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Semiramis Akbari Iran zwischen amerikanischem und innenpolitischem Druck Rückfall ins Mittelalter oder pragmatischer Aufbruch? HSFK-Report 1/2004

Iran zwischen amerikanischem und innenpolitischem Druck...Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1 2. Veränderte Sicherheitslage Irans – Außenpolitische Herausforderungen auf internationaler

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Semiramis Akbari

Iran zwischen amerikanischemund innenpolitischem Druck

Rückfall ins Mittelalter oderpragmatischer Aufbruch?

HSFK-Report 1/2004

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Redaktionsschluss für diesen Text war der 10. März 2004.

Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)

Adresse der Autorin:HSFK � Leimenrode 29 � 60322 Frankfurt am MainTelefon: (069) 95 91 04-0 � Fax: (069) 55 84 81E-Mail: [email protected] � Internet: http://www.hsfk.de

ISBN: 3-933293-93-6

Euro 6,–

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Zusammenfassung

Die Islamische Republik Iran (IRP) unterliegt nicht nur amerikanischer, sondern auch in-nenpolitisch neu orientierter Einflussnahme. Der innenpolitische Druck resultiert insbe-sondere aus Machtkämpfen zwischen Konservativen und Reformern. Druck aus den USAgibt es verstärkt seit dem 11. September 2001, vor allem wegen der iranischen Atompoli-tik. Der Ausgang der Parlamentswahlen vom 20. Februar 2004 zu Gunsten der so ge-nannten „Konservativen“, und damit verbunden das vorläufige Scheitern der Reformen,wird von Washington und Europa als Beleg für den Stillstand des Landes angesehen. Eini-ge Beobachter befürchten sogar, dass es zu einem Rückfall ins Mittelalter kommen werde.25 Jahre nach der Islamischen Revolution ist aber innerhalb der politischen Elite einpragmatischer Grundtenor zu beobachten, der gegen solche Befürchtungen spricht. Dasheutige politische Denken hat sich in Richtung eines pragmatischen Aufbruchs verändert.Vor allem seit dem Angriff der USA auf den Irak (2003) zeichnet sich in Iran eine prag-matische Neuorientierung in Bezug auf die regionale und internationale Politik ab.

Trotz des massiven amerikanischen und innenpolitischen Drucks konnten die imWesten als konservativ geltenden Verhandlungspartner eine militärische Eskalation ver-meiden. Die unterschiedlichen Rollen, die Iran und die USA in Bezug auf die Irakkriseund die Atompolitik einnehmen, stellen seit der Islamischen Revolution von 1979 einenHöhepunkt der ohnehin angespannten Beziehungen dar. Mit den neu formulierten Stra-tegien der „Ausdehnung der aktiven Neutralität im Post-Saddam-Irak“ und der „friedli-chen Nutzung des Kernenergieprogramms“ lässt die politische Elite in Iran die Hoffnungzu, dass sie nach einer nicht nur kurzfristigen friedlichen Lösung der Konflikte suchenwill. Die veränderte sicherheitspolitische Lage führt dazu, dass die Konservativen mehrdenn je ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass auf Dauer die Islamische Republik ohnedie politische Anerkennung der USA nicht als regionaler Hegemon fungieren kann undlangfristig isoliert wäre. Erst durch einen hohen Grad an Pragmatismus einerseits und ei-nen extremen Positionswechsel andererseits konnten einheitliche Strategiepfade festgelegtwerden. Angesichts der US-Präsenz in den Nachbarstaaten Irak, Türkei, Saudi Arabien,Afghanistan, Pakistan sowie in den zentralasiatischen Staaten Turkmenistan, Usbekistanund Tadschikistan wird aus Gründen der Staatsräson eine Anpassung an internationaleNormen notwendig. Die pragmatische Anpassungspolitik nach außen soll aber auch ei-nem Implosionsprozess im Inneren entgegenwirken. Beobachter waren davon ausgegan-gen, dass die iranische Regierung dem doppelten Druck nicht standhalten würde. Das Re-gime hat sich aber als stabil und leistungsfähig erwiesen.

Die Analyse der Neuorientierung der regionalen (am Beispiel Irakpolitik) und inter-nationalen Außenpolitik (am Beispiel Nuklearpolitik) Iras unter Berücksichtigung innen-politischer Faktoren ermöglicht es, die Logik iranischer Sicherheitsstrategien zu erfassenund die Aussichten auf eine Annäherung zwischen den Kontrahenten Iran und USA per-spektivisch zu untersuchen. In der Analyse werden folgende Faktoren berücksichtigt: dasVerhältnis zwischen „Moderne“ und „Tradition“, die Transformation des Herrschaftscha-rakters im nachrevolutionären Iran, die Selbstbild- und Feindbildkonstruktion, der

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„Pragmatismus“ und schließlich das in Iran selbst entstandene Konzept der „inhärentenWandelbarkeit“.

Mit Hilfe dieses zentralen Konzepts will ich insbesondere die im Westen vorherr-schende Kategorisierung der politischen Parteien und Positionen in „Reformer“ und„Konservative“ aufbrechen. Darüber hinaus möchte ich aufzeigen, dass das politischeDenken in Iran, das überwiegend durch die Religion bestimmt wird, nicht statisch son-dern dynamisch ist. Das heißt, dass sich Konservative aus realpolitischen Gründen zuPragmatikern wandeln können. Abschließend möchte ich erörtern, ob sich der Gottes-staat in einem Lernprozess befindet und ob ein pragmatischer Abbau des Feindbildes USAund seine Umsetzung in die politische Praxis den Wendepunkt zu einer Entspannungs-politik markiert.

Die Strategie der bewusst neutralen Position im Irakkrieg und danach erklärt sich pri-mär aus den amerikanischen Drohgebärden, die ein präventives Vorgehen gegen Iran be-fürchten ließen. Aus der Sicht Teherans ist ein weiterer Grund darin zu sehen, dass einstabiler Irak zur Stabilisierung am gesamten Persischen Golf beitragen kann. Vor diesemHintergrund bemüht sich Iran um eine friedliche Koexistenz und fordert einen rechts-staatlich und demokratisch orientierten, unabhängigen Irak. Im Übrigen ist das iranischeSicherheitsdenken das Resultat der Nuklearpolitik der nicht-offiziellen KernwaffenstaatenIsrael, Indien und Pakistan. Alle drei Staaten weigerten sich bisher, den Nichtverbrei-tungsvertrag (NVV) zu unterzeichnen. Die Sonderbehandlung Israels durch die USAmachte es dem Nichtverbreitungsregime schwer, der iranischen Seite zu erklären, dass siekeinen Anlass habe, Expertise und Komponenten im Bereich der Kernenergie zu erwer-ben.

Eine dauerhafte Verbesserung des Verhältnisses Teheran-Washington wird durch eineVielzahl innen- und außenpolitischer Faktoren erschwert. Vor allem die Nachwirkungender Besetzung der amerikanischen Botschaft in den frühen Revolutionsjahren (1979/80)haben die bilateralen Beziehungen Irans zur Hegemonialmacht USA nachhaltig beein-flusst. Hinzu kommt die Perzeption von historischen Unrechtserfahrungen, wie z.B. derSturz Mossadeghs (1953) mit Hilfe der CIA. Dieser erzeugte einen latenten Antiamerika-nismus in der iranischen Gesellschaft. Der Antiamerikanismus wurde von der Regierungder Islamischen Republik, allen voran vom charismatischen Revolutionsführer, aufge-griffen und intensiviert. Das Feindbild USA und das neue, auf islamisch-historischen A-nalogien basierende Selbstbild formierten die Legitimationsgrundlage für die Herrschaft„des Herrschenden Rechtsgelehrten“ bis 1989.

Den Höhepunkt der bilateralen Spannungen stellte die Islamische Revolution 1979dar. Sie war aus iranischer Sicht eine politisch-soziale Protestbewegung gegen den ameri-kanischen Imperialismus, gegen die ungleiche Machtverteilung im internationalen Sys-tem. Sie war gleichzeitig aber auch der Ausdruck des Unabhängigkeitsstrebens eines aufislamischen Grundsätzen basierenden Staates. Die „Kleokratie“ (das heißt die direkteHerrschaft des Klerus) als Staatsform stellte auch innerhalb des „schiitischen Staatsden-kens“ einen revolutionären Ansatz dar. In den Augen der USA war die Islamische Revo-lution eine Bewegung gegen die Moderne, denn sie wurde als Geburtsstunde des islami-schen Fundamentalismus interpretiert. Die amerikanische Iranpolitik beschränkte sich

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dementsprechend auf Druckmittel wie Drohung, Einschüchterung, Einfrieren von Bank-konten und Embargopolitik. Nach den Ereignissen vom 11. September 2001 traten dieUSA als Sicherheits-, Führungs- und Ordnungsmacht auf, um den Weltfrieden wiederherzustellen und in den islamischen Ländern die Demokratie zu verbreiten. Iran wurde zuden so genannten „Schurkenstaaten“ gezählt, die den Weltfrieden und die internationaleSicherheit bedrohen.

Die Verbesserung der bilateralen Beziehungen Irans zu den USA, die Schaffung einerfriedlichen Struktur am Persischen Golf und die damit einher gehende wirtschaftliche undpolitische Stabilisierung können nur durch vertrauensbildende Maßnahmen erreicht wer-den. Entwickelt werden müssen Ansätze zur regionalen Rüstungskontrolle einerseits undalternative Konzepte zum derzeit dominierenden westlichen Demokratisierungsmodelleandererseits. Das heißt auch, dass eine erfolgreiche Demokratisierung im Nachbarland I-rak, quasi mit Vorbildfunktion, nur unter der Berücksichtigung der politischen Kultur,Religion und Tradition des Landes erreicht werden kann. Die derzeit in Iran geführtenDiskurse über einen religiös-demokratischen Staat könnten dazu beitragen, dass sich dieKluft zwischen demokratischen Norm- und Ordnungsvorstellungen und Religion verrin-gert.

Der Lernprozess der politischen Elite, der eine pragmatischere Orientierung beinhaltet,könnte zum Abbau des Feindbilds USA beitragen. Aufgrund der „inhärenten Wandelbar-keit“ des politischen Systems ist es nicht ausgeschlossen, dass aus den Reihen der Konser-vativen wieder Reformer hervorgehen, die den pragmatischen Kurs fortsetzen können.Mehr Aufschluss werden die im Mai 2005 anstehenden Präsidentschaftswahlen geben. Alsaussichtsreicher Kandidat gilt der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates Hassan Row-hani, der die Verhandlungen um das iranische Atomprogramm geführt hat. Rowhanikann als Integrationsfigur der Konservativen und Pragmatiker einen neuen Weg einschla-gen: die Verbesserung der bilateralen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten.

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

2. Veränderte Sicherheitslage Irans – AußenpolitischeHerausforderungen auf internationalerund regionaler Ebene 4

3. Entwicklung der bilateralen Beziehungen zwischenIran und den USA 7

3.1 Hinwendung zu den Vereinigten Staaten unter derPahlavi-Dynastie (1925-1979) 7

3.2 Islamische Revolution: Außenpolitischer Konflikt mit Washington 103.3 Wirkung der Feindbildkonstruktionen 113.4 Innenpolitischer Wandel: Vom Revolutionsexport

zum Pragmatismus 123.5 Probleme der Dekonstruktion von Feindbildern

in der Khatami-Ära 16

4. Irans regionale Außenpolitik am Beispiel des Irak 194.1 Strategie der „aktiven Neutralität“ im Irakkrieg 2003 –

Ergebnis des ersten Golfkriegs? 194.2 Iran zwischen innenpolitischem Streit und außenpolitischer

Krisenbewältigung 214.3 Ausdehnung der Strategie der „aktiven Neutralität“ im

Post-Saddam-Irak 2003/2004 224.4 Innerreligiöse Konflikte im Irak und deren Auswirkungen

auf die Islamische Republik 23

5. Irans internationale Außenpolitik am Beispiel der Atompolitik 265.1 Atompolitik in der Schah-Ära 265.2 Atompolitik im postrevolutionären Iran 275.3 Die regionale Logik der iranischen Sicherheitsstrategie

(esterategi-ye amniati) 295.4 Positionen der Reformer, Erzkonservativen und pragmatisch

orientierten Konservativen zur Unterzeichnung desZusatzprotokolls zum Atomwaffensperrvertrag 31

5.5 Die erfolgreiche Strategie des „friedlichen Charakters desKernenergieprogramms“ 32

6. Fortsetzung der pragmatischen Außenpolitik? 346.1 Präsidentschaftswahlen 2005 – Wer ebnet dem

friedlichen pragmatischen Aufbruch den Weg? 346.2 Lernprozess im Gottesstaat 35

Anhang 39

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1. Einleitung

Nach den Anschlägen des 11. September ist die Islamische Republik Iran (IRP) ins Visierder USA gerückt. In seiner „State of the Union“-Ansprache vom Januar 2002 zählteGeorge W. Bush neben dem Irak und Nordkorea auch Iran zur „Achse des Bösen“. Dieseither von den Vereinigten Staaten verfolgte Außenpolitik, die eine Kampfansage an denislamistischen Terrorismus ist, hat die Sicherheitslage in der Region des Persischen Golfsund am Kaspischen Meer nachhaltig verändert. Iran sieht sich zunehmend von den USAnahestehenden Staaten umgeben. Der Druck auf Teheran, sich der amerikanischen Neu-ordnung im Mittleren Osten zu fügen, wächst.

Das weltweite Interesse an den innen- und außenpolitischen Entwicklungen des Lan-des ist groß. In den europäischen und amerikanischen Medien wird kontrovers über einemögliche Eskalation oder Entspannung der bilateralen Beziehungen Teherans zu Wa-shington diskutiert. Anlass zur Diskussion gibt es mehr als genug. 25 Jahre nach der Isla-mischen Revolution muss sich der islamische Staat auf internationaler und regionaler E-bene neu behaupten. Die Parlamentswahlen vom Februar 2004 brachten einen deutlichenVorsprung für die konservativen Kräfte.

1 Das scheinbar klare Ergebnis impliziert jedoch

nicht, dass der Rückhalt innerhalb der Bevölkerung für diese Kräfte entsprechend großwäre. Viele westliche Beobachter befürchten einen Rückfall ins Mittelalter oder konstatie-ren, der innen- und außenpolitische Druck führe zu einer Implosion des politischen Sys-tems. Dies widerspricht jedoch dem Befund, dass der heutige Iran stabiler und leistungs-fähiger ist als viele vermuten. Innenpolitische Reformen auf der parlamentarischen Ebenesind zwar vorerst gescheitert

2, doch schließt das nicht aus, dass aus den Reihen der Kon-

servativen (mohafezeh karan) pragmatisch orientierte Kräfte (amalgara) hervorgehenkönnen.

Die derzeitige Sicherheitslage wie auch die innenpolitische Situation Irans machen eineumfassende Analyse der jüngsten strategischen Entwicklungen in der Außenpolitik derIslamischen Republik notwendig. Dieser HSFK-Report geht der zentralen Frage nach,welcher politische Spielraum Iran angesichts der neu entstandenen Sicherheitslage auf re-gionaler und internationaler Ebene bleibt, und er versucht, unter Berücksichtigung derinnenpolitischen Faktoren die verschiedenen politischen Optionen perspektivisch auszu-loten. Im ersten Kapitel beleuchtet der Report ausführlich die veränderte Sicherheitslagedes Landes und behandelt die hiermit verbundenen außenpolitischen Herausforderungenund Probleme für Teheran. In diesem Zusammenhang richtet sich der Blick auf das Ver-hältnis Teherans zu den pro-amerikanischen Nachbarstaaten Afghanistan, Pakistan, denzentralasiatischen Staaten, Irak, Türkei und Saudi-Arabien. Da die veränderte Sicher-heitslage Irans mit der Neudefinition der amerikanischen Interessen zusammenhängt,

1 Die Wahlbeteiligung betrug 50 Prozent und damit viel mehr, als die Reformer erwartet hatten.

2 Vgl. Semiramis Akbari, Iran fällt nicht ins Mittelalter zurück. Kein Reformende nach Sieg der Konservati-ven, in: Mitteldeutsche Zeitung, 24. Februar 2004, S. 5.

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2 Semiramis Akbari

fließen die ideologischen, ökonomisch-strategischen und militärischen Interessen Wa-shingtons mit in die Analyse ein.

Um die sozio-politischen Faktoren, die eine Neuorientierung in der iranischen Au-ßenpolitik auf regionaler und internationaler Ebene bewirken, aufzeigen zu können, wirdim zweiten Kapitel zunächst auf die historischen Entstehungsbedingungen dieser Ent-wicklung eingegangen. Hier geht es um das Verhältnis zwischen Moderne und Tradition,die Transformation des Herrschaftscharakters nach Max Webers, die inhärente Wandel-barkeit der vorherrschenden Positionen im Sinne Abdol-Karim Sorushs3 sowie die Selbst-bild- und Feindbildkonstruktionen in Iran. Untersucht werden insbesondere die Fakto-ren, die zu der angespannten Lage zwischen den USA und den Iran beigetragen haben: dieLangzeitwirkung der Geiselnahme von 1979, die ideologische und finanzielle Unterstüt-zung der Hizbollah (Partei Gottes)

4 und die Ablehnung des Nahost-Friedensprozesses.

Der historische Rückblick lässt sich in vier Abschnitte unterteilen: die Hinwendung Iranszu den USA unter der Pahlavidynastie (1925-1979); die Islamische Revolution (1979) undder außenpolitische Konflikt mit den Vereinigten Staaten; der innenpolitische Wandel hinzum Pragmatismus unter dem Staatspräsidenten Rafsanjani (1989-1997); die Khatami-Ära (1997).

Nach der allgemeinen Beschreibung und Analyse der bilateralen Beziehungen zwi-schen Teheran und Washington widmen sich die folgenden Kapitel der Analyse zweierFallbeispiele: Die Neuorientierung Irans auf regionaler Ebene wird anhand seines Ver-hältnisses zum Irak seit dem ersten Golfkrieg (1980) bis hin zum Post-Saddam-Irak2003/2004 beleuchtet. Auf internationaler Ebene wird die iranische Nuklearpolitik vordem Hintergrund der bilateralen Beziehungen zu den USA reflektiert. Abschließend wirderörtert, inwieweit Iran eine insgesamt einheitliche Strategie der Kooperation oder Kon-frontation mit den USA verfolgt und ob dem System hinreichende Wandlungsfähigkeitattestiert werden kann, um von einer Neuorientierung hin zu außenpolitischem Pragma-tismus zu sprechen.

Ziel der Arbeit ist es nicht, die politische Parteienlandschaft und die Machtstrukturenim Einzelnen nachzuzeichnen, sondern die vorherrschende Kategorisierung in Reformerund Konservative durch ein differenziertes Bild zu ersetzen. So stellen beispielsweise dieKonservativen keinen einheitlichen, monolithischen Block dar. Zu ihnen zählen verschie-

3 Die Theorie der inhärenten Wandelbarkeit geht auf den iranischen Philosophen Abdol-Karim Sorush zu-rück. Er trifft eine Unterscheidung zwischen der unveränderbaren Religion (din) und dem religiösenWissen (marefat-e dini). Die Theorie basiert auf der Prämisse, dass religiöses Wissen und damit auchdessen Interpretationen wandelbar sind. Diese zentrale Theorie ist dem schiitischen Kontext entlehnt undwird in den Regionalstudien zur Klärung der innen- und außenpolitischen Entwicklungen in Iran heran-gezogen. Ich verwende dieses Konzept, da es zum einen aufzeigt, dass der Positionswandel in der Islami-schen Republik legitim ist, zum anderen, weil es den hohen Stellenwert des Pluralismus innerhalb derschiitischen Gesellschaft sichtbar macht. Der adjektivische Gebrauch des „Inhärenten“ stellt einen wichti-gen Hinweis auf die der schiitischen Tradition innewohnende Wandelbarkeit dar.

4 Die ideologische Bindung der iranischen und libanesischen Hizbollah erklärt sich dadurch, dass die Hiz-bollah 1982 vom damaligen iranischen Botschafter in Syrien gegründet wurde. Vgl. hierzu die offizielleWebsite der Hizbollah: www.hizbollah.org.

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Iran zwischen amerikanischem und innenpolitischem Druck 3

dene Parteien mit unterschiedlichen Zielen und politischen Ambitionen.5 Unter ihnen

befinden sich sowohl radikale als auch gemäßigte Vertreter, die eine Kooperation mit denPragmatikern um den ehemaligen Staatspräsidenten Rafsanjani nicht kategorisch aus-schließen. Im Laufe der 25jährigen Geschichte der Islamischen Republik haben nicht nurdie Reformer (eslah-talaba) ihre Beweglichkeit unter Beweis gestellt

6, sondern auch die

Konservativen. Wandlungsfähigkeit und Dynamik sind zwei Charakteristika, die das poli-tische System trotz Reformrückschläge weiterhin aufweist.

Ich unterscheide zwischen drei Hauptströmungen: Reformer, Konservative und Prag-matiker. Innerhalb des konservativen Lagers wird zwischen den Erzkonservativen und denpragmatisch orientierten Konservativen unterschieden. Der Terminus „Pragmatismus“umschreibt insbesondere die zunehmende Entsakralisierung der politischen Diskurse undHandlungen in der Khatami-Ära.

7 Zu den pragmatisch orientierten Konservativen zähle

ich alle Akteure, die ein religiös-konservatives Verständnis des Islam haben, jedochzugleich für wirtschaftlichen (eqtesadi), wissenschaftlichen (elmi) und technologischen(fani) Fortschritt (pishraft) stehen. Unter der Prämisse der nationalen Unabhängigkeit(esteqlal) verfolgen sie eine recht pragmatische Linie (khate amalgari), d.h., dass sie au-ßenpolitisch auf Kooperation statt Konflikt setzen. Die politische Elite wird im siebten i-ranischen Parlament von den Abgeordneten der Gruppierung „Abadgaran-e Irane eslami“(Die Kultivierenden des Islamischen Iran)

8 und charismatischen Persönlichkeiten, wie

dem Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates Hassan Rowhani, repräsentiert. Rowhaniwird in den Medien eine Vermittlerrolle zwischen den Pragmatikern um Rafsanjani unddem Revolutionsführer zugeschrieben.

9

5 Zu den Erzkonservativen zählen die 12 Mitglieder des Wächterrats, die Mitglieder des Expertenrats undteilweise die Freitagsprediger der verschiedenen Städte (Imam-e gom-e), die Mitglieder des Obersten Ge-richts, die Mitglieder der revolutionären Stiftungen und Mitglieder der Sicherheitsorgane. Die erzkonser-vativen Geistlichen sind parteilich in der so genannten „Jame’eh rouhanioune Mobarez“ (militante Geist-lichenvereinigung) organisiert. Als weitere erzkonservative politische Parteien gelten die „Majma-e niru-ha-ye Khate Imam“ (Die Vereinigung der Gefolgsleute des Imam) und „Ansar-e Hizbollah“ (Partei Got-tes). Zu den pragmatisch orientierten Konservativen können die „Jame’eh eslami Mohandesin“ (Die Ver-einigung der islamischen Ingenieure) und die „Abadgaran-e Iran-e eslami“ (Die Kultivierenden des Isla-mischen Iran) gerechnet werden.

6 Zu Reformbemühungen und Machtstrukturen in Iran siehe: Wilfried Buchta, Who Rules Iran? TheStructure of Power in the Islamic Republic, Washington, 2000.

7 Die Verwendung des Begriffs Pragmatismus im Sinne des „islamischen Rationalismus“ (Pers. aqlaniyat-eeslami) bringt allerdings gewisse Definitions- und Interpretationsprobleme mit sich. Der islamische Rati-onalismus wird von den Akteuren unterschiedlich interpretiert. Vgl. Behrouz Khosrozadeh, Demokratieund Zivilgesellschaft im Okzident und Orient. Eine vergleichende Studie. Das Fallbeispiel Iran, Berlin,2003, S. 263.

8 Die designierten Parlamentsabgeordneten aus der Partei der Abadgaran setzen sich u. a. aus Ingenieuren,Hochschullehrern, Medizinern, Wirtschaftswissenschaftlern, Physikern zusammen. Als aussichtsreicherKandidat für das Amt des Parlamentspräsidenten gilt das Abadgaranmitglied Gholam-Ali Haddad Adel,der im bevorstehenden Jahr Präsident Khatami mehr unterstützen will; www.abadgaran.ir.

9 Hassan Rowhani ist 1948 in Zentral-Iran geboren. Er studierte in Qum Theologie und Rechtswissen-schaften und gehörte zu der iranischen Widerstandsbewegung gegen dem damaligen Schah.

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4 Semiramis Akbari

Anhand der hier untersuchten Beispiele – Teherans Irak- und Nuklearpolitik – solldeutlich werden, dass sich das pragmatische Denken allmählich überparteilich etabliert.Denn Iran befindet sich in einem Lernprozess, in den auch die konservativen Kräfte mehroder weniger einbezogen sind. Die Kernthese dieses HSFK-Reports lautet: Die pragma-tisch orientierten Konservativen werden zwischen amerikanischem und innenpolitischemDruck auf eine Neuorientierung auf regionaler und internationaler Ebene zu Gunsten derpragmatischen Linie setzen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass Washington ent-sprechende Signale aussendet und Anreize bietet. Um mit den Worten des iranischen Au-ßenministers Kamal Kharrasi zu sprechen, muss das Land insbesondere von Washingtonals gleichwertiger Partner in dieser Weltregion angesehen werden.

10 Als eine konkrete Be-

dingung für die Entspannung der Beziehungen zu Washington nennt Teheran die Aufhe-bung der Wirtschaftssanktionen.

2. Veränderte Sicherheitslage Irans – AußenpolitischeHerausforderungen auf internationaler undregionaler Ebene

Für Teheran hat sich die Sicherheitslage seit dem Zerfall der Sowjetunion, den Terroran-schlägen vom 11. September und dem von den USA initiierten Feldzug gegen „islamisti-schen Terrorismus“ völlig geändert. Im Osten des Landes liegt Afghanistan. Dort ist zwardas Talibanregime, dem Iran kritisch gegenübergestanden hatte, zerfallen,

11 aber Armut,

Flüchtlingsströme12

und die weiterhin defizitären sicherheitspolitischen Zustände habeneine destabilisierende Wirkungskraft. In Kabul ist eine von den Vereinigten Staaten ein-gesetzte Zentralregierung an der Macht, doch konnte sie ihre Herrschaft bislang nicht aufganz Afghanistan ausdehnen. Das Land ist weit von Stabilität und Sicherheit entfernt. DieAussichten für eine demokratische Gestaltung der Herrschaft sind ungewiss. Die „GroßeRatsversammlung“ (Loya Jirga) hat zwar am 4. Januar 2004 eine neue Verfassung verab-schiedet, doch inwieweit sie tatsächlich Verfassungswirklichkeit wird, kann erst die Zu-kunft zeigen. Immer noch haben die Warlords das Sagen auf regionaler Ebene. Die Inter-nationale Afghanische Schutztruppe (ISAF) kann den Schutz nicht ausreichend gewähr-leisten. Die Herrschaft der Warlords reproduziert Gewalt.

13 Das Interesse der iranischen

10 Vgl. hierzu das Interview mit Außenminister Kamal Kharrazi, Iran ist viel komplizierter, als das Auslanddenkt. Außenminister Kamal Kharrazi über das Verhältnis zu den USA und zu den arabischen Nachbarn,NZZ, 1. Februar 2004.

11 In einen Konflikt mit der Talibanregierung geriet die Islamische Republik, als diese bei einem Vormarschder Talibanmiliz in den Norden Afghanistans (August 1998) neun iranische Diplomaten tötete. Der Kon-flikt eskalierte so weit, dass es fast zu einem Krieg gekommen wäre.

12 Bereits 2001 belief sich die Zahl der afghanischen und irakischen Flüchtlinge auf zwei Millionen. Vgl.Entwurf eines Berichts über die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Ratüber die Beziehungen zwischen der EU und der Islamischen Republik Iran, 2001/2138 (COS).

13 Zu Problemen der Krisenentwicklung, Konfliktbearbeitung und Friedensentwicklung in Afghanistan sieheBernt Glatzer, Konfliktanalyse Afghanistan, FES/GTZ/FriEnt, September 2003, http://fesportal.fes.de/

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Iran zwischen amerikanischem und innenpolitischem Druck 5

Afghanistan-Politik gilt insbesondere der Bekämpfung des Drogenhandels: Die Regierungin Teheran will mit allen Mitteln verhindern, dass Iran zum Durchgangsland für den Dro-genimport nach Europa wird.

14

Im Südosten liegt Pakistan. Die pro-amerikanische Politik von General Perves Mu-scharaf und die enge wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit mit den USAdürften der Regierung Irans ein Dorn im Auge sein. Zwischen Pakistan und Iran herrschtseit dem Bürgerkrieg, vor allem seit der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanis-tan (1997), ein politisches Spannungsverhältnis. Pakistan hatte die Taliban-Rebellen, ü-berwiegend sunnitische Paschtunen, im Kampf gegen die Mogahedin

15 unterstützt. Die i-

ranische Regierung befürchtet, dass sunnitische Minderheiten sich für eine Rebellion mo-bilisieren lassen. Hinzu kommt als Destabilisierungsfaktor für den gesamten MittlerenOsten das angespannte Verhältnis zwischen Pakistan und Indien, das im Kaschmir-Konflikt kulminiert. Die Erfolgsaussichten für die jüngsten Annäherungen zwischen die-sen verfeindeten Nachbarstaaten und erst recht für eine dauerhafte Friedenslösung desKaschmirproblems sind mehr als ungewiss.

16

Nördlich Irans liegen die zentralasiatischen Staaten Turkmenistan, Usbekistan undTadschikistan, die seit dem Zerfall der UdSSR als unabhängige Staaten agieren. Seit No-vember 2001 verfügen die USA über Militärbasen in Georgien, Usbekistan, Tadschikistanund Kirgisistan, die als Stützpunkte gegen das Terrornetzwerk al-Qaida dienen.

Im Westen befinden sich der Irak und die Türkei. Der größte Feind der IslamischenRepublik, Saddam Hussein, ist besiegt. Saddam Hussein, der von den Machthabern derIslamischen Republik mit dem historischen Vorbild des Umayyaden-Königs Yazid

17 im 7.

Jahrhundert verglichen wurde, stellt für Iran keine Bedrohung mehr dar. Die Festnahmedes ehemaligen Diktators im Dezember 2003 in seiner Heimatstadt Tikrit ändert jedochwenig an der Intensität der Kämpfe und Anschläge im Irak. Ein instabiler Irak wirkt de-stabilisierend auf Iran. Für den Post-Saddam-Irak sehen die amerikanischen Pläne eineUS-freundliche Regierung vor.

Das Verhältnis zwischen der Islamischen Republik Iran und der laizistischen Türkei isttrotz guter wirtschaftlicher Beziehungen vom Gegensatz politischer Islam versus Laizis-

pls/portal30/docs/FOLDER/WORLDWIDE/ASIEN/BERICHTE/AFGHANISTANKONFLIKTANALYSE0903.PDF.

14 Vgl. Entwurf ..., a.a.O. (Anm. 12).

15 Unter den Afghanen gibt es auch Anhänger der iranischen „Mogahedine-khalq“ (Volksbefreiungskämp-fer).

16 Vgl. Helmut Reifeld, Indien/Pakistan. Der dritte Versuch einer Annäherung der Regierung Vajpayee,19. August 2003, in: kas.de/publikationen/2003/2415_dokument.html.

17 Der Umayyaden-Kalif ließ im Jahre 680 den Imam al-Husain und seine Gefolgsleute bei Kerbela töten.Zum Jahrestag von Husains Tod, genannt Aschura, werden in der schiitischen Welt Trauerfeiern ab-gehalten. Husains Mut verselbstständigte sich zum zeitlos gültigen politischen Handlungsmodell für akti-ven Widerstand. Siehe: Annabelle Böttcher, Ursprünge und Eigenheiten der Schia. Pilgerstätten als öko-nomisch-politische Ressourcen im Irak, NZZ, 03. Mai 2003.

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6 Semiramis Akbari

mus belastet.18

Die Allianz zwischen dem NATO-Mitglied Türkei und den USA einerseitssowie das Kurdenproblem andererseits werfen weitere sicherheitspolitische Fragen für I-ran auf. Die zentrale Frage betrifft den Umgang mit der gespaltenen kurdischen Bewe-gung: Iran möchte die Errichtung eines autonomen kurdischen Staates im Norden des I-rak verhindern, weil dieser eine anziehende Wirkung auf die iranischen Kurden habenkönnte. Außerdem befürchtet die iranische Regierung, dass eine militärische Besetzungdes nördlichen Irak durch die Türkei oder ihre Einflussnahme über die „DemokratischePartei Kurdistans-Irak“ (DPK-Irak) und die „Patriotische Union Kurdistan“ (PUK) zuseparatistischen Bestrebungen der turkstämmigen Azari-Bevölkerung im Osten des Lan-des führen könnte.

19

Im Süden liegt Saudi-Arabien. Dort sind seit der irakischen Invasion Kuwaits 1990und dem zweiten Golfkrieg amerikanische Truppen stationiert. Diese militärische Präsenzlöste in Iran eine anhaltende, heftige Diskussion aus, gilt Saudi-Arabien doch als Hüterder heiligsten Städte, Mekka und Medina. Deshalb kommt den Saudis in der gesamtenIslamischen Welt eine besondere Rolle zu. In Saudi-Arabien befinden sich auch die zweiwichtigsten internationalen islamischen Organisationen: die „Liga der islamischen Welt“(Muslim World League mit Sitz in Mekka) und die „Organisation der islamischen Konfe-renz“ (Organisation of the Islamic Conference mit Sitz in Djidda). Schließlich zeigt Riadzunehmend diplomatisches Engagement, um das Bündnis mit den USA zu lockern. ImRahmen strategischer Überlegungen stellen die Saudis sogar eine Mitgliedschaft Russlandsin der Organisation der islamischen Konferenz in Aussicht.

20 Im Übrigen hängt die verän-

derte Sicherheitslage Irans in hohem Maße mit der Neudefinition der langfristigen Inte-ressen der USA in der Region zusammen. Diese Interessen beschränken sich nicht auf dieBekämpfung des „islamischen Terrorismus“ und auf die Verbreitung des demokratischenModells − sie sind viel umfassender. Vor allem geht es ökonomisch-strategisch und mili-tärisch-geostrategisch um Erdölvorräte.

21

Der Wettlauf der USA mit Russland um das Öl am Kaspischen Meer und der gleich-zeitige Versuch, den iranischen Einfluss einzudämmen, hat immense Auswirkungen aufdie Außenpolitik Teherans. Bislang pflegt es die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit deneuropäischen Öl-Konzernen. Vor dem Hintergrund der US-Hegemonialpolitik versuchtIran als Regionalakteur eine Vormachtstellung zu erringen. Am Kaspischen Meer nehmendie politischen Spannungen seit dem jüngsten Streit von 2001 zwischen Iran und Aser-baijan um die Erkundung von Lagerstätten innerhalb der Gemeinschaft der Anrainer-staaten zu. Aserbaijan betreibt seinerseits eine pro-amerikanische Politik und lehnt sich an

18 Vgl. Udo Steinbach, Die Türkei, in: Informationen zur Politischen Bildung, Jg. 4, Nr. 277, Bonn, 2002,S. 3-53.

19 Vgl. Askim Bozkurt, Außenpolitische Dimensionen des Kurdenproblems in der Türkei, Hamburg, 1997,S. 151.

20 Vgl. Peer Bruch, Pakistan als atomares Vorbild für Iran und Saudi-Arabien, in: www.suedasien.net/news/2003/september/atom/.htm.

21 Vgl. Matin Baraki, Goldgräberstimmung in Transkaukasien. Interessenkonflikte um die reichen Erdöl-und Gasvorkommen am Kaspischen Meer. Friedenspolitischer Ratschlag, 1. November 2001,http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Kaukasus/baraki.html.

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Iran zwischen amerikanischem und innenpolitischem Druck 7

den mächtigsten regionalen Verbündeten der USA, die Türkei, an.22

Der ungeklärte recht-liche Status des Kaspischen Meeres ist somit eine weitere Herausforderung für Iran. DasNATO-Programm „Partnerschaft für Frieden“ mit dem Ziel der Sicherung und Stabilisie-rung der Region stößt nicht nur in Russland, sondern auch in Iran auf Skepsis.

23

In der Region des Kaspischen Meeres bekunden bekanntlich nicht nur die VereinigtenStaaten Interesse an den Erdöl- und Erdgasreserven. Die VR China spielt dort durch ihreregionale Allianz mit Iran eine signifikante Rolle. Die ökonomischen Verbindungen undKooperationen mit China expandieren bereits seit Beginn der 90er Jahre. Beiden Länderngemeinsam ist die Erfahrung der Revolution und das sicherheitspolitische Bedürfnis nachUnabhängigkeit, und wenn die Revolutionen auch sehr unterschiedlich waren, so ist dochdie Verteidigung der nationalen Souveränität ein ebenso hohes Gut für den Antikolonia-lismus wie für den Antiimperialismus.

24

Schließlich ist die veränderte Sicherheitslage für Iran als Vielvölkerstaat auch innenpo-litisch brisant. Die Bevölkerung des Staatsgebietes setzt sich aus sunnitischen Kurden,Belutschen, Luren, Bachtiaren, türkischsprachigen Nomaden und Azaris zusammen, wo-bei die Azaris die größte ethnische Minderheit darstellen. Ein Blick in die Geschichte zeigt,dass die Angst der iranischen Regierung vor separatistischen Bestrebungen durchaus nichtunbegründet ist.

3. Entwicklung der bilateralen Beziehungen zwischenIran und den USA

3.1 Hinwendung zu den Vereinigten Staaten unter der Pahlavi-Dynastie(1925-1979)

Die Grundlage für die Entstehung der Politik der „nachholenden Modernisierung undEntwicklung“

25 und der Hinwendung Irans zu den USA unter der Pahlavidynastie bilden

22 Vgl. u. a. Wassilij Lunin, Gewitterdrohungen am Kaspischen Meer. Anrainer-Gipfel soll neue Rechts-grundlage bringen, in: Moskauer Deutsche Zeitung, 30. August 2001, http://www.mdz-moskau.de/Russland_und_die_Welt/2001/08/30/12.16.40.htm; Abbas Maleki/Kaveh Afrasiabi, Iran’s Foreign Policyafter 11 September, Winter/Frühjahr 2003, Jg. IX, Nr. 2, S. 1-11, www.caspianstudies.com.

23 Vgl. Krisenregion Kaukasus und die Rolle der Ökonomie. Ein Auszug aus dem Friedens-Memorandum2000, http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/memorandum/Kaukasus.html.

24 Vgl. u. a. James A. Bill, The Politics of Hegemony. The United States and Iran, in: The Middle East Policy,Jg. VIII, Nr. 3, September 2001, S. 89-100; zu Chinas Bemühungen um Akkumulation von Einfluss sieheJohn Calabrese, China and the Persian Gulf. Energy and Security, in: The Middle East Journal, Jg. 52, Nr.3, Sommer 1998, S. 351-366.

25 Zum Entwicklungsbegriff und zum Begriff des modernen Staates sei verwiesen auf die beiden Standard-werke von Reinhard Kößler, Entwicklung, Münster, 1998, S. 59-89 sowie ders., Postkoloniale Staaten. E-lemente eines Bezugsrahmens, Hamburg, 1994, S. 33-45. Erweiternd dazu: Gerhard Hauck, Evolution,Entwicklung, Unterentwicklung – Gesellschaftstheoretische Abhandlungen, Frankfurt/M., 1996; Hauckkann als ein Vertreter der Antimodernisierungstheorie bezeichnet werden. Er versucht alternative Ent-

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die sozioökonomischen und politischen Verflechtungen und Auseinandersetzungen mitEuropa, insbesondere mit den imperialen Großmächten Großbritannien und Russland.Bereits 1907 wird Iran von diesen beiden Staaten in Einflusszonen, unter anderem alsMaßnahme gegen die Konstitutionalisten

26, unterteilt. Nach der Oktoberrevolution von

1917 zog die bolschewistische Regierung die russischen Truppen aus Persien zurück. Da-durch gelang es Großbritannien, zur einzigen Großmacht im Persischen Reich (1921-1941) aufzusteigen. Die Begegnung mit der „europäischen Moderne“ bedeutete für Iranschon im 19. Jahrhundert den Anfang einer gesellschaftlichen Umwälzung: Die Berüh-rung mit den europäischen Ländern – besonders mit Russland und England mit ihrerEinmischung in politische und wirtschaftliche Bereiche einerseits, den russischen Angrif-fen auf Iran und den Versuchen Englands, die Russen aus Iran zu verdrängen, anderer-seits – motivierten Iran, die europäische Entwicklung nachzuholen, um die eigene Souve-ränität aufrechtzuerhalten. Aus der Sicht der iranischen Herrschenden war das Land ge-zwungen, dem europäischen Staatsmodell nachzueifern.

27

Das endgültige Scheitern der „Konstitutionellen Revolution“ (enqelab-e maschruteh)28

und die Beseitigung der despotischen Herrschaft der Qagaren (1779-1925) ebneten denWeg für den Aufstieg der Pahlavis. Erst unter den Pahlavis sollte es eine erfolgreicheStaatsbildung − ein nation building − nach westlichem Modell geben.

29 Obwohl Reza

Schah im Ersten Weltkrieg die Neutralität Irans erklärte, konnte sein Land angesichts dermassiven Einflussnahme Englands und Russlands die Neutralität nicht aufrechterhalten.Reza Schahs Politik setzte auf Nationalismus. Im Innern zeigte sich das schon unmittelbarnach der Gründung der Pahlavi-Dynastie in dem kulturpolitischen Ziel, das öffentlicheLeben durch Belebung der iranischen Nationalkultur, Religion, Sitten und Mythen zuentislamisieren. Der iranische Nationalismus bediente sich vor allem der Symbolik des

wicklungsdefinitionen zu erstellen. Damit bezweckt er, den Begriff der Unterentwicklung neu zu besetzenund damit auch zu dessen Überwindung auf einer evolutionstheoretischen Basis beizutragen.

26 Die Konstitutionalisten forderten die Beendigung der absolutistischen Monarchie, die Etablierung einesParlaments und eine einheitliche Verfassung. Zu der gespaltenen Rolle der schiitischen Geistlichen in derKonstitutionellen Revolution vgl. Ali Dawani, Nezhat-e ruhaniyat-e Iran, Bd. I, Teheran, 1360/1981,S. 114-118.

27 Unter Moderne wird mit Hobsbawm die Entstehung des Nationalstaates verstanden. Für Gellner zählentechnische und wirtschaftliche Fortschritte, angelehnt an das westliche Modell der Industrialisierung, zuden wesentlichen Unterscheidungsmerkmalen einer modernen von einer traditionellen Gesellschaft. Zuden Charakteristiken eines modernen Staats vgl. Eric J. Hobsbawn, Nationen und Nationalismus. Mythosund Realität seit 1780, Frankfurt/M. /New York, 1991, S. 97 f. sowie Ernest Gellner, Bedingungen derFreiheit. Die Zivilgesellschaft und ihre Rivalen, Stuttgart, 1995, S. 67.

28 Die Konstitutionelle Revolution galt unter anderem als erster erfolgloser Versuch der Herstellung einesZentralstaates.

29 Siehe hierzu u. a. das Standardwerk von Ervand Abrahamian, Iran Between Two Revolutions, Prince-ton/New Jersey, 1982; in Persisch: Ervand Abrahamian, Iran beyne do engelab. Az maschruteh ta engelab-e eslami, Teheran, 1381/2002, S. 47-84. Abrahamian vergleicht in seiner Studie die Konstitutionelle Re-volution mit der Islamischen Revolution, denn er geht davon aus, dass die moderne Geschichte Irans nurvor dem Hintergrund beider Revolutionen nachvollziehbar sei.

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sassanitischen Zeitalters (224-642 n. u. Z.).30

Auch seine Außenpolitik gestaltete der Schahauf der Grundlage des iranischen Nationalismus. So kündigte er 1927/28 die meistenVerträge mit halbkolonialem Charakter aus der Qagarenzeit. 1935 ließ er sogar den Na-men Persien durch Iran ersetzen.

31

Reza Schah hatte mehrere Reisen in die Türkei unternommen, dabei lernte er die poli-tisch-gesellschaftlichen Leitideen Kemal Atatürks (Republikanismus, Nationalismus, Mo-dernismus und Säkularisierung) kennen, welche die Erneuerung der Türkei seit dem Zu-sammenbruch des Osmanischen Reiches 1918 geprägt hatten. Tatsächlich verfolgte derSchah das Ziel, den iranischen Nationalstaat in ähnlicher Weise zu säkularisieren und zumodernisieren. Die kolonialen Interessen der Großmächte Russland und Großbritannienzwangen ihn, sich dem Deutschen Reich zuzuwenden, nachdem eine Annährung an dieUSA gescheitert war.

32 Reza Schahs enge Beziehung zum Deutschen Reich führte im

Zweiten Weltkrieg zu seinem Sturz. Im August 1941 marschierten britische und sowjeti-sche Truppen in Iran ein und zwangen den Schah, zugunsten seines Sohnes MohammadReza abzudanken. Iran wurde wieder zum Spielball der Sowjetunion und Großbritan-niens. Die sowjetische Besatzungsmacht förderte in ihrer Einflusszone aserbaijanische undkurdische Autonomiebestrebungen. Die Briten kontrollierten währenddessen die Ölfelderim Süden des Landes. Erst durch die politische Einmischung des Weltsicherheitsrates so-wie den Druck der Amerikaner konnte ein Abzug der sowjetischen Truppen erreicht wer-den. Die Folgen der Neutralitätspolitik seines Vaters veranlassten Mohammad Reza Schah(Amtszeit 1941-1979), sich im Ost-West-Konflikt auf die Seite der USA und des Westenszu stellen.

33

Die pervertierte Modernisierungspolitik des Mohammed Reza Schahs beinhaltete eineweitreichende Militarisierung der iranischen Gesellschaft. Das Militär fungierte allerdingsnicht als eine autonome Staatsinstitution. Es war vielmehr vom iranischen Hof, insbeson-dere der Person des Schahs, abhängig. Auf dieser Grundlage kristallisierte sich der so ge-nannte Hof-Militär-Komplex heraus, der die Außenpolitik Irans auf internationaler undregionaler Ebene nachhaltig bestimmen sollte. Der Hof-Militär-Komplex wurde Ende der50er Jahre um sicherheitspolitische Organe ergänzt und stand unter der unmittelbarenKontrolle des Schahs. Damit wurde dessen autoritäre Machtstellung bis zur IslamischenRevolution gesichert. Der Geheimdienst SAVAK war ein Instrument, das mit amerikani-scher Hilfe in Iran gegründet und etabliert wurde. Die Gründung des SAVAK 1957 ist vordem Hintergrund der politischen Ereignisse zu Beginn der 50er Jahre zu sehen. Nach derErmordung des Premierministers Razmaras durch die islamisch-fundamentalistische

30 Zum Pahlavi-Regime und der Wiederbelebung der persischen Kultur siehe Rasool Nafisi, Education andthe Culture of Politics in the Islamic Republic of Iran, in: Samih K. Farsoun/Mehrdad Mashayekhi (Hg.),Iran. Political Culture in the Islamic Republic, London/New York, 1992, S. 169-172.

31 Vgl. Monika Gronke, Geschichte Irans. Von der Islamisierung bis zur Gegenwart, München, 2003, S. 101.

32 Vgl. Gerhard Konzelmann, Die Schiiten und die islamische Republik: Hintergründe zu den Ereignissen inIran, München, 1979, S. 248f.

33 Vgl. Harald Mehner/Ulrich Gehrke (Hg.), Iran. Natur – Bevölkerung – Geschichte. Kultur – Staat –Wirtschaft, Tübingen/Basel, 1976, S. 159.

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10 Semiramis Akbari

Gruppe, der „Fada iyan-e eslam“, wurde die Integrationsfigur der Nationalen Front, Mo-hammed Mossadegh (1872-1966), durch Wahlen zum Premierminister. Der Abzug dersowjetischen und britischen Besatzungstruppen war für die nationalistischen Strömun-gen, wie z.B. die Nationale Front unter der Führung von Mossadegh, nicht genug. Mossa-degh forderte die Verstaatlichung der Anglo-Iranian Oil Company (AIOC).

34

Mit Mossadegh wollte die Nationale Front die Ölindustrie nationalisieren und das po-litische System demokratisieren. Der Staatsstreich gegen Mossadegh in der Eisenhower-Ära (1953) war mithin nicht nur für die Nationale Front ein schwerer Rückschlag, son-dern zugleich ein Schlag gegen die Demokratisierungsbestrebungen. Somit wurde dieDemokratisierung abgewürgt. Wie aus einer „Entschuldigung“ der ehemaligen amerika-nischen Außenministerin Madeleine Albright im Jahre 2000 hervorgeht, war der amerika-nische Geheimdienst CIA an der Operation gegen Mossadegh maßgeblich beteiligt.

35

Angesichts der zahlreichen Rückschläge wurde die Hoffnung der iranischen Bevölke-rung auf Partizipation und Ansätze zu demokratischen Strukturen enttäuscht. Die nach-holende Modernisierung und Entwicklung im post-kolonialen Iran der 60er und 70erJahre reduzierte sich auf militärische Rüstung und den Ausbau der regionalen Vormacht-stellung des Schah-Iran auf der Grundlage der Nixon-Doktrin (1969). Die Nixon-Doktrinbeinhaltete eine politisch-strategische Abwendung von der früheren Eisenhower-Doktrin(1957). Aufgrund der Erfahrungen in Vietnam setzten die USA nicht mehr auf direktemilitärische Einmischung, sondern gingen im Nahen und Mittleren Osten Bündnisse ein.Iran diente dabei als sicherheitspolitischer Stabilitätsfaktor in der ganzen Region undwurde zu diesem Zwecke neben Saudi-Arabien aufgerüstet.

3.2 Islamische Revolution: Außenpolitischer Konflikt mit Washington

Mit der Islamischen Revolution von 1977-1979 und der Proklamation der IslamischenRepublik Iran (Gomhurie- eslami-ye Iran) nach einem Referendum im April 1980 wurdedas Verhältnis von Staat (daulat) und Religion (din) völlig neu definiert.

36 Die Islamische

Revolution stellte einen sichtbaren Wendepunkt in den außenpolitischen Beziehungenzwischen Teheran und Washington dar: Die revolutionären Kräfte entmachteten die pro-amerikanische Schah-Regierung und setzten sich an ihre Stelle. In den Augen der USAund der „westlichen Welt“ war die Islamische Revolution ein Protest gegen die Moderneund damit gleichbedeutend mit einer Rückkehr ins Mittelalter. Sie wurde als Retraditio-

34 Zum Hof-Militär-Komplex und der Nationalen Front vgl. Ebrahim Towfigh, Modernisierung und post-koloniale Herrschaft in Iran. Versuch über den Staat, Frankfurt/M., 1998, S. 196-203.

35 Zu den Aktivitäten der CIA siehe u. a. Peter Avery/Gavin Hambly/Charles Melville (Hg.), The CambridgeHistory of Iran, From Nadir Shah to the Islamic Republic, Cambridge, 1991, in: Die Welt des Islams, Jg. 7,Nr. 37, 1997, S. 112-117; in Persisch: Abbas Machabar, selsele-ye pahlavi wa niruha-ye mazhabi. be raway-ate tarich-e Cambridge, Teheran, 1375/1996, S. 98 f.

36 Das Referendum zur Verfassung spielt für die politisch-religiösen Diskurse der postkhomeinischen Zeiteine wichtige Rolle. Umstritten ist, ob zum Zeitpunkt des Referendums die Öffentlichkeit über die kon-kreten Verfassungsinhalte, insbesondere des Konzepts der „velayate-faqih“, informiert war.

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Iran zwischen amerikanischem und innenpolitischem Druck 11

nalisierungsversuch von Herrschaft und Gesellschaft angesehen.37

Obwohl der von SeyyedRuhollah Khomeini (1902-1989) entwickelte Ansatz der velayat-e faqih

38 (Herrschaft des

herrschenden Rechtsgelehrten) ein Novum in der Schia39

war, wurde die Islamische Re-volution als Geburtsstunde des islamischen Fundamentalismus interpretiert.

40 Khomeini

ging aber mit seiner Neuinterpretation schiitischer Konzepte auf Distanz zu der bisheri-gen schiitischen Tradition. Denn dem schiitischen Islam war eine mit der neuzeitlichenvergleichbare Staatsauffassung fremd. Das Konzept der Herrschaft des schiitischenRechtsgelehrten ist im Zeichen der Moderne in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ent-standen.

41

Insgesamt gesehen erscheint der Gebrauch des Begriffs „Fundamentalismus“ für diePerson Khomeinis und die Islamische Revolution als nicht angemessen; eher taugt er alsIndikator für die Feindbildkonstruktion auf Seiten der USA.

3.3 Wirkung der Feindbildkonstruktionen

Die kritische iranische Haltung zur US-Außenpolitik ab den 70er Jahren resultierte ausden Erfahrungen der 50er Jahre. Den Höhepunkt des aufkeimenden Antiamerikanismusbildete die Besetzung der Teheraner US-Botschaft durch iranische Studenten 1979 unddie gleichzeitige Geiselnahme der Botschaftsmitarbeiter in der Carter-Ära. Das Geisel-drama dauerte bis zur Amtsübernahme Ronald Reagens im April 1980 an. Zuvor war derBefreiungsversuch der Amerikaner gescheitert. Die Forderung der Studenten nach Aus-lieferung des geflohenen Schahs wurde nicht erfüllt. Die Besetzung der US-Botschaft warvor allem auch ein symbolischer Akt gegen den „US-Imperialismus“. Die Integrationsfi-gur der Islamischen Republik, Seyyed Ruhollah Khomeini, denunzierte die USA als „Gro-ßen Satan“ (sheitane- bozorg), der mit dem Schah, dem so genannten Yazid, gemeinsameSache mache. Die historische Analogie spielt darauf an, dass es seit dem Tod des drittenImam al-Husains im schiitischen Islam eine spezifische Tradition der Aufopferung im

37 Zur Kritik am gängigen Revolutionsverständnis und den Konzepten der Modernisierung und Säkularisie-rung versus Traditionalismus vgl. Semiramis Akbari, Die schiitische Hierokratie – Herausforderung derModerne und Islamische Revolution in Iran, Frankfurt/M. (unveröff. Manuskript), 2002, S. 80-108.

38 Siehe hierzu Ruhollah Khomeini, Velayat-e faqih. Hokumate eslami, Teheran, 1357/1978. Zur Theorie derHerrschaft des herrschenden Rechtsgelehrten vgl. Mohammad Djassemi, Macht und politische Ordnungim Islam. Die Theologie der Macht. Wilayat-i Fagih von Ayatollah Khomeini, Augsburg, 1981.

39 Neben der großen Mehrheit der orthodoxen Sunniten bilden die Schiiten die bedeutendste Minderheit imIslam. Ihre Abspaltung erfolgte nach dem Tod des Propheten Muhammad. Sie gründet sich nicht so sehrauf unterschiedliche theologisch-dogmatische Positionen, sondern ist Ausfluss des Dissenses darüber,welche Person innerhalb der Gemeinde die höchste Autorität erhalten soll. Dabei folgten die Schiiten Ali,da er einen bestimmten Herrschertypus verkörperte und damit auch bestimmte Vorstellungen politischerLegitimität. Zu den Zwölferschiiten vgl. u. a. Moojan Momen, An Introduction to Shi’i Islam. The Historyand Doctrines of Twelver Shi’ism, New Haven, 1985; Wilfried Buchta, Schiiten, München, 2004.

40 Zur Entstehung des schiitischen Klerus und der politischen Revolutionsideologie siehe Heinz Halm, Derschiitische Islam. Von der Religion zur Revolution, München, 1994, S. 120-177.

41 Genauer dazu: Said Amir Arjomand, The Shadow of God and the Hidden Imam. Religion, Political Orga-nization and Societal Change in Shi’ite Iran from the Beginning to 1890, Chicago, 1984.

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12 Semiramis Akbari

Kampf gegen Feinde der Religion gibt. Das Selbst- und Feindbild wird in der schiitischenTradition aus eben dieser historischen Analogie geschöpft.

42

Das Weltbild der strategischen Khomeini-Gruppe war von der Dichotomie Gläubige(musalman, Plural musalmanan) versus Nicht-Gläubige (kafar) geprägt. Der Terminuskafar umschreibt die Konstruktion der Abgrenzung der Gemeinschaft der Gläubigen vonUngläubigen. Das Selbstbild, das die politisierten schiitischen Kleriker vom „Gottesstaat“verbreiteten, war das eines zu Unrecht belagerten Staates. Die politische Situation desschiitischen Staates wurde gleichgesetzt mit dem Belagerungszustand des Imam al-Husains und seiner Nachfolger.

43

Die Besetzung der amerikanischen Botschaft und der gescheiterte Befreiungsversuchbeeinflussten nachhaltig die Position der amerikanischen Akteure und der US-Öffent-lichkeit gegenüber Iran. Slogans wie „Tod Amerika“ (marg bar amrika) oder „Tod demImperialismus“ (marg bar emperialism) brachten auf iranischer Seite den Unabhängig-keitswillen zum Ausdruck, bestärkten jedoch die USA in ihrer Überzeugung, dass mit Re-volutionären nicht zu verhandeln sei, und führten so zur Verfestigung ihres Feindbildesvon der Islamischen Republik Iran. In der US-amerikanischen Wahrnehmung kam dieBesetzung ihrer Botschaft in Teheran dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour (1941)gleich. Seit diesen Ereignissen unterhalten die USA keine diplomatischen Beziehungenmehr zu Iran.

44 Die ideologische, finanzielle und militärische Unterstützung der Hizbollah

im Südlibanon,45

der Krieg mit dem Nachbarland Irak (1980-1988) und der Erlass einesRechtsgutachtens (fatwa) gegen das Buch „Satanische Verse“ des britischen SchriftstellersSalman Rushdi (1989) – dies alles prägte in der Folge in der Weltöffentlichkeit, vor allemaber in den USA, das Bild von der politischen Schia als einer kämpferischen Ideologie.

3.4 Innenpolitischer Wandel: Vom Revolutionsexport zum Pragmatismus

Die pro-amerikanische Außenpolitik des Schahs wurde bereits in den 60er Jahren vonSeyyed Ruhollah Khomeini angeprangert.

46 So war es nicht verwunderlich, dass er unmit-

telbar nach der Revolution einen stark anti-amerikanischen Kurs einschlug. Der gegenden Schah erhobene Vorwurf der „Verwestlichung“ (qarbzadegi) ging nicht nur von der

42 Zur US-Hegemonie im vorderen Orient vgl. Peter Pawelka, Der Vordere Orient unter der Hegemonie derUSA, in: Peter Pawelka/Hans-Georg Wehling (Hg.), Der Vordere Orient an der Schwelle zum 21. Jahr-hundert, Wiesbaden, 1999, S. 13-33.

43 Vgl. u. a. Shireen T. Hunter, Iran and the World. Continuity in a Revolutionary Decade, Indianapolis,1990.

44 Vgl. Henning Riecke, The Most Ambitious Agenda. Amerikanische Diplomatie gegen die Entstehung neu-er Kernwaffenstaaten und das Nukleare Nichtverbreitungsregime, Berlin, 2002.

45 Zu der islamischen Bewegung der Hizbollah, ihrem Umfeld und Organisationsaufbau siehe Stephan Rosi-ny, Islamismus bei den Schiiten im Libanon. Funktion und Wandel von Religion im Übergang von tradi-tioneller Gemeinschaft zu moderner Gesellschaft, Frankfurt/M., 1996, S. 123-159.

46 Im Oktober 1964 rief er zum Widerstand gegen ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz auf, welchesden amerikanischen Beratern in Iran diplomatische Immunität und Privilegien verlieh und die Aufnahmeeiner Anleihe von US-$ 200 Millionen von den USA zum Kauf militärischer Ausrüstung vorsah.

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Iran zwischen amerikanischem und innenpolitischem Druck 13

strategischen Khomeini-Gruppe47

aus, sondern zunächst von den geistigen Vordenkernder Islamischen Revolution wie Ali Schariati (1933-1977) und Mehdi Bazargan (1907-1995).

48 Grundlage der charismatischen Herrschaft des Seyyed Ruhollah Khomeini und

seiner Außenpolitik war bis 1989 der „Revolutionsexport“.49

Die messianisch orientiertepolitische Schia der 80er Jahre stellte eine direkte Herausforderung für den regionalenStatus quo der arabischen Nachbarstaaten dar. Doch der Revolutionsexport in die arabi-schen Staaten Saudi-Arabien, Bahrain, Irak, Afghanistan und Libanon sollte aus verschie-denen Gründen scheitern.

50 Der Hauptgrund lag wohl im schiitisch-iranischen Charakter

der Revolution, der sich nicht mit dem arabisch-sunnitischen Islam vereinbaren ließ.51

Der Übergang von Khomeini zu Rafsanjani beinhaltete zugleich eine grundlegendeNeudefinition der außenpolitischen Strategien in den 90er Jahren.

52 Hatte bislang die Idee

der Ausbreitung des Revolutionsmodells mit militärischen und kulturpolitischen Mittelndie iranische Außenpolitik bestimmt, so kam es unter Ali Akbar Hashemi Rafsanjani(1989-1997) zu einem Sinneswandel hin zum Pragmatismus: Die Verschiebung der Prio-ritäten auf das nationalstaatliche Interesse Irans bedeutete das Ende der revolutionärenPhase. Letztlich waren es Rafsanjanis rational durchdachte Sicherheitskonzepte, die dengreisen Seyyed Ruhollah Khomeini 1988 dazu bewogen, der Beendigung des Krieges mitdem Irak zuzustimmen. Der iranische Ex-Präsident Rafsanjani konnte erstmals in derkurzen Geschichte der Islamischen Republik einen Raum für eine pragmatische außenpo-litische Linie schaffen und begünstigte somit die Entscheidung der iranischen Regierung,im Zweiten Golfkrieg (1991) eine neutrale Haltung einzunehmen und in der Afghanistan-Frage (2001) sogar mit den USA zu kooperieren. Eine kleine Minderheit unter der Füh-

47 Der Begriff „strategische Khomeini-Gruppe“ wird im Sinne Towfighs (1998) verwendet, der damit dasPatronageverhältnis der Mitglieder der Gruppe zu dem religiös-politischen Führer umschreibt. In diesemZusammenhang macht er auf die defizitäre Bezeichnung der Gruppe aufmerksam.

48 Schariati gehörte zu den nicht-klerikalen Intellektuellen der 60er und 70er Jahre. Er forderte eine revolu-tionäre Interpretation des Islam. Dazu gehörte sein Slogan „Islam ohne Geistlichkeit“. Bazargan war dererste Ministerpräsident der Islamischen Republik Iran. Zu den politischen Ideen Bazargans sowie des ira-nischen Philosophen Sorushs siehe Forough Jahanbakhsh, Islam, Democracy and Religious Modernism inIran, 1953-2000: From Bazargan to Soroush, Brill, 2000.

49 Revolutionsexport, (Sodur-e- enqelab), wurde in der frühen Konsolidierungsphase der Islamischen Repu-blik als außenpolitische Strategie ein fester Bestandteil der iranischen Außenpolitik. Die politische Schiawurde idealtypisch als ein Befreiungsansatz des armen Südens gegenüber Ost-West konzipiert. Mit diesemKonzept erhob die strategische Khomeini-Gruppe einen universellen Anspruch des Schiismus in seinerpolitischen Variante. Zur Abkehr von Revolutionsexport am Beispiel Libanons vgl. Andreas Rieck, Ab-schied vom Revolutionsexport? Expansion und Rückgang des iranischen Einflusses im Libanon 1979-1989, in: Beiträge zur Konfliktforschung, Jg. 20, Nr. 2, Köln, 1990, S. 81-104.

50 Vgl. Henner Fürtig, Iran. Islamische Modellrevolution?, in: Orient-Journal, Hamburg, Herbst 2002, S. 14-15, http://www.duei.de/doi/de/content/onlinepublikationen/orientjournal/journal202/Seite14.pdf.

51 Weiterführend dazu siehe Wilfried Buchta, Die iranische Schia und die islamische Einheit 1979-1996,Hamburg, 1997.

52 Vgl. Shaul Bakhash, Iran’s Foreign Policy under the Islamic Republic, 1979-2000, in: L. Carl Brown (Hg.),Diplomacy in the Middle East. The International Relations of Regional and Outside Powers, Jg. 18, Lon-don, 2001, S. 247-258.

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rung des derzeitigen Revolutionsführers beharrt jedoch auch 25 Jahre nach der Islami-schen Revolution noch auf der antiwestlichen Position.

53

Nun drängt sich die Frage auf, warum der pragmatische Kurs sich gegenüber dem ra-dikal-visionären Kurs durchsetzen konnte. Um diese Frage beantworten zu können, mussdie Transformation des Herrschaftscharakters in der Islamischen Republik mit in die A-nalyse einbezogen werden.

Seyyed Ruhollah Khomeini entsprach dem von Max Weber54

als „charismatisch“ be-zeichneten Herrschertypus. Seine Legitimität erwuchs aus den außergewöhnlichen Ei-genschaften des politischen Führers kombiniert mit dem exklusiven Zugang zu sakralemWissen. Es war diese Legitimationsressource, die der Islamischen Republik mit dem Able-ben Khomeinis verloren ging. Ein „Feindbild USA“ war in der iranischen Gesellschaft un-abhängig vom charismatischen Führer vorhanden. Fest steht, dass der charismatischeFührer sein Charisma über die außergewöhnlichen Eigenschaften hinaus durch Ver-dienste erwirbt. Übertragen auf Seyyed Ruhollah Khomeini bedeutet dies die individuelleKonstruktion des Feindbildes USA. Erst durch das Zusammenwirken von sozialer und in-dividueller Konstruktion des Feindbildes USA im historischen Moment der IslamischenRevolution konnte das Feindbild seine potenzierte Anziehungskraft auf die Wahrneh-mung der „Nachahmer“ entfalten. In der ersten Phase der Revolution fungierte bekannt-lich die Schia noch als Welteroberungsreligion, bis sie nach dem Ableben des charismati-schen Revolutionsführers Teil des Alltags wurde. Unter der Führung der neuen bürokra-tischen Elite setzte sich sukzessive die Strategie durch, Iran an internationale Normen undWerte „anzupassen“. Ohne Anpassung hätte die Islamische Republik die auf sie zukom-menden Herausforderungen der Außenpolitik nicht bewältigen können. Die Durchset-zung der Linie der Pragmatiker hatte zunächst zur Folge, dass sich Iran aus der totalen I-solation auf regionaler und internationaler Ebene befreite. Der Übergang von der Herr-schaft charismatischen Charakters zur Herrschaft rationalen Charakters bewirkte eineNormalisierung der politischen Verhältnisse am Persischen Golf.

55

Die heutige Islamische Republik stützt sich auf zwei andere Herrschaftstypen: Der Re-volutionsführer und der Wächterrat versuchen, die Legitimation ihrer Herrschaft aus derTradition zu begründen, also mit dem Argument, sie stünden in der Nachfolge des cha-

53 Der Revolutionsführer wird nicht direkt vom Volk gewählt, sondern von einem Expertenrat auf unbe-grenzte Zeit bestimmt. Die Machtkompetenzen des Revolutionsführers übertreffen die des demokratischlegitimierten Präsidenten. Der Revolutionsführer bestimmt alle systemsichernden Staatsorgane wie Si-cherheits- und Ordnungskräfte, Armee (Artesch), Revolutionswächter (Pasdaran), Justizapparat, staatli-che Massenkommunikationsmittel, Revolutionäre Stiftungen (z.B. die „Stiftung der Entrechteten undKriegsbeschädigten“ oder die „Stiftung der Märtyrer“) und Sozialfonds. Er ist sogar befugt, den vom Volkgewählten Präsidenten abzusetzen.

54 Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Johannes Win-ckelmann (Hg.), 1. Halbband, Köln/Berlin, 1964, S. 157-222.

55 Zur Entstehung und Entwicklung der Islamischen Revolution vgl. Mehdi Naficy, Klerus, Basar und die i-ranische Revolution, Hamburg, 1993. Zur Rationalisierung der Herrschaft und deren Auswirkung auf dieAußenpolitik vgl. Mehdi Moslem, Ayatollah Khomeini’s Role in the Rationalization of the Islamic Go-vernment, in: Critique, Nr. 14, Frühjahr 1999, S. 75-92.

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rismatischen Herrschers;56

die gewählte Regierung (Präsident und Parlament) bemühtsich um die moderne Form rationaler Herrschaft, die ihre Legitimation aus nachvollzieh-baren Verfahren und aus den Leistungen bezieht, die sie für die Gesellschaft erbringt.Daraus ergibt sich ein zweifaches Problem, denn zum einen hat die Islamische Republikkeine Tradition, auf die sich traditionelle Herrschaft wirklich berufen könnte, und zumanderen wird die Leistungsfähigkeit der Regierung gerade durch die Hemmnisse einge-schränkt, die Wächterrat und Revolutionsführer ihrer Handlungsfreiheit auferlegen. Dieerzkonservative Seite versucht nach wie vor, dieses Legitimationsdefizit mit der Rekon-struktion des Feindbildes USA zu kompensieren, während die Reformer und Pragmatikersich mühen, auf dem Weg über den Abbau der erzkonservativen Handlungsschrankenendlich rationale,

leistungsbegründete Legitimität zu erlangen.

57

Ein weiterer Aspekt, der heute unabhängig vom Transformationsprozess des Herr-schaftscharakters noch Kontinuität besitzt, ist, dass die Islamische Revolution auf derForderung nach politischer und ökonomischer Unabhängigkeit (esteglal) von der globalenHegemonialmacht USA basierte. Eine der Hauptparolen der Islamischen Revolution war„Unabhängigkeit, Freiheit, Islamische Republik“ (esteglal, azadi, jomhuriye eslami). DieRangfolge der Forderungen macht deutlich, dass die neue politische Elite der regionalenAutonomie vom Westen oberste Priorität einräumt. Die Politik der Annäherung an denWesten in der Post-Khomeini-Ära basiert noch heute auf der „esteglal-Strategie“.

58

56 Die Nachfolge des charismatischen Herrschers anzutreten, ist ein schweres Erbe, denn Khomeinis Herr-schaft legitimierte sich aus dem Grad seines religiösen Wissens und Charismas. Khomeini war ein führen-der Rechtsgelehrter. Der jetzige Revolutionsführer wurde zum Nachfolger Khomeinis ernannt, obwohl ernicht den Rang eines „Marja’-e taqlid“ erreicht hatte, somit geriet die Besetzung der Führerämter und de-ren Reichweite in ein machtpolitisches Gerangel. Denn jeder „Marja’-e“ muss eine besondere theologischeAbhandlung (risala amalliyya) veröffentlicht haben, eine Voraussetzung, die der Revolutionsführer bis-lang nicht erfüllen konnte. Außerdem fehlten dem Nachfolger die außergewöhnlichen Eigenschaften desAyatollah Khomeinis. Dies führte schließlich 1989 zu einer Verfassungsänderung. Vgl. hierzu u. a. Rosiny,a.a.O. (Anm. 45), S. 87; Wilfried Buchta, Die Islamische Republik Iran und die religiös-politische Kontro-verse um die marja’iyyat, in: Orient, Jg. 36, Nr. 3, 1995, S. 449-474.

57 Der Staatspräsident ist nach der derzeitigen Verfassung nur für die Leitung der Exekutive zuständig. ImOktober 2002 hat Staatspräsident Seyyed Mohammad-e Khatami dem Wächterrat (Shura-ye negahban)einen neuen Gesetzesentwurf vorgelegt, der, gestützt auf Artikel 113 der Verfassung der Islamischen Re-publik, dem Präsidenten das Recht einräumt, die Einhaltung der Verfassung zu überwachen. Dieses Rechtist aber dem Revolutionsführer (seit 1989 Ayatollah al Udhma Seyyed Ali Khamenei), der vom Experten-rat (Majles-e khobregan) auf Lebenszeit gewählt wird und somit den höchsten Rang im Staat verkörpert,vorbehalten. Die Ironie des Ganzen liegt darin, dass der Wächterrat mit seiner Zustimmung die eigeneMacht und die des Revolutionsführers einschränken würde. Der Verfassungskonflikt lässt also erkennen,dass neben dem vom Volk gewählten Staatspräsidenten und dem Parlament mit „demokratischem Cha-rakter“ noch weitere Machtzentren existieren, die sich der Kontrolle des republikanisch-demokratischenTeils des Staates entziehen. Der Gesetzesentwurf ist folgerichtig vom Wächterrat abgelehnt worden. Zuden Machtkompetenzen des Staatspräsidenten vgl. Asghar Schirazi, Die Widersprüche in der Verfassungder Islamischen Republik vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzung im nachrevolutionä-ren Iran, Berlin, 1992.

58 Zu Kontinuitäten und Wandlungen in der iranischen Außenpolitik der postkhomeinischen Zeit vgl. A-noushiravan Ehteshami, The Foreign Policy of Iran, in: Raymond A. Hinnebusch/Anoushiravan Ehtesami(Hg.), The Foreign Policies of Middle East States: The Middle East in the International System, Colorado,2002, S. 283-311.

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16 Semiramis Akbari

3.5 Probleme der Dekonstruktion von Feindbildern in der Khatami-Ära

Die ersten politischen Schritte einer Politik der Annäherung an Europa, Japan, China undRussland wurden zwar in der Rafsanjani-Ära eingeleitet, jedoch nicht verfestigt. Mit demSieg Mohammad Khatamis bei den Präsidentschaftswahlen von Mai 1997

59 wurden neue

außenpolitische Akzente gesetzt. Die von Rafsanjani geschaffenen politischen Räumesollten ausgebaut und die Beziehungen vor allem mit Europa intensiviert werden. Völker-verständigung und Dialog der Kulturen bildeten die Grundlage der außenpolitischen Be-ziehungen.

60

Die Reformer erkannten, dass Iran langfristig ohne die Anerkennung der USA nicht alsregionaler Hegemon fungieren kann. Khatamis Versuche, eine Neuorientierung in derPolitik gegenüber Washington zu bewirken, scheiterten bislang an den Erzkonservativen.Khatamis Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender CNN im Februar 1998

61 löste

in Iran bei den Konfliktparteien der Reformer und Konservativen einen brisanten Diskursüber die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den USA aus. In dem Interview hatteKhatami seine Bewunderung für die amerikanischen Nation bekundet und die Besetzungder amerikanischen Botschaft zu Beginn der Revolution bedauert. Damit signalisierten dieReformer, allen voran Khatami, dass sie zu Gesprächen mit den USA bereit wären. Präsi-dent Clinton autorisierte im September 2000 seine Außenministerin Madeleine Albright,erste Gespräche mit den Iranern über Afghanistan aufzunehmen und die Sanktionen teil-weise aufzuheben.

62

Die Clinton-Administration hatte sich zu Beginn der 90er Jahre in ihrem außenpoliti-schen Umgang mit Iran und dem Irak der so genannten dual containment strategy („ Poli-tik der doppelten Eindämmung“) verschrieben. Vor dem Hintergrund der Bestrebungenbeider Länder, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln, verfolgte die US-Regierung mitdieser Strategie das Ziel, sie in der Golfregion schwach zu halten. Mitte der 90er Jahrewurde die Strategie geändert: Die US-Regierung verkündete das Konzept des differentiatedcontainment, wonach nur im Irak ein Regimewechsel herbeigeführt werden sollte.

63 Kha-

tami hatte mit seinen diplomatischen Signalen an Washington die Grenze seiner Macht-kompetenzen bei weitem überschritten. Dass die Debatte über die Machtkompetenzen des

59 Zu den Präsidentschaftswahlen 1997 und deren Auswirkung auf den Reformprozess vgl. Olivier Roy, TheCrises of Religious Legitimacy in Iran, in: The Middle East Journal, Jg. 53, Nr. 2, Frühjahr 1999, S. 201-216.

60 Vgl. Bahram Mohy, Die iranische Außenpolitik unter Khatami, in: INAMO, Jg. 7, Nr. 25, Berlin, Frühjahr2001, S. 9-12.

61 Näheres zur Khatamis Öffnungskurs vgl. das Interview gegenüber CNN am 7. Januar 1998, in: Internatio-nale Politik, Nr. 3, 1998, S. 121-125. Zur Transformation der politischen Kultur unter Khatami vgl. RezaA. Sheikholeslami, The Transformation of Iran’s Political Culture, in: Journal for Critical Studies of theMiddle East, Nr. 17, Herbst 2000, S. 105-135.

62 Eine gute Einführung in Clintons Iranpolitik gibt Christian Hacke, Die Politik der Clinton-Regierung imNahen und Mittleren Osten, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49, Bonn, 1. Dezember 2000, S. 13-18.

63 Vgl. Ferhad Ibrahim, Irak und Iran in der Phase II des amerikanischen Krieges gegen Terror, in: Aus Poli-tik und Zeitgeschichte, B 25, Bonn, 21. Juni 2002, S. 31-38.

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Staatspräsidenten zwischen den Konfliktparteien der Reformer und der Konservativenimmer noch andauert, ist ein Indiz dafür, wie weitgehend dem Präsidenten die Hände ge-bunden sind.

Khatamis Politik der „stillen Diplomatie“64

während seiner bisherigen Amtszeit lässtRaum für die Formulierung einer Hypothese über diese Strategie: Der religiös-politischeDiskurs über die Vereinbarkeit von islamischen Grundsätzen und Demokratie

65 hängt eng

damit zusammen, dass allmählich ins Bewusstsein gedrungen ist, dass die Durchsetzungvon Reformen mit säkularisiertem Inhalt den Fortbestand der islamischen Herrschaft ge-fährden kann. Trotz bestehender Differenzen mit den Erzkonservativen befürwortetKhatami grundsätzlich die Herrschaft des herrschenden Rechtsgelehrten. Seine Befürch-tungen gehen dahin, dass im Falle eines umfassenden Vorgehens gegen die Erzkonservati-ven die Revolutionsgarden gegen die Reformer putschen und sie schließlich ablösenkönnten.

66 Der Ausgang der Parlamentswahlen vom Februar 2004 hat diese Befürchtun-

gen teilweise bestätigt; denn die Vorauswahl der Parlamentskandidaten sorgte dafür, dassdie Reformer durch Konservative abgelöst wurden.

Die Ereignisse des 11. September haben zur Verhärtung der Fronten zwischen denUSA und Iran geführt. Obwohl Iran die terroristischen Anschläge verurteilte, zählt derUS-Präsident Iran neben dem Irak und Nordkorea zu den „Schurkenstaaten“ (rogue sta-tes). Die ideologischen Vorwürfe der USA gegen Teheran lauten: ideologische und mate-rielle Unterstützung der Hizbollah, Beherbergung von al-Qaida-Anhängern und Behinde-rung des Nahost-Friedensprozesses.67 Seit dem 11. September verknüpfen die USA ver-stärkt ihre langfristige Überzeugung von einem gewaltbereiten fundamentalistischen Staatmit der Deutung der konkreten politischen Fragen. In den Augen der iranischen Öffent-lichkeit wiederum ist das Selbstbild der USA – wir sind die führende Macht der „FreienWelt“ und stehen für Rechtsstaatlichkeit, Zivilisation, Demokratie und Frieden – regel-recht selbstverherrlichend.68 Diese Leseart schließt aus, dass Iran ein legitimes sicherheits-politisches Interesse haben könnte, etwa eine Invasion des globalen Hegemons abzuschre-

64 Vgl. Asghar Schirazi, Mohammad Khatami. Resümee der Regierung eines „entrechteten“ Staatspräsiden-ten, in: INAMO, Jg. 4, Nr. 16, Berlin, Winter 1998, S. 29-33.

65 Zur Vereinbarkeit/Nicht-Vereinbarkeit von Islam und Demokratie vgl. u. a. John L. Esposito/John O.Voll, Islam and Democracy, New York, 1996; Mohammed Arkoun, Religion und Demokratie: Das Bei-spiel Islam, in: Edmund Heller/Hassouna Mosbahi (Hg.), Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Ant-worten arabischer Denker, München, 1998, S.138-153.

66 Vgl. Asghar Schirazi, a.a.O. (Anm. 64), S. 29-33.

67 Zu den verschiedenen Reaktionen auf die Ereignisse des 11. September innerhalb Irans vgl. JohannesReissner, Reaktionen auf die Ereignisse in den USA. Reaktionen in Iran, Brennpunktbeitrag, 14. August2001, www.swp-berlin.org.

68 Die Konstruktion der Führungsrolle existiert seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, aus dem die USA alsSieger hervorgingen. Vgl. hierzu Katajun Amirpur, Iran auf der Achse des Bösen, KAS-AI 12/02, S. 64-80.Zur Identifizierung von Schurkenstaaten vgl. Mary Caprioli/Peter F. Trumbore, Identifying Rogue Statesand Testing their Interstate Conflict Behaviour, in: European Journal of International Relations, Jg. 9, Nr.3, September 2003, S. 377-406.

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cken.69 Seit dem 11. September, der veränderten Sicherheitslage und dem internationalenDruck befindet sich die Regierung in Teheran in einer prekären Lage.70 Das vorläufigeScheitern der Reformen versetzt die Studenten, die so genannten „Kinder der IslamischenRevolution“, in die Lage, auf Abweichungskurs zu Khatami zu gehen. Die Konservativenbewerten diesen „Emanzipationskurs“ der islamischen Studenten als Verrat und werfenihnen die Zusammenarbeit mit den traditionellen Feinden der Islamischen Republik, denUSA und Exil-Monarchisten, vor. Die Studentenproteste sind Ausdruck dafür, dass sichneben dem herrschenden Islamverständnis innerhalb der Gesellschaft alternative Inter-pretationen entwickelt haben und diese immer stärker an Boden gewinnen.71

Als konkurrierende Kraft zu den staatlichen Klerikern fungiert die Diskurselite. Siesetzt sich aus Klerikern, Laien und Intellektuellen (roschanfekran-e dini oder roschan-fekran) zusammen.72 Zu den führenden Persönlichkeiten dieser Bewegung zählen allenvoran der Geistliche Mohammad Mogtahed Shabestari73, Mohsen Kadivar74 und der Phi-losoph Abdolkarim Sorush. Letzterer löste mit seinen Beiträgen in den Zeitschriften kiyanund aftab eine lebhafte Debatte über die Entideologisierung der religiösen Lehren aus. Aufihn geht die „Theorie der Evolution/Wandelbarkeit der religiösen Erkenntnisse“ (nazariy-eh-ye ma’refat-e dini) zurück.75 Die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus diesem theoreti-schen Ansatz lassen sich auch auf die Wandlungsfähigkeit der iranischen Außenpolitik ü-bertragen. Denn gerade die innovativen Interpretationen des Islam eröffnen den politi-schen Akteuren die Perspektive, vom religiösen Anspruch abzurücken und sich womög-lich international geltenden Werten und Normen zu fügen. Die Wirkung der neu gesetz-

69 Für Alexander Wendt sind nationale Interessen soziale Tatsachen, die sich nicht „objektiv“ ergeben. Viel-mehr gedeihen sie auf der Basis subjektiver Faktoren und historisch-kultureller Erfahrungen. NationaleInteressen werden repräsentiert. Es wird zwischen langfristigen, mittelfristigen und kurzfristigen Reprä-sentationen des nationalen Interesses unterschieden. Langfristige beziehen sich auf grundlegende Strate-gien, mittelfristige auf einen Konflikt und kurzfristige auf eine Krise. Vgl. Alexander Wendt, Anarchy isWhat States Make of It, in: International Organisation, Jg. 46, Nr. 2, Frühjahr 1992, S. 391-425.

70 Vgl. Roham Alvandi, Iranian-American Relations after 11 September, ISIM Newsletter, Leiden, Juli 2002.

71 Eine zweite Revolution, wie es amerikanische Konservative prophezeiten, blieb jedoch aus.

72 Vgl. z.B. Johannes Reissner, Iran. Vor dem Ende klerikaler Macht?, in: Volker Perthes (Hg.), Elitenwandelin der arabischen Welt und Iran, SWP-Studie, Nr. 41, Berlin, Dezember 2002, S. 189-209; Morad Saghafi,Islamische Intellektuelle und der Demokratisierungsprozess, in: INAMO, Jg. 7, Nr. 25, Berlin, Frühjahr2001, S. 21-24.

73 Shabestari gehört zu den führenden Befürwortern einer islamischen Demokratie. Er studierte in QumTheologie und leitete von 1970-1979 das schiitisch Islamische Zentrum in Hamburg. Seit 1985 ist er Pro-fessor an der Teheraner Universität in den Fächern Religionsphilosophie und Islamische Theologie (Isla-mische Hermeneutik). Zur Kurzbiographie vgl. u. a. Katajun Amirpur, Mohammad Mojtahed Shabestari,in: Orient, Jg. 41, Nr. 1, 2000, S. 14-17; Farzin Vahdat, Post-Revolutionary Discourses of MohammadMojtahed Shabestari and Mohsen Kadivar. Reconciling the Terms of Mediated Subjectivity, in: Critique,Nr. 17, Herbst 2000, S. 135-157.

74 Vgl. hierzu Jamileh Kadivar, Transformation of the Shi'ite Political Dialogue in Iran, Teheran, 2000, inPers.: Tahavvol e Gofteman e Siasi ye Shi'eh dar Iran, Teheran, 2000.

75 Zu den philosophischen Ansichten Soursh und Shabestaris vgl. u. a. Reza Hajatpour, Die iranische Geist-lichkeit zwischen Utopie und Realismus. Zum Diskurs über Herrschafts- und Staatsdenken im 20. Jahr-hundert, Wiesbaden, 2002; Katajun Amirpur, Ein iranischer Luther? Abdolkarim Sorushs Kritik an derschiitischen Geistlichkeit, in: Orient, Jg. 37, Nr. 3, September 1996, S. 465-481.

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ten Normen in den religiösen Diskursen belegen die jüngsten Umfragen der Meinungs-forschungsinstitute 2002 in Teheran. Danach befürworten 75 Prozent der iranischen Be-völkerung die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu den USA. Die Folgender Umfrage waren für die Meinungsforscher verheerend. Die Verantwortlichen, HosseinAli Ghazian (Dozent und Direktor des Instituts für Meinungsforschung ayandeh) undAbbas Abdi (Journalist), wurden von der iranischen Justiz zu vier Jahren Haft verurteilt.Der Name Abbas Abdi steht für eine Reformbewegung, die zwar die Islamische Revoluti-on initiiert hatte, sich jedoch in der postrevolutionären Phase von ihren anfänglichen Re-volutionsansichten distanzierte. Abdi befürwortet den Dialog mit dem Erzfeind USA.76

Diese von einem Parlamentsausschuss in Auftrag gegebene Umfrage über die Wiederauf-nahme des politischen Dialogs wurde von den Erzkonservativen als „politisch-ideologisch“ eingestuft und als solche diskreditiert.

4. Irans regionale Außenpolitik am Beispiel des Irak

Ist die Außenpolitik der Islamischen Republik als Fortsetzung der pragmatischen Linie zubegreifen? Welcher Spielraum bleibt Iran angesichts der neuen Sicherheitslage? Inwieweitkann Iran den Forderungen des Erzfeindes USA „sheitane bozorg“ nachkommen?

4.1 Strategie der „aktiven Neutralität“ im Irakkrieg 2003 –Ergebnis des ersten Golfkriegs?

Obwohl die iranische Regierung genug Gründe für eine Zusammenarbeit mit den USA inder Irakfrage hatte, beschränkte sie sich auf die Strategie der „aktiven Neutralität“.

77

Nachdem Saddam Hussein am 22. September 1980 iranische Militärbasen und Flughäfenangegriffen hatte, um die Macht der Islamischen Republik zu brechen, wurden beideStaaten in einen achtjährigen Krieg verwickelt. Saddam Hussein verfolgte zu jener Zeit dasZiel, die Islamische Republik in die Knie zu zwingen und so den Revolutionsexport in denIrak zu verhindern. Die Folgen des Krieges haben das Verhältnis Iran-Irak in der Saddam-Ära nachhaltig geprägt. Die Kriegsopfer und die materiellen Schäden in Milliardenhöhehaben das iranisch-irakische Verhältnis enorm belastet. Über den Austausch von Kriegs-gefangenen wurde jahrelang verhandelt. Erst im März 2003 verkündeten beide Staaten dieFreilassung der letzten Kriegsgefangenen.

78

76 Vgl. Abbas Abdi, A Painful Record of the Past, 28. July 1998, www.american-iranian.org/Pages/Archives/Perspectives/Abdi.html.

77 Vgl. John Calabrese, Iran Between the Python and the Scorpion, Middle East Institute Perspective, Wash-ington, 26. März 2003.

78 Vgl. zur ideologischen Grundeinstellung im Iran-Irak Krieg Udo Steinbach, Iran, in: Werner Ende/UdoSteinbach (Hg.), Der Islam in der Gegenwart, München, 1989, S. 234 f.

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20 Semiramis Akbari

Die anti-schiitische Politik der irakischen Baath-Partei verschärfte den Konflikt zwi-schen dem säkularisierten Irak und dem islamischen Regime in Iran. Obwohl 60 Prozentder irakischen Bevölkerung schiitischen Glaubens sind, waren sie in der Regierung und inder Verwaltung unterrepräsentiert. Arabische Sunniten nahmen staatliche Schlüsselposi-tionen ein. Die gesellschaftspolitische Benachteiligung der Schiiten ist nicht neu: Schondie osmanischen Herrscher zogen bei der Besetzung von Verwaltungsposten Sunnitenvor. Viele Schiiten boykottierten Bildungseinrichtungen, da sie sunnitisch ausgerichtetwaren. Die irakischen Schiiten hatten bereits zu osmanischen Zeiten enge Verbindungenzu den schiitischen Persern gepflegt.

79 Dies war nicht nur den Türken, sondern auch Sad-

dam Hussein ein Dorn im Auge. Im Südirak sorgten die Schiiten für mehrere Aufstände,die von der irakischen Armee blutig niedergeschlagen wurden. Iran wiederum gewährteschiitischen Oppositionellen aus dem Irak Unterschlupf, darunter dem irakischen Schii-tenführer Ayatollah Muhammad Bakr al-Hakim. Der 67-Jährige Ayatollah war der Vor-steher des Obersten Rats der Islamischen Revolution (SCIRI), die von Teheran aus ope-rierte. Die Hoffnung der iranischen Regierung, dass es nach dem Sturz Saddam Husseinsmit ihrer Hilfe zu einer Beteiligung der irakischen Schiiten an der Regierung kommenwerde, wurde allerdings von den irakischen Exilschiiten nicht geteilt; sie hielten daran fest,dass der Widerstand gegen Saddam Hussein eine Sache des irakischen Volkes und nichtdie Irans sei.

80

Die iranische oppositionelle Organisation der Volksmoghahedin unter der FührungMassoud Radjavis hielt sich seit 1986 mit Duldung der irakischen Regierung in Bagdadauf. Der Terminus Moghahedin bedeutet Glaubenskämpfer. Mit dem Einverständnis desirakischen Ex-Präsidenten gründete Radjavi die „Nationale Befreiungsarme“ (NLA), dieim Iran-Irak-Krieg auf der Seite der irakischen Streitkräfte kämpfte. Die Organisation derVolksmogahedin ist verantwortlich für viele Morde an Vertretern des islamischen Estab-lishments und für Anschläge auf Einrichtungen der Islamischen Republik. So wurden1981 bei einem Bombenanschlag Hojjatulislam Seyyed Mohammad Hosseini-Beheshtiund weitere 72 Parlamentarier des Majles getötet. Beheshti gehörte zum engen politisch-religiösen Kreis des Ayatollah Khomeini und wurde nach seinem Tod als Märtyrer gefei-ert. Der Sieg der Amerikaner über Saddam Hussein 2003 bedeutete dann auch für die Al-lianz von Volksmogahedin und irakischem Herrscher das Ende. Freilich hatte die irani-sche Regierung ihrerseits gute Gründe, nicht mit den siegreichen USA zu kooperieren: Bis1979 hatten die USA das repressive Pahlavi-Regime als Stabilitätsfaktor aufgerüstet, aberals sie sich mit der Islamischen Revolution konfrontiert sahen, beschlossen sie, auf den I-rak als neuen Stabilitätsfaktor zu setzen.81

79 Vgl. Thomas Koszinowski, Syrien, Jordanien und Irak, in: ebenda, S. 365.

80 Zu al-Hakim als politisch-religiöser Akteur vgl. Silke Mertins, Mohammed Bakir al-Hakim: ReligiöserFührer und politisches Idol, in: Financial Times Deutschland, 13. Mai 2003, http://ftd.de.

81 Vgl. u. a. Iran-Report, Nr. 07, Berlin, 2003, S. 8 ff; Katajun Amirpur, Exilopposition als politischer Akteur:Iran – Das Beispiel der Volksmogahedin, DOI-Focus, Nr. 5, November 2002.

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4.2 Iran zwischen innenpolitischem Streit undaußenpolitischer Krisenbewältigung

Die Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem Irak und den USA wurde in Iran genau-estens verfolgt. Der außenpolitische Druck Washingtons auf der einen und die innenpoli-tischen Entwicklungen auf der anderem Seite sorgten für enorme Brisanz. So meldete dieBBC-Persian in einem Artikel, dass in Iran die Meinungen zu einem möglichen Angriffder USA auf den Irak sowohl in der Bevölkerung als auch unter den Regierungsmitglie-dern durchaus geteilt seien.

82

Es war die offizielle Strategie der „aktiven Neutralität“, mit der sich die pragmatischePosition der Reformer in Bezug auf die Irakfrage durchsetzte.

83 Die Reformer waren be-

müht, die Spannungen mit den USA abzubauen. Die Angst, die USA könnten nach demSieg über den Irak Iran angreifen, veranlasste einige Reformer dazu, sich für eine Koope-ration mit den USA in der Irakfrage auszusprechen.

84 Die Erzkonservativen des Landes

griffen in ihrem Bestreben, den aktuellen außenpolitischen Herausforderungen zu begeg-nen, wieder auf die alten Propagandamuster zurück, indem sie hartnäckig am FeindbildUSA, dem „Großen Satan“, festhielten. Eine Kooperation mit Saddam Hussein stellte fürsie allerdings keine politische Alternative dar. Pragmatiker wie Khatamis AmtsvorgängerAli Akbar Hashemi Rafsanjani unterstützten die offizielle Haltung Irans in der Irakkrise,kritisierten aber gleichzeitig die arabischen Staaten, die den Amerikanern die Benutzungihrer Flugbasen gestatteten.

85

Der ehemalige irakische Außenminister Naji Sabri Ahmed reiste vor dem Angriff derUSA auf den Irak nach Teheran und warb um diplomatische Unterstützung. Er betontebei diesem Besuch, dass sich die Bedrohung durch die USA nicht nur gegen den Irak,sondern gegen alle islamischen Staaten richte. Die iranische Regierung blieb jedoch beider Forderung, der Irak solle die Resolutionen des Weltsicherheitsrates umsetzen. Die of-fizielle iranische Position war die, einen Alleingang der USA abzulehnen und sich gleich-zeitig für die territoriale Integrität und politische Souveränität des Irak einzusetzen. Ge-genüber der iranischen Presse erklärte Khatami bei Sabris Besuch, seine Ablehnung desKrieges bedeute nicht, dass er Saddam Hussein unterstütze.

In Iran gab es zahlreiche Stimmen, die davor warnten, der Krieg werde den Frieden imMittleren Osten gefährden. Andere wiesen auf die negativen Folgen eines Waffengangs fürdie ohnehin angeschlagene Wirtschaft hin. Es gab aber auch pro-amerikanische Stimmen.Sie begrüßten den Sturz der Talibanregierung in Afghanistan und die Befreiung der af-ghanischen Bevölkerung.

86 Einige Akteure aus den Reihen der Regierung ließen durchsi-

82 Vgl. BBC-Persian News, Zugriff 17. Januar 2003.83 Der iranische Pragmatismus ging sogar so weit, dass die Regierung in Teheran mit den Amerikanern in

der Frage der Notlandung von amerikanischen Flugzeugen auf iranischem Territorium kooperierte. Vgl.Barbara Starr, U.S., Iran agrees on plan for downed fliers, CNN, 25. November 2002.

84 Vgl. Katajun Amirpur, Iran: zwischen aktiver Neutralität und Isolationsangst, www.fes.de/brennpunkt.

85 Vgl. BBC-Persian News, Rafsanjanis Rede zum islamischen Opferfest, Zugriff 12. Februar 2003.

86 Vgl. BBC-Persian News, Zugriff 13. Februar 2003.

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22 Semiramis Akbari

ckern, dass sie nichts gegen einen US-Angriff wie in Afghanistan einzuwenden hätten. Dieoffizielle Regierungshaltung jedoch verurteilte einen solchen Alleingang. Der VertreterPräsident Khatamis, Mohammed Ali Abtahi, betonte in einem Interview: „Die neue af-ghanische Regierung und Herr Kazai sind für uns besser als die Talibanregierung.“ Und erfügte hinzu, die zukünftige irakische Regierung könne für Iran keine Bedrohung sein, weilkeine Regierung Iran seine Rolle streitig machen könne.

87

4.3 Ausdehnung der Strategie der „aktiven Neutralität“ imPost-Saddam-Irak 2003/2004

Welche politische Strategie verfolgt Iran im Post-Saddam-Irak? Wie weit reicht der Ein-fluss Irans auf die irakischen schiitischen Organisationen? Bereits vor dem Angriff derUSA lag es auf der Hand, dass Teheran im Rahmen der Strategie der „aktiven Neutralität“im Post-Saddam-Irak weiterhin seine nationalen Interessen wahrnehmen würde. Offiziellist die iranische Außenpolitik unter Leitung des Außenministers Kamal Karrazi an der E-tablierung einer friedlichen und demokratischen Herrschaftsordnung im Post-Saddam-Irak interessiert. Man geht davon aus, ein unabhängiger, rechtstaatlich orientierter Irakwerde auch stabilisierend auf die iranische Innenpolitik wirken.

88 Iran unterstützt daher

die Forderung nach sofortiger Beendigung der Diskriminierung von ethnischen undkonfessionellen Gruppierungen und ist gegen eine staatliche Verfassung, die die Vorherr-schaft einer Religionsgemeinschaft, seien es nun Schiiten oder Sunniten, oder von ethni-schen Gruppierungen sichert. Da die irakische Gesellschaft sich in ihrer Mehrheit ausMuslimen zusammensetzt, fordert Iran die Betonung der islamischen Identität des sichneu formierenden irakischen Staates.

89 Mit der Forderung nach territorialer Integrität des

Irak stellt sich Iran gegen eine föderative Struktur des Landes. Wie bereits in der Einlei-tung erläutert, könnte das Modell des Föderalismus separatistische Bestrebungen der ira-nischen Kurden oder anderer ethnischer Minderheiten fördern.

90

Neben dem Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu seinemNachbarland will Iran den Prozess des regionalen Dialogs und der Koexistenz auch mitBlick auf die Kultur vorantreiben. In diesem Sinne organisierte das Center for Persian Gulfand Middle East Studies am Institute for Political and International Studies (IPIS) in Tehe-ran im Februar 2004 eine internationale Konferenz unter dem Titel: „Persian Gulf: Regio-nal Developments in the Aftermath of Iraq Occupation“. Die politisierten irakischenGeistlichen schiitischen Glaubens streben zwar langfristig eine Beteiligung an der Regie-rungsarbeit an, ordnen sich jedoch dem Nationalstaat unter. Unter solchen Bedingungen

87 Vgl. BBC-Persian News, Zugriff 14. Februar 2003.

88 Zum demokratischen Dominoeffekt in der Golfregion vgl. Volker Perthes, Nach Saddam Hussein. Politi-sche Perspektiven im Mittleren Osten, SWP-Studie, Nr. 13, Berlin, April 2003.

89 Vgl. Iran plädiert erstmals für Regimewechsel, dpa 12. Februar 2003.

90 Vgl. Ferhad Ibrahim, Regimewechsel in Bagdad? Die Positionen der Nachbarstaaten, in: Bernd W. Kub-big, (Hg.), Brandherd Irak. US-Hegemonialanspruch. Die UNO und die Rolle Europas, Frank-furt/M./New York, 2003, S. 254-262.

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Iran zwischen amerikanischem und innenpolitischem Druck 23

erweist es sich für die iranische Regierung freilich als besonders schwierig, ihren Einflussim Irak zu vergrößern.

Dass Iran nichts gegen einen Neuanfang im Irak auf der Grundlage internationalerGesetze, Normen und Institutionen einzuwenden hat, lässt darauf schließen, dass er einezweite islamische Kulturrevolution bislang weder erproben wollte noch künftig erprobenwird. Der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld verkannte diese Hal-tung Teherans, als er im Wall Street Journal im Mai 2003

91 schrieb, die USA werden nicht

zulassen, dass sich der Irak zu einer neuen islamischen Republik Iran entwickele. Die Fra-ge, ob die Teheraner Regierenden einen „Gottesstaat“ nach iranischem Muster im Irakwollen, ist jedoch obsolet. Zum einen verschleiern die komplexen und widersprüchlichenEntwicklungen im Post-Saddam-Irak die regionalen politischen Interessen der Regierungin Teheran, zum anderen verleiten sie die USA dazu, die politischen Entwicklungen in-nerhalb der Islamischen Republik zu ignorieren.

92 Die regionalen Interessen Irans sind vor

allem in der Herstellung von Frieden und Stabilität im Post-Saddam-Irak zu sehen. So-wohl die Reformer als auch die Konservativen verurteilen die Anschläge im Zweistrom-land und fordern zugleich den Abzug der US-Truppen.

93 Zur Herstellung von Sicherheit

im Irak ist es aus iranischer Sicht vordringlich, dass Wahlen stattfinden und den Irakerndie Souveränität übertragen wird. Diese beiden Ziele können mit dem Wahlsieg der kon-servativen Pragmatiker in die Praxis umgesetzt werden, denn diese verfügen auch übergute Beziehungen zu den irakischen Schiiten.

4.4 Innerreligiöse Konflikte im Irak und deren Auswirkungenauf die Islamische Republik

Im Irak agieren zahlreiche konkurrierende schiitische Organisationen, Rechtsschulen,„Autoritätspersönlichkeiten“ und theologische Hochschulen. Neben den innerreligiösenDifferenzen in den schiitischen Gemeinden in Najaf existiert eine religiös-politische Kon-fliktlinie mit der theologischen Hochschule in Qum/Iran. Die schiitische Gemeinde im I-rak ist zwar sehr heterogen, fühlt sich jedoch von iranischen Geistlichen nicht repräsen-tiert. Die theologische Hochschule in Najaf galt bis 1921 als eine der wichtigsten unter denzwölferschiitischen Wissenschaftszentren. Erst unter der Leitung des Gelehrten Ayatollah

91 Vgl. Donald Rumsfeld, Core Principles For A Free Iraq, Wall Street Journal, 27. Mai 2003, www.global se-curity.org/wmd/library/news/iraq/2003/05/05-27_index.htm.

92 Die USA erklären die Reformbestrebungen innerhalb des politischen Systems Irans für gescheitert underwecken den Anschein, eine Demokratisierung Irans sei nur mit Hilfe der USA zu erreichen. Die sichherausbildende religiöse Gegenkultur innerhalb der Zivilgesellschaft, vor allem die geistige Auseinander-setzung zwischen Vertretern der religiösen Diskurselite, wurde in den politischen US-Debatten systema-tisch ausgeblendet. Zu Machtkämpfen zwischen den Schiiten im Irak vgl. Der Irak nach Saddam. Die Zu-kunft des Irak heißt Schia. Der Machtkampf hat begonnen, Iraks Schiiten erheben ihre Stimme, NZZ, 11.Mai 2003.

93 Vgl. die Äußerungen des Parlamentsvorsitzenden Mehdi Karrubi zur Teilnahme an der dritten Sitzungder Parlamentsvorsitzenden der islamischen Länder in der senegalischen Hauptstadt Dakar, in:www.irib.ir (Zugriff: 8. März 2004).

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24 Semiramis Akbari

'Abd- al-Karim Ha'iri Yazdi und seinen Nachfolgern vermochte Qum zu einer Konkur-renz für das irakische Najaf zu werden. Ha'iri leitete von 1922 bis 1937 die bekanntesteschiitische Wissensstätte „Madrasa-ye Feiziyye“, an der auch Khomeini studieren und leh-ren sollte. Najaf besitzt eine lange politische Tradition. Im Schutze der Heiligtümer derSchreine wurde politisch Oppositionellen schon immer Asyl (bast) gewährt. Hier haltensich heute geistliche iranische Oppositionelle auf.94

In Najaf befindet sich auch der Sitz der wichtigsten geistlichen „Autoritätsperson“ derSchiiten, Groß-Ayatollah Seyyed Ali Husaini Sistani,

95 dem in den Auseinandersetzungen

um die Etablierung einer Demokratie eine zentrale Rolle zukommt. Ayatollah Sistani ver-steht sich in erster Linie als Gelehrter und ist wie viele andere Groß-Ayatollahs auch„quietistisch“

96 eingestellt. Als „Instanz der Nachahmung“ (arab. Marja‘-e taqlid) hat er

eine große Anhängerschar. Als ausschlaggebendes Kriterium für die Autorität Sistanis giltder Grad seiner wissenschaftlichen Qualifikation. Gemäß der seit dem 18. Jahrhundertdominierenden Usuli-Doktrin muß jeder Schiit einen Marja‘-e wählen und dessen fatwain religiösen und sozialen Fragen befolgen.

97 Sistani erließ im April 2003 das erste pro-

amerikanische Rechtsgutachten (fatwa) im modernen politischen Islam, in dem er anord-nete, dass die Schiiten im Irak sich nicht gegen die Amerikaner stellen dürfen.

98 Die These

von der politischen Wandlungsfähigkeit kann auch auf Sistani bezogen werden. NeunMonate nach seiner pro-amerikanischen fatwa forderte er am 11. Januar 2004 die Etablie-rung einer neuen irakischen Regierung durch freie Wahlen. Damit stellt sich Sistani ganzklar gegen die US-Pläne, die eine irakische Übergangsregierung ohne allgemeine Wahlenzu ernennen beabsichtigen. Sistanis Forderung nach freien Wahlen findet auch Zustim-mung beim iranischen Präsidenten Khatami.

99

Die Erzkonservativen setzten zunächst auf Ayatollah Mohammed Bakir al-Hakim, derbei einem Anschlag auf eine Moschee im irakischen Najaf getötet wurde. Hakim pflegteengen Kontakt zum konservativen iranischen Revolutionsführer. Umso mehr erstaunte erdie Amerikaner, als er nach seiner Rückkehr in das Zweistromland für Rechtstaatlichkeitund Demokratie eintrat. Hakim und seine Anhänger lernten im iranischen Exil mit derIslamischen Revolution die politisch-religiösen Leitideen des Ayatollah Khomeini kennen

94 Zu Eigenheiten der iranischen und des irakischen Schiismus vgl. u. a. Yitzhak Nakash, Iraqi and IranianShi’ism. How similar are they? in: Rainer Brunner (Hg.), Islamstudien ohne Ende, Abhandlung für dieKunde des Morgenlandes, Jg. 54, Nr. 1, Würzburg, 2002, S. 69-78; Abdul-Hadi Hairi, Shi’ism and consti-tutionalism in Iran. A study of the role played by the Persian residents of Iraq in Iranian politics, Leiden1977.

95 Zum Profil Sistanis vgl. Tarik Kafala, Profile: Ayatollah Ali Sistani, in: BBC-Persian News Online, Zugriff12. Januar 2004.

96 Der Terminus Quietismus ist gleichzusetzen mit nach innen gekehrt oder apolitisch.

97 Zu den Hierarchien innerhalb der Institution des schiitischen Klerus siehe: Ahmad Kazemi Moussavi, TheInstitutionalization of Marja'-I Taqlid in the Nineteenth Century Shi'ite Community, in: The MuslimWorld, Jg. LXXXIV, Nr. 3-4, S. 279-299.

98 Vgl. hierzu Amir Taheri, Shiite Schism, Wall Street Journal, 07. April 2003.

99 Siehe Pressekonferenz Mohammad Khatamis in Davos/Schweiz zum Weltwirtschaftsforum, CNN, 21. Ja-nuar 2004.

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und teilten anfänglich die Ansichten des erzkonservativen Lagers. Die Tatsache, dass Ha-kim von seiner ursprünglichen Position, nämlich der Errichtung eines „Gottesstaates“nach iranischem Vorbild, abgewichen ist, lässt sich vor allem aus dem Konzept der inhä-renten Wandelbarkeit verstehen. Der Positionswandel al-Hakims hängt in erster Linie mitdem Wunsch nach Unabhängigkeit (auch von Iran) und Selbstbestimmung zusammen;denn im iranischen Exil hatten sich Hakim und seine Anhänger in der Situation der A-sylsuchenden den vorherrschenden konservativen Perzeptionen zu fügen. Dies sollte sichmit der Integration der al-Hakim-Dynastie in die Übergangsregierung ändern. Als Nach-folger Ayatollah Mohammed Bakr al-Hakims fungiert dessen Bruder Abd al-Aziz al-Hakim. Dieser plädiert für eine Trennung von Staat und Religion und macht sich für ei-nen demokratischen Irak stark.

Der Sohn des Groß-Ayatollah Abdelqasem al-Khoi (1899-1992),100 Abdelmajid al-Khoi, der mit den Briten kooperierte, wurde ebenfalls von radikalen Schiiten ermordet.Groß-Ayatollah Khoi galt 40 Jahre lang als die Autoritätsperson innerhalb der Schia. DieKhoi-Anhänger stehen für einen liberalen Islam und fordern gleichberechtigte Staatsbür-gerschaft für alle Irakis sowie die Schaffung einer parlamentarischen Demokratie. Abdel-majid Khoi hatte den Versuch unternommen, eine schiitische Einheit zu kreieren. Diezentrale Khoi-Stiftung hat ihren Europa-Sitz in London.101 Eine weitere politische Rich-tung innerhalb der Schia repräsentieren die Anhänger des Muqtada al-Sadr, des Sohnesdes ermordeten Ayatollah Mohammed Bakr al-Sadr. Al-Sadr vertritt die radikalste Positi-on in der schiitischen Gemeinschaft und strebt einen „Gottesstaat“ an. Als Resümee lässtsich ziehen, dass eine einheitliche schiitische Front auf der Basis des Nationalismus in na-her Zukunft einen bedeutenden Gegenpol zum iranischen Schiitentum bilden kann.Schon jetzt läuft Najaf dem theologischen Zentrum in Qum den Rang ab. Politisch be-deutet es, dass die pluralistische Organisationsform in der Schia wiederbelebt und somitRaum für alternative Interpretationen geschaffen wird.102

100 Zur Biographie siehe: www.al-islam.org/biographies/khoei.html.

101 Die „Al-Khoi Foundation“ im Nordwesten Londons besteht aus einem islamischen Zentrum, einer Bib-liothek, zwei Schulen und fungiert als Herausgeber der Monatszeitschrift al-Nur, die in arabischer undenglischer Sprache erscheint. Vgl. hierzu Qolamreza Eslami, Qorube chorshide foqahat, Qum1373/1994, S. 42.

102 Zu den verschiedenen schiitischen politischen Kräften im Irak siehe: Ferhard Ibrahim, Die politischenKräfte im Irak nach dem Regimewechsel, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/25, Bonn, 10. Juni2003, S. 45-55.

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26 Semiramis Akbari

5. Irans internationale Außenpolitik am Beispielder Atompolitik

5.1 Atompolitik in der Schah-Ära

Entwicklung, Ausbau und Nutzung eines facettenreichen zivilen Nuklearprogramms sindein ehrgeiziges Ziel, das es nicht erst seit dem Bestehen der Islamischen Republik gibt.Seine Anfänge gehen auf das Jahr 1957 zurück, in dem Iran mit den USA ein Abkommenim Rahmen des Programms „Atoms for Peace“ unterzeichnete. Zwei Jahre später trat Te-heran der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO) bei. Der erste Forschungsre-aktor wurde 1959 von den USA an Iran geliefert. Etliche iranische Studenten wurden inden USA zu Nuklearphysikern ausgebildet. 1968 unterzeichnete Iran den Atomwaffen-sperrvertrag (NPT), der dann 1970 ratifiziert wurde. Schließlich statteten die USA IranEnde der 60er Jahre mit einem kleinen Forschungsreaktor aus, der den „IAEO-Safeguards“unterstellt ist. Dadurch erhielt Iran den Zugang zu ziviler nuklearer Technologie. DerSchah plante bis Mitte der 90er Jahre den Bau von 23 Kernreaktoren. Auch die europäi-schen Länder, allen voran Deutschland und Frankreich, unterstützten die ehrgeizigenPläne des autoritären Schahs in vollem Umfang. Im Rahmen der deutsch-iranischen Ko-operation wurde das Siemens-Tochterunternehmen „Kraftwerke-Union“ (KWU) mitdem Bau zweier Reaktoren in der südiranischen Stadt Bushehr beauftragt. Während desOst-West Konflikts unterstützten die USA das iranische Prestigeprojekt.

103 Aufgrund der

konventionellen militärischen Überlegenheit gegenüber seinen Nachbarstaaten (Türkei, I-rak, Afghanistan, Pakistan) in den 70er Jahren sah der Schah jedoch keinen Anlass, diemilitärische Nutzung der Atomenergie voranzutreiben.

104

Auch mit Blick auf die UdSSR und die iranischen Interessen in der Golfregion warMohammad Reza Schah der festen Überzeugung, seinen Status quo mit konventionellenWaffen verteidigen zu können:

„He thought (with good reason) that the build-up of very sophisticated conventional mili-tary power in Iran would constitute a credible deterrent to any attempt by any of the coun-tries in the region, with the notable exception of the USSR. In this vision, a powerful con-ventional armed force in the region was much more credible (and usable) than the acquisi-tion of nuclear weapons.“

105

Nichtsdestotrotz wurde in der Schah-Ära die Basis für ein Waffenprogramm mit For-schungsarbeiten zur Urananreicherung und Wiederaufbereitung von Brennstäben ge-

103 Vgl. Henning Riecke, The Most Ambitious Agenda: Amerikanische Diplomatie gegen die Entstehungneuer Kernwaffenstaaten und das Nukleare Nichtverbreitungsregime, Berlin, 2002, http://www.diss.fu-berlin.de/2002/9/.

104 Vgl. u. a. Akbar Etemad, Iran, in: Harald Müller (Hg.), A European Non-Proliferation Policy. Prospectsand Problems, Oxford, 1987, S. 203-228; Gholam Reza Afkhami (Hg.), Barnameh-ye enerji-ye atomi-yeiran, talash- ha va tanesh-haa (Iran’s Atomic Energy Program), Foundation for Iranian Studies, 1997.Etemad war unter dem Schah der Direktor der Atomenergie Kommission.

105 Akbar Etemad, ebenda, S. 213.

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Iran zwischen amerikanischem und innenpolitischem Druck 27

legt.106

Der Schah bezweckte damit, sich bei einer aus iranischer Sicht ungünstigen Ver-schiebung des strategischen Gleichgewichts am Persischen Golf die Option, über Kern-waffen verfügen zu können, auf lange Sicht offen zu halten.

107

5.2 Atompolitik im postrevolutionären Iran

Mit der Islamischen Revolution endeten zunächst die Aktivitäten auf dem Gebiet derNuklearforschung, und zwar aus ethischen Gründen: Massenvernichtungsmittel warenmit schiitischen Werten und Normen nicht vereinbar. Daher verweigerte der führendegeistliche Rechtsgelehrte Ayatollah Khomeini die weitere Forschungserlaubnis. Die Kon-sequenz war, dass die führenden Nuklearforscher emigrierten und die amerikanischenund europäischen Kooperationspartner die Verträge mit Iran lösten. Erst der Einsatz vonChemiewaffen im Ersten Golfkrieg (1984) führte innerhalb der religiös-politischen Elite,allen voran bei Ayatollah Khomeini, zu der Entscheidung, das iranische Nuklearwaffen-programm wieder aufzunehmen. 1984 entdeckte die IAEO größere Mengen an Uranvor-kommen in Yazd (in Zentraliran). Parallel zum Atomprojekt wurde ein Forschungs- undEntwicklungsprogramm aufgebaut.108

Während des Iran-Irak-Kriegs wurde die Anlage in Bushehr schwer beschädigt. DerBau der dortigen Reaktoren wurde zwar von Siemens begonnen, dann aber auf Weisungder Bundesregierung gestoppt. Ende der 80er Jahre wurde Iran zunehmend mit der ame-rikanischen Eindämmungspolitik konfrontiert. Die USA versuchten hier erfolglos, denwichtigsten Nuklearhandelspartner Irans, Russland, im Kampf gegen die nukleare Prolife-rationsgefahr auf ihre Seite zu ziehen. Mitte der 90er Jahre erklärte sich Moskau bereit, dieAnlage in Bushehr fertig zu stellen.109 Die besondere Hinwendung zu Russland, China undNordkorea ist als Konsequenz aus dem Abbruch der Beziehungen zu den USA seit der Is-lamischen Revolution zu sehen. China übernahm die Fertigstellung des nuklearen For-schungszentrums in Isfahan. Auf Drängen der USA zog sich schließlich China als Nukle-arhandelspartner zurück. Die iranische Regierung betrachtet die Exportkontrollpolitikund Ausfuhrbeschränkungen seitens der amerikanischen Regierung bei Nukleartechnolo-gien als Verletzung des Artikel IV des NVV. Der Vorwurf der USA hingegen lautet, Iranbetreibe ein geheimes Nuklearwaffenprogramm.

Der Verdacht der heimlichen Urananreicherung und schließlich die Entdeckung vonwaffenfähigem Uran mit Hilfe der „Wischprobentechnik“ in der Elektrofabrik Kalai-e E-lectric im Süden der Hauptstadt Teheran durch IAEO-Inspektoren hatten zu einem Ulti-matum der IAEO (IAEO-Resolution von 12. September 2003) geführt, das Teheran auf-

106 Vgl. ebenda, S. 206 f.

107 Vgl. Auszug aus Afkhami (Hg.), a.a.O. (Anm. 104), S. 7.

108 Vgl. Akbar Etemad, a.a.O. (Anm. 104), S. 206.

109 Zu den russischen Aktivitäten und der Zusammenarbeit mit den Iranern siehe: Robert J. Einhorn/GarySamore, Ending Russian Assistance to Iran’s Nuclear Bomb, in: Survival, Jg. 44, Nr. 2, London, Sommer2002, S. 51-71.

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forderte, sein Atomprogramm offen zu legen. Im August 2002 hatten iranische Exilgrup-pen, darunter die Oppositionsgruppe Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI), die Ge-heimdienste darauf aufmerksam gemacht, dass das Atomprogramm Irans umfangreichersei als bisher vermutet. Die Organisation NWRI ist auch unter dem Namen „Volksmoja-hedine Iran“ bekannt und gilt als einer der heftigsten Widersacher der Islamischen Repu-blik.110

Die geheime Atomanlage Natanz (160 Kilometer südöstlich von Teheran) wurdedurch Satellitenbilder Ende 2002 entdeckt. Die IAEO-Inspektoren stellten im Nuklear-komplex in Natanz (20 Meter unter der Erde) Spuren hochangereicherten Urans sicher,woraufhin die Regierung in Erklärungsnot geriet. Schließlich teilte sie mit, dass die Zent-rifuge bereits mit Uran verunreinigt gewesen sein müsse, bevor sie importiert wurde. Iranverfügt über nuklear-technische Anlagen in Bushehr

111, Teheran

112, Natanz

113, Ramsar, A-

rak (200 Kilometer südwestlich der Hauptstadt)114

, Saghand bei Yazd115

und Lashkar A-bad

116. Außerdem existieren zwei Atommülllager in Karaj und Anarak. Die Zahl der Anla-

gen und die verschiedenen Standorte belegen, dass Iran bereits eine nukleare Infrastrukturaufgebaut hat, die er in den nächsten Jahren weiterhin auszubauen gedenkt.

Am 21. Oktober 2003 willigte die Regierung in Teheran ein, das von der Internationa-len Atomenergiebehörde (IAEO) geforderte Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrver-trag zu unterzeichnen. Nach langem Tauziehen unterschrieb der iranische Gesandte AliSalehi am 18. Dezember das Zusatzprotokoll im Wiener Sitz der IAEO.117 Damit kommt I-ran den politischen Forderungen der Atomenergiebehörde formell nach, nämlich denIAEO-Inspektoren Zutritt zu den Atomanlagen zu gewähren, Berichte über den Importvon Nuklear-Technik vorzulegen und mit der IAEO ein Zusatzabkommen zu unterzeich-nen, das den IEAO-Inspektoren uneingeschränkte Rechte zu Kontrollen vor Ort ein-räumt. Außerdem wurde ausgehandelt, dass Iran die Anreicherung von waffenfähigem U-ran aussetzt. Diese Entscheidung war Ergebnis der amerikanische Drohkulisse und der eu-ropäischen Vermittlungsbemühungen. Damit wurde die amerikanische Drohung, imFalle eines Nicht-Kooperierens Irans den UN-Sicherheitsrat einzubeziehen, der dannentsprechende Sanktionen verhängen sollte, diplomatisch abgewendet. Nach Beendigungder Verhandlungen mit der IAEO im Oktober 2003 erklärte der iranische Außenminister

110 Vgl. Harald Müller, Nukleare Krisen und transatlantischer Dissens, Amerikanische und EuropäischeAntworten auf aktuelle Probleme der Weiterverbreitung von Kernwaffen, HSFK-Report 9/2003, Frank-furt/M., 2003.

111 Bushehr: Kernkraftwerk im Bau.

112 Teheran: Forschungsreaktor, Atomlabors, abgebaute Anreicherungsanlage. Der Name „Sharif Universityof Technologie“ (SUT) wird in den Berichten mit der Entwicklung von Nukleartechnologie in Verbin-dung gebracht.

113 Natanz: Anreicherungsanlagen, Pilotanlage zu Uran-Anreicherung.

114 Schwerwasserreaktor in Planung, Schwerwasserfabrik im Bau.

115 Noch im Februar 2003 Uranabbau.

116 Anreicherungsanlage mit Lasertechnik (abgebaut).

117 Vgl. taz, 19. Dezember 2003.

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Kamal Karrazi, dass die Anreicherung von Uran nur vorübergehend ausgesetzt wordensei. Diese Haltung und die Entdeckung von nicht deklarierten Zentrifugenmodellen durchIAEO-Inspektoren führten am 13. März zu der Formulierung der Kritischen Resolutiondes IAEO-Direktoriums.118 Bereits im Februar 2004 legte die IAEO einen Bericht vor, ausdem hervorgeht, dass Iran zwar Kooperationsbereitschaft gezeigt, gleichzeitig jedochwichtige technische Bauvorlagen nicht deklariert habe. Der Konflikt geht um die Bauplänefür die P-2 Zentrifuge, mit der Uran so stark angereichert werden kann, dass es alsSprengstoff in Atombomben verwendbar wäre.119 Als Reaktion auf die Kritische Resoluti-on setzte Iran, unter dem Vorwand der Neujahrsfeierlichkeiten (Noruz), die Inspektionenaus. Erst auf amerikanischen Druck hin, dem sich in diesem Fall die Europäer anschlos-sen, stimmte man zu, die Inspektionen wieder aufzunehmen.120

5.3 Die regionale Logik der iranischen Sicherheitsstrategie(esterategi-ye amniati)

Die regionale Logik der iranischen Sicherheitsstrategie beruht auf dem Zusammenwirkenmehrerer Faktoren. Zunächst erwuchs eine neue Sicherheitsstrategie aus den Erfahrungendes Krieges mit der Regionalmacht Irak in den 80er Jahren. Sodann dürfte einer derHauptgründe für das neue Sicherheitsdenken der gesteigerte politische und militärischeEinfluss der USA in der Golfregion nach dem 11. September sein: Iran fürchtet, die US-Präsenz am Persischen Golf werde früher oder später eskalieren und zu einem Angriff ge-gen das eigene Land führen. Der dritte Beweggrund, der aus iranischer Regierungssichtfür ein nukleares Waffenprogramm spricht, ist der Faktor Israel. Ein eigenes Nuklearpro-gramm gibt Iran die Möglichkeit, ein Gleichgewicht zu Israels Nuklearwaffen zu schaf-fen.

121 Einer der zentralen Gründe für die Herausbildung der anti-amerikanischen Hal-

tung ist die pro-israelische Außenpolitik der USA und die Allianz der Bush-Administration mit der israelischen Lobby in Washington, dem American Israel PublicAffairs Committee (AIPAC).

122 Die amerikanischen Neokonservativen identifizieren sich

seit dem Sieg der israelischen Streitkräfte im Sechs-Tage-Krieg 1967 stark mit den Israelis.Der israelische Staat wird als einzige Demokratie im gesamten Nahen und Mittleren Ostenbetrachtet. Die Aussage „America’s fate and Israel’s fate are one and the same“ macht dieGrundposition der Neokonservativen in der Bush-Administration deutlich. Sie rechtfer-tigt ihre Verpflichtung, eine demokratische Nation immer mit allen Mittel zu verteidigen,das heißt auch mit präventiver Kriegsführung und gewaltsamer Verbreitung der Demo-

118 Vgl. Item 5(a) of the provisional agenda (GOV/2004/1).

119 Vgl. ebenda, S. 8.

120 Vgl. www.bbc.uk/iran/story/2004/03/printable/040315_la-iranbaradei.shtml.

121 Die amerikanische Führung achtet bei ihrer öffentlichen Präsentationen darauf, dass ein Symmetrie-Argument nicht aufkommt.

122 Vgl. u. a. James A. Bill, The Politics of Hegemony. The United States and Iran, in: Middle East Policy, Jg.8, Nr. 3, Washington, September 2001, S. 89-100; Oliver Thränert, Der Iran und die Verbreitung vonABC-Waffen, SWP-Studie, Nr. 30, Berlin, 2003.

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kratie, mit dem sozialen Konstrukt des nationalen Interesses.123

Auf amerikanischer Seiteüben die so genannten „Denkfabriken“ (Think Tanks) einen großen Einfluss auf denEntscheidungsfindungsprozess der Regierung aus, darunter das American Enterprise In-stitute (AEI) und das Project for a new American Century (PANC). In der wissenschaftli-chen Literatur gilt es als wahrscheinlich, dass ihre langfristigen Pläne den Umsturz desverhassten Mullah-Regimes und die Reformierung bzw. Modernisierung des Islam bein-halten.

124 Israel hat das fortschrittlichste Nuklearprogramm im gesamten Nahen Osten.

Trotzdem ist es dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) nicht beigetreten. ImGegensatz zu Iran, der bereits 1970 den NVV unterschrieben hat, weigert sich Israel, esihm gleichzutun. Außerdem lehnt Israel es ab, seine Atomanlagen unter IAEO-Aufsichtzu stellen. Der israelische Staat hat Iran des öfteren mit Krieg gedroht. Die israelische A-tompolitik trägt so zum atomaren Rüstungswettlauf im Nahen Osten bei und wird vonTeheran als Bedrohung für Frieden und Sicherheit wahrgenommen.

125

Aus der Analyse der regionalen Logik der iranischen Sicherheitsstrategie am BeispielIsraels folgt mithin, dass die gängige kategorische Unterscheidung zwischen „Reformern“und „Konservativen“ nicht immer zutrifft und irreführend wirken kann. Spätestens mitder Betonung des „friedlichen Charakters des Kernenergieprogramms“ des als liberal undreformorientiert geltenden Staatspräsidenten Khatami und dem gleichzeitigen Aufruf desVizepräsidenten Mohammad Reza Aref zur Teilnahme an den „Jerusalem-Tag-Demonstrationen“, (arab. „Al-Quds“ Demonstrationen

126) am Ende des Fastenmonats

Ramadan offenbart sich dies. Denn ob Reformer oder Konservative, beide verfolgen die-selben außenpolitischen Ziele in Bezug auf den Palästinakonflikt und den Umgang mitdem US-Verbündeten Israel. Die Polarisierung der politischen Positionen erweist sichnicht nur auf der Ebene der internationalen Beziehungen als problematisch, sondern auchbei der Analyse der innenpolitischen Entwicklungen.

127

Eine weitere Motivation für die Schaffung einer eigenen atomaren Infrastruktur istdarin zu sehen, dass sowohl Pakistan als auch Indien über ein eigenständiges militärisches

123 Einen Überblick über die Bush-Außenpolitik gibt: Ernst-Otto Czempiel, Weltpolitik im Umbruch. DiePax Americana, der Terrorismus und die Zukunft der internationalen Beziehungen, München, 2002.

124 Vgl. hierzu u. a. Alexandra Homolar-Riechmann, Pax Americana und gewaltsame Demokratisierung: Zuden politischen Vorstellungen neokonservativer Think Tanks, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46,Bonn, 10. November 2003, S. 33-40; Diane Stone, Capturing the Political Imagination. Think Tanks andthe Policy Process, London, 1996; John Calabrese, The United States and Iran without Illusions, MiddleEast Institute Perspective, Washington, 10. June 2003.

125 Bereits im November 2003 hat der israelische Premierminister Ariel Scharon in einem Interview mit derbritischen Zeitung The Times gefordert, Iran ins Visier zu nehmen, sobald das Irakproblem gelöst sei.Vgl. u. a. AFP 5. November 2002; Johannes Reissner, Iran nach dem Irak-Krieg. Zwischen amerikani-schem Druck und europäischer Annährung, SWP-Studie, Nr. 25, Berlin, Juni 2003; Patrick Clawson,The Potential for Iran to Provoke Further Nuclear Proliferation in the Middle East, in: Eugene Whitlock(Hg.), Iran and Its Neighbors. Diverging Views on the Strategic Region, SWP, Jg. 1, Berlin, Juli 2003.

126 Die Anti-Israelische „Al-Quds-Demonstration“ geht auf Ayatollah Khomeini zurück, der diesen Tagzum internationalen „Al-Quds-Tag“ erklärte und zu Solidaritätsbekundungen mit den Palästinensernaufrief.

127 Vgl. IRNA, 17. November 2003.

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Atomprogramm verfügen und keinerlei internationalen Kontrollen unterworfen sind. Dienuklearen Nachbarn haben somit vollendete Tatsachen für die sicherheitspolitischen Pla-nungen Irans geschaffen. Als Fazit kann konstatiert werden, dass die Faktoren Israel undSüdasien die regionalen und internationalen Sicherheitsinteressen Irans erheblich berüh-ren.

5.4 Positionen der Reformer, Erzkonservativen und pragmatischorientierten Konservativen zur Unterzeichnung des Zusatzprotokollszum Atomwaffensperrvertrag

Instrumentalisiert die US-Regierung den Atomstreit für Invasionsabsichten in Iran? Dieswar die Frage, die in den iranischen Medien, der Öffentlichkeit und bei den politischenEntscheidungsträgern heiß diskutiert wurde. Allerdings gingen die Erzkonservativen, diepragmatisch orientierten Konservativen und die Reformer mit der Angst vor einer ameri-kanischen Invasion, der Verletzung der iranischen Souveränität und der existenziellen Be-drohung des „Gottesstaates“ in Verbindung mit dem iranischen Nuklearprogramm un-terschiedlich um. Dies führte zu einem innenpolitischen Streit um die Offenlegung desAtomprogramms und die Unterzeichnung des Zusatzprotokolls.

Anhänger des Revolutionsführers Ayatollah Ali Khamenei plädierten dafür, das vomGouverneursrat geforderte Zusatzprotokoll nicht zu unterzeichnen. Die Befürchtungender Erzkonservativen gingen verstärkt dahin, dass dieses Ultimatum die Souveränität I-rans antasten könne. Die vorherrschende Meinung innerhalb des konservativen Lagerswar die, dass Washingtons Druck auf Teheran auch dann nicht nachlassen werde, wenn I-ran das Zusatzprotokoll unterzeichne. Während Reformer und pragmatisch orientierteKonservative auf diplomatische Zusammenarbeit mit den europäischen LändernDeutschland, Frankreich und Großbritannien setzten, bedienten sich die Erzkonservati-ven des alten Feindbildes vom „Großen Satan“. Die Internationale Atomenergiebehörde(IAEO) wurde von den Erzkonservativen als Handlager der USA denunziert, sie lehntenjeden Kooperationsversuch kategorisch ab. Die Reformer und pragmatisch orientiertenKonservativen hingegen erkannten frühzeitig, dass angesichts des US-Drucks eine Politikder Deeskalation erforderlich war. So schwankte Iran zwischen Antiamerikanismus ei-nerseits und Pragmatismus mit Kooperationsbereitschaft andererseits. Schließlich konntesich die Strategie der Betonung des „friedlichen Charakters des Kernenergieprogramms“durchsetzen. Damit schwenkten auch die Erzkonservativen um den Revolutionsführer aufdie pragmatische Linie ein. Als Vertreter der pragmatischen Konservativen gilt HassanRowhani, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates. Rowhani führte die Verhandlungenmit den europäischen Vertretern über das iranische Nuklearprogramm. Die erfolgreicheStrategie des „friedlichen Charakters des Kernenergieprogramms“ geht auf seine Personzurück. Rowhanis Pragmatismus setzte sich auch durch, als es um die Frage der Wieder-aufnahme der Inspektionen ging. Rowhani will die Inspektoren ohne Vorbedingung am27. März 2004 wieder ins Land lassen und spricht von vertrauensbildenden Maßnahmen

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(etemad sazi).128

Für Rowhani ist die Frage der P-2-Zentrifuge und des Poloniums 210keine politische (siyasi), sondern lediglich eine technische (fani).

129 Auf diese Weise

konnte Iran vorerst, d.h. bis zur Sitzung des IAEO-Direktoriums im Juni 2004, verhin-dern, dass der Fall an den Weltsicherheitsrat weitergeleitet wird.

5.5 Die erfolgreiche Strategie des „friedlichen Charaktersdes Kernenergieprogramms“

Was beinhaltet die Strategie des „friedlichen Charakters des Kernenergieprogramms“? Istsie reine Verschleierung? Gesichtswahrung? Behauptung eines verbrieften Rechts? Taktikzur Spaltung der Amerikaner und Europäer? Spielt das Regime auf Zeit? Wollen die Frak-tionen der Reformer und pragmatischen Konservativen die Welt vor vollendete Tatsachenstellen? Wie konnte sich diese Strategie erfolgreich durchsetzen? Ein Bündel von Fragen,das beantwortet werden will.

Unabhängig von den inneren Diskursen im Parlament und bei den Freitagsgebetenbegann die Regierung eine diplomatische „Strategieroute“ festzulegen. Häppchenweisewurden Informationen an die IAEO weitergeleitet, Zugeständnisse gemacht und Koope-rationsbereitschaft signalisiert. Das Ergebnis der erfolgreichen Diplomatie der herrschen-den Kleriker war die Strategie des „friedlichen Charakters des Kernenergieprogramms“. I-ran behauptet offiziell, das Atomprogramm diene der zivilen Stromerzeugung. Für Präsi-dent Khatami gilt das iranische Nuklearprogramm als ein nationales Recht des Landes,auf das er nicht verzichten möchte. Darüber hinaus macht Khatami klar, dass die Islami-sche Republik sich technisches Wissen und moderne Technologien aneignen dürfenmuss.

130 Gleichzeitig versichert er, dass Iran den Besitz von Atomwaffen nicht anstrebe.

Khatamis Insistieren auf der „friedlichen Nutzung“ erstaunt nicht; schließlich ist das lautArtikel IV des NVV Irans verbrieftes Recht. Mit seinen Zugeständnissen bestätigt Teheran,dass das Land ein Programm zur Urananreicherung unterhält. Der politische Konflikt istdarin zu sehen, dass die Urananreicherungsstätte in Natanz von der iranischen Regierunggeheim gehalten und von der IAEO erst vor einem Jahr entdeckt wurde. Dem Bericht derAtomenergiebehörde zufolge hat Iran zwar gegen den Atomsperrvertrag verstoßen, dochhabe er auch in der Sache mit der Atomenergiebehörde volle Kooperation gezeigt. Alspositiv bewertet wurde der Verzicht Irans, in Natanz Uran anzureichern.

131

Mit der verstärkten politisch-strategischen Hinwendung zu Europa erreichte Iranzweierlei: Er konnte verhindern, dass die Europäer sich den Forderungen der USA beug-ten, und er konnte erste diplomatische Erfolge verbuchen. Spätestens mit der Einladung

128 Vgl. www.mfa.gov.ir/mfa/farsi, vom 1382/12/20 sowie vom 1382/12/21.

129 Vgl. IRNA, 14. März. 2004.

130 Zu Khatamis Ambitionen vgl. in Persisch: www.isna.ir/news, vom 1382/12/27; ferner Die ZEIT, Nr. 45,30. Oktober 2003.

131 Item 3(b) of the provisional agenda of the Board’s meeting commencing on 20 November 2003,(GOV/2003/71).

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der deutschen, britischen und französischen Außenminister nach Teheran gelang es den i-ranischen Entscheidungsakteuren, die Europäer von ihrer „friedlichen Nutzung des Nuk-learprogramms“ zu überzeugen. Amerikanische Kritiker hielten den Europäern vor, sichunter Erfolgsdruck auf die Linie Irans eingelassen zu haben. Indes ist die europäische Po-sition, die Entwicklung moderner Technologien zu unterstützen, durchaus verständlich,wenn man sich auf den Artikel IV des NVV beruft, denn dieser verpflichtet zu internatio-naler Zusammenarbeit bei friedlicher Nutzung der Kernenergie.

132

Die Mehrheit der Experten unterstellt, dass die Strategie des „friedlichen Charaktersdes Kernenergieprogramms“ reine Verschleierung ist und die Mullahs glauben, sich nurmit einer Atombombe gegen ihre Nachbarn und die Amerikaner behaupten zu können.Durch die Aussage des iranischen Verhandlungsführers und Vorsitzenden des NationalenSicherheitsrates, Hassan Rowhani, vom 24. Oktober 2003 sahen sich Kritiker in ihrer Ü-berzeugung bestätigt. Rowhani teilte mit, dass Iran über die Technologie zur Urananrei-cherung verfüge und das Programm nicht aufgeben werde. Dies wurde als Indiz dafürgesehen, dass Iran mit der Vereinbarung drei Tage zuvor lediglich die vereinigte Frontdurchbrechen und Europa und die USA spalten wollte. Die IAEO-Inspektoren decktenVersuche zur Urananreicherung auf und warfen den Iranern mangelnde Kooperation vor.Dies führte, wie oben erläutert, im März 2004 zu der Kritischen Resolution des IAEO- Di-rektoriums.

Ob die beteuerten „friedlichen Absichten“ nichts als reine Verschleierung, Gesichts-wahrung oder Spaltungsstrategie sind, sei dahingestellt. Gegenwärtig sollte man seinHauptaugenmerk auf die Frage lenken, ob sich Iran Komponenten und Expertise für dieHerstellung der Bombe beschafft, ohne aber mit dem Bau zu beginnen. Nicht ausge-schlossen ist, dass sich Iran, wie einst der Schah es tat, die Option offen halten will, jeder-zeit über Kernwaffen verfügen zu können. Die Betonung liegt dabei auf dem Begriff „Of-fenhalten“. Als Resümee kann festgehalten werden, dass die regionale Logik der iranischenSicherheitsstrategie nur vor dem Hintergrund der veränderten Sicherheitslage zu verste-hen ist. Die amerikanische Isolations- und Drohpolitik erweist sich hier als nicht ebenkonstruktiv, um Anreize für ein verändertes Sicherheitsdenken in Iran zu schaffen. In deraktuellen Sicherheitslage hätte womöglich auch der Schah den Befehl zur Produktion vonNuklearwaffen gegeben.

133 Vielleicht eröffnet der Ausgang der Parlamentswahlen zu

Gunsten der pragmatisch orientierten Konservativen neue Chancen. Die Einhaltung derinternationalen Abkommen über Nuklearmaterial könnte eine gute Basis für Verhand-lungen mit Washington bieten. Denn im Gegensatz zu den Reformern konnten sich diepragmatisch orientierten Konservativen bisher als handlungsfähige Verhandlungspartnerprofilieren.

132 Vgl. Sarkohi, a.a.O. (Anm. 130), S. 14.

133 Diese Position vertritt Akbar Etemad in der Debatte um den Bau der iranischen Atombombe. Vgl. hier-zu Christoph Plate/Markus Spillmann, Iran unter Druck. Die Zentrifugen von Natanz. Die Welt ist auf-geschreckt über Teherans Nuklearprogramm, NZZ am Sonntag, 12. Oktober 2003.

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6. Fortsetzung der pragmatischen Außenpolitik?

6.1 Präsidentschaftswahlen 2005 – Wer ebnet demfriedlichen pragmatischen Aufbruch den Weg?

Die Reformen auf parlamentarischer Ebene sind vorerst gescheitert. Daran lässt sich eineKräfteverschiebung weg von parlamentarischer Opposition hin zu einer gestärkten Zivil-gesellschaft (game-e ye madani) ablesen. In Iran existiert zwar keine Zivilgesellschaft imwestlichen Sinne, es gibt aber durchaus zivilgesellschaftliche Potenziale. Diese sind nichtper se für einen friedlichen Wandel und eine demokratische Transition, aber es gibt Kräf-te, die eine Entwicklung in diese Richtung anstreben. Ob der pragmatische Aufbruch ge-waltarm und friedlich verläuft oder nicht, wird sich in der näheren Zukunft zeigen. Ent-scheidend sind sicherlich die Präsidentschaftswahlen im Mai 2005.134

Obschon die Parlamentswahlen erst einige Wochen zurückliegen, schauen sich die Eu-ropäer nach verlässlichen Verhandlungspartnern um. Wer ist in der Position, mit Wa-shington Gespräche und Verhandlungen einzuleiten? Dem iranischen StaatspräsidentenKhatami bleibt bekanntlich nur noch ein Jahr der stillen Diplomatie mit den Konservati-ven. Er hat zwei Legislaturperioden hinter sich, ein drittes Mal darf er nicht antreten. DieReformer akzeptieren die Wahlergebnisse, sind aber zuversichtlich, in vier bis acht Jahrenwieder die Mehrheit im Parlament stellen zu können. In den westlichen Medien wird be-reits über mögliche Präsidentschaftskandidaten spekuliert. Drei Namen tauchen immerwieder auf: die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, der pragmatisch orientierte ehe-malige Staatspräsident Rafsanjani und neuerdings der konservative Pragmatiker HassanRowhani.

Shirin Ebadi, die als Integrationsfigur der Frauenbewegung gilt, hat bereits vor denParlamentswahlen ihre Ambitionen bestritten. Die Frauenbewegung wird zwar weiterhinals Motor für den gesellschaftlichen Wandel fungieren, beispielsweise bei der Sensibilisie-rung für die Einhaltung der Menschenrechte, dennoch wird sie es aufgrund der instituti-onellen Gegebenheiten schwer haben, überhaupt zur Kandidatur zugelassen zu werden.

Es spricht einiges dafür, dass Rafsanjani sich als Präsidentschaftskandidat aufstellenlassen wird. Als Vorsitzender des Schlichtungsrates, der zwischen dem Parlament (Majles)und dem erzkonservativen Wächterrat (Shura-ye negahban) vermittelt, übt der früherePräsident großen politischen Einfluss aus. Der Name Rafsanjani steht für eine Mischungaus wirtschaftlicher Liberalisierung und außenpolitischem Pragmatismus. RafsanjanisMachtposition erklärt sich auch aus den verschiedenen politischen und wirtschaftlichenAktivitäten seiner gesamten Familie. Innerhalb der pragmatischen Fraktionen um ihn gibtes zwei Hauptströmungen bzw. Parteien, die jeweils von seinen beiden Töchtern gegrün-det wurden. Die eine gründete nach dem Scheitern Rafsanjanis bei den sechsten Parla-mentswahlen die so genannte „Mäßigungs- und Entwicklungspartei“ (hezbe e'tedal va to-

134 Vgl. Omid Nouripour, Iran – Die Rolle der Zivilgesellschaft nach dem Scheitern der Reformen, i.D.

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se'eh) und die andere „Diener des Aufbaus“ (hezbe kargosaran-e sazandegi). Beide Grup-pierungen bestehen aus Technokraten. Der Kernunterschied zwischen ihnen ist die un-terschiedliche Akzentuierung der kulturellen Werte. Die erstgenannte Partei deckt sich inihren Wertvorstellungen mit den pragmatisch orientierten Konservativen. Im Gegensatzzu ihnen sympathisieren die Kargosaranmitglieder mit den Reformern.135 Unabhängig vonder Entwicklung und Etablierung der Parteien um Rafsanjani gibt es aber auch Gründedafür, dass er sich wahrscheinlich nicht als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassenwird. Um seine Person gab es im Vorfeld der sechsten Parlamentswahlen im Februar 2000heftige Auseinandersetzungen, die schließlich zu seinem Verzicht auf eine Kandidaturführten. Im Falle einer Kandidatur bleibt abzuwarten, ob er tatsächlich dann das Vertrau-en der Wähler für sich gewinnen kann.

Ein aussichtsreicherer Kandidat scheint der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates,Hassan Rowhani, zu sein. Er hat bereits bei den Verhandlungen um das iranische Nukle-arprogramm diplomatisches Geschick bewiesen. Seine Befürworter schätzen an ihm seineDurchsetzungsfähigkeit und Dynamik, die dem amtierenden Staatspräsidenten fehlen.Rowhani genießt das Vertrauen des Revolutionsführers und pflegt guten Kontakt zu Raf-sanjani. Die Mischung aus Pragmatismus und konservativer Grundhaltung scheint einerealistische Alternative zu sein. Gerade als pragmatisch orientierter Konservativer wäre einStaatspräsident Rowhani in der Lage, die bilateralen Beziehungen zu Washington zuverbessern.

Die kommenden Monate werden mehr Aufschluss darüber geben, ob die vorgestelltenpotenziellen Präsidentschaftskandidaten sich tatsächlich der Wahl durch das Volk stellenwerden. Eines haben sie alle gemeinsam: Der Weg, den sie einschlagen wollen, führt nicht„zurück ins Mittelalter“, sondern zu pragmatischem Aufbruch.

6.2 Lernprozess im Gottesstaat

Die Frage, ob der Pragmatismus im nachrevolutionären Iran sich auf Dauer durchsetzenkann und wie die pragmatische Elite mit außenpolitischen Herausforderungen auf regio-naler und internationaler Ebene umgehen wird, steht immer häufiger im Mittelpunkt derinternational geführten Diskurse über das künftige Staats- und Entwicklungsmodell desLandes. Der Prozess des sozialen und politischen Wandels auf der Basis des Pragmatismusschuf 1989 die Grundlage für eine Erweiterung der Optionen der iranischen Außenpolitik.Trotz einer innergesellschaftlich kontrovers geführten Debatte von hoher Dynamikkonnte sich die politische Strategie des Pragmatismus behaupten. Von wesentlicher Be-deutung für die Durchsetzung der pragmatischen Linie sind die religiös-intellektuellenDiskurse über die Wandelbarkeit der religiösen Erkenntnisse.

136

135 Vgl. Hossein Seifzadeh, The Landscape of Factional Politics in Iran, Middle East Institute Perspective,Washington, 20. August 2002.

136 Vgl. auch Torsten Wöhlert, Iran: Die pragmatische Republik Gottes? Transformationen im Zeichen desKrieges, Frankfurt/M., 1993.

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Nicht mehr Konfrontation, sondern Kooperation ist seither die Leitlinie der Außen-politik. Das Fehlen eines charismatischen Revolutionsführers und die Etablierung einerbürokratisch-pragmatischen Elite machen die Transformation des Herrschaftscharaktersund zugleich die Legitimationsdefizite des Staates deutlich. Wie die Erzkonservativen mitder mangelnden Legitimation umgehen, hat sich exemplarisch in der Irakkrise und in derAtomfrage gezeigt: Sie setzen nach wie vor auf das Feindbild USA. Denn trotz pragmati-scher Außenpolitik besitzen die in der Khomeini-Ära herrschenden Interpretationsmusterim ultrakonservativen Lager immer noch ihre Gültigkeit. Der von den pragmatisch orien-tierten Konservativen eingeschlagene Kurs eröffnet neue Chancen für die zukünftigeGestaltung der Beziehungen zu den USA. So kristallisiert sich eine weitere außenpolitischeOption heraus: eine andere Interpretation der Wirklichkeit im Sinne einer Neuformulie-rung der nationalen Interessen Irans. Doch dies kann nur durch Kommunikation in ei-nem wechselseitigen Lernprozess erreicht werden. Der Streit um das Atomprogramm I-rans markiert den Höhepunkt des bilateralen Konflikts mit den USA; gleichzeitig kann erdie Wende zu einer neuen Epoche der Entspannungspolitik sein, vorausgesetzt, Irankommt langfristig den Forderungen der IAEO nach und unterstützt den Demokratisie-rungsprozess im Irak. Eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu denUSA könnte Katalysatorfunktion haben und sich positiv auf den Friedensprozess im Na-hen Osten auswirken.

Der Weg der „Entideologisierung der Religion“ bietet Iran die Möglichkeit, seine Ge-schichte neu zu schreiben und das in der Staatsideologie vorherrschende Feindbild USAabzubauen. Die ersten Anzeichen einer solchen Revision sind schon erkennbar und kön-nen als positiver Ansatz zu Kooperationspolitik gewertet werden. Offenbar hat ein wichti-ger Teil der politischen Elite aus den Erfahrungen der Isolation durch die internationaleStaatengemeinschaft gelernt, dass die kurzfristige Strategie der „Hinwendung zu Europa“langfristig nicht ausreichen wird, um die Überlebensfähigkeit des politischen Systems si-cherzustellen. Mit anderen Worten: Die Anerkennung der Islamischen Republik durchdie USA ist für die herrschende Elite von existenzieller Bedeutung. Das Beispiel der Ka-tastrophenhilfe für die Erdbebenopfer der historischen Stadt Bam ist nach 25 Jahren „Eis-zeit“ der erste Hinweis auf eine mögliche politische Annäherung zwischen den beidenLändern: Die USA gestatteten die teilweise Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen I-ran für einen Zeitraum von 90 Tagen. Auf iranischer Seite ist allein der Umstand, dass derRevolutionsführer Hilfe vom „Großen Satan“ annimmt, an sich schon als pragmatischund realitätsbewusst zu bezeichnen.

137

Die hier dokumentierte Neuausrichtung der iranischen Außenpolitik bleibt nicht ohneWirkung auf die Gegenseite. An jüngsten Äußerungen von Vertretern der US-Administration lässt sich ablesen, dass die amerikanische Iran-Politik durchaus kein ein-seitiges, isoliert zu betrachtendes Agieren ist; vielmehr stellt sie sich als Teil eines rezipro-ken Prozesses dar. So beurteilte der amerikanische Außenminister Colin Powell in einem

137 Der erste offizielle Kontakt wurde zwischen US-Vizeaußenminister Richard Armitage und dem irani-schen UN-Botschafter Mohammad-Dschawad Sarif in New York in Bezug auf die humanitäre US-Hilfehergestellt.

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Interview der „Washington Post“ die Kooperationsbereitschaft Irans im Atomkonflikt alspositiv. Weiter führte er aus, dass sich aus der aktuellen iranischen Außenpolitik eineneue Haltung im Umgang mit diesen Themen herauslesen lasse. Diese so genannte „neueHaltung“ veranlasst das Außenministerium, die eigene Iran-Politik zum dritten Mal wäh-rend der Amtszeit Präsident Bushs zu überprüfen. Nachdem Bush sich positiv zur Wie-deraufnahme des Dialogs mit Iran geäußert hatte, reagierte die Regierung in Teheran aufdie amerikanischen Signale ihrerseits positiv.

138 Ob diese Signale tatsächlich zu einer

nachhaltigen Verbesserung der politischen Beziehungen beider Länder führen werden,bleibt abzuwarten.

139

Ein Wahlsieg der Reformer hätte eine Wiederaufnahme der Beziehungen zu den USAund die Ratifizierung des Zusatzprotokolls begünstigt. Der Sieg der pragmatisch orien-tierten Konservativen bei den Parlamentswahlen am 20. Februar 2004 impliziert jedochnicht per se die Abwendung von der Bemühungen um eine Rückkehr in die internationaleGemeinschaft. Eine Fortsetzung der pragmatischen Linie durch die pragmatisch orien-tierten Konservativen, die auf Diplomatie und nicht auf Gewaltanwendung und Feind-bildkonstruktion setzt, könnte Iran helfen, den politischen Herausforderungen in derKaspischen Konfliktregion und in der Golfregion eher kooperativ zu begegnen. Mögli-cherweise könnte Iran als Stabilitätsfaktor in der Region eine wichtige Rolle spielen undfür wirtschaftlichen Aufschwung sorgen.

Die Prognose, das politische System Irans werde infolge des amerikanischen Drucksund des vorläufigen Scheiterns der innenpolitischen Reformen implodieren, hat sich nichtbewahrheitet: Die iranische Herrschaftsordnung hat sich als komplexer und flexibler er-wiesen.

140 Dies wiederum bestätigt die These von der Wandlungsfähigkeit der iranischen

Regierung in Zeiten des durch externe und interne Kräfte induzierten eingeengten politi-schen Spielraums. Wegen der inhärenten Wandelbarkeit des islamischen Regimes war esgerade vorhersehbar, dass die amerikanischen Bestrebungen, eine Implosion in Iran her-beizuführen, scheitern würden.

141 Mehr noch: Es ist durchaus denkbar, dass sich diese

Wandlungsfähigkeit in bisher für unmöglich gehaltener Form manifestiert. Um die Wie-deraufnahme diplomatischer Beziehungen zu den USA zu erreichen, könnte sich die ira-nische Regierung genötigt sehen, eine einheitliche Position einzunehmen. Das Lager der

138 Zu Khatamis und Rafsanjanis Reaktionen auf die Ansprache des amerikanischen Präsidenten vgl. auchIran-Report, Nr. 1, Berlin, 2004.

139 Laut einer Meldung der ISNA sind im Vorfeld der Wahlen führende Abgeordnete vom Wächterrat, dar-unter der Vorsitzende des außenpolitischen Parlamentsausschusses, Mohsen Mirdamadi, von den Wah-len ausgeschlossen worden. Mirdamadi zählt zu den bekanntesten iranischen Reformpolitikern. Das ira-nische Innenministerium bezeichnete das Kandidaturverbot für Reformer als „nicht-verfassungs-konform“. Vgl. AFP-Meldung, 12. Januar 2004.

140 Iran gilt bei ausländischen Unternehmern als wirtschaftlich und politisch stabil. Dies belegt die Ent-scheidung des Renault-Konzerns, 700 Millionen Euro in die Errichtung einer Autofabrik zu investieren.Vgl. hierzu Bernard Hourcade, Iran ist ein Land, das seine Islamische Revolution hinter sich hat, in: LeMonde diplomatique, 13. Februar 2004, S. 12 f.

141 Der Streit zwischen den Reformern und dem Wächterrat stellt kein Novum dar. Der aktuelle Disput istin seiner Intensität mit der Debatte über die Machtkompetenzen des Staatspräsidenten vergleichbar.

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Erzkonservativen würde dann eines seiner zentralen Themen verlieren: das FeindbildUSA.

Für Europa und Washington sollte die Devise gelten, ihrerseits ihre Politik gegenüberIran zu überdenken. Konkret bedeutet dies, außer mit den bereits bekannten Reform-kräften auch mit den pragmatisch orientierten Konservativen einen Dialog über die Ver-besserung der Sicherheitsstrukturen am Persischen Golf und Kaspischen Meer zu führen.Ziel des Dialogs sollte sein, Vertrauen aufzubauen und die bestehenden Feindbilder abzu-bauen, sprich: Iran als einen wichtigen regionalen Hegemon anzuerkennen. Ein formellerbilateraler Nichtangriffspakt mit den USA würde die Kooperationsbereitschaft Irans ge-wiss deutlich steigern. Auf diese Weise könnte der Westen Iran eine erfolgreiche Integra-tion in die internationale Gemeinschaft ermöglichen und damit langfristig auch einefriedliche und gewaltarme Demokratisierung im Innern fördern. Umgekehrt würde dieFortsetzung der amerikanischen Isolationsstrategie innenpolitische Reformen in Iran er-schweren und Teherans gute Ansätze zu einer pragmatischen Außenpolitik diskreditieren.

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Anhang

Anhang I: Abkürzungsverzeichnis

AEI American Enterprise Institute

AIPAC American Israel Public Affairs Committee

AIOC Anglo-Iranian Oil Company

BBC British Broadcasting Corporation

CIA Central Intelligence Agency

DPK-Irak Demokratische Partei Kurdistans-Irak

IAEO International Atomic Energy Agency

IPIS Institute for Political and International Studies (Teheran)

IRP Islamische Republik Iran

ISAF Internationale Afghanische Schutztruppe

ISNA Iranische Studenten-Nachrichtenagentur

KWU Siemens-Tochterunternehmen Kraftwerke-Union

MEI Middle East Institute

MWL Muslim World League

NLA Nationale Befreiungsarme

NPT Non-Proliferation Treaty

NVV Nichtverbreitungsvertrag

NZZ Neue Zürcher Zeitung

OIC Organisation of the Islamic Conference

PANC Project for a new American Century

PUK Patriotische Union Kurdistan

SAVAK Geheimdienst in der Schah-Ära

SCIRI Supreme Council of the Islamic Revolution in Iraq

SWP Stiftung Wissenschaft und Politik

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Anhang II: Glossar

Aschura: Der 10. Tag des Trauermonats Muharram, Jahrestag von Husains Tod bei Ker-bela. (Höhepunkt der Feierlichkeiten stellen Passionsspiele, d.h. Nachstellung der Er-eignisse von Kerbela und Prozessionen, dar).

Ayatollah: Wörtlich: Wunderzeichen Gottes, wird als Titel für einen hochrangigen Muj-tahid verwendet.

Azari-Bevölkerung: Größte ethnische Minderheit in Iran.

Fada iyan-e eslam: Islamisch-fundamentalistische Gruppierung, die von Navab Safavi inden 40er Jahren gegründet wurde.

Faqih (Pl. Foqaha): Islamischer Rechtsgelehrter

Fatwa: Religiöses Rechtsgutachten, das von einem Mujtahid erlassen werden kann.

Feqh: Islamische Jurisprudenz

Imam: Oberhaupt und Anführer der Gemeinschaft der schiitischen Gläubigen

Instanz der Nachahmung: Der Theologe von höchstem Rang im Schia-Klerus darf auf-grund seines Wissenstandes die islamischen Quellen interpretieren. Er wird von dennachahmenden Schiiten als Vorbild angesehen.

Majles: Das iranische Parlament

Majles-e khobregan: Expertenrat

Marja’-e taqlid: Wörtlich: Instanz bzw. Quelle der Nachahmung, der Theologe vonhöchstem Rang im Schia-Klerus. Er wird von den Schiiten als Vorbild angesehen.

Mullah: Niederer Geistlicher, meist Prediger

Shura-ye negahban: Wächterrat. Der zwölfköpfige Wächterrat ist befugt, die Vereinbar-keit der vom Parlament gebilligten Gesetze mit dem schiitischen Islam festzustellen.Darüber hinaus überwacht er alle Wahlen und ist für die Auslegung der Verfassungzuständig.

Schah: Titel des persischen Monarchen

Schia: Wörtlich: Partei Alis. Ali, Muhammads Vetter und Schwiegersohn, wird von denSchiiten als der einzige rechtmäßige Erbe und Nachfolger des Propheten angesehen.

Velayat-e faqih: Herrschaft des religiösen Rechtsgelehrten

Quietistisch/Quietismus: nach innen gerichtet sein. Das Warten auf die Wiederkehr desVerborgenen Imams. Die Wartezeit ist keine aktive, sondern passive Zeit.

Usulis: Anhänger der im 18. Jh. unter der Führung von Aqa Muhammad-Baqer Behbaha-ni entstandenen Schule, die unter Berufung auf Prinzipien (Usul) den Ulama die reli-giöse Autorität über die Gemeinschaft der Gläubigen und die Berechtigung zum Ijti-had zuspricht. Dieser Zuspruch gilt ausschließlich für die Zeit, in der der 12. Imam inder Verborgenheit lebt. Gegner der so genannten Akhbaris.