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IRIS Newsletter 1-2010 1

IRIS Newsletter 1-2010 · Lehren und Lernen in der überbetrieblichen Ausbildung des Handwerks ner beschreiben und einordnen will, ist das Modell des Meister-Novize-Lernens hilfreich

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IRIS Newsletter 1-2010

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Lehren und Lernen in der überbetrieblichen Ausbildung des Handwerks 3Zur Lehr- und Lernkultur in überbetrieblichen Bildungseinrichtungen des Handwerks. . . . . . . . . . . . . . 3

Neues EU-Forschungsprojekt: GOETE 7

Neue Veröffentlichungen und Beiträge von iris-MitarbeiterInnen 8Veröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8Vorträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8Fortbildungs- und Lehrveranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Vorherige Ausgaben 10

IRIS Arbeitspapiere 11

Herausgeber:

Institut für regionale Innovationund Sozialforschung, IRIS e.V.

Fürststraße 3, 72072 TübingenTel. +49 7071 79520-60, Fax 79520-77

Internet: www.iris-egris.deE-Mail: [email protected]

V.i.S.d.P.: Dr. Gebhard Stein (Ge-schäftsführer)

AutorInnen dieser Ausgabe:Team „Ausbildung der Ausbilder“

Textsatz: Axel PohlGesetzt mit dem Open-Source-Satzsystem LATEXCover unter Benutzung einer mit wordle.net erstellten Illustration(CC-Lizenz)

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Lehren und Lernen in der überbetrieblichen Ausbildung des Handwerks

In der überbetrieblichen Ausbildung werden Auszubildenden aus Klein- und Mittelbetrieben desHandwerkes fachliche und theoretische Ausbildungsinhalte vermittelt, die die Betriebe „vor Ort“ z.B. auf Grund ihrer Betriebsgröße nicht anbieten können. Die Auszubildenden aus diesen Betrie-ben werden in der Regel in Wochenkursen zusammengefasst und in Bildungseinrichtungen desHandwerks gezielt so ausgebildet, dass sie am Ende ihrer Ausbildungszeit den geforderten Stoffder Gesellenprüfung in ihrem Beruf beherrschen.

Interessant ist nun, dass sich in diesem Bereich derüberbetrieblichen Ausbildung weitgehend unbeachtet vonder breiten Bildungsdebatte eine qualitativ hoch entwi-ckelte Lehr- und Lernkultur entwickelt hat. Erstaunlich da-bei ist, dass vorwiegend nicht-pädagogisch ausgebildeteFachkräfte – die Ausbildungsmeister/innen in der über-betrieblichen Ausbildung von Bildungseinrichtungen desHandwerks, die sich nicht primär als Bildungsfachleuteverstehen – Formen des Lehrens und Lernens praktizie-ren, wie sie in anderen Bildungsbereichen (z. B. in denSchulen) bei den aktuellen Debatten gefordert werden.

Zum Projekt “Ausbildung der Ausbilder”(AdA):

Seit 1.12.2008 wird das IRIS-Projekt “Ausbildung der Aus-bilder” durch das Bundesministerium für Arbeit und So-ziales aus dem EU-Programm Xenos gefördert. WichtigeKooperationspartner des Projektes sind u.a. die Hand-werkskammer Freiburg mit ihren Bildungseinrichtungenin Schopfheim, Freiburg und Offenburg, sowie die Hand-werkskammer Reutlingen mit den Bildungseinrichtungenin Sigmaringen und Tübingen. Das Projekt ist auf Pra-xisforschung orientiert, wobei wissenschaftliche Erkennt-nisse aus der Bildungsforschung mit Erfahrungen ausder Praxis der betrieblichen und schulischen Ausbildungverknüpft werden und ein gegenseitiger Austausch orga-nisiert wird. Zielgruppen des Projektes sind in der erstenPhase Ausbildungsmeister/innen in der überbetrieblichenAusbildung, später in KMUs, insbesondere des Hand-werks, sowie Lehrer/innen aus kooperierenden Schulen.Mit Hilfe des Projektes entwickeln die Zielgruppen ihreberufliche Handlungskompetenz weiter, so dass sie ingelingenden Bildungsprozessen Jugendliche und jungeErwachsene auch mit problematischen Bildungsbiogra-phien besser fördern können. Das Projekt sieht hierzuverschiedene Bausteine vor (z. B. teilnehmende Beob-achtung von betrieblichen Bildungsprozessen, Coaching

der Lehrtätigkeit, Handouts mit Handlungsorientierungenzu zentralen Themen), die Ausbilder/innen dabei unter-stützen, ihre beruflichen Kompetenzen und ihren Umgangmit den Auszubildenden zu reflektieren und mehr Hand-lungssicherheit zu gewinnen. Im Folgenden werden wirden Ansatz des Projektes ein wenig in die bildungstheore-tischen Zusammenhänge einordnen. Gleichzeitig werdenerste Erfahrungen vorgestellt und allgemeine Implikatio-nen verdeutlicht.

Zur Lehr- und Lernkultur in überbe-trieblichen Bildungseinrichtungendes Handwerks.

1. Die Auszubildenden sind mit Konzentrati-on und Ausdauer bei der Sache

In allen Gewerken, die wir im Rahmen unserer teilneh-menden Beobachtung besuchten, war auch zu beobach-ten, dass Auszubildende weiterarbeiten, wenn der Meis-ter einmal nicht in Sichtweite ist. Mit anderen Worten: DieAuszubildenden zeigen, was man als „Flow“ bezeichnet(vgl. Csikszentmihalyi, Mihaly / Aebli, Hans / Aeschba-cher, Urs: Das flow-Erlebnis – Jenseits von Angst undLangeweile: Im Tun aufgehen. Klett-Cotta, 2008). Ausnah-men konnten am ehesten vereinzelt in Theorieeinheitenbeobachtet werden, die als Frontalunterricht angelegtwaren und zeitlich länger dauerten.

Die Lehr- und Lernatmosphäre in den jeweiligen Ge-werken ist insgesamt geprägt von Aufmerksamkeit undmotivierter (Mit-) Arbeit.

2. Meister/in-Novize-Lernen steht im Zen-trum der Lehr- und Lernkultur

Wenn man die Lehr- und Lernkultur in der Überbetrieb-lichen Ausbildung der Bildungseinrichtungen allgemei-

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Lehren und Lernen in der überbetrieblichen Ausbildung des Handwerks

ner beschreiben und einordnen will, ist das Modell desMeister-Novize-Lernens hilfreich (Rauner, Felix: Prakti-sches Wissen und berufliche Handlungskompetenz. In:Europäische Zeitschrift für Berufsbildung Nr. 40, 2007/1,S. 57–72).

Idealtypisch lässt sich das Modell aus Sicht der Leh-renden wie folgt skizzieren:

Modelling – Experte machtVorgehen vor und erläutert es

Coaching – Lernender macht es nach,ggf. Unterstützung durch Experten

Scaffolding – Kann der Lernende die Aufga-be nicht allein bewältigen, hilft der Experte

Fading – der Experteblendet Hilfestellung aus

Articulation – Lernender wird immer wie-der aufgefordert, Denkprozesse undProblemlösestrategien zu artikulieren

Reflection – Vergleich und Diskus-sion der eigenen Strategien mit Vor-

gehen der Anderen bzw. Experte

Exploration – Anregung zu Explorierenund selbstständigen Problemlösungen

(Schaubild nach: Reinmann-Rothmeier / Mandl 2001,

S. 620)

Im Lernalltag bildet das „Meister-Novize-Lernen“ denMittelpunkt. Dabei kann die die hier dargestellte Ab-folge modifiziert werden. Die einzelnen Elemente desMeister/in-Novize-Lernens werden variabel eingesetzt:

Die Meister/innen organisieren Lernprozesse wiefolgt: Morgens beginnt der Tag meist mit einer kurzenTheorieeinheit (30 bis 90 Minuten). Danach arbeiten dieAuszubildenden an praktischen Aufgaben, die individuellverschieden – je nach Meister/in – von kurzen Theo-rieeinheiten unterbrochen werden. Die Praxiseinheitenerstrecken sich über den Großteil des Tages und ma-chen geschätzt zwischen 70 und 80% des gesamtenUnterrichts aus.

3. Motivierende Arbeitsaufträge

Die Unterrichtstage sind vor allem durch die Praxisein-heiten geprägt. Die Auszubildenden erhalten von denMeistern/innen Arbeitsaufträge, durch die sie ihre Kom-petenzen weiterentwickeln können.

Was die Aufgabenstellungen angeht, zeichnen sichdiese durch folgende Momente aus

a) Unmittelbarer Praxisbezug: Die im Unterricht ge-stellten praktischen Aufgaben besitzen für die Bewälti-gung des (zukünftigen) Arbeitsalltages der Lernendeneine hohe Relevanz. Die gestellten Aufgaben sind entwe-der bereits vertrautes Terrain und dienen der Vertiefungund Weiterentwicklung schon vorhandener Kenntnisse.Oder aber, es werden neue Methoden und Technikengelernt, die schon jetzt oder später für den Beruf bedeut-sam sind, deren Beherrschung also auch mit darüberentscheidet, selbst anerkannter Experte zu werden.

b) Herausfordernde Gestaltung der Aufgaben:Die Aufgaben werden sukzessive vom Einfachen zumKomplexen gesteigert. Die Aufgaben beinhalten stets ei-ne Herausforderung: Etwas bis dahin nicht gekonntesist notwendig, um die eingebaute Schwierigkeit zu be-wältigen: „Was jemand zunächst – mangels entwickelterKompetenzen – noch nicht kann, erlernt er in Konfrontati-on mit der Aufgabe, die bei ihm Kompetenzentwicklungauslöst.“ (Rauner/Bremer 2004: 156)

c) Eigeninteressen der Auszubildenden werdeneinbezogen: Wo möglich, werden in die Aufgabenstel-lungen und Praxiseinheiten auch die Interessen der Aus-zubildenden einbezogen.

Lernen geschieht aufgaben- und praxisorientiert. Diegenannten Strukturmerkmale der Aufgabenstellungendürften einen wesentlichen Beitrag zur hohen Motivationder Auszubildenden leisten.

4. Mit Zollstock und Beamer

Szene eins: Ein Meister steht vor einer Teilgruppe derAuszubildenden und bespricht mit ihnen die Ergebnisseder Aufgabe, die sie zuvor selbständig im Team durch-geführt haben. Er visualisiert die wichtigsten Inhalte ander Tafel. Zeitgleich arbeiten die anderen Auszubilden-den in verschiedenen Teams an ihren eigenen Aufgaben.Der Meister steuert auf diese Weise parallel mehrereLerngruppen und wechselt dabei vom Coaching der Aus-zubildenden, die noch bei der Arbeit sind, zu kleinen

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Zur Lehr- und Lernkultur in überbetrieblichen Bildungseinrichtungen des Handwerks.

Theorieeinheiten mit den Teams, die mit ihren Arbeitenbereits fertig sind.

Szene zwei: Theorieunterricht. Ein Meister steht vorder Ausbildungsgruppe und zeigt mit einem Zollstockauf Einzelheiten der Bildprojektion, die der Beamer andie Wand wirft. Er vermittelt in Form einer Mischung ausFrontalunterricht und Lehrgespräch die Inhalte, visuell un-terstützt vom Beamer. Mit der gleichzeitigen Verwendungdes traditionellen Zollstocks und der modernen Beamer-technologie verkörpert der Meister die Innovationsfreudedes Handwerks, das Tradition und Moderne miteinanderverbindet.

Diese beiden Szenen sind gewissermaßen typischfür die Selbstverständlichkeit mit der die Handwerksmeis-ter/innen ein Set an unterschiedlichen traditionellen undmodernen Methoden und Medien einsetzen.

Im Einzelnen sind in den verschiedenen Gewerkenfolgende Methoden, die die Meister/innen verwenden,sichtbar:

• Vorführen bestimmter (Handwerks-) Techniken

• Frontalunterricht

• Lehrgespräch

• Gruppenarbeit

• Arbeit in Tandems

• Aufgabenbezogenes Lernen

• Schriftliche Prüfung am Ende der ÜBA-Woche

Der Schwerpunkt der eingesetzten Methoden liegtdabei deutlich auf den praktischen Einheiten, also demaufgabenbezogenen Lernen, das ca. 70-80% der Un-terrichtszeit ausmacht. Passend dazu setzen die Meis-ter/innen eine Vielzahl an traditionellen und modernenMedien im Theorieunterricht ein: Tafel, Arbeitsblätter (z.B. Leertexte), digitalisierte Unterrichtsmaterialien, Over-headprojektor, Beamer, Digitalkamera, Lehrfilme.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Handwerks-meister/innen verfügen über eine hohe Methodenkompe-tenz, setzen traditionelle und moderne Medien souveränein und wechseln gekonnt zwischen Theorie- und Praxis-einheiten. Handlungsorientiertes Lernen wird selbstver-ständlich praktiziert.

5. Der Umgang mit den Auszubildenden:Wertschätzung, Vertrauensvorschuss unddie Übertragung von Verantwortung

Die Rollen sind klar verteilt. Hier der erfahrene Meis-ter/die Meisterin, dort die noch wenig erfahrenen Auszu-bildenden. Nennenswerte Disziplinprobleme scheint esdabei nicht zu geben. Die Auszubildenden orientierensich an den Anweisungen der Meister/innen. Die Meis-ter/innen sind sich ihrer Rolle bewusst und strahlen einehohe fachliche Autorität aus. Sie gestalten den Dialogmit den Auszubildenden wertschätzend. Ein Meister un-terstreicht, dass er die Auszubildenden in erster Linieals Menschen sieht und auch ihre Lebenssituation kenntsowie als Ansprechpartner für sonstige Themen da ist.Ein anderer betont, dass er trotz seiner Rolle als Meisterden Auszubildenden auf gleicher Augenhöhe begegnenmöchte.

Die Meister/innen bringen den Auszubildenden aufunterschiedliche Weise ein hohes Maß an Vertrauen ent-gegen. So bleibt bei einem etwa während der Pausedessen Büro offen. Andere geben ihren Auszubilden-den Aufgaben, die sie räumlich getrennt vom Meisterselbständig durchführen. Ein Meister gibt den Auszubil-denden einen Zeitkorridor, in dem sie selbständig undindividuell ihre Mittagspause einteilen können, nachdemsie sich bei ihm abgemeldet haben.

Zum Vertrauensvorschuss gehört, dass die Meis-ter/innen den Auszubildenden in unterschiedlicher WeiseVerantwortung übertragen. So beginnt ein Meister dieWoche damit, dass Zuständigkeiten und Verantwortlich-keiten für bestimmte Aufgaben eingeteilt werden. Sämtli-che praktischen Aufgabenstellungen implizieren zudemden verantwortungsvollen Umgang mit den Geräten so-wie den Kollegen/innen.

Es scheint, als ob die Übertragung von Verantwor-tung und das Vertrauen, das die Meister/innen den Aus-zubildenden entgegenbringen, gerade die Voraussetzungdafür ist, dass solche Spielräume von den Auszubilden-den nicht ausgenutzt, sondern produktiv genutzt werden.

6. „Aus Fehlern wird man klug“ – Der pro-duktive Umgang mit Fehlern

Immer wieder kommt es – in allen Gewerken – zu Si-tuationen, in denen Fehler auftreten oder etwas nicht sofunktioniert, wie sich die Auszubildenden das gedacht

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Lehren und Lernen in der überbetrieblichen Ausbildung des Handwerks

haben. Fehler, so scheint es, sind Teil des Alltags beimhandwerklichen Lernen. Fehler gehören dazu. Sie sinddazu da, gesucht, gefunden und behoben zu werden.Spannend ist, wo der Fehler liegt, was die Ursache istund wie die Lösung aussieht. Damit sind Fehler beson-ders gute Lerngelegenheiten. Sie sind normal, man rech-net mit ihnen. Beispiel: Bei der Abschlussdemonstrationeiner Aufgabe stellt sich heraus, dass dieses oder je-nes nicht funktioniert. Was dann zu tun ist, ist auch imBerufsalltag Standard: Fehlersuche. Fehlersuche ist einin diesem Bereich normaler Arbeitsschritt. Ein Meistererzählt, dass er seinen Auszubildenden ganz bewusstAufgaben gibt, ohne vorher viel zu erklären. Er machtdamit sehr gute Erfahrungen, denn dann kommen dieAuszubildenden auf ihn zu, wenn sie nicht weiter kom-men oder ein Fehler auftritt. Die Lernmotivation ist sounmittelbar da: „Nur wenn man es selbst falsch macht,lernt man.“ Fehler werden so bewusst als Lernimpulseingesetzt und sind Mittel zur Kompetenzentwicklung derAuszubildenden.

In allen Gewerken scheinen Fehler ein wesentlichesund anregendes Moment der Lernkultur zu sein. Sie sindLernauslöser. Sozusagen ein zweiter Lehrmeister. Eslässt sich daher folgende Hypothese formulieren: Der ge-lassene und produktive Umgang mit Fehlern unterschei-det die Fehlerkultur des Handwerks von anderen Lernwel-ten erheblich. So ist die Art und Weise, wie in der Schuletraditionell mit Fehlern von Schüler/innen umgegangenwird, deutlich anders. Bezeichnend ist, dass im Bereichder Schule eigens Projekte zum produktiveren (versus de-fizitorientierten) Umgang mit Schüler/innenfehlern initiiertwerden. Im Handwerk scheint dagegen der produktiveUmgang mit Fehlern Tradition zu besitzen.

7. Gestaltung von Raum und Zeit des Ler-nens

Neben dem traditionellen Umgang mit Zeit gibt es inno-vative und moderne Formen der Gestaltung der Lehr-und Lernzeit. So gibt es etwa den in der Schule üblichen45-Minuten-Takt nicht. Die Meister/innen orientieren sichwährend des Theorieunterrichts eher an der Aufnahme-fähigkeit der Auszubildenden als an einem starr vorgege-benen Zeitkorsett.

Vor allem in den Praxisphasen, die den Großteil desTages ausmachen wird deutlich, dass Zeit vorwiegenddurch das Fortschreiten der Arbeit ihren Rhythmus findet.

Die kleineren Pausen, die die Auszubildenden fast überallselbständig machen dürfen, werden meist dann einge-legt, wenn ein Arbeitsschritt vollzogen ist und der nächsteansteht. Die Praxiseinheiten können als Zeitkorridore be-griffen werden, innerhalb deren sich die Auszubildendenselbständig bewegen und die es ihnen erlauben, ihreneigenen Rhythmus zu finden.

Wie gehen die Meister/innen mit unterschiedlichenLern- und Arbeitstempi der Auszubildenden um? Ganzeinfach: Diejenigen, die schneller sind als die Anderen,bekommen vom Meister/der Meisterin Zusatzaufgaben.

Die Gestaltung der Lehr- und Lernzeit ist nicht ver-gleichbar mit der in Schulen üblichen 45-Minuten-Taktung.Lernzeit wird nicht zerstückelt, sondern ergibt sich ausdem Prozess der Arbeit mit dem Material und der Aufga-be. Zeit wird gewissermaßen durch die Arbeit definiert.

8. Fazit

In den besuchten Bildungseinrichtungen zeigt sich einelebendige Lehr- und Lernkultur, die eine ganze Reihevon innovativen Merkmalen aufweist. Die Hypothese ist,dass unsere Beobachtungen keine „Zufallstreffer“ sind.Im Handwerk scheinen innovative Lernkulturen Traditionzu haben. Lediglich in der (Fach-) Öffentlichkeit werdendiese als solche wenig wahrgenommen. Unser Eindruckist auch, dass sich das Handwerk seiner Stärken im Be-reich der Lehr- und Lernkultur noch wenig bewusst ist.Bisher liegen keine entsprechenden Selbstdarstellungenzum Lehren und Lernen in der Überbetrieblichen Ausbil-dung vor. Zumindest die Auszubildenden nehmen aberdie ganz eigene Qualität des Lernortes wahr. So bringtein Auszubildender den Unterschied zwischen Berufs-schule und Gewerbeakademie so auf den Punkt: „Daseine ist Schreibunterricht, das andere ist Handwerks-unterricht“.

Das Handwerk hat sich – so unsere Vermutung -schon immer durch eine erfindungsreiche Lehr- und Lern-kultur ausgezeichnet. Was dort als Tradition gilt, könn-te sich bei näherem Hinsehen als Innovation für ande-re Lernkulturen herausstellen. Offensichtlich besitzt dasHandwerk im Bildungsbereich die Kraft, Tradition und Mo-derne miteinander zu verbinden und innovativ zu bleiben.Abzuwarten gilt es, welche Ressourcen das Handwerkhat, um die derzeitigen und künftigen Herausforderun-gen wie etwa schulische Defizite von Auszubildenden zubewältigen.

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Neues EU-Forschungsprojekt GOETE

Seit Januar 2010 ist IRIS Partner im europäischenForschungprojekt „Governance of Educational Trajecto-ries in Europe. Access, coping and relevance of educati-on for young people in European knowledge societies incomparative perspective (GOETE)“.

Im Zentrum der Untersuchung stehen die Bildungs-verläufe von Kindern und Jugendlichen vom Übergangaus dem Primar- in den Sekundarbereich bis zum Über-gang in weiterführende allgemeine oder berufliche Bil-dungsgänge. Die Studie fragt nach der sozialen Einbet-tung und Regulierung von Bildungsverläufen und nimmtsowohl das Zusammenspiel formaler, non-formaler undinformeller Bildung als auch das Verhältnis von Bildungund sozialer Unterstützung in den Blick. Der Fokus liegtauf Zugängen, Bewältigung und Relevanzen von Bil-dung in den Bildungsverläufen benachteiligter Jugend-licher. Die Untersuchung basiert auf der Kombinationvon Lebenslauf- und Governance-Forschung in verglei-chender Perspektive. Dabei geht es sowohl um unter-schiedliche Konstellationen von Ungleichheit in und durchBildung als auch um unterschiedliche Verhältnisse zwi-

schen Bildungssystem und Wohlfahrtsstaat bzw. Schule,Jugendhilfe und Alltagswelten.

Die Studie verfolgt einen mixed-methods-Ansatz be-stehend aus Surveys mit SchülerInnen und SchulleiterIn-nen, Fallstudien an Schulen, ExpertInneninterviews mitbildungspolitisch verantwortlichen und einflussreichenInstitutionenvertreterInnen sowie einem Vergleich vonModellen der Lehrerbildung.

Beteiligt sind 13 Partner aus 8 Europäischen Ländern(Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Itali-en, Niederlande, Polen, Slowenien) und verschiedenenFachbereichen (Sozialpädagogik, Schulpädagogik, ver-gleichende Erziehungswissenschaft, Politikwissenschaft,Soziologie, Sozialarbeit, Wirtschaftswissenschaft). DasProjekt wird im 7. Rahmenforschungsprogramm der EUüber drei Jahre gefördert. Die Koordination liegt bei PDDr. Andreas Walther, Institut für Erziehungswissenschaftder Universität Tübingen.

Mehr Informationen zum Projekt unter www.iris-egris.de/bildung/goete/ oder auf der Projektwebsitewww.goete.eu

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Neue Veröffentlichungen und Beiträge von iris-MitarbeiterInnen

Veröffentlichungen

Altan, Melahat/Foitzik, Andreas/Goltz, Jutta (2009): El-tern(bildungs)arbeit in der Migrationsgesellschaft. Einepraxisorientierte Reflexionshilfe. Stuttgart.

Pohl, Axel (2010): Agency in transitions from schoolto work: Young people from migration or ethnic minoritybackgrounds, in: Burgess, Paul/Herrmann, Peter (Hrsg.):Highways, Crossroads and Cul de sacs. Bremen, S. 202-234.

Pohl, Axel (2009): Make it real. Partizipationsansätzezwischen tatsächlicher Beteiligung und bürgerschaftlicherKosmetik. In: punktum 4/09, Zeitschrift für verbandlicheJugendarbeit in Hamburg, S. 5-8.

Stauber, Barbara (2010): Expertise on „transitionsinto parenthood“ for the existential field „Familial Deve-lopment Processes“ („time slot of founding a family“, „di-vorces, conflicts in couples“, and „changes between fami-ly types“) im EU-Projekt Social platform on research forfamilies and family policies, (www.familyplatform.eu).

Stauber, Barbara (2010): Transitions into parenthood- impacts for youth and community work, in: Burgess,Paul/Herrmann, Peter (Hrsg.): Highways, Crossroads andCul de sacs. Bremen, S. 109-136.

Stauber, Barbara (2010): Youth Cultures as a Way toTackle Insecure Transitions into Adulthood, in: Leaman,Jeremy/Wörsching, Martha (Hrsg.): Youth in Contempo-rary Europe. London/New York, S. 119-132

Stauber, Barbara (2010): Unter widrigen Umständen –Entscheidungsfindungsprozesse junger Frauen und Män-ner im Hinblick auf eine Familiengründung, in: Spies,Anke (Hrsg.): Frühe Mutterschaft. Die Bandbreite derPerspektiven und Aufgaben angesichts einer ungewöhn-lichen Lebenssituation. Baltmannsweiler, S. 76-100.

Walter, Sibylle/Bub, Eva-Maria/Bolay, Eberhard(2009): Freunde schaffen Erfolg. Peer-Mentoring im Über-gang Hauptschule – Beruf. Stuttgart.

Walther, Andreas (2009): Jugend in Europa: Lebens-lagen und Institutionalisierungsweisen im Vergleich, in:Schulze-Krüdener, Jörgen (Hrsg.): Lebensalter und So-ziale Arbeit, Band 3: Jugend. Baltmannsweiler, S. 75-98.

Walther, Andreas (2009): „It was not my choice, youknow?“ Young people’s subjective views and decisionmaking processes in biographical transitions, in: Schoon,

Ingrid/Silbereisen, Rainer K. (Hrsg.): Transitions fromSchool to Work: Globalisation, Individualisation, and Pat-terns of Diversity. Cambridge, S. 121-145.

Walther, Andreas/Stauber, Barbara/Pohl, Axel (2009):UP2YOUTH. Youth - Actor of Social Change. Final report.Tübingen. Download: www.up2youth.org

Vorträge

Sibylle Walter: Rauschtrinken bei Jugendlichen. Konse-quenzen für Jugendhilfe/Suchthilfe/Suchtprävention. Vor-trag auf der Konferenz „Konsum und Zugänge, wer suchtwas?“ 31. Fachtagung der Landesregierung mit den Ein-richtungen der Suchtkrankenhilfe in Rheinland-Pfalz inMainz am 30.10.2009.

Andreas Walther: Normalität und Ungleichheit in bio-graphischen Übergängen. Ambivalenzen der Integrati-on „benachteiligter“ Jugendlicher im internationalen Ver-gleich. Gastvortrag an der Universität Frankfurt 14.7.2009im Rahmen der Anhörung zur Besetzung der Professurfür Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozi-alpädagogik.

Andreas Walther: Partizipation Jugendlicher. Päd-agogische Vergewisserung eines scheinbar eindeuti-gen Konzepts. Habilitationsvortrag vor der Fakultät fürVerhaltens- und Sozialwissenschaften der Universität Tü-bingen, 13.7.2009.

Andreas Walther: Übergangsregimes als transnatio-nales Konzept vergleichender Jugendforschung. Vortragbei der gemeinsamen Tagung „Transdisziplinäre Jugend-forschung – methodologische Perspektiven“ der SektionJugendsoziologie der Deutschen Gesellschaft für Sozio-logie und der Kommission Sozialpädagogik der DGfE,16.–18.7.2009, Tübingen.

Andreas Walther: Access – coping – relevance. Howdo social inequalities turn into different individual edu-cational decisions? Vortrag beim NESSE-Seminar “Howto combat early school leaving?” bei der EuropäischenKommission, Brüssel 21.10.2009.

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Fortbildungs- und Lehrveranstaltungen

Fortbildungs- und Lehrveranstaltun-gen

Andreas Walther, Barbara Stauber und Axel Pohl: Youth– actor of social change. ERASMUS Intensive StudyProgramme. Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 1.–14.6.2009.

Barbara Stauber: Durchführung der Tagung „Trans-disziplinäre Jugendforschung“ mit Christine Riegel undAlbert Scherr (PH Freiburg), 17.–18.7.2009 am IfE Tübin-gen.

Andreas Walther und Barbara Stauber: Youth - actorof social change. ERASMUS Intensive Study Program-me. University of Ljubljana, Faculty of Social Sciences,Ljubljana, 28.6.–2.7.2010.

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Bisher erschienene IRIS Newsletter-Ausgaben

Nr. Hauptthema AutorInnen Datum

Nr. 1-2009 Peer-Mentoring Sibylle Walter & Eva-Maria Bub Juli 2009

Nr. 1-2008 Diversity Management in der betrieblichenAusbildung

Jutta Goltz, Sabine Riescher, GebhardStein & Sibylle Walter

Oktober 2008

Nr. 2-2007 Übergänge in die Elternschaft Barbara Stauber Oktober 2007

Nr. 1-2007 Jugend und Partizipation Axel Pohl & Andreas Walther Mai 2007

Nr. 2-2006 Praxisentwicklung in interkultureller Perspekti-ve

Roberto Priore, Gebhard Stein, SabineRiescher, Jutta Goltz & Sibylle Walter

Oktober 2006

Nr. 1-2006 Politiken für benachteiligte Jugendliche inEuropa

Andreas Walther & Axel Pohl Mai 2006

Nr. 2-2005 Übergänge und Familie Jutta Goltz, Barbara Stauber & Andre-as Walther

November 2005

Nr. 1-2005 Berufsvorbereitung zwischen Kompetenzent-wicklung und Warteschleife

Friedemann Bär, Roberto Priore, Geb-hard Stein & Sabine Riescher

Mai 2005

Nr. 2-2004 Übergänge in die Arbeit - Aktivierung oderPartizipation?

Axel Pohl, Barbara Stauber & AndreasWalther

November 2004

Nr. 1-2004 Aktueller Überblick über die Arbeit von IRIS IRIS e.V. März 2004

Download und Abonnement: www.iris-egris.de

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IRIS Arbeitspapiere

Nr. Titel AutorInnen Datum

Nr. 1-2007 Youth – Actor of Social Change. Theoreticalreflections on young people’s agency in compara-tive perspective. Interim discussion paper for theUP2YOUTH project.

Axel Pohl, Barbara Stauber & Andre-as Walther

Oktober 2007

Nr. 1-2006 Lebenslanges Lernen - ein Konzept zum Abbauder Benachteiligung von Jugendlichen?

Axel Pohl Dezember 2006

Nr. 1-2005 Thematic Study on Policy Measures concerningDisadvantaged Youth. Final report

Andreas Walther & Axel Pohl Dezember 2005

Nr. 1-2004 Trust, space, time and opportunities Case studyreport on participation and non-formal educationin the support for young people in transitions towork in West-Germany

Axel Pohl & Barbara Stauber Februar 2004

Nr. 1-2003 Participation and Informal Learning in YoungPeoples Transitions to Work. Joint AnalysisReport for the YOYO project

Morena Cuconato, Corina Laasch,Gabriele Lenzi & Andreas Walther

April 2003

Nr. 5-2002 How to Avoid Cooling Out? Experiences ofyoung people in their transitions to work acrossEurope. WP2 Report for the YOYO project

Manuela du Bois-Reymond, WimPlug, Barbara Stauber, Axel Pohl &Andreas Walther

Juli 2002

Nr. 4-2002 Families and Transitions in Germany. NationalReport for the Project ’Families and Transitions inEurope’ for Germany

Jutta Goltz, Barbara Stauber, Andre-as Walther & Simone Menz

April 2002

Nr. 3-2002 Ehemalige Sindelfinger HauptschülerInnen imÜbergang in die Arbeitswelt. Ergebnisse derLängsschnittuntersuchung zum beruflichenVerbleib von HauptschulabsolventInnen in Sindel-fingen

Wolfgang Carl, Axel Pohl & SabineSchneider

April 2002

Nr. 2-2002 Chancengleichheit von (jungen) Frauen und Män-nern am Übergang von der Schule zum Berufbei der Einrichtung von lokalen Netzwerken fürBeschäftigung. Endbericht

Gunter Neubauer, Sabine Riescher& Reinhard Winter

März 2002

Nr. 1-2002 Youth Transitions, Youth Policy and Participation.State of the Art Report for the YOYO project

Andreas Walther, Gry Moerch Hejl,Torben Bechmann Jensen With theassistance of Amanda Hayes

März 2002

Nr. 2-2001 Transitions to work, youth policies and ’participa-tion’ in Germany. National report for the YOYOproject

Andreas Walther, Barbara Stauber,Axel Pohl & Holger Seifert

November 2001

Nr. 1-2001 Abschlußbericht zum deutschen Teil des Projek-tes INTEMIGRA

Jutta Goltz, Gebhard Stein unterder Mitarbeit von Sarina Ahmed &Friedemann Bär

Oktober 2001

Nr. 2-2000 Beratung sozialer Netzwerke im Dritten Sektor:Beschäftigung für (benachteiligte) Jugendliche inder Jugend- und Sozialarbeit. Abschlussbericht

Anne Schwarz, Barbara Stauber &Andreas Walther

Dezember 2000

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IRIS Arbeitspapiere

Nr. Titel AutorInnen Datum

Nr. 1-2000 „Coming out of the shell“ - Advantages of perfor-ming arts in the context of riskful youth transiti-ons. Report on the research project „Secondarylearning effects in community arts“

Rui B. Banha, Maria do CarmoGomes, Steven Miles, Axel Pohl,Barbara Stauber & Andreas Walther

März 2000

Nr. 1-1999 Institutionelle Risiken sozialer Ausgrenzung imdeutschen Übergangssystem. Nationaler Berichtfür Deutschland (West)

Barbara Stauber & Andreas Walther März 2000

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