, gehen dann näher hin und sehen das Teil. Meistens ist es aber so, wenn ich das zum Beispiel in Großstädten an Skulpturen mache, dass die Leute das Teil sehen, hingehen und schauen was das ist und erst später drauf kommen: Ah, das produziert ja auch einen Sound. Aber das ist ganz witzig, darum arbeite ich auch ganz gerne an Skulpturen, weil die ja auch oft für Fotos herhalten müssen und dann haben die Leute auch meine Grille

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oben und auch natürlich weil da in der näheren Umgebung auch niemand wohnt, dass man jetzt wen stören könnte mit dem Sound. Das ist mir natürlich auch immer wichtig, nicht selbst als Störenfried in die Stadt einzugreifen, sondern sehr wohl ganz bewusst an bestimmten Plätzen oder Parks oder an Skulpturen mit den Grillen rangehe. Warum hast du dich für das open source bzw. open design Konzept entschieden? Open Design ist jetzt so ein neuer Begriff. Open source bezieht sich ja eher auf Software und open design ist jetzt so ein ganz ein neuer Begriff, der zielt eben speziell auf Hardware Produkte ab. Zum Beispiel irgendein Sessel, da stelle ich dann die Pläne rein und sage wie wird’s gemacht. Das ist ganz praktisch das open design. Für mich hatte es verschiedenste Gründe. Ein Hauptgrund war natürlich, dass ich das etablieren wollte als alternative Form von Street Art eben mit Sound und wollte natürlich, dass das Verbreitung findet, weitestmöglich. Das ist einmal ein Hauptgrund natürlich. Da habe ich geschaut, ob das interessant ist, zunächst mal für die open source Szene oder für die Street Art Szene und habe da natürlich auch Feedback bekommen. Es fand ja auch Verbreitung auf verschiedenen Plattformen. Ja, teilweise ist das passiert und teilweise habe ich es selbst dort gepostet. Und dann habe ich natürlich auch geschaut, wie die Leute darauf reagieren und ob es jemand nachmacht. Würdest du dir wünschen, dass auch andere Künstler ihre Werke als open design anbieten? Ja, da gibt’s jetzt auch wirklich schon eine Szene. Der Ursprung ist ja Electronic Street Art, da gibt’s das Graffiti Research Lab. Und zwar die haben angefangen 2005 oder so, da ist das gegründet worden, die hatten so ein Stipendium. Das war so ein Thinktank in New York, der sich speziell mit Medienkunst und dem natürlichen Raum auseinandersetzt. Die haben dann diese LED Throwies entwickelt. Und das war praktisch der volle Burner und hat eben weltweit Verbreitung gefunden. Und die haben dann viel gemacht und von denen stammt einiges und vor allem diese Idee, mit Elektronik in den öffentlichen Raum zu gehen und die Ideen zu teilen. Wie stehst du dann so zu Urheberrecht? Wenn ich von jemandem anderen etwas nehme oder jemand anderer von mir... ich schau da natürlich... also ich arbeite eben mit dem open design und wenn ich von jemandem etwas nehme. Da gibt’s ja die creative commons license und ich gebe dann natürlich – zum Beispiel bei einem Schaltplan oder so – die Leute an, wo ich das entdeckt habe. Oder ich hacke irgendwelche alten Kinderspielzeuge. Aber ich war nie in der Situation wo ich mir dachte: Ok, ich nehme jetzt den Sound von dieser Person und verwurschtel den und mache da was anderes draus. Ja und von mir. Da gibt’s von mir ein paar Verdachtsmomente, wo ich mir denke: naja, die Idee stammt eigentlich von mir. Oder sie verweisen dann auf mich, wo ich mir gedacht habe, naja ok, du hättest mich schon irgendwie fragen können, ich hätte eh ok gesagt. Ich bin dann halt mal durch meine eigene, regelmäßige Recherche

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draufgekommen. Ich hätte es eigentlich ganz gerne, dass die Leute sich bei mir melden und einfach kurz fragen. Was ich ja auch mache, wenn ich von jemandem ein Foto verwende. Sie sollten dich fragen, wenn sie die Schaltpläne verwenden? Die Sachen nachbauen ist überhaupt kein Thema. Das soll ja auch so gemacht werden. Ich freu mich dann halt nur, wenn mich jemand anschreibt, du wie kann man das am besten bauen. Und letztens habe ich dann ein Foto aus Paris gekriegt, da hat das einer in Paris gemacht und da unterstütze ich die Leute auch, indem ich denen ein paar Teile schicke zu einem günstigen Preis und den Bauplan oder so ein Package, so ein Do it Yourself-Package. Und sie müssen mir dann im Gegenzug zum günstigen Preis ein Foto von der Location schicken, wo sie's eben gemacht haben. Hast du – seitdem du die Szene verfolgst – Unterschiede in der Szene bemerkt durch die Kommerzialisierung? Ja sagen wir mal so. Es haben sich bestimmte Looks etabliert. Das ist natürlich auch, wenn ich am Abend in der Prime-Time Werbung schaue und da kommt dann wieder irgendeine Auto Werbung mit „Street Style Urban Car“, da denke ich mir What the fuck, was ist da los. Und halt auch einfach die Stencilschablonen, die haben ja mittlerweile überall Einzug gefunden. Das war ja am Anfang, als Graffiti ein Part der Hip Hop Kultur war und das dann sehr oft als Hintergrund von Musikvideos und so weiter fungiert hat. Und es ist dann ja einfach weitergegangen, wo es dann halt einfach bestimmte Brands mit Riesenkampagnen auf die Street Art Subkultur draufgehauen haben und dann mehr oder weniger das Feld dann besetzt haben. Oder wenn dann irgendwo in Berlin Kreuzberg von einer Marke ganz viele Sachen auftauchen. Ja also dieser Stencil Look hat sich für solche Sachen, speziell für die Werbung etabliert. Ich tue mir da ein bisschen schwer, weil ich mit meiner Arbeit da nicht reingeforscht habe. Für mich war das überhaupt kein Thema. Natürlich würde es mich jetzt stören, wenn Saturn hergeht und Sound Tossing für eine Saturn Werbung verwendet und da „Geiz ist Geil“ runterträllert. Als Weihnachtsaktion. Der Bereich in dem du dich bewegst ist aber vermutlich der innovativste der Szene, abgesehen vielleicht von Smell Street Art? [lacht] Ja das sind einfach solche exotischen Entwicklungen. Bei Sound hat es natürlich immer wieder mal so Ansätze gegeben, da bin ich nicht der erste. Ich bin irgendwie so der erste, der das irgendwie so auf einer visuellen Ebene mit einer städtischen Praxis des Shoe Tossings verbunden hat. Wo das ganze irgendwie ein bisschen besser ineinander greift. Es kommt mir so vor, aber es ist natürlich ein absolutes Genre-Gebiet. Was schon so ist, dass immer mehr Leute aus der Medienkunst-Szene, Media Art jetzt Sachen mit ihren Electronic Devices im öffentlichen Raum machen, um den Datenfluss der Stadt anzuzapfen. Da gibt es einen innovative Szene und diese Medienkunstfestivals, die fokussieren jetzt sehr stark neben dem Protest und der

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Rebellion auch auf den städtischen Datenfluss. Da war ich bei vielen Medienfestivals, die sich da einfach so konzentriert haben auf Media Devices im öffentlichen Raum. Das ist so ein bisschen eine Szene, die die Stadt erobert. Ich glaube global wird das immer mehr. Nachdem bei Street Art so ein bisschen der große Boom vorbei ist und das Thema ein bisschen ausgeschlachtet ist, kommt das jetzt verstärkter. Auch auf diesen Medienkunstfestivals, damit das alles nicht mehr nur in der Galerie stattfindet, sondern nach außen transportiert wird. Was findest du persönlich als Künstler interessant? Natürlich bin ich jetzt durch diese ganze Beschäftigung mit Street Art... mir ist es vorher schon so gegangen, im öffentlichen Raum, ich finde, dass das spontane und mit diesem Konfrontieren der Öffentlichkeit, das hat natürlich einen totalen Reiz. Also anders als die Galerieszene. Im öffentlichen Raum spricht man natürlich die meisten Leute an. Das ist ein Motor natürlich. Wenn ich an Graffiti denke, da ist viel Müll auch dabei. Wenn ich mir jetzt denke, wenn der Hausbesitzer zum fünften Mal sein Stromkastl putzt und am nächsten Mal steht wieder irgendwas drauf. Das kann natürlich schon frustrierend werden. Ich habe da natürlich auch einen gewissen Anspruch, wenn ich rumgehe oder wenn ich ein bisschen eintauche in die Szene. Da entsteht ja ein richtiger Entdeckungsmarathon in der Stadt, ich schaue dann die Sticker an und die Graffitis und die Tags und Stencils und da ist natürlich schon verdammt viel Müll dabei. Hat das dann keine Berechtigung deiner Meinung nach, das was du als Müll anschaust? Doch das hat natürlich eine totale Berechtigung. Oft ist es ja – zum Beispiel in New York – ein Protest von jungen Menschen, die gehört werden wollen und es ist eine Ausdrucksform. Dass das natürlich manche Leute nervt oder auch teilweise Sachbeschädigung ist, ist natürlich ein anderes Thema. Wobei bestimmte Street Art Künstler sagen: uns gehört die Straße und das Werbeplakat, das richtet sich an uns und das gehört natürlich dann übersprüht, weil das der Allgemeinheit gehört. Ist ja ein netter Gedanke. Aber es ist leider nicht so. Würde dich selbst dann Adbusting auch interessieren? Ja, auf jeden Fall. Das hat ja angefangen glaube ich mit der situationistischen Internationalen, Kunstbewegung irgendwo in Norditalien entstanden und dann ganz aktiv im Frankreich der 60er Jahre. Die haben dann angefangen damit, wir müssen die Welt und die Gesellschaft verändern und das können wir auch mit dem „détournement hat der Begriff geheißen, also mit dem Zerstören von Werbeplakaten. Das finde ich äußerst spannend auf dem Gebiet von Street Art. Würdest du dann auch selber auf die Straße gehen und Adbusting betreiben? Ja, also nachdem ich schon ein bisschen müde bin mit dem Sound Tossing Projekt, habe ich mir in den letzten Jahren so einen wahren Ideenkatalog angelegt mit Aktionen. Dass heißt, ich werde mich vermehrt auf die Straße konzentrieren und solche Sachen

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machen. Also auch illegale Sachen? Ja. Hast du da in Linz vielleicht einen Vorteil, weil du von der Stadt Linz ja sehr unterstützt wirst? Zum Beispiel kürzlich mit einer Reise in die USA. Ja, genau, das war ein Stipendium mehr oder weniger, das hat Linz Export geheißen und da haben die mich unterstützt. Ja man kommt da in so ein gewisses Rad rein und in Linz ist das Verhältnis von Künstler zu Förderung ziemlich gut. Und da war ich in der glücklichen Position, dass ich da in dieses Rädchen reingekommen bin und an Geldkanäle. Und es ist ja skurril, sich so ein subversives Projekt von der Stadt fördern zu lassen (lacht). Ist es da wichtig, dass du eine akademische Ausbildung hast? Ja, das ist mir auch aufgefallen. Dieser akademische Grad des gebildeten Künstlers ist in der Kunstszene extrem hilfreich. Sei es jetzt bei Einreichungen, sei es bei Beschaffung von einem Atelier. Es ist verdammt wichtig. Oft stell ich mir auch die Sinnfrage, was ich da eigentlich mache. Aber ein ganz wichtiger Impuls ist bei mir auch, dass es Spaß macht. Weil solange es Spaß macht, werde ich weiter machen. Wenn mich dann einer blöd anredet, macht mir das auch nichts. Ich schaue halt, dass ich dann ernsthaft auftrete, was vielleicht manche Graffitikünstler nicht machen. Da gibt’s ja bei Graffiti-Crews wahre Fights, gerade in London habe ich das bemerkt, wo Graffiticrews dann gegen Banksy und alle anderen Street Art Künstler waren, das war schon ganz interessant. Da sind wir ja richtig provinziell hier in Linz. Wenn du ein Plakat von einer Firma anmalen würdest, in Richtung Adbusting, meinst du die Stadt Linz würde das dann schätzen? Ich glaube es kommt darauf an wie es dokumentiert und aufgezogen wird. Wenn man das irgendwie begründen kann, dann ist es was anderes, als wenn ich mit der Spraydose an irgendeine Hauswand gehe und mir mit dieser Aktion Privatbesitz aneigne, dann bin ich natürlich auf dünnem Eis und kann natürlich auch dafür bestraft werden. Es gab ja diese Tags von ECKO, da wurde das ganze Finanzgebäude zugetagged und das dürften anscheinend ein paar junge Leute gewesen sein. Ich wollte das irgendwie so ein bisschen verfolgen und das ist auch in einer Stadtzeitung aufgetaucht: „Verschandelung des Finanzgebäudes“ und die sind wirklich eingesperrt worden. Oder vielleicht, kennst du die Blume von Augsburg? Der tut mir wirklich leid. Ich habe ja auch eine Aktion in Augsburg gemacht, da habe ich überall die Blumen gesehen. Da habe ich mir gedacht, wow ist das unkompliziert in Augsburg, man macht das was und es stört keinen oder so. Aber dann habe ich's ja gemerkt, weil die Stadt Augsburg hat ja überlegt ob sie das nicht praktisch so als Marketingstrategie nutzen und dann hat er schlussendlich doch eine Strafe gekriegt.

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Wenn man überlegt wie sich das summieren kann, solche Sachen. Und ich weiß ja nicht wo der überall rangegangen ist mit seiner Blume. Hältst du es für eine gute Idee so eine Art Fond für Graffiti-Sprayer zu gründen: alle die kommerziell erfolgreich damit sind, zahlen ein und die die erwischt werden, bekommen das Geld? Da gibt’s dann bestimmt auch viele Rivalitäten zwischen den Crews. Ich glaub das müsste dann stadtintern oder so geregelt werden. Aber ich - gerade mit solchen künstlerischen Aktionen und vor allem bei Leuten, die ja Freude bereiten und nicht nur Ärgernis – also das finde ich sehr unterstützenswert und ich würde die Leute da auch unterstützen. Solidarität bekunden. Auch natürlich den Jugendlichen. Wie findest du die Augsburgblume vom künstlerischen Aspekt her? Ja, es ist natürlich nichts Neues. Die Blume gibt’s ja schon ewig lang. Ich weiß net auch in Paris oder so. Er hat halt praktisch das Symbol aufgegriffen. Aber ich würd sagen: Eine Grille gibt’s ja auch schon ewig lang (lacht). Man bedient sich da, womit man Assoziationen verbindet. Und mit der Blume verbindet man ja jetzt... vom Style her war das ja wirklich nett. Ich weiß nicht, was seine Beweggründe waren natürlich. Aber gerade bei den jungen Sprüher ist es ja oft, dass man szeneintern bekannt wird. Das war ja der Urantrieb, neben dem Illegalen, dass man es an irgendwelche ganz speziellen Orte anbringt, wo niemand hinkommt. Und da war ja dann immer die Intention, dass man in der Szene bekannt wird. Aber es ist interessant, dass du von einem ganz anderen Ansatz her kommst, als viele andere Street Artist. Weil du früher ja nicht illegal auf der Straße unterwegs warst, sondern Künstler bist. Naja diese Bildhauerei Intervention hat's schon immer gegeben, aber natürlich kommt ich aus der Punkszene, wo man gegen das System arbeitet. Aber jetzt so Graffitis im öffentlichen Raum war nie so... ich war immer der dreidimensionale Typ und natürlich ist jetzt auch Linz, was das angeht ziemlich auf der Schmalspur. Ich glaube, wenn man da in anderen Städten aufwächst, wo's da ne innovative Szene gibt, da hätte ich wahrscheinlich nicht Bildhauerei studiert, sondern wäre gleich auf die Straße gegangen. In welche Kategorien würdest du Street Artists einordnen? Also zum Beispiel welche die jeden Auftrag annehmen, welche die auswählen und andere die keinen Auftrag annehmen. Schwierig zu sagen, ich frage mich, ob nicht bei einem gewissen Preis jeder schwach werden würde [lacht]. Ich glaube, es gibt eben auch die, die neu dazugekommen sind und kommerzielle Aufträge ablehnen, es aber nicht ablehnen ihre Arbeiten über eine Galerie zu verkaufen. Ich weiß nicht, was das dann für eine Kategorie ist. Die suchen praktisch Anschluss an den Kunstbetrieb.

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Wie würdest du dich da selbst einstufen, wenn du dich einstufen müsstest? In gar keine Kategorie von denen. Weil mit dem Projekt, da ist ja alles öffentlich, das kann jeder nachmachen und das ist ja praktisch kein finanzieller Hintergrund-Gedanke. In Galerien bin ich auch nicht, nur auf Festivals. In Galerien wär das ja so: Ich gebe denen die Grille, die verkaufen die für 500 Euro und geben mir dann 250. Das wär dann praktisch der Galeriebetrieb, da bin ich auch nicht drin. Bei mir wars rein der open design-Gedanke, gepaart mit Sound im öffentlichen Raum zu arbeiten. Die Idee war eigentlich Protest. Ich dachte mir einfach, warum gibt es nichts wie Street Art oder Graffiti auf einer akustischen Ebene. Dieser Protest ist ja noch so banal, genau wie die Äußerung von Jugendlichen, die da was anmalen, wieso funktioniert das nicht auf einer akustischen Ebene. Wobei die ja auch so interessant und prägend ist für uns in der Stadt. Und das war so diese Grundintention. Und da ist natürlich kein finanzieller Hintergedanke dabei. Wenn jemand gute Graffitis malt und einen coolen Style hat und sich denkt: ok ich könnte mit meiner Kunst Geld verdienen, liegt natürlich auf der Hand. In der Situation war ich eigentlich nie, weil ich ja aus der Kunstecke mehr oder weniger komme. Hast du dir auch schon überlegt, eine konkrete Message mit deinen Geräten zu verbreiten? Also zum Beispiel einen Spruch? Ja da gabs ja auch die Idee mit den Geräten, da wollte ich sie einbinden in die Ortstafeldiskussion in Kärnten mit der slowenischen Minderheit. Und da habe ich so Audiodevices entwickelt, Sound Tossing Tools. Wo man praktisch Botschaften an die Autofahrer sendet, die da vorbei fahren, dass sie dann den slowenischen Namen aufs Radio gesendet kriegen. Das war nur so eine Konzeptidee, das Ding das gibt’s. Das habe ich entwickelt, der Prototyp, der funktioniert. Und da gibt’s natürlich verschiedenste Ansätze.

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Interview Anonym, 26, Linz März 2012 Der Sprayer aus Linz in Österreich ist einer der bekanntesten Vertreter der Graffiti-Szene in Linz. Er lebt nicht von der Kunst, sondern gestaltet nur nebenbei hin und wieder Auftragsarbeiten oder hält Graffiti-Workshops für Kinder und Jugendliche. Ich habe eigentlich Mediendesigner gelernt. Meine Lehre habe ich 2010 beendet, im Moment bin ich arbeitssuchend. Ich habe eine Stelle in Aussicht bei der ich im sozialen Bereich arbeite. Nichts künstlerisches also? Naja so halb. Es hängt zusammen. Es ist eine Stelle, da würde ich dann auch die EDV Werkstätte als Betreuer übernehmen und da mit den Klienten Druckdaten oder digitale Sachen erstellen. Würdest du gerne hauptberuflich malen? Also ich suche mir den Job jetzt schon aus finanziellen Gründen. Als Freischaffender bin ich ja nicht versichert, da habe ich vielleicht einen großen Auftrag in zwei Monaten, davon zahlt sich keine Miete. Auf so einem Level sind wir – also bei meinen Aufträgen bin ich meistens im Duo unterwegs, ein Sprüherduo – noch nicht, dass wir wirklich davon leben könnten. Aber es geht schon in die Richtung, ich will es nicht verschreien, aber wir haben jetzt dann auch einen größeren Auftrag, da kriegt jeder von uns 500 Euro. Da sprüht ihr dann eine Wand? Zwei Container. Es ist im Endeffekt dann so: Wir machen das was wir gerne machen und werden dafür bezahlt. Schöner kann es nicht sein. Wann hast du mit dem Sprayen angefangen? Mit 14. Also mit 14 hab ich mit Graffiti angefangen. Für mich ist aber das Malen nicht nur mit der Dose an die Wand, sondern da geht’s allgemein darum Wände anzumalen. Zeichen zu hinterlassen. Dazu gehört alles Mögliche, angefangen von Tags auf Klohäuschen über Graffitis bis zu richtigen Malereien an Wänden. Da fällt für mich auch Stencil oder urban knitting oder negativ rein. Also alle Formen der Street Art. Aber mit 6 Jahren hab ich zum ersten Mal Wände angemalt. Das steckt glaube ich irgendwie in jedem Menschen. Fast alle Kinder haben schon mal mit Farbstiften Wände angemalt. Das ist einfach die Freude am Tun. Das ist der Impuls. Das andere ist dann die Technik. Gab's da Leute in deinem Alter, die auch Interesse daran hatten? Ja, da gab es ganz wichtige, fähige Leute, die das dann auch erklärt haben. Wie ist die

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Geschichte, wie ist die Technik. Da hatte ich eben auch die Mentoren, die Lehrer, die mir gezeigt haben WIE – Schritt für Schritt. Wie hast du die kennengelernt? Über die Schule. Da waren ganz viele aus ganz Österreich, da hat es angefangen auch mit Hip Hop. Da haben wir Hip Hop gehört und da hat sich das prima ergänzt. Ich höre gerne Musik und mache auch gerne Musik. Gibt's eigentlich in Linz eine Szene? Szene, eigentlich nicht. Eine Szene in dem Sinn gibt’s keine. Das war vor einigen Jahren noch viel intensiver. Ich habe jetzt den Zugang nicht mehr so zu jungen Leuten. Ich weiß, es gibt junge Leute. Aber was die machen, weiß ich nicht mehr. Ich kann da nur raten, dass sie aufpassen und sich nicht erwischen lassen. Das wichtigste ist, dass man keinem was davon erzählt. Weil je größer die Szene umso mehr Konkurrenzkampf gibt es und desto größer ist dann die Gefahr, dass dich einer verrät. Vor fünf Jahren oder so hat es mal einen großen „Duscher“ gemacht in der Szene, da waren einige Leute aktiv und da haben sie einen gefilzt, der Dosen gehabt hat und Sketches, der hat sich dann immer weiter reingeritten und alles erzählt was er wusste. Nur wenn du Dosen dabei hast oder Stifte, dann können sie dir eigentlich im Normalfall nichts machen, aber wenn du Skizzen dabei hast mit illegalen Namen, dann schon. Wenn du's gscheit machst, dann hast du sowas einfach gar nicht. Geschweige denn daheim. Da ist man besser organisiert. Der hat eben eine Menge Leute angeschwärzt. Der ist dann auf ungefähr 80.000 Sachschaden hängengeblieben und ist halt jetzt am Ende. Nicht nur finanziell, sondern eben auch auf sozialer Ebene, weil er eben soviel geredet hat. Denkt man da dann an die Konsequenzen, wenn man malt? Was wäre, wenn sie einen erwischen? Also ich mache ja nichts Illegales. Aber ich denke, man muss sich schon bewusst sein, dass man eben gut organisiert sein muss und wissen muss, dass es teuer werden kann. Unterscheidet man da dann auch zwischen privatem und öffentlichen Besitz? Es gibt soviele verschiedene Arten von Graffiti, wie es Leute gibt. Es gibt zum Beispiel die Hardcore-Maler, die malen einfach alles an. Egal was. Weil sie den Druck abbauen müssen. Da geht’s ums zerstören. Es gibt Leute, die malen nur legal, weil sie sagen, ich will mein Potenzial wirklich ausnutzen und nur auf den legalen Wänden malen. Kodex gibt’s am ehesten noch innerhalb der Szene. Bei den legalen Wänden sollte es eigentlich so sein – also ich werde auch grantig, wenn ich acht Stunden an der Wand stehe und dann kommen die Kids her und malen drüber. Wenn ich da einen erwisch, dem werde ich gehörig die Leviten lesen. Das habe ich auch immer wieder erklärt bei Workshops. Es gibt auch einen Kodex, da sagt man, keine religiösen Institutionen, Kirchen, Tempel oder Moscheen und auch keine denkmalgeschützten Gebäude anzumalen. Aber sonst? Was ist Besitz? Das ist sehr individuell. Da kann man nicht sagen: die Graffitisprüher im Allgemeinen...

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Was entgegnest du Leuten, die sagen, Graffiti „verschantelt“ nur die Stadt? Dann sage ich die Bawag verschantelt mir die Stadt und McDonald's „verschantelt“ mir die Stadt. Da hat mich auch keiner gefragt, ob ich das da haben will. Und das stört mich teilweise auch wirklich. Vor allem die Werbung. Aber ich ziehe da eine Parallele. Graffiti ist im Grund nichts anderes als Werbung: Eigenwerbung. Unbezahlte Werbung. Ich finde das viel spannender zum Anschauen. Ich sehe zum Beispiel an einem Tag, ob der motiviert war oder besoffen war, teilweise wie alt der ungefähr ist, ob er frisch angefangen hat. Die Kalligrafie finde ich einfach spannend. Und bei Werbung: Ich will nicht dauernd aufs Auge gedrückt kriegen, was laut Werbepsychologie am besten für mich ist. Das kann ich selbst entscheiden. Teilweise fühlt man sich dann auch entmündigt. Inverse Graffitis werden ja auch oft von der Werbung verwendet, wie findest du das dann? Scheinheilig. Genauso wie, da gibt’s irgendeine Handywerbung mit einem Inder, die auch groß auf Stencil macht. Da ist alles im Stencil-Stil. Da störts auf einmal niemanden. Wenn es auf einem Plakat ist. Aber wenn es wirkliche Stencils sind und eine Aussage hat mit der sich aber keiner beschäftigen will, die aber lustig ist oder interessant oder provokant, dann ist es schlecht und dann ist es Eigentum. Das finde ich einfach sehr scheinheilig. Das erste mal inverse Graffiti habe ich gesehen, bei einem Video auf Youtube, ich habe den Namen leider vergessen. Da ist ein vierspuriger Tunnel irgendwo in Brasilien, Sao Paolo glaube ich, und da war ein Künstler nur mit einem Schwamm bewaffnet, einem Eimer und einem Fetzen. Dann hat er über die ganze Länge und das waren sicher 400 Meter nur Totenköpfe „reingeputzt“. Keine zwei Stunden später kommt die Polizei und auch die Stadtverwaltung und kärchern überall drüber. Jeder darf sich ja gestört fühlen. Für mich ist das Interessanteste, wenn Leute auf meine Graffitis reagieren. In Linz bei der Europaschule gibt es eine legale Wand, da habe ich vor Jahren mit mehreren Leuten gesprüht. Das war ein Roboter, Arme und Beine waren nur Stümpfe und ein Frauentorso mit einem Totenkopf in einer gekreuzigten Jesuspose. Und ein Tag später war mein Bild schwarz übersprüht. Ich habe dann mit den Kindern dort geredet, die meinten: Ja, irgendeine Mama ist daher gekommen und hat drübergesprüht. Das hat mir aber so getaugt, dass mein Bild so provoziert hat, dass irgendwer, der mit Graffiti nichts am Hut hat, sich eine Dose schnappt, rausgeht und das crosst. Das war fast eine Ehre für mich. Ist das dann auch dein Ziel, dass du bei den Leuten, die vorbeigehen etwas auslöst? Dass sie zum Beispiel über etwas nachdenken? Net immer. Oft ist einfach so, dass es uns darum geht ein gutes, großflächiges Bild zu malen. Das großflächige ist das was uns taugt. Je nachdem wie wir eben gerade drauf sind wird es dann ein trauriges Bild oder was uns eben gerade taugt. Das wird dann gemalt. Das kann auch provokant werden. Ich habe dieses Jahr ganz viel den „Jesusschmäh“ rennen gehabt. Natürlich wird das dann auch provokant. Was aber nicht unbedingt darauf abzielt, sondern das ist einfach unser Humor. Aber je mehr man dann drüber nachdenkt, desto mehr fällt einem dann auf, desto mehr Sichtweisen erkennt

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man dann dadurch. Aber durchaus, manchmal ist es auch das Ziel provokant zu sein. Ein Bild das „tötet Geld“ heißt, was wir gemacht haben, zielt nur auf das ab. Sind Stencils dann im Allgemeinen politischer als Graffiti? Das hängt einfach von den Leuten ab, die das machen. Mit Stencils kannst du viel leichter eine Message rüberbringen. Das kommt ja auch aus der Informationsvermittlung, als das würde ja für Markierungsarbeiten und Beschriftung von Kisten zum Beispiel verwendet. Ich würde fast sagen, Stencils machen eher Studenten. Es ist halt die einfachste Möglichkeit eine Botschaft anzubringen. Du kannst auch den Computer zu Hilfe nehmen, das ausdrucken, dann schneidest dus aus und sprayst. Graffiti, das ist halt frei Hand, da hast du auch eine ganz andere Herangehensweise. Es ist halt eine andere Technik. Beim Sprühen musst halt aufpassen, welche Aufsätze du nimmst, wie du die Schärfe des Striches regulierst, mit der Schnelligkeit und dem Abstand zur Wand. Wie lang hast du gebraucht bis du richtig gut warst? Ich würde nicht sagen, dass ich gut bin. Da ist nach oben noch Luft (lacht). Ab dem hundertsten Bild kann man ungefähr was. Es gibt Leute die tun sich leichter, es gibt Leute, die tun sich schwerer. Aber ab dem hundertsten Bild kann man ungefähr sagen. Es ist halt viel Übung. Man kann ja auch bei den legalen Wänden üben, aber da muss man sich halt erst genau anschauen: was ist da oben. Dann fragst du dich: kann ich da mithalten, ja oder nein. Und falls ja, dann musst du erst drüberstreichen. Verdeck das Bild, das vorher drauf war komplett. Mit Dispersionsfarbe. Das mache ich auch, damit es wieder eine neue Schicht ist. Du hast Möglichkeit, Zeit, dann kannst auch wirklich Zeit und Geld investieren. Davor musst halt Skizzen anfertigen und dir viele Gedanken machen. Viel üben einfach, weil sonst bist ein Toy wie es eben so heißt. Und wenn dann einfach wo drüber sprühst, handelst du dir Ärger ein. Also mir sind auch schon Schläge angedroht worden am Anfang. Da hatte einer ein Bild gemalt und ich habe da einen Character daneben gemalt und war mir eben nicht so bewusst bis mir dann halt jemand gesagt hat, dass das nicht geht. Der ist dann ziemlich sauer geworden. Ist das dann gerechtfertigt? Ja, absolut. Ich versteh's total. In Linz ist das nicht so hart wie in anderen Städten. Da gibt’s oft wüste Raufereien. Das ist fast wie Krieg, eben ein Wettbewerb. Gibt's auch Battles? Um das geht’s ja beim Drüberstreichen. Weil wenn du einfach nur drübersprayst, dann ist das eigentlich eine Aufforderung zum Streit, so nach dem Motto: Ich respektiere es überhaupt nicht, was du machst und gehe einfach drüber. Das wird halt persönlich aufgefasst: du malst über mein Bild drüber. Aber in Linz ist die Szene einfach zu klein für wirkliche Battles. Da musst du schon in andere Städte gehen. Quasi in jeder europäischen Großstadt. Es hat sich viel auch in den Osten verlagert. Prag zum Beispiel. Da ist vielmehr auf den Zügen. Aber es gibt auch eine interessante Szene in Paris, Marseilles und natürlich Berlin, das

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Graffiti Mekka. In Linz liegt's einfach an der Größe der Stadt und auch an der Angst. In Linz sind allein fünf Polizisten angestellt für Graffiti. So war das zumindest früher. Ich habe auch Schränke voller Aktenordner gesehen. Da habe ich mir gedacht: so akribisch wie ihr das macht's, ihr könntet ein Museum aufmachen. Street Art und Graffiti hängt ja mittlerweile auch in Museen, glaubst du dass sich dadurch in Zukunft etwas in der Stadt ändern wird? Dass sie dann sagen: Das ist Kunst Ich fände es ehrlich gesagt schlimm. Ich bin kein Fand davon, dass Street Art oder Graffiti in Museen hängt. Weil es ist nicht die natürliche Umgebung. Es ist dann gekünstelt. Es ist nicht mehr authentisch. Das ist nämlich auch der große Unterschied: Bist du Graffiti-Maler oder bist du Künstler. Natürlich gibt es da Grauzonen dazwischen, aber im Prinzip wird das in die zwei Kategorien aufgeteilt. Du findest Künstler und Graffitisprayer sein widerspricht sich? Schon, ja. Wenn man jetzt wirklich polarisieren will dann sagt man: die Graffitisprüher gehen raus, weil sie malen wollen. Denen ist es wirklich wurscht wo und wie, Hauptsache Bilder malen und es tut sich was. Warum, wozu, was hat das für einen Reiz? Es geht darum den eigenen Namen zu pushen, Eigenwerbung zu machen. Andererseits das Ästhetisch-Künstlerische: beides ist ästhetisch, aber die haben eben den künstlerischen Zugang, das ist ein Arbeiten sehr gezielt auf die Optik, was für eine Interaktion hat es mit dem Betrachter. Das sind zwei unterschiedliche Herangehensweisen, die nicht immer kollidieren müssen. Aber meine persönliche Meinung ist, dass Graffiti und Street Art nichts im Museum zu suchen haben. Weil dann ist es Kunst, dann ist es nicht mehr Graffiti oder Street Art. Street Art in einem Museum ist eben „museum art“ oder „indoor art“ oder gezüchtete, domestizierte Kunst. Was hältst du dann von Banksy? Ich glaube, das ist meine Meinung, Banksy ist ein irre intelligentes Kollektiv. Das ist nicht nur ein Typ, er ist nur die Ikone, der Name, der verkauft wird, eine Marke. Die haben den Namen zu einer Marke gemacht, die sich gut verkauft, das war eine sehr intelligenter und geschickter Kunstmarkttrick. Die bestfunktionierendste Werbung, die ich am Kunstmarkt gesehen habe. Auch bei dem Film „Exit trough the gift shop“, das ist ja alles gefaked, meiner Meinung nach. Von diesem Charakter halte ich gar nichts, ich weiß nicht, ob der das wirklich ist. Der geht mir richtig am Sack. Richtig. Das ist so ein Unsympath und wie er da mit seinem Roller durch die Galerie fährt. Das ist so ein richtiger Chef, der nur anschafft: da macht's des und ihr des. Das hat für mich nichts mehr – NICHTS mehr – mit Street Art zu tun. Ich glaube schon, dass das Kollektiv irgendwann mal wirklich auf der Straße unterwegs war, viel gemacht hat und aktiv war, aber irgendwann haben sie halt gemerkt, dass man auch Kohle damit machen kann. Und dann haben sie halt gesagt: wir müssen nur das und das machen, provokant immer wieder Aktionen machen und die werden halt auch publiziert. Er ist ja einer der bestpubliziertesten Street Art Künstler weltweit. Neben natürlich Space Invader und den

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anderen großen Namen. Das halte ich für sehr intelligent, bin aber kein Fan davon, weil er eben maßgeblich daran beteiligt war, dass das Ganze eben ins Museen kommt und da bin ich mir nicht sicher, wen er verarscht: die Museumsleute oder die Graffiti-Maler bzw. Street Art Leute. Wenn du sagst, es geht dir um Eigenwerbung, dann hat er das Ziel ja auf alle Fälle erfüllt. Das auf jeden Fall. Dann ist er der Beste. Aber es ist halt auch meine persönliche Ansicht: mache ich Geld damit oder mache ich es aus Überzeugung? Wie weit gehe ich da? Du kriegst ja auch teilweise Geld dafür, dass du Graffiti malst. Wie wählst du da dann aus? Das sind zwei Aspekte, die da mit reinspielen. Einerseits: Was wollen die von mir? Wollen die das, was ich eh gerne mache, was ich gerne male, wollen die meinen Stil haben? Oder wollen die einfach wen, der ihre Sachen umsetzt. Dann zweitens: Für wen mache ich das? Wenn das ein sozialer Verein ist oder ein Jugendzentrum, dann mache ich das voll gern. Wenn ich das Gefühl habe, es wird wirklich wertgeschätzt. Aber wenn das jetzt für... ich würde zum Beispiel nie für die FPÖ sprühen. Vielleicht wenn ich eine coole Idee hätte und bissl versteckt Hakenkreuze einbauen könnte, dann schon [lacht]. Das ist eben ein moralische Abwägung, verkaufe ich mich oder verkaufe ich mich nicht. Im Sinne von: Verkaufe ich meine Werte für Geld? Oder bleibe ich mir selbst treu und werde dafür auch noch bezahlt. Das ist eben der Anspruch, den ich an mich selbst stelle: Ich will mich nicht verkaufen. Es gibt ja auch Leute, die alles machen, weil es eben gut bezahlt ist. Mir geht’s auch nicht anders, ich habe auch schon Zeiten gehabt, wo das nicht so war. Das funktioniert auch, wenn man sich selbst austrickst und seine Sichtweise umstellt. Letztes Jahr habe ich ein Winnie Puh Bild in ein Kinderzimmer gemalt. Da hab ich mir auch gedacht: Das ist jetzt eigentlich nicht unbedingt mein Anspruch. Aber das war für eine junge Familie, die wollten das ins Kinderzimmer, das ist dann wieder irgendwie was schönes. Da habe ich das Gefühl, da mache ich jemandem eine Freude damit. Da mache ich guten Leuten eine Freude. Da kann ich das dann viel leichter vertreten. Würdest du das eigentlich Hobby nennen, weil du ja hauptberuflich was anderes machst? Ich würde es nicht als Hobby bezeichnen, denn es beeinflusst ja schon sehr viel mehr mein Leben, als ein Hobby. Mehr so wie eine Lebenseinstellung. Eine ganz starke Beeinflussung in meinem Leben. Ich habe zum Beispiel keine Schuhe ohne Farbflecken. Gerade trage ich eine von zwei Hosen, die nicht mit Farbe voll ist. Das ist einfach in mir drinnen, das will ich auch ausleben, das geht dadurch. Das bin einfach ich. Das ist einfach ein Teil von mir, eh wie bei jedem Künstler. Ich und mein Kumpel mit dem ich sprühe, da haben wir auch immer die Streitfrage: Wir schimpfen dann immer über die Künstler, aber natürlich machen wir uns auch Gedanken

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darüber, in was für eine Richtung es gehen kann. Das ist aber das schöne, dass wir auch zu zweit Malen gehen können ohne große Diskussionen wie: machst du das und das... das basiert viel mehr auf das „Eingespieltsein“. Wir kennen uns einfach lang und da müssen wir nicht alles zerreden. Und eigentlich, worüber wir diskutieren ist eben... also ich sage eben: Dieses aktuelle Verständnis von Kunst, diese Kunstform oder Kunstanschauung: Aha das ist das Bild und jetzt wird es nur mehr analysiert. Das heißt das Handwerk geht Großteils unter. Nur mehr die Bedeutung wird so aufgebauscht, dass alles andere in den Hintergrund rückt. Ich will bei einem Bild nicht vier Seiten lesen müssen, damit ich es verstehe. Das ist mein ästhetischer Anspruch. Ich will mir ein Bild anschauen und dann sagen: Wow, spannend, das fesselt mich. Und wenn es nicht so ist, dann ist es eben nicht so. Da bin ich oder da sind wir eben ein bisschen „Kunstnazis“ (lacht). Für mich ist eben der Anspruch, ich will malen aus Spaß, aus Freude. Natürlich, jeder kann es interpretieren, wie er mag, das ist ja offen. Weil sobald du etwas publik machst und herzeigst, setzt du dich einer Kritik und einer Beurteilung aus. Aber es sollte nicht das Hauptziel sein, das soll nicht der Beweggrund sein. Für mich ist es das, dass ich mich immer verbessere, auch meine Technik. Bei „Meeting of Styles“, das war 2004 oder 2004 in Zürich, da habe ich gelernt, wie man sich eine Red Cap bastelt. Damit kann man ganz feine Linien sprühen, Red Cap ist ein Plastikring, der draufgesteckt wird, da ist ein kleines Loch drin und du sprühst von innen gegen den Ring, das kann man sich aus einem Aufsatz auch selber mit einem Feuerzeug und einer Zange basteln. Das interessiert mich. Auch das spontan sein, das ist interessant. Was tut man, wenn man keine Leiter dabei hat? Dann nimmt man einfach große Papiermistkübel und stellt sich drauf. So ganz simple Sachen, aber das macht mir am meisten Spaß. Nicht jetzt, wie stelle ich soziale Unruhen in Mittelamerika dar? Das ist natürlich auch gut, aber das ist nicht meins. Hast du Vorbilder? Momentan bin ich sehr beeindruckt von Anselm Kiefer, das ist ein Maler aus Deutschland, der ganz großformatige Bilder malt. Ich habe mir auch viele Sachen durchgelesen über ihn. Der malt sehr dicke Bilder, also die Farbe ist dick aufgetragen. Das wirkt sehr archaisch. Das muss nicht unbedingt Graffiti sein. Wer mir von der Technik her sehr gut gefällt ist MACLAIM, die Gruppe, die so realistisch malen. Das sind glaube ich vier Leute, sehr renommiert in Deutschland. Dann von der Aktivität ein paar Wiener, die wirklich die Stadt zubomben. TVEE heißen die. Alle haben irgendwo ihre Stärken, das fasziniert mich sehr, egal ob das ein legales Graffiti ist, das wie aus dem Ei gepellt ausschaut oder ob das Leute sind, die sich jeden Tag in der Woche raushauen und vehement Sachbeschädigung betreiben. Ich bewundere da beide Sachen. QUICK ist ein alter New Yorker Maler, ein Urgestein. Seine Sachen gefallen mir auch. Wer fällt mir sonst noch ein. ARYZ ein Spanier, der so eine Mischtechnik macht, unglaublich detailreich. Meine Eltern sind natürlich auch Vorbilder und große Inspiration. Die sind beide Keramiker. Da habe ich viel Kommunikation und viel Austausch, das inspiriert mich natürlich auch. Eigentlich gibt es Inspiration an allen Ecken. Es gibt jetzt nicht EINEN, dem ich jetzt nacheifere. Ich bin auch eher der Charactermaler. Das kann man grob so einteilen in Style und Character. Ich male eben eher Character. Mir macht

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das eben mehr Spaß Mimiken und Gestiken zu zeichnen und Geschichten zu erzählen. Dukes of Art aus Linz, kennst du dich auch? Nur von den Bildern her. Die sind technisch sehr gut unterwegs und machen halt Aufträge zu einem entsprechend qualitativen Preis. Die sind – was ich gehört habe – Grafiker und den Einfluss merkt man halt auch. Alles sehr fein und sauber. Die Spontanität geht mir da ein bisschen ab. Da bin ich mir nicht sicher, da müsste man mit ihnen reden, wie sich das entwickelt hat. Weil manchmal, da bin ich skeptisch ob die wirklich einen Spaß dabei haben. Aus dem Ei gepellt schaut das halt aus. Würdest du selbst auch Workshops leiten? Da habe ich schon einige gemacht. Oft mit meinem Kumpel gemeinsam, weil alleine kann man nicht soviele Leute abdecken und auf die Leute so eingehen. Das macht sehr viel Spaß und ist ja auch eine wichtige und präventive Arbeit. Da kann man dann sagen: wenn ihr was anmalt, dann müsst ihr auf das und das und das achten. Mich freut einfach das weitergeben, ich mag es gerne, wenn ich sehe, dass die das so aufsaugen und so eine Freude dabei haben. Letztes Jahr hatte ich eine Gruppe mit 12 Leuten zwischen 12 und 16, da war ein Mädel dabei, die hatte richtig viel Talent. Das war echt cool. Ich hoffe, die hat weitergemacht. Manchmal kommen auch wieder welche und erzählen, dass sie jetzt öfter zuhause malen. Interesse kann man nicht lernen. Also lernen vielleicht schon aber nicht lehren. Die Motivation muss von den Leuten selbst kommen. Vor allem bei jungen Leuten merkt man die Motivation, die hören auch noch zu. Ich habe auch in einem Wohnheim für Schwererziehbare was gemacht, die hat das eigentlich überhaupt nicht interessiert. Ich habe das auch in Schulen schon erlebt, wo wir dann halt die Ärsche sind. Warum? Ja, naja. Nicht alle Workshops sind ja freiwillig. Manche trauen sich auch nicht. Aus Unsicherheit oder weil sie meinen es wär nicht cool.

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Interview mit Tanja König alias Tooz69 November 2012, Dauer ca. 1,5 Stunden Tooz69 begann vor über 20 Jahren mit Graffiti. Sie war unter anderem auf den Straßen Hamburgs und Münchens unterwegs und war eine der wenigen Frauen, die damals überhaupt Teil der Szene waren. Sie selbst beschreibt es als sehr schwierig zur damaligen Zeit als Frau in der Szene Fuss zu fassen und bezeichnet sich daher selbst nicht als Graffiti-Sprayerin oder Street Art Künstlerin. Hauptberuflich geht sie dem Beruf der Patentanwaltsgehilfin nach, gibt aber nebenbei Graffiti-Workshops und leitet eine Malschule. Sie lebt in der Nähe von München. Hauptberuflich mit der Kunst ihr Geld zu verdienen wäre ihr Wunsch. Du bist durch und durch Künstlerin oder? Wenn du Kunst machst, dann ist das kompromisslos. Und man muss so eine gewisse Grenze zum Wahnsinn hin schon überschreiten. So Volkshochschulmalerei, das ist ein anderes Thema. Auch schön, als Hobby und so. Aber das andere ist das, wenn es so in einem brennt. Wenn man immer so das Gefühl hat, ich brauche Farben! Aber wenn ich die Malschule auch immer mache und ich baue meine Küche um und alles verwandelt sich in ein kleines Atelier, dann habe ich volle Probleme aufzuräumen, weil ich will eigentlich, dass es so bleibt. Ich bin auch nicht der Meinung, dass jeder ein Künstler ist, das muss auch gar nicht sein. Manche Menschen schaffen es, Kunst zu machen, weil es sie als Geschäft interessiert. Und die schaffen es, damit Erfolg zu haben, weil sie einfach einen guten Plan haben. Manche sind extrem tolle Künstler, aber weil sie sich nicht managen können und sich niemand um sie kümmert, versickern ihre Arbeiten irgendwo tonnenweise in irgendwelchen Ateliers. Und sie werden vielleicht entdeckt, wenn sie tot sind. Was ist deine Meinung darüber, wenn Menschen mit Kunst ihr Geschäft machen bzw. davon leben? Also ich sag mal so, die wenigen, die ich kenne, das sind ganz unterschiedliche Leute. Manche müssen malen und haben ganz gute Beziehungen zufällig, weil sie auf der richtigen Schule waren und die haben aber auch tolle Ideen und liefern tolle Arbeiten ab, weil sie richtig gut sind in ihrem Handwerk und ihren Ideen. Denen gönne ich das total, weil es ist wirklich schwierig. Ich war vor kurzem in Berlin bei Freunden, die vor kurzem in einer Galerie ausgestellt haben, da war ich dann dort zur Eröffnung und ich habe gemerkt, was das für ein hartes Brot ist. Ich glaube, für die, die davon leben wollen ist es wichtig, eine Galerie zu finden, die alles daran setzt deine Arbeiten zu verkaufen. Und man darf nicht vergessen, der Galerist sackt einen erheblichen Teil des Erlöses ein. Du prostituierst dich schon. Welche Anstrengung diese beiden Mädels hatten, ihre Sachen auszustellen. Es hat sie schon bedrückt, wenn nicht so viele Leute gekommen sind. Könntest du dir das für dich auch vorstellen, in einer Galerie auszustellen? Eigentlich würde ich es sehr sehr gerne mal probieren. Am liebsten aber ohne den

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Druck, etwas verkaufen zu müssen. Ich würde mich freuen, wenn meine Bilder die Leute anspringen. Ich weiß auch gar nicht mit dem Geld, wieviel man da verlangen sollte oder dürfte. Im Prinzip liebe ich deshalb auch die offene Kunst auf der Straße, weil sie eigentlich nichts kostet und für alle da ist. Das ist auch das was mich nach wie vor am meisten fasziniert. Und wenn ich in eine Galerie gehe und etwas entdecke, was mich an das erinnert, was draußen ist, dann gefällt mir das meist am besten. Ich glaube Bilder zu verkaufen, also ich traue mich gar nicht in dieses Geschäft reinzublicken. Ich glaube ich wäre geschockt. Ich wäre glaube ich geschockt darüber, was für Menschen da ihre Hände im Spiel haben und dass sie es auch gar nicht interessiert, was für eine Seele der Künstler hat. Oder ob er was transportiert. Da geht’s nur darum, hat der einen Sammlerwert oder nicht? Ich fürchte, dass das meiste Geld schon damit gemacht wird, dass Leute Kunst sammeln. Die wenigsten gehen mal so am Samstag in so eine Galerie und sagen: „Ach dieses Bild passt gut ins Wohnzimmer, kostet 400 Euro, das nehmen wir mal mit.“ Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es solche Leute gibt. Ich bin da total naiv. War ich schon immer. Sehr weltfremd. Weils mich auch ehrlich gesagt gar nicht interessiert. Neulich habe ich einen Ausschnitt im Fernsehen bei Servus TV gesehen, da stand da: Künstler gesucht. Wir suchen talentierte Maler und Designer für unsere weltweit veröffentlichten Editionen blabla. Dann habe ich diese Seite gegoogelt und siehe da, das ist eine Firma die Kunstdrucke herstellt und Poster. Wo ich mir dachte: „Wenn ich es tatsächlich schaffe, meine Werke und Arbeiten zu sortieren und die besten rauszusuchen, ich glaube ich würde denen mal was schicken. Was spricht dagegen, vielleicht seine Sachen zu verbreiten, indem man Poster herstellen lässt und sich verschiedene Leute vielleicht deine Drucke ins Wohnzimmer hängen.“ Ich weiß nur nicht, ob ein richtiger, echter Künstler mich jetzt dafür auslachen würde. Aber eigentlich ist mir das egal. Weil wenn mir etwas richtig gut gelingt, dann finde ich es schön, wenn viele Leute das sehen. Und ich denke, dass das auch immer noch diese Wurzel von früher ist, warum ich es so geil fand, wenn Leute auf Züge gesprüht haben. Wenn alle was Schönes oder Interessantes zu sehen bekommen. Ich finde nach wie vor Aktionen wo Leute große Bilder im öffentlichen Raum gestalten, einfach genial. Weil irgendwas bewirkt es immer in den Leuten. Würdest du auch Auftragsarbeiten annehmen? Definitiv. Ich würde immer Auftragsarbeiten annehmen, ganz klar. Die letzte schöne Arbeit, die ich gemacht habe, war so einen alten Zug gestalten, der hier im Dorf steht, als Jugendzentrum. Aber ich würde auch gerne Aufträge machen. Wie würdest du die Aufträge dann auswählen? Es kommt drauf an, was von den Firmen transportiert wird oder wie viel Freiheiten mir auch gelassen werden. Aber da muss ich auch ganz ehrlich sagen: Wenn dann sehe ich das auch als mein Handwerk an und da nehme ichs dann wieder von der handwerklichen Seite. Wenn ich der Sache gewachsen bin und das Material kenne, sei es jetzt Schablone oder mit großen Kompressoren oder so, also das habe ich auch alles schon gemacht. Da hätte ich überhaupt kein Problem damit. Ich würde sogar soweit gehen und schauen, ob ich zwei, drei Leute finde, die mit mir zusammen das Projekt machen. Man muss es ja nicht alleine machen.

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Kriegst du viele Aufträge angeboten? Nein überhaupt nicht. Ich mache keine Werbung für mich. Ich habe keine Internetseite. Warum nicht? Gute Frage. Ich muss gestehen ich hänge überhaupt nicht am Internet. Auf der einen Seite leider, weil es gibt so wahnsinnig viel auf der anderen Seite ist das vielleicht auch der Grund, warum ich's nicht mache, weil ich dann vielleicht hängen bleibe. Im Prinzip bin ich auch eher daran interessiert, Sachen rauszulassen, als Sachen „reinzuschaufeln.“ Also das ist für mich auch eine Zeitfrage. Ich bewundere die Leute, die das alles unter einen Hut bringen. Könnte sein, dass ich vielleicht später dazu komme. Aber ich kann mir das selber nicht gestalten, ich bin da auf Hilfe angewiesen und das kostet wieder Geld und das habe ich einfach im Moment nicht. Ich habe außerdem auch noch keine Bilder von meinen Sachen, ich muss die alle mal in einen großen Raum bringen, meine Kamera und den Laptop mitnehmen und mal mein Zeug katalogisieren, wegschmeißen, was ich nicht mehr brauche und mir mal so eine Übersicht zu verschaffen. Das könnte der Anfang sein. Ich bräuchte einfach mal eine durchgängige Phase in der ich mich darauf konzentrieren kann. Eines meiner Probleme ist das ständige Unterbrochen-Werden. Die Kinder kommen von der Schule heim, einer muss zum Turnen, der andere zum Fussball. Ist die Wäsche schon fertig? Was gibt’s zu essen? Ich bin Mutter, ich habe zwei Kinder, einen Halbtagsjob, einen Mann und ein Haus. Man kann es schon unter einen Hut bringen, aber nicht mit der Intensität, die eigentlich nötig wäre, um da einen Anfang zu starten. Nichts destotrotzmerke ich, dass mich das Thema sehr beschäftigt. Unterstützt dich dein Mann in der Hinsicht? Er unterstützt mich. Sowohl moralisch, als auch insofern, dass er sich nicht aufregt, wenn die Küche ausschaut wie ein Atelier. Er findet meine Sachen gut, er ist erstaunt. Er selber kann überhaupt nicht zeichnen, er kann dafür Musik machen. Sonst ist er eher Techniker und ein sehr medialer Mensch. Er unterstützt mich da voll und ganz. Er glaubt auch dran. Damit habe ich schon mal Glück. Ich bin jetzt momentan so gespannt, weil ich hatte eigentlich das ganze Kunstding ad acta gelegt. Ich hatte mir vor ein paar Jahren gesagt: Ich übe jetzt keinen Druck mehr aus auf mich, ich werde das nicht machen, es bleibt den Leuten vorbehalten, die wirklich wahnsinnig sind und alles dafür geben. Ich habe meine Familie, wir lassen es. Das hat mir sehr viel Druck genommen, das war gut. Nur ich habe dann irgendwann gemerkt, wenn ich gar nichts mehr mache, dann geht’s mir richtig schlecht. Ich musste so ein Mittelding machen. Was interessant war, war, dass immer wieder Anfragen kamen: kannst du hier mit Mädchen sprühen, kannst du den Kids einen Workshop geben, wie sieht's aus. Ich werde auch im Frühjahr nächsten Jahres wieder ein mehrtägiges Seminar geben. Eigentlich wollte ich's loslassen, aber es hat mich nicht losgelassen. Und diese Malschule, die ich jetzt habe, das ist seit Jahren ein Traum von mir, ich weiß als ich aus Linz zurückkam damals, da hatte ich plötzlich die Idee. Kurz danach habe ich damit angefangen. Als ich dann in meinen Schränken rumgestöbert habe, bin ich auf ein Konzept gestoßen, das ich fünf Jahre vorher geplant hatte, ich habe mich dann gefragt: warum liegt das da seit fünf

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Jahren und wird jetzt erst wahr? Das war für mich ein Zeichen, dass bei mir manche Dinge Zeit brauchen und ich unter Zwang nichts hinbringe. Und dass wahrscheinlich alles seine Zeit hat. Mein großer Traum wäre auch Kinderbücher zu gestalten. Aber auch das fließt nicht einfach so aus mir hinaus, ich suche noch nach der Idee. Wahrscheinlich blockiere ich mich da selber. Es gibt noch andere Sachen, die noch Priorität haben. Ich brauche auch vorher einen Arbeitsraum, weg von meinem Zuhause. Es gibt auch Leute in meinem Umfeld, die sagen: „Ge, mach doch lieber was gscheits!“ Die verstehen das nicht, dass es Menschen gibt, die ohne das nicht glücklich sind. Es muss ein paar geben, die nicht solche Realisten sind, sondern Träumer, Geschichtenerzähler, Menschen-in-andere-Welten-Entführer. Diese Aufgabe gefällt mir, das liebe ich. Wenn ich das nicht mache, wenn es zu nüchtern wird und zu klar, dann bin ich eigentlich nur traurig den ganzen Tag, weil mir die Welt nicht gefällt wie sie ist. Weil mir das, was die Menschen mit anderen Menschen anstellen nicht gefällt. Bist du dann damals auch deshalb zu Street Art gekommen? Ich denke, das hat sich einfach so ergeben, weil ich einfach viel draußen unterwegs war. Vor allem in meiner Studienzeit in Hamburg damals. Wenn ich durch die Hauptstraße gelaufen bin, da wurden alle drei Wochen neue Wandgemälde gemalt und irgendeine Botschaft rangeschrieben. Als der Irakkrieg war, da wurden richtige Wandgemälde an die Fassaden angebracht. Und ich denke, es ist einfach viel draußen sein, viel unterwegs sein, sich die Menschen anschauen und eine Botschaft zu haben. Vielleicht auch keine Botschaft zu haben, sondern einfach nur zu sagen: hallo hier bin ich, ich bin auch da und ich bin anders als die anderen. Wie alt warst du da? Eigentlich um die 20. Durch wen bist du dazu gekommen? Ich habe in Hamburg Kunst studiert und hatte in München vorher meine paar Graffitispezls halt kennengelernt und hab mir dort gedacht: So ein bisschen kann ich das ja dort auch weiterführen. Ich habe dann ein paar Schablonen gemacht und bin nachts raus und habe dann irgendwelche Messages an die Wand gesprüht. Sowas wie „Du bist was du isst!“. Mir ist nicht mal eingefallen, was ich vermitteln will. Das war halt einfach mal ausprobieren. Ein schönes Typo raussuchen, ein 60er Jahre Bold Style Typo und Schablonen machen. Typen, die aus Häusern fallen, explodierende Bomben. Das hab ich gemacht. Ich habe damit sogar meine erste Zwischenprüfung in der Kunstuni bestanden. Nur aus Schablonen, die in Rahmen gespannt waren und voreinander aufgehängt. Da hast du durch eine durchgeschaut und die nächste gesehen. Da habe ich eigentlich ein ganz gutes Feedback bekommen. Nichtsdestotrotz war ich leider zu einer Zeit Kunststudentin, wo die Malerei komplett out war. Wenn man dich mit Farbe an den Händen gesehen hat, hat man gesagt: „Iiih Farbe, wieso?“ Wir halten Vorträge, wir schaffen Minimal-Art, wir schaffen Konzeptkunst. Malen ist out. Street Art, vergiss es.

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Das ist was für Turnschuhkids, wir haben hier einen intellektuellen Anspruch. Und das hat mir so ziemlich den Wind aus den Segeln genommen. Ich bin dann fast nur noch mit kleinformatigen Sachen durch die Gegend gezogen. Habe Bücher vollgekritzelt, aber keine größeren Sachen mehr gemacht. Ein paar Leinwände noch. Bei meiner Vordiplomsausstellung habe ich mixed media gemacht, die Professoren wussten nicht, was sie damit anfangen sollen. Das war in den 90er Jahren vollkommen wirr. Für die war ich ein wirrer Geist, der keinen roten Faden hat. Das war dann der Moment wo ich gesagt habe ich höre jetzt auf zu studieren, ich mache kein Diplom, weil ich nicht weiß, was das soll. Ich finde mich nicht zurecht. Ich hatte keinen Professor, ich war in einer freien Klasse. Ich habe dann keinen Weg mehr gesehen. Dann bin ich nach Afrika und habe mit einem Kumpel zusammen ein altes Boot renoviert fünf Jahre lang. Und dann auch dort noch an Wände gemalt oder Boote bemalt sogar. Das war die einzige Zeit, in der ich wirklich von Kunst gelebt habe, die fünf Jahre. Und ich habe Bilder verschenkt an Leute. Das habe ich dann später auf den Kap Verden auch noch gemacht. Aber das war dann nicht wirklich Street Art, das waren große Bilder auf Holz, die wurden dann auf irgendwelchen Terassen aufgemacht. Das war eher realistische Kunst. Mit Motiven aus den Kapverden: Karneval, Fischerei, Berglandschaften, Boote. Sowas. Und dann wurde ich schwanger. Und abgesehen davon, dass ich auf Festivals größere Objekte gebaut habe, ich die Street Art einfach nur berührt. Ich wär da jetzt sehr zurückhaltend damit, mich Street Artist zu nennen, weil keine Sau kennt mich. Loomit kennt mich auch. Aber der würde mich nie als Künstler bezeichnen, der würde fragen, was hatn die schon gemacht, von der gab's nie was zu sehen. Das einzige was dem vielleicht einfallen würde, dass ich mit Teech zusammen war. Und das ist einer der ersten gewesen, die mal 'ne S-Bahn gesprüht haben, irgendwann 87 oder so. Aber du malst und sprühst doch auch selbst! Ja schon, aber in einem privaten Bereich. Es gibt kaum Veröffentlichungen. Die die mich kennen, würden sagen: Ja, die Frau kann malen. Aber ich bin weder bekannt noch irgendwo unterwegs. War es dann schwer sich als Frau zu etablieren damals? Das war eigentlich nicht möglich. Das einzige wie es mir gelungen ist, in der Szene dabei zu sein ist, dass ich mit einem von den Verrückten zusammen war. Und auf die Art und Weise wenigstens mit dabei war. Und er sich tatsächlich auch zwei, dreimal hingestellt hat und mit mir alleine ein Bild gesprüht hat und mir gezeigt hat wie das geht. Meinst du es ist jetzt anders an den Kunstunis, weil Street Art viel akzeptierter ist? Ja, das was ich sehe. Das was ich von meinen Freunden höre, da sind großformatige Bilder richtig wieder im Kommen. Malerei ist jetzt wieder in. Nach mir haben Leute wie ONE oder SCUM, die beiden haben an der Kunstschule in München studiert und die sind beide mit ihrer Graffiti-Art sehr weit gekommen. Wie stehst du zu Loomit? Diese Frage hättest du mir nicht stellen dürfen. Ja, weil das sagt einfach viel über die

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Person aus. Den Film von Banksy hast du bestimmt gesehen. Das ist genau das, was manchmal eintritt, dass Leute, die nur geschäftstüchtig genug sind und von sich selbst sehr überzeugt sind und ein gutes Konzept haben, es auch zu großem Ruhm und viel Geld bringen. Obwohl sie vielleicht in ihren Werken gar nicht so eine Seele haben wie manch andere, die sich nie raustrauen, aber wirklich berührende Kunst schaffen. Vielleicht umschreibe ich es jetzt einfach so. Ich gönne dem Loomit seinen Erfolg, weil er ist fleißig und er ist aktiv, engagiert, er weiß, wie er es machen muss. Er ist gut durchdacht. Er ist einfach kein verschwurbelter Künstler, der zwar geil malen kann, aber sonst keinen Plan hat. Aber es gibt ein Erlebnis, das weiß ich noch. Er übernimmt ja auch manchmal die Brudermühlbrücke [in München], organisiert auch da mit, wenn die bemalt wird. Und ich weiß noch, ich war da mal mit einer Freundin, wir hatten ein ausgefeiltes Konzept und hatten eigentlich eine Wand zugesprochen bekommen unter der Brudermühlbrücke, von der Färberei in München. Wir hatten den Entwurf gemacht, ich bin mitm Radl hin mit meinen Dosen und dann stand da der Loomit und hat gesagt: „Hey Leute, sorry, aber hier ist ein Gesamtkonzept von mir organisiert worden, es kommen Künstler aus ganz Deutschland, die Farben sind ocker, preußisch blau und rot und schwarz. Und in diesen Farben wird gesprüht!“ Die Wand, die wir da wollten, ne die ist jetzt schon für den und den da vorgesehen. Sorry Leute! Und dann sind wir irgendwie geknickt abgerückt und das wars! Also, wir haben dann einfach gemerkt, ok, da gibt’s halt ein Gesamtkonzept von dem wir nichts wussten, von der Färberei aus war uns eigentlich eine Wand versprochen worden und ich hatte mir Gedanken gemacht. Da habe ich mir gedacht: „Na super, wenn ich jetzt nicht in Loomits Konzept passe, dann habe ich hier nichts verloren.“ Das hat mich ein bisschen angestunken. Ich hätte eher erwartet, dass er sagt: Hey wie cool, das sind ja zwei Mädels und das sind auch noch Münchnerinnen, voll old school! Na klar, da suchen wir uns jetzt ein Eckerl aus. Das ist jetzt ein paar Jahre her, aber das ist zum Beispiel etwas, was ich nicht vergesse. Da habe ich mir dann schon gedacht, irgendein Hansl aus Bochum kann da jetzt kommen, weil er den Loomit verehrt und sich an dem seine Farbvorgaben hält. Aber Münchner Mädels? Keine Chance! Fand ich scheiße. Aber trotzdem, mein Gott. Soll er sein Ding machen. Es gab da schon immer zwei Lager. Da hat sich die Szene gespalten, schon damals. Meinst du die Leute, die ihre Kunst verkaufen und die, die es nicht machen? Genau. Und wie gesagt, ich glaube ich bin eher auf der Seite gelandet wo die Leute … wobei auf der Seite gelandet kann ich nicht sagen, weil ich schaffe nicht so viele Werke wie die anderen. Aber ich zähle mich eher zu den Leuten, die zurückhaltend sind und mit ihren Werken nicht Leute begeistern wollen und da wahnsinnig Geld einschaufeln und dadurch oberflächlich Wände anpinseln. Sondern ich mag Menschen, die in ihrer Kunst versinken können. Zu denen zähle ich mich auch. Ob ich damit Lebensunterhalt verdienen kann oder nicht spielt keine Rolle. Ich muss es einfach tun. Und du siehst ja, ich leide eigentlich drunter, weil ich dachte ich müsste es nicht. Aber jetzt ist nur noch die Frage: wie mache ich es. Ich bin wahnsinnig gespannt und auch total aufgeregt, weil ich glaube es kommt dann der Moment, wo die Tür aufgeht und alles rauskommt und ich weiß, es ist vorgesehen für mich. Und es wird Peng machen, vielleicht in einem Jahr oder in fünf Jahren. Es ergreift Besitz von mir. Bei meinen Freunden ist das früher passiert, viel früher.

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Was glaubst du warum? Die waren schon eher gechannelt, die waren schon mehr zielgerichtet auf das. Bei mir liegt es an der Neugier, ich musste vorher noch ganz viele andere Sachen machen. Ich musste reisen, ich musste in Afrika leben fünf Jahre, ich musste ein Boot bauen, ich musste mich von allen Konventionen befreien, so dieses: sei normal, sei brav, sei nett. Das musste ich mir wirklich erkämpfen. Weil in meiner Familie alle irgendwie brav, nett und anständig waren. Die wenigen, die es gegeben hat, offensichtlich, die ausgebrochen sind, da fallen mir zwei Leute ein. Aber jetzt kann es bei mir nicht mehr lange dauern. Jetzt habe ich alles bewiesen. Ich kann eine Familie erhalten und eine gründen, ich kann „normal“ arbeiten und so weiter. Wenn du jung bist, hängt man dir gerne an: wer Künstler wird, ist zu faul etwas normales zu tun. Wer Künstler ist, will lang ausschlafen, viel saufen und weiß ich nicht. Glaubst du die eigene Biografie hat auch einen großen Einfluss? Ich glaube, das Allerwichtigste ist, ob deine Eltern sowas fördern oder nicht oder ob sie es abtun als Hobby: Ist das blöd. Das begegnet mir heute noch so. Die Familie zählt. Die Freunde springen immer auf. Wenn du crazy bist, dann sagen die: ach ja das ist meine Freundin, die ist crazy. Da kannst du punkten. Das ist nicht das Problem. Das Problem liegt wirklich darin begründet, ob man dir erlaubt das zu sein, was du gerne wärst. Das ist halt dann, was man dann überwinden muss. Ich bin ja ausgebrochen. Ich habe ja trotzdem Kunst studiert, auch wenn ich's nicht zu Ende studiert habe. Ich habe trotzdem jahrelang in Afrika gelebt und auch noch einen Afrikaner geheiratet. Von dem ich inzwischen wieder getrennt bin. Ich habe so ziemlich gegen alles verstoßen, was in einen normalen Rahmen passt. Um jetzt zwei Kinder großzuziehen und in einer Patentanwaltskanzlei zu arbeiten. Und dein Projekt Malschule? Das Projekt ist toll. Da arbeiten zwar nur die Kinder und ich bediene die nur ich wasche ihnen die Pinsel aus, gebe ihnen frisches Wasser, wenn einer sagt: „Lila!“, dann bring ich dem lila. So ist das. Ich mische mich nicht ein, außer jemand macht drei Striche und sagt: „ich bin fertig.“. Dann sage ich: „Nein, du bist nicht fertig.“ So ein bisschen bei der Sache halten tu ich sie schon. Aber es macht wahnsinnig Spaß. Aber es ist nicht das gleiche wie sich selbst in der Arbeit zu vertiefen. Mein Traum wäre, wenn ich mit der künstlerischen Arbeit, also mit dem Handwerk an sich, damit soviel zum Lebensunterhalt beizutragen, dass ich mir die Patentanwaltskanzleiarbeit sparen könnte und trotzdem meine Krankenversicherung einzahlen könnte und meine Altersvorsorge. Das wäre schön. Ich weiß auch, das könnte ich bis ins hohe Alter machen. Es gäbe bei mir dann nicht den Punkt an dem ich sage: so jetzt ist Rente, dann überlege ich mir mal, was ich mit meiner Freizeit mache. Weil, falls ich überhaupt so alt werde, das könnte ich immer machen, solange ich einen Pinsel halten kann und nicht blind bin. Dann wäre ich immer beschäftigt. Warum habe ich nicht früher angefangen? Könnte vielleicht sein, dass ich erst einmal auf Stoffsammlung gehen musste. Ich sehe schon einige der Künstler, die früh angefangen haben, denen gehen irgendwann die Themen aus. Oder sagen wir es so, diese spannenden Bilder, die sie früher gemacht haben, diese voller Leben, haben sich jetzt umgewandelt in relativ

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starre und statische Bilder, wie zum Beispiel nur noch ein Kreis auf einem grauen Grund. Oder auch wirklich gut gemalt. Wo du schon, wenn du genau hinschaust siehst: da ist Arbeit und Mühe dahinter. Das verstehe ich schon. Aber, ich glaube ich würde in eine andere Richtung gehen, ich würde immer versuchen viele Dinge darzustellen, in Welten vorzudringen.

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Interview Anonym Dieses Interview führte ich anonym mit zwei Graffitisprayern, die nur illegal malen. Sie sind geschätzt Anfang zwanzig und leben in Bayern. Beide sind männlich und seit einigen Jahren in der Szene dabei. Das Gespräch wurde mit beiden gleichzeitig geführt, daher wird im Folgenden zwischen Sprayer A und Sprayer B unterschieden. Wie bist du zu Graffiti gekommen? A: Also bei mir ist das noch gar nicht allzu lange her, aber ein paar Jahre mache ich das schon. Für Graffiti interessiert habe ich mich schon länger, die Bilder haben mich irgendwie geflasht und so, ja dann hat ein Kumpel mal einen Film mitgebracht, den Unlike U und dann ging's bei mir los. Dann hat mich die Lust zu malen gepackt. B: Bei mir war das so, es hat so vor sieben Jahren angefangen. Mein Cousin ist damals erwischt worden... aber er war auch zu deppert und dann habe ich mal angefangen das draußen zu sehen, weil vorher nimmt man das ja gar nicht wahr, wenn man durch die Straßen läuft. Wenn man es dann weiß, dann sieht man es überall. Dann will man das dann auch mal machen. Seit einem Jahr bin ich jetzt hier in dieser Stadt, ich komme von außerhalb und hier in dieser Stadt ist es schon auch sehr gefährlich erwischt zu werden. Das Strafmaß ist einfach sehr hoch und so mit Strafverfolgung. Da es hier auch nicht zuviele gibt, die wirklich sprayen, da gibt es eben immer noch viele Idioten, die nicht aufpassen. Meinst du es ist hier schlimmer, als in anderen Städten? B: Ja, also im Vergleich mit den Städten, in denen ich bisher war, ist es hier auf alle Fälle am schlimmsten. Die Polizeipräsenz ist sehr hoch. Wie könnt ihr euch motivieren auf die Straße zu gehen, obwohl die möglichen Konsequenzen so groß sind? A: Ich weiß nicht. Die Motivation kann ich da jetzt gar nicht so sagen. Wenn man das nicht selbst mit erlebt hat, dann kann man das nicht nachvollziehen. Aber für mich ist das halt irgendwo eine Art ein Zeichen zu setzen. Weil wir leben halt in einer schnelllebigen Zeit, jeder geht unter, jeder ist nur eine Nummer. Dadurch, dass wir unsere Bilder irgendwohin malen zeigen wir einfach: Wir sind hier. [B nickt] Malt ihr beide Graffiti oder habt ihr auch Street Art Einschläge? B: Überwiegend Graffiti male ich. Es gibt auch hier in der Stadt ein paar Sachen, ein paar coole Ideen, seit letztem Jahr, da hat es angefangen, dass es mit Street Art ein bisschen mehr geworden ist und seit diesem Jahr ist schon sehr viel mehr. Aber auch sehr viel verschiedenes. Es wird gekleistert und gerollert und da macht man sich zwangsläufig schon Gedanken, was man machen könnte. Ich bin jetzt nicht so der Street Art Fan. Ne, also es gibt schon ein paar coole, geniale Sachen, aber vieles gibt

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es eben schon und so. Ist Street Art für dich dann eher langweilig? B: Naja, es gibt eben viele langweilige Sachen, was man schon tausendmal gesehen hat. Heutzutage muss man schon richtig gute Schablonen machen, da braucht man nicht irgendwie eine Mickey Mouse irgendwohin malen. Das finde ich nicht so toll. Eine Message ist dann also wichtig? B: Ja, schon. Und es muss sehr originell sein. Man darf es noch nicht gesehen haben vorher. Dass man sich wirklich damit befasst. Habt ihr dann auch eine Message in euren Pieces? B: Also überwiegend mache ich es für mich. Ich finde es cool, wenn es auch andere Leute sehen. Aber ich mache es eigentlich nur für mich. Und ich versuche mich selbst zu perfektionieren. Das ist aber auch sehr schwer, dafür braucht man viel Zeit. Bunt finde ich extrem wichtig. Gerade jetzt, jetzt ist alles weiß und karg draußen. Bunt ist super. [Zu A] Du hast ja vorhin auch gesagt, dass das Malen an Wände eine Stimme ist. Was ist dir dann wichtig bei deinen Werken? Ich denke im Graffiti malt halt jeder so seinen Namen, würde ich sagen. Darum geht’s halt, seinen Namen zu verbreiten. Was ja auch dann sagt: Wir sind hier. Die Tatsache, DASS du an die Wand malst ist dann der Protest bzw. gibt dir die Stimme? Nicht unbedingt das was du hinmalst? [zögerlich] Ja. Ich sehe auch nicht den Sinn dahinter. Man geht ja nicht raus und malt irgendwelche Einfamilienhäuser an. Habt ihr da schon Kriterien nach denen ihr auswählt? A: Also den kleinen Mann soll's nicht treffen auf jeden Fall. Ich würde sagen, es spielt sich für mich vor allem an der Zuglinie, auf Zügen, an der Autobahn ab. So und wenn man ein schönes Plätzchen in der Stadt findet, da gibt es sicher auch Leute, die sagen, man kann da hinmalen. Aber es sollte halt öffentlich bleiben, staatlich oder von der Stadt. Von Anfang an habt ihr euch daran gehalten? B: Ja, schon. Naja, jeder hat mal rumgetagged oder so nen Scheiß. Aber bei mir war das eher so dass... also Häuser habe ich nie angemalt oder Kirchenwände, das war nie was für mich. Stromkästen halt oder Straßenbahnen, damit hat es angefangen. Ich finde es auch eigentlich ziemlich bescheuert, dass viele Wände verboten sind. So zum Beispiel die bei den Zuglinien. Da gibt’s einen Sicherheitsaspekt, den versteh ich schon, aber wenn ich da tagsüber am Bahnhof stehe und mir so eine Schallschutzwand

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anschaue, dann sehe ich die halt und denke mir: Hey, das ist nur einen Meter entfernt, was ist so schlimm daran, da malt man nur mit dem Pinsel – andere malen mit dem Pinsel, ich mit der Dose – ein paar Sachen drauf. Du lackierst es ja nur um, oder? Grau ist echt scheiße. Wenn es legal wäre, würdest du die Wände an den Zuglinien dann auch malen oder wäre dann der Reiz weg? B: Oh, ich glaube das kann ich erst sagen, wenn es soweit ist, das ist echt schwer zu sagen. Aber ich glaube ich würde mir dann halt extreme Spots raussuchen. Wo es legal ist, aber auch echt schwer. Würdet ihr euch dann in der Stadt selbst mehr legale Wände wünschen? B: Es gibt schon genug Wände eigentlich. Aber ich bin nicht so der legale Maler eigentlich. Ich verstehe, warum es Leute machen. Aber ich persönlich mache es hier gar nicht, ich habe hier noch nie ein legales Bild gemalt. Es ist schwer zu verstehen für Außenstehende, warum ich das mache. Aber es geht darum: Du bist ja dann wieder eingegrenzt. Da und da darfst du malen. Da haben sie ja auch oft so Stromkästen oder sowas, was sie von der Stadt freigeben. Aber das wird dann nur bestimmten Organisationen angeboten, die bemalen das dann mit Kindern. Das heißt für mich, ich persönlich könnte da dann wieder nicht mein Bild, ein Bild, das MIR gefällt hinmalen. Ich finde es toll, dass Kinder dort malen können, weil man dadurch Nachwuchs fördert. Aber ich persönlich finde, es dürfte dann nicht nach dem Aspekt laufen: Hey, wir geben euch ja genügend Möglichkeiten. Weil ICH könnte dort nicht hin und genau so ein Bild malen, wie ich es möchte. Da gibt es dann Vorgaben und alles. Das sind eben diese Einschränkungen, die mir nicht gefallen. Farbvorgaben, Stilvorgaben, keinen Schriftzug, sondern eine schöne Stadt oder sowas eben. Das mag ich net. Wenn sie dir sagen würden, du darfst malen, was du willst. Würdest du's dann machen? Ja, das wäre ein Auftrag, den ich annehmen würde. Sofort. Würde mir dann auch richtig Mühe geben, wo ich auch weiß, das gefällt vielen. Es muss ja dann auch nicht unbedingt nur die Auftraggeber ansprechen, sondern die Bevölkerung. Weil da steht es ja auch. Die Bevölkerung sieht es ja. Sprecht ihr eigentlich Leute an, die auch Wände von Privatleuten anmalen? Diskutiert man da drüber? A: Also ich denke, es muss jeder für sich selber wissen, was er macht. Mir das meine, den anderen das ihre. B: Es gibt einen hier in der Stadt mit dem ich sehr gerne mal diskutieren würde. Weil der hat angefangen – ich habe überhaupt nichts gegen Anfänger, jeder hat mal angefangen – aber der ist so, der hat überall gemalt und getagged. Der hat sehr, sehr viele Bilder übermalt von Leuten aus der Stadt, die dann auch extrem gepissed waren. Ja und der sollte damit aufhören, der sollte seine Karriere an den Nagel hängen, weil das geht nicht.

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Der hat wahnsinnig viel Leute übermalt. Der malt auch Privathäuser und Autos, was ich von dem schon alles gesehen habe... der malt so kleine Männchen, total schlecht auch. Wenn ich noch nicht so gut malen kann, dann übe ich halt erstmal und gehe nicht gleich an die öffentlichsten Orte. Das geht gar nicht. Wenn der von einem mal gefunden wird, der hat auf jeden Fall ein dickes Problem. Man weiß aber nicht wer es ist oder wie? Doch wir wissen es schon. Wir sind ihm nur noch nicht über den Weg gelaufen (lacht). Das geht aber gar nicht. Man sollte schon Respekt auch vor der Sache haben. Hättet ihr Lust hauptberuflich zu sprayen? B: Nee. Das ist dann wieder die Einschränkung. Dann muss man sich wieder einschränken, was derjenige möchte. Ich verstehe Leute, die das machen, aber ich will mich da nicht einschränken. Lieber bin ich da irgendwie anders abgesichert durch einen guten Job. Und wenn dann mal ein Auftrag kommt, dann kann ich den annehmen in der Freizeit, aber ich MUSS es nicht. Wenn es ein richtig guter Auftrag ist, dann ist das ja nur ein Plus, da kriege ich nebenher noch mehr Geld. Das ist ja dann alles Reingewinn. Und ich muss mich dann nicht bemühen und irgendeinen Scheiß-Auftrag annehmen, nur weil ich Rechnungen zahlen muss. A: Ich finde, Aufträge kann man grundsätzlich schon malen. Aber ich würde bei Aufträgen kein Graffiti malen. Weil für mich ist Graffiti – so dumm es sich vielleicht jetzt anhören mag – Untergrund. Und sobald man zulässt, dass es die Masse überflutet, dann wird es irgendwann Sell Out. Dann macht es jeder. Und das hat dann nicht mehr den Stellenwert, den es haben soll. Meiner Meinung nach. Also du würdest schon mit der Dose malen, aber dann andere Motive, also keine Styles? A: Ja sicher. Ich sehe es so: die Dose ist ein Werkzeug, nichts anderes wie ein Pinsel. Das sehen halt viele nicht so. Meiner Meinung nach wird halt Graffiti auch oft verpönt. Man erkennt da nicht den künstlerischen Wert dahinter. B: Das ist auch das Erste an was man bei Graffiti denkt: Geschmiere. Das ist so im Denken verankert. Aber das ist auch ok. Weil Leute, die sich dann wirklich darüber informieren, die merken dann auch was es wirklich ist. Und für die anderen ist es ja egal, wenn die das dann gleich so abstempeln. Die sind mir dann auch egal die Leute. A: Vor allem sollte man nicht vergessen: Zeitgemäße Kunst war ja in anderen Epochen auch schon mal illegal, kann man sagen. Und Graffiti ist eine sehr junge Kunstform und ich meine: Wer weiß, wie die Leute in hundert Jahren darüber denken? Deswegen mache ich mir da nicht so einen Kopf, was jemand über Leute denkt, die rausgehen und Bilder irgendwohin malen. Wie gesagt, ich halte auch nichts davon, wenn jemand einfach irgendwo was hinsprüht. Man sollte sich schon auch irgendwie ins Stadtbild einfügen. So sehe ich das.

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Was haltet ihr dann von, wenn Größen der Szene wie Loomit mit dem Sprayen ihr Geld verdienen? B: Super! Ich finde gut, was er macht. Ich habe auch ein Buch daheim von ihm, also wo er auch dabei ist. Der kommt halt viel rum. Er kann eigentlich auch seinen Stil, den er malt, den er so krass entwickelt hat, den darf er ja auch überall hinmalen. Die buchen ihn dann ja nur wegen dem, was er macht. Genau diesen Stil, den die haben wollen, den malt er ja für sein Leben gerne. Und das malt er dann einfach. Du meinst also, er kriegt zwar Geld dafür, aber er bleibt sich treu? B: Ja, genau! Ja, genau. Da gibt’s ja viele, auch Can2 aus Mainz zum Beispiel, der malt ja immernoch so wie früher und kriegt dafür Kohle. Ist beim Montana Writer Team, wird gesponsort. Das ist super! Habe ich extrem Respekt davor vor solchen Leuten. So in die Richtung könntest du dir das also auch hauptberuflich vorstellen? B: Das ist heutzutage nicht mehr so möglich. Also... oder es müsste schon was sehr Krasses passieren. Aber damals als es angefangen hat – Graffiti ist ja eine sehr junge Kunst wie A gesagt hat – da ging es da ja erst los. Da kamen dann ja erst die ganzen Dosenfirmen. Ich weiß nicht, wäre ich vielleicht damals aufgewachsen, wäre ich vielleicht auch so bekannt geworden. Damals hat alles angefangen, da hat sich ja nur gezeigt, wer dran bleibt und wer weiter viel malt. Damals gab's einfach nicht so viele und die wenigen, die's gab, da wurden eben viele bekannt. Natürlich, die können super malen, aber heutzutage ist es so nicht mehr möglich. A: Ich kann dazu nichts sagen, so in der Theorie. Das ist schwierig zu sagen. Kennt ihr die Geschichte vom Blumenmaler von Augsburg? Was haltet ihr davon, dass er jetzt sein Motiv so promotet auf Ausstellungen und auf Shirts zum Beispiel? B: Ja, das hilft ihm ja die Schulden zu zahlen, das finde ich gut. Wenn er keine Schulden hätte, wär das was anderes? B: Naja, man braucht immer einen guten Grund dafür. Wenn man einfach sagt: Geld, Geld, Geld, das ist was anderes. Wie gesagt, wenn ich das verstehe und den Grund nachvollziehen kann, dann fände ich das auch cool. Ist es aus eurer Sicht so, dass Graffiti dann Underground ist, wie du gesagt hast und Street Art ist eher Mainstream? B: Nee, Graffiti ist auch Mainstream. Das gibt’s doch in vielen Ländern. Der Chefdesigner von Louis Vitton hatte doch auch mal so eine Graffiti-Kollektion. Beides ist irgendwie Untergrund und gleichzeitig Mainstream und Kommerz.

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Wie geht das? B: Ja das eine, zum Beispiel jetzt diese Blume, die gefällt jedem, da sagen alle: schön! Aber andere Stencils oder Graffitis gefallen keinem oder das kennt keiner. Aber das ist ja auch wichtig, das gehört auch dazu. Es gehört eben die ganze Palette dazu, man sollte sich da schon informieren. Ich sage mal im Graffiti sind ja dann manchmal zum Beispiel runde Formen in, weil die passen so schön auf ein T-Shirt, das wird dann von H&M vermarktet oder so. Da sollte man dann den Wildstyle nicht vergessen oder das Tag, das ganze Drumherum. Deswegen ist das eine Untergrund und das andere Mainstream, weil es benutzt wird für's Marketing oder für Marken. Also ist es so, dass sich die Masse so einzelne Aspekte aus der Szene raussucht? B: Ja, die pickt sichs überall raus. Das fällt ja auch zum Beispiel in der Musik auf: Da spielen Diskotheken dann zum Beispiel Hip Hop und die Kinder werden dann darauf eingestellt: Das ist jetzt Hip Hop und kennen dann gar nicht den richtigen Hip Hop. Und so ist das auch mit Graffiti. Da denken sie: Ah, das ist Graffiti. Und dann sehen sie irgendein Tag und denken dann: Ach das schaut scheiße aus. Den Style finden sie wunderschön, weil der ist so schön bunt, aber der Tag gehört genauso dazu. A: Ich möchte an der Stelle sagen, dass man nicht über Street Art herziehen darf. Klar, gibt es Leute bei denen geht es um's Geld bei dem was sie tun. Aber die sind dann für mich auch nicht Graffiti oder Street Art, sondern die sind halt Leute, die Geld machen wollen. Street Art ist auf jeden Fall gut, wenn es gute Leute machen, dann kommt auch gutes Zeug dabei raus. B: Man sollte es eigentlich nie aus einem geldlichen Aspekt heraus machen. Aber das ist ja so bei jedem Hobby. Wenn man es dann wegen dem Geld macht, dann wird es auf Dauer einfach nichts. Dieser Pianist Lang Lang zum Beispiel, der hat doch auch sicher nicht gedacht: Ich will jetzt mal fett Geld verdienen und deswegen fange ich jetzt mit Klavier an. Das hat er einfach aus der Leidenschaft heraus gemacht. Oder David Garrett, der Geiger. Nur so wird es dann auch wirklich was. Wenn du dann am Ende auch noch was verdienst, dann ist es doch ok. Wenn das genau deine Leidenschaft ist und du genau das machen kannst, was du willst: Warum dann nicht auch ein bisschen Geld dabei verdienen? Das ist wie bei einem super Auftrag, den würde ich dann auch annehmen. Ich würde mich jetzt nicht darauf auslegen, Graffiti zu machen, weil ich Geld verdienen will. Meinst du, man kann dann in eine Situation kommen, wo man dann sagt: ok, der eine Auftrag geht noch, weil das Geld könnte ich jetzt gut brauchen. Und dann macht man vielleicht doch ein bisschen was anderes, als man sonst machen würde? B: Ja, es kommt darauf an, was man vorhat. Wenn man jetzt zum Beispiel im Sommer eine super Tour geplant hat und ins Ausland will und denkt, ach scheiße, jetzt bräuchte ich doch noch ein bisschen Kohle und dann kommt einer und sagt: Jetzt mach das mal, kriegst Geld dafür. Dann würde ich es auch machen. Das ist doch super, da kann ich

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dann im Sommer irgendwo malen gehen. Aber wenn ich einfach sage: Ich habe genug Geld... dann würde ich den Auftrag nie machen, wenn er mir nicht gefällt. Ist es dann also so, dass du es nicht gut findest, wenn es jemand nur wegen dem Geld macht? B: Ja genau. Wenn es einem besseren Zweck dient, dann würde ich es machen. Oder zum Beispiel ein Freund von mir braucht dringend Hilfe. Oder sowas. Dann würde ich ihm natürlich helfen damit. Viele in der Branche malen ja auch hauptberuflich, um sich dann im Privaten Projekte finanzieren zu können. A: Meiner Meinung nach sollte man nichts davon erwarten. Das was es schon für einen tut ist Lohn genug. Und ich meine, nur dann kann es auch gut werden, wenn man von etwas nichts erwartet. Ich mache es für mich, weil ich Spaß an der Sache habe. Es gibt mir was. Und das reicht. Ich persönlich möchte so im „normalen“ Leben nicht mit Graffiti in Verbindung gebracht werden. Eine Doppelidentität ist eigentlich Alltag denke ich, wenn es um Graffiti geht. Ich würde sagen, eine ausgewählte Handvoll von Freunden wissen nur Bescheid. B: Das ist extrem wichtig, auch dass man sich nicht verspricht. Wenn die Euphorie einen übermannt und man sich denkt: Woah, ich habe was voll Geiles gemalt, aber jetzt gehe ich dann auf eine Party und dort ist niemand, der Bescheid weiß... Aber das geht schon. Ist es dann manchmal so, dass man zu dem Ort zurückgeht an dem man was gemalt hat? Um zum Beispiel zu sehen, wie die Leute reagieren? B: Ich gehe eigentlich nur aus einem Grund zurück, nämlich wenn ich kein Foto habe. Oder um es mir nochmal anzuschauen. Aber da lasse ich immer gut Zeit verstreichen, weil man weiß ja nie wer da so steht. Dann schaue ich's mir nochmal an und natürlich freue ich mich, wenn dann vielleicht wer sagt: oh ein Graffiti, gerade wenn es junge sind, weil vielleicht machen die dann ja auch weiter oder fangen an. Macht ihr immer Fotos von euren Sachen? A: Ja, der Werdegang muss auf jeden Fall fotodokumentiert werden, da man im Laufe seines Writerlebens halt auch irgendwo die verschiedenen Styles malt: mal hier ein bisschen simpler, mal da ein bisschen abgestylter. Deswegen ist es schon wichtig. Irgendwas soll ja doch davon bleiben. Die Bilder stehen ja nicht lange. Und irgendwann soll man sich das ja ankucken können oder es vielleicht auch seinen Kindern zeigen. B: Aber ist auch schwierig die zu lagern. Man kann schon so Ordner machen, 5000 Bilder da rein machen und die eigenen dazu. Aber die Polizei ist ja auch nicht blöd. Ich habe es halt gut, weil ich nichts legales hier in Augsburg mache, da kennt mich die Polizei gar nicht. Das ist super. Und so stehe ich gar nicht im Verdacht. Wenn ich dann schon im Verdacht stehen würde und die würden mal kommen und zufällig 50 Bilder

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finden unter 200, die drin sind, wo sie sich dachten, das könnte der sein. Ladet ihr die Bilder auch auf Plattformen hoch, wo sie dann auch andere sehen können? B: Nee. Da gibt’s so ne Seite hier in der Stadt und da wird ab und zu mal was gepostet. Wenn man Glück hat, laden es andere hoch. Dann freut man sich auch mehr, weil dann ist es auch einfach von jemand anderem. Egal wie viele Fotos man selbst hat, das hat dann ein anderer gemacht und es ist cool, so nochmal sein Bild zu sehen. A: Kurz und knackig: Ich halte nichts von Internet Fame. Warum? A: Ich weiß nicht. Weil ich mein, wenn Bilder geknipst werden von anderen Leuten, dann werden die in Foren hochgeladen und da sind dann irgendwelche Leute, die sich dann im Nachhinein drüber unterhalten können was gemacht wurde. Diese Graffiti-Szene ist eh sehr kompliziert. Ich sage immer so, da gibt es dieses Hip Hop Nazigehabe irgendwo. Jeder will der Beste sein. In Graffiti schließt man sich ja auch zu Crews zusammen und dann ist die Crew besser als die und der malt besser als der. Und aus eigener Sicht ist der ein Toy. Und wie ich schon mal gesagt, jedem das seine. Ich persönlich bin aber schon auch im Internet unterwegs und schau mir an, was andere machen. Aber ich persönlich bin halt nirgends angemeldet. B: Es geht auch eher darum, ob man sich selbst jetzt extrem pusht und eine Internetseite mit dem eigenen Namen hat und dort jeden Tag etwas veröffentlicht und ein Bild postet. Oder ob du eben andere Leute quasi für dich arbeiten lässt und dann kommen sie auf dich und dann sehen sie mehr Bilder. Das mit dem, dass sich alle immer ein bisschen anstressen, das verstehe ich schon auch irgendwie teilweise. Ich habe hier zum Beispiel so ein Dach gemalt, ein super Spot, richtig schön. Und dann hat einer daneben gemalt, ein richtig heftiges Piece, ein Typ, den ich echt feier. Ich fand es super, dass er daneben gemalt hat, es war ein super Bild. Aber irgendwie war ich schon geknickt, weil ich hatte eher ein simpleres Bild gemalt und er ein extrem aufwändiges. Ich versteh da schon, wenn man sich dann denkt: Ach mann, da müsste ich jetzt eigentlich über meins ein noch besseres drüber malen. Aber hier ist es auch echt gefährlich. Man weiß nicht, wie viel Zeit man hat, da hat der andere wohl besser kalkuliert.

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Interview mit Raiko Schwalbe Dezember 2012 Mit seinem Bruder Marco zusammen ist Raiko der Organisator und Gründer der STROKE urban art fair, die seit 2009 jährlich in Berlin und München stattfindet. Ursprünglich hat Raiko Wirtschaftsinformatik studiert und war vor der Gründung der STROKE als geschäftsführender Gesellschafter der Galerie Intoxicated Demons GmbH tätig. Wie seid ihr auf die Idee zur STROKE gekommen und was war eure Intention dahinter? Ist ziemlich einfach, wir haben seit jetzt mittlerweile sechs Jahren eine Galerie in Berlin Kreuzberg. In Berlin ist es ein ewiger Kampf mit den den anderen 649 Galerien, dahingehend was den Erfolg mit den Gästezahlen anging, das war Durchschnitt oder unterdurchschnittlich. Und weil ich in München wohne habe ich gesagt, lass uns mal ein Event in München machen. Das war dann Kunst im Tresor im ehemaligen Tresor. Da hatten wir an einem Abend dann 500 Gäste und da haben wir gesagt – weil die Idee zur Messe gab es schon länger, die gab es schon seit 2008 in Berlin, die Idee war das parallel zum artforum zu machen – dann haben wir gesagt, wir machen das in München. Und da kam dann die STROKE 1 im Oktober 2009, da ging sie an den Start. Die Intention ist eigentlich ursprünglich eine Plattform zu bieten, weil wir als Galerie wissen was es heißt, wenn man kämpfen muss. Selbst wir können uns da keine Messe leisten... dass man einfach Künstlern, Künstlerkollektiven und jungen Galerien die Chance gibt für ganz, ganz, ganz kleines Geld, in der Regel zehn Prozent der normalen Kosten an der Messe teilzunehmen und sich präsentieren zu können. Du bist selbst kein Künstler oder Sprayer, sondern du und dein Bruder ihr kommt eher aus der Kunstmarktbranche? Ja, wir sind auch sehr vorsichtig. Die STROKE ist keine Graffiti- und Street Art Messe, bloß nicht. Sondern urban art fair. Und urban nicht im Sinne als Kunst von der Straße, sondern urban steht für Kunst aus dem sich wandelnden urbanen Lebensraum. Ich gebe dir ein Beispiel: Wenn der Vorstand einer großen Firma nach fünfzig Jahren sagt, er geht jetzt mal in den Vorruhestand und fängt an aus Müll Möbeln zu bauen. Dann macht er das, weil er gemerkt hat, dass sein Leben ein bisschen langweilig geworden ist, er will sich verwirklichen, weil er die Chance dazu hat. Dann baut er Möbel. Das ist für uns urbane Art. Nicht Street Art, nicht Graffiti. Weil viele immer denken, sobald er eine Dose in der Hand hat, ist er Graffitisprayer. Bloß nicht. Aber trotzdem sind ja auch viele Sprayer oder ehemalige Sprayer dort. Es kommt drauf an. Ich kann dir bestimmt 90 Prozent der Künstler sagen, wenn du denen sagst, du bist Graffitisprayer, dann töten die dich. Nur weil jemand ne Dose hat, ist er kein Graffitisprayer. Graffitisprayer sind die, die man in den 80er, 90er Jahren gesehen hat, die irgendwelche Tags oder Character oder Styles an die Wand gemacht

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haben. Das ist Graffiti. Du unterscheidest also auch ganz streng zwischen Street Art, Graffiti und dem was dann bei euch auf der STROKE hängt? Müssen wir. Wir haben auch ein paar Graffitis zum Beispiel dabei, das sind ungefähr fünf bis zehn Prozent der ganzen Messe. Wichtig ist, dass die jungen Künstler, die sich da präsentieren, das sind Künstler aller Genre, die nehmen sich Techniken und Stile der vergangenen Epochen, bearbeiten die, bereiten die auf und nehmen aktuelle Themen. Nur weil da jetzt einer fotorealistisch mal mit Dose ist er kein Graffitisprayer. Weil auch die Künstler, die meinetwegen zeitgenössisch oder futuristisch malen auch keine Sprayer sind, weil sie Acrylfarbe nehmen. Das darf man nicht verwechseln. Das ist immer so ein bisschen stereotypes Denken, da kämpfen wir eigentlich seit zwei Jahren dagegen an. Bloß nicht Graffiti. Wie definierst du genau urban art? Wie ich es vorhin schon gesagt habe. Kunst aus den sich ändernden, urbanen Lebensverhältnissen. Eine Verstädterung der Weltbevölkerung. Alle Welt geht in die Stadt, was ändert das, wie wirkt sich das aus? Die Künstler von uns sind ja nicht mehr dieselben von früher. Wenn eine neue Epoche kam, dann musste man das Alte zerstören und was Neues schaffen. Darum geht es nicht mehr. Es geht darum etwas zu schaffen, was gefällt, was die Leute möchten, etwas aufzugreifen, wo die Leute einen einfachen Zugang zu Kunst haben. Ist auch von euch beabsichtigt, dass sich die Leute zu günstigen Preisen die Kunst dort kaufen können? Das ist keine Intention, das ergibt sich aufgrund des Kunstmarktes. Du kannst auch in einer Galerie Glück haben und dir dort ein Bild für 30 Euro kaufen. Es gibt auch Messen, wo man sagt Kunst unter 5.000, das hat damit nichts zu tun. Ich habe mit ein paar Künstlern gesprochen, die auch auf der STROKE ausgestellt haben. Manche haben kritisiert, dass die auf der STROKE ausgestellten Werke in letzter Zeit oberflächlicher geworden sind. Die Kritik ging also in Richtung der Qualität der ausgestellten Werke. Wie siehst du das bzw. wie reagierst du auf diese Kritik? Da müsste ich jetzt mal fragen, welche Künstler das waren (lacht). Die Herausforderung, die wir haben ist, dass wir natürlich nicht wie eine klassische Messe, die sagen wir mal seit zehn Jahren existiert – uns gibt es ja erst seit drei Jahren – dass wir uns diesen Besucherstrom und die Käuferschichten noch erarbeiten müssten. Es ist in der Tat so, dass wir in Berlin gesehen haben, dass bei einigen Ausstellern die Qualität etwas nachgelassen hat. Wobei diese Kritik sehr diffizil ist, weil jetzt gerade im Aspekt wie es du siehst, im Sinne von Graffiti und Street Art – logisch, das können jetzt viele Leute mehr machen als früher, es gibt ganz viele Kopierer, die sagen: ok das gefällt mir, mache ich auch. Ich will jetzt nicht dahingehen zu sagen, Kunst wird beliebiger, aber Kunst wird umfangreicher. Und da ist es logisch, dass es da auch mal Adaptionen gibt.

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Es war ja zum Beispiel auch so, dass die ersten Handys ganz cool waren, dann gab es Millionen anderer Handys oder Fernseher oder Autos. Klar. Wir werden ab nächstem Jahr dem Qualitätsanspruch wieder mehr gerecht werden, das wird dann durch eine selektivere Auswahl von statten gehen. Wir werden aber trotzdem auch einen Bereich haben, wo man eben auch die jüngeren Projekte, die vielleicht noch nicht so ein höheres Level haben, einzeln präsentieren kann. Weil das ja bei den Gästen immer sehr gut ankommt. Du findest also, dass es eine normale Entwicklung ist, wenn sich etwas mehr an die breite Masse richtet, dass es dann verwässert? Muss ich nachdenken. Ja, das kann man schon sagen. Weil das sieht man auch an anderen Messen, zum Beispiel das artforum, eben als größte Messe Deutschlands, die es über 20, 30 Jahre gab, hat am Ende immer genau diese Probleme gehabt. Dass man sagt: Ok, es ist irgendwie keine neue gute Kunst, die Gäste sind gleich, nichts Anspruchsvolles. Das ist glaub ich auch so ein Gewöhnungsprozess. Am Anfang mal was Tolles, Neues und dann gewöhnt man sich dran. Man muss aber auch, glaube ich, das ist für viele Künstler und auch für die Besucher schwer nachzuvollziehen, immer so eine Balance halten zwischen: was ist verfügbar, welche Galerien können mitmachen, welche Künstler und Galerien wollen nicht mitmachen, weil sie einfach auf andere Messen gehen zum Beispiel. Da muss immer ein bisschen die Waage halten. Wie erklärst du dir persönlich diesen Hype um Street Art bzw. um urban Art? Also der Hype um Street Art, der war ja in den 90ern, als man es das erste Mal probiert hat, Graffiti und Co in die Galerien zu bringen, was kläglich gescheitert ist. Die breite Akzeptanz – so würde ich das heute eher nennen – jetzt ist durch drei Sachen entstanden: Zum einen durch das Internet, man kann sich weltweit Sachen ankucken ohne hinfahren zu müssen, ich kann ganz schnell Sachen online stellen und kriege Feedback. Das zweite ist, dass die Berührungsschwelle, die normalerweise bei Kunst vorherrscht, egal ob du in ein Museum gehst oder in eine Galerie – oh gott bloß nicht mit dem Galeristen reden, der kann mir Ausdrücke an den Kopf werfen, die ich gar nicht kenne – gerade bei der STROKE ist es ja nicht so, dass wir den Mega-Anspruch haben, so dass wir nur die Banksys und Popstars dieser Welt zeigen wollen. Sondern es geht darum, wir wollen einen erlebnisorientierten Umgang schaffen. Man kommt rein und sagt: Wow das Bild ist schön oder: Nee das gefällt mir nicht so. Man kommt aber nicht rein und sagt: Ok, ich muss jetzt drei A4 Seiten lesen, um zu verstehen, was der Künstler damit sagen möchte. Das ist natürlich auch ein Grund, warum diese Kunst populärer wird. Und Punkt drei sind die Medien. Medien und Marken, die greifen Trends auf, vertiefen die logischerweise auch extrem und springen dann meistens wieder ab. Man kann also abschließend sagen, dass der Begriff urban art, sich auch immer mehr im Kunstbereich verfestigt. Das ist schon so. Es wird akzeptiert. Es gibt diese Popstars wie Shepard Fairey oder Banksy, man darf es nur nicht darauf reduzieren. Die haben es eben geschafft in den Markt reinzukommen. Aber es gibt eine unendliche Masse von Künstlern, die in diesen Markt noch drängen. Aber man merkt auch relativ schnell, welche sich durchsetzen. Denn der Kunstmarkt als solches – und man muss es immer aus diesem Aspekt sehen: Kunstmarkt – entwickelt sich momentan nur in den oberen

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High Preis Segmenten oder in den unteren. In der Mitte tut sich gar nichts im zeitgenössischen Markt. Ich hatte am Anfang auch viele Fragen wie: Ach, wie kann denn das jetzt sein, dass Kunst kommerzialisiert wird und tralalala. Aber einfache Gegenfrage: Der Künstler, malt der, damit Leute ihn bewundern oder damit er überleben kann? Wenn er überleben möchte, dann muss er was verkaufen. Damit ist es automatisch Kommerzialisierung. Das ist gar nicht negativ gemeint, sondern das ist ja eigentlich gewünscht. Das sind alles so Sachen, die da reinspielen. Wir haben halt auch immer – das ist gar nicht böse gemeint - mit diesen Klischees zu kämpfen: STROKE ist Graffiti, jeder, der eine Dose in der Hand hat ist Graffitimaler. Dann kommen halt auch viele... es spiegelt sich da wieder: Wer eine Galerie hat in der Maximilianstraße und ein Bild verkauft hat einen Zehn-Jahres-Etat drin und wenn ne Galerie zum Beispiel STROKE zehn Drucke verkauft, hat sie nicht mal die Monatsmiete drin. Das spiegelt so auch ein bisschen wider, wo sich ein Kunstmarkt entwickelt und wo nicht. Deswegen ja, es gibt viele Künstler, die da mitmachen. Ziemlich viele, die auch nur aufspringen, aber die Sektion in diesem harten Kunstmarkt, die greift sich jeden, egal ob man jetzt VWL-mäßig rangeht, BWL-mäßig oder anders. Der Kunstmarkt ist Hype und das wird sich auch nicht ändern. Deswegen sind auch wir mittlerweile dazu übergegangen, dass wir bei der STROKE ein paar Aussteller weniger nehmen und dafür ein paar Sonderausstellungen mehr machen. In München sieht man dann mehr Digital, mehr ausgewählte Einzelkünstler, einfach weil wir da entsprechend kuratieren können, was dieses Level an Qualitätsverlust kompensieren soll. Wie wählt man die Künstler dann genau aus? Naja, es melden sich auch immer mehr Galerien an und wir sagen immer öfter: Passt nicht. Weil man da auch oft diese Beliebigkeit erkennt. Die Galerien müssen sich bewerben, müssen sagen welche Künstler sie haben, das prüfen wir natürlich bei uns im Creative Board. Wenn das eben so x-beliebig ist und das haben wir eben auch immer öfter, dann sagen wir einfach auch Nein. Weil wir eben nicht... das in Berlin hat gezeigt, das so eine Art wie soll ich sagen, so eine Richtung wie eine Art Flohmarkt entsteht, jetzt gar nicht negativ gemeint. Da gab's Bilder, Postkarten, Flyer, T-Shirts, passt nicht so in den Aspekt eines großen Kunstevents hinein. Das ist auch das, was die Künstler auch noch lernen müssen, sie leben eben nicht vom Verkauf von zwanzig T-Shirts oder vom Verkauf von zwanzig Flyern. Sondern davon, dass die Leute ihre Kunst einfach schön finden und mögen und kaufen. Und das sind meistens in dem Genre nicht die Kunstsammler, die kaufen wertanlageorientiert. Das sind in dem Fall – ich nenn das mal so – die Kunstgenießer, weil sie sagen: das ist ein schönes Bild. Die Hemmschwelle ist niedriger und aufgrund dessen ist es populärer geworden. Street Art ist nur ein kleiner Teil. Den Begriff urban art findest du in Amerika zum Beispiel überhaupt nicht. Da heißt es zum Beispiel fine art. Fine art ist in Deutschland schon wieder klassisch zeitgenössisch. In Amerika gibt’s mehr Graffiti, in Europa mehr urban art. Die meisten sagen halt Banksy hat einfach Glück gehabt, wo er mal was verkauft hat und dann hat es „Boom“ gemacht, vorher war er auch nicht so bekannt. Oder Shepard Fairey oder wie sie alle heißen, die sind auch im Kunstmarkt angekommen. Aber die anderen 10 Millionen Künstler werden da nie hinkommen, das ist ja das Problem, deswegen gibt es ja solche Plattformen wie die STROKE. Wir sehen uns nicht so als klassische Messe, das ist auch ganz wichtig. Sondern das ist wirklich so

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eine Plattform, weil wir eben mit den Gebühren... also die STROKE war bisher auch noch nicht einmal profitabel. Das geht draus hervor: Das Ticket kostet den Besucher bei einer normalen Messe 15 oder 20 Euro, wir haben 10 verlangt. Und eine Box kostet ungefähr 600 Euro, bei einer großen Messe mindestens 5.000. Das ist ein bisschen so ein Waagschalenspiel, was auch viele Teilnehmer nicht mitbekommen und denken, die buchen da ein „Rundum-Sorglos-Paket“ für ein paar hundert Euro und einfach nicht verstehen, was dahinter steht letztendlich. Warum macht ihr das Ticket nicht teurer? Das hat zwei Aspekte. Wenn wir es teurer machen würden, fallen wahrscheinlich 50 Prozent der Teilnehmer weg, weil sie es sich nicht leisten können. Und zum anderen muss man auch aufpassen, dass wir das Level so halten, also mit Inhalten, also Wanderausstellungen, Galerien, Projekte, Workshops, dass die Gäste auch zufrieden sind. Wir kriegen so oft Fragen, warum es zehn Euro kostet. Das ist soviel, so teuer. Dann fragen wir sie meistens, wann sie denn das letzte Mal im Kino waren oder im Schwimmbad. Und dann sagt jemand: Oh da war ich letzte Woche für 12 Euro eine Stunde, bei euch bin ich sechs oder sieben Stunden und bin danach geflasht. Dann sind sie meistens leise. Das ist diese gefühlte persönliche Wahrnehmung, die Leute gehen lieber in einen Club, rauchen, trinken, feiern für 200 Euro und gehen nach Hause und sagen: Was für ne Nacht, als dass sie sagen sie zahlen 10 Euro. Selbst für ein Museum. Die meisten gehen in München am Sonntag ins Museum, weil es einfach kostenlos ist. Das ist ganz normal. Das ist leider ein Wandel der Zeit. Es ist eben nicht dieses: Wir machen hier die Million Dollar mit den armen Künstlern und beuten die aus. Die Künstler kommen ja zu uns, weil sie gesehen werden wollen, weil sie verkaufen wollen, weil sie davon leben wollen, weil sie Beachtung wollen, weil sie Presse wollen. Wir hatten da auch schon Diskussionen mit Künstlern wegen der Kommerzialisierung. „Und wenn du was verkaufst freust du dich?“ „Ja, hast ja eigentlich recht“, sagen sie dann. Das ist schon ein sehr sensibles Thema. Kunst soll ja nicht kommerziell sein, aber eigentlich ist Kunst doch kommerziell und jeder Künstler freut sich, wenn er bei den oberen 10.000 ist, obwohl er's eigentlich gar nicht möchte. Viele sind ja für die freie Kunst der Straße und blabla, obwohl da wenn jemand was hinschreibt von wegen: Ich bin gegen das System, das ist ja nicht Street Art, sondern ist ja eigentlich, was anderes. Und das Thema Stencil, was ja eigentlich Street Art ist, das gibt’s auch schon ewig aber jetzt wird es wieder gehypt und mit Graffiti wird das alles eins. Das ist ja nicht mehr Graffiti.“ Ein schwieriges Thema. Wir würdest du das eigentlich jeweils definieren? Könnte man deiner Meinung nach sagen, Graffiti fällt unter den Überbegriff Street Art, also kostenlos im öffentlichen Raum angebrachte Kunst? Ne, also eigentlich sind das alles eigentlich eigene Stile. Street Art an sich, am besten fährt man, wenn man sagt, dass ein Begriff wie urban art verschiedene Stile wie Graffiti, Street Art selbst, Comic, Illustration, digitale Kunst subsummiert, vereint. Damit fährt man am besten. Weil man wird niemals eine ganz genaue Definition kriegen, zu der jeder sagt: Das ist aber toll. Eigentlich war ja Graffiti zuerst da. Und irgendwann würde aus Graffiti in den Großstädten mit diesen Tags und den Charactern, U-Bahn und co...

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diese alten Jungs, ich sage mal ONE und so weiter, die sind ja immernoch Graffiti-Writer, die darf man nicht Street Artists nennen. Street Art selbst ist ja diese Schablonentechnik, Stencils und so und auf Sachen hinzuweisen mit einem Augenzwinkern, auf politisches, wie man es auch auf Facebook sieht und wie es auch von Banksy gemacht wird. Und urban art selbst ist eben aus unserer Definition heraus ein Sammelbegriff für verschiedene Stile aus diesen Richtungen. Aber das was in einem Museum hängt oder bei euch auf der STROKE ist ja nicht mehr für alle frei zugänglich. Da muss man ja erst Eintritt zahlen. Also Street Art heißt nicht, dass ich frei auf der Straße was machen kann. Das ist nur Kunst auf der Straße, mehr nicht. Ich kann das auf der Straße machen, das ist frei zugänglich. Das ist Quatsch. Die Leute hatten einfach keine Möglichkeit sich zu präsentieren und haben halt deshalb gesagt: ok, dann mach ichs halt draußen, da sieht es dann jeder. Deshalb ist es dann aber auch am nächsten Tag meist weg. Da darf man das nicht verwechseln mit: da kann ich hingehen. Urban art subsummiert alles andere an sich, Street Art, Graffiti, Manga, was weiß ich. Urban art hat nichts damit zu tun, dass das alles zu kaufen ist. Das heißt einfach nur Kunst aus dem urbanen Umfeld. Du siehst es dann also nicht so, dass es nur die Formsprache von zum Beispiel Street Art ist, die in urban art übernommen wird. Für dich ist es dann immer Street Art, egal ob jemand draußen etwas malt oder bei euch auf eine Leinwand? Also ich sage mal so. Es gibt ja diesen Trend im Moment, dass die Leute zum Beispiel Murals malen. Da kommt jetzt keiner von denen auf die Idee zu sagen: ich bin jetzt Street Artist, nur weil er an der Straße auf die Wand gemalt hat. Das ist dann einfach ein Künstler. Ein Künstler. Mehr nicht. Da kommt keiner hin und sagt: ich bin ein Graffiti-Artist, weil ich mal einen Tag gemacht habe. Das war früher mal so. Das ist eben ein Überbleibsel aus der Entwicklung. Street Art heißt ja per definitionem nicht, dass es kostenlos ist. Es heißt nur, das ist Kunst auf der Straße. Mehr nicht. Das heißt auch nicht, dass der Künstler ein Street Artist ist. Das ist einfach Kunst auf der Straße. Der Künstler geht nicht dahin und sagt: ich mache was Kostenloses. Da muss man sich von diesem Geldbegriff lösen. Der geht dahin und sagt: Ich brauche eine Fläche, um mich zu zeigen. Das kann ich zuhause auf meinem Notizblock machen oder aber ich nehme mir diese Fläche, wo es viele Leute sehen. Aber er kriegt ja da kein Geld dafür. Das ist aber ein Fehler, denn viele Projekte werden ja bezahlt. Das ist ja dann wieder was anderes. Das ist ja dann Street Advertising. Nee, auch das ist es nicht. Das ist es nur, wenn ein Logo einer Marke auftaucht. Wenn du es im Namen einer Firma malst, dann ist es doch auch Werbung für diese Firma.

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Es ist aber nur Street Advertising, wenn ein Logo auftaucht. Oder ein Produkt. Wenn es das nicht ist, ist es Kunst. Wer soll das sonst wissen. Du malst ein Bild hin von Leuten am Strand von Daimler, aber da ist kein Logo. Da wird doch keiner kommen und sagen: Ah das ist ne Werbung von Daimler. Überhaupt nicht. Die werden bezahlt von Veranstaltern, die kriegen die Farbe und so weiter und die machen das, um die Stadt zu verschönern. Einfach um etwas Schönes zu zeigen. Die kommen nicht und sagen: ich möchte den Leuten die Kunst kostenlos zeigen. Die haben Spaß dran und machen das, weil sie das den Leuten zeigen wollen. Ich würde mich da nicht so festfahren auf Definition, das ist alles sehr schwammig. Street Art ist ein sehr schwammiger Begriff. Weil er eben viel subsummiert. Du wirst wenig Künstler finden, die dieses Street Advertising machen wollen, es sei denn, es sind hohe Summen im Spiel. Weil die ja sich wieder nicht dafür hergeben wollen mit ihrer Kreativität irgendeine Marke zu bedienen. Es gibt ein paar Projekte, die gut gezahlt werden. Aber die Masse macht das wohl eher nicht. Wir selber vertreten eben genau diese Meinung, wo es darum geht, wenn wir bei der STROKE wie jetzt in Berlin letztes Jahr, Murals machen, dann nicht weil wir wollen, dass die Leute kostenlos die Murals ankucken sollen, sondern weil wir wissen, dass die Künstler scharf drauf sind, Bilder zu malen. Die wollen nicht, dass die Leute kostenlos kommen. Das ist ein nettes Goodie, aber damit verdient man nichts. Die sagen: hey ich kann da malen, ich bin in Berlin und kann da was Großes malen. Dann kommen sie zu uns oder in die Galerie, weil jede Galerie ist eine Art Plattform und wollen ihre Kunst verkaufen. Sobald es verkauft wird, ist es ja Kommerz. Warum machen sie das? Weil sie A natürlich einen emotionalen Faktor haben: Mensch jemand wertschätzt meine Arbeit und das zweite ist: ich kann davon leben. Es gibt sicherlich Künstler, die sagen ich bin gegen Kommerz. Aber ganz ehrlich: sobald sie ein Bild verkaufen, ist es Kommerz. Per Definition schon. Wie gesagt, diese Genre, das kann jeder handhaben wie er will. Wir sind darauf bedacht, dass die STROKE keine Graffiti oder Street Art Messe ist, wir haben sowas dabei, aber es gibt ein viel weiteres Spektrum. Man kann eigentlich fast schon sagen, für was die STROKE mal stehen soll und das wird auch so sein in den nächsten fünf bis zehn Jahren, ist diese Kunst contempary art. Das ist eben das was wir raushaben. Es geht immer um den kommerziellen Gedanken dabei. Wir wollen den Künstlern eben mal die Chance geben für kleines Geld sich 20.000 Menschen zu präsentieren. Das bewahrheitet sich auch, weil die Künstler bei uns eigentlich ganz gut verkaufen. Nicht zu vergleichen mit einer normalen Messe, das ist sehr weit entfernt. Aber auch weil es wichtig ist, dass sich Netzwerke bilden. Künstler tauschen sich aus, fahren in andere Städte, Galerien tauschen sich aus, es kommen Scouts von Agenturen, die dann den Künstlern Projekte anbieten, als Beispiel: Da kommt Nissan und macht was mit Künstlern aus Berlin, weil die einfach illustratorisch arbeiten, mit vielen Charactern, aber illustratorisch in einem sehr ansehnlichen Stil. Wenn man denen jetzt sagt, dass das Graffiti Art ist, dann killen die dich. Wobei aber viele wieder – und das ist wichtig und essentiell – viele haben ihre Wurzeln im Graffiti. Da kamen auch ihre Inspirationen her. Viele, die jetzt sage ich mal 40 sind, die sich bei uns präsentieren, die sind damit aufgewachsen. Aber dieses Malen von Charactern und Schriftzügen an die Wände, das machen sie nicht mehr. Sondern die machen jetzt eigene Sachen. Da gibt es Künstler, die verkaufen zum Beispiel Klecksbilder. Das merkt man auch bei uns auf der Messe, wenn man da durch geht, man sieht das von der Entwicklung her: Das ist jetzt ein bisschen subjektiv, also meine persönliche Meinung,

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die jungen Wilden kopieren noch so ein bisschen die alten Styles und die etwas älteren, erfahreneren Künstler, die über 25, die entwickeln sich selbst. Bestes Beispiel ist eigentlich ONE, ein Münchner Künstler, der hat früher Graffitis gemacht ohne Ende, aber wo sich andere weiter darauf fokussieren, macht ONE jetzt sehr abstrakte Sachen. Hat sich vollkommen weiter entwickelt, da ist nichts mehr mit Tags, das ist einfach Kunst. Das ist ganz normal, das ist ein Schritt, den Künstler einfach gehen. Also für dich ist das was er macht, jetzt erst Kunst? Das davor war keine? Das ist eine sehr diffizile Frage. Also du musst verstehen, ich bin Jahrgang 77 ich komme aus dieser Richtung, ich bin jetzt kein Sprayer oder Tagger, ich bin Informatiker und BWLer, aber ich habe damals die Kontakte gehabt und hatte als 16-Jähriger auch diese Shirts mit B-Boys drauf, mit meinen Sneakers und so weiter. Das ist jetzt eine sehr subjektive Meinung: Für mich fängt die Kunst nicht damit an, dass ich irgendwas auf der Straße male, sondern dann wenn es mir gefällt. Da ist es mir egal, ob es jetzt auf der Straße ist oder auf einem Schuhkarton oder auf ner Leinwand. Kunst hat ja seine Berechtigung schon, wenn es auch nur einem Einzigen gefällt. Egal, ob es jetzt Scheiße in der Dose ist, die mal einer in den 80er für Millionen verkauft hat. Einfach nur weil da ein Hype drum war, die Leute fanden es geil, die wollten was von dem Künstler haben, deswegen kaufen sie Scheiße in Dosen. Das gab es wirklich. In goldenen Dosen. Der Kunstmarkt ist auch nur ein Markt mit Angebot und Nachfrage, aber es ist ein Markt, der sehr stark von Psychologie getrieben wird. Es gab mal so ein Zitat von Banksy, so sinngemäß. Der sagt, der Kunstmarkt ist eigentlich, da gibt es da ein paar hundert Millionäre, die sich da nach subjektiven Bedürfnissen und Meinungen Bilder sammeln. Dieser kleine Club von hundert Millionären wird immer bestimmen was die ganze Masse an Leuten in Museen und Galerien sieht, weil die den Hype machen. Und so ist das auch. Es gibt so viele Künstler, die sich ähneln. Und der eine hatte halt mal Glück bei der richtigen Galerie zu sein, dann verkauft er eben teurer. Und der andere, der eigentlich genauso malt mit der gleichen Qualität hat vielleicht Pech, weil die Galerie zumachen muss oder sowas. Das ist ganz normal. Der Kunstmarkt ist Hype und Psychologie. Es geht darum, dass du sagst: ich möchte unbedingt einen original Banksy haben, weil dann habe nur ich ihn. Nur ich habe ihn in meiner Wohnung. Also nicht unbedingt der investorische Wert oder der finanzielle Aspekt, sondern eher der emotionale Wert. Wobei bei Sammlern hat es auch einen finanziellen Aspekt, auch bei Banken zum Beispiel, weil die mittlerweile auch kaufen.

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E-Mail Austausch mit dem Philosphen, Künstler und Buchautor Günther Friesinger. Günther Friesinger lebt in Wien und ist unter anderem Experte auf dem Gebiet „Urban Hacking“. Im Zuge meiner Lektüre seines Buches „Urban Hacking“ traten Fragen auf, die er mir per E-Mail beantwortete: Meine erste Frage wäre, wie sie Street Art im Vergleich zu Urban Hacking definieren bzw. einordnen. Für mich stellt es sich so dar, dass Street Art eine Unterform des Urban Hacking ist, da Street Art ja auch im besten Fall etwas im Denken der Menschen ändern möchte und auch eine Art Guerilla Kommunikation ist. Adbusting zum Beispiel wird ja oft als Urban Hacking und/oder gleichzeitig als Street Art bezeichnet. Mich würde Ihre Meinung hierzu interessieren. Street Games, Street Art, Flashmobs oder Urban Hacking. Ich würde sagen die Grenzen sind fließend, vieles meint das selbe und viele Künstler und Akteure tun sich selber dabei schwer sich einzuordnen oder zu sagen ich bin Street Artist oder Urban Hacker. Ich würde für mich definieren, dass Street Art versucht mehr den künstlerischen Zugang in den Vordergrund zu stellen. Nicht, dass es hier vielleicht keine politische Aussage geben kann, aber das ist sehr oft nicht der Hauptaspekt in den jeweiligen Arbeiten. Hier geht es wirklich sehr oft um künstlerische Qualität. Urban Hacking auf der anderen Seite hat für mich einen politischeren Anspruch. Für mich ist Urban Hacking die Wiedereroberung geschlossener, öffentlicher Räume und Plätze. Zur Zeit gibt es keinen öffentlichen Raum mehr, denn jeglicher Raum ist im Besitz von Irgendjemanden, wird von öffentlichen und privaten Stellen reguliert und regiert. Hier setzt Urban Hacking an und versucht die vorhandenen, festgefahrenen und starren Strukturen aufzubrechen und neu zu erfinden, zu erzählen und zu deuten. Außerdem wird es oft einerseits so dargestellt, dass es bei Urban Hacking "nur" um Spaß geht (Flashmobs), andere Medien vermitteln hingegen, dass es bei Urban Hacking um Aktionen geht, die einen sozialkritischen Kontext haben oder/und zu politischem Protest anregen wollen. Wie genau ist ihre Einschätzung diesbezüglich? Urban Hacking nimmt für mich begrifflichen Bezug auf „Hacking“ als genuine Widerstandsform des digitalen Zeitalters, die mit dessen Globalisierung Schritt zu halten vermag. Hacking (im engeren Wortsinn eines rechnergestützten Angriffs auf das in Computern und Netzwerken unzugänglich gemacht Herrschaftswissen) bedeutet in diesem Zusammenhang: einen neuen öffentlichen Raum ins Werk zu setzen, der den digitalen Lebenswelten entspricht. Das kann aber natürlich auch mit einem gewissen Augenzwinkern oder wie wir in Österreich sagen, einem gewissen Schmäh passieren. In Ihrem Buch "Urban Hacking" wird davon gesprochen, dass guerilla Kommunikation ein Form von kulturellem Widerstand darstellt. Wie schätzen Sie die Chancen ein, mit solchen Maßnahmen eine Änderung in der Gesellschaft zu erreichen? Ich denke, dass es generell schwierig ist Gesellschaft zu verändern. Wann passiert das schon?

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Ich habe gute 10 Jahre lang den Kauf-Nix-Tag in Wien organisiert und noch immer kaufen die Menschen in meinem Umfeld zu Weihnachten wie verrückt. Ich denke man muss mit Aktionen schon sehr viel Glück haben, dass sie nachhaltig etwas verändern. Wir leben in einer Zeit des Überangebotes von allem und subversive Projekte haben es immer schwerer überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Ein Beispiel wo das für mich geklapt hat war, dass ich als 17 Jähriger im Dorf in dem Eltern gelebt haben, in der Zeit der Krötenwanderung eben diese Kröten über die Straße getragen habe, damit sie nicht überfahren werden. Das schöne daran war, dass sich dann in weiterer Folge viele Nachahmer gefunden haben und das hat schließlich zu Krötentunneln unter den Straßen geführt. Ein klein wenig hab ich als erster in diesem Dorf vielleicht doch einen Anstoß zur Verädernung geben können. Wie sehen Sie es wenn Firmen - wie zum Beispiel Volkswagen mit der Aktion der "Klaviertreppe" in Schweden - sich der Mittel von Urban Hacking bedienen? (vgl. http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=2lXh2n0aPyw ) Mir ist es lieber, dass Firmen wie Volkswagen Werbung in diesem Bereich machen, als weiterhin unsere Umwelt mit Plakaten, Anzeigeflächen um vielem mehr zu überfluten. Man könnte beinahe sagen man sieht die Stadt vor lauter Werbung nicht mehr. Ich finde die Aktion der Volksoper Wien (http://www.youtube.com/watch?v=PJNp5UKRtbQ) aber etwas spannender als das Projekt von Volkswagen. Ich würde aber beides nicht als Urban Hacking sehen, sondern es handelt sich um eine modernere Form des Outdoor Advertising und kann keinesfalls einem sozialen oder politischen Anspruch den Urban Hacking in sich trägt, gerecht werden.