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Die im Folgenden dargestellten Daten und Ergebnisse waren Gegenstand eines Vortrags beim 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie am 03.05.2013 in München. S. Schüle · A. Altendorf-Hofmann · Y. Dittmar · F. Rauchfuß · U. Settmacher Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena, Jena Inzidenz nichtmetastatischer  Leberläsionen   bei Tumorpatienten Konsequenzen für Chemotherapie  und lokal-ablative Verfahren Solide Leberherde werden aufgrund der technischen Weiterentwicklung sowie des zunehmenden Einsatzes bildgebender Verfahren auch bei asymptomatischen Patienten bzw. im Rahmen der Tumornachsorge in im- mer größerer Anzahl detektiert. Da- bei werden auch kleine Leberläsio- nen bei Patienten mit einer Tumor- anamnese naturgemäß anders be- wertet als Zufallsbefunde beim Ge- sunden. Im Zweifelsfall wird bei re- sektablen Befunden in den allermeis- ten Situationen die histologische Si- cherung durch Leberresektion ange- strebt werden. Bei irresektablen Her- den bieten sich lokal-ablative Verfah- ren oder auch die palliative Chemo- therapie als Behandlungsoptionen an, die jedoch unter Bezugnahme auf den bekannten Primärtumor in vie- len Fällen ohne vorherige erneute histologische Sicherung der vermu- teten Metastasen erfolgen. Weiterhin wird seit einiger Zeit die neoadjuvan- te Chemotherapie auch bei primär re- sektablen oder grenzwertig resekt- ablen kolorektalen Lebermetastasen mit dem Ziel der Prognoseverbesse- rung diskutiert [2]. Im klinischen Alltag sehen wir jedoch nach Leberresektion immer wieder über- raschende histologische Befunde, was die Frage nach der Genauigkeit unserer prä- operativen bildgebenden Diagnostik auf- wirft. Angesichts der niedrigen periope- rativen Morbidität und Mortalität von Leberresektionen in erfahrenen hepato- biliären Zentren kann eine gewisse diag- nostische Unsicherheit sicherlich akzep- tiert werden; als problematisch ist die- se jedoch dann anzusehen, wenn sich als Konsequenz ein von falschen Vorausset- zungen ausgehendes multimodales oder gar rein palliatives Therapiekonzept er- gibt. Wir haben daher unser prospekti- ves Tumorregister hinsichtlich der Inzi- denz nichtmetastatischer solider Leberlä- sionen aufgearbeitet. Methoden Seit 1995 werden die klinischen und epi- demiologischen Daten aller Tumorpatien- ten in unserem prospektiv geführten Tu- morregister dokumentiert. Für die vorlie- gende Arbeit wurden die Daten aller Pa- tienten, die zwischen 1997 und 2011 unter der Verdachtsdiagnose „Lebermetastasen“ operiert wurden, hinsichtlich Histologie und präoperativ durchgeführter Diagnos- tik analysiert. Ergebnisse Im genannten Zeitraum wurden 770 Pa- tienten unter der Verdachtsdiagnose „Le- bermetastasen“ operiert; diese wurde in 723 Fällen (94%) histologisch am Resek- tat bestätigt. Bei 47 Patienten (6%) ergab sich im Rahmen der histologischen Aus- wertung der Leberresektate ein unerwar- teter Befund (. Tab. 1). Primärtumoren dieser Patienten waren Nierenzell- (n=12), kolorektale (n=11), Mamma- (n=8), Pank- reas- (n=3), Haut- (n=3) und andere Kar- zinome (n=6). Bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Patienten waren präoperativ zwei oder mehr bildgebende Verfahren durch- geführt worden, um den oder die Herd- befunde in der Leber genauer einzugren- zen (. Tab. 2). Dabei stimmten die Ver- dachtsdiagnosen der unterschiedlichen diagnostischen Verfahren lediglich in 20 Fällen überein. Die beste Korrelation der Verdachtsdiagnosen zeigte sich zwischen Sonographie und Computertomographie (CT) sowie zwischen CT und Magnet- resonanztomographie (MRT) in jeweils zwei Drittel der Fälle. Von den 13 Patien- ten, bei denen ein Positronenemissionsto- mographie(PET)-CT durchgeführt wurde, zeigte sich 7-mal keine Mehrspeicherung des Radionuklids. Von den 6 Patienten, bei denen eine Mehrspeicherung nach- weisbar war und bei denen wir somit den Metastasenverdacht bestätigt sahen, hat- ten 2 Abszesse und jeweils einer ein Fa- Chirurg 2014 DOI 10.1007/s00104-013-2660-3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 1 Der Chirurg 2014| Originalien

Inzidenz nichtmetastatischer Leberläsionen bei Tumorpatienten; Incidence of non-metastatic liver lesions in tumor patients;

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Page 1: Inzidenz nichtmetastatischer Leberläsionen bei Tumorpatienten; Incidence of non-metastatic liver lesions in tumor patients;

Die im Folgenden dargestellten Daten und Ergebnisse waren Gegenstand eines Vortrags beim 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie am 03.05.2013 in München.

S. Schüle · A. Altendorf-Hofmann · Y. Dittmar · F. Rauchfuß · U. SettmacherKlinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena, Jena

Inzidenz nichtmetastatischer Leberläsionen  bei TumorpatientenKonsequenzen für Chemotherapie und lokal-ablative Verfahren

Solide Leberherde werden aufgrund der technischen Weiterentwicklung sowie des zunehmenden Einsatzes bildgebender Verfahren auch bei asymptomatischen Patienten bzw. im Rahmen der Tumornachsorge in im-mer größerer Anzahl detektiert. Da-bei werden auch kleine Leberläsio-nen bei Patienten mit einer Tumor-anamnese naturgemäß anders be-wertet als Zufallsbefunde beim Ge-sunden. Im Zweifelsfall wird bei re-sektablen Befunden in den allermeis-ten Situationen die histologische Si-cherung durch Leberresektion ange-strebt werden. Bei irresektablen Her-den bieten sich lokal-ablative Verfah-ren oder auch die palliative Chemo-therapie als Behandlungsoptionen an, die jedoch unter Bezugnahme auf den bekannten Primärtumor in vie-len Fällen ohne vorherige erneute histologische Sicherung der vermu-teten Metastasen erfolgen. Weiterhin wird seit einiger Zeit die neoadjuvan-te Chemotherapie auch bei primär re-sektablen oder grenzwertig resekt-ablen kolorektalen Lebermetastasen mit dem Ziel der Prognoseverbesse-rung diskutiert [2].

Im klinischen Alltag sehen wir jedoch nach Leberresektion immer wieder über-raschende histologische Befunde, was die Frage nach der Genauigkeit unserer prä-

operativen bildgebenden Diagnostik auf-wirft. Angesichts der niedrigen periope-rativen Morbidität und Mortalität von Leberresektionen in erfahrenen hepato-biliären Zentren kann eine gewisse diag-nostische Unsicherheit sicherlich akzep-tiert werden; als problematisch ist die-se jedoch dann anzusehen, wenn sich als Konsequenz ein von falschen Vorausset-zungen ausgehendes multimodales oder gar rein palliatives Therapiekonzept er-gibt. Wir haben daher unser prospekti-ves Tumorregister hinsichtlich der Inzi-denz nichtmetastatischer solider Leberlä-sionen aufgearbeitet.

Methoden

Seit 1995 werden die klinischen und epi-demiologischen Daten aller Tumorpatien-ten in unserem prospektiv geführten Tu-morregister dokumentiert. Für die vorlie-gende Arbeit wurden die Daten aller Pa-tienten, die zwischen 1997 und 2011 unter der Verdachtsdiagnose „Lebermetastasen“ operiert wurden, hinsichtlich Histologie und präoperativ durchgeführter Diagnos-tik analysiert.

Ergebnisse

Im genannten Zeitraum wurden 770 Pa-tienten unter der Verdachtsdiagnose „Le-bermetastasen“ operiert; diese wurde in 723 Fällen (94%) histologisch am Resek-

tat bestätigt. Bei 47 Patienten (6%) ergab sich im Rahmen der histologischen Aus-wertung der Leberresektate ein unerwar-teter Befund (. Tab. 1). Primärtumoren dieser Patienten waren Nierenzell- (n=12), kolorektale (n=11), Mamma- (n=8), Pank-reas- (n=3), Haut- (n=3) und andere Kar-zinome (n=6).

Bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Patienten waren präoperativ zwei oder mehr bildgebende Verfahren durch-geführt worden, um den oder die Herd-befunde in der Leber genauer einzugren-zen (. Tab. 2). Dabei stimmten die Ver-dachtsdiagnosen der unterschiedlichen diagnostischen Verfahren lediglich in 20 Fällen überein. Die beste Korrelation der Verdachtsdiagnosen zeigte sich zwischen Sonographie und Computertomographie (CT) sowie zwischen CT und Magnet-resonanztomographie (MRT) in jeweils zwei Drittel der Fälle. Von den 13 Patien-ten, bei denen ein Positronenemissionsto-mographie(PET)-CT durchgeführt wurde, zeigte sich 7-mal keine Mehrspeicherung des Radionuklids. Von den 6 Patienten, bei denen eine Mehrspeicherung nach-weisbar war und bei denen wir somit den Metastasenverdacht bestätigt sahen, hat-ten 2 Abszesse und jeweils einer ein Fa-

Chirurg 2014 DOI 10.1007/s00104-013-2660-3© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

1Der Chirurg 2014  | 

Originalien

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dengranulom, ein Hämangiom, eine fo-kale Mehrverfettung bzw. ein Cholangio-karzinom.

Die tumorspezifische 10-Jahres-Über-lebensrate von 79% bei den Patienten mit benignen Leberläsionen belegt, dass es sich um „echte“ nichtmetastatische Herde handelte. Neun der 38 Patienten mit beni-gner Histologie sind inzwischen verstor-ben, davon einer aus nichtonkologischer Ursache. Vier Patienten verstarben an Me-tastasen eines kolorektalen Karzinoms und jeweils einer an Rezidiven eines Pan-kreaskarzinoms, eines Merkel-Zell-Karzi-noms, eines Mammakarzinoms und eines malignen Melanoms.

Die Problematik der Wertung hepati-scher Läsionen bei Tumorpatienten soll im Folgenden anhand zweier Beispiele aus der eigenen Klinik verdeutlicht wer-den:

Patientin 1

Die 45-jährige Patientin wurde uns von ihrer behandelnden Onkologin mit einem solitären neu aufgetretenen Leberrund-herd in den Segmenten 2/3 vorgestellt; anamnestisch bestand ein Zustand nach brusterhaltender Resektion eines inva-siven duktalen Mammakarzinoms links (Tumorstadium pT1c N2a[7/22] M0 R0 L1 V0, Her2-neu +++) 7 Jahre zuvor. Der Be-fund der auswärts durchgeführten Kont-rastmittelsonographie lautete: „singulärer Leberherd im Segment 2/3, der kontrast-mittelsonographisch Malignitätskriterien erfüllt“. Eine daraufhin durchgeführte CT blieb ohne auffällige Befunde, sodass wir zunächst von einer Leberresektion absa-hen. Es erfolgte ambulant eine kurzfristige Kontrolle mittels MRT, wo wiederum eine

„hypervaskularisierte, metastasenverdäch-tige Läsion im Segment 2/3 der Leber“ be-schrieben wurde (. Abb. 1); im ergän-zend zum Ausschluss extrahepatischer Tumormanifestationen durchgeführten PET-CT war keine Mehrspeicherung int-ra- oder extrahepatisch nachweisbar. Da-raufhin wurde die linkslaterale Leberre-sektion durchgeführt; histologisch zeigte sich eine reaktive duktuläre Gallengangs-proliferation ohne Anhalt für Malignität.

Patient 2

Bei dem 57-jährigen Patienten war eine abdominothorakale Ösophagusresektion aufgrund eines Plattenepithelkarzinoms des Ösophagus (Tumorstadium cT3 N1 M0, ypT2 N0[0/30] M0 L0 V0 R0) durch-geführt worden; 18 Monate nach dem Pri-märeingriff fiel im Rahmen der Tumor-nachsorge computertomographisch ein solitärer Herdbefund zentral im rechten Leberlappen auf, der als metastasensus-pekt beurteilt wurde (. Abb. 2). Im Sin-ne eines individuellen Therapiekonzepts erfolgte daraufhin die Hemihepatektomie rechts, wo sich histologisch eine Adeno-karzinommetastase darstellte. Bei der da-raufhin erweiterten Diagnostik fand sich endoskopisch ein Rektumkarzinom (pT3 N0 M1[HEP] Pn1 V1 R0) als Zweittumor, der ebenfalls kurativ behandelt wurde.

Diskussion

Durch den zunehmenden Einsatz hoch-auflösender bildgebender Verfahren se-hen wir uns immer häufiger mit unklaren Herdbefunden in der Leber konfrontiert, deren Wertung bei Tumorpatienten oft-mals schwierig ist. Dies gilt insbesonde-re dann, wenn die Läsionen neu aufgetre-ten sind oder keine Voraufnahmen zum Vergleich vorliegen. Nach Leberresektio-nen unter Metastasenverdacht treten da-her immer wieder überraschende histo-logische Befunde auf, die wir bei unseren Patienten in immerhin 6% der Fälle sahen.

In der Literatur finden sich wenige Daten zur Inzidenz nichtmetastatischer solider Leberläsionen. Eine Analyse der unter Malignitätsverdacht leberresezier-ten Patienten aus Edinburgh ergab mit 7,2% eine mit unseren Daten vergleichba-re Rate „falsch-positiver“ Verdachtsdia-gnosen [3]. Allerdings wurden hier nur benigne Befunde eingeschlossen, wäh-rend wir alle unerwarteten Histologien, also auch maligne Tumoren, ausgewer-tet haben. Andererseits waren ein Vier-tel der Leberresektionen in Edinburgh unter dem Verdacht eines extrahepati-schen Cholangiokarzinoms durchgeführt worden, während wir uns auf intrahepa-tische Läsionen beschränkt haben. In die-sem Sinne sind beide Arbeiten nur einge-schränkt vergleichbar.

In der DEGUM-Multicenter-Studie zur Evaluierung der Kontrastmittelsono-graphie in der klinischen Routine wur-den 1349 Patienten mit neu entdeckten soliden Leberherdbefunden hinsichtlich ihrer Histologie ausgewertet [13]. Dabei dominierten in nichtzirrhotischen Le-bern Metastasen mit 36,4% vor benignen Befunden wie Hämangiomen (22,4%) und fokal-nodulärer Hyperplasie (FNH, 16,1%). In zirrhotischen Lebern waren er-wartungsgemäß vorwiegend hepatozel-luläre Karzinome (76,6%) zu finden. Ins-gesamt hatten im Gegensatz zu unseren analysierten Daten jedoch nur 371 Patien-ten (27,5%) eine Tumoranamnese. Ähn-liche Daten zeigt eine etwas ältere Arbeit aus China, in die jedoch nur Inzidenta-lome der Leber eingeschlossen wurden. Hepatozelluläre Karzinome wurden hier am häufigsten diagnostiziert, gefolgt von FNH und Hämangiomen [8].

Tab. 1 Histologische Befunde der Pa-tienten, bei denen überraschend keine Lebermetastasierung am Resektat nach-gewiesen werden konnte

Benigne Befunde n

Hämangiom 13

Fokale Mehrverfettung 6

Fokal-noduläre Hyperplasie (FNH) 6

Cholangiom 3

Leberadenom 2

Hamartom 2

Abszess/Nekrose 4

Zyste 1

Fadengranulom 1

Maligne Befunde

Hepatozelluläres Karzinom (HCC) 6

Cholangiozelluläres Karzinom (CCC) 2

Metastase eines anderen Primärtumors 1

Tab. 2 Präoperativ durchgeführte Dia-gnostik

  n

Intraoperativer Zufallsbefund 3

Nur CT 2

CT und MRT 2

CT/MRT und Sonographie 23

CT/MRT und PET 6

3 verschiedene bildgebende Verfahren 9

4 verschiedene bildgebende Verfahren 2

CT Computertomographie, MRT Magnetresonanz-tomographie, PET Positronenemissionstomo-graphie.

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Originalien

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Die vorliegenden Daten werfen unter anderem die Frage auf, wie viele unter-schiedliche bildgebende Verfahren zur Abklärung eines Leberrundherdes beim Tumorpatienten erforderlich sind bzw. empfohlen werden sollten. Sicherlich ist es sinnvoll, verschiedene diagnostische Methoden mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen zu kombinieren [1, 4, 5, 6,

9]. Auf diese Weise lassen sich bestimm-te Tumorentitäten, wie beispielsweise das HCC durch Kombination von CT, MRT und eventuell Angiographie, mit großer Sicherheit diagnostizieren. In der eige-nen Klinik stellt die CT auch unter dem Aspekt der Operationsplanung den Stan-dard dar und wird fast immer durch die (Kontrastmittel-)Sonographie ergänzt.

Bei unklaren Befunden werden im Einzel-fall eine MRT und/oder PET-CT zusätz-lich durchgeführt. Ein hinreichend siche-rer Metastasenausschluss ist jedoch auch mit Einsatz multipler Verfahren nicht im-mer möglich [10]. Wir sahen uns bei der Mehrzahl unserer Patienten mit divergie-renden Befunden konfrontiert, wie auch im ersten Fallbeispiel geschildert. Eine be-

Zusammenfassung · Abstract

Chirurg 2014 · [jvn]:[afp]–[alp] DOI 10.1007/s00104-013-2660-3© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

S. Schüle · A. Altendorf-Hofmann · Y. Dittmar · F. Rauchfuß · U. Settmacher

Inzidenz nichtmetastatischer Leberläsionen bei Tumorpatienten. Konsequenzen für Chemotherapie und lokal-ablative Verfahren

ZusammenfassungEinleitung. Neu aufgetretene solide Raum-forderungen der Leber entsprechen auch bei Patienten mit soliden Malignomen, ins-besondere des Gastrointestinaltraktes, nicht zwangsläufig Metastasen des Primarius. Erst die definitive histologische Befundung stellt sicher die Artdiagnose.Material und Methoden. Aus unserem pro-spektiv geführten Tumorregister wurden Pa-tienten ausgewählt, die zwischen 1997 bis 2011 unter dem Verdacht „Lebermetastasen“ operiert und deren Resektate histologisch aufgearbeitet wurden.Ergebnisse. Bei 770 Patienten zeigte sich 47-mal (6,1%) ein unerwarteter Befund. Pri-märtumoren dieser Patienten waren Nieren-karzinome (12), kolorektale Karzinome (11), Mammakarzinome (8), Magenkarzinome (4), Pankreaskarzinome (3), Hautkarzinome (3)

und andere (6). Die Leberläsionen traten 15-mal synchron auf, ansonsten median 17 Mo-nate nach Primärtherapie. Die Histologie er-gab 38-mal eine benigne Veränderung (81%). Sechsmal zeigte die Histologie ein hepatozel-luläres Karzinom, 2-mal ein cholangiozellulä-res Karzinom und einmal die Metastase eines bis dahin nicht bekannten kolorektalen Karzi-noms bei bekanntem Ösophaguskarzinom.

Der Metastasenverdacht war präopera-tiv 2-mal durch vier und 9-mal durch drei ver-schiedene bildgebende Verfahren abgesi-chert worden. Bei 23 Patienten wurden CT oder MRT plus Sonographie sowie in 6 Fäl-len CT oder MRT plus PET-CT durchgefüh-rt. Jeweils 2 Patienten erhielten CT und MRT bzw. nur CT und in 3 Fällen wurde die Ver-dachtsdiagnose allein aufgrund des intraop-erativen makroskopischen Befundes gestellt.

Eine präoperative Biopsie der Leberherde er-hielten 4 Patienten mit jeweils nicht konklu-sivem Ergebnis.Schlussfolgerung. Die neoadjuvante Che-motherapie von Lebermetastasen birgt auch nach Einsatz modernster Bildgebung das Ri-siko, einen benignen oder andersartigen ma-lignen Befund als den erwarteten zu thera-pieren, gleiches gilt für die Radiofrequenzab-lation. Vor Radiofrequenzablation und eben-so vor definitiver palliativer Chemothera-pie sollte bei diagnostischer Unsicherheit da-her die histologische Sicherung angestrebt werden.

SchlüsselwörterInzidenz · Lebermetastasen · Benigne · Histologie · Chemotherapie

Incidence of non-metastatic liver lesions in tumor patients. Consequences for chemotherapy and local ablative procedures

AbstractIntroduction. Even in patients with a history of solid malignant tumors, especially of gas-trointestinal origin, newly diagnosed solid liv-er lesions do not necessarily correspond to metastases of the respective primary tumor. A reliable diagnosis can only be made by de-finitive histological examination.Material and methods. Data of all patients who underwent liver resection under the preoperative diagnosis of liver metastases between 1997 and 2011 and for whom liv-er specimens were examined histologically, were extracted from the prospectively main-tained cancer registry.Results. An unexpected histological result occurred in 47 out of 770 patients (6.1%). Pri-mary tumors in these patients included re-nal cell (n=12), colorectal (n=11), breast (n=8), gastric (n=4), pancreatic (n=3), skin

(n=3) and other cancers (n=6). Liver lesions were diagnosed synchronously in 15 cases or metachronously after a median of 17 months following primary therapy in 32 patients. His-tology revealed a benign tumor in 38 cas-es (81%) as well as 6 cases of HCC, 2 cases of CCC and in 1 case metastasis of a previously unknown colorectal cancer in a patient with known esophageal carcinoma. Suspicion of metastatic disease was based on four differ-ent imaging modalities in two cases and on three different imaging modalities in nine cases. Either computed tomography (CT) or magnetic resonance imaging (MRI) was com-bined with ultrasound in another 23 patients and with positron emission tomography (PET) CT in 6 more cases. In two patients CT plus MRI and CT only, respectively, was per-formed. In the remaining three patients, sus-

picion of metastases occurred intraoperative-ly after macroscopic examination of the liv-er. Preoperative percutaneous biopsy was at-tempted in four patients with indeterminate results.Conclusion. Even with modern diagnostics the risk of treating a benign or other form of malignant tumor with neoadjuvant or palli-ative chemotherapy persists. The same holds true for local ablative procedures. Prior to lo-cal ablation or definitive palliative chemo-therapy histological confirmation of metasta-ses should be attempted.

KeywordsIncidence · Liver metastases · Benign · Histology · Chemotherapy

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sondere Herausforderung an die Bildge-bung stellen dabei auch Metastasen von Tumoren mit ungewöhnlicher Morpholo-gie dar (. Abb. 3).

Das Dilemma der unklaren Herdbe-funde bzw. divergierender Diagnosen in den unterschiedlichen Bildgebungen ist aus chirurgischer Sicht bei resektablen Lä-sionen zwar nachrangig, da man sich im Zweifelsfall für ein operatives Vorgehen entscheiden wird. In diesem Sinne kann

man argumentieren, dass ein Ausschöp-fen aller denkbaren diagnostischen Mög-lichkeiten nicht erforderlich ist. Leider ist aus forensischer Sicht die Situation unkla-rer, da Klagen auf Behandlungsfehler so-wohl für die Situation der falsch-positiven als auch falsch-negativen Befunde einge-reicht werden, wobei hier wohlgemerkt primär der Chirurg und nicht der Radio-loge zur Rechenschaft gezogen wird. Hier kann nur die rigorose präoperative, gut

dokumentierte Aufklärung der Patienten über die bestehende diagnostische Rest-unsicherheit Abhilfe schaffen.

Unklar bleibt in der Differenzialdiag-nostik solider Leberläsionen der Stellen-wert des PET-CTs. Bei unseren Patienten wies das PET-CT in knapp der Hälfte der Fälle eine Mehrspeicherung auf, wobei bei einem der betroffenen Patienten zwar keine Metastase, aber doch ein Malignom (Cholangiokarzinom) vorlag. Die Diffe-

Abb. 2 8 CT der Leber mit Nachweis eines suspekten Herdbefundes im rechten Leberlappen, „am ehesten einer hypovaskularisierten Metastase entsprechend“ (Pfeil), bei einem Patienten mit Plattenepithelkarzinom des Ösophagus. Histologisch am Resektat Nachweis einer Adenokarzinomme-tastase, daraufhin in der erweiterten Diagnostik Sicherung eines Rektum-karzinoms als Zweittumor

Abb. 3 8 Neu aufgetretener Leberrundherd bei einem 29-jährigen Patienten mit Embryonalzellkarzinom, im CT (a) und MRT (b) übereinstimmend als Metastase beurteilt, histologisch Leberadenom

Abb. 1 8 MRT der Leber mit Nachweis eines 1 cm großen, hypervaskulari-sierten metastasensuspekten Herdbefundes in den Segmenten 2/3 (Pfeil) bei einer Patientin mit Mammakarzinom. Histologisch am Resektat Nach-weis einer reaktiven duktulären Gallengangsproliferation ohne Anhalt für Malignität

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Originalien

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renzierung zwischen malignem Tumor und Entzündung kann im PET schwie-rig sein, was die falsch-positiven Befunde bei 3 weiteren Patienten (2 mit Abszessen und einem mit Fadengranulom) erklärt. In der Literatur sind zudem Schwierigkei-ten in der Differenzierung zwischen HCC und Leberadenomen mittels PET-CT be-schrieben [12].

Als problematisch ist die diagnostische Unsicherheit bei Patienten mit Primärtu-moren zu sehen, für die die Metastasen-chirurgie kein etabliertes Verfahren dar-stellt (wie im Beispiel 2, in dem die Le-berresektion als individuelles Therapie-konzept erfolgte) oder deren Leberher-de als nicht resektabel eingestuft werden. Hier besteht das Risiko, unter falschen Voraussetzungen ein palliatives Thera-piekonzept zu beginnen, mit allen asso-ziierten Nebenwirkungen und Belastun-gen. Unter akademischen Gesichtspunk-ten betrachtet, kann dies aufgrund der we-sentlich günstigeren Prognose nichtme-tastatischer Leberläsionen auch zur Ver-fälschung der Therapieerfolge führen. So-mit sollte in dieser Situation unserer Ein-schätzung nach eine histologische Siche-rung der Lebermetastasen vor Beginn der palliativen Chemotherapie sowie vor lo-kal-ablativer Therapie (beispielsweise Ra-diofrequenzablation) durchgeführt wer-den.

Über die bildgebende Diagnostik hi-nausgehend können auch die klinischen

Daten des Patienten Aufschluss über die Wahrscheinlichkeit einer Lebermetas-tasierung geben (. Abb. 4). Je unwahr-scheinlicher diese erscheint und je höher das perioperative Risiko des Patienten ist, umso eher sollte eine prätherapeutische Biopsie erwogen werden. Allerdings liegt das Risiko einer klinisch relevanten Ver-schleppung von Tumorzellen als Folge einer Punktion bei 16–19% [7, 11] und da-mit wesentlich über der Wahrscheinlich-keit, einen falsch-positiven Befund zu be-handeln. Eine klinische Relevanz hat dies jedoch lediglich für kurativ zu behandeln-de Patienten (beispielsweise vor neoadju-vanter Chemotherapie), da die Prognose eines Palliativpatienten durch Implanta-tionsmetastasen nach Biopsie nicht beein-flusst werden wird. Primär resektable Be-funde sollten aufgrund dieser Daten prä-operativ definitiv nicht punktiert werden.

Fazit für die Praxis

F  Bei etwa 6% der Patienten mit Tumor-anamnese, die unter Metastasenver-dacht leberreseziert werden, zeigt sich histologisch ein unerwarteter Be-fund, was vor Beginn eines multimo-dalen oder palliativen Therapiekon-zepts berücksichtigt werden sollte.

F  Auch durch Kombination mehrerer bildgebender Verfahren kann keine 

absolute diagnostische Sicherheit er-reicht werden.

F  Eine Punktion des Leberherdes soll-te unmittelbar vor Radiofrequenzab-lation in gleicher Sitzung und vor Be-ginn einer palliativen Therapie erfol-gen, um die Diagnose histologisch abzusichern. Es besteht jedoch ein relevantes Risiko der Tumorzellver-schleppung von 16–19%, sodass  bei kurativ zu behandelnden Patienten eine Biopsie unterbleiben sollte.

Korrespondenzadresse

Dr. S. SchüleKlinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Jena,Erlanger Allee 101, 07740 [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. S. Schüle, A. Altendorf-Hofmann, Y. Dittmar, F. Rauchfuß und U. Settmacher geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Malignitätskriterium

Wahrscheinlich-keit der Leber-metastasierung

Prognose

perioperativesRisiko/Morbidität

unklarer Leberherd bei Malignomanamnese

neu oder größenprogredient

Verlauf der Tumormarker

Leber typischer MTS-Ort

Stadium des Primärtumors

tumorfreies Intervall

Leberherd (gut) resektabel

allgemeine Risikofaktoren

abwägen:

Abb. 4 8 Aspekte zur Einschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Metastasierung (MTS) sowie der wei-teren diagnostischen Erfordernisse

5Der Chirurg 2014  | 

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6 |  Der Chirurg 2014

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