17
Langenbecks Arch. u. Dtsch. Z. Chir., Bd.273 (KongreSbericht), S. 428--444 (1953). LX, h'rtiimer und Fehler des Chirurgen. Vo~ I~ARL ENGIScH-Heidelberg (auf Einladung). I. Nachdem Ihnen Herr Kollege EBERHARD SCttMIDT die mit jeder normalen Operation verbundenen reehtlichen Probleme vor Augen ge- fiihrt hat und sich sehon hierbei genStigt sail, auf die dem Arzt yon der Justiz drohenden Gefahren hinzuweisen, zugleich auch sich schiitzend vor den Arzt zu stellen, um schiefe rechtliche Bewertungen seines Ver- haltens abzuwehren, ist es meine Aufgabe, yon den noch heikleren F~llen zu sprechen, in denen dem Arzt ein Irrtum, ein l~ehler, ein Ver- sehen unterlguft. War schon der SCItMIDTsche Vortrag dazu angetan, das landesiibliche MiBtrauen des Arztes gegen den Juristen erneut anzu- fachen, so rauB ich ffirchten, einen wahren Feuersturm des UnwiUens zu erregen, wenn ich mich anschieke, yon Schuld, Verantwortung und Hal- tung des Chirurgen zu reden. Aber diese Furcht wird aufgewogen durch die zuversichtliche Hoffnung, Ihnen zeigen zu kSnnen, daft unsere modernen juristischen Auffassungen wohl geeignet sind, die riehtige Grenze zwischen gewisscnhaftem und gewissenlosem Handeln zu be- stimmen. Jurist und Chirurg ziehen an einem Strang, wenn es gilt, diese Grenze zu linden. Wir mfissen also verst~ndnisvoll zusammen- arbeiten, um den verantwortungsbewul~ten Chirurgen, dem eine Opera- tion miBgliickt, vor unbegrfindetem Vorwurf zu schfitzen, abet auch durch Haftbarmachung fiir wirktiches Versehulden diejenigen zu treffen, die nut eine Gefahr ffir das Ansehen des Arztestandes bedeuten kSnnen. Wie jeder Stand dtirfte auch dcr ~rztestand nicht daran interessiert sein, dab die Verantwortung mSglichst cntfgllt, soudern nur daran, dab sie gerecht ausf~llt. Hierin glaube ieh schou mit Herrn STIC~ ganz einig zu sein. II. Wenn mein Thema ,,Irrtfimer und Feh]er" des Chirurgen ]autet, so handelt es sich bier nicht um zwei verschiedene Worte ffir dieselbe Sache, vielmehr handelt es sich um zwei weitgehend verschiedene und wohl zu unterscheidende Ansatzpunkte rechtlicher Haftung. Es gibt Irrtfimer ohne Fehler und Fehler ohne Irrtfimer, wenn auch hi~ufig Irr- turn und Fehler zusammenkommen doff, woes sich um die rechtliche Haftung handelt. Ein Irrtum ohne Fehler liegt vor, wenn der Arzt meint, er mache jetzt einen Fehler, w~hrend er in Wirldichkeit keinen begeht. Ein Fehler ohne Irrtum liegt vor, wenn der Arzt bewul~t gegen die Regeln seiner Kunst handelt. Dieses wie jenes ist oft genug vor- gekommen. Aber wie gesagt: der Regelfall ist der, dal~ der Arzt aus einem Irrtum heraus einen Fehler mack% dock tun wit arch dann gut, Irrtum und Fehler begrifflich zu unterscheiden.

Irrtümer und Fehler des Chirurgen

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

Langenbecks Arch. u. Dtsch. Z. Chir., Bd.273 (KongreSbericht), S. 428--444 (1953).

LX, h ' r t i i m e r u n d F e h l e r des Ch i ru rgen .

Vo~ I~ARL ENGIScH-Heidelberg (auf Einladung).

I. Nachdem Ihnen Herr Kollege EBERHARD SCttMIDT die mit jeder normalen Operation verbundenen reehtlichen Probleme vor Augen ge- fiihrt hat und sich sehon hierbei genStigt sail, auf die dem Arzt yon der Justiz drohenden Gefahren hinzuweisen, zugleich auch sich schiitzend vor den Arzt zu stellen, um schiefe rechtliche Bewertungen seines Ver- haltens abzuwehren, ist es meine Aufgabe, yon den noch heikleren F~llen zu sprechen, in denen dem Arzt ein Irrtum, ein l~ehler, ein Ver- sehen unterlguft. War schon der SCItMIDTsche Vortrag dazu angetan, das landesiibliche MiBtrauen des Arztes gegen den Juristen erneut anzu- fachen, so rauB ich ffirchten, einen wahren Feuersturm des UnwiUens zu erregen, wenn ich mich anschieke, yon Schuld, Verantwortung und Hal- tung des Chirurgen zu reden. Aber diese Furcht wird aufgewogen durch die zuversichtliche Hoffnung, Ihnen zeigen zu kSnnen, daft unsere modernen juristischen Auffassungen wohl geeignet sind, die riehtige Grenze zwischen gewisscnhaftem und gewissenlosem Handeln zu be- stimmen. Jurist und Chirurg ziehen an einem Strang, wenn es gilt, diese Grenze zu linden. Wir mfissen also verst~ndnisvoll zusammen- arbeiten, um den verantwortungsbewul~ten Chirurgen, dem eine Opera- tion miBgliickt, vor unbegrfindetem Vorwurf zu schfitzen, abet auch durch Haftbarmachung fiir wirktiches Versehulden diejenigen zu treffen, die nut eine Gefahr ffir das Ansehen des Arztestandes bedeuten kSnnen. Wie jeder Stand dtirfte auch dcr ~rz tes tand nicht daran interessiert sein, dab die Verantwortung mSglichst cntfgllt, soudern nur daran, dab sie gerecht ausf~llt. Hierin glaube ieh schou mit Herrn STIC~ ganz einig zu sein.

II . Wenn mein Thema ,,Irrtfimer und Feh]er" des Chirurgen ]autet, so handelt es sich bier nicht um zwei verschiedene Worte ffir dieselbe Sache, vielmehr handelt es sich um zwei weitgehend verschiedene und wohl zu unterscheidende Ansatzpunkte rechtlicher Haftung. Es gibt Irrtfimer ohne Fehler und Fehler ohne Irrtfimer, wenn auch hi~ufig Irr- turn und Fehler zusammenkommen doff, w o e s sich um die rechtliche Haftung handelt. Ein Irr tum ohne Fehler liegt vor, wenn der Arzt meint, er mache jetzt einen Fehler, w~hrend er in Wirldichkeit keinen begeht. Ein Fehler ohne I r r tum liegt vor, wenn der Arzt bewul~t gegen die Regeln seiner Kunst handelt. Dieses wie jenes ist oft genug vor- gekommen. Aber wie gesagt: der Regelfall ist der, dal~ der Arzt aus einem Irr tum heraus einen Fehler mack% dock tun wit arch dann gut, I r r tum und Fehler begrifflich zu unterscheiden.

Page 2: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

Rechtsfragen in der Chirurgie : Irrtiimer und Fehler des Chirurgen. 429

III . Ich rede zunachst vom Irrtum. Da ist zunachst eine vielleicht iiberraschende, aber doch saehlich gebotene Eigentfimliehkeit des juristi- schen Spraehgebrauches hervorzuheben. Der Jurist spricht yon ,,Irr- turn" nicht nur beim Fehlgreifen einer wirklich v~rhandenen Vorstel- lung, sondern auch helm v611igen Fehlen einer der Wirklichkcit ange- messenen Vorstellung. So ist e in I r r tnm nicht nur das Stellen einer falsehen Diagnose, wo sich der Arzt bestimmte Gedanken macht, die nur nieht stimmen, sondern ein Ir r tum ist auch die vSllige Ahnungs- losigkeit yon einem bestimmten Umstand bei der kSrperlichen Ver- fassnng des Patienten, desgleichen auch die absolute Unkenntnis ge- wisser rechtlicher Anforderungen.

Im fibrigen mfissen wir fiir die rechtliche Beurteilung der Irrtfimer einen Unterschied i m Bezugsobjekt machen, den uns die gesetz- ]iche Regelung aufdrangt, namlich den Unterschied yon Tatbestands- irrtiimern und Unrechtsirrtiimern.

1. Eine der wiehtigsten Bestimmungen des StGB., der @ 59, enthalt den Satz: ,,Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein yon Tatumstanden nicht kannte, welche zum gesetz- lichen Tatbestande gehSren . . . . so sind ihm diese Umstande nicht zu- zureehnen." Was dieser etwas dunkle Satz meint, wird sogleich an Bei- spielen klar. Ich darf hier an die Ausffihrungen des Herrn Kollegen SCtIMIDT ankntipfen. Er sagte, dab ein Chirurg, der eine indizierte Operation kunstgerecht durehfiihrt, keine K6rperverletzung und keine T6tung begeht, selbst wenn die Saehe nicht :gut ausgeht. Umgekehrt miissen wir aber nun sagen, der Arzt, der eine nicht indizierte Opera- tion - - etwa auf Grund einer falschen Diagnose - - vornimmt, oder der Arzt, der gegen die Regeln der arztlichen Kunst verstSl~t, also z .B. einen Sehnitt falsch fiihrt oder eine Wunde falseh vernaht (hierher ge- hSrt auch das Beispiel yon Herrn STIcg mit dem irreponiblen Gleit- bruch), der begeht eine K6rperverletzung, unter Umstanden sogar eine TStung. Er erfiillt den ,,gesetzlichen Tatbestand" der KSrperverlet- zung bzw. der TStung. WeiB er nun aber nicht, dag die Operation nieht indiziert ist, halt er sie also irrig fiir geboten (insbesondere auf Grund einer irrigen Diagnose), oder merkt er nicht, dab er die lex artis ver- letzt, so kennt er nicht ,,die Tatumstande", die sein Handeln zur KSrper- verletzung oder TStung machen, die ,,Tatumstande, die zum gesetz- lichen Tatbestand der KSrperverletzung oder T6tung gehSren". Diese Unkenntnis bewirkt dann naeh w 59, dab ihm die Tatumstande ,,nieht zuzureehnen sind", und das hei[3t gar nichts anderes, als dal] ihm die betreffenden Umstande nicht zur Schuld gereichen, genauer: nieht als schuldhaft vorsdtzlich zustande gebracht anzurechnen sind. Der w 59, Abs. 2 fiigt hinzu: Ist die Unkenntnis durch Fahrlassigkeit verschuldet, so kann diese Fahrlassigkeit strafbar sein. Das also ist die ers te Art

Page 3: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

430 K~L ENG~SCH :

von Irrtfimern dem Bezugsobjekt nach: solche fiber ,,Tatumstande, die zum gesetzlichen Tatbestande gehbren". Wir sprechen bier kurz yon Tatbestandsirrtfimern. ttaufig spricht man auch yon ,,Tat- irrtfimern",:was aber nicht ganz genau ist.

2. GegenwKrtig wieder sehr umstritten ist die Frage, ob ein ,,Tat: bestandsirrtum" auch dann vorliegt, wenn jemand bei seinem tat- bestandlichen Handeln irrig Umstande annimmt, die sein Handeln rechtfertigen wfirdenl wenn sie wirklich vorliegen wiirden. Das Haupt- beispiel ffir den Arzt ist das, dab er irrig annimmt, tier Patient habe ihm die Einwilligung zu einer bestimmten Operation gegeben, wahrend dies in Wahrheit nieht der Fall ist. Es kann ja ein MiBverstandnis vor- kommen, oder der Chirurg glaubt irrig, die Operationsschwester habe dieses bereits auftragsgem~$ in Ordnung gebracht. Der Chirurg kann auch irrig glauben, der Patient sei genfigend aufgekl~rt und insoweit fiber die Bedeutung seiner Einwilligung im Bride, w~hrend dies tatsach- lich nicht der Fall ist. Da nun nach der bisherigen Rechtsprechung jede Operation eine Xbrperverletzung ist, kommt kS auf die Einwilligung als ,,Rechtfertigungsgrund" entscheidend an. Und auch dann, wenn man die normale Operation nicht als K5rperverletzung ansieht, kann es doch bei gewissen Operationen auf die Einwilligung als Reehtfertigungsgrund ankommen, wie z .B. bei den kosmetischen 0perationen. Wenn ~ nun der Arzt irrig eine Einwilligung ffir tatsiichlich gegeben halt, ist das nicht auch eine Art yon Tatbestandsirrtum, ffir den das vorhin Gesagte ent- spreehend zu gelten hat: keine schuldhaft vorsatzliche Kbrperver]et- zung, geschweige denn schuldhaft vorsi~tzliche Tbtung, vielleicht aber Fahrlassigkeit ? In der Tat halte ieh diese Auffassung ffir ganz richtig. Sie ist auch vom Reichsgericht und fiberwiegend auch yon der Recht- sprechung nach 1945 geteilt worden. Augenblicklich ist aber eine andere Lehre im Vordringen begriffen: der Arzt sei auch bier fiber den gesetzlichen Tatbestand als solchen ganz im kl~ren, er wisse ja, da$ er operiere nnd insofern kbrperlich verletze. Er halte sich nur falschlieh ffir berechtigt dazu, weil er die Einwilligung des Patienten zu besitzen glaube. Das sei kein Tatbestandsirrtum mehr, sondern ein Irrtum fiber das Unrechtm~Bige des Handelns, also ein Unrechtsirrtum.

3. Der eigentliche Fall des Unrechtsirrtums ist aber nun doch wohl folgender und meines Erachtens n u t folgender: der Handelnde, also f fir uns der Chirurg, ist sich fiber die Sachlage, fiber alle Tatumstande, auch fiber diejenigen, dig ffir eine Rechtfertigung in Betracht kommen, vbllig im klaren, irrt aber infolge mangelnder Vertrautheit mit den rechtlichen Grundsatzen fiber die Grenze zwischen lgechtmai~igkeit und Unrechtmai~igkeit. Ich gebe Beispiele: Der Chirurg glaubt, er dfirfe sigh fiber das Selbstbestimmungsrecht :des patienten oder seines Sorge- berechtigten ganz hinwegsetzen, also ohne Einwilligung operieren,

Page 4: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

Rechtsfrage~l in der Chirurgie: Irrtfimer und Fehler des Chirurgea. 431

wiihrend dies in Wahrheit nieht der Fall ist. Denken Sie an den be- rfihmt-beriiehtigten, auch yon EBERHARD SCHMIDT erw~hnten Reichs- gerichtsfall: der Arzt nimmt gegen den Willen des Vaters die Ampu- tation des tuberkulSs vereiterten FuBes bei einein 7jahrigen Kinde vor. Das ist ffir das Reichsgericht eine rechtswidrige KSrperverletzung, die jedoeh der Arzt nach Lage der Umstande als statthaft ansehen moehte. Oder denken Sie an den Fall, yon dem Herr STICH spraeh: der Arzt nimmt geiggentlich einer Bruehoperation ohne Befragung des Kranken gleich auch den im Bruchsack befindlichen Wurmfortsatz weg, obwohl dieser gar nieht erkrankt war. Der Arzt kann glauben, er dfirfe so handeln. Denken Sie weiter an den Fall, dab der Chirurg fiber den Urn- fang seiner Aufkl~Lrungspflicht irrt oder glaubt, sich mit einer Einwilli- gung begnfigen zu dfirfen, die der erforderlichen Aufklgrungsgrundlage entbehrt ; in Wahrheit liegt ohne die erforderllehe Aufklgrung gar keine wirksame Einwilllgung vet. Auch ein Ir r tum fiber die Nothilfe- pflicht oder ein Irr tum fiber die Berechtigung der Euthanasie sind solehe Unrechtsirrtfimer. Der Arzt h/~lt hier immer etwas ffir erlaubt, was verboten ist, etwas ffir reehtm~Big, was reehtswidrig ist in Unkennt- nis oder falseher Vorstellung fiber die Rechtslage, bei yeller Kenntnis dagegen der , ,Tatumst~nde".

l~lber diese Unreehtsirrtfimer herrscht seit Alters groBer Streit, well unser StGB. fiber sie nichts sagt. Der Laie ffihrt gem den Spruch ira Munde: Unkenntnis des Gesetzes schfitzt nicht vor Strafe, im Grunde eine Obersetzung der rSmiseh-reehtlichen Sentenz: error juris nocet. In Wahrheit ist man sieh heute wenigstens insoweit einig, daB ent- schuldbare Unrechtsirrttimer den Vorwurf aussehlieBen. Zweifelhaft und umstrit ten sind eigentlich nur noeh die unentschuldbaren, d. h. die fahrlgssigen Unrechtsirrtfimer. Wir mfissen uns vorstellen, dab der Arzt bier leieht erkennen oder in Erfahrung bringen konnte, dab er sich nicht so verhalten darf. Die einen wollen dann den dureh die Kenntnis der Tatumst~nde begrfindeten Vorsatz nicht als aufgehoben ansehen, es sei nur eine Strafmilderung am Platze, handle sich gleichsam um vors/~tz- liche KSrperverletzung oder TStung unter mildernden Umstgnden. Viele andere dagegen sehen den Rechtsirrtum im allgemeinen als vorsatz- ausschlleBend an. Die Unentschuldbarkeit gestatte nur den Vorwurf der Fahrl~ssigkeit. Es liege eine sog. ,,Rechtsfahrlgssigkeit" vet. Diese sei, wie jede Fahrl/~ssigkeit, nur in bestimmten F/~llen strafbar. Es gibt z .B. keine Bestrafung der fahrl~ssigen Freiheitsberaubung, der fahr- l~ssigen NStigung, der fahrlgssigen Verletzung der Nothilfepflieht (w 330e), wohl abet eine Bestrafung der fahrl~ssigen KSrperverletzung oder der fahrlassigen TStung. Steht man auf dem Standpunkt, dab die indizierte und kunstgerechte Operation niemals KSrperverletzung ist, sondern bei fehlender Einwilligung des Patienten nut eine eigenm/ichtige

Page 5: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

432 KARL ENGISCH :

Heilbehandlung, also vielleicht eine Freiheitsberaubung oder eine N6tL gung, so entfallt bei Rechtsfahrlassigkeit die Strafe ganz. Sieht man dagegen in der Operation immer eine KSrperverletzung, so ist es, wie scl~on gesagt, anders: die rechtsfahrlassige Annahme eines Operations- rechts ohne Einwilligung ist dann eine fahrlassige KSrperverletzung.

Es gibt iibrigens noch andere Ansichten zu diesem zentralen straf- rechtlichen Problem. Ich kann sie nicht alle vorfiihren. Der Bundes- gerichtshof hat die Frage j~ngst dahin entschieden, daB zur Schuld beim Vorsatz gehSrt, dal3 der Tater das BewuBtsein hat oder bei ge- hSriger Anspannung des Gewissens haben konnte, Unrecht zu tun.

IV. Nachdem wir die Arten des Irrtums kennengelernt haben nnd auch gleich ihre Tragweite in strafrechtlieher Hinsicht beleuchteten, wenden wir uns zun~chst einmal dem Begriff des Fehlers zu. Der Irr- turn ist augenscheinlich etwas Subjektives: das Falschsein oder Fehlen einer Vorstellung. Der Fehler ist etwas mehr Objektives: der Arzt ver- halt sich schon rein ~ul~erlich nieht so, wie er sich verhalten soll. Wie der Arzt sich verhalten soll, hat Ihnen Kollege SCHMIDT gezeigt. Der Fehler ist die Umkehrung des richtigen Verhaltens. Fehler des Chirurgen liegen insbesondere darin,

1. dab er ohne Heiltendenz operiert. Der Chirurg experimentiert mit dem Kranken oder er kiirzt gar bewuBt das Leben ab. Ieh darf gleieh bemerken, dab ich yon diesen und ahnliehen Fallen wegen ihrer Abnormitat nicht welter spreehe;

2. dab er ohne die erforderliehe Einwilligung des Patienten oder seines Sorgebereehtigten handelt bzw. dab er vor Einholung der Ein- willigung nieht gentigend aufgekl~rt hat , so dab die Einwilligung in- folge eines wesentliehen Irrtums des Patienten usw. nieht wirksam ist;

3. dab der Chirurg einen sog. ,,Kunstfehler" begeht. Er nimmt eine niehtindizierte Operation vor, oder er unterl~Bt eine indizierte Opera- t ion oder eine sonstige gebotene MaBnahme, oder er verletzt bei der Durchfiihrung der Operation die gegeln der ~rztlichen Kunst. Hier ist an die vielen F~lle zu denken, yon denen Herr STIC~ spraeh: Fort- nahme des Wurmfortsatzes, der ganz gesund ist, nur weft sich die Ge- legenheit dazu bot (keine indizierte Operation), Unterlassung yon RSntgenuntersuehungen, wo sie geboten waren, Verabs~umung einer vorbeugenden Starrkrampfspritze, Zuriieklassen yon FremdkSrpern, abgebrochenen Nadeln und abgerissenen Drains, yon schlimmeren Fehlern ganz zu sehweigen. Wir mtissen versuchen, den Begriff des Kunstfehlers noch etwas zu prazisieren.

a) In erster Linie sei hier betont, dab der Begriff des Kunstfehlers zweekm~Big objektiv zu verstehen ist, also nieht gleich zu identifizieren ist mit dem Versehulden des Arztes, wie dies z .B. GCLE~:E 1 vor

1 GUL~KE: Arch. klin. Chir. 189, 359.

Page 6: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

Rechtsfragen ia der Chirurgie: Irrtfimer und Fehler des Chirurgen. 433

15 Jahren getan hat. Was sich der Arzt bei dem Kunstfehler gedacht hat und denken konnte, bleibt zun~chst ganz bUS dem Spiel. Erst mfissen wir einmal feststellen, dab iiberhaupt im objektiven Sinne fehlerhaft gehandelt wurde, bevor wir uns mit der Person des Arztes besch~ftigen, der den Fehler begangen hat. Wenn sehon objektiv kein Kunstfehler vorliegt, hat es fiberhaupt keinen Sinn, yon Schnld und Verantwortung und Haftung zu reden. In diesem Sinn ist der Kunst- fehler die objektive Voraussetzung des Versehuldens. Wann aber liegt eigentlich ein Kunstfehler vor ?

b) Wenn eben gesagt wurde, dab der Kunstfehler etwas Objektives ist, so ist doch nicht gemeint, dab er etwas Abstraktes ist, vielmehr ist die ganz konkrete Situation zu berficksichtigen, in die der Chlrurg hineingestellt ist. Es kommt z. B. darauf an, ob die Untersuehung des Kranken und seine Operation in einer modernen, wohl ausgestatteten Klinik oder in einem kleineren Krankenhaus durchgeffihrt wurde. Man kann auch nieht immer sagen, dal~ mangels der nStigen tIilfsmittel der Fall in die Klinik h~tte abgegeben werden mfissen. Es kann ja Gefahr im Verzug sein, oder es kann der Kranke einer Abgabe in die Klinik bUS Scheu vor den Kosten widersprechen. ~berhaupt ist hgufig Erie geboten. Das Dringlichkeitsmoment gehSrt selbstverst~ndlich auch zu den ,,konkreten" Umstgnden. Bei einem Massenunglfick, z .B. einem Eisenbahnungliick, mfissen vielleicht viele rasch ~rztlich ver- sorgt werden. Da hat nicht jeder Einzelne Anspruch darauf, dab man sich gerade um ihn allein nach allen erdenklichen Regeln der Kunst bemiiht. Durehaus mache ich mir die Formulierung meines Kollegen SC~MZDT ira PozcsoLDschen Lehrbuch der Gerichtlichen Medizin zu eigen: es ist ,,die ganze Situation zu berficksichtigen, in der das kon- krete Arzt-Patientverh~ltnis Wirklichkeit geworden ist".

e) Mit 1Yachdruek mug aueh betont werden, da~ diese konkrete Be- urteilung vernfinftigerweise nur eine solche ex ante sein kann. iV[it vollem l%echt forderte dies GUL]~KE bei seinem Vor~rag im Jahre 1937. Mit einer gewissen Bitterkeit sagte er : ,,Die naehtrgg]iche, rfickbliekende Beurteilung solcher Zweifelsf~lle ist natfirlich leichter und sicherer - - und in dieser Lage befindet sich der Richter. Welche Zweifel und Sorgen aber der Arzt durchmachte, der die Lage meistern soll, ohne den wei- teren Verlauf voraussehen zu kSnnen, uud wie schwierig es ist, das Rich- tige zu finden, das weiB nur der, der solche Lagen aus e!gener Erfah- rung kennt" (a. a. O. S. 366). Etwas spgter wird ,,der Arzt, der sich mit all diesen diagnostischen und prognostischen Zweifeln auseinander- setzen und daraufhin seine Entschlfisse fassen mu{3", gegenfiberges~ellt dem ,,mit den Schwierigkeiten der grztlichen Lage nicht vertrauten l%ichter", ffir den ,,der Endausgang des Falles . . . eine Klgrung der

ganzen Lage herbeigeffihrt ha t " (s. S. 370/71). Aber jeder auf der ttShe

Langenbecks Arch. u. D~sch. Z. Chir., Bd. 273 (Kongre~bericht). 28

Page 7: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

434 KA~ E~aisc~:

der Zeit stehende gutwillige Jurist und Richter wird den Standpunkt ex ante einnehmen, ~de ihn gerade aueh diejenigen P~eehtslehrer formu- liert haben, die sieh besonders intensiv mit arztreehtliehen Fragen be- faBt haben. Wenn die Richter gelegentlieh nicht das efforderliohe Vet- stgndnis aufbringen sollten, so liegt dies nieht an den Lehren, die die Hoehsehule vermittelt, es liegt fiberhaupt nieht am Reeht selbst, es liegt vielleieht an der allgemein mensehliehen Versuehung, sieh an den Erfolg zu halten. Natfirlieh tr~tgt der Ausgang der Dinge zur Erkenntnis dessert, was riehtig und falseh war, bei, aber mehr als eine indizierende Bedeutung daft man ihm nieht zumessen. Gerade in diesem Punkt miissen l%eehtslehrer und ehirurgische Gutaehter zusammenwirken, um zu gereehteren Urteilen zu gelangen. Herr STIC~I hat ganz reeht, wenn er gesagt hat: der ~Lrztliehe Saehversti~ndige hat sogar die Pflieht, den Richter darauf hinzuweisen, dab die rfiekbliekende Sehau, die dem l%iehter m6glieh ist, dem behandelnden Arzt zur Zeit seines Handelns meist nieht m6glieh war,

d) Die sehwierigste Frage beim Kunstfehler seheint mir die nach den wissensehaftliehen MaBsti~ben der Benrteilung zu sein. Ffir dieselbe konkrete Situation halten versehiedene Chirurgen leieht u fiir riehtig und fiir falseh. Natfirlieh mug aueh in dieser Beziehung ex ante geurteilt werden. I)ag eine bestimmte Behandlungsmethode sieh in eonereto nieht bew~hrt hat, sprieht noeh nieht unbedingt gegen sie. DaB naeh der Behandlung Entdeckungen und Fortsehritte gemacht wurden, die zur Zeit der Behandlung noeh nieht oder noeh nich_t all- gemein bekannt oder anerkannt waren, darf nieht gegen den Arzt gel- tend gemaeht werden, wohl aber darf ein Arzt, der das Neue sehon ge- kannt und angewandt hat, sich auf den Fortsehritt berufen, selbst wenn er pers6nlieh kein Glfiek mit der neuen Methode hatte. Wieder stimme ieh Herrn STICl~ zu: Solange noeh bereehtigte Meinungsversehieden- heiten fiber eine Behandlungsar~ bestehen, oder wenn Zweifel an der t%iehtigkeit eines bisher allgemein gefibten Vorgehens auftauehen, wird man dem Arzt, der diese Behandlungsform noeh nieht oder nieht mehr anwendet, nieht unbedingt einen Vorwurf maehen kSnnen. Herr STIGI~ braehte das Beispiel mit den Thorotrastseh~den. Aber fiberhaupt und allgemein, d .h . ganz abgesehen yon den immer nut allm~Lhlieh und unter l~fieksehl~gen und Zweifeln sieh vollziehenden Behandlungen sollte man so etwas wie ein Toleranzprinzip anerkennen. Ieh glaube sogar, dab bier manehmal die Juristen groBzfigiger sind als die medi- zinisehen Saehverstgndigen, die allzuleieht geneigt sind, eine fremde Behandlungsmethode, yon deren Gef~Lhrliehkeit oder Sehiidliehkeit sie fiberzeugt sind, gleieh als einen Kunstfehler anzuspreehen. Das l%eiehsgerieht jedenfalls hat in einer sehr ausffihrliehen Entsehei- dung vom 1.12.31 (Bd. 67, S. 12ff., daneben s. noeh Bd. 64, S. 263ff.),

Page 8: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

gechtsfragen in der Chirurgie: Irrtfimer und Fehler des Chirurgen. 435

wo es sich um den Gegensatz yon sog. Schulmedizin und HomSopathie, zugleich auch um verschiedene Ansichten der ~rztlichen Sachverst~tn- digen fiber Notwendigkeit und Aussiehten einer Blinddarmoperation bei Vorhandensein yon Fieber handelte, dargelegt, dab es bedenklich sei, die Schulmedizin gegen die HomSopathie und Naturheillehre auszu- spielen, dab die ,,allgemeinen oder. weitaus fiberwiegend anerkannten I~egeln ~rztlicher Wissenschaft grundss keine Vorzugsstellung vor den yon der Wissenschaft abgelehnten Heilverfahren ~rztlieher Augen- seiter genieBen". Auch KS~m und K6STLI~ in dem bekannten ~Buch fiber die Haftpflieht des Arztes sprechen yon einer ,,rechtliehen Gleieh- wertigkeit aller Therapien, solange noch fiberhaupt wissensehaftlich um sie gek~mpft wird trod sie praktiseh gefibt werden" (8.46). Am aller- wenigsten kann der Richter dazu berufen sein, bei der im ganzen doeh fruchtbaren Auseinandersetzung zwischen verschiedenen medizinischen Auffassungen einer yon ihnen das ~bergewicht zu verschaffen. Hat sich der Patient kraft seines Selbstbestimmungsrechtes ffir einen Arzt bestimmter Riehtung und Heilmethode entschieden, so muB er dies bis zu einem gewissen Grade auch gegen sich gelten lassen, zum wenigsten, wenn er darfiber aufgekl~rt ist, daB dieser Arzt gewisse Behandlungs- methoden bevorzugt. Insoweit teile ieh nicht das ablehnende Urteil E. SCHMIDTS fiber die Verquickung der Frage der richtigen Behandlungs- methode mit der Frage der Einwilligung 1. Selbstverst~ndlich trete ieh E. SCHMIDT bei, wean er sagt, dal3 die ZusMmmung des Patienten zu einer fehlerhaften Behandlung den Kunstfehler night beseitigt. Ieh setze jetzt aber voraus, dab gerade fiber die Frage des Kunstfehlers noeh Meinungsversehiedenheiten bestehen kSnnen. Mit dem Toleranz- prinzip braueht jedoch keineswegs jedem Schlendrian, jeder Gewissen- losigkeit Tfir und Tor geSffnet zu sein. Das I~eiehsgerieht betont, dab jeder Arzt ,,diejenigen Grundsatze zu beaehten hat, die yon den ge- wissenhaften Vertretern des yon ihm selbst angewandten Veffahrens allgemein anerkannt sind" (Bd. 67, S. 25), dal3 ferner jeder Arzt eine Ansbildungs- und Fortbildungspflicht hat, derzufolge er seine Behand- lungsmethode auf ihre Riehtigkeit naehzupriifen hat, dab der Arzt ,,sieh neuen Lehren und Effahrungen night aus Bequemliehkeit, Eigen- sinn oder Hochmut versehlieBen darf", dab endlieh jeder Arzt ver- pflieht~t ist, ,,bei dem Hervortreten bedrohlicher Anzeichen ffir einen MiBerfolg seiner Behandlungsweise diese aufzugeben und je naeh den Umstanden die Behandlung zu andern oder einen Faeharzt beizuziehen". Dagegen ist naeh Meinung des Reiehsgerichtes kein Arzt verpfliehtet, ,ein tteilmittel oder ein/~Ieilverfahren, das gegenfiber einer bestimmten Krankheit oder nach dem. augenbliekliehen Stand der arztlichen Wissensehaft weitaus fiberwiegend als das wirksamste gilt, auch dann

1 SC~IDT, E." Lehrbuch der Gerichtlichen Medizin, S. 40/41. 1950. 28*

Page 9: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

436 KArL E~a~sc~:

anzuwenden, wenn seine auf sachliche Griinde gestfitz~e persSnliche Uberzeugung mit der iiberwiegenden Meinung nicht iibereinstimmt". Damit finde ich das, was ieh das Toleranzprinzip nannte, sehr gut aus- gedriiekt, doeh mSchte ich nicht raten, sieh allzusehr anf dieses Prinzip zu verlassen, mSchte vielmehr nut raten, bei Gutaehten dazu mitzu- wirken, dag es sich mehr und mehr durehsetz~.

e) Noeh ein letzter Punkt ist mit Bezug auf den Knnstfehler zu be- riihren. Ist der Begriff des Kunstfehlers etwa identisch mit dem Begriff der Augerachtlassung der objektiv erforderlichen Sorgfalt ? Das mSchte ich nieht ohne weiteres behaupten, wenn es sich hier aneh vielleieht mehr um eine terminologische Frage handelt. Das Problem des Kunstfehlers sehe ich im wesentlichen als ein medizinisch-teehnisches Problem an, weshalb ich auch in dieser trrage das Urteil fast ganz dem medizinisehen Sachverst~ndigen zusehieben mSehte. Im Begriff der erforderlichen Sorgfaltspflicht und ihrer Augerachtlassung liegg aber noeh etwas weiteres, nicht bloB Medizinisch-Technisches, sondern Juristisch-Norma- rives, obwohl auch hier der medizinische Saehverst~ndige mitzureden hat. Es ist nimlieh so, da6 gewisse Behandlungsweisen, obwohl medi- zinisch -delleieht dureLaus riehtig, nickt ~ngewendet ,arerden kiSnnen, weil andere als rein medizinisehe Gesiehtspunkte dagegensprechen. Wir denken also jetzt nicht so sehr an Fglle, wo sieh schon rein medizinisch Gegenindikationen gegen eine bestimmte Bel~ndlung ergeben (z. B. medizinische Bedenken gegen allznhgufiges I~Sntgen). Andererseits sehen wit jetzt aueh wied~@r ganz ab yon dem Willen des Patien~en, der sieh gegen eine mediziniseh riehtige BehandIung stemmen kann. Viei- mehr handelt es sich jetzt um folgendes: Immer wieder wird einmfitig yon Juristen und Medizinern betont, dab die Anspriiehe an die Sorg- falt nieht ,,fiberspannt" werden diirfen, d. h. abet doch niehts anderes, als dab selbst das mediziniseh Riehtige nicht immer und nicht unbedingt gesehehen kann. Zwei Griinde sind es vor allem, die dazu nStigen, die Anforderungen an die Sorgfalt einzuschriinken: die Notwendigkeit, mit vorhandenen Kr i f ten hanszuhMten, und der Kostenlannkt. Je bedeuten- der ein Chirurg ist, nm so mehr ran6 er seine Krgfte teilen, fiir viele Hilfs- bediirftige bereithMten. Er mug sieh auch auf Hilfskrgfte und sogar auf den Patienten selbst verlassen dfirfen. In diesen Zusammenhang gehgrt der yon I-Ierrn STIC~r erwghnge ~'all mit dem brandigen Arm des 5jghrigen Kindes. Es ist ein {}berslaannen der Sorgfaltspflicht zu ver- langen, dab der Chirurg selbst das Kind innerhalb 24 Std aufsucht, um den Verband nachzuprfifen. Auf der anderen Seite sind viele Be- handlungsarten kostspielig. Nan kann bald dem Patienten selbst, bald der Krankenkasse, bald dem Staat nicht zumuten, das ~uflerste zu tun, wenn die Gef~hr nicht besonders groB ist. Aus diesen und ghn- lichen Gesichtspnnkten ergibt sich das, was man vielleicht die soziMe

Page 10: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

Rechtsfragen in der Chirurgie: Irrtiimer und Fehler des Chirurgen. 437

Norm des ~rztlichen Handelns nennen kann. Diese soziale Norm tr i t t neben die medizinische lex artis. Beide zusammen ergeben erst die ,,objektiv erforderliche Sorgfalt". Nut wenn beide zusammen verletzt sind, liegt nicht bloI~ ein Kunstfehler, sondern auch ,,AuBerachtlassung der erforderliehen Sorgfalt" vor, aber darum immer noeh kein Ver- schulden !

V. Damit kommen wir nun ins Zentrum der Dinge. Weder der In'- turn fiir sieh allein, noch der Kunstfehler ~fir sich allein, noeh auch das Zusammentreffen yon Irr tum und Kunstfehler begrfinden bereits ein Verschulden und damit Verantwortung und Haftbarkeit. Errare hu- manure est. Das bedeutet ja nichts anderes, als dab jedem ein Irr tum unterlaufen kann, ohne dab man ihm sehon einen Vorwurf machen darf. Der Jurist pflegt insbesondere zu sagen: kein Vorwurf und keine Haftbarkeit fiir b]o•e Verstandesfehler als solche. Andererseits be- grfindet auch der Kunstfehler ffir sich noeh keine Haftung. Darauf zielen die viel zitierten, schon beriihmt gewordenen Worte des Reichs- gerichtes, da~ aueh der geschiekteste Arzt nicht mit der Sicherheit einer Maschine arbeite~, dal~ trotz aller F~higkeit und Sorgfalt des Operateurs ein Griff, ein Schnitt oder Stieh mi~lingen kann (RGZiv. 78, 435). Und wie I r r tum und Kunstfehler nieht jeder fiir sich allein Vorwerfbar- keit begrfinden, so tun sie es auch nieht zusammen. Damit y o n einem Versehulden gesproehen werden kann, ist vielmehr erforderHch, dab die Art und Weise des Zustandekommens des Irr tums bzw. des Kunst- fehlers, dal3 die Art der ,,Motivation" zum Vorwurf gereieht. Dazu ge- hSrt aber aul3er Zureehnungsf~higkeit, fiber welehe hier nicht n~her ge- sproehen zu werden braueht, eine normale Motivationslage (sie fehlt z. B. bei einem entschuldbaren Notstand) und vor allem das Zutreffen einer der besonderen Schuldformen: Vorsatz und Fahrl~ssigkeit.

1. Die F/~lle der Vors/ttzlichkeit kSnnen im allgemeinen beiseite bleiben. Natfirhch kommen auch in Arztkreisen so gut wie in Juristen- kreisen vors~tzliehe Del ikte vor: Abtreibungen; Sterbehilfe durch Lebensabktirzung, durch den Heilzweek nieht mehr gerechtfertigte Ex- perimente. Aber diese exzeptionellen Fitlle liegen aul~erhalb des Inter- essenkreises dieser Versammlung. Eher w~re schon zu denken an vor- siitzliche Verfehlungen aus Rechtsirrtum. Aber da herrseht ja, wie wir gesehen haben, gerade Streit dariiber, ob fiberhaupt Vorsatz anzu- nehmen ist. Dagegen mul3 jeder, aueh tier im allgemeinen gewissenhafte Chirurg, einmal damit rechnen, dal3 gegen ihn im Falle eines Irrtums oder Kunstfehlers der Vorwurf der Yahrl~ssigkeit erhoben wird.

2. Bei tier Fahrliissigkeit unterscheiden wir herkSmmlieh auch noch einmal zwei Typen : die bewul3te und die unbewullte Fahrliissigkeit. Von bewul]ter Fahrl~tssigkeit sprechen wir, wenn der Handelnde sieh der

Page 11: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

438 KA~ E ~ s c ~ :

Gefahren seines Handelns fiir die Umwelt bewuSt=ist, sich aber leicht- fertig fiber sie hinwegsetzt. Ein Chirurg riskiert etwa, ohne dal3 dies dutch die Situation geboten ist, eine gefahrliche Operation in der Hoff- nung, es werde gut ausgehen. Zu denken ist namentlich auch an die Falle, da$ ein noch junger Chirurg sich an Eingriffe wagt, von denen er genau wei$, dal~ sie eigentlich sein K5nnen iiberschreiten. In solehen Fallen tier bewuSten Fahrlassigkeit geht der Vorwurf dahin, da$ der Handelnde, tier Arzt, sich durch das Wissen um die Gefahren lieber hat te abhalten lassen sollen, so zu handeln, dal~ seinVertrauen, es werde alles sehon gut gehen, frivol war. I-Ii~ufiger abet ist nun die unbewui3te Fahrlassigkeit. Der Tater merkt nicht, erkennt nicht, dab or falsch handelt. Er ist tier ehrlichen Dberzeugung, das Richtige zu tun. In diesem Punkt also, bei der unbewuBten Fahrlassigkeit, verschlingen sich Kunstfehler und Irrtum. Wahrend bei der bewuSten Fahrlassigkeit zwar yon einem Fehler, nicht wohl aber yon einem Irr tum gesproehen werden kann, ist fiir die unbewuSte Fahrliissigkeit der I r r tum eharakte- ristisch. Bei i_hr erhebt sich dann die Frage, wieso tier I r r tum fiberhaupt noch vorwerfbar sein kann, in welchem Sinne bier yon einem Verschul- den gesproehen werden darf, denn oft genug hat man das Bedenken geltend gemacht, alas im Grunde jeder I r r tum auf einem Yersagen der geistigen Krafte beruhe, ein bloSer Verstandesfehler, kein Willens- fehler sei, daher weder Strafe noch Haftung naeh sich ziehen diirfe. Ich kann jetzt bier nicht naher auf die tiefergehenden Griinde daffir ein- gehen, alas man in der herrschenden juristischen Lehre doeh auch ge- wisse Irrtiimer znm Vorwurf macht. Ich kann nur die praktischen Vor- aussetzungen eines solchen Vorwurfes behandeln. Kurz gesagt ist es so, da6 ein I r r tum dann vorwerfbar ist, wenn or bei entsprechender Be- sorgnis, Gewissenhaftigkeit und ,,Sorgfalt" vermeidbar war. Wir be- gegnen nun zum zweiten Male der ,,Sorgfalt". Zuvor forderten wit, da6 nicht nur ein Kunstfehler vorliege, sondern auch AuSerachtlassung der objektiv gebotenen Sorgfalt. Je tz t setzen wit auSerdem n0ch den Mangel einer besonderen, mehr subjektiv gerichteten Sorgfalt voraus: bei gehiiriger innerer Sorgfalt, bei geniigender i)berlegung, Aufmerksam- keit, Konzentration usw. hatte der Arzt erkennen kSnnen, daI~ er im Begriff ist, einen Knnstfehler zu begehen und die gebotene aul~ere Sorg- falt in tier Behandlung des Patienten auSer acht zu lassen, Die bei richtiger psychischer I-Ialtung und Einstellung vermeidbare Unkenntnis ist der Ansatzpunkt des Vorwurfes nnbewu6ter Fahrli~ssigkeit.

Dabei besteht noch ein gewisser Unterschied zwischen Zivilrecht und Strafrecht. Im Zivilrecht beurteilt man die Frage der psyehischen Vermeidbarkeit tier Irrtiimer und Fehler mehr abstrakt, man fragt sich, hat te wohl t in anderer Chirurg in der Stellung und Situation, in tier sich tier Beklagte befand, das Richtige erkannt? Dagegen ist im Strafrecht

Page 12: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

Rechtsfragen in der Chirurgie: Irrtiimer und Fehler des Chh'urgen. 439

der MaBstab vollkommen konkret nnd individualisierend: Konnte der angeklagte Chirurg bei seiner Vorbildung, seinen Erfahrungen, seiner seelischen Verfassung angesichts dieser ganz besonderen Situation mit all ihren eigentfimlichen Umst/inden und Anforderungen den Irr tum und damit den Kunstfehler vermeiden? Man ist also im Strafrecht eher geneigt, unvorhersehbare Komplikationen, die Notwendigkeit rascher Entscheidung, aber auch persSnliche Uneffahrenheit, Uber- mfidung, Erregung, dem Operateur zugute zu halten - - sofern nicht der Vorwurf gerade dahin gehen sollte, dab man die Operation unter diesen besonderen Bedingungen iiberhaupt nicht h/itte in Angriff nehmen und durchfiihren sollen (sog. , ,~bernahmeverschulden"), ein Vorwurf, den man sich aber hiiten sollte, schematiseh zu erheben, da ja immer aner- kennenswerte Griinde dafiir vorliegen k6nnten, sich trotz Uneffahren- heir, ~bermfidung, Erregung usw. an die Operation heranzuwagen.

VI. Objektive Fehlerhaftigkeit des ttandelns, AnBeraehtlassung der objektiv gebotenen Sorgfalt nnd subjektives Versehulden im Sinne der Vorsatzlichkeit, der bewuBten oder der unbe~mBten Fahrl~ssigkeit mfissen also zusammenkommen, wenn eine t taf tung in Sicht treten sell.

Welcher Art ist nun diese Haftung ? Wir unterseheiden vor allem straffeehtliche und zivilreehtliche Haftung. Bei der ersteren handelt es sich um die S/ihnung des Vergehens dureh den Staat, bei der letzteren um die Entsch~digung des Verletzten. Da wie dor~ mfissen wir weiter unterscheiden nach der Art der Veffehlung. Zu denken ist dabei nicht nur an Kunstfehler mit Bezug auf die Operation als solehe, sondern auch noch einmal an VerstSBe gegen die reehtlichen Grunds~tze bezfiglich der Einwilligung. Im einzelnen stellen sioh dann die Dinge etwa folgen- dermat]en dar:

1. Stra/rechtliche Ha~tung. a) Der Arzt handelt ohne die erforderliehe Einwilligung oder er handelt auf Grund diner nicht wirksam ab- gegebenen Einwilligung, und es liegt auch kein Ansnahmefall vor, we es ohne Einwi]ligung geht. Das Reiehsgericht sieht dann in jeder Ope- ration eo ipso eine KSrperverletzung, bei letalem Ausgang sogar eine TStung. Je nach tier Art des Versehnldens haben wit es dann mit vor- s/itzlieher oder fahrl/issiger KSrperverletzung bzw. T6tung zu tun. Es ist z. ]3. naeh Meinung des Reiehsgeriehtes vors~tzliehe K6rperver- letzung, wenn ein Arzt gegen den erkl~rten Willen des Patienten oder seines Sorgebereehtigten einen Eingriff vornimmt. Ist die Operation mit Verlust eines wertvollen Organs verbunden oder geht sie tSdlieh aus, so kann es sieh sogar um eine sehwere KSrperverletznng (w 224 StGB.) oder eine KSrperverletzung mit tSdliehem Ausgang (w 226) handeln. Hat der Chirurg in fahrl/~ssigem Irr tum angenommen, er sei im Besitze der efforderliehen Einwi]ligung, so liegt naeh der bisher

Page 13: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

440 KxaL E~oisca:

herrschenden Lehre wenigstens fahrl~ssige K6rperverletzung, eventuell auch fahr]~ssige TStung ~or. t ta t der Arz~ unentschuldbar rechtsirrig gemeint, er benStige die Einwilligung fiberhaupt nicht, so liegt nach der einen Meinung vors~tzliche KSrperverletzung, nach der anderen Meinung fahrl~ssige KSrperverletzung bzw. fahrli~ssige TStung vor. Diese gauze Art der Bewertung iirztlichen I.iandelns, alas ja im iibrigen vSllig kunstgerecht sein kann, ist, wie Kollege SCHMIDT ge- zeigt hat, Wenig befriedigend, daher sollte man bei FeMen bloB der Einwilligung and bei korrektem Verhalten im fibrigen nicht mit den KSrperverletzungs-und TStungsbestimmungen operieren, sondern mit dem Gesiehtspunkt. der eigenm~ichtigen Heilbehandlung, der allerdings heute immer noch den Umweg fiber die ltickenhaften Tatbesti~nde der Freiheitsberaubung und der I~Stigung nehmen muB. Der Arzt, der bewuBt und gewollt olme die erforderliche Einwilligung des Patienten handelt, kann sich also eventuell einer vorsgtzlichen Freiheitsberaubung oder NStigung schuldig Inachen. Bei Irrtum fiber das Gegebensein der Einwilligung kann natfirlich yon vorsiitzlicher Freiheitsbeeintriichtigung und IqStigung keinesfalls die Rede sein. Fahrl~Lssigkeit ist aber hier nieht s~rafbar. Bei fahxl~issigeln Rechtsirrtum fiber die Notwendigkeit der Einwilligung herrscht wieder Streit, ob Vorsatz oder Fahrl~ssigkeit anzunehmen ist. l~ur in ersterem Falle wfirde man zu Strafbarkeit gelangen.

b) Ist mit Bezug auf die Einwilligung alles in Ordnung und begeht der Arzt einen Kunstfehler bzw. liegt AuBerachtlassung yon Sorgfalt vor, bei oder naeh der Operation, sei es durch Handeln, sei es dureh Unter- lassen, so kommen wieder die Tatbestande der KSrperverletzung oder der TStung in Sicht. Von vollendeter KSrperver]etzung oder TStung kann allerdings nur die Rede sein, wenn sich der Kunstfehler aueh irgendwie gesundheitssch~Ldlieh oder tSdlich ausgewirkt hat. In diesem Zusammenhang treten die schwierigen Kausalitiitsfragen auf, bei denen ebenfalls Jurist und i~rztlicher Sachverstgndiger Hand in Hand arbeiten mfissen. Ngher kann ich auf sie nicht eingehen. Die Kernfrage wird gewShnlich so formuliert: W~ire ohne den Kunstfehler die Gesundheits- schi~digung oder der Tod des Patienten nicht eingetreten bzw. mit Sicher- heir oder hSchster Wahrscheinlichkeit abgewendet worden? Die Schuldform is~ hier in aller Regel Fahrli~ssigkeit, so dab also die Ver- urteilung wegen fahrli~ssiger XSrperverletzung oder fahrl~Lssiger TStung effolgt.

2. Zivilrechtliche Ha]tung. I-Iier h~iufen sich die juristischen Schwie- rigkeiten dermal]en, dab es wenig sinnvoll ist, Sie an all die Probleme heranzuffihren. Ich muB reich daher mit Andeutungen begnfigen, be- merke vorweg, dad ffir ein Verschulden im Zivilrecht auch unent- schuldbare Rechtsirrtiimer in Frage kommen kSnnen,

Page 14: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

Rechtsfragen in der Chirurgie: Irrtiimer und Fehler des Chirurgen. 441

a) Das Handeln ohne Einwilligung kann auch zivilreohtliche Folgen haben, d. h. der gegen den Willen oder ohne den Willen des Patienten oder seines Sorgeberechtigten vorgehende Arzt kann schadenersatz- pfliohtig werden, und zwar bald aus dem Gesichtspunkt der Verletzung des Behandlungsvertrages, bald wegen sog. unerlaubter Handlung (w 823ff. BGB.). Ein Beispiel, das zu denken gibt, ist der veto Reichs- gericht entschiedene Fall, dal~ ein Arzt bei einer Kranken, die fiber Unwohlsein und tIerzschw~che klagte, gegen deren Willen und trotz ihres Sichstr~ubens eine KampferlSsungs-Injektion in die Beugeseite des reehten Unterarmes machte, woraus sich Komplikationen ergaben, die zur Amputation des Armes bis zum Ellenbogen ffihrten. Unter der Voraussetzung, dab das Sichstri~uben nioht blol3 eine i~u0erliche Re- flexion war, sondern Ausdruck einer ernstlich gemeinten Ablehnung des Eingriffes, wurde die Schadenersatzpflich~ anerkannt (Reichsger. Ziv.Sachen 158, S. 349ff.). Gerade hier wiirde dann ein unentschuld- barer Reehtsirrtum niehts helfen.

b) Die meisten Schadenersatzansprfiche beziehen sich aber nicht auf den i~rztlichen Eingriff ohne Einwillignng, sondern auf den fahr- l~ssigen Kunstfehler vor oder bei oder naeh der Operation. Die zivil- rechtliehen Ersatzansprfiche grfinden sich hier bald auf den Behandlungs- vertrag, der entweder als Dienstvertrag oder als Werkvertrag ange- sehen wird, bald auf unerlaubte Handlung (,,Delikt"), bald auch auf Gesch~ftsffihrung ohne Auftrag. Die letztgenannte Haftung ist wieder ein Ausnahmefall. Sie kommt in Betracht bei dringlicher iirztlicher

Hi l fe ffir Bewul~tlose oder nicht Geschitftsf~hige, deren gesetzlicher Vertreter. nicht zu erreichen ist. Abgesehen davon findet also die Haftung aus Ver~rag oder aus Delikt oder aus beiden Gesichtspunkten zusammen statt. Der Unterschied dieser beiden Haftungsgrfinde macht sieh namentlich bemerkbar bei der Frage der Haftung ffir Hilfspersonen. Ffir die Vertragshaftung gilt w 278 BGB. : Haftung des Arztes ffir das Versehulden der Hilfspersonen, auch wenn dem Arzt selbst kein Ver- sehulden bei der Auswahl, Instruktion und ~berwachung dieser Hilfs- person zur Last fi~llt. Dagegen gilt ffir die unerlaubte Handlung w 831 : Der Arzt halter ffir seine Verrichtungsgehilfen nut dann, wenn er sieh bei Auswahl oder Anleitung der Gehilfen oder bei der Beschaffung der Vorrichtungen und Ger~tschaften selbst etwas hat zuschulden kommen lassen. Weitere Unterschiede zwischen Vertragshaftung und Delikthaftung betreffen den Haftungsumfang (nut bei Delikthaftung Schmerzensgeld), die Person der Ersatzberechtigten (nut aus uner- laubter Handlung Ansprfiche dritter Personen, etwa der Hinterblie- benen des fahrl~ssig zu Tode gebrachten Patienten), schlieBlich die VerjKhrungsfrist (bei Vertragshaftung 30 Jahre, bei Delikthaftung nur 3 Jahre). Dagegen gilt fibereinstimmend fiir Vertragshaftung u n d

Page 15: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

4 4 2 KARL ENGISCH :

Delikthaftung der wiehtige w 254 BGB. : das mitwirkende Verschulden des Patienten mindert die gaf tung des Arztes. Mitwirkendes Verschulden karm insbesondere darin liegen, dab der Patient eine zumutbare /irzt- liche Behandiung zur Beseitigung der dutch einen Kunstfehler ge- gesetzten Gefahren odor Sehgden nicht gestattet.

VII. Ieh brooke bier mit dem materiellen Haftungsrecht ab und ge- statte mir zum Sclflul] nut noch einige prozessuale Bemerkungen. Das Wohl und Wehe des zur Verantwortung gezogenen Chirurgen hgngt nicht n n r ab yon guten l~eehtsgrunds/~tzen, sondern wesentlich auch davon, dab er im Falle t ints Straf- odor Zivilprozesses vor die reehte Sehmiede kommt. An zweierlei muB der Arzt besonders interessiert sein: an der Zuziehung geeigneter Sachverstgndiger - - eventuell soil der Sachverst/~ndige seiner ,,Riehtung" angehkren - - und an der rechten Arbeitsteilung zwisehen Gutaehter und Richter.

1. Was die Zuziehung geeigneter Saehverst/~ndiger betrifft, so ist die Lage flit den zur Verantwortung gezogenen Arzt im StrafprozeB giinstiger als im ZivilprozeB.

a) Im ZivilprozeB gilt zun~chst einmal der sehr fragwtirdige Grund- satz, dab das Gericht keine Sachverst/~ndigen zuzuziehen braueht, wenn es sieh selbst die nktige Sachkunde zntraut. Das steht zwar nicht im Gesetz, ist abet vom Reichsgerieht anerkarmt worden. Wenn allot- dings unzureiehende Begriindung des Urtefls auf mangelnde Sach- kunde sohlieBen 1/~l~t, so k~nn das Urteil der Anfhebung unterliegen. Auf der anderen Seite bestimmt die ZPO. ausdriicklieh, dab die Bestim- mung der Anzahl der Saehverst~ndigen und ihre Ausw~hl dem Prozefl- gericht anheimsteht (w 404). Das Gerieht kann sich auf einen Sach- verst~ndigen beschr/~nken. Es kann aber auek mehrere Sachverst/~ndige hkren, es kann an Stelle tines zun~ehst ernarmten SaehverstEndigen andere ernennen, es kann eine neue Begutuohtung durek die alton und dutch neue Saehverst~Lndige anordnen, wenn es das bisherige Gut- aehten ffir unzureiohend h~lt (w 404, w 412). Sehr wichtig und naoh- teilig ist, dab das Geriekt bezfiglieh der Person des Sachverst~ndigen nicht an die Wfinsehe der Parteien gebunden ist, wenn es auch diese Wiinsche berfieksichtigen kann und beriicksiehtigen sollte. Nur wenn sick die beiden Parteien auf bestimmte Personen als Sachverst~ndige einigen, muB das Geriokt dieser Einigung Folge geben (w 404 Abs. 4 ZPO.), ohne jedoch gehindert zu sein, selbst nook andere Saohverst/~n- dige zu bestimmen. Ist ein Sachverst/~ndiger nach Meinung einer Partei befangen, so kann er wie ein Richter abgelehnt werden (w 406, w 412 Abs. 2). Im ganzen kommt zum Vorschein der Gedanke, dab der Sach- verstgndige Richtergehilfe ist und da{~ es daher im Ermessen des Riehters se]bst stehen mul], welche Gehilfen er zuzieht und ausw/ihlt.

Page 16: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

Rechtsfragen in der Chirurgie: Irrtiimer und Fehler des Chirurgen. 443

Das kann mitunter zur Verkiirzung der Interessen des verklagten Arztes fiihren. Die Bedenken yon t ter rn STIcrr sind insofern begriindet.

b) Viel giinstiger und auch gerechter ist die lgegelung im Straf- prozel~. Vor allen Dingen kann jeder Angeklagte den ]%ichter dadurch zur Vernehmung eines bestimmten Sachverst~indigen zwingen, dab er diesen Sachverst~ndigen nach Ma~gabe des w 220 StPO. ,,unmittelbar" zur t tauptverhandlung l~dt, wobei allerdings dem Sachverst~ndigen die gesetzliche Entschadigung flit Heisekosten und Verss dargeboten werden muff. Ist dann der Sachverst~tndige im Terrain zur Haupt- verhandlung erschienen - - u n d e r ist zum Erscheinen verpflichtet - - , so muf~ das Gerieht grunds~tzlich diesen Sachverst~tndigen vernehmen (w 245; die Ausnahmen yon dem Grundsatz diirften hier kaum interes- sieren). Auf diese Weise kann der Angeklagte stets seinen Entlastungs- beweis durch Saehverst~ndige seines Vertrauens sieherstellen. Es handelt sieh hier um eines der allerwiehtigsten Rechte des Angeklagten im Strafprozef~. Vers~umt es a]lerdings der Angeklagte, selbst den betreffenden Sachverst~ndigen zur Hauptverhandlung zu ]aden, be- gniigt er sieh damit, beim Gerieht die Vernehmung eines bestimmten Sachverst~tndigen zu beantragen, so ist das Gericht wieder relativ ffei. w 244 Abs. 4 bestimmt: Der Beweisantrag auf Vernehmung eines Sach- verst~tndigen kann abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die er- forderliche Saehkunde besitzt (also ~hnlieh wie im Zivilprozef~). Hat das Gerieht bereits einen Sachverstiindigen gehSrt und wird nun die Vernehmung eines weiteren Gutaehters beantragt, so kann das Gericht solehe Antr~ge ablehnen, wenn das Gericht sich auf Grund der bis- herigen Gutachten bereits eine feste ~berzeugung gebildet hat. Dieses gilt allerdings dann nicht, wenn Zweifel an der Saehkunde des friiheren Gutaehters bestehen, das fffihere Gutaehten yon falsehen Tatsachen und Voraussetzungen ausgeht, Widerspriiche enth~lt usw. (N~theres w 244 Abs. 4). Immer hat im Straiproze~ das Gericht das ,,Prinzip der materiellen Wahrheit" zu beaehten. Es hat schon yon Amts wegen die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstreeken,die fiir die Entscheidung yon Bedeutung sind. Fragt reich aber ein Arzt, was kann ich tun, um zu beweisen, daf~ ieh keinen Kunstfehler begangen habe, die notwendige Sorgfalt angewendet babe, so kann ich immer nur raten: sorge dafiir, dal] der Gutachter Deines Vertrauens unmittelbar zur t tauptverhandlung geladen wird unter Wahrung der vorgeschrie- benen Formalit~tten. Der bekannte Verteidiger ALSBE~G war es nach meiner Erinnerung, der das Hecht der unmittelbaren Ladung als das wiehtigste Recht des Angeklagten bezeichnet hat.

2. Das Gericht ist ffeilich nieht gen5tigt, sich dem Gutaehten eines Saehverst~ndigen zu nnterwerfen. Im Zivilprozef~ wie im Strafprozel3

Page 17: Irrtümer und Fehler des Chirurgen

444 KARL E~GISO~: Irrtfimer und Feh]er des Chirurgen.

ist es Irei in der Beweiswiirdigung (w 186 ZPO., w 261 StPO.). Damit stehe ich beim letzten Punkt meiner Ausfiihrungen, der vielleicht der kritis0hste yon allen ist, denn vielleicht empfindet es der Chirurg als eine Anmal3ung des Juristen, dal3 dieser sieh weigern kann, einer wissen- schaftlichen Autorit~t Glauben zu schenken. Abet wie sell es anders sein angesichts der so h~ufigen Widersprfiche zwisehen mehreren Gut- achtern? Es ist nicht zu befiirchten, dal3 der Richter willkfirlich ver- fi~hrt. An das Prinzip der materiellen Wahrheit bleibt er ja stets ge- bunden. Die Hauptfrage wird immer die sein, die Zust~ndigkeiten zwischen Gutachter und Richter sinngemal3 zu verteilen. Der Sach- verst/indige hat an sieh sehr viel mitzureden. Er daft und sell sich ~ul3ern nieht nut fiber die Frage, ob medizinisch-technisch ein Kunst- fehler vorliegt, sondern auch fiber die Frage der gebotenen Sorgfalt, der Vermeidbarkeit yon Irrtfimern und Versehen, der Kausalit/s zwischen Kunstfehler und Gesundheitssch~digung bzw. Ted des Pa- tienten, fiber die ~%twendigkeit der Zuziehung yon Hilfspersonen und fiber die MSglichkeiten der Instruktion und der Kontrolle dieser Per- sonen. Aber es gibt auf der anderen Seite Fragen, die nur der Jurist als solcher beantworten kann, z. B. die Frage, ob ffir die Fahrl~ssig- keit ein abstrakter oder ein konkreter Mal3stab zugrunde zu legen ist, was fiberhaupt Kausalit~t im Rechtssinn heil3t, ob es auf ein Verschul- den des Arztes bei der Auswahl der Hilfspersonen ankommt oder nicht. Bei rechtem Vertrauen und gutem Willen miil3te eigentlich eine Ver- st~ndigung zwischen Gutachter und Richter immer mSglich sein. tIelfen wir daher mit, dab guter Wille und rechtes Vertrauen mehr und mehr Wurzeln schlagen!