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Solveig Richter/Saša Gavrić Das politische System Bosnien und Hercegovinas 1. Einleitung „Auch diese Stadt ist ein Setzkasten europäischer Erinnerungsstücke, jede Epoche, jede Kultur hat ein Haus hingestellt, von Rom über christliches Mittelalter, jüdische Diaspora und türkische Besetzung. Österreich-Ungarn, Faschismus, Kommunismus, Kapitalismus und American Dream, Bürgerkrieg und europäische Integration. Man könnte irgendwo eine holländische Windmühle hinbauen, der Vollständigkeit halber. Erst jetzt [...] begreife ich, dass ich mit eigenen Augen sehe, was man den Schnittpunkt europäischer Kulturen, die Grenze zwischen Morgen- und Abendland, den Vielvölkerstaat nennt.“ So beschreibt Juli Zeh ihre Emotionen in Sarajevo (Zeh 2003: 67), der Hauptstadt Bosnien und Hercegovinas, eines gerade mal 51.000 km 2 großen multiethnischen Landes zwischen Kroatien, Serbien und Montenegro, welches in den 1990er Jahren einen prominenten Platz in unseren Abend- nachrichten einnahm und heute fast schon in Vergessenheit gerät. Dabei weisen die Verfas- sungsstruktur und das politische System so viele Besonderheiten auf, dass es sich in jedem Fall lohnt, diese näher zu studieren. Bosnien und Hercegovina ist ein sehr junges souveränes Land und kann auf keine jün- geren Erfahrungen moderner Eigenstaatlichkeit zurückblicken, obgleich es natürlich inner- halb Jugoslawiens als eigenständige Republik bereits als abgeschlossene administrative Einheit fungierte (Calic 1996: 45). Wer durch die Straßen von Sarajevo streift, wird die Spuren jahrhundertelanger Fremdherrschaft an nahezu jeder Straßenecke finden. Die Hauptstadt Bosnien und Hercegovinas, Sarajevo, war 1914 Schauplatz des Attentats auf den Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand, das den Ersten Weltkrieg auslöste. 1918 wurde das Land Bestandteil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slo- wenen, 1929 offiziell umbenannt in Königreich Jugoslawien. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Land in seinen jetzigen Staatsgrenzen in die Föderative Volksrepublik Jugosla- wien (Verfassung von 1946), seit 1963 Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien integriert. Die Verfassung von 1974 gewährte den Republiken und autonomen Provinzen weitreichende Kompetenzen nach dem Prinzip der Selbstverwaltung, was heute als eine der Ursachen für das Auseinanderdriften der Republiken und letztlich den Zerfall Jugoslawiens gilt (Calic 1996: 17). Angesichts der Diskussion um eine staatliche Reform und des Sys- temgegensatzes zwischen den Kroaten und den Serben bemühte sich das Land vergeblich um den Erhalt des Gesamtstaats (Imbusch 1999: 176). Nach den Unabhängigkeitserklärun- gen Sloweniens und Kroatiens erklärte schließlich am 15.10.1991 auch das Parlament in Sarajevo seine Souveränität. Den Forderungen der Europäischen Gemeinschaft nach folgte schließlich am 29.2./1.3.1992 ein Referendum. Darin sprach sich zwar eine deutliche Mehrheit der Bürger für die Unabhängigkeit aus (99,4%). Dies spiegelte jedoch nicht die Gesamtheit der Bevölkerung wider, denn der Großteil der bosnischen Serben hatte das Referendum boykottiert. Die EG und die USA erkannten Bosnien und Hercegovina schließ-

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Solveig Richter/Saša Gavrić Das politische System Bosnien und Hercegovinas

1. Einleitung „Auch diese Stadt ist ein Setzkasten europäischer Erinnerungsstücke, jede Epoche, jede Kultur hat ein Haus hingestellt, von Rom über christliches Mittelalter, jüdische Diaspora und türkische Besetzung. Österreich-Ungarn, Faschismus, Kommunismus, Kapitalismus und American Dream, Bürgerkrieg und europäische Integration. Man könnte irgendwo eine holländische Windmühle hinbauen, der Vollständigkeit halber. Erst jetzt [...] begreife ich, dass ich mit eigenen Augen sehe, was man den Schnittpunkt europäischer Kulturen, die Grenze zwischen Morgen- und Abendland, den Vielvölkerstaat nennt.“ So beschreibt Juli Zeh ihre Emotionen in Sarajevo (Zeh 2003: 67), der Hauptstadt Bosnien und Hercegovinas, eines gerade mal 51.000 km2 großen multiethnischen Landes zwischen Kroatien, Serbien und Montenegro, welches in den 1990er Jahren einen prominenten Platz in unseren Abend-nachrichten einnahm und heute fast schon in Vergessenheit gerät. Dabei weisen die Verfas-sungsstruktur und das politische System so viele Besonderheiten auf, dass es sich in jedem Fall lohnt, diese näher zu studieren.

Bosnien und Hercegovina ist ein sehr junges souveränes Land und kann auf keine jün-geren Erfahrungen moderner Eigenstaatlichkeit zurückblicken, obgleich es natürlich inner-halb Jugoslawiens als eigenständige Republik bereits als abgeschlossene administrative Einheit fungierte (Calic 1996: 45). Wer durch die Straßen von Sarajevo streift, wird die Spuren jahrhundertelanger Fremdherrschaft an nahezu jeder Straßenecke finden. Die Hauptstadt Bosnien und Hercegovinas, Sarajevo, war 1914 Schauplatz des Attentats auf den Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand, das den Ersten Weltkrieg auslöste. 1918 wurde das Land Bestandteil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slo-wenen, 1929 offiziell umbenannt in Königreich Jugoslawien. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Land in seinen jetzigen Staatsgrenzen in die Föderative Volksrepublik Jugosla-wien (Verfassung von 1946), seit 1963 Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien integriert. Die Verfassung von 1974 gewährte den Republiken und autonomen Provinzen weitreichende Kompetenzen nach dem Prinzip der Selbstverwaltung, was heute als eine der Ursachen für das Auseinanderdriften der Republiken und letztlich den Zerfall Jugoslawiens gilt (Calic 1996: 17). Angesichts der Diskussion um eine staatliche Reform und des Sys-temgegensatzes zwischen den Kroaten und den Serben bemühte sich das Land vergeblich um den Erhalt des Gesamtstaats (Imbusch 1999: 176). Nach den Unabhängigkeitserklärun-gen Sloweniens und Kroatiens erklärte schließlich am 15.10.1991 auch das Parlament in Sarajevo seine Souveränität. Den Forderungen der Europäischen Gemeinschaft nach folgte schließlich am 29.2./1.3.1992 ein Referendum. Darin sprach sich zwar eine deutliche Mehrheit der Bürger für die Unabhängigkeit aus (99,4%). Dies spiegelte jedoch nicht die Gesamtheit der Bevölkerung wider, denn der Großteil der bosnischen Serben hatte das Referendum boykottiert. Die EG und die USA erkannten Bosnien und Hercegovina schließ-

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lich am 17.4.1992 an, die Aufnahme in die Vereinten Nationen erfolgte am 22.5.1992 (Ca-lic 1996: 44). Zu diesem Zeitpunkt war es bereits zu blutigen Auseinandersetzungen zwi-schen Kroatien und der jugoslawischen Volksarmee gekommen. Als multiethnisches Land in einer geostrategischen Mittellage wurde Bosnien und Hercegovina von dem Konflikt mitge- und zerrissen: Der serbisch-kroatische Krieg wirkte als „Katalysator weitreichender Segregations- und Desintegrationsprozesse“ (Calic 1996: 70) und trieb die Menschen zu exzeptioneller Grausamkeit: Massenzerstörungen, Vertreibungen und Massaker (Oschlies 2004: 749). Drei ethnische Gruppen fochten mit diametral entgegen gesetzten Interessen um dasselbe Territorium. Kroaten und Serben sahen in BiH nicht ihre Heimat, sondern wünschten den Anschluss ihrer Siedlungsgebiete an den Mutterstaat; Franjo Tuđman und Slobodan Milošević hatten schon die Teilung unter sich ausgehandelt. Die serbische Teilre-publik hatte am 9.1.1992 ihre Unabhängigkeit erklärt, wurde jedoch von der Staatenge-meinschaft nicht anerkannt. Die Bosniaken kämpften für den Erhalt „ihres“ Staates (Gro-mes 2007: 143). 1993/1994 kam es zum bosniakisch-kroatischen Krieg innerhalb Bosnien und Hercegovinas. Die Kroaten lenkten schließlich am 1.3.1994 unter dem Druck der inter-nationalen Gemeinschaft im Washingtoner Abkommen in einen Separatfrieden ein, welches die Föderation Bosnien und Hercegovinas begründete. Das Massaker von Srebrenica, wel-ches erstmals 2001 der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (In-ternational Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia – ICTY) in einer Entscheidung als Völkermord qualifizierte, führte im Sommer 1995 der Weltöffentlichkeit ihre Hilflosig-keit und Handlungsunfähigkeit vor Augen und provozierten ein energischeres Vorgehen der Vereinten Nationen unter militärischer Führung der NATO. Die Unterstützung kroatischer und bosniakischer Truppen zwang die Serben nahezu in die militärische Niederlage und so an den Verhandlungstisch. In Dayton, Ohio, USA, wurde schließlich am 21.11.1995 das Friedensabkommen (General Framework Agreement for Peace) ausgehandelt und am 14.12.1995 in Paris unterzeichnet. Dieses Abkommen brachte Frieden, schuf durch detail-lierte Bestimmungen und Annexe den Staat Bosnien und Hercegovina nahezu vollständig neu, bestätigte aber durch die Aufsplittung in die beiden Entitäten, die serbische Republik (Republika Srpska – RS, 49% des Territoriums) und die bosniakisch-kroatische Föderation (51% des Territoriums, im Folg. kurz Föderation), die ethnische Teilung (Burg 1997: 141). Der Korridor Brčko wurde bis zu einem endgültigen Schiedsspruch unter internationale Supervision gestellt.

Der Friedensvertrag von Dayton suchte unter dem Motto „Ein Staat, zwei Entitäten, drei Nationen“ (Oschlies 2004: 704) die Interessen auszutarieren und die zentrifugalen Kräfte zu bändigen. Es entstand ein komplexes politisches System, welches einen föderalen Staatsaufbau mit teilweise bis zu vier territorialen Gliederungsebenen mit konsensdemokra-tischen Elementen und weitreichenden Vetorechten für die jeweiligen Volksgruppen kom-biniert. Es basiert somit paradoxerweise weitestgehend auf ethnisch definierten Territorien und Institutionen, sieht aber gleichzeitig individuelle Menschenrechte, die Rückkehr aller Flüchtlinge und Freizügigkeit vor (Gromes 2007: 154). Das Friedensabkommen errichtete zudem das Amt des Hohen Repräsentanten (Office of the High Representative – OHR) zur Koordination und Überwachung der Implementierung der zivilen Bestandteile des Ab-kommens (vgl. Kap. 3). Wichtiger als diese primären Aufgaben war jedoch seit 1997 seine Kompetenz, Gesetze erlassen und unkooperative Politiker aus ihren Ämtern entfernen zu können, die sogenannten Bonner Vollmachten. Im Rahmen des Friedensplans wurde zudem eine internationale Friedenstruppe zur militärischen Absicherung unter NATO-, seit 2004 unter EU-Führung stationiert. Der Frieden von Dayton hat zur Verwunderung mancher gehalten (Riegler 1999: 9). Bosnien-Hercegovina gilt dennoch als eines der Paradebeispie-

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le, wie Demokratisierung als Friedensstrategie von externen Akteuren offensiv genutzt wurde, aber Defizite im Demokratisierungsprozess Frieden und Aussöhnung verhinderten (Richter 2009).

Die Verfassung von Dayton bestätigte die Rechtsnachfolge der Republik Bosnien und Hercegovina, die sich 1992 von der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) unabhängig erklärte, durch den neugegründeten Staat Bosnien und Hercegovina (Bosna i Hercegovina, im Folg. auch abgekürzt BiH; Council of Europe 2005: 3). Heute leben nach Schätzungen etwa 3,78 Millionen Bürger im Land (vgl. Tabelle 1). Anders als vor dem Krieg basiert die Definition des demos durch die Verfassung jedoch nun aus-schließlich auf dem ethnischen Prinzip und benennt explizit nur die in Bosnien und Herce-govina lebenden Bosniaken1, Kroaten und Serben als „konstituierende Völker“2 (Consti-tuent peoples3; Verfassung: Präambel, Abs. 10). Angehörige anderer Ethnien oder Minder-heiten (z.B. Roma oder Juden; in der Verfassung Others – „Andere“) werden zwar von der Staatsbürgerschaft nicht ausgeschlossen, können allerdings zahlreiche politische Posten nicht besetzen (vgl. Kap. 2.1). Diese Restriktionen treffen nicht nur die nationalen Minder-heiten, sondern allen voran auch eine große Gruppe von Staatsbürgern, die zum einen aus Mischehen stammen oder zum anderen zwar eine klare ethnische Herkunft haben, sich aber selbst dezidiert nicht einer der Volksgruppen zuordnen wollen (müssen). Das Verfassungs-gericht traf im Frühjahr/Sommer 2000 eine Reihe wegweisender Entscheidungen, wonach die Gleichberechtigung der drei konstituierenden Völker sich nicht nur auf die Gesamt-staats-, sondern auch auf Entitätsebene erstreckt, folglich Serben in der Föderation und Bosniaken/Kroaten in der RS sowie „Andere“ die gleichen Rechte und den Schutz nationa-ler Interessen genießen (vgl. auch Kap. 13). Die Verfassung fußt daher nicht auf einer Gleichheit der Bürger, sondern vor allem auf einer Gleichheit der Gruppen. Entsprechend sind auch die offiziellen Landessprachen bosnisch, kroatisch und serbisch.4 Formell sind 1 Der Begriff Bosniake (bošnjak) stammt aus dem Mittelalter und bezeichnet heute die primär in Bosnien

und Hercegovina, teilweise auch in Serbien und Montenegro lebenden Muslime. Diese Bezeichnung wurde 1993 zur Abgrenzung der ethnischen Zugehörigkeit von der rein religiösen (Islam und Muslime) eingeführt. Erstmals tauchte bei der Volkszählung 1948 die Gruppe der damals so bezeichneten „Mus-lime“ (im religiösen Sinne) auf. Die Verfassung von 1963 nannte in der Präambel „Serben, Kroaten und Muslime“, was impliziert, dass darunter eine eigene Volksgruppe verstanden wurde. Die Volkszählung 1971 verwendete explizit „Muslim“ (im Sinne einer Volksgruppe), was bis 1993 die offizielle Bezeich-nung war. 1993 wurde in Sarajevo im Rahmen der Bosniakischen Versammlung (Bošnjački sabor), an welcher alle wichtigen Intellektuellen und Politiker der Bosniaken teilnahmen, per Abstimmung der Begriff Bošnjak als Name der Nation bestimmt (zur Geschichte siehe Malcolm 1996). Der Begriff Bos-nier (bosanac) steht für eine geographische Herkunft und umfasst alle Staatsbürger Bosnien und Herce-govinas unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe. Erfasst werden mit diesem Begriff auch jene Bürger, die aus Mischehen stammen und/oder sich nicht dezidiert einer der Volksgruppen und somit einer ethnischen Identität zuordnen lassen möchten.

2 Die Begriffe „Ethnie“ und „konstituierendes Volk“/„Volksgruppe“ unterscheiden sich. Während eine „Ethnie“ eine Gruppe von Menschen umfasst, die Geschichte, Kultur, Religion oder ein spezielles Sied-lungsgebiet auch unabhängig von Staatsgrenzen teilen, steht der Begriff des „konstituierenden Vol-kes“/der „Volksgruppe“ in diesem Beitrag eher politisch für jene Gruppe von Menschen, die sowohl Staatsbürger Bosnien und Hercegovinas sind als auch einer speziellen Ethnie angehören – eben die Bosniaken, bosnischen Kroaten und bosnischen Serben. Vgl. zur Problematik z.B. Gurr 2000: 69ff.

3 Zur Problematik der Verfassungssprache vgl. Kap. 2. 4 Im Rahmen der Nationswerdung 1991/1992 kam es im ex-jugoslawischen Raum auch zu einer Redefi-

nition und Aufsplittung der bis dahin offiziellen Landessprache des Serbokroatischen in die heute offi-ziell anerkannten Sprachen bosnisch, kroatisch, montenegrinisch und serbisch (zur den Nachfolgespra-chen des Serbokroatischen siehe Kordić 2002).

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Staat und Religion getrennt. Allerdings definieren sich die unterschiedlichen Ethnien und somit auch die Volksgruppen zu einem großen Teil über ihre religiöse Zugehörigkeit (Bos-niaken/Islam – Kroaten/Katholizismus – Serben/Orthodoxie), so dass Vertreter der religiö-sen Gemeinschaften zur Sicherung der nationalen Interessen sich immer wieder in politi-sche Kampagnen einmischten (BTI 2007: 6). Die starke Vermischung von ethnischer Zu-gehörigkeit und politischen Rechten hat über Jahre hinweg zu einer stetigen Ethnisierung der gesamten gesellschaftlichen Sphäre geführt. Tabelle 1: Ethnische Gliederung Bosnien und Hercegovina 1991 und 2008 Zensus 1991 Schätzungen 2008 Insgesamt (in Millionen) 4,35 3,78 Bosniaken (1991: Muslime) (in %) 44 48 Kroaten (in %) 17 14,3 Serben (in %) 31 37,1

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach dem Zensus 1991, CIA Worldfactbook 2008 und Balkan Insight 2008.

Bosnien und Hercegovina kämpfte seit 1995 mit vier Transformationsprozessen gleichzei-tig: dem Wandlungsprozess einer Kriegs- in eine zivile Friedensgesellschaft, dem staatli-chen Neuaufbau, der politischen Demokratisierung des Landes und dem Übergang von einer kommunistischen Plan-, anschließend Kriegs- hin zu einer liberalen Marktwirtschaft (BTI 2007: 3).

„Der Krieg ging 1995 militärisch zu Ende, politisch sind die Gräben auch heute noch tief.“ So beschrieb 2004 Wolf Oschlies die Situation im Land nach nahezu zehnjährigem Friedensprozess (Oschlies 2004: 739). Leider hat sich im Wesentlichen in den vergangenen fünf Jahren daran wenig geändert. Der Friedens- und Versöhnungsprozess in Bosnien und Hercegovina wird noch Jahre, wenn nicht Generationen in Anspruch nehmen. Das Erbe des Kriegs liegt wie ein Schatten über dem Land. Nahezu jede Familie hatte Opfer zu beklagen und war von ethnischen Säuberungen betroffen. Nach dem Friedensschluss 1995 fand das geschundene Land zunächst keine Ruhe, denn die nationalistischen Parteien des Krieges entpuppten sich auch nach dem Krieg als Vetospieler mit antidemokratischen Praktiken (BTI 2007: 23). Allein der Hohe Repräsentant hatte trotz der vielen kontraproduktiven Effekte, die mit seiner Tätigkeit einher gingen (vgl. Kap. 3), einen positiven Einfluss, entfernte er doch mit Hilfe seiner Bonner Vollmachten zahlreiche Offizielle für eine Obstruktion des Friedensprozesses oder wegen ihrer Verwicklungen in Kriegsverbrechen aus ihren Ämtern. Zwar hat sich die Sicherheitslage im Land weiter verbessert. Das Monopol der physischen Gewalt liegt in den Händen staatlicher Organe (bzw. der internationalen Gemeinschaft). Nach einer umfassenden Verteidigungsreform wurden zudem 2006 die Armeen der Entitäten durch eine kleine gesamtstaatliche Berufsarmee ersetzt und ein gesamtstaatliches Verteidi-gungsministerium etabliert (BTI 2006: 5). Doch die sozial-strukturellen Nachwirkungen sind noch immer zu spüren. Der Krieg löste kaum vorstellbare Bevölkerungsverschiebungen aus. Die ethnische Landkarte hat sich massiv verändert – von einem bunten Patchwork, wie es sich noch 1991 darstellte, kann nicht mehr die Rede sein. Nach den jüngsten Zahlen des Zentrums für Forschung und Dokumentation in Sarajevo nach zwölfjähriger Recherche sind insgesamt 96.000 Kriegsopfer (verstorben oder vermisst) nachgewiesen und 440 Gefängnis-se oder Konzentrationscamps sowie 320 Massengräber lokalisiert.5 Über die Hälfte der Bür-ger lebte 1995 als Flüchtling oder Vertriebener fern ab der Heimat an einem anderen Ort.

5 Quelle: www.idc.org.ba/aboutus.html (letzter Abruf 6.8.2008).

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Trotz der nahezu vollständigen Rückgabe des im Krieg enteigneten oder besetzten Eigen-tums (93,34% im März 2006; BTI 2007: 10), kehrte nur etwa die Hälfte aller Flüchtlinge zurück. Die Rückkehr von Angehörigen, die an ihrem ursprünglichen Wohnort nicht der Ethnie der jeweils ansässigen Mehrheitsbevölkerung entstammten, wurde immer wieder durch gewalttätige Übergriffe, Diskriminierung und Einschüchterungen verhindert, so dass sich ein Großteil in den Siedlungsgebieten „ihrer“ Volksgruppe niederließ. Der Anteil der Bosniaken hat sich so seit 1991 bis heute in der Föderation von 52% auf 73% erhöht, wäh-rend sich etwa der Anteil der Serben dort von 18% auf 2% verringerte, aber in der RS von 54% auf 97% anstieg (vgl. Peters 2003: 51ff.). Der Anteil der Kroaten an der Gesamtbevöl-kerung sank von 17% vor dem Krieg auf heute etwa 14% (4,8% in der RS, 16,5% in der Föderation) (Bieber 2008: 40f.). Die Vergangenheitsbewältigung, insbesondere die (juristi-sche) Aufarbeitung eigener (Kriegs-)Verbrechen sowie die rechtmäßige Bestrafung der Täter gestaltete sich innerhalb und zwischen den Volksgruppen besonders schwierig (BTI 2007: 25). Die Justizbehörden zeigten sich lange noch unwillig, Menschenrechtsverletzungen auf-zuklären. Gerade die Aufarbeitung minderer, nichtsdestotrotz gewalttätiger Verbrechen in den Kommunen kam nicht ins Rollen, so dass beispielsweise Polizisten, die sich Vergehen schuldig gemacht hatten, weiterhin unbehelligt die Staatsmacht vertraten. Die Kooperation mit dem ICTY war lange Jahre mangelhaft. Eine speziell eingerichtete Gerichtskammer für Kriegsverbrechen im Gerichtshof Bosnien und Hercegovinas nahm schließlich erst im März 2005 in Sarajevo ihre Arbeit auf. Mittlerweile erreichten einheimische Kriegsverbrecherpro-zesse und die Arbeit des unabhängigen Zentrums für Forschung und Dokumentation in Sara-jevo einige Fortschritte bei einer sachlichen Aufarbeitung der jüngsten Geschichte. Sie er-zielten jedoch keine große politische Wirkung (BTI 2007: 25). Die mangelnde Aufarbeitung der Vergangenheit nährte jedoch die interethnischen Antagonismen weiter, schließlich hatte jede Volksgruppe ihre eigene Version der Ereignisse und fühlte sich in der Opferrolle. Histo-rische Unrechtstaten werden in der politischen Auseinandersetzung daher weiterhin instru-mentalisiert und propagiert.

Die staatliche Transformation begann mit dem Zerfall des alten Jugoslawien, mündete in die Unabhängigkeit und endete 1995 formal mit der Neugründung des Staates Bosnien und Hercegovina. Das Streben nach Frieden führte letztlich dazu, dass in der Verfassungs-struktur von Dayton den drei konstituierenden Völkern eine sehr starke Veto- und Blockade-position eingeräumt wurde. Dayton etablierte zudem einen extrem dezentralisierten Staat mit zwei Entitäten, von denen eine Teilrepublik – die Föderation – selbst noch einmal stark zer-gliedert ist. Die durch das Friedensabkommen und die umfassende Präsenz der internationa-len Gemeinschaft garantierte Sicherheit und Stabilität in den ersten Nachkriegsjahren mün-dete jedoch nicht in ein erfolgreiches, integrierendes Staatsprojekt (Richter 2009). Bosnien und Hercegovina kämpfte von Beginn an mit eklatanten Stabilitäts- und Legitimitätsdefizi-ten. Während sich die Bosniaken mit „ihrem Staat“ identifizierten, lehnten Serben und Kroa-ten das Dayton-Konstrukt lange Zeit ab und forderten die Unabhängigkeit ihrer Siedlungs-gebiete oder den Anschluss an ihre Mutterländer. Mit den demokratischen Umbrüchen und Regierungswechseln 2000 in der Bundesrepublik Jugoslawien und Kroatien fiel zwar deren Unterstützung für die sezessionistischen Absichten der bosnischen Serben und Kroaten weg, so dass sich der „meist unausgesprochene Konflikt um den dauerhaften Fortbestand Bos-niens als Staat“ (BTI 2003: 17) auf Diskussionen um die Kompetenzverteilung im Land verlagerte. Dennoch ermöglichte es das Machtgefüge in Bosnien und Hercegovina den zent-rifugalen Kräften, eine Stärkung des Gesamtstaates weitestgehend zu usurpieren. Ein Fenster der Gelegenheiten für eine umfassende Reform der staatlichen Struktur öffnete sich 2006, als sich die wichtigsten Vertreter der drei Volksgruppen auf eine Verfassungsreform verständig-

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ten, die dem Gesamtstaat eine Zukunftsperspektive hätte sichern können. Das Reformpaket scheiterte jedoch im Parlament an nur wenigen Stimmen. Einige Abgeordnete hatten sich den Plänen ihrer Parteiführung bzw. Vertretern der Volksgruppe widersetzt. De facto ist die staatliche Einheit somit nach wie vor umstritten, und die beständige Bedrohung eines Zer-falls bestimmt das politische Leben im Land weiterhin. Der Staat Bosnien und Hercegovina besitzt zudem weiterhin nur eingeschränkte Souveränität: Der Hohe Repräsentant kann im zivilen Bereich souveräne Entscheidungen aushebeln, und das staatliche Gewaltmonopol wird seit 1995 durch internationale Friedenstruppen, die Sicherheit garantieren konnten, begrenzt (1995-1996 IFOR, 1996-2004 SFOR, seit 2004 EUFOR).

Der politische Transformationsprozess wurde durch die Ablösung des autokratischen Regimes bereits mit den ersten freien Wahlen 1990 eingeleitet, geriet jedoch durch die Instrumentalisierung der nationalen Frage sogleich ins Stocken. Die drei nationalistischen Parteien der Bosniaken, Kroaten und Serben gewannen die Wahlen und bildeten eine fragi-le Koalition, die jedoch keinen Konsens über die staatliche Zukunft fand und zerbrach (Woodward 1995: 233). Die Ausgangsbedingungen für eine (fortgesetzte) Transformation waren daher 1995 im Anschluss an einen zerstörerischen Krieg ungünstig, um nicht zu sagen düster (Richter 2009). Nach einer Neugründung des Staates durch den Vertrag von Dayton mündeten die Gründungswahlen (1996) daher nicht in den Sieg eines demokrati-schen Reformbündnisses, welches die Konstituierung und Festigung demokratischer Insti-tutionen hätte voran treiben können. Die Wahlen brachten hingegen einen klaren Sieg der alten Kräfte, die nun demokratisch legitimiert den Krieg mit anderen Mitteln fortsetzten. Die nationalistischen Parteien konservierten ihre illegalen Netzwerke und konterkarierten somit die staatliche Verfassungsstruktur. Das jahrelange Gegeneinander formaler Institutio-nen und realer Machtstrukturen verhinderte die Demokratisierung und den Wiederaufbau (Oschlies 2004: 741). Das Jahr 2000 brachte mit dem Wahlsieg gemäßigter Parteien („Alli-anz des Wandels“) eine positive Zäsur, eine progressive Periode folgte. Interne politische Differenzen verhinderten jedoch grundlegende Reformen, bereits nach einem Jahr polari-sierte der Wahlkampf erneut die politische Landschaft. 2002 und 2006 gewannen wieder nationalistische oder national gesinnte Parteien. Erfolgreiche, freie und faire Wahlen fanden somit mittlerweile zwar regelmäßig statt und mündeten in Regierungswechseln auf allen Ebenen. Dennoch erweist sich Huntingtons Kriterium des zweimaligen Machtwechsels für eine gefestigte Demokratie (Huntington 1991: 266) als irreführend (Richter 2009). Bosnien und Hercegovina gehört keineswegs zum „illustren“ Kreis gefestigter Demokratien (Gro-mes 2006b: 18), sondern besitzt eher ein hybrides Regime in der Grauzone zwischen einem autoritären und liberal-demokratischen politischen System (vgl. auch BTI 2007: 5). Die Effekte der teils missglückten staatlichen Transformation auf den Demokratisierungspro-zess sind nicht zu unterschätzen. Die mangelnde Konsensbildung zum gemeinsamen staat-lichen Zusammenleben und zur Durchführung einer reformorientierten Politik stellte die „größte Hürde“ dar (BTI 2003: 17). Das komplexe Regierungssystem zur Befriedung nati-onaler Interessen sowie die Ethnisierung des demos und damit des gesamten öffentlichen und politischen Lebens hemmten die Demokratisierung. Andererseits sicherten demokrati-sche Verfahren und Rechte wiederum den nationalistischen Kräften Einflusskanäle (Richter 2009). Daraus resultierten Reformblockaden; die unklare vertikale Kompetenzverteilung6 behinderte zusätzlich transparente Entscheidungsprozesse und Gewaltenkontrolle (Richter 6 Insgesamt gibt es etwa ca. 140 Ministerien, mit teilweise gleichen oder ähnlichen Zuständigkeiten (z.B.

in den Bereichen Justiz und Bildung), insgesamt 14 Regierungen und 14 parlamentarische Versamm-lungen mit legislativen Kompetenzen (BTI 2007: 22; vgl. Kap. 14).

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2009). Vorstöße, die auf eine Steigerung der Funktionalität und Behebung zentraler Defekte des Regierungssystems abzielten, sind nach dem Scheitern der Verfassungsreform 2006 durch den Antagonismus um die staatliche Struktur blockiert und daher chancenlos (BTI 2007: 2).

Die Transformation von einer kommunistischen Plan- zu einer modernen Marktwirt-schaft nahm in den 1990er Jahren leider den Umweg über die Ausprägung einer informel-len Kriegswirtschaft und steckt daher weiterhin nur in den Anfängen. Trotz einiger Fort-schritte bleibt die wirtschaftliche Lage Bosnien und Hercegovinas prekär. Der internationa-le Währungsfond warnte im Juni 2008 vor steigenden Risiken (Inflation, Handelsdefizit) für die makroökonomische Stabilität und das Wachstum des Landes (Economist Intelligen-ce Unit 2008: 11). Kriegszerstörungen und die dichten Netzwerke zwischen politischen Eliten und wirtschaftlichen Institutionen, die sich während des Krieges bildeten und direkt im Anschluss daran weiter konsolidierten, verhinderten bisher den Aufbau einer funktionie-renden Marktwirtschaft. Zudem prägt der umfangreiche informelle Sektor, dessen Größe nach unterschiedlichen Quellen auf 20-50% des BIP geschätzt wird, auch weiterhin ent-scheidend die wirtschaftliche Entwicklung (BTI 2007: 13f.). Erschwerend für den Aufbau eines einheitlichen Marktes kommt die dezentralisierte Struktur des politischen Systems hinzu. Die ökonomische und fiskalische Politik ist fragmentiert und auf verschiedene Ebe-nen und Institutionen verteilt. Zwar hat der Hohe Repräsentant in den letzten Jahren wichti-ge Schritte zur Vereinheitlichung unternommen, etwa die Einführung einer landesweiten Mehrwertsteuer 2006 oder die Initiative zur Gründung eines Wirtschafts- und Sozialrats 2008, in welchem u.a. die Finanzminister die Staats- und Entitätsbudgets abgleichen (BTI 2007: 14). Dennoch stehen insgesamt noch zu viele Hürden für die Entwicklung eines wettbewerbsorientierten gemeinsamen Wirtschaftsraums im Wege. Positiv ist, dass BiH immerhin eine starke und unabhängige Zentralbank ebenso wie eine stabile Währung be-sitzt. Die Konvertible Mark (KM) ist mit einem Wechselkurs von 1.96 (der frühere DM-Wert) fest an den Euro gekoppelt (Economist Intelligence Unit 2008: 6). Das Bruttoin-landsprodukt lag 2007 bei 10.6 Mrd. € (das macht ca. 2.734 € pro Kopf; Quelle: Auswärti-ges Amt7), die Inflationsrate im April 2008 bei 7,5% (Economist Intelligence Unit 2008: 2). Das wirtschaftliche Wachstum ist zwar relativ hoch (2007 5,5%; Economist Intelligence Unit 2008: 7), reicht jedoch bei weitem für Bosnien und Hercegovina nicht aus, wirtschaft-lich an die anderen Länder der Region aufzuschließen. Der Privatisierungsprozess nahm erst in den letzten Jahren an Fahrt auf, und ist daher de facto auch für den Großteil des Wachstums und den gestiegenen Anteil an Direktinvestitionen, gleichzeitig aber auch für steigende Arbeitslosigkeit verantwortlich (BTI 2007: 16f.). Wirtschaftliche Investitionen durch den Staat sind somit minimal, geht doch der größte Einzelanteil des Haushaltes allein in die Finanzierung der Administration (40,5%; BTI 2007: 22). Nur etwa 42,6% der er-wachsenen Bevölkerung sind beschäftigt, die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 40-45%. Wenn auch für die Konsolidierung des Staatshaushaltes hinderlich, so ist doch für die all-gemeine wirtschaftliche Lage zumindest positiv festzuhalten, dass diese sich auf 20% ver-ringert, zählt man die Beschäftigten im informellen und somit offiziell nicht erfassten Sek-tor hinzu. Etwa die Hälfte der Haushalte lebt dennoch in Armut oder an der Schwelle dazu (BTI 2007: 12). Das soziale Sicherungsnetz und somit die staatlichen Sozialausgaben wer-den zusätzlich durch die Kriegsfolgen (Veteranen, Invaliden etc.) immens belastet und brachten die Föderation jüngst (Juli 2008) an den Rande der Insolvenz (Economist Intelli- 7 www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/01-Laender/BosnienUndHerzegowina.html

(Abruf vom 08.10.2008).

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gence Unit 2008: 2). Bosnien und Hercegovina leidet zudem in wirtschaftlicher Hinsicht unter seiner schwierigen Geographie, so dass die infrastrukturellen Voraussetzungen neben der komplexen administrativen Struktur, den langsamen Entscheidungsprozessen und der unsicheren staatlichen Zukunft bisher ausländische Direktinvestoren abschreckten (nur 3,45% des BIP; Balkan Insight 2008). Die durchaus vorhandenen wirtschaftlichen Potentia-le durch den Tourismus konnte Bosnien und Hercegovina aufgrund seines schlechten Images sowie einer weithin verminten Landschaft im Gegensatz etwa zu Kroatien bisher nicht annäherungsweise ausschöpfen.

Das von Dayton geschaffene politische System ist somit reich an Komplexität und in-neren Widersprüchen. Aufgrund des Status als ein Quasi-Protektorat der internationalen Gemeinschaft, die zum Teil noch souveräne Hoheitsfunktionen ausübt, kann der Transfor-mationsprozess Bosnien und Hercegovinas wie auch der derzeitige Demokratisierungsstand kaum mit anderen post-kommunistischen Ländern verglichen werden. Während an gleicher Stelle vor einigen Jahren Wolf Oschlies noch die Spezifika unterstrich und die Fallsticke des Friedensprozesses präzise herausarbeitete (Oschlies 2004), stellt der folgende Artikel den Versuch dar, mit dem Instrumentarien der Vergleichenden Regierungslehre das politi-sche System Bosnien und Hercegovinas in seiner Normalität zu erfassen. Dem besonderen Umstand der Rolle externer Akteure trägt der Beitrag jedoch mit einem gesonderten Kapitel (vgl. Kap. 3) Rechnung.

2. Verfassungsentwicklung und Verfassungsprinzipien 2.1 Verfassungsentwicklung und Reformdiskussion Die Verfassung Bosnien und Hercegovinas wurde als Annex 4 in das Friedensabkommen von Dayton integriert und somit direkt im Anschluss an die kriegerischen Auseinanderset-zungen ausgehandelt und angenommen. Sie ist daher kein Produkt eines Systemwechsels und demokratischen Gründungskonsenses: Weder wurde die Verfassung unter Einschluss der Bevölkerung konzipiert noch durch demokratische Prozeduren im Nachhinein legiti-miert. Sie ist vor allem ein Werk ausländischer, allen voran amerikanischer Friedensver-mittler. Die Verfassung ist darüber hinaus auch insofern ein Unikum der jüngeren Verfas-sungsgeschichte, als sie bisher nie in die Landessprachen offiziell übersetzt und darin veröf-fentlicht wurde, sondern formell gesehen nur in einer fremden Sprache, Englisch, vorliegt (Peters 2003: 51). Das Abkommen sieht eine Übersetzung vor, jedoch kamen die Verant-wortlichen in Bosnien und Hercegovina, im Wesentlichen die Präsidentschaft und der Mi-nisterrat, ihrer Pflicht bisher nicht nach. Konstitutionell unterliegt Bosnien und Hercegovi-na damit weiterhin der „Suprematie internationaler Normen“ (Oschlies 2004: 764). Die zentralen Verfassungsprinzipien und Arrangements des Regierungssystems (vgl. Kap. 2.2) sind somit nur vor dem spezifischen Entstehungshintergrund eines verhandelten Friedens zur Beendigung des bewaffneten Kampfes nachzuvollziehen. Ähnliches gilt für die Verfas-sungstexte der Entitäten: Die Verfassung der Föderation wurde im Juni 1994 ebenso als Verhandlungskompromiss zwischen Bosniaken und Kroaten (unter amerikanischer Ver-mittlung) in das Washingtoner Friedensabkommens integriert, welches in seinen Grundzü-gen auch den Friedensschluss von Dayton prägte, wie sich etwa in der verwirrenden Dop-pelung der Namen vieler Institutionen widerspiegelt (Gromes 2007: 164). Hingegen wurde die Verfassung der Republika Srpska bereits kurz vor Beginn des Bürgerkrieges 1992 ver-abschiedet und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem die Republika Srpska eine separatistische

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Teilregion bildete. Die Verfassung konzipierte daher einen unitaren Staat, dessen Ziel in der Unabhängigkeit der serbischen Siedlungsgebiete und somit gerade nicht in der Integra-tion im damals erst unabhängig gewordenen Staat Bosnien und Hercegovina bestand (Council of Europe 2005: 2f., 16; vgl. ausführlich Kap. 14.1). Damit entstanden alle Ver-fassungstexte weniger im Kontext einer politischen Transformation, sondern sie sind vor allem ein Produkt des blutigen Staats- und Nationsbildungsprozesses.

Die Verfassungsgrundlage Bosnien und Hercegovinas weist neben den gravierenden demokratischen Defiziten bei der Genese weitere rechtliche und funktionale Schwächen auf. Ein Gutachten des Europarates monierte 2005, dass zentrale Normen der Verfassung nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sind (vgl. ausführlich Kap. 2.2). Bereits 2000 hatte das Verfassungsgericht in Sarajevo festgestellt, dass die Enti-tätsverfassungen nicht mit der gesamtstaatlichen Verfassung kompatibel waren und diskri-minierende Effekte entfalteten. Dieser Mangel wurde 2002 durch den Hohen Repräsentan-ten behoben, der Veränderungen an den Entitätsverfassungen verfügte. Die institutionellen Korrekturen (vgl. ausführlich Kap. 2.2 und 14.1) erhöhten jedoch die Komplexität des Re-gierungssystems weiter. Die vielfältigen Schutzinstanzen für die Interessen der konstituie-renden Völker führten zu Blockaden, der überbordende Parlaments- und Regierungsapparat zu horrenden Staatsausgaben und ineffizientem Regieren (Council of Europe 2005: 13). Der Reformbedarf der Verfassung, insbesondere der damit verbundenen Staatsstruktur, ist somit evident. Doch die Ansprüche nach einem primär national gesteuerten Novellierungs-prozess und die verfassungsrechtlichen Hürden mit einer Zweidrittelmehrheit in der ersten Kammer des Parlaments inklusive der Zustimmung mindestens jeweils eines Drittels der Abgeordneten beider Entitäten sind recht hoch (Council of Europe 2005: 8ff.; de facto können somit die Serben der RS ein Veto gegen eine Verfassungsänderung einlegen.). Zudem gehen die Vorstellungen über die zukünftige Gestalt des Staates diametral ausein-ander. Sie reichen von einem Bestand der bisherigen Föderalstruktur (Serben) über eine noch stärkere Konföderalisierung (Forderung nach einer dritten Entität unter Teilen der Kroaten) bis hin zu einer Zentralisierung (Bosniaken) in Form von multiethnischen Regio-nen, was sich wiederum auf die konkrete institutionelle Prägung des politischen Systems, etwa des Parlaments oder der Präsidentschaft, auswirken würde. Trotz dieser Hindernisse gab es 2005/2006 einen ersten ernsthaften Reformversuch, der von der damaligen politi-schen Führung der Bosniaken und Kroaten, namentlich Sulejman Tihić und Dragan Čović, ausging. Die internationale Gemeinschaft, insbesondere der vormalige amerikanische stell-vertretende Hohe Repräsentant Donald Hays, vermittelte aktiv und initiierte mit Unterstüt-zung der Europäischen Union und des Europarates im April 2005 eine Reihe von vertrauli-chen Gesprächen unter den Parteien, die letztlich in offiziellen Verhandlungen und in einem Übereinkommen zwischen allen Beteiligten mündeten. Das im März 2006 auf Elitenebene vereinbarte Reformpaket sah eine veränderte und geschwächte Präsidentschaft, neue Kom-petenzen für den Gesamtstaat, vereinfachte Strukturen im vergrößerten Parlament und die Stärkung des Ministerrates vor. Die Änderungen hätten somit eine Akzentverschiebung in Richtung eines parlamentarischen Regierungssystems mit sich gebracht. Die vorgeschlage-nen Verfassungsänderungen erhielten jedoch im April 2006 im Repräsentantenhaus mit nur zwei fehlenden Stimmen (von 42 Abgeordneten) nicht die entscheidende Zweidrittelmehr-heit. Hintergrund waren vor allem die fundamentalen Unstimmigkeiten innerhalb der Gruppen der Bosniaken und der Kroaten gewesen. Während alle wesentlichen serbischen Parteien (SDS, SNSD und PDP), die bosniakische Partei SDA, die SDP sowie die kroati-sche Partei HDZ BiH zustimmten, hatten die bosniakische Partei SBiH und die kroatische Partei HDZ 1990, die sich erst kurz zuvor von der HDZ abgespalten hatte, zusammen mit

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einigen unabhängigen Abgeordneten der Verfassungsreform ihre Stimme versagt (zum Parteiensystem vgl. Kap. 9). Im Gegensatz zur SBiH, die unter Führung des heutigen bos-niakischen Mitglieds der Präsidentschaft Haris Silajdžić primär eine rein kosmetische Natur des Reformpakets anprangerte und dem wahltaktische Motive unterstellt werden, kritisierte die HDZ 1990 eine Einschränkung der Rechte der kroatischen Volksgruppe. Sie genoss dabei die Unterstützung der katholischen Kirche und des kroatischen Business (Sebastián 2007: 46ff.).

Mit dem Scheitern der Verfassungsreform 2006 verstummten die Debatten jedoch nicht. Ganz im Gegenteil: Die Polarisierung und Radikalität der politischen Positionen nahmen zwischen und innerhalb der Volksgruppen weiter zu und übertrugen sich auch auf sachliche Reformvorhaben, so etwa im Polizeisektor. Die Parteiführer konnten sich im April 2008 nur auf minimale Veränderungen einigen und koppelten die wesentliche Frage des Verhältnisses staatlicher Organe zu jenen der Entitäten an eine grundlegende Regelung in einer möglichen zukünftigen Verfassungsreform (Richter 2008: 3). Offensichtlich wird an diesem Beispiel die somit weiterhin bestehende Dysfunktionalität und Ineffizienz des Regierungssystems in Bosnien und Hercegovina. Erschwerend wirkt sich daher aus, dass der öffentliche Reformdiskurs und -druck selbst mehr und mehr kontraproduktive Effekte entfaltet. Er provoziert Abwehrreaktionen bis hin zu Drohungen mit einem Unabhängig-keitsreferendum bei den serbischen Politikern, die den Bestand der Entität der Republika Srpska gefährdet sehen. Dies wiederum schürt Existenzängste bei den Bosniaken, die den Bestand „ihres“ Staates in Gefahr sehen. Auch die Kroaten verstummen mit ihren Ansprü-chen nach einer eigenen Entität nicht. Die derzeitige Situation ist somit verfahren und of-fenbart ein Handlungsdilemma: Jene Eckpfeiler von Dayton, die bis heute die staatliche Einheit garantieren, wirken gleichzeitig kontraproduktiv und hemmen eine positive Dyna-mik im Land – Stabilität bedeutet derzeit Stagnation (Richter 2008: 5). Eine grundlegende Neustrukturierung der konstitutionellen Ordnung in Bosnien und Hercegovina ist somit zwar dringend nötig, so wurde vom Europarat (Council of Europe 2005) und der Europäi-schen Union (European Commission 2007) auch immer wieder betont (BTI 2007: 10). Allerdings verlangt nüchtern betrachtet eine konstruktive Auflösung des Gordischen Kno-tens der gegenwärtigen Reformdebatte in einen ethnien- und parteienübergreifenden Kon-sens von allen Beteiligten eine immense Flexibilisierung eigener Positionen.

2.2 Verfassungsprinzipien und Verfassungswirklichkeit Die wesentlichen Charakterzüge und Verfassungsprinzipien des derzeitigen politischen Systems sind vor dem Hintergrund eines frischen, ethno-politischen Konflikts entstanden. Die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen misstrauten einander und fürchteten nichts stärker als eine Marginalisierung ihrer Interessen im neu begründeten Staat Bosnien und Hercegovina. Dies bedingte eine Abkehr vom Mehrheitsprinzip und die Integration speziel-ler Sicherungsinstrumente, die garantieren konnten, dass alle wesentlichen Volksgruppen sich von der Verfassung geschützt fühlten und dem Friedensvertrag zustimmen konnten. So wurde das politische System nicht nur mit speziellen territorialen Arrangements unterfüttert sondern auch die Zusammensetzung der wesentlichen Regierungsinstitutionen zur Reflexi-on der Interessen der Volksgruppen angepasst (Council of Europe 2005: 2, 8).

Die Verfassung sieht „eine parlamentarische Demokratie mit präsidentiellen Zügen und stark ausgeprägten Elementen der Konkordanzdemokratie“ vor (Gromes 2007: 155). Neben der ersten Kammer des Parlaments (Repräsentantenhaus) wird auch die kollektive

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Präsidentschaft direkt vom Volk bestimmt. Der Ministerrat als Kabinett muss sich jedoch vor dem Repräsentantenhaus der Parlamentarischen Versammlung verantworten, weshalb die Präsidentschaft in ihrer Machtfülle den Legislativen nachsteht. Der Präsidentschaft kommt nach Art V.3(e) der Verfassung die Aufgabe zu, die Entscheidungen des Parlaments auszuführen, während der Ministerrat dafür zuständig ist, die Politik auf Staatsebene durch-zuführen (Art. V Abs. 4 (a)). Die exekutiven Kompetenzen sind somit zwischen Präsident-schaft und Ministerrat nicht klar voneinander abgegrenzt, so etwa bei der Außenpolitik, und es besteht das Risiko einer Überschneidung von Verantwortlichkeiten (Gromes 2007: 160ff., 171; vgl. auch Council of Europe 2005: 11).

Eines der Kernprinzipien der Verfassung, das bereits in der Einleitung erwähnt wurde, stellt die dezentrale Staatsorganisation dar. Nach Art. III Abs. 1 der Verfassung sind die Zuständigkeiten des Staates klar und eng gefasst, darunter: – Außen- und Außenhandelspolitik, – Zoll- und Währungspolitik, – Migrationspolitik und – Verkehrspolitik (vgl. ausführlich Savić 2003: 18). Die Verfassung schreibt alle anderen Zuständigkeiten, die nicht explizit genannt werden, den Entitäten zu, darunter auch so bedeutsame Politikfelder wie die Verteidigungspolitik (Art. III Abs. 3). Bis zu einer Neuregelung 2006 war der Staat sogar abhängig von den finanziellen Zuwendungen der Entitäten (Council of Europe 2005: 7). Die Verfassung sieht zudem nur wenige Institutionen auf staatlicher Ebene vor, darunter ein Zwei-Kammern-Parlament, eine dreiköpfige Präsidentschaft, den Ministerrat und eine Zentralbank (Artt. 4-7 der Verfassung). Das einzige Gericht, welches explizit auf staatlicher Ebene verortet wird, ist das Verfassungsgericht. Die extrem geringen Kompetenzen, die die Verfassung dem Staat explizit zuschreibt, erwiesen sich schnell als unzureichend, die Funktionalität eines modernen Staates gewährleisten zu können. In einem schleichenden Prozess, den die inter-nationale Gemeinschaft aktiv forcierte, hat der Gesamtstaat einige verfassungsrechtliche Spielräume und Sonderregelungen genutzt und seine Macht sukzessive ausgeweitet. Art. III Abs. 5 der Verfassung sieht einerseits die Möglichkeit vor, dass die Entitäten Kompetenzen abtreten können. Andererseits kann der Staat sich Kompetenzen zueigen machen, um die Souveränität, territoriale Integrität, politische Unabhängigkeit und internationale Rechtsper-sönlichkeit zu gewährleisten, und zu diesem Zwecke auch zusätzliche Institutionen schaf-fen. Darauf basierend fand ein Kompetenztransfer in den durchaus bedeutenden Politikfel-dern Verteidigung, Geheimdienste, Justiz und Steuerwesen statt (BTI 2006: 16; Bliesemann de Guevara 2007).

Neben dieser dezentralen Struktur wurden in Dayton auch eine Reihe von Machttei-lungsarrangements vereinbart, die die Interessen der drei konstituierenden Völker gegen eine Überstimmung schützen sowie diesen Zugang zu allen wichtigen Entscheidungsin-stanzen ermöglichen sollen und so dem politischen System einen starken konsensdemokra-tischen Charakter verleihen: eine kollektive Präsidentschaft, ein Haus der Völker als zweite Parlamentskammer und das Veto des vitalen nationalen Interesses (Council of Europe 2005: 3). Die kollektive Präsidentschaft (vgl. ausführlich Kap. 4) besteht aus jeweils einem Vertreter der drei konstituierenden Völker; der Vorsitz rotiert. Entscheidungen werden in diesem Gremium de facto nur im Konsens getroffen, auch wenn de jure eine Mehrheitsent-scheidung möglich wäre. Jedoch könnte das überstimmte Mitglied die Entscheidung als destruktiv für die vitalen Interessen seiner Entität erklären und ein Veto einlegen, so dass in

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der politischen Praxis bisher stets ein Ausgleich gesucht wurde (Council of Europe 2005: 11). Weitaus bedeutender war das Entitätenveto jedoch im Repräsentantenhaus (vgl. Kap. 7). Das Haus der Völker ist in der Praxis im Vergleich zu anderen föderalen Systemen wie etwa Deutschland verhältnismäßig ähnlich wie das Repräsentantenhaus (die erste Kammer) besetzt, auch wenn die Mitgliedschaft auf die drei Volksgruppen (jeweils fünf Delegierte) beschränkt bleibt. Zudem stimmen die Zuständigkeiten beider Kammern nahezu komplett überein (vgl. ausführlich Kap. 5). Im politischen System Bosnien und Hercegovinas besteht dessen institutionelle Funktion denn auch vor allem in der Möglichkeit für die Volksgrup-pen, neben dem Entitätsveto hier ein Veto des vitalen nationalen Interesses einzulegen (nach Art. IV Abs. 3(e) der Verfassung). Eine Mehrheit der bosniakischen, der kroatischen und der serbischen Abgeordneten kann erklären, dass ein (Gesetzes-)Vorschlag gegen die vitalen Interessen ihrer Volksgruppe verstößt. In diesem Fall muss im Repräsentantenhaus noch einmal jeweils die Mehrheit aller Volksgruppen dafür stimmen. Die Mehrheit einer anderen Volksgruppe kann wiederum gegen die Nutzung des Veto-Mechanismus Einspruch erheben (Art. IV Abs. 3(f) der Verf.). In diesem Fall ist ein Schiedsverfahren vorgesehen. Gelingt dieses nicht, entscheidet das Verfassungsgericht – allerdings nur zur prozeduralen Seite und nicht in der Sache (Gromes 2007: 160). Die Verfassung nimmt keine exakte the-matische Eingrenzung vor, was dazu führen kann, dass alle Sachfragen als ein nationales Interesse definiert werden können. Das Instrument des Vetos des vitalen nationalen Interes-ses wurde bisher nur sehr selten genutzt, jedoch ist die präventive, abschreckende Wirkung nicht zu unterschätzen (Council of Europe 2005: 8ff.). In der parlamentarischen Praxis spielte hingegen das Entitätsveto eine weitaus größere Rolle. Die Abgeordneten der RS konnten so mit sehr wenigen Stimmen eine Entscheidung blocken und nutzten dieses In-strument entsprechend oft (vgl. auch Kap. 7). Alles in allem eröffneten diese Schutzinstru-mente in der Vergangenheit Tür und Tor für Entscheidungsblockaden und machten ein effektives Regieren unmöglich. Die gesunde und funktionierende Balance zwischen Parti-zipation und Regierungsfähigkeit ist daher im heutigen politischen System Bosnien und Hercegovinas nicht mehr gegeben.

Neben einem klaren Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirt-schaft (Präambel, Abs. 3, 4; Art. I Abs. 2) inkorporiert die Verfassung alle relevanten inter-nationalen Menschenrechtsabkommen, institutionalisiert umfangreiche Schutzinstanzen wie etwa Ombudsmänner (vgl. Kap. 13) und sichert somit den Bürgern des Landes das „höchste Niveau von international anerkannten Menschenrechten und grundlegenden Freiheiten“ (Allgemeines Rahmenabkommen für Frieden 1995: Annex 6, Art. 1; Übersetzung d. Auto-ren). Die Verfassung ist auch insofern bemerkenswert, als dass sie der Europäischen Men-schenrechtskonvention Priorität über alle anderen Gesetze und somit direkte Geltung im innerstaatlichen Recht einräumt (Council of Europe 2005: 11). Auf dem Papier besitzt das Land somit eines der besten Schutzsysteme der Welt (Richter 2009).

Trotz dieser umfangreichen verfassungsrechtlich kodifizierten Normen widersprechen nicht nur einige zentrale Verfassungsprinzipien nach Auffassung des Europarates der Euro-päischen Menschenrechtskonvention (siehe ausführlich Council of Europe 2005: 16ff.), sondern zeichnet auch die Verfassungswirklichkeit ein anderes Bild. Der Kern des Pro-blems liegt in der Verknüpfung der territorialen und der ethnischen Komponente, die somit zwar die kollektive Gleichheit der konstituierenden Völker, und somit von Gruppen, garan-tiert, damit allerdings das Prinzip der individuellen Rechte und Gleichheit der Bürger ver-letzt (Stoessel 2001: 19). Der kombinierte Effekt der verschiedenen Schutzmechanismen

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Abbildung 1: Das politische System Bosnien und Hercegovinas (ohne Brčko).

Eigene Darstellung in Anlehnung an Oschlies 2004: 759.

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macht nicht nur ein effektives Regieren unmöglich, sondern schließt eben bestimmte Indi-viduen von politischen Rechten aus und „institutionalisiert [...]den Konflikt zwischen den Volksgruppen“ (Gromes 2007: 170). Insbesondere die Verfassungsbestimmungen zur Zu-sammensetzung und Wahl der Präsidentschaft und des Hauses der Völker sind nicht mit zentralen Menschenrechtsstandards, darunter dem Gleichheitsgrundsatz der Wahl nach Art. 25 des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte sowie dem Diskriminierungsverbot der Rahmenkonvention für nationale Minderheiten, kompatibel (vgl. Kap. 4, 5, 8). Zu der rechtlichen gesellt sich eine praktische Problematik: Der Aufbau der staatlichen Institutionen dient primär dem Ziel der Repräsentation der konstituierenden Völker. Will ein individueller Bürger somit seine Interessen vertreten sehen, wird er ge-zwungen sein, sich möglicherweise künstlich einer Volksgruppe anzuschließen, obgleich seine persönliche Identität eher multiethnisch ist. Dies hat in der Tat zu einer „Ethnisie-rung“ des politischen Systems geführt, in dem nicht mehr das Gemeinwohl des Staates sondern jenes der einzelnen Volksgruppen im Vordergrund steht, in dem de facto keine echte Wahlalternative zwischen Mehrheit und Opposition besteht, denn Parteien repräsen-tieren primär ethnische Gruppen, und in dem die Interessen von Minderheiten ignoriert werden (Council of Europe 2005: 12).

3. „Wohlwollende Diktatoren“: zur Rolle externer Akteure Das politische System Bosnien und Hercegovinas ist ohne die Rolle der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der Institution des Büros des Hohen Repräsentanten, nicht zu verstehen. Bosnien und Hercegovina ist – mit Ausnahme des Kosovo, dessen Eigenstaat-lichkeit jedoch völkerrechtlich noch umstritten ist – das einzige Land in Osteuropa, welches keine volle staatliche Souveränität besitzt und daher weiterhin als ein Quasi-Protektorat gilt. Ursprünglich war die militärische und zivile Intervention der internationalen Gemein-schaft nur für eine Übergangszeit von einem Jahr gedacht. Sie wurde jedoch 1996 zunächst um zwei Jahre und anschließend auf unbestimmte Zeit verlängert, und entwickelte sich so zu einem unbefristeten Unterfangen zum Aufbau eines kompletten, demokratischen Staates (Chandler 1999: 158). Personal und Finanzen wurden immerhin in den letzten Jahren mas-siv reduziert (von 884 Mio. US$ und 19,6 % des BIP 1998 auf 288 Mio. US$ und 6,9 % des BIP 2002; BTI 2006: 21). Weiterhin ist auf Basis eines Mandats des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen mit der EUFOR-Mission Althea internationales Militär zur Frie-denssicherung und Garantierung der Sicherheit im Land (mit einer Truppenstärke von 2.100 Mann, Stand Juli 2008 nach Angaben der Homepage von EUFOR BiH).

Der wichtigste Einzelakteur ist der Hohe Repräsentant (bzw. als Institution das Büro des Hohen Repräsentanten). Er wurde im Annex 10 des Friedensabkommens als primus inter pares unter allen externen Akteuren vor Ort mandatiert, die Implementierung der zivilen Bestandteile zu überwachen und zu koordinieren.8 Er ist politisch dem Friedensimp-lementierungsrat, einem Gremium aus 55 Staaten und internationalen Organisationen, ver-antwortlich (Vetter 2002: 480). Sein exekutiver Arm, der sogenannte Lenkungsausschuss, übt eine Art Richtlinienkompetenz in wöchentlichen Treffen in Sarajevo aus. Angesichts offener Obstruktion des Friedensprozesses durch die nationalistischen Parteien erweiterte

8 Amtsträger bisher: Carl Bildt 1995-1997, Carlos Westendorp 1997-1999, Wolfgang Petritsch 1999-

2002, Paddy Ashdown 2002-2006, Christian Schwarz-Schilling 2006-2007, seit 2007 Miroslav Lajčák.

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der Friedensimplementierungsrat auf seinem Treffen im Dezember 1997 die Kompetenzen des Hohen Repräsentanten. Die sogenannten Bonner Vollmachten umfassen die Befugnis-se, endgültige Entscheidungen treffen, Gesetze erlassen sowie Politiker aus ihren Ämtern entfernen zu können (Calic 1998: 221). Der stete Machtzuwachs hin zu einem „wohlwol-lenden Diktator“, wie sich einer der Amtsinhaber, Wolfgang Petritsch, 2002 selbst bezeich-nete, lag auch in der Besonderheit begründet, dass der Hohe Repräsentant selbst die Autori-tät zur Interpretation seines Mandats besaß (Allgemeines Rahmenabkommen für Frieden Annex 10, Art. V; Steiner/Ademović 2003: 117f.). Seit 2002 übt der Hohe Repräsentant zusätzlich in Personalunion das Amt eines Sonderbeauftragten der EU aus, koordiniert deren Programme vor Ort und berät die Brüsseler Institutionen.

De facto besitzt der Hohe Repräsentant exekutive, legislative und judikative Rechte, ohne von einer weiteren Instanz innerhalb des Regierungssystems kontrolliert zu werden. Das Verfassungsgericht Bosnien und Hercegovinas verneinte in einer Entscheidung aus-drücklich die eigene Zugständigkeit zur Überprüfung der Befugnisse des Hohen Repräsen-tanten, da dessen Mandat internationaler Natur und er damit Teil eines anderen Rechtssys-tems sei (Steiner/Ademović 2003: 120). Der Europarat kritisierte in einem vielbeachteten Gutachten 2005 diese extrakonstitutionellen Rechte des Hohen Repräsentanten. Dies heble das Prinzip der Gewaltenteilung aus (BTI 2007: 8). Zudem sei eine politische Verantwor-tung gegenüber dem Elektorat und somit dem Souverän nicht gegeben. Der Hohe Reprä-sentant stehe letztlich über dem Gesetz, da er sein Mandat selbst interpretieren und somit erweitern könne. Damit werden Grundelemente eines demokratischen Systems durch eine internationale Instanz selbst beschädigt (Council of Europe 2005; vgl. auch Richter 2009).

Für den Demokratisierungsprozess erwies sich das Instrumentarium des Hohen Reprä-sentanten gleichsam als Fluch und Segen: Einerseits gelang ihm durch die Bonner Voll-machten die Etablierung zentraler Eckpfeiler einer Demokratie (etwa die Reform des Me-dien- und des Justizsektors), die Zerschlagung illegaler Machtstrukturen und die Rückgabe besetzten Eigentums (Richter 2009): „Durch die undemokratischen Mittel des Protektors wurde Bosnien und Hercegovina demokratischer“ (Gromes 2006b: 9; Übersetzung d. Auto-ren). Zwischen Dezember 1997 und 2005 entließ der Hohe Repräsentant 190 Politiker und traf 750 Verfügungen, zum Teil auf Gesetzesebene (Gromes 2006b: 8). Von den zwischen 1997 und 2007 verabschiedeten Gesetzen verfügte somit der Hohe Repräsentant allein 29 % (Fondacija Konrad Adenauer 2008). Doch dies ging mit kontraproduktiven Nebenwir-kungen einher, darunter eine sich ausbreitende Passivität und überzogene Erwartungshal-tung bei Eliten und Bürgern. Der Hohe Repräsentant hatte einen gewissen Anteil an der Degradation eines auf Konsens angelegten politischen Meinungsbildungsprozesses zu Kon-frontation und Blockade, da kein Politiker schmerzhafte Zugeständnisse machen musste, schließlich entschied er ja meist selbst. Der Hohe Repräsentant scheute sich auch nicht davor, vom Parlament und damit einem demokratisch legitimierten Gremium bereits ange-nommene Rechtsakte zu widerrufen und somit das Prinzip der demokratischen Verantwor-tung auszuhebeln (Chandler 1999). Obgleich Christian Schwarz-Schilling und Miroslav Lajčák nur noch zurückhaltend von den Bonner Vollmachten Gebrauch machten (BTI 2007: 7), überwogen die Defizite des Handelns dennoch zunehmend die positiven Aspekte: Was in den turbulenten Transformationsphasen durchaus kurzfristig angebracht war, trug langfristig aber zu gravierenden Fehlentwicklungen und zur Ausbildung eines hybriden Regimes bei (Richter 2009). Dies erkannte auch der Friedensimplementierungsrat, der 2006 einen Rückzugsprozess einleitete. Der vollständige Abzug des Hohen Repräsentanten bzw. die Übergabe einer Reihe von Verantwortungsbereichen an den zukünftigen EU-Sonder-

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beauftragten ist nunmehr an die Erfüllung einiger weniger verbleibender Kriterien geknüpft und ist daher in den nächsten ein bis zwei Jahren zu erwarten (Richter 2008: 6f.).

Neben dem Hohen Repräsentanten intervenierte auch eine Reihe weiterer ziviler Or-ganisationen stark in den Demokratisierungsprozess und griff zum Teil immer wieder auf die Bonner Vollmachten zurück. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) organisierte etwa alle Wahlen bis 2000 (vgl. ausführlich Kap. 8). Der Eu-roparat nahm und nimmt aktiv an der Diskussion um die Verfassungsreform teil. Darüber hinaus sind – auch dies eine osteuropäische Besonderheit – einige zentrale einheimische Institutionen mit ausländischen Mitarbeitern besetzt. So bestimmt der Europäische Ge-richtshof für Menschenrechte in Straßburg nach Konsultation mit der bosnisch-hercegovi-nischen Präsidentschaft drei Mitglieder des Verfassungsgerichts, die weder Bürger von Bosnien und Hercegovina selbst noch der Nachbarländer sein dürfen (Gromes 2007: 163). Auch der Gouverneur der Zentralbank darf kein Staatsangehöriger des Landes oder der Nachbarstaaten sein (Savić 2003: 26). Die zukünftig wichtigste externe Institution ist je-doch die Europäische Union, die bereits seit einigen Jahren stärker Einfluss nimmt. Sie hat die Verantwortung für den militärischen (EUFOR) und polizeilichen Bereich (EUPM) übernommen (vgl. hierzu auch Kap. 15).

4. Staatspräsidentschaft Die Präsidentschaft (Predsjedništvo) Bosnien und Hercegovinas bildet das kollektive Ober-haupt der komplexen staatlichen Gemeinschaft. Dies setzt eine jugoslawische Tradition fort, da kollektive Präsidentschaften bereits 1974 in Bosnien und Hercegovina und 1971 auf jugoslawischer Bundesstaatsebene eingerichtet worden waren (Bieber 2008: 62; Pejanović 2005: 67). Die bosnisch-hercegovinische Präsidentschaft hatte während der jugoslawischen Ära sieben Mitglieder (zwei Serben, zwei Kroaten, zwei Muslime, wie die heutigen Bosni-aken bis 1993 noch offiziell hießen, und ein Repräsentant der „Sonstigen“), die vom Parla-ment gewählt wurden und den Vorsitz jährlich untereinander rotieren ließen. Die Direkt-wahl der Mitglieder der Präsidentschaft wurde erst 1990 eingeführt. Damit ist die heutige, durch die Daytoner Verfassung begründete kollektive Präsidentschaft keine Innovation der Friedensverhandlungen unter amerikanischer Vermittlung, sondern eine Institution mit Tradition.

Die Präsidentschaft ist mit einem Bosniaken, einem Kroaten und einem Serben ein dreiköpfiges Gremium. Neben der gängigen Parität der Volksgruppen, die wir unter ande-rem auch im Haus der Völker des gesamtstaatlichen Parlaments vorfinden, beruht die Prä-sidentschaft zusätzlich auf einer territorialen Komponente, die im Wahlverfahren zum Aus-druck kommt. Die Wahlberechtigten in der Föderation wählen direkt einen Bosniaken und einen Kroaten, während die Bürger der Republika Srpska den serbischen Vertreter bestim-men (Art. V der Verfassung). Eine Übersicht über die bisherigen Präsidentschaftsmitglieder gibt die Tabelle 2.

Serben aus der Föderation bzw. Kroaten und Bosniaken aus der Republika Srpska, wie auch alle anderen Staatsbürger, die sich nicht zu einer der drei großen Volksgruppen zuge-hörig fühlen, haben kein passives Wahlrecht und werden damit von einem Amt im obersten Staatsgremium ausgeschlossen (Bieber 2008: 62).

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Tabelle 2: Mitglieder der Präsidentschaft seit 1996 Zeitraum Bosniakisches Mitglied Serbisches Mitglied Kroatisches Mitglied 1996-1998 Alija Izetbegović, SDA Momčilo Krajišnik, SDS Krešimir Zubak, HDZ 1998-2002 Alija Izetbegović, SDA

(bis Oktober 2000); Halid Genjac, SDA (ab Oktober 2000)

Živko Radišić, SPRS Ante Jelavić, HDZ (bis März 2001); Jozo Križanović, SDP (ab März 2001)

2002-2006 Sulejman Tihić, SDA Mirko Šarović, SDS (bis April 2003); Borislav Paravac (ab April 2003)

Dragan Čović, HDZ (bis März 2005); Ivo Miro Jović, HDZ (ab März 2005)

seit 2006 Haris Silajdžić, SBiH Nebojša Radmanović, SNSD Željko Komšić, SDP

Quelle: Eigene Zusammenstellung. Parteinamen siehe Tabelle 6.

Das Wahlverfahren selbst beinhaltet eine Reihe weiterer Besonderheiten. So wird das serbi-sche Präsidentschaftsmitglied nicht nur von der serbischen Mehrheitsbevölkerung in der Republika Srpska gewählt. Bosniaken und Kroaten, die ihren Wohnsitz in dieser Entität haben, dürfen ebenso mitbestimmen, welcher Kandidat das Rennen macht. Bei knappen Wahlentscheidungen können die bosniakischen und kroatischen Stimmen somit von hoher Bedeutung sein. Wie in der RS haben auch in der Föderation die Bürger nur eine Stimme, so dass sie, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, frei entscheiden können, ob sie für das kroatische oder das bosniakische Mitglied ihre Stimme abgeben. Für die Wahl des bos-niakischen Kandidaten hat dies keine große Auswirkung, doch kann die bosniakische Bevöl-kerungsmehrheit durch die Wahl eines eigenen kroatischen Kandidaten sehr leicht einen mehrheitlich von Kroaten gewählten Kandidaten überstimmen (Gromes 2007: 161). So zog 2006 tatsächlich der kroatische SDP-Kandidat Željko Komšić in die Präsidentschaft ein, obwohl seine Wahl mehrheitlich auf Stimmen der gemäßigten bosniakischen Wähler beruh-te. Dies zeigt, dass die Interessen der kroatischen Bevölkerungsgruppe in der Präsidentschaft geringer geschützt sind als die der beiden anderen Volksgruppen (Gromes 2007: 161).

Dieses Wahl- und damit auch Repräsentationsverfahren wurde in vielen Studien kriti-siert. Das bereits angeführte Gutachten des Europarates von 2005 mahnt auch hier eine Reform an (Council of Europe 2005). Eine Lösung wäre die Aufhebung der kollektiven Präsidentschaft und die Einführung eines indirekt gewählten Präsidenten, mit stark be-grenzten Zuständigkeiten. Eine ähnliche Struktur sah in der Tat bereits der dritte Ände-rungsantrag des gescheiterten Verfassungsreformpaketes von 2006 vor, nach welchem die neue, rein repräsentative Aufgaben wahrnehmende Präsidentschaft aus einem Präsidenten und zwei Stellvertretern bestehen sollte (Parlamentarna skupština 2006: 8).

Die Präsidentschaftsmitglieder werden auf vier Jahre gewählt (nur bei den ersten Nachkriegswahlen 1996 wurde die Präsidentschaft auf zwei Jahre gewählt) und können sich anschließend für eine zweite Amtszeit zur Wahl stellen. Danach dürfen sie jedoch vier Jahre kein Mandat annehmen (Art. V der Verfassung). Das Wahlgesetz (2001) bestimmt, dass die drei Präsidentschaftsmitglieder für den Zeitraum von acht Monaten einen Vorsit-zenden wählen und anschließend der Vorsitz unter den verbleibenden zwei Mitgliedern rotiert (danach erneut von vorn). Dies stärkt den kollektiven Charakter des Gremiums. Eine formelle Abwahl der kollektiven Präsidentschaft oder einzelner Mitglieder ist nicht mög-lich, doch wurden mehrere Präsidentschaftsmitglieder nach einem Beschluss des Hohen Repräsentanten unter Nutzung der Bonner Vollmachten ihres Amtes enthoben. Das jüngste Beispiel ist die Abwahl des HDZ-Vorsitzenden Dragan Čović 2005, bis dahin kroatisches Mitglied.

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Die Kompetenzen der Präsidentschaft sprechen für eine Kombination von Elementen der parlamentarischen und der präsidentiellen Demokratie. Neben den klassischen Vertre-tungsaufgaben nimmt sie auch politische Aufgaben wahr. Die wichtigsten sind (nach Artt. V Abs. 3 und V Abs. 4 der Verfassung und der Geschäftsordnung der Präsidentschaft 2002): – Leitung der Außenpolitik Bosnien und Hercegovinas (u.a. Ernennung der Botschafter

und anderer diplomatischer Vertreter, Vertretung des Landes in internationalen und europäischen Organisationen und Institutionen, Abschluss von internationalen Verträ-gen etc.),

– die Ernennung des Vorsitzenden des Ministerrates (mit notwendiger Bestätigung durch das Repräsentantenhaus),

– Vorschlag des Jahreshaushaltes an die Parlamentarische Versammlung (wiederum auf Vorschlag des Ministerrates),

– Befehlsgewalt über die Streitkräfte (bis zur Zentralisierung auch Oberbefehl über die Entitätsstreitkräfte) und

– Ernennung von fünf Mitgliedern des Verwaltungsrates der Zentralbank. Jedes einzelne Mitglied der Präsidentschaft hat zudem das Recht, Klage beim Verfassungs-gericht einzureichen sowie das Haus der Völker der parlamentarischen Versammlung auf-zulösen.

Grundsätzlich sollte die Präsidentschaft im Konsens entscheiden (Savić 2003: 23). Wird allerdings im Einzelfall ein Mitglied überstimmt, so kann dieses den Beschluss als destruktiv gegen die Interessen seiner Entität erklären. Soweit die entsprechende Erklärung von einem Mitglied aus der Republika Srpska stammt, wird sie sofort der Volksversamm-lung (obere Kammer) dieser Entität vorgelegt. Wird die Erklärung von dem bosniakischen oder dem kroatischen Mitglied abgegeben, wird diese den bosniakischen bzw. den kroati-schen Delegierten im Haus der Völker der Föderation unterbreitet. Wenn das Veto des vitalen Interesses jeweils von einer Zweidrittelmehrheit bestätigt wird, tritt der umstrittene Präsidiumsbeschluss nicht in Kraft (Art. V Abs. 2 der Verfassung).

Diese unterschiedlichen Vetoelemente haben die Arbeit der Präsidentschaft, insbeson-dere kurz nach dem Krieg, alles andere als einfach gemacht. Die fehlende institutionelle Infrastruktur9 und die nicht-vereinbaren Gegensätze der Politik der drei nationalistischen Parteien (SDA, HDZ und SDS; Parteinamen vgl. Kap. 9), aus denen in den ersten Jahren die drei Präsidentschaftsmitglieder kamen, führten zu ständigen Blockaden. Erst mit der Wahl gemäßigter Mitglieder begann die produktive Arbeit und der institutionelle Aufbau der Präsidentschaft. Heute hat jedes Präsidentschaftsmitglied ein eigenes Team mit sechs bis sieben Beratern. Daneben gibt es seit 1999 drei weitere Verwaltungsorgane: das Gene-ralsekretariat (Arbeitsbereiche: Öffentlichkeitsarbeit, Protokoll, Finanzen, Archiv sowie Dokumentation und Logistik), das Sekretariat für Normfragen und das Sekretariat für orga-nisatorisch-finanzielle Fragen (Art. 14 der Geschäftsordnung der Präsidentschaft), die durch die fachliche, administrative und technische Hilfe die Arbeit der Präsidentschaft erleichtern sollen.

9 Unter anderem war das Büro des serbischen Mitglieds nicht in Sarajevo sondern in der serbischen

Kriegshauptstadt Pale, einer Vorstadtgemeinde Sarajevos (Gligorić 2002).

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Wie alle gesamtstaatlichen Institutionen, hängt auch die Funktionalität der Präsident-schaft sehr stark vom allgemeinen politischen Klima und den Verhältnissen zwischen den großen Parteien der drei ethnischen Gruppen ab. Blockadesituationen gehören somit wei-terhin zum Alltag. Wie schon erwähnt, sah das Verfassungsreformpaket vom April 2006 vor, dass der Kompetenzbereich des Staatsoberhaupts stark reduziert wird und das politi-sche System stärker parlamentarische Elemente aufnimmt. Eine Reform in dieser Richtung wäre in der Tat von großer Bedeutung, da das bisherige System zu viele Blockade- und Vetomöglichkeiten aufweist und ein starkes Staatsoberhaupt für konsensdemokratische Staaten zudem eher untypisch ist.

5. Parlamentarische Versammlung Bosnien und Hercegovina hat keine lange parlamentarische Tradition. Erste Vorgänger eines Parlaments wurden 1900 mit der Einrichtung des Bosnischen Landtags (Sabor) unter Österreichisch-Ungarischer Herrschaft geschaffen. Dem damaligen Landesstatut Bosnien und Hercegovinas nach konnte das mit 92 Mitgliedern besetzte Gremium Gesetze beraten und ausarbeiten, diese aber nicht verabschieden. Dies war der Zentralverwaltung in Wien vorbehalten. Durch ein festes und klares Quotensystem waren offizielle Repräsentanten der vier Religionsgemeinschaften (katholische, orthodoxe, islamische und jüdische Religion) und Angehörige dieser Religionen im Landtag vertreten (Kasapović 2005: 97; Vrankić 1998: 44f.). Während der Zeit des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, später Königreich Jugoslawiens, bildete Bosnien und Hercegovina kein einheitliches Verwal-tungsgebiet und hatte entsprechend kein Parlament. Erst mit der Gründung des sozialisti-schen Jugoslawiens begann eine kontinuierliche parlamentarischen Tradition. 1990 wurde schließlich ein Zwei-Kammern-Parlament eingerichtet, mit einem Bürgerrat (130 Abgeord-nete) und einem Gemeinderat (110 Abgeordnete) (Bieber 2008: 30). Mit dem Kriegsbeginn in der Region und der Gründung der Versammlung des serbischen Volkes in Bosnien und Hercegovina 1991 verließ die Mehrheit der serbischen Abgeordneten das Parlament, so dass eine reguläre Parlamentsarbeit bis 1996 nicht möglich gewesen war. Nach dem Ende des Krieges wurde die Struktur des Zwei-Kammern-Parlaments verändert. Die Verfassung von Dayton stattete das Parlament, die Parlamentarische Versammlung (Parlamentarna skupština), nicht mit einem Gemeinde- und Bürgerrat, sondern mit einem Repräsentanten-haus (Predstavnički/Zastupnički dom) und einem Haus der Völker (Dom naroda) aus.

Die 42 Abgeordneten des Repräsentantenhauses werden direkt gewählt, zwei Drittel aus der Föderation und ein Drittel aus der Republika Srpska (Art. IV Abs. 1 der Verfas-sung; vgl. zum Wahlsystem Kap. 8). Die Anzahl der Mandate wird nicht nach ethnischen Kriterien, sondern territorial auf die zwei Entitäten aufgeteilt. Das Haus der Völker hat 15 Mitglieder: fünf bosniakische, fünf kroatische und fünf serbische Delegierte. Während die fünf serbischen Delegierten von der Nationalversammlung der Republika Srpska (der ersten Kammer) gewählt werden, werden die bosniakischen und kroatischen Mitglieder von den bosniakischen bzw. kroatischen Delegierten des Hauses der Völker der Föderation be-stimmt (Art. IV Abs. 1 der Verfassung). Die Zusammensetzung und Wahl der beiden Kam-mern der Parlamentarischen Versammlung von Bosnien und Hercegovina gründet demnach auf dem Prinzip der Parität – eine Parität der Entitäten (beide Kammern) sowie der Volks-gruppen (Haus der Völker). Wie bei der Wahl zur Präsidentschaft, werden auch zur Wahl zum Haus der Völker Serben in der Föderation und Kroaten und Bosniaken in der Republi-ka Srpska sowie Angehörige aller anderen Gruppen in beiden Entitäten ausgeschlossen.

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Darüber hinaus werden die kroatischen und bosniakischen Delegierten nur von Bosniaken bzw. Kroaten im Haus der Völker der Föderation gewählt, so dass es den serbischen und sonstigen Delegierten in der Föderation nicht möglich ist, aktiv an der Wahl teilzunehmen (Council of Europe 2005). In der Republika Srpska bestimmen hingegen alle Abgeordneten der Nationalversammlung die fünf serbischen Mitglieder des gesamtstaatlichen Hauses der Völker.

Die Zuständigkeiten der Parlamentarischen Versammlung Bosnien und Hercegovinas werden in der Verfassung und in den Geschäftsordnungen der beiden Kammern festgelegt. Ihre Aufgaben umfassen demnach unter anderem: Verfassungsänderungen, Gesetzgebung, Ratifizierung von internationalen Verträgen, Verabschiedung des Staatshaushaltes sowie die Bestätigung und Kontrolle des Ministerrates.

Spätestens 30 Tage nach der offiziellen Bekanntgabe der Wahlresultate muss das Rep-räsentantenhaus zusammenkommen. Die erste Sitzung wird vom ältesten Abgeordneten geleitet. Die Abgeordneten wählen unter den eigenen Mitgliedern einen Vorsitzenden10, der nicht der gleichen Volksgruppe entstammen darf wie der Vorsitzende der Präsidentschaft und der des Ministerrates, und zwei Stellvertreter. Der Vorsitzende des Repräsentantenhau-ses und die zwei Stellvertreter (die alle acht Monate untereinander den Vorsitz rotieren) bilden zugleich auch das „Kollegium“, welches unter anderem folgende Aufgaben wahr-nimmt (nach Art. 4 der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses): die Einberufung, Vorbereitung und Leitung der Sitzungen der Kammer; die Koordination mit dem Haus der Völker, der Präsidentschaft sowie dem Ministerrat; die Kooperation mit politischen Partei-en, Verbänden und Nichtregierungsorganisationen. Zusammen mit den Vorsitzenden der Parlamentsfraktionen (klubovi), die zumeist aus allen Angehörigen einer Partei und aus einem Zusammenschluss unabhängiger Kandidaten bestehen, arbeitet das Kollegium in einem „Erweiterten Kollegium“ mit, welches sich bezüglich der Vorbereitung und Durch-führung der Parlamentssitzungen berät und einen einjährigen Arbeitsplan beschließt. Die Kollegien beider Kammern bilden wiederum das „Gemeinsame Kollegium“ der beiden Häuser, das Fragen der interparlamentarischen Kooperation und allgemeine, beide Kam-mern betreffende Fragen berät und Vorlagen zur Verabschiedung vorbereitet.

Das Repräsentantenhaus hat ständige Ausschüsse (komisije) und Ad-hoc-Ausschüsse. Ständige Ausschüsse setzen sich fix aus neun Mitgliedern zusammen, während Ad-hoc-Ausschüsse auch weniger Mitglieder haben können. Die Ausschüsse geben proportional in etwa die Struktur der Abgeordnetenfraktionen wieder und bestehen gleichzeitig zu einem Drittel aus Abgeordneten der Republika Srpska bzw. zwei Dritteln der Abgeordneten aus der Föderation (Art. 30 der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses). Damit ist in der Praxis der territoriale und ethnische Proporz garantiert.11

Das Haus der Völker besteht im Gegensatz zum Repräsentantenhaus aus drei festen Fraktionen: den Fraktionen der bosniakischen, der kroatischen und der serbischen Delegier-ten. Diese wählen den Kammervorsitzenden und zwei Stellvertreter, die dem Rotations-prinzip nach die Arbeit des Hauses der Völker leiten. Das Haus der Völker hat folgende Ausschüsse, die aus je sechs Mitgliedern bestehen und den ethnischen und territorialen

10 Der Vorsitzende ist kein Parlamentspräsident im engeren Sinne, da die Parlamentarische Versammlung

ja aus zwei Kammern mit jeweils einem Kollegium an der Spitze besteht. 11 Zurzeit gibt es folgende ständige Ausschüsse des Repräsentantenhauses: Verfassungsausschuss; außen-

politischer Ausschuss; Ausschüsse für Außenhandelspolitik und Zölle; Ausschuss für Finanzen und Haushalt; Ausschuss für Verkehr und Kommunikation; Ausschuss zu Fragen der Gleichberechtigung und Ausschuss zur Vorbereitung der Wahl des Ministerrates.

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Proporz widerspiegeln: Verfassungsausschuss; Ausschuss für Außenhandelspolitik, für Zölle, Verkehr und Kommunikation sowie Ausschuss für Finanzen und Haushalt.

Beide Kammern haben für bestimmte Arbeitsbereiche gemeinsame Ausschüsse. Diese haben zwölf Mitglieder, je sechs aus beiden Kammern, und sind wie die anderen Ausschüs-se auch durch den territorialen und ethnischen Proporz geprägt.12 Alle Ausschüsse tagen in der Regel öffentlich, können aber beschließen, die Öffentlichkeit auszuschließen.

Ein 2003 verabschiedetes Gesetz über den Schutz der Rechte der nationalen Minder-heiten sieht zur Vertretung der 17 anerkannten Minderheiten in Fragen der Sprache, Kultur, Bildung, Medien etc. als ein beratendes Gremium die Einberufung eines Rates der Nationa-len Minderheiten (Vijeće nacionalnih manjina) vor (Fond otvoreno društvo 2006: 32). Die-ser wurde allerdings mit großer Verspätung erst im April 2008 durch die Parlamentarische Versammlung gegründet und umfasst bisher Vertreter von nur zehn statt der 17 gesetzlich anerkannten Minderheiten. Immerhin besteht damit seit kurzem eine explizite und garan-tierte Vertretung der Minderheiten. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass die Repräsentation von Minderheiten im Haus der Völker bewusst ausgeschlossen ist. Tabelle 3: Verhältnis männlicher und weiblicher Abgeordneter im Repräsentantenhaus zwischen 1996-2006 Wahlen Ingesamt Weibliche Abgeordnete Männliche Abgeordnete 1996 42 1 2,4 % 41 97,6 % 1998 42 13 31 % 29 69 % 2000 42 3 7,1 % 39 92,9 % 2002 42 6 14,3 % 36 85,7 % 2006 42 5 11,9 % 37 88,1 %

Quelle: Eigene Zusammenstellung, nach Fond otvoreno društvo 2006.

Schaut man sich die Sozialstruktur des Repräsentantenhauses in der aktuellen Wahlperiode an, so fällt auf, dass Frauen mit nur fünf Sitzen (11,9 %) im Gegensatz zu den 37 männli-chen Abgeordneten unterrepräsentiert sind. Das Verhältnis zwischen den weiblichen und männlichen Abgeordneten seit 1996 geht aus Tabelle 3 hervor. 93 % der Abgeordneten der derzeitigen Wahlperiode haben einen Hochschulabschluss, 4,7 % einen Fachhochschulab-schluss und nur ein Abgeordneter (2,3 %) eine reine Berufsausbildung. Die Abgeordneten sind alle älter als 30 Jahre, und nur drei Abgeordnete sind zwischen 30 und 40 Jahren alt. Den Großteil bilden die 40- bis 60jährigen, insgesamt somit 78,5 % der Abgeordneten. Sechs Abgeordnete oder 14,2 % sind schließlich über 60 Jahre alt. In Bezug auf die Berufs-struktur sind die meisten Abgeordneten, insgesamt 24, in den Bereichen Wirtschaft, Medi-zin, Recht und Maschinenbau/Elektrotechnik zu verorten.

Zur parlamentarischen Kontrolle des Ministerrates stehen mehrere Instrumente zur Verfügung. Eine Abgeordnetenfraktion oder mindestens drei Abgeordnete aus der Reprä-sentantenkammer können die Initiative für ein Misstrauensvotum (nepovjerenje) gegenüber dem Ministerrat ergreifen (Art. 143 der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses). Be-vor das Repräsentantenhaus sich damit befasst, hat die Regierung jedoch das Recht, eine schriftliche Stellungnahme an die Abgeordneten zu überreichen. Nach einem erfolgreichen Misstrauensantrag und der Abwahl des Ministerrates muss die Information an die Präsi-dentschaft gegeben werden, so dass ein Prozedere der Neuwahl der Regierung in Angriff 12 Derzeit gibt es sechs gemeinsame Ausschüsse: Ausschuss für Verteidigung und Sicherheit; Ausschuss

zur Kontrolle der Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden; Ausschuss zu Wirtschaftsreformen und Entwicklung, Ausschuss zur Europäischen Integration, Ausschuss für administrative Aufgaben sowie Ausschuss für Menschen- und Kinderrechte, Jugendliche, Immigration, Flüchtlinge, Asyl und Ethik.

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genommen werden kann. Ein weniger radikaler Kontrollmechanismus ist die „Abgeordne-tenfrage“ (poslaničko pitanje) im Repräsentantenhaus, worauf die Regierung oder ein ein-zelnes Ministerium innerhalb von 30 Tagen schriftlich oder mündlich, abhängig von der Anfrage, antworten müssen (Artt. 151-155 der Geschäftsordnung des Repräsentantenhau-ses). Daneben wird zwei Mal im Jahr eine gemeinsame Sitzung der beiden Kammern und des Ministerrates unter dem Thema: „Die Abgeordneten fragen – der Ministerrat von BiH antwortet“ organisiert, die informativen Charakter hat und sich mit den Arbeitsbereichen befasst, die in die Zuständigkeit des Ministerrates fallen. Die Mitglieder des Ministerrates können zu informativen Zwecken ebenfalls zu den Sitzungen der einzelnen Ausschüsse eingeladen werden.

Während das Haus der Völker durch die Präsidentschaft aufgelöst werden kann, kann das Repräsentantenhaus nur durch eine Selbstauflösung seine Arbeit einstellen. Dieser Fall trat bisher noch nicht ein, obwohl es seit 1996 immer wieder mehrmonatige Blockadepha-sen gegeben hatte und die Bedingungen für vorgezogene Neuwahlen eigentlich gegeben waren.

Die Arbeit der Parlamentarischen Versammlung entwickelte sich in der Phase nach Abschluss des Friedensabkommens von Dayton alles andere als einfach. Das Repräsentan-tenhaus hielt am 5.10.1996 zwar seine erste Sitzung ab, doch nahmen die Abgeordneten aus der Republika Srpska mehrheitlich nicht teil. Bis April 1997 gab es nur eine weitere Sit-zung (Gromes 2007: 207). Die Anzahl der verabschiedeten Gesetze (vgl. Kap. 7) ist dabei der beste Nachweis, dass die Arbeit des Parlaments in den Anfangsjahren sehr beschränkt gewesen war. Erst mit der Wahlperiode von 2000 bis 2002 und insbesondere ab 2002 stieg die Zahl der beratenen und verabschiedeten Gesetze an. So wurden im Zeitraum 2002-2006 fünfmal so viele Gesetze verabschiedet wie in den Wahlperioden 1996-1998 bzw. 1998-2000 (vgl. Kap. 7). Im regionalen Vergleich und im Hinblick der Anpassung der Gesetzge-bung an den acquis communautaire der Europäischen Union ist dies aber noch immer nicht zufriedenstellend, was für die Parlamentarische Versammlung in den nächsten Jahren eine große Herausforderung sein wird. Eine institutionelle Reform der beiden Kammern ist deswegen unabdingbar, da sonst eine Überforderung der bisherigen 42 Abgeordneten bzw. 15 Delegierten im Haus der Völker bei dem immer stärker zunehmenden Umfang der Par-lamentsaufgaben droht und eine effiziente Arbeit nicht mehr zu leisten ist.

6. Regierung und Verwaltung Auch der Ministerrat (Vijeće/Savjet ministara) Bosnien und Hercegovinas, wie die gesamt-staatliche Regierung offiziell genannt wird, ist durch eine durchgängig institutionalisierte Machtteilung zwischen den konstituierenden Völkern geprägt. Das erste Gesetz über den Ministerrat aus dem Jahr 1997 sah eine rigide Form der Parität der drei ethnischen Gruppen vor. Alle Entscheidungen mussten durch Konsens des gesamten Kabinetts verabschiedet werden (Art. 17 des Gesetzes über den Ministerrat 1997). Zusätzlich dazu mussten je nach betroffenem Ministerium neben dem jeweiligen Minister auch seine zwei Stellvertreter, die aus den entsprechend anderen beiden Volksgruppen kommen müssen, den Entscheidungen zustimmen. Der Ministerrat wurde von zwei Ko-Vorsitzenden, die untereinander den Vor-sitz alle acht Monate rotierten, und einem stellvertretenden Vorsitzenden geleitet. Dieses komplizierte und stark verflochtene System führte zu einer Regierungsschwäche.

1999 erklärte das Verfassungsgericht die spezifische, institutionalisierte Form des Ko-Vorsitzes für verfassungswidrig. Diese Entscheidung ermöglichte es damit auch erstmals,

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das damalige System mit den vielen Blockade- und Vetomöglichkeiten in Frage zu stellen, da es noch weit über die gängige Proporzstruktur hinaus ging (Verfassungsgericht 1999: U1/99). 2002 verfügte letztlich der Hohe Repräsentant ein neues Gesetz über den Minister-rat, da dieses, aufgrund der großen Streitigkeiten, nicht von der Parlamentarischen Ver-sammlung verabschiedet worden war. Das System der Ko-Vorsitzenden wurde abgeschafft und durch die Form eines Vorsitzenden und zweier Stellvertreter ersetzt. Diese repräsentie-ren weiterhin die drei Volksgruppen, rotieren aber nicht mehr untereinander. Auch wurde den Fachministern nunmehr ein Stellvertreter an die Seite gestellt, der während der Regie-rungszeit seine Position mit dem Minister nicht mehr tauschen muss. Nur der Verteidi-gungsminister hat, aufgrund der dreigeteilten Struktur der Verteidigungskräfte, zwei Stell-vertreter. Erstmals musste nun auch ein Minister oder der Generalsekretär des Ministerrates aus den Reihen der „sonstigen“ Bevölkerungsgruppen stammen, was 2002 mit dem damali-gen Justizminister Slobodan Kovač sofort umgesetzt wurde (Bieber 2008: 65). In der jetzi-gen Regierung ist mit dem Außenminister Sven Alkalaj ein Mitglied der jüdischen Bevölke-rungsgruppe vertreten.

Die Anzahl der Ministerien hat sich seit 1997 kontinuierlich vergrößert. So hatte der erste Ministerrat 1997 nur drei Ministerien: Zivile Angelegenheiten und Kommunikation, Außenhandel und Wirtschaftsbeziehungen sowie Außenpolitik – die letzten beiden als Pflichtministerien der Verfassung (Art. V Abs. 4). 2001 und 2003 wurden jeweils drei neue Ministerien eingerichtet, so dass seit der Regierungsbildung nach den Wahlen 2002 der Ministerrat aus dem Vorsitzenden13 und neun Ministerien besteht: – Ministerium für Außenpolitik, – Ministerium für Außenhandel und Wirtschaftsbeziehungen, – Ministerium für Finanzen und Tresor, – Ministerium für Kommunikation und Verkehr, – Ministerium für zivile Angelegenheiten, – Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge, – Ministerium für Justiz, – Ministerium für Sicherheit und – Ministerium für Verteidigung. Das gescheiterte Verfassungsreformpaket vom April 2006 sah die Einrichtung von zwei weiteren Ministerien vor: ein Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Umwelt-schutz sowie ein Ministerium für Landwirtschaft (Nezavisne novine, 19.3.2006). Ein weite-rer Vorschlag, der seit Sommer 2008 diskutiert wird, ist die Ersetzung des Ministeriums für Menschenrechte und Flüchtlinge durch ein neues Ministerium für europäische Integration. Diese Idee wird sich allerdings nur schwer realisieren lassen, da die bosniakischen Parteien gegen die Auflösung des Menschenrechtsministeriums sind, solange die Rückkehr aller Flüchtlinge nicht erfolgreich abgeschlossen ist. Dem gegenüber steht aber die tatsächlich Notwendigkeit nach einem EU-Ministerium, da die bisherige Direktion für europäische Integration, ein Verwaltungsorgan des Ministerrates, im jetzigen Rahmen auf keinem Fall alle Aufgaben wahrnehmen kann, die mit der EU-Annäherung verbunden sind. Eine dar-über hinaus reichende Erweiterung der Zuständigkeiten des Gesamtstaates, die sich in einer

13 Der Ministerratsvorsitzende leitet selbst kein Ressort, wie dies in der Nachkriegszeit noch der Fall war.

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Reform und einem Tätigkeitszuwachs des Ministerrates widerspiegeln würde, ist jedoch nur im Rahmen einer veritablen Institutionen- und Verfassungsreform zu erwarten.

Der Vorsitzende des Ministerrates wird, nach Beratung mit den Parlamentsparteien, von der Präsidentschaft ernannt und muss spätestens 22 Tage nach der konstituierenden Sitzung des Repräsentantenhauses von derselben Kammer bestätigt werden. Sollte das Repräsentantenhaus den Vorsitzenden nicht bestätigen, muss die Präsidentschaft im Laufe von acht Tagen einen neuen Vorsitzenden ernennen. Spätestens 70 Tage nach der konstitu-ierenden Sitzung des Repräsentantenhauses muss der Ministerratsvorsitzende sein Kabinett zur Vertrauensabstimmung vorstellen. Dabei kann die Abgeordnetenkammer einzelne Mi-nister ablehnen und vom Vorsitzenden neue Kandidaten einfordern. Alle Ministerratsmit-glieder müssen vor Ernennung und Bestätigung ein Untersuchungsverfahren durchlaufen, im Rahmen dessen ihre Aktivitäten während des Bürgerkriegs, ihre bisherige Berufslauf-bahn sowie Straftaten etc. einer genauen Überprüfung durch die Zentrale Wahlkommission und den Geheimdienst, die Staatliche Agentur für Untersuchung und Sicherheit (SIPA), unterzogen werden (Gesetz über den Ministerrat 2002 und Gesetz über die Änderungen und Ergänzungen des Gesetzes über den Ministerrat 2006). In den Nachkriegsjahren übernahm noch der OHR diese Aufgabe, die jetzt aber ganz an die staatlichen Institutionen überge-gangen ist.

Zusammen mit seinen zwei Stellvertretern repräsentiert der Ministerratsvorsitzende die drei konstituierenden Volksgruppen. Das Proporzprinzip wird auch bei der Ernennung der Fachminister und ihrer Stellvertreter angewendet, so dass in der Regierung die gleiche Anzahl an Ministern bzw. Stellvertretern aus allen drei Volksgruppen vertreten sind. So sitzen in der jetzigen Regierung neben dem serbischen Ministerratsvorsitzenden drei bosni-akische, drei kroatische und zwei serbische Minister. Der Außenminister Sven Alkalaj ge-hört wie bereits erwähnt als Jude zu der Bevölkerungsgruppe der „Sonstigen“.

Der Ministerratsvorsitzende kann ohne Begründung zurücktreten, womit auch die gan-ze Regierung abgesetzt wird. Das Repräsentantenhaus kann aber auch seinerseits den kom-pletten Ministerrat durch ein Misstrauensvotum absetzen und damit die Neuwahl eines neuen Ministerrates quasi erzwingen. Die Wahlprozedur ist die gleiche wie zur Wahl des Ministerrates nach Neuwahlen. Verglichen mit anderen parlamentarischen Demokratien entspricht der Ministerratsvorsitzende seinem Arbeitsspektrum nach nur bedingt den Eigen-schaften eines Premierministers. Neben den selbständigen Aufgaben wie der Koordination der Arbeit innerhalb der Regierung sowie mit den anderen gesamtstaatlichen Organisatio-nen, den Entitäten und dem Distrikt Brčko, sowie der Einberufung, Vorbereitung und Lei-tung der Regierungssitzungen muss er jedoch die Politikgestaltung mit seinen Stellvertre-tern abstimmen. Die Richtlinienkompetenz liegt also nicht beim Vorsitzenden.

Der Ministerrat hat folgende ständige Gremien und Unterorganisationen: die Direktion für Europäische Integration, das Generalsekretariat, das Büro für Gesetzgebung, das Büro des Koordinators des Distrikts Brčko, den Ausschuss für Innenpolitik, den Ausschuss für Wirtschaft und die Direktion für Wirtschaftsplanung. Diese beraten den Ministerrat in fach-lichen Fragen und arbeiten in jeweiligen Sachthemen zu.

Aufgrund der spezifischen Konstellation der Regierungsbildung waren bis auf die Re-gierungsmehrheit der Regierung Matić-Lagumdžija-Mikerević alle anderen Regierungen überdimensioniert, da durch des Quotensystems (Vertretung von Entitäten und Ethnien) zu viele Parteien eingebunden werden mussten (siehe Tabelle 4). Einparteienkabinette gab es in Bosnien und Hercegovina bisher gar nicht (Gavrić 2007: 25). So kann man von einem hohen Grad der Aufteilung der Exekutivmacht sprechen, was durch die Verfassungsstruktur auch bedingt wird.

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Tabelle 4: Regierungen in Bosnien und Hercegovina 1996-2008 Regierungsvorsitz Parteienzusammensetzung Regierungszeitraum Bosić-Silajdžić SDS-HDZ-SDA-SBiH 3.1.1997-4.2.1999 Silajdžić Mihajlović

KCD-Sloga-HDZ 4.2.1999-22.6.2000

Tusevljak Raguz

KCD-Sloga-HDZ 22.6.2000-18.10.2000 18.10.2000-22.2.2001

Matić Lagumdžija Mikerević

SDP-SBiH-NHI-BPS-Demokratische Pensionärspartei-SNS-PDP-SNSD-SPRS

22.2.2001-18.7.2001 18.7.2001-15.2.2002 22.2.2002-13.1.2003

Terzić SDA-SBiH-SDS-PDP-HDZ 13.1.2003-9.2.2007 Špirić SNSD-PDP-SBiH-SDA-HDZ-HDZ1990 Seit 9.2.2007

Quelle: Eigene Zusammenstellung. Parteinamen siehe Tabelle 6.

Obgleich natürlich SDA, SDS und HDZ als langjährig dominante Parteien ihrer jeweiligen Volksgruppen in den meisten Regierungen vertreten waren, geht aus der Tabelle doch her-vor, dass es keine festen Koalitionspartner gibt. So waren bisher fast alle Kombinationen möglich, die auf eine möglichst einfache Art und Weise die territorialen und ethnischen Quoten erfüllen. Als durchgehend stärkste Partei in Bosnien und Hercegovina war die bos-niakische SDA bisher mit Ausnahme von 2000-2002 immer Teil der gesamtstaatlichen Regierungen. Nur die SDP ist in ihrer Politik konsistent, insofern sie auf Staatsebene seit 1996 nie Teil einer Regierung mit nationalistischen Parteien gewesen ist.

Der durch die Daytoner Verfassung eingeführte Ministerrat sollte ursprünglich als ge-samtstaatliche Regierung fungieren und zusammen mit der Präsidentschaft die exekutive Macht ausüben. In den Nachkriegsjahren arbeitete er jedoch mehr als Koordinationsbüro. Die Minister genossen einen hohen Grad an Autonomie, so dass es dem Rat oft an Kohäsi-on mangelte (Bieber 2008: 65). Dies stärkte insgesamt die Macht der drei nationalistischen Parteien, so dass vor allem die SDS und die HDZ ihre sezessionistischen Absichten behal-ten und die Stärkung des Gesamtstaates gerade in einem gesamtstaatlichen Organ verlang-samen konnten. Die bosniakische SDA dominierte hingegen über die wenigen funktionie-renden Elemente des Gesamtstaates, insbesondere über den diplomatischen Dienst. Erst Ende der 1990er, mit der Regierungszeit der Allianz des Wandels (2000-2002) und der damit verbundenen Exklusion der Nationalparteien aus der Regierung, begann die Fortent-wicklung und Stärkung der Regierung (Bieber 2008: 65), was sich unter anderem in der Einführung von neuen Ministerien zeigte. Weiterhin ist aber der Ministerrat in seiner Poli-tik stark zersplittert. Die einzelnen Minister vertreten nicht selten Staats- sondern Parteiin-teressen, was sich eben in den mageren Resultaten der Regierungsarbeit widerspiegelt.

7. Gesetzgebungsprozess Für den Gesetzgebungsprozess auf gesamtstaatlicher Ebene ist die Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Gebietskörperschaften in Bosnien und Hercegovina von gro-ßer Bedeutung. Die Verfassung stattet den Gesamtstaat hierbei mit minimalen Zuständig-keiten aus, was sogar für föderale Staatsgebilde untypisch ist (Savić 2003: 17). Die weni-gen expliziten Kompetenzen wurden nach und nach auf Druck der internationalen Gemein-schaft erweitert (vgl. Kap. 2), was zu einer faktischen Modifizierung der Verfassung ge-führt hat. Dies spiegelte sich auch in der Gesetzgebung wider, wie die Tabelle 5 anschau-lich zeigt. Die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens mit der EU und die damit verbundene Angleichung an den acquis communautaire der EU macht

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jedoch die Übergabe weiterer Zuständigkeiten an den Zentralstaat im Bereich der Gesetz-gebung erforderlich. Dieser Aspekt wird auch im Rahmen der derzeitigen Verfassungsre-formdiskussion immer wieder thematisiert. Tabelle 5: Anzahl der verabschiedeten Gesetze seit 1996 Regierungszeitraum Zahl der verabschiedeten Gesetze 1996-1998 18 1998-2000 25 2000-2002 63 2002-2006 229

Quelle: Eigene Zusammenstellung unter Bezug auf Daten der Parlamentarischen Versammlung.

Im Rahmen der von der Verfassung vorgegebenen Kompetenzverteilung nimmt die Parla-mentarische Versammlung Bosnien und Hercegovinas die Aufgabe der Gesetzgebung wahr. Den gültigen Geschäftsordnungen der beiden Kammern nach, gestaltet sich der Ge-setzgebungsprozess folgendermaßen: Gesetzentwürfe können von jedem Abgeordneten und jedem Ausschuss des Repräsentantenhauses, jedem Delegierten und jedem Ausschuss des Hauses der Völker, von gemeinsamen Ausschüssen der beiden Kammern, der Präsident-schaft und dem Ministerrat beim jeweiligen Vorsitzenden einer der beiden Kammern einge-reicht werden (Art. 99 der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses, Art. 92 der Ge-schäftsordnung des Hauses der Völker). Gesetzentwürfe sollen zuerst dem Repräsentanten-haus vorgelegt werden, doch behält sich das Haus der Völker die Möglichkeit vor, über Gesetze und andere Rechtsakte als erste Kammer zu beraten (Art. 94 der Geschäftsordnung des Hauses der Völker). In der Praxis hat dies aber keine Bedeutung, da die Gesetze in der Regel erst durch das Repräsentantenhaus gehen und erst bei einer Annahme im Haus der Völker beraten werden.

Ein Gesetzentwurf wird durch den Kammervorsitzenden an das Kollegium der Abge-ordnetenkammer gegeben, die diesen an den Verfassungs- und den zuständigen Fachaus-schuss weiterleitet. Beide Ausschüsse müssen innerhalb von 15 Tagen ihre Stellungnahme an den Vorsitzenden der Kammer reichen, der erst dann den Gesetzentwurf auf die Tages-ordnung des Plenums setzen kann. Initiieren ein Abgeordneter oder ein Ausschuss ein Ge-setzgebungsverfahren, muss das Gemeinsame Kollegium der beiden Kammern feststellen, ob der Entwurf einem der Gemeinsamen Ausschüsse vorgelegt werden muss (Artt. 102-105 der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses). Der Präsidentschaft und dem Ministerrat werden die Entwürfe ebenfalls dann vorgelegt, wenn eine Gesetzesinitiative nicht von der jeweiligen Institution selbst stammt.

Nachdem die Ausschüsse ihre Stellungnahmen bei dem Kollegium eingereicht haben, wird der Entwurf zum ersten Mal im Plenum der Repräsentantenkammer diskutiert. Dabei werden die Meinungen der Ausschüsse vorgestellt, die meist auch die Basis der Abstim-mung bilden. Sollten die Ausschüsse ein ablehnendes Votum vorschlagen, wenn das vorge-schlagene Gesetz nicht mit der Verfassung oder dem Rechtssystem übereinstimmt (Verfas-sungsausschuss) bzw. die Prinzipien des Gesetzes nicht nachvollziehbar sind (Fachaus-schuss), kann die Kammer diese Meinung bestätigen und das Gesetz damit ablehnen oder aber eine revidierte Stellungnahme anfordern (Artt. 106-107 der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses).

Wird das Gesetz in der ersten Lesung zum Verfahren angenommen, beginnt die ei-gentliche Bearbeitung durch das Parlament (Art. 106 der Geschäftsordnung des Repräsen-tantenhauses). Abgeordnete, Fraktionen, der zuständige Ausschuss und der Ministerrat können Änderungs- und Ergänzungsvorschläge einreichen, über die im jeweils zuständigen

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Ausschuss beraten und abgestimmt wird. Der Ausschuss gibt dann das Gesetz mit seiner Stellungnahme an das Kollegium der Kammer, die das Gesetz zur zweiten Lesung auf die Tagesordnung setzt. Im Rahmen dieser Sitzung muss ein vom Ausschuss ernannter Be-richterstatter die Meinung des Ausschusses vor dem Plenum verteidigen. Im Vorfeld der Sitzung kann der zuständige Fachausschuss das Gesetz in die Öffentlichkeit zur Beratung und Diskussion geben (Artt. 108-116 der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses).

Die zweite Lesung besteht aus der Diskussion und Abstimmung über die Änderungs-vorschläge. Dabei ist das Gesetz angenommen, wenn dieses in einem identischen Text von beiden Kammern verabschiedet wird. Unterscheidet sich jedoch der verabschiedete Geset-zestext, muss ein gemeinsamer Ausschuss der Kammern (sechs Mitglieder, je drei aus bei-den Kammern) eingerichtet werden, der die Textversionen anpasst und beiden Kammern nochmals zur Bestätigung vorlegt. Die Sekretäre der Kammern kümmern sich abschließend um die weitere Prozedur (Veröffentlichung im Gesetzesblatt etc.). Grundsätzlich treten die Gesetze acht Tage nach der Veröffentlichung im Gesetzesblatt in Kraft.

Neben dem normalen Gesetzgebungsverfahren können Gesetze auch in einem verkürz-ten Verfahren (Skraćeni postupak) und in einem sogenannten Eilverfahren (Hitni postupak) verabschiedet werden. Während das verkürzte Verfahren alle Fristen für die Arbeit der Ausschüsse und der Kammern um die Hälfte reduziert (Art. 126 der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses), erfolgt unter dem Eilverfahren die Abstimmung über einen Gesetz-entwurf schon in der ersten Lesung. Ergänzungs- und Änderungsvorschläge sind nicht möglich (Art. 127 der Geschäftsordnung des Repräsentantenhauses).

Art. IV Abs. 3(d) der Verfassung regelt die Entscheidungsquoren für die Annahme ei-nes Gesetzes durch die Parlamentarische Versammlung. So schreibt die Verfassung vor, dass die Abgeordneten sich bemühen müssen, dass eine gesetzgebende Mehrheit von min-destens einem Drittel der Abgeordneten aus dem Territorium jeder Entität zustimmt („Enti-tätsveto“14). Falls dies nicht gelingt, müssen die Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsit-zenden zu einer Kommission zusammentreten mit dem Ziel, eine zweite Abstimmung in-nerhalb von einer Frist von drei Tagen nach dem Tag der ersten Abstimmung zu erreichen. Art. IV Abs. 3(e) sieht vor, dass eine Mehrheit der bosniakischen, der kroatischen und der serbischen Delegierten im Haus der Völker Beschlussvorlagen der Parlamentarischen Ver-sammlung als schädlich für die vitalen nationalen Interessen ihrer jeweiligen Volksgruppe erklären können (vgl. auch Kap. 2). Eine starke Wirkung auf die Parlamentsarbeit entfaltete in der Praxis vor allem das Entitätsveto. Von den 529 zwischen 1997 und 2007 im Parla-ment behandelten Gesetze erhielten insgesamt 269 keine parlamentarische Mehrheit. Von diesen scheiterten 136 an einem Veto aus der Republika Srpksa, jedoch nur 20 an einem Veto aus der Föderation. Das oft kritisierte Veto des vitalen nationalen Interesses spielte demgegenüber eine eher untergeordnete Rolle, denn es wurde insgesamt nur vier Mal ge-nutzt (zwei Mal Bosniaken, zwei Mal Kroaten). Dies erklärt sich vermutlich aus den unter-schiedlichen prozeduralen Konsequenzen. Während nach einem Veto des vitalen nationalen Interesses der Gesetzgebungsprozess mit einer Mediationskommission fortgesetzt wird und sogar das Verfassungsgericht eingeschaltet werden kann, wird der Gesetzgebungsprozess mit einem Entitätsveto sofort eingestellt. Offensichtlich nutzten somit die Serben das Enti- 14 Der Europarat hat in seiner letzten Resolution (September 2008) Bosnien und Hercegovina aufgerufen,

das Entitätsveto zu reformieren (Nezavisne novine, 2.10.2008), was die Konflikte zwischen den bosni-akischen und den serbischen Politikern, insbesondere zwischen Milorad Dodik (SNSD) und Haris Si-lajdžić (SBiH), nur verstärkt hat, da die Politiker aus der Republika Srpska dieses Veto als eines ihrer wesentlichen Instrumente zum Schutz ihrer Interessen auf keinen Fall aufgeben möchten.

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tätsveto als ein Substitut des Vetos des vitalen nationalen Interesses, während vor allem den Kroaten aufgrund der Zusammensetzung des Repräsentantenhauses diese Möglichkeit nicht offen stand (Fondacija Konrad Adenauer 2008).

Der Staatshaushalt wird auf Vorschlag des Ministerrates von der Präsidentschaft beim Repräsentantenhaus eingereicht. Die Verabschiedung erfolgt in einer gleichen Prozedur wie bei einfachen Gesetzen, nur mit einer Verkürzung der Fristen, um eine rechtzeitige Verab-schiedung zu ermöglichen.

8. Wahlsystem und Wählerverhalten Die Ausprägung des bosnisch-hercegovinischen Wahlsystems und dessen Bedeutung für den Demokratisierungsprozess des Landes ist vielleicht mehr noch als andere Bereiche des politischen Systems nur vor dem Hintergrund des Friedensprozesses zu verstehen. Der Vertrag von Dayton und die internationale Gemeinschaft räumten der Durchführung von Wahlen einen immens hohen Stellenwert ein. Bereits neun Monate nach Beendigung des Krieges wurden die Bürger im September 1996 zu den Urnen gerufen, ohne dass die we-sentlichen Bedingungen für freie und faire Wahlen erfüllt waren, darunter etwa Bewe-gungs-, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Als Sieger gingen folgerichtig die Kriegsparteien aus den Wahlen hervor: „Was als ,Symbol und Beweis des Fortschritts in Bosnien-Hercegovina’ erwartet und erhofft war, erwies sich in der Realität als plebiszitäre Legitimation der Kräfte, die jeden Fortschritt in Bosnien-Hercegovina verhinder[te]n“ (Oschlies 2004: 753). Die internationale Gemeinschaft versuchte, mit immer neuen Wahlen im Zweijahresrhythmus moderate und kooperative Kräfte an die Macht zu hieven. In der Konsequenz fanden Wahlen zu den unterschiedlichen Institutionen quasi als „fünfte Jahres-zeit“ (Oschlies 2004: 753) statt: allgemeine Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 1996, 1998, 2000, 2002 und 2006; Kommunalwahlen 1997, 2000, 2004 und 2008 sowie vorgezo-gene Neuwahlen zur Nationalversammlung der RS 1997 und zur Neuwahl des Präsidenten der RS 2007 (wegen des Todes des damaligen Präsidenten Milan Jelić). An Möglichkeiten zur politischen Partizipation in Bosnien und Hercegovina mangelte es folglich wahrlich nicht. Mit Hilfe der gezielten Gestaltung des Wahlrechts (electoral engineering) und der Administration der Wahlen (institutional engineering) wollte die internationale Gemein-schaft das Wählerverhalten beeinflussen, moderate, multiethnische Parteien stärken und so die Macht der Nationalisten reduzieren (Manning 2004: 60ff.). Bis zur Verabschiedung eines Wahlgesetzes 2001 griffen somit externe Akteure teils mit legislativen, exekutiven und judikativen Kompetenzen ausgestattet in nahezu jeden Aspekt der Wahlen ein (vgl. ausführlich Richter 2009).

Auf den Transformationsprozess wirkten sich die zahlreichen Wahlgänge und kurzen Wahlperioden sehr ambivalent aus. Der internationalen Gemeinschaft gelang es nur in Ansätzen, die Macht der Nationalisten zu brechen und das Wählerverhalten zu prägen. Die Kriegsparteien SDS, SDA und HDZ profitierten von dem nahezu permanenten Wahlkampf, in dem sie ein Klima der Angst, der interethnischen Konfrontation und des Hasses aufrecht erhielten. Die Bürger wählten die Nationalisten, weil sie nur durch sie ihre Sicherheit ge-währleistet und ihre Interessen vertreten sahen (Manning 2004: 68). Die kurzen Wahlperio-den von lediglich zwei Jahren bis 2002 erstickten eine langfristige, strategische Regierungs-führung zudem meist im Keim (Richter 2009). Positiv ist dennoch festzuhalten, dass die Parteienbindung der Wähler an die nationalistischen Kriegsparteien nachlässt und sich diese Parteien personell und programmatisch stark verändert haben (vgl. Kap. 9). Auch die

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Wahlen 2006 bestätigten diesen Trend. SDS, SDA und HDZ erhielten insgesamt nur 15 Mandate. Für die HDZ wurde es die bitterste Wahlniederlage, sie verlor die Hälfte ihres Stimmenanteils. Doch auch die SDS verlor 40%, die SDA 25%. Dennoch spiegelten auch die Wahlen 2006 das Muster einer nationalistischen Mobilisierung in aller Deutlichkeit wider und waren geprägt von einem aggressiv-demagogischen Tenor und teils hetzerischen und rüden Aussagen (Gromes 2006a: 523ff.). Die Verfassungsdebatte und das Scheitern des Reformpaketes hatten einen signifikanten Einfluss. Die Wahlkampagne drehte sich letztlich nicht um Ökonomie, Bildung oder soziale Fragen, sondern erneut um die Struktur des Staates (ODIHR 2007: 10). Parteien wie SNSD oder SBiH, die eigentlich als moderat galten, profilierten sich im Zuge der Diskussion um die Verfassungsreform als Vertreter nationaler Interessen und konnten so auch ethno-nationalistische Kreise für sich gewinnen. Somit verstärkten auch die Wahlen 2006 die ethnischen Differenzen weiter (BTI 2007: 24, vgl. auch Gavrić/Banović 2007).

Die Grundlage für die derzeitige Gestalt des Wahlsystems bildet neben dem Vertrag von Dayton und der in ihm enthaltenen Verfassung vor allem das Wahlgesetz von 2001, das in der Folgezeit mehrfach modifiziert wurde, zuletzt im Mai 2008 (ODIHR 2008: 5). Unter anderem wurde ein passives Registrierungssystem eingeführt, was den Bürgern die Wahrnehmung ihres Stimmrechts erleichtert, und die Unabhängigkeit der Zentralen Wahl-kommission (Centralna izborna komisija) gestärkt. Wie auch die Verfassung selbst, unter-scheidet das aktive und passive Wahlrecht klar zwischen den Volksgruppen und trennt die Wählerschaft nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit und den Entitätsgrenzen – dies, so wurde im Beitrag bereits mehrfach deutlich, verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskon-vention. Aufgrund der völlig verfahrenen Diskussion um eine generelle Verfassungsreform, die letztlich die Grundlage für die Änderung des Wahlrechts wäre, ist jedoch die von den europäischen Organisationen angemahnte Neugestaltung derzeit nicht in Sicht. Bis auf diese, wenn auch gravierende, Ausnahme bietet das Wahlgesetz jedoch ein solides Funda-ment für die Durchführung demokratischer Wahlen im Land (ODIHR 2007: 4).

Das Wahlsystem spiegelt als Teilbereich des politischen Systems die ganze Komplexi-tät der Verfassungsstruktur Bosnien und Hercegovinas wider. In direkten Wahlen werden die Vertreter der Repräsentantenkammer auf zentralstaatlicher Ebene und der Föderation, der Nationalversammlung der RS und der Versammlungen der zehn Kantone in der Födera-tion, die Mitglieder der dreiköpfigen Präsidentschaft des Landes und der Präsident und die Vizepräsidenten der RS bestimmt. Hinzu kommen Wahlen zu den Bürgermeistern und Gemeinderäten und -versammlungen auf kommunaler Ebene (Oschlies 2004: 750). Die 42 Abgeordneten des gesamtstaatlichen Repräsentantenhauses werden aufgesplittet auf die Entitäten (Föderation: 28, RS: 14) mittels Verhältniswahl auf vier Jahre entsandt. In fünf (Föderation) bzw. drei (RS) Mehrmandatswahlkreisen werden jeweils 21 bzw. neun Abge-ordnete direkt gewählt, somit etwa drei bis sechs Abgeordnete pro Wahlkreis. Auf Parteien, die entitätsweit über 3% der Stimmen erhalten, werden zudem proportional weitere sieben (Föderation) bzw. fünf (RS) Kompensationsmandate verteilt. Die Verteilung der Sitze er-folgt in den Wahlkreisen nach offenen Listen in absteigender Ordnung für Kandidaten mit mindestens 5% der insgesamt abgegebenen Präferenzstimmen. Die Kompensationsmandate werden nach geschlossenen Listen vergeben (ODIHR 2007: 5f.). Nimmt eine Partei die 3%-Hürde, erhält sie jedoch nicht automatisch ein Mandat. Hingegen schließt ein Ergebnis von unter 3% ein Direktmandat in einem Wahlkreis in keinem Fall aus. Eine vollständige Proportionalität von Stimmen und Mandaten ist in Bosnien und Hercegovina nicht gegeben, der Wahlmodus kann sogar die Kräfteverhältnisse bedeutend verzerren. So erhielt nicht die Partei mit den meisten Stimmen die meisten Sitze im Parlament (SNSD), sondern die SDA.

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Sie benötigte nur etwa 26.500 Stimmen, die SNSD hingegen 38.500 Stimmen für ein Man-dat (Gromes 2006a: 528). Die 15 Delegierten des Hauses der Völker werden von der Natio-nalversammlung der RS (fünf serbische Abgeordnete) und dem Haus der Völker der Föde-ration (fünf bosniakische und fünf kroatische Abgeordnete) auf vier Jahre gewählt. Wäh-rend alle Abgeordneten der Nationalversammlung der RS, also auch die bosniakischen, kroatischen und sonstigen Abgeordneten, die fünf serbischen Delegierten wählen, werden die fünf bosniakischen bzw. kroatischen Delegierten jeweils nur von den bosniakischen bzw. kroatischen Delegierten des Hauses der Völker der Föderation gewählt. Bei den gleichzeitig zu den Parlamentswahlen stattfindenden Präsidentschaftswahlen bestimmt die Bevölkerung der RS das serbische Mitglied, die Wähler der Föderation das kroatische und das bosniakische Mitglied. Da sich die Wähler der Föderation frei entscheiden können, für welchen Kandidaten einer Volksgruppe sie die Stimme abgeben, eröffnet das Wahlsystem die Möglichkeit – wie auch 2006 geschehen –, dass bosniakische Wähler aufgrund ihrer bevölkerungsmäßigen Dominanz das kroatische Mitglied der Präsidentschaft auswählen (Gromes 2006a: 524, vgl. auch Kap. 4).

Als Teil der allgemeinen Wahlen finden auch die Wahlen zu den Gremien auf Enti-tätsebene statt (mit der Ausnahme der vorgezogenen Neuwahl der Nationalversammlung 1997 und des Präsidenten 2007 in der RS). Die Wähler der Föderation wählen dabei nicht nur in zwölf Mehrmandatswahlkreisen die 98 Abgeordneten des Repräsentantenhauses (73 Direktmandate und 25 Kompensationsmandate), sondern ebenso auch die Abgeordneten der zehn Kantonalversammlungen (zwischen 21 und 35 Abgeordnete), die wiederum Dele-gierte in das Haus der Völker der Föderation entsenden (ODIHR 2007: 6). Beide Kammern des Parlaments der Föderation wählen auf Vorschlag der bosniakischen, kroatischen und serbischen Delegierten im Haus der Völker je einen Bosniaken, Kroaten und Serben zum Präsidenten bzw. zwei Vizepräsidenten der Föderation (Art. IV Abs. B.2 Verfassung der Föderation). In der Republika Srpska wählen die Bürger in sechs Mehrmandatswahlkreisen die 83 Mitglieder der Nationalversammlung (62 direkt, 21 Kompensationsmandate) sowie den Präsidenten und zwei Vizepräsidenten in einfacher Mehrheitswahl (ODIHR 2007: 6).15

Auf kommunaler Ebene werden nicht nur die Gemeinderäte und -versammlungen in Verhältniswahl mit offenen Listen und einer 3%-Hürde auf vier Jahre bestellt, sondern seit 2004 mit Ausnahme von Mostar, Sarajevo und Brčko (indirekte Wahl) auch die Bürger-meister in einfacher Mehrheitswahl direkt vom Volk gewählt. Zu den jüngsten Wahlen am 5.10.2008 stellten sich dabei 72 politische Parteien, 41 Wahlkoalitionen, 147 unabhängige Kandidaten und 20 Listen unabhängiger Kandidaten für die 139 Bürgermeisterposten und insgesamt 3.186 Rats- und Versammlungsmandate in den 139 Gemeinden zur Wahl (Oslo-bođenje, 5.10.2008; ODIHR 2008: 4f.).

Das Wahlrecht besitzt aufgrund der Nachkriegssituation des Landes einige wichtige Besonderheiten. So genießen Vertriebene weiterhin einen besonderen Status und können entweder an ihrem derzeitigen Aufenthaltsort oder in ihrer Gemeinde, in der sie vor dem Krieg residierten, wählen. Eine ganz ähnliche Sonderregelung wurde für die Kommunal-wahlen 2008 für die Gemeinde Srebrenica beschlossen. Bürger, die vor dem Krieg 1991 in der Gemeinde gemeldet waren, können sich ebenfalls entscheiden, ob sie an ihrem derzeiti-gen Wohnort oder für Srebrenica abstimmen, völlig unabhängig davon, wo sie derzeit sess-

15 Präsident wird der Kandidat mit den meisten Stimmen. Vizepräsidenten werden die stimmstärksten

Kandidaten der jeweils anderen beiden Volksgruppen.

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haft sind.16 Diese Regelungen waren und sind jedoch nicht unumstritten, denn sie eröffnen ehemaligen Einwohnern die Möglichkeit, mehr Einfluss auf die politischen Vertreter zu nehmen als die derzeitigen Bewohner einer Gemeinde. Auch Flüchtlinge oder Exilanten können sich im Ausland weiterhin für die Wahlen in Bosnien und Hercegovina registrieren lassen. Die Änderungen des Wahlrechts vom Mai 2008 sicherten den Minderheiten auf kommunaler Ebene mehr Repräsentationsmöglichkeiten. Jene Gemeinden, in denen auf Basis des Zensus von 1991 mindestens 3% der Bevölkerung kumulativ einer der 17 aner-kannten Minderheiten angehören, müssen mindestens einen Sitz im Gemeinderat für einen Repräsentanten der Minderheiten reservieren, der nicht zwangsläufig einer bestimmten Minderheitengruppe angehören muss, sondern aus dem Kreis der Minderheiten an sich stammt und diese in ihrer Gesamtheit vertritt. Andere Gemeinden können diese Regelungen freiwillig übernehmen. Am Wahltag können die Wähler sich entscheiden, ob sie ihre Stim-me im Rahmen einer einfachen Mehrheitswahl für einen Kandidaten der Minderheiten oder im Rahmen der „normalen“ Verhältniswahl abgeben. Insgesamt fanden 2008 in 34 Ge-meinden spezielle Wahlen zu Minderheitenvertretern statt. Weitere Sonderregelungen gel-ten für Sarajevo, den Distrikt Brčko und Mostar. Das Territorium von Sarajevo ist noch einmal untergliedert in die administrativen Einheiten Sarajevo (zugehörig zur Föderation) und Ost-Sarajevo (zugehörig zur Republika Srpska), die jeweils aus unterschiedlichen Ge-meinden (vier bzw. sechs) bestehen. Diese Gemeinden wählen jeweils direkt den Gemein-debürgermeister und einen Gemeinderat, der wiederum Delegierte in den jeweiligen Stadt-rat entsendet. Beide Stadträte wählen schließlich jeweils einen Bürgermeister und seine Stellvertreter für Sarajevo und Ost-Sarajevo. In Brčko bestellen die Wähler eine Distrikt-versammlung mit 29 Räten (mindestens drei aus jeder Volksgruppe und zwei für Minder-heiten). In den allgemeinen Wahlen können sich die Wähler selbst entscheiden, ob sie für die Föderation oder die RS abstimmen. Seit der Vereinigung der Stadtverwaltung von Mos-tar 2004 werden dort von den 35 Stadträten 17 in einem einzigen stadtweiten Wahlkreis und 18 in sechs kleineren Wahlkreisen, den früheren Bezirken von Mostar, gewählt. Jede Volksgruppe stellt mindestens vier, jedoch nicht mehr als 15 Räte (ODIHR 2008: 4ff.).

Alles in allem stellt das komplexe Wahlrecht alle Beteiligten vor große Herausforde-rungen: die Verantwortlichen zur Organisation der Wahlen, die Kandidaten im Wahlkampf und die Wähler an der Wahlurne. Angesichts dessen ist von der technischen Seite her be-trachtet die Leistung der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der OSZE, nicht hoch genug einzustufen, die zwischen 1996 und 2002 sämtliche Wahlen vollständig organisierte, im Land die gesamte Wahlmaschinerie institutionell aufbaute und in einheimische Hände übergab. Seit 2001 zeichneten die bosnischen Behörden verantwortlich, die erstmals die Wahlen 2006 komplett selbständig durchführten. Die Zentrale Wahlkommission als ein permanentes Organ ist nach Einschätzung der Wahlbeobachtungsmission der OSZE trotz nur geringer Ressourcen eine professionell arbeitende, transparente und effiziente Instituti-on, in die Wähler wie auch Kandidaten Vertrauen zeigen. Die Wahlen 2006 entsprachen denn auch größtenteils den internationalen Standards (mit Abstrichen beim Auszählungs-prozess) und waren frei und fair (ODIHR 2007: 1).

16 Interessanterweise setzte sich die SDP dezidiert dafür ein, dass diese Regelung für alle Gemeinden in

BiH gelten solle, da sonst ehemalige Bewohner Srebrenicas im Vergleich zu anderen Flüchtlingen bes-ser gestellt würden. Dieser Vorschlag wurde aber in der Parlamentarischen Versammlung nicht ange-nommen.

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9. Parteiensystem und innerparteiliche Willensbildung Die Verfassung Bosnien und Hercegovinas spricht die Frage der politischen Parteien nicht an. Ein gesondertes Parteiengesetz existiert bisher auch nicht, so dass im (verfassungs) rechtlichen System die politischen Parteien keine besondere Stellung einnehmen. Die ein-zige rechtliche Grundlage ist bisher lediglich ein gesamtstaatliches Gesetz über die Partei-enfinanzierung von 2000. Eine politische Partei wird als Vereinigung beim zuständigen Gemeindegericht gemeldet und registriert. Zur Gründung einer Partei werden mindestens 50 Gründungsmitglieder benötigt. Um zu einer Wahl anzutreten und so politische Ämter besetzen zu können, müssen alle politischen Parteien bei der Zentralen Wahlkommission ein striktes und kompliziertes Anmelde- und Überprüfungsprozedere durchlaufen (Art. 4.1-4.25 des Wahlgesetzes von Bosnien und Hercegovina in der Version von 2006). So benö-tigt beispielsweise eine Partei 3.000 Unterschriften, um sich zu den Präsidentschaftswahlen oder zu den Wahlen zum gesamtstaatlichen Repräsentantenhaus anzumelden. Somit ist das Wahlgesetz, neben dem Gesetz über die Finanzierung der politischen Parteien aus dem Jahr 2000, wahrscheinlich der bedeutendste Rechtsakt, der die Arbeit der Parteien reguliert.

Politische Parteien können aus den folgenden Quellen Einnahmen beziehen: Mitglied-schaftsbeiträge, Spenden, eigene Unternehmen und Vermietung von Eigentum. Parla-mentsparteien bekommen des Weiteren Mittel aus dem Staatshaushalt, die zum Großteil (70%) in Abhängigkeit von ihrem Wahlerfolg verteilt werden (Art. 10 des Gesetzes über die Finanzierung politischer Parteien 2000). Alle Einnahmen müssen in Form eines Re-chenschaftsberichts einmal jährlich der Zentralen Wahlkommission vorgelegt werden. Die-se Regelung hat sich als erfolgreich erwiesen, da die Wahlkommission mit Sanktionsme-chanismen ausgestattet ist.

Nach dem Niedergang der jahrzehntelangen Einparteienherrschaft der Kommunisti-schen Partei wurden Anfang der 1990er Jahre zahlreiche Parteien gegründet, die auf der Tradition der unter österreichisch-ungarischer Herrschaft Anfang des 20. Jahrhunderts begründeten und schon damals ethnisch getrennten Parteien aufbauten (Kasapović 2005: 77ff.). Als erste nationalistische Parteien wurden im Mai 1990 die Partei der Demokrati-schen Aktion (Stranka demokratske akcije, SDA), im Juli 1990 die Serbische Demokrati-sche Partei (Srpska demokratska stranka, SDS) und im August die Kroatische Demokrati-sche Gemeinschaft (Hrvatska demokratska zajednica, HDZ) gegründet. Diese drei Parteien traten gemeinsam im Wahlkampf für die ersten Mehrparteienwahlen an und gewannen insgesamt 84% der Stimmen. Die anderen, mehrheitlich gemäßigten und/oder multiethni-schen Parteien bekamen nur 16% der Stimmen: Die Sozialdemokratische Partei (Socijal-demokratska partija, SDP), der Bund der Reformkräfte (Savez reformskih snaga), der De-mokratische Sozialistische Bund (Demokratski socijalistički savez), die Liberale Partei (Liberalna stranka) und die Muslimisch-bosniakische Organisation (Muslimansko bošnjač-ka organizacija). Somit wurde das alte kommunistische Regime durch ein nationalistisch geprägtes abgelöst. Die drei nationalistischen Parteien bildeten die neue Parlamentsmehr-heit, die aber von Beginn an durch starke Konfliktlinien geprägt war. Dies führte in dem Moment zu einem Konflikt, als die Frage des staatsrechtlichen Status Bosnien und Herce-govinas auf die Tagesordnung des Parlaments kam (Anđelić 2005: 261ff.; Pejanović 2005: 97). Während der Kriegsjahre regierten die drei nationalistischen Parteien quasi als „Staats-parteien“ allein in ihrem jeweiligen Territorium und schafften es, ihre Macht in Wirtschaft, Armee, Polizei und Medien auszubauen. Aufgrund der hoch komplexen Verhältnisse kann an dieser Stelle nicht weiter auf die Entwicklung der politischen Parteien während des Krieges eingegangen werden.

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Waren es somit 1990 drei dominante nationalistische Parteien, ist das heutige Partei-ensystem durch ein großes Parteienspektrum gekennzeichnet. Man kann von einem dyna-mischen Vielparteiensystem sprechen, da sehr viele Parteien im Parlament sitzen und die im Krieg vorhandene Alleinvertretung der drei ethnischen Gruppen durch die drei nationa-listischen Parteien in den Nachkriegsjahren nicht mehr vorhanden ist. Als Resultat intra- und innerparteilicher Konflikte entstand eine Reihe von neuen politischen Parteien. Die genaue Anzahl der aktiven politischen Parteien variiert dennoch von Wahl zu Wahl. Für die jüngsten Lokalwahlen im Oktober 2008 waren 72 politische Parteien und 41 Parteienbünd-nisse gemeldet (Saopštenje CIK BiH, 24.6.2008; Oslobođenje 5.10.2008). Bei den letzen allgemeinen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2006 waren es noch 36 Parteien und 8 Wahlbündnisse (Marić/Krause 2006).

Die von Alija Izetbegović gegründete Partei der Demokratischen Aktion (SDA) ist die erste und größte bosniakische Partei Bosnien und Hercegovinas. Sie gewinnt derzeit auch sogar Mitglieder anderer Nationalitäten hinzu. Seit Kriegsbeginn war die Partei, bis auf die Regierungszeit der Allianz des Wandels (2000-2002), immer Teil der gesamtstaatlichen Regierung und hatte somit eine Art Monopol in der Repräsentation der Interessen der Bos-niaken inne. Die Partei besitzt seit Dezember 2004 einen Beobachterstatus in der Europäi-schen Volkspartei (EVP). Durch eine Verfassungsklage (vgl. Kap. 13) setzte ihr ehemaliger Vorsitzender Alija Izetbegović 2001 auch die Gleichbehandlung aller drei konstituierender Völker in ganz Bosnien und Hercegovina durch. Eines der langfristigen Ziele der Partei, so propagiert sie immer, ist die Abschaffung der Republika Srpska – ihrer Meinung nach Pro-dukt des Genozids und der Vertreibung – und eine Zentralisierung des Landes. Sie setzt sich daher für eine Verfassungsänderung und damit auch eine Stärkung der gesamtstaatli-chen Institutionen ein. Heute wird die Partei vom ehemaligen Präsidentschaftsmitglied Sulejman Tihić angeführt, der die Partei reformiert hat und sich als gemäßigter Politiker, insbesondere ihm Rahmen der Verfassungsreformdiskussion erwiesen hat (Topić 2007: 39). Obwohl die SDA weiterhin die bedeutendste bosniakische politische Partei ist, musste sie ihren exklusiven Vertretungsanspruch in den Siedlungsgebieten, in denen die Bosniaken dominieren, in den Nachkriegsjahren aufgeben, insbesondere durch die Stärkung der Partei für Bosnien und Hercegovina (SBiH) und der Sozialdemokratischen Partei (SDP) (Home-page SDA, 18.6.2008).

Die Partei für Bosnien und Hercegovina (SBiH) wurde 1996 gegründet und entwickel-te sich in den späten 1990er Jahren als bürgerlich-säkulare Alternative zur SDA. Bis heute hat sie jedoch nicht glaubhaft machen können, eine – wie sie selbst behauptet – multiethni-sche Volkspartei zu sein, auch wenn manche ihrer Repräsentanten keine Bosniaken sind, wie es etwa der Außenminister Sven Alkalaj ist. Wie die SDA präsentiert sich die SBiH als „pro-bosnisch“, tritt für die Stärkung des Staates Bosnien und Hercegovina und für einen im Gegensatz zur SDA radikalen Abbau der Entitäten ein. Die Parlamentsabgeordneten dieser Partei stimmten gegen die Verfassungsreform im April 2006, weil sie „kosmetische“ Änderungen nicht unterstützen wollten und weitergehende Forderungen anmeldeten. Der Parteivorsitzende Haris Silajdžić setzt sich primär für die Abschaffung der Republika Srpska, was die Partei bei den letzen Parlamentswahlen zum klaren Sieg in der Föderation führte (Marić/Krause 2006; Homepage SBiH, 10.6.2008). Bei den Lokalenwahlen 2008 erlebte die Partei aber ein Debakel und konnte ihre Vormachtstellung nicht halten (Oslo-bođenje 7.10.2008).

Die Sozialdemokratische Partei Bosnien und Hercegovinas (SDP BiH) ist die einzige multiethnische Partei oder besser eine Partei, die sich bemüht, multiethnisch zu sein. Sie ist die eigentliche Nachfolgepartei der Kommunistischen Partei. Ihr Parteivorsitzender ist

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Zlatko Lagumdžija, dessen Allianz des Wandels (2001-2002) aus vielen kleinen Parteien damals jedoch nicht zum erwünschten Aufbruch und zu Reformen im Land führte. Die SDP BiH tritt für ein demokratisches, multiethnisches und multireligiöses Bosnien und Herce-govina ein und räumt in ihrem Programm der Wirtschafts- und Sozialpolitik Priorität ein (Topić 2007: 40). Dies konnte bisher jedoch nicht in den Vordergrund treten, da nationale Fragen noch immer den politischen Alltag dominieren. Damit ist und bleibt die SDP heute die größte Oppositionspartei, da Koalitionen mit den nationalistischen Parteien nicht in Frage kommen (Homepage der SDP, 5.7.2008). Tabelle 6: Sitzverteilung im Repräsentantenhaus der Parlamentarischen Versammlung 1996 bis 2006 Partei/Koalition 1996 1998 2000 2002 2006 HDZ 1990a 2 HDZ BiH 8 6 5 5 3 KCD BiHb 17 PDP 2 2 1 SbiH 2 5 6 8 Savez za mir i progresc 2 SDA 19 8 10 9 SDP 4 9 4 5 SDS 9 4 6 5 3 Slogad 4 SNSD 1 3 7 Sozialdemokraten BiH 2 SRS 2 2 Združena listae 2 Sonstige 3 6 6 4

BOSS Bosanska Stranka (Bosnische Partei) BPS Bosansko-hercegovacka patriotska stranka (Bosnisch-hercegovinische patriotische Partei) DNS Demokratski narodni savez (Demokratische Volksunion) DNZ Demokratska narodna zajednica (Demokratische Volksgemeinschaft) DSP Demokratska stranka partija (Demokratische Pensionärpartei) HDU Hrvatska demokratska unija (Kroatische Demokratische Union) HDZ Hrvatska demokratska zajednica (Kroatische Demokratische Union) HDZ 1990 Hrvatska demokratska zajednica 1990 (Kroatische Demokratische Gemeinschaft 1990) KCD BiH Koalicija za cjelovitu i demokratsku Bosnu i Hercegovinu (Koalition für ein ganzheitliches und demokrati-

sches Bosnien und Hercegovinas) NHI Nova hrvatska inicijativa (Neue Kroatische Initiative) NS RzB Narodna stranka Radom za boljitak (Volkspartei mit der Arbeit zum Fortschritt) PDP Partija demokratskog progresa (Partei des Demokratischen Fortschritts) RS RS Radikalna stranka Republike Srpske (Radikale Partei der Republika Srpska) SBiH Stranka za Bosnu i Hercegovinu (Partei für Bosnien-Hercegovina) SDA Stranka Demokratske Akcije (Partei der Demokratischen Aktion) SDP Socijaldemokratska partija (Sozialdemokratische Partei) SDS Srpska Demokratska Stranka (Serbische Demokratische Partei) SNS Srpski narodni savez (Serbischer Volksbund) SNSD Stranka Nezavisnih Socijaldemokrata (Partei der Unabhängigen Sozialdemokraten) SP RS Socijalisticka partija Republike Srpske (Sozialistische Partei der Republika Srpska) SPU Stranka penzionera umirovljenika (Pensionärspartei) SRS Srpska radikalna stranka (Serbische Radikale Partei)

a Koalition „Kroatische Einheit“ – HDZ 1990 und viele kleine kroatische Parteien b KCD BiH – Koalition zwischen SDA, SBiH, Liberale Partei BIH und der Bürgerlich-Demokratischen Partei (GDS) c Koalition der SP RS; SNSD, Sozialliberalen Partei der Republika Srpska (SLS RS) und der Vereinigten Linken d Koalition der SNS, SP RS und SNSD e Koalition zwischen SDP, der Kroatischen Bauernpartei (HSS), der Republikaner Partei, der Muslimisch-Bos-

niakischen Organisation (MBO) und der Union Bosnisch-Hercegovinischer Sozialdemokraten (UBSD).

Quelle: Eigene Zusammenstellung basierend auf den Daten der Parlamentarischen Versammlung und Gromes 2007.

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Unter den kroatischen Parteien ist die Kroatische Demokratische Gemeinschaft Bosnien und Hercegovinas (HDZ BiH) eine Partei, die schon seit 16 Jahren exklusive Rechte am Schutz der kroatischen Interessen in BiH für sich beansprucht. Anfang 2006 musste sie diese Position jedoch aufgeben, da sich in der bosnisch-kroatischen politischen Szene neue Akteure formierten. Wegen innerparteilicher Probleme, des Ausschlusses und Austritts einer bedeutenden Anzahl hochrangiger Mitglieder und der Anklage wegen Amtsmiss-brauchs gegen den Parteivorsitzenden Dragan Čović, hat die Partei sowohl die Unterstüt-zung der Religionsvertreter (Bischofskonferenz BiHs) als auch der Schwesterpartei aus Kroatien (Ivo Sanaders HDZ) verloren, was dazu führte, dass auch die Anzahl der Parteian-hänger abnahm. Die Partei besitzt wie die SDA einen Beobachterstatus in der Europäischen Volkspartei (EVP). In den Lokalwahlen 2008 wurde die Partei jedoch als stärkste kroati-sche Kraft bestätigt (Oslobođenje, 7.10.2008).

Die zweitstärkste politische Gruppierung der bosnischen Kroaten ist die Kroatische Demokratische Gemeinschaft Bosnien und Hercegovinas 1990 – HDZ 1990. Diese Partei spaltete sich 2006 von der HDZ BiH ab. Aus Unzufriedenheit wechselten damals nahezu alle Abgeordneten des Staatsparlaments der HDZ BiH zur HDZ 1990 über. Ihre fehlenden Stimmen trugen letztlich mit zum Scheitern der Verfassungsreform bei. Die HDZ 1990 vertritt die Meinung, dass BiH mit zwei Entitäten nicht funktionsfähig sei, und schlägt eine föderale Neuordnung vor. Die Partei HDZ 1990 gewann bei den Wahlen 2006 in zwei Kan-tonen in der Föderation Bosnien und Hercegovina und platzierte sich an fünfter Stelle bei den Wahlen zu den Repräsentantenhäusern der Föderation und des Gesamtstaates BiH. Ein langsamer Annäherungsprozess der beiden HDZ-Parteien, insbesondere aufgrund des Drucks der ehemaligen Mutterpartei – der HDZ Kroatiens – ist eingeleitet worden (Neza-visne novine 14.1.2007, 13.5.2007; Marić/Krause 2006). Tabelle 7: Orientierung der wichtigsten politischen Parteien und ihre wichtigste Wählerbasis Bosniaken Serben Kroaten Extrem nationalistisch SRS HSP Nationalistisch SDA SDS HDZ, HDZ 1990 Gemäßigt nationalistisch SBiH SNSD, PDP NHI Nicht nationalistisch SDP Multinational

Quelle: Bieber 2008: 122. Parteinamen vgl. Tabelle 6. Die von Radovan Karadžić gegründete Serbische Demokratische Partei (SDS) war seit 1990 die dominante serbische politische Partei. Nach dem Zusammenbruch der gemeinsa-men Parlamentsmehrheit SDS-HDZ-SDA 1992 verließ die SDS das gesamtstaatliche Par-lament und fing so mit dem Aufbau eines separatistischen serbischen Teilstaates an. Da-mals war die Partei eine alles übergreifende Bewegung des Großteils der serbischen Bevöl-kerung, mit einer massenhaften Unterstützung, was sich in den Nachkriegsjahren bewährte. Innerparteiliche Konflikte führten jedoch zur Zersplitterung der Partei. Spätestens mit der Wiederwahl Milorad Dodiks (SNSD) zum Premierminister der RS musste die Partei jedoch nach 16 Jahren, im Frühjahr 2006, die Macht in der RS und auch (ähnlich der HDZ BiH) das für sich beanspruchte exklusive Recht auf den Schutz der nationalen serbischen Interes-sen abgeben. Der Versuch des ehemaligen Parteivorsitzenden Dragan Čavić, die Partei von den Kriegskadern zu säubern und ihr so ein ganz anderes Image einer modernen Volkspar-tei zu geben, schlug jedoch bisher fehl. Die SDS ist heute die wichtigste Oppositionspartei in der RS, was auch die Gemeindewahlen 2008 bestätigten. Die Hypothek, ehemalige Kriegsverbrecher in ihren Reihen zu haben, erschwert jedoch ihre Transformation. Seit

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2006 befindet sich die Partei zudem in einer internen Dauerkrise, da der jetzige Parteivor-sitzen keinen Zusammenhalt erreichte. Dies verhindert jedoch effektive Oppositionsarbeit.

Die derzeit stärkste Partei in der Republika Srpska und entsprechend der Wahlresultate zu den allgemeinen Wahlen 2006 auch in ganz Bosnien und Hercegovina ist die SNSD, der Bund der unabhängigen Sozialdemokraten. Die 1996 von einer Gruppe von Oppositionspo-litikern der Volksversammlung der RS gegründete Partei entstand als eine der wenigen, vom Krieg unbelasteten Alternativen in der RS. Der Parteivorsitzende Milorad Dodik über-nahm 2006 erneut die Regierungsverantwortung in der RS, nachdem er von 1998-2001 dort bereits Premierminister gewesen war. Es wird davon ausgegangen, dass sich die SNSD im Gegensatz zur SDS nicht an Kriegsverbrechen beteiligt hat. Sie stellt damit eine Alternative zu den sonstigen nationalistischen Parteien in der RS dar. Trotzdem setzt sich die SNSD kompromisslos für den Erhalt der Entität, ihrer zentralen Institutionen und Zuständigkeiten ein. Mit der Idee eines Unabhängigkeitsreferendums konnte sie 2006 die serbischen Wahl-berechtigten mobilisieren, was ihr auch den absoluten Wahlsieg einbrachte. Die Partei re-giert in der RS in Kooperation mit einigen kleineren Parteien (PDP, DNS, SP, SBiH und SDA; Nezavisne novine, 1.12.2006) und stellt neben den serbischen Mitgliedern in den Entitäts- und gesamtstaatlichen Institutionen auch die meisten bosniakischen, kroatischen und „sonstigen“ Vertreter in den Entitätsorganen. Mit einer stark kritisierten, teilweise separatistischen Politik und einem autoritären Führungsstil versucht die Partei derzeit, die Republika Srpska wirtschaftlich und damit auch politisch zu stärken, um darauf aufbauend gegenüber der internationalen Gemeinschaft und den politischen Parteien in der Föderation eine gestärkte Position einzunehmen. Die Aufnahme der Partei in die Sozialistische Interna-tionale im Juli 2008 verursachte insbesondere bei den beiden Sozialdemokratischen Partei-en Kroatiens und Bosnien und Hercegovinas großes Entsetzen, da ihrer Meinung nach die jetzige Politik der SNSD keine sozialdemokratischen Werte beinhaltet (Homepage der SNSD, 12.7.2008). Nichtsdestotrotz gewann die Partei bei den Lokalwahlen 2008 mit 41 Posten die meisten Bürgermeisterposten in Bosnien und Hercegovina und konnte so ihre Alleinherrschaft in der RS ausbauen. Dank seiner unanfechtbaren Position konnte Dodik gegenüber der EU und dem OHR konfrontativ auftreten.

Die drittwichtigste serbische Partei in der RS ist die Partei des Demokratischen Fort-schritts (PDP), neben der SDA und der HDZ BiH die dritte Volkspartei im Land. Seit ihrer Gründung 2001 ist die Partei Teil der Regierungskoalitionen in der Republika Srpska – entweder mit der SDS oder mit der SNSD. Bedeutsame Erfolge konnte die Partei aber nie aufweisen.

Neben diesen großen Parteien bestehen noch weitere kleinere Parteien, unter anderem. die Kroatische Partei des Rechts (HSP), die Kroatische Demokratische Union (HDU), die Neue Kroatische Initiative (NHI), die Volkspartei mit Arbeit zum Fortschritt (NS RzB), die Bosnische Partei (BOSS), die Demokratische Volksgemeinschaft (DNZ), die Sozialistische Partei der RS (SP RS), die Demokratische Volksunion (DNS), die Demokratische Pensio-närspartei (DNP), die Pensionärspartei (SPU) und die Radikale Partei der RS (SRS). Sie erlangen von Wahl zu Wahl einige Stimmen, konnten sich aber nicht profilieren. 2008 wurde, u.a. vom bosnischen Oskarträger Danis Tanović und vielen anderen Intellektuellen, die multinationale Partei „Unsere Partei“ (Naša stranka) gegründet, die eine Alternative zu den bisherigen Parteien darstellen soll. Sie konnte aber keinen bedeutsamen Erfolg bei den Lokalwahlen aufweisen. Die Rolle der kleineren Parteien im politischen System ist daher sehr gering.

Bei der Organisationsform der meisten Parteien, insbesondere den großen Parteien, handelt es sich um „charismatische Führerorganisationen“ (Jovanović 2002: 130). Diese

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Orientierung an einer Führungsfigur ist ein Erbe der kommunistischen Zeit. Vor allem in den Gründungszeiten waren die Parteien äußerst stark auf ihre Führungsfigur orientiert. Heute weisen die Parteien stärker Merkmale von Patronageverbänden auf. Die großen Par-teien können ihre Klientel vor allem dadurch erhalten, dass wirtschaftliche Ressourcen, Industrie, Energie und teilweise auch die Medien weitgehend unter ihrer Kontrolle sind. Eine Veränderung der Struktur begann mit dem Abgang Karadžićs 1996 und Izetbegovićs 2000 von der politischen Bühne. Die derzeitigen Parteichefs der SDS und SDA verfügen nicht mehr über das Charisma ihrer Vorgänger. Der bedingte Wechsel in den Parteiführun-gen kann daher auch als ein positiver Trend hin zu gemäßigteren Positionen betrachtet werden. Auf der anderen Seite wird in den letzten zwei Jahren ein starker Kult um die Par-teivorsitzenden der SBiH und SNSD betrieben. Insbesondere Milorad Dodik wird als neuer Woschd (russisch: Führer) der RS bezeichnet (BH Dani, 25.4.2008).

Eine Mitentscheidung der Parteibasis und ein institutionalisierter Prozess der innerpar-teilichen Willensbildung in programmatischen Fragen sind bei den Parteien weitestgehend nicht vorhanden. Auf diese mangelnde Diskussionskultur sind auch die zahlreichen Ab-splitterungen zurückzuführen. Denn bei divergierenden Meinungen wird nicht versucht, um Kompromisse zu ringen. Vielmehr entstehen neue, kleine Parteien um eine weitere Führer-figur, die jedoch zu keinem oder geringem politischem Einfluss gelangen. Keine der Split-terparteien konnte sich bislang zu einer wirksamen Opposition entwickeln.

10. Interessenverbände und Interessenvermittlung Im Bereich der intermediären Interessenvermittlung herrscht grundlegend eine sehr große Diskrepanz zwischen den südosteuropäischen Transformationsstaaten und den westeuropä-ischen politischen Systemen, denn es konnte sich in keinem Land der Region bisher ein vergleichbares Spektrum sozialer und ökonomischer Interessenvertretungen herausbilden. Die folgenden Ausführungen können daher ein nur sehr rudimentäres Bild widerspiegeln. Nichtsdestotrotz hat sich auf der intermediären Ebene eine Reihe unterschiedlicher Akteure etabliert. Neben den klassischen Organisationen der Arbeitgeber- und Arbeitsnehmervertre-tung agieren zahlreiche weitere Bürgervereinigungen und Assoziationen. Von besonderer Bedeutung sind auch die zivilgesellschaftlichen Bürgervereine (Udruženja gradjana).

Die Gesetze über Bürgervereine und über Stiftungen, welche 2001 bzw. 2003 auf Staatsebene verabschiedet wurden, vereinfachten den Gründungsprozess für zivilgesell-schaftliche Organisationen stark. Lediglich drei Personen können sich bereits als Verein beim Justizministerium (bis 2003 beim Ministerium für zivile Angelegenheiten und Kom-munikation) registrieren. Durch diese Registrierung auf gesamtstaatlicher Ebene haben die Vereine dann auch eine rechtliche Basis, welche ihnen die Arbeit in ganz Bosnien und Hercegovina möglich macht.17 Des Weiteren sieht das Gesetz die Möglichkeit der Grün-dung von eher informellen Vereinen und Bürgergruppen vor. 2005 bzw. 2007 gab es so über 9.000 Vereine in ganz Bosnien und Hercegovina, von denen aber nur 4.600 aktiv sind (Fond otvoreno društvo BiH 2006: 297; Bogdanić 2007: 27). Diese widmen sich einer brei-ten Palette von Themen: Jugend-, Kultur- und Frauenarbeit, Flüchtlinge und Rückkehrer, Rechtsberatung und -schutz, Menschenrechte, Kriegsgeschädigte und Veteranen, zivile Kriegsopfer und ethnische Minderheiten. Die Arbeit der Vereine wird jedoch noch immer

17 2001 bzw. 2002 wurden die jeweiligen Entitätsgesetze in der RS bzw. Föderation verabschiedet.

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unter dem Aspekt ihrer Funktionalität stark kritisiert, insbesondere die Abhängigkeit von internationalen Geldgebern oder die Fortführung von Vereinen nur zur Zwecken der Ar-beitsbeschaffung, um nur einige Probleme des unentwickelten Vereinssektors in Bosnien und Hercegovina zu nennen (Fond otvoreno društvo 2006: 302f.; Sejfija 2006: 131ff.).

Die organisierte Vertretung von Wirtschaftsinteressen wird auf gesamtstaatlicher Ebe-ne nicht reguliert, ist aber durch die Entitätsverfassungen der Föderation und der RS garan-tiert. Es haben sich bereits mehrere Organisationen etabliert, die aber nur bedingt miteinan-der kooperieren. So existierte bis 2005 auf gesamtstaatlicher Ebene kein Dachverband, der die unterschiedlichen Branchenverbände integriert hätte. Auf Entitätsebene gab es den föderalen Bund unabhängiger Syndikate Bosnien und Hercegovinas (Savez samostalnih sindikata) und den Bund der Syndikate der Republika Srpska (Savez sindikata). Im Distrikt Brčko bestand und besteht ein eigenes Syndikat. Mit der Gründung der Verbändekonföde-ration Bosnien und Hercegovinas (Konfederacija sindikata) entstand zumindest eine, wenn auch noch sehr schwache übergeordnete Institution, die 420.000 Mitglieder hat (Konfede-racija Sindikata 2005; Fond otvoreno društvo 2006: 310).

Die intermediäre Ebene der Interessengruppen in Bosnien und Hercegovinas zeichnet sich somit durch eine große Anzahl von kleinen Organisationen aus, die das Zustande-kommen von Abkommen zwischen der Regierung sowie den Arbeitgebern und -nehmern erschweren. Die Verbände erfüllen dabei in keinem Fall ihre Aufgaben, sondern befinden sich in einer untergeordneten Rolle im Vergleich zu den Verhandlungspartnern. Die Ar-beitgeber sind ebenfalls nur in Arbeitgebervereinigungen auf Entitätsebene organisiert und koordinieren sich nur lose in der gesamtstaatlichen Assoziation der Arbeitgeber BiHs (Aso-cijacija poslodavaca BiH).

11. Massenmedien und Politikvermittlung Die Medienlandschaft Bosnien und Hercegovinas hatte im Krieg stark gelitten. Unter dem festen Griff der Nationalisten schien 1995 zunächst pluralistische und unabhängige Be-richterstattung unmöglich. Die wenigen objektiven und multiethnischen Printmedien wie Oslobođenje und Nezavisne novine klagten über finanzielle Restriktionen. Journalisten selbst schürten mit intoleranter Sprache, Aufwiegelungen und verzerrter Darstellung auch weiterhin den inter-ethnischen Hass. Somit war es hier die internationale Gemeinschaft, die bis heute die wesentlichen Fortschritte und Reformen einleitete. Zunächst übernahm die OSZE im Rahmen ihres Wahlmandates die Initiative zum Wiederaufbau der Medien, um einen freien und fairen Zugang der Kandidaten und eine angemessene Berichterstattung gewährleisten zu können. Angesichts der offenen Obstruktion seitens der nationalistischen Parteien und dem marginalen Erfolg der OSZE beschloss der Friedensimplementierungsrat 1997 in Sintra ein härteres Vorgehen im Kampf für freie Medien, indem sie dem Hohen Repräsentanten diese Aufgabe übertrug, und setzte 1998 die Unabhängige Medienkommis-sion ein, die letztinstanzliche Herrin über Frequenzen und Lizenzen (Topić 2005: 7f.). Die internationale Gemeinschaft versuchte zudem mit dem Aufbau eigener Rundfunkanstalten – Radio FERN (Free Election Radio Network) sowie die TV-Sender OBN (Open Broadcast Network) und das TV-Netzwerk Mreža Plus – entitätsübergreifende und multiethnische Stationen aufzubauen und so den Pluralismus und den professionellen Journalismus zu stär-ken (Topić 2005: 10), doch wurden diese von der Bevölkerung kaum rezipiert. Die Medien-landschaft Bosnien und Hercegovinas ist daher sowohl im Printsektor als auch bei den elektronischen Medien weitestgehend ethnisch und territorial getrennt (BTI 2007: 8). Weit-

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aus erfolgreicher konnte die internationale Gemeinschaft die gesetzlichen Grundlagen re-formieren, so dass das Land einen umfangreichen Schutz für freie Medien- und Pressearbeit bietet.18

Grundsätzlich liegt die Kompetenz zur Regelung von Medienfragen bei den Entitäten. Die Föderation hat diese sogar noch weiter dezentralisiert und an die Kantone delegiert. Somit existieren in Bosnien und Hercegovina 14 unterschiedliche Regulierungsinstanzen und Regelwerke. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist verfassungsrechtlich gesichert und wird im Großen und Ganzen auch respektiert (European Commission 2007). Eine Reform des Strafrechts durch den Hohen Repräsentanten setzte 1999 die extensiven Bestimmungen gegen Diffamierung außer Kraft, die bis dahin zu zahlreichen Geld- und Haftstrafen für Journalisten geführt hatten. Restriktionen ergeben sich daher derzeit vor allem auf infor-mellem Weg über politischen Druck, wie dies etwa in der Republika Srpska zu gefährlichen Einschränkungen der freien Medienarbeit in den letzten Jahren geführt hat. Noch immer nehmen politische Parteien somit massiv Einfluss auf die Medienarbeit. Journalisten kön-nen sich der Abhängigkeit nicht immer entziehen und üben vielfach Selbstzensur aus (BTI 2007: 8; ODIHR 2008: 8).

Die Printmedien sind von einer breiten Varietät gekennzeichnet: Es existieren acht größere Tageszeitungen (Oslobođenje/unabhängig, Dnevni Avaz/Nähe SDA/SBiH, Glas Srpske/nähe SNSD, Nezavisne novine/Banja Luka, Nähe SNSD, SAN, Tuzlanski list und Dnevni List) und etwa 40 Wochen- oder Monatszeitschriften (BH Dani, Slobodna Bosna, Reporter etc.; vgl. ODIHR 2008: 8). Ein großer Teil der rezipierten Presse stammt aller-dings aus den Nachbarstaaten. Die dort ansässigen Verlagshäuser geben teilweise gesonder-te Ausgaben für Bosnien und Hercegovina bzw. die Republika Srpska heraus: Večernji list und Slobodna Dalmacija aus Kroatien sowie Blic, Fokus, Politika und Večernje novosti aus Serbien. Seit 2001 arbeitet ein Presserat (Vijeće/Savjet za štampu) als Selbstregulierungsin-strument der Printmedien zur Überwachung des Pressekodex. Als Diskussionsforum besitzt er jedoch keine rechtlichen Kompetenzen zur Durchsetzung seiner Entscheidungen, so dass seine Effektivität letztlich sehr begrenzt bleibt (European Commission 2007).

Der Sektor der elektronischen Medien ist trotz starker Konzentrationsprozesse in den letzten Jahren noch immer stark fragmentiert. Die Ursache hierfür lag in der ziel- und stra-tegielos ins Land strömenden internationalen Hilfe nach dem Krieg, die zu einem inflatio-nären Anstieg an kleinen Rundfunkstationen geführt hatte (1996: ca. 400 Stationen – eine Station auf 17.000 Einwohner; 1998 noch 281 Stationen; Topić 2005: 9). Heute sind 185 elektronische Medien lizenziert, darunter 47 TV-Stationen. Zwei Drittel dieser Medien sind in privaten Händen (ODIHR 2008: 8). Die internationale Gemeinschaft etablierte ein ge-meinsames öffentlich-rechtliches Rundfunksystem (PBSBiH), welches aus drei Radio und drei TV-Kanälen auf Staats- und Entitätsebene besteht und sich über Gebühren, öffentliche Haushaltsmitteln und Werbeeinnahmen finanziert (Topić 2005: 11). BHRT sendet landes-weit, während RTVFBiH in der Föderation und RTRS in der RS auf Entitätsebene sendet. Keine der Rundfunkanstalten hat eine vollständige Abdeckung, aber jeder der drei Statio-nen und einige private Sender, etwa OBN, Pink BiH, Hayat, BN und ATV, erreichen über 70% der Bevölkerung (ODIHR 2007: 12). Die Kroaten sehen sich durch das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem nicht genug repräsentiert und fordern im Parlament der Födera- 18 Bosnien-Hercegovina nahm nach einer Studie von „Reporter ohne Grenzen“ 2006 immerhin mit Platz

19 den zweiten Rang hinter Slowenien im Kreis der Staaten des ehemaligen Jugoslawien ein und lande-te noch vor Deutschland (Platz 23). Quelle: www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste-2006.html (10.11.2007).

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tion bzw. auf Staatsebene seit Jahren einen TV-Kanal in kroatischer Sprache. Dies ist je-doch politisch und verfassungsrechtlich umstritten – eine Entscheidung der Verfassungsge-richte der Föderation bzw. BiHs steht noch aus. Die Kommunikationsregulierungsbehörde (Regulatorna agencija za komunikacije), die auf Staatsebene eingerichtet worden ist, über-nimmt seit 2004 die Funktion der Regulierung (u.a. Vergabe von Frequenzen) und Überwa-chung der elektronischen Medien. Sie kann im Falle von Verstößen und Beschwerden Warnungen und Sanktionen aussprechen, die von Geldstrafen bis zur Schließung einer Station reichen. Diese Behörde arbeitet in der Tat unabhängig und professionell, obgleich sie personell und finanziell nicht angemessen ausgestattet ist (European Commission 2007).

Trotz aller Anstrengungen bietet Bosnien und Hercegovina noch immer kein gutes Pflaster für eine demokratischen Ansprüchen genügende journalistische Arbeit. Die Medien werden in den Augen der Öffentlichkeit zumeist nur als Mittel des politischen Einflusses und nicht als Kontrollinstanz und Politikvermittler wahrgenommen. Die hohen Summen, die nach dem Krieg ins Land strömten, förderten eine Geldnehmer-Mentalität und unter-gruben die langsame Entwicklung eines Medienmarktes. Die Werbeeinnahmen sind gering, und Expertise in punkto Medienmanagement oder Marketing sind ebenso wenig vorhanden wie eine professionelle journalistische Ausprägung trotz einiger Journalismusstudiengänge (Topić 2005: 13). Erschwerend für die Ausbildung einer differenzierten und funktionieren-den Medienlandschaft kommt der starke Einfluss der Medien der beiden Nachbarländer Kroatien und Serbien hinzu, die auch heute noch zum Teil höhere Auflagenzahlen bzw. Einschaltquoten in BiH besitzen als die einheimische Presse und der Rundfunk selbst und zudem meist von besserer Qualität sind.

12. Politische Kultur und Politische Partizipation Das Erbe des verheerenden Bürgerkrieges hat sich auch auf die politische Kultur und die Partizipation der Gesellschaft an der Politikgenese niedergeschlagen und lähmt das Land. Von einer lebendigen und demokratischen Zivilgesellschaft kann derzeit keine Rede sein, progressive Entwicklungen zeichnen sich nur ansatzweise ab. Die im kommunistischen Tito-Regime nur sehr schwach ausgeprägten zivilgesellschaftlichen Traditionen wurden durch die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den ethnischen Gruppen weiter ausgehöhlt. Jahrelang beherrschten auch nach dem Krieg die Figuren der autoritären Ver-gangenheit und des Krieges die politische Bühne und konnten auf eine unverändert starke Machtbasis zurückgreifen. Sie polarisierten die Wahlkämpfe, schürten die Ängste unter der Bevölkerung und sicherten sich so immer wieder die politische Unterstützung des Elekto-rats (Manning 2004: 66). Zusätzlich erschwerte die im Vertrag von Dayton erfolgte Defini-tion des demos über den ethnos die Entwicklung eines politischen Bürgerbewusstseins. Die zur Sicherung der Gruppeninteressen etablierten Strukturen und Institutionen leisteten der Ethnisierung der gesamten politischen und gesellschaftlichen Sphäre Vorschub.

Positiv ist dennoch festzuhalten, dass die politisch motivierte Gewalt und das Mobili-sierungspotential des ethno-politischen Konfliktes abnehmen (Gromes 2006a: 516). Nur noch 34,5% der Bosniaken, 26,2% der Kroaten und 13,6% der Serben befürchten im Falle eines Abzugs internationaler Truppen ein erneutes Ausbrechen des Krieges (Daten vom März 2008, UNDP 2008: 52). Mit der zurückgehenden offenen Gewalt ging jedoch keine Verringerung der ethnischen Konfrontation im politisch-gesellschaftlichen Leben einher. Ganz im Gegenteil: Der weiterhin beherrschende Konflikt über die Staatlichkeit drückt sich auch im Streit über Hoheitszeichen, Hymnen oder die Benennung von Gemeinden, Schulen

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und Straßen aus (Gromes 2006a: 517). Versöhnung und Vergangenheitsbewältigung sind als Themen zwar omnipräsent, hatten bisher jedoch nur wenig substantielle Auswirkungen auf eine Refokussierung der politischen Agenda weg von nationaler Propaganda hin zu sozio-ökonomischen Fragen (BTI 2007: 4). Ein fragmentiertes und dezentralisiertes Bildungssys-tem erleichterten und erleichtern es den ethnischen Unternehmern weiterhin, Segregation festzuzurren und Stereotype zu verstetigen, indem die nationalistischen Parteien gezielt auf die Curricula in jenen Unterrichtsfächern Einfluss nahmen, die für die Genese nationaler Identität so wichtig sind (Geschichte, Geographie, Muttersprache, Religionsunterricht) (Richter 2009). Der Anteil jener Bevölkerungsteile, die das Land noch friedlich und multi-ethnisch erlebten, nimmt gegenüber jenen ab, die nur Krieg und Ethnisierung spürten und zunehmend die politischen Debatten bestimmen. Die politische Öffentlichkeit bleibt somit in drei ethnisch determinierte Arenen aufgesplittet, zwischen denen wenig Interaktion besteht (Topić 2005: 4). Der wesentliche politische Wettkampf spielt sich zwischen den politischen Parteien innerhalb einer ethnischen Gemeinschaft ab (ODIHR 2007: 4).

Auch für Bosnien und Hercegovina gilt wie für viele andere post-kommunistische Länder zudem, dass zivilgesellschaftliches Engagement und Partizipation nicht per se zur Ausprägung einer demokratischen politischen Kultur beitragen. Die Hilfsgelder, die en masse ins Land strömten, förderten vor allem humanitäre Organisationen sowie Verbände, die die Folgen des Krieges aufarbeiteten (z.B. Veteranen, „Frauen von Srebrenica“). Poli-tisch-gesellschaftliche Interessen- und Bedürfnisartikulation trat dahinter zurück. „NGO“ wurde zudem dank dieses Geldregens in BiH ein Geschäftsmodell und diente manch einem Politiker zur Verschleierung und Finanzierung weniger hehrer politischer Ziele. Vor allem aber führte die großflächige Unterstützung zur Entstehung einer Fülle kleiner Gruppen, die jedoch gesellschaftlich kaum verankert und somit auch selten überlebensfähig waren. Star-ke zivilgesellschaftliche Akteure, die an einer Politikformulierung teilhaben könnten, bil-deten sich vor allem in den urbanen Zentren des Landes (insbesondere in Sarajevo, Banja Luka, Tuzla) heraus. Die politische Führung ignorierte diese jedoch meistens, waren sie doch angesichts ihrer offenen Kritik an der nationalistischen Agenda kaum naturgegebene Partner. Im Kontrast dazu banden die internationalen Akteure NGOs regelmäßig in ihre Konsultations- und Deliberationsprozesse ein. Das Bild der Gesellschaft BiHs bliebe eben-so unvollständig, würde man zivilgesellschaftliche Kräfte ignorieren, die entlang ethnischer Linien existieren und Ängste gezielt schüren: „It would be misleading to assume that ethno-nationalism persists only due to the activities of SDS, HDZ, and SDA on the supply side of the political market. [...] The religious communities in the area – the Islamic Community, the Serb Orthodox Church, and the Catholic Church – are powerful players on the supply side of ethno-nationalism, too“ (Gromes 2006b: 21). Religion spielt somit eine sehr ambi-valente Rolle. Einerseits kommen aus den Kirchen und Moscheen immer wieder Aufrufe zu Versöhnung und Toleranz. Als wichtigstes Unterscheidungskriterium ist Religion aber andererseits eine Quelle von Segregation, der Einfluss nimmt in vielen gesellschaftlichen Lebensbereichen rasant zu. Vertreter der jeweiligen Gemeinden engagierten sich immer wieder aktiv an politischen Debatten, etwa die katholische Kirche in der Verfassungsre-formdiskussion, und dirigierten das Wahlvolk offensiv zu nationalistischen Parteien (ODIHR 2007: 11). Der Wiederaufbau religiöser Stätten wurde häufig zum Kristallisati-onspunkt interethnischer Gewaltausbrüche, am gravierendsten wohl 2001 angesichts der Grundsteinlegung für die Ferhadija-Moschee in Banja Luka, einem 1579 erbauten und 1993 vollständig zerstörten Gotteshaus. Durch ihre finanzielle Macht verändern zudem muslimische Länder, wie etwa Saudi-Arabien, die kulturelle, politische und gesellschaftli-che Landschaft. Der von ihnen unterstützte, sehr konservative Wahhabismus dominiert

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zunehmend über die traditionelle Form eines toleranten, offenen Islam. Mit dem Aufbau von sozialen Einrichtungen schaffen sie den Nährboden für den Aufstieg eines stärker poli-tisch orientierten Islam, auch wenn es innerhalb der muslimischen Gemeinde immer wieder auch moderate Kräfte gibt, die dies zu verhindern suchen. Dadurch steigen jedoch innerhalb der Bosniaken die Spannungen zwischen den laizistischen Muslimen und zivilgesellschaft-lichen Gruppen einerseits und religiösen Fanatikern andererseits an (TAZ vom 30.9.2008).

Die Rückwirkungen dieser Entwicklungen auf die Stabilität und Legitimität des politi-schen Systems waren und sind nicht zu unterschätzen. Obgleich die diffuse Unterstützung für demokratische Werte im Land recht hoch ist, untergruben von Anfang an die gegensätz-lichen politischen und territorialen Aspirationen der einzelnen Volksgruppen die Legitimi-tät der neuen politischen Ordnung (BTI 2007: 11): Die demokratischen Institutionen waren größtenteils durch die Agonie um die staatliche Einheit paralysiert und konnten durch die mangelnde Leistungsfähigkeit weder spezifische Unterstützung aufbauen noch sich zu einem Stabilitätsanker entwickeln (Richter 2009). Erschwerend hinzu kommt die Desillusi-onierung und das mangelnde Vertrauen in die politischen Akteure, denn aufgrund der en-demischen Korruption wird Politik bei vielen Bürgern auch heute noch verstanden als das beste Mittel, um geschickt an Geld zu kommen, und nicht als Suche nach der besten Lö-sung für das Gemeinwohl (Richter 2009). Auch heute geben somit „das Fortbestehen mafi-öser Strukturen, das Verharren in nationalistischen Positionen und der anhaltende Unwille zu Kompromissen – zuweilen blanker Obstruktionismus – doch sehr zu denken“ (Steiner/ Ademović 2003: 111). Die offensichtlichen Auswirkungen dieser nur rudimentären demo-kratischen politischen Kultur sind vor allem hohe Unzufriedenheit, Politikverdrossenheit und Apathie, die sich etwa in einer niedrigen Wahlbeteiligung äußern (2006: 55%). Die subjektive Hilfs- und Machtlosigkeit der Bürger paart sich mit einer hohen Erwartungshal-tung an die internationale Gemeinschaft, die von der langen und stark intervenierenden Präsenz externer Akteure herrührt.

13. Rechtssystem19 Das bosnisch-hercegovinische Rechtssystem baut auf dem Rechtssystem des ehemaligen Jugoslawien auf, das wiederum österreichische und deutsche Wurzeln hat. Die Dayton-Verfassung brachte aber eine Reihe von Veränderungen (Pajić 2001: 53). So verortet die verfassungsrechtliche Kompetenzaufteilung zwischen den Entitäten und dem Gesamtstaat, die bekanntlich einer eher föderalen Logik folgt, die Organisation und Arbeit des Gerichts-systems primär auf dem Niveau der Entitäten (bzw. im Distrikt Brčko) (Art. II Abs. 3(a) der Verfassung).

Das Gesetz über das Gerichtswesen in der Föderation Bosnien und Hercegovinas (2005) sieht eine Gewaltenteilung und somit die Unabhängigkeit von der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt vor (Art. 3). Diese wird durch bestimmte Mechanismen der Richterwahl, Finanzierung, Mandatslänge und das Verbot von formellen Interaktionskanä-len zur gegenseitigen Beeinflussung realisiert. Das Gerichtssystem ist in 28 Gemeinde-, zehn Kantonal- und ein Oberstes Gericht gegliedert. Während die Gemeindegerichte (Općinski sudovi) auch für mehrere Gemeinden zuständig sein können, stimmt die Zustän-

19 Die Autoren danken Damir Banović, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Rechtswissenschaftlichen

Fakultät in Sarajevo, für die Mitarbeit an diesem Abschnitt.

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digkeit der Kantonalgerichte (Kantonalni sudovi) mit den Grenzen der Kantone überein. Das Oberste Gericht (Vrhovni sud) der Föderation ist die höchste Instanz. Auch wenn es nicht zur rechtsprechenden Gewalt im engeren Sinne gezählt wird, muss an dieser Stelle auch das Verfassungsgericht der Föderation (Ustavni sud) erwähnt werden, das als Organ der abstrakten Normenkontrolle von Gesetzen und anderen Rechtsakten fungiert.

Ähnlich der Föderation bestimmt das Gesetz über das Gerichtswesen in der Republika Srpska (2004) die Organisation, Zuständigkeit und Funktionsweise der Gerichte in der RS. Die auch hier verankerte Unabhängigkeit der Gerichte wird in der RS zusätzlich durch die Verfassung (Art. 121) abgesichert. Die rechtsprechende Gewalt wird durch die Allgemei-nen Gerichte (Opšti sudovi), die Bezirksgerichte (Okružni sudovi) sowie das Oberste Ge-richt als oberste Instanz vollzogen. Die Allgemeinen Gerichte (insgesamt 19) sind zustän-dig für eine oder mehrere Gemeinden. Mehrere Allgemeine Gerichte unterstehen den fünf Bezirksgerichten (Banja Luka, Bijeljina, Doboj, Trebinje und Istočno Sarajevo). Wie auch in der Föderation gibt es ein Verfassungsgericht, welches sich mit der abstrakten Normen-kontrolle befasst (Art. 115 der Verfassung der Republika Srpska).

Im Distrikt Brčko wurde im Statut (Art. 66) und mit dem Gesetz über das Gerichtswe-sen eine eigene Justizstruktur aus einem Grund- und Appellationsgericht (Osnovni i Apela-cioni sud) geschaffen.

Für das bosnisch-hercegovinische Rechtssystems ist die Einrichtung eines auf Gesamt-staatsebene zuständigen Gerichtshofs (Sud BiH) 2007 von besonderer Bedeutung gewesen. Seine Aufgaben sind der Schutz der effektiven Durchführung der Zuständigkeiten des Ge-samtstaates und der Schutz der Menschenrechte und des Rechtsstaates (Art. 1 des Gesetzes über das Gericht BiHs 2007). Das Gericht hat eine Verwaltungs-, Strafrechts- und Appella-tionsabteilung. Es ist demnach in strafrechtlichen Belangen vor allem für Straftaten zustän-dig, die gegen die Souveränität und territoriale Integrität und gegen das gesamtstaatliche wirtschaftliche System gerichtet sind. Die Strafrechtsabteilungen umfassen demnach die Abteilungen für Kriegsverbrechen, für Organisierte Kriminalität und für Allgemeine Kri-minalität. In verwaltungsrechtlichen Fragen ist das Gericht für Klagen gegen endgültige Verwaltungsnormen von Verwaltungsorganen des Gesamtstaates zuständig. Die Appellati-onsabteilung ist für Klagen gegen die Entscheidungen der anderen beiden Abteilungen zuständig. Mit diesem Gerichtshof sind jedoch die Voraussetzungen für ein einheitliches Rechtssystems des Gesamtstaates noch nicht erfüllt. Eine solche Logik würde zusätzlich die Einrichtung eines Obersten Gerichts Bosnien und Hercegovinas als höchste Beschwerdein-stanz erfordern, die allerdings in den bisherigen Reformdiskussionen nicht abzusehen ist.

Zur praktischen Absicherung des Prinzips der Unabhängigkeit der Gerichte und als Resultat der Justizreform (siehe Gromes 2007: 275ff.) installierte man 2005 einen Hohen Gerichts- und Staatsanwaltschaftsrat (Visoko sudsko/i i tužilačko/i vijeće/savjet). Dieser Rat stellt ein unabhängiges und selbständiges Organ dar, welches die Unabhängigkeit, Unpar-teilichkeit und Professionalität der rechtsprechenden Gewalt garantieren soll. Der Rat ist zuständig für die Wahl von Richtern und Staatsanwälten auf allen territorialen Ebenen, reguliert Fragen der Nichtvereinbarkeit des Richteramtes mit anderen Funktionen und setzt sich für die kontinuierliche und adäquate Finanzierung der Gerichte und der Staatsanwalt-schaften ein. Zur weiteren Absicherung der Unabhängigkeit werden die Richter am Gericht Bosnien und Hercegovinas sowie an den Gerichten in der Föderation und der RS lebens-lang berufen. Das dritte Element zur Garantie der Unabhängigkeit ist die hohe finanzielle Unabhängigkeit. Das Jahresbudget wird vom Hohen Gerichts- und Staatsanwaltschaftsrat beim gesamtstaatlichen Justizministerium beantragt, jedoch von der Parlamentarischen Versammlung verabschiedet. Der Hohe Rat hat das Recht, seinen Budgetvorschlag vor dem

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Parlament zu begründen, was eine institutionelle Ausnahme ist. Damit kann man im Ver-gleich zu den Nachbarstaaten schlussfolgern, dass Bosnien und Hercegovina in institutio-neller und struktureller Hinsicht das beste System der Unabhängigkeit der Justiz besitzt.

Die Verfassung Bosnien und Hercegovinas reguliert die wesentlichen Grundlagen für das gesamtstaatliche Verfassungsgericht (Ustavni sud BiH). Sie orientiert sich dabei stark an der österreichischen und deutschen Rechtstradition. Das Verfassungsgericht hat neun Mitglieder, von denen vier vom Repräsentantenhaus der Föderation (zwei Bosniaken und zwei Kroaten), zwei von der Volksversammlung der RS (zwei Serben) und drei vom Präsi-denten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Absprache mit der Präsident-schaft ernannt werden. Letztere können keine Staatsbürger BiHs und der Nachbarstaaten sein (Art. IV Verf.). Das Mandat der Richter ist nach einer zweiten Berufung lebenslang (bzw. bis zum 70. Geburtstag). Das Verfassungsgericht ist zuständig für Streitfragen, die zwischen den Entitäten, dem Gesamtstaat und den Entitäten sowie den gesamtstaatlichen Institutionen entstehen. Fragen bezüglich der parallelen Beziehungen der Entitäten mit den Nachbarstaaten und zur Übereinstimmung der Entitätsverfassungen und -gesetze mit der Verfassung sind ebenfalls Arbeitsbereiche des Verfassungsgerichts.

Aktiv berechtigt für die Anfrage beim Verfassungsgericht sind: jedes Mitglied der Prä-sidentschaft, der Vorsitzende des Ministerrates, die Vorsitzenden und Stellvertreter der beiden Kammern der Parlamentarischen Versammlung sowie ein Viertel der Abgeordneten in den Kammern der gesamtstaatlichen und Entitätsparlamente. Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts sind endgültig und bindend (Art. IV Verf.). Die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts ist garantiert, da kein Organ Gesetze und andere Rechtsakte verab-schieden kann, die die Arbeit dieses Gerichts bestimmen, und das Gericht finanziell unab-hängig ist.

In der Nachkriegszeit Bosnien und Hercegovinas hat das Verfassungsgericht durch seine wegweisende Entscheidung über die konstituierenden Völker aus dem Jahr 2000 die bisher wichtigste institutionelle Reform des politische Systems initiiert (Winkelmann 2003: 65; Fondacija Heinrich Böll 2004: 73ff.). Die Initiative ging von der NGO „Serbischer Bürgerrat“ (Srpsko građansko vijeće) aus, die auf die Diskriminierung der Serben in der Föderation bzw. der Bosniaken und Kroaten in der Republika Srpska aufmerksam machte, da sie jeweils nicht als konstituierendes Volk in der Verfassung des jeweiligen Landesteils galten. Die Klage wurde schließlich vom damaligen Präsidentschaftsmitglied Alija Izetbe-gović eingereicht. Das Gericht traf letztlich vier Einzelentscheidungen im Januar, Februar, Juli und August 2000, in denen es eine Reihe von Artikeln der Entitätsverfassungen für verfassungswidrig erklärte (Bieber 2008: 136). Bemerkenswert ist jedoch, dass die Ent-scheidungen nur aufgrund einer einfachen Mehrheit, den Stimmen der drei internationalen und zwei bosniakischen Verfassungsrichter, zustande kamen. Die kroatischen und serbi-schen Richter hatten gegen die Entscheidungen gestimmt. Dieses Urteil wurde somit nur möglich, da das Verfassungsgericht eine der wenigen Institutionen ist, die keine Vetome-chanismen kennt oder Konsens vorsieht (Mijović 2001: 225). Diese Regelung und eine Reihe von Entscheidungen, unter anderem die oben erwähnte Entscheidung über die konsti-tuierenden Völker, haben dazu geführt, dass das Verfassungsgericht die einzige funktionie-rende gesamtstaatliche Institution ist: „Die Gesamtheit der Entscheidungen […] bildet ei-nen wertvollen Beitrag des Verfassungsgerichts zum Schutz und zur Förderung des Rechts-staates in Bosnien und Herzegowina“ (Trnka/Tadić/Dmičić 2005: 11).

Eine sehr wichtige Institutionen, die auf Basis von Annex 6 des Daytoner Friedensab-kommens eingerichtet wurde, war bis 2003 die Menschenrechtskammer (Dom za ljudska prava). Als einziges europäisches Land hatte Bosnien und Hercegovina eine Institutionen,

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die den Menschenrechtsschutz außerhalb des regulären Rechtssystem sicherstellen sollte. Die Menschenrechtskammer (oder auch -gerichtshof) war im Aufbau dem Straßburger Menschenrechtsgerichtshof nachgebildet. Sie hatte 14 Mitglieder, sechs bosnisch-hercego-vinische Richter und acht ausländische Richter, die vom Ministerrat des Europarates er-nannt wurden. Die Kammer war für unmittelbare Beschwerden von Bürgern gegen Men-schenrechtsverletzungen dann zuständig, wenn die Beschwerde bei anderen innerstaatlichen Gerichten auf den Ebenen der Kantone bzw. Entitäten gescheitert war. Des Weiteren be-fasste sich die Kammer nur mit Menschenrechtsverletzungen, die nach Ende des Krieges geschehen waren oder weiter angehalten hatten. Sehr oft wurde aber die mangelnde Durch-führung der Entscheidungen kritisiert. Das Mandat der Kammer endete gemäß Art. 14 des Annexes 6 und dem Vorschlag der Venedig-Kommission des Europarates (Sali-Terzić 2001: 161f.) 2003. Die 9.000 ungelösten Fälle wurden einer Kommission innerhalb des Verfassungsgerichts überlassen. Seitdem werden Menschenrechtsverletzungen vor dem Verfassungsgerichtshof bzw. dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straß-burg behandelt, da Bosnien und Hercegovina seit April 2002 Mitglied des Europarates ist (Plessing 2007: 55ff.).

Weitere wichtige Instanzen zur Sicherung der Menschenrechte sind in Bosnien und Hercegovina die Institutionen der Ombudsmänner (Ombudsman za ljudska prava BiH). Bisher gibt es drei voneinander unabhängige Stellen mit insgesamt neun Beauftragten (je drei für die beiden Entitäten, sowie drei auf Gesamtstaatsebene). Im Jahre 2004 wurden die drei internationalen Ombudsmänner auf Gesamtstaatsebene durch jeweils einen Vertreter der drei Volksgruppen ersetzt (Krause/Batarilo 2008; Trnka/Tadić/Dmičić 2005: 13), deren Mandat mittlerweile ausgelaufen ist. Sehr problematisch ist, dass die Wahl der neuen Om-budsmänner/-frauen auf Staatsebene seit Monaten aussteht. Aufgrund dessen ist – parado-xerweise zum Glück – der kontroverse Ombudsmann aus der RS, Vitomir Popović, der im Krieg von Radovan Karadžić einen Verdienstorden bekam und welchem eine Reihe von Menschenrechtsbrüchen vorgeworfen wurden (Oslobođenje, 24.8.2008), zurückgetreten (Oslobođenje, 15.8.2008). Angesichts all dieser Entwicklungen befindet sich das Men-schenrechtsschutzsystem in einer Krise.

Bereits seit geraumer Zeit wird daran gearbeitet, die drei Ombudsmann-Institutionen in Bosnien und Hercegovina, die bisher auf gesamtstaatlicher Ebene und auf Entitätsebene angesiedelt waren, auf gesamtstaatlicher Ebene zusammenzulegen. Neben einer Steigerung der Effizienz und Effektivität soll damit insbesondere den Empfehlungen der internationa-len Gemeinschaft entsprochen werden. Dies hätte ursprünglich bereits zum 1.1.2007 ge-schehen sollen, da ein entsprechender Beschluss zur Auflösung der Ombudsmann-Einrichtungen auf Entitätsebene und der daraus resultierenden Übertragung auf die Ge-samtstaatsebene schon am 25.4.2006 vorlag. Beide Kammern des bosnisch-hercegovini-schen Parlaments hatten ebenso bereits im März 2006 die dementsprechende gesetzliche Grundlage für eine Restrukturierung der Ombudsmann-Institutionen gelegt. Insbesondere im Rahmen des Beitritts zum Europarat sowie im Vorfeld der Unterzeichnung des Stabili-sierungs- und Assoziierungsabkommens mit der EU hatten ja auch beide Organisationen unmissverständlich klar gemacht, dass an einer Zusammenführung der drei voneinander unabhängig arbeitenden Ombudsmann-Institutionen auf gesamtstaatlicher Ebene kein Weg vorbei führe. Bei den vielfältigen Menschenrechtsverletzungen im Lande sei es unabding-bar, eine zentrale Anlaufstelle für die Bürger einzurichten, welche als kompetenter Anwalt für die Wahrung von Menschen- und Bürgerrechten in ganz BiH eintritt.

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14. Föderationssubjekte („Entitäten“) und Kommunalpolitik 14.1 Entitäten und Kantone Das politische System Bosnien und Hercegovinas ist sehr dezentral strukturiert, weshalb einige Autoren, so wurde in der Einleitung bereits deutlich, den Staatsaufbau eher konföde-ral als föderal charakterisieren (zum Beispiel Savić 2003). Jedoch besitzen beide Entitäten explizit nicht das Recht, aus dem Gesamtstaat auszutreten. Als Ergebnis der historischen Entwicklung während und nach dem Bürgerkrieg in der Region entstanden losgelöst von-einander zwei quasi-staatliche Gebietskörperschaften mit eigenen Verfassungen (die Re-publika Srpska 1992 und die Föderation von Bosnien und Hercegovina 1994), die im Ver-trag von Dayton unter dem Dach des Gesamtstaates Bosnien und Hercegovina zusammen-gefügt wurden. Beide Regierungssysteme sind denn auch konzeptionell sehr unterschied-lich. Während die Republika Srpksa eine eher unitare Teilrepublik mit einer Dominanz der serbischen Volksgruppe ist, wurde mit der Föderation innerhalb des bereits sehr dezentral organisierten Staates eine weitere hochgradig dezentralisierte Teilrepublik mit zehn Kanto-nen etabliert (Markert 2003: 88). Die Grenze zwischen beiden Entitäten, die berüchtigte Inter-Entity Boundary Line, kurz IEBL, bildete noch Jahre nach dem Krieg eine faktische Staatsgrenze, inklusive von Checkpoints, Identitätskontrollen etc. Erst durch ein Eingreifen des Hohen Repräsentanten, der unter anderem einheitliche, unidentifizierbare Nummern-schilder verfügte, konnte die Bewegungsfreiheit für alle ethnischen Gruppen zwischen den beiden Entitäten gewährleistet werden und so auch Flüchtlinge zurückkehren. Dank des harten Durchgreifens des Hohen Repräsentanten konnten mittlerweile auch die im Krieg etablierten para-staatlichen Strukturen zerschlagen werden. So wurde etwa das Funktionie-ren sämtlicher Institutionen in der Föderation lange dadurch unterminiert, dass die kroati-schen Gebiete bis 2001 weitestgehend im Rahmen der illegalen Republik Herceg-Bosna regiert wurden (Markert 2003: 89).

Nach der Verfassung besitzen die Entitäten eine relative Verfassungsautonomie und somit umfangreiche Kompetenzen inklusive einer Kompetenz-Kompetenz zur Abtretung von Zuständigkeiten. Die wahre Macht im Staate Bosnien und Hercegovina liegt bei den Entitäten. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts von 2000 zur Gleichberechtigung der drei konstituierenden Völker in allen Landesteilen bedeutete demnach, dass die territoriale Ausgestaltung des Staates Bosnien und Hercegovina nicht zu ethnischer Abtrennung führen dürfe, sondern alle drei Volksgruppen in jeder Entität gleiche (Repräsentations- und Veto-) Rechte besitzen müssten (Winkelmann 2003: 67). Die Arbeiten in den Verfassungsaus-schüssen der Landesteile zogen sich in die Länge, führten aber immerhin zu einer politi-schen Vereinbarung über die Grundzüge der Anpassungen, dem sogenannten Markovica-Sarajevo-Abkommen. Auf Basis dessen verfügte schließlich der damalige Hohe Repräsen-tant Wolfgang Petritsch 2002 die Verfassungsänderungen der Entitätsverfassungen und nahm die notwendige institutionelle Neuordnung vor (Winkelmann 2003: 86). Die Verfas-sungsänderungen übertrugen alle Veto- und Repräsentationsrechte in den Entitäten auf alle exekutiven und legislativen Organe, so dass de facto auch die jeweils relativ kleinen Bevöl-kerungsgruppen, etwa der Serben in der Föderation oder der Kroaten in der Republika Srpska, eine starke Macht- und Blockadeposition einnehmen.

Die Verfassung der Föderation stammt vom 26.6.1994 und wurde im Rahmen des Wa-shingtoner Friedensabkommens von amerikanischer Seite zwischen der Kriegsführung der Republik BiH und der Republik Kroatien vermittelt (Markert 2003: 88). Ähnlich dem Ge-samtstaat ist sie konkordanzdemokratisch gestaltet und territorial dezentral in zehn Kantone

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aufgesplittet, die ähnlich von Bundesstaaten umfangreiche Kompetenzen besitzen (Gromes 2007: 164). Fünf Kantone weisen eine mehrheitliche bosniakische Bevölkerungsmehrheit (die Kantone Una-Sana, Tuzla, Zenica-Doboj, Bosnisches Podrinje und Sarajevo), drei Kantone mehrheitlich kroatische (die Kantone Posavina, West-Hercegovina und Liv-no/Kanton 10) und zwei Kantone eine ethnisch gemischte Bevölkerungsstruktur auf (die Kantone Mittelbosnien und Hercegovina-Neretva).20 Hauptstadt der Föderation ist Saraje-vo. Ähnlich dem Regierungssystem auf gesamtstaatlicher Ebene weist auch die Föderation zahlreiche Machtteilungsarrangements und konsensdemokratische Elemente auf, die absi-chern sollen, dass die kleinere Bevölkerungsgruppe der Kroaten wie auch die der noch wesentlich geringeren Serben nicht überstimmt werden können.21 Mit den Verfassungsän-derungen wurden in der Föderation nicht wie in der Republika Srpska neue Institutionen begründet, sondern die bereits existierenden Rechte auf die serbische Bevölkerungsgruppe ausgedehnt (etwa einen zusätzlichen Stellvertreterposten beim Präsidenten), Quoten bei der Besetzung der Regierung oder fixe Mandate in der ersten und zweiten Kammer eingeführt. Die Föderation besitzt auf legislativer Ebene neben dem Repräsentantenhaus eine indirekt gewählte zweite Kammer mit einer gleichen Anzahl (je 17) bosniakischer, kroatischer und serbischer Repräsentanten, die die Kantone proportional zur Bevölkerungsstärke repräsen-tieren. Abgeordnete der Kantonsversammlungen werden als Delegierte in diese zweite Kammer entsandt. Diese Delegierten können bei Verletzung des vitalen nationalen Interes-ses ein Veto gegen ein Vorhaben im Parlament einlegen. Zwar ist im Gegensatz zu der staatlichen Verfassung in der Föderationsverfassung das thematische Spektrum für ein solches Veto explizit angeführt, allerdings ist diese Liste sehr breit gefasst (Repräsentati-onsrechte und Aufbau der Institutionen, Verfassungsänderungen, territoriale Gliederung, Kultur, ethnische Identität). Zudem kann jedes Thema mit einer zwei Drittel-Mehrheit der Delegierten einer Volksgruppe mit einem Veto belegt werden, so dass die thematische Eingrenzung de facto hinfällig ist. Das Repräsentantenhaus setzt sich aus 98 Mitgliedern zusammen, die für vier Jahre gewählt werden. Jede Volksgruppe erhält dabei mindestens vier Mandate (Art. 71 Verf. der RS). Der Präsident der Föderation und seine beiden Stell-vertreter, die aus den jeweils anderen beiden Volksgruppen stammen müssen, werden indi-rekt durch die beiden Kammern des Parlaments gewählt. Derzeit hat diese Position die Kroatin Borjana Krišto inne, ihre Stellvertreter sind der Bosniak Mirsad Kebo und die Serbin Spomenka Mičić. Die Regierung der Föderation muss nach den Verfassungsände-rungen neben dem Ministerpräsidenten acht bosniakische, fünf kroatische und drei serbi-sche Minister umfassen. Dabei kann ein Vertreter der Volksgruppe der „Anderen“ an Stelle eines Bosniaken Minister werden (Verf. der Föderation, Teil B, Art. 4). Das Kabinett um den Ministerpräsidenten wird vom Präsidenten und seinen Stellvertretern der Repräsentan-tenkammer vorgeschlagen und vom Repräsentantenhaus der Parlaments der Föderation bestätigt. Das Haus der Völker kann erst zusammenkommen, wenn die Delegierten von den nach jeden Wahlen ebenfalls neu zu konstituierenden Kantonalsversammlungen entsandt

20 Originalnamen: Unsko-sanski kanton, Tuzlanski kanton, Zeničko-dobojski kanton, Bosansko-podrinjski

kanton, kanton Sarajevo, Županija/kanton Posavski, Županija/kanton Zapadnohercegovačka, kanton 10, Srednjobosanski kanton, Hercegovačko-neretvanski kanton/Županija. „Županija“ ist der kroatische Be-griff für „Kanton“ und wird von den bosnischen Kroaten auch heute noch häufig verwendet, obgleich das Verfassungsgericht seine Nutzung für verfassungswidrig erklärte, da die eigentlichen „Županije“ Verwaltungseinheiten in Kroatien sind, die aber eine völlig andere Stellung im politischen System ein-nehmen.

21 Zum Wahlsystem für die Entitäten, Kantone und Kommunen vgl. Kap. 8.

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wurden, denen damit eine zentrale Rolle im politischen Teilsystem der Föderation zufällt (Gromes 2006a: 535). Neben die ethnischen Quoren tritt also noch eine extrem starke verti-kale Verflechtung, die die Neubesetzung der zentralen Posten massiv verzögern und er-schweren kann. Hinzu kommen noch die in jedem Regierungssystem üblichen komplizier-ten Verhandlungen bei der Koalitionsbildung zwischen den unterschiedlichen Parteien (Gavrić/Banović 2007: 62). Nach den letzten Wahlen konnte die neue Regierung unter Nedžad Branković (SDA) erst Ende März 2007, und somit nahezu sechs Monate nach den Wahlen vom 1.10.2006, ins Amt eingeführt werden.

Die Kantone verfügen über alle Kompetenzen, die die Verfassung nicht explizit für die Föderationsregierung reserviert, so auch in zentralen Politikfeldern wie Polizei, Bildung, Kultur, Medien. Die Kantone haben eigene legislative, exekutive und judikative Gewalten. So verfügen sie etwa zusätzlich zur Föderationsebene über eigene Parlamente, deren Reprä-sentanten auf vier Jahre gewählt werden (3%-Sperrklausel). Auf Kantonsebene sind inner-halb der Exekutive zahllose weitere Regelungen zur Machtteilung getroffen worden (bei-spielsweise Aufteilung von Vorsitz und Stellvertretung eines Ministeriums zwischen den Ethnien in den gemischt besiedelten Kantonen) (Council of Europe 2005: 14; Gromes 2007: 166). Seit den Wahlen 2006 stellt in keinem der zehn Kantone eine Partei allein die Mehrheit. Aufgrund ihrer Spaltung verlor die HDZ die absolute Mehrheit in den Kantonen West-Hercegovina und Livno, während die SDA im Kanton Zenica-Doboj nunmehr eben-falls auf Koalitionspartner angewiesen war (zur Sitzverteilung in den Kantonen vgl. Gro-mes 2006a: 530).

In der politischen Praxis haben die Verfassungsregelungen zu einer immensen Büro-kratisierung geführt, denn teilweise wurden parallele Strukturen auf gesamtstaatlicher, föderativer und kantonaler Ebene etabliert (Markert 2008: 89). Legislative und exekutive Kompetenzen werden somit auch innerhalb einer Entität mit schätzungsweise 2 ½ Millio-nen Einwohnern gleichzeitig von verschiedenen Instanzen ausgeübt, etwa die Bildungs- oder die Justizpolitik von einem Föderations- und von zehn Kantonsministerien. Dies ist auch insofern unter funktionellen Gesichtspunkten fragwürdig, als die Kantone vielfach nicht mehr als 200.000 Einwohner haben und wirtschaftlich darniederliegen (so hat etwa der Kanton Bosnisches Podrinje gerade mal 33.000 Einwohner und drei Gemeinden) (Mar-kert 2003: 91). Der Europarat kritisierte denn auch in seinem Gutachten 2005, effizientes und rationales Regieren sei hier vollständig dem Prinzip der Machtteilung geopfert worden, also alle Volksgruppen an allen Entscheidungsprozessen teilhaben zu lassen (Council of Europe 2005: 13ff.). Eine Reduzierung der Verwaltungsebenen oder eine Zusammenlegung von Kantonen erscheint durchaus sinnvoll, ist aber politisch ein höchst sensibles Thema.

Die Verfassung der Republika Srpska (RS) stammt von 1992 und etablierte eine unita-re Republik (Savić 2003: 17). Die Hauptstadt der RS ist nach einer Verfassungsänderung seit 2008 Banja Luka. Die RS ist wesentlich straffer und zentralisierter organisiert als die Föderation, denn sie besitzt keine weiteren vertikalen Gebietskörperschaften zwischen Entität und den Kommunen. Erst im Rahmen der Verfassungsentscheidung 2000 und den sich anschließenden Verfassungsänderungen wurde das ethnische Prinzip auch in der RS ausschlaggebend für die Besetzung der zentralen legislativen, exekutiven und judikativen Organe. Neu etabliert wurden eine zweite Kammer, in der die Delegierten wie auch in der Föderation das Recht auf ein Veto des vitalen nationalen Interesses besitzen, der Posten eines zweiten stellvertretenden Präsidenten, sowie ethnische Quoten für Regierung und die erste Kammer – die Nationalversammlung (Narodna skupština). Der Hintergrund dieser Entscheidung war, dass unter dem vorherigen, ethnisch neutralen und auf der Gleichheit der Bürger beruhenden Verfassungstext nicht-serbische Einwohner de facto massiv diskrimi-

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niert wurden (Council of Europe 2005: 15f.). Die Verfassungsänderungen von 2002 führten jedoch auch in der RS zu einer wesentlichen Komplexitätssteigerung der politischen Struk-tur. Der Präsident wird ebenso wie seine beiden Stellvertreter direkt für vier Jahre gewählt. Die drei Gewählten müssen dabei jeweils einer der drei Volksgruppen entstammen. Auf-grund der bevölkerungsmäßigen Dominanz der Serben war seit 1992 jedoch immer nur ein Serbe Präsident. Derzeitiger Präsident (seit Dezember 2007) ist Rajko Kuzmanović von der SNSD, seine Stellvertreter sind der Bosniak Adil Osmanović (SDA) und der Kroate Damor Čordaš (HDZ). Die 81 Abgeordneten für die Nationalversammlung werden per Mehrheits-wahl auf vier Jahre gewählt. Genau wie in der Föderation erhält jede Volksgruppe mindes-tens vier Mandate. Die Abgeordneten der jeweiligen Volksgruppen wählen zudem die De-legierten der zweiten Kammer, des Rates der Völker (Vijeće naroda), was die Unabhängig-keit der zweiten von der ersten Kammer in Frage stellt und daher eher untypisch für Zweikammerparlamente ist.22 Die Zuständigkeit des Rates der Völker beschränkt sich dabei nur auf Fragen des Schutzes der vitalen nationalen Interessen und ist damit, im Vergleich zum Haus der Völker der Föderation, viel enger gefasst. Damit ist der Rat der Völker keine wirkliche Parlamentskammer, sondern mehr ein Prüfungsgremium der bereits verabschie-deten Gesetze in der Nationalversammlung. Nur im Fall, dass ein Gesetz gegen die vitalen nationalen Interessen verstößt, kann die zweite Kammer Einfluss auf die Gesetzgebung ausüben. Die Nationalversammlung kann der Regierung das Misstrauen aussprechen, wes-wegen die Regierung auch dem Parlament verantwortlich ist (Art. 84 Verfassung RS). Die Regierung selbst setzt sich neben dem Ministerpräsidenten, der vom Präsidenten der RS ernannt wird, aus acht serbischen, fünf bosniakischen und drei kroatischen Ministern zu-sammen, wobei ein serbischer Sitz im Kabinett auch durch einen Vertreter der „Anderen“ besetzt werden kann (Art. 92 Verfassung RS). Nach den Wahlen 2006 gestaltete sich die Regierungsbildung wesentlich effektiver und funktionaler als in der Föderation. Der Wahl-sieg der SNSD bestätigte den Regierungschef Milorad Dodik in seinem Amt, der bereits seit der Regierungsumbildung im Februar 2006 Ministerpräsident war. Er hat eine stabile Mehrheit hinter sich, unterstützt von einer Koalition mit der SDA, der PDP und einiger kleinerer Parteien (Gavrić/Banović 2007: 62).

Die Verfassungsstruktur mit den größeren Machtressourcen und -instrumenten auf Ebene der Entitäten bildete von Anfang an ein Vehikel für die systematische Obstruktion des Friedensprozesses durch die nationalistischen Parteien. Allen voran die Republika Srpska unter Führung der SDS lehnte den Vertrag von Dayton ab und misstraute der inter-nationalen Gemeinschaft und deren Initiativen zur Umsetzung des Friedensabkommens und zur Stärkung demokratischer, gesamtstaatlicher Institutionen. Oftmals konnten nur Dro-hungen und Sanktionen des OHR der nationalistischen Politik Einhalt gebieten. Kroatische und bosniakische Parteien agierten nicht derart offen konfrontativ, schließlich kamen die Regelungen von Dayton meistens ihren Interessen entgegen, sondern verzögerten eher subtil mittels der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten viele Reformen, etwa durch man-gelnde legislative Aktivitäten auf kantonaler Ebene. Nach einem starken Reformschub zur

22 Insgesamt müssen acht Delegierte pro Volksgruppe gewählt werden. Ist die Anzahl der Abgeordneten

jeder Volksgruppe in der Nationalversammlung jedoch bereits geringer, kann diese Quote nicht erfüllt werden, wie 2006 im Falle der kroatischen Volksgruppe. Laut Verfassung der RS (Art. 72) bestimmt in diesem Fall eine Art Gremium der Gemeindeabgeordneten die weiteren Delegierten. Neben den je acht Delegierten der drei Volksgruppen sitzen vier weitere Delegierte im Rat der Völker, die die „Sonstigen“ repräsentieren. Seit 2006 sind dies je ein Angehöriger der jüdischen, slowakischen, ukrainischen und montenegrinischen Minderheit.

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Stärkung der gesamtstaatlicher Ebene erkannte die Republika Srpska jedoch, dass der Ver-trag von Dayton letztlich die Garantie der Bewahrung einer föderalen Struktur des Landes ist. Dodik ist heute ein Verfechter dieses Rahmens und pocht auf die Respektierung der Vollmachten und Kompetenzen der Entitäten, das ihm wesentliche politische Handlungs-spielräume in „seiner“ Entität lässt. Er droht in regelmäßigen Abständen mit einem Unab-hängigkeitsreferendum in der Republika Srpska (erst jüngst im Rahmen der Unabhängigkeit des Kosovo), um mit einem Szenario der weiteren staatlichen Auflösung nur seine Forde-rungen durchzusetzen, seine Macht zu zementieren und schleichend Kompetenzen des Zentralstaates zurückzunehmen (Richter 2008: 5).

Die politische Entwicklung innerhalb der beiden Entitäten ist in den letzten Jahren stark auseinander gegangen. Während die Republika Srpska noch lange Jahre nach dem Vertrag von Dayton unter den von der internationalen Gemeinschaft auferlegten Sanktionen litt, legte Dodik seit 2006 großen Wert auf einen Privatisierungsschub und konnte so eine Reihe von ausländischen Investoren, etwa bei Raffinerien oder in der Telekommunikation, anlocken (Gavrić/Banović 2007: 62). Die wesentlich straffer und effizienter organisierten Entscheidungsprozeduren in der RS ermöglichten ihm zwar einerseits große Reformprojek-te, doch ließen sie andererseits auch Raum für die Ausprägung eines autoritären Führungs-stils, für Korruption und finanzielle Ungereimtheiten. Dodik schränkte die freie Medienar-beit, die Unabhängigkeit der Justiz und die Gestaltungsspielräume zivilgesellschaftlicher Organisationen Schritt für Schritt ein (BTI 2007: 21). So war etwa Transparency Internati-onal immer wieder Anfeindungen ausgesetzt und musste aus Sicherheitsgründen die Büros in Banja Luka und Sarajevo kurzzeitig schließen (NZZ 26.9.2008). Hingegen stagniert die wirtschaftliche Entwicklung in der Föderation, sie steht kurz vor dem Bankrott: Die Ver-waltung verschlingt Unsummen, und die ineffizienten Entscheidungsstrukturen blockieren zügige Abläufe.

Die Verfassung von Bosnien und Hercegovina räumt den Entitäten das Recht ein, Sonderbeziehungen mit den Nachbarstaaten eingehen zu dürfen, so lange dies in Einklang mit der Souveränität und territorialen Integrität des Gesamtstaates steht (Art. III Abs. 2). Kroatien und die Bundesrepublik Jugoslawien bzw. die Republik Serbien haben sich in den ersten Jahren nach Dayton als Patronagestaaten massiv in die innenpolitische Entwicklung eingemischt. Erst mit den demokratischen Umbrüchen 2000 und dem damit verbundenen Rückzug der jeweiligen neuen Reformpolitiker von der Unterstützung der Sezessionsab-sichten der bosnischen Kroaten bzw. Serben erfuhren die staatlichen Institutionen in BiH eine deutliche Stärkung (Gromes 2006b: 10). Dennoch orientieren sich beide Volksgruppen auch heute noch stark an Zagreb bzw. Belgrad. So können sie etwa die Staatsbürgerschaft der jeweiligen Staaten erwerben, was nach einem Urteil des Verfassungsgerichts der Ver-fassung nicht widerspricht (Winkelmann 2003: 78). Auch die Medienlandschaft und die Wirtschaft sind stark von den jeweiligen externen Einflüssen geprägt.

14.2 Distrikt Brčko Die Gemeinde Brčko mit einem mehrheitlich serbischen Bevölkerungsanteil nimmt inner-halb der komplexen territorialen Gliederung Bosnien und Hercegovinas eine Sonderstel-lung ein, denn als ein demilitarisierter, unabhängiger Distrikt ist die Gemeinde zwar keiner Entität zugeordnet sondern untersteht nur der staatlichen Kontrolle. Sie ist aber gleichsam bisher auch keine eigene föderale Einheit. Die internationale Gemeinschaft erwartet, dass der hybride Status des Distrikts möglichst bald gelöst und Brčko in die Verfassungsstruktur

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inkorporiert wird. Damit würde die Gemeinde jedoch aufgewertet und tatsächlich neben den Entitäten eine eigene föderale Einheit Bosnien und Hercegovinas bilden.

Der Sonderstatus von Brčko liegt in der geostrategischen Bedeutung der ursprünglich mehrheitlich bosniakisch und kroatisch besiedelten Gemeinde als Korridor zwischen den beiden Gebieten der Republika Srpksa begründet. Der Vertrag von Dayton (Annex 2, Art. V) überlässt den Status der Gemeinde einem bindenden Schiedsspruch einer Kommission, die mit einem internationalen Vertreter und jeweils einem von der Föderation und der RS ent-sandten Vertreter besetzt wurde. Der endgültige Schiedsspruch von 1999, auf Basis dessen erst jüngst im Frühjahr 2008 ein neues Gemeindestatut erlassen wurde, schreibt Brčko in den Grenzen der Vorkriegsgemeinde den Status als ein einheitlicher autonomer Distrikt mit eigenen Gesetzen zu. Es sieht weniger Machtteilungsarrangements als auf gesamtstaatlicher Ebene, in den Entitäten und Kantonen vor und gesteht den einzelnen Volksgruppen auch keine Vetorechte für ihre nationalen Interessen zu. Stattdessen müssen die meisten Entschei-dungen mit einer 3/5-Mehrheit in der Distrikt-Versammlung getroffen werden. Bis 2004 regierte noch ein internationaler Supervisor durch direkte Intervention, der den Bürgermeis-ter und die Mitglieder der Versammlung direkt ernannte. Erstmals fanden 2004 nach dem Krieg wieder direkte Lokalwahlen statt (vgl. Kap. 8). Die Gemeinde besitzt somit heute eigene legislative, exekutive und judikative Kompetenzen (Bieber 2005: 421ff.).

Ursprünglich in einer äußerst prekären Lage, hat die Gemeinde durchaus von ihrem Sonderstatus innerhalb Bosnien und Hercegovinas profitiert: Brčko hatte 2004 den Rest des Landes in punkto Gehältern und ökonomischen Aussichten überholt. Die Auswahl der Personen für die zentralen Ämter und Versammlungssitze durch einen internationalen Su-pervisor auf Basis einer Art Bewerbung und entsprechenden Leistungen trug zu einer weni-ger ideologisch geprägten Umgebung bei. Da zwischen 1999 und 2004 keine unmittelbaren Wahlen stattfanden, war die Gemeinde auch losgelöst von den Machtkämpfen zwischen und innerhalb der Entitäten und Parteien. Die heutigen Entscheidungsprozesse liefern zu-dem stärkere Anreize für Kompromisse, die administrativen Strukturen sind weniger stark ethnisiert (Bieber 2005: 427ff.).

14.3 Kommunen Die 142 Gemeinden bilden die dritte (Republika Srpska, insgesamt 62) bzw. vierte (Födera-tion, insgesamt 79) territoriale Gliederungsebene (Brčko genießt als Gemeinde einen Son-derstatus). Die Stadt Sarajevo ist noch einmal in zwei administrative Einheiten, Sarajevo und Ost-Sarajevo, untergliedert, in denen jeweils vier bzw. sechs Gemeinden zusammenge-fasst sind. In der Föderation delegieren die Kantone freiwillig Aufgaben an die Kommunen. Sie sind dazu verpflichtet, wenn die Bevölkerungsmehrheit in einer Kommune nicht der des Kantons entspricht (Gromes 2007: 166). Somit entstanden in der Föderation weitere paral-lele Entscheidungsstrukturen, die das ohnehin schon komplexe politische System weiter fragmentierten. In der Republika Srpska besitzen die Kommunen hingegen relativ wenig Kompetenzen, etwa in den Bereichen Kultur, Bildung und Gesundheit (Gromes 2007: 168). Ein Reformprozess zur Stärkung der Gemeinden entsprechend den Grundlinien der europä-ischen Charta für kommunale Selbstverwaltung ist von der Europäischen Union und dem Europarat angestoßen worden. Beide Entitäten und die zehn Kantone verabschiedeten (Rahmen-)Gesetze zur kommunalen Selbstverwaltung, die den Prinzipien der Charta wei-testgehend entsprechen. Rechtliche Lücken bestehen vor allem bei der Harmonisierung der jeweiligen Gesetzestexte, den weiterhin fehlenden konstitutionellen Garantien für kommu-

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nale Selbstverwaltung und der finanziellen Abhängigkeit der Gemeinden von den finanziel-len Transfers der Entitäten bzw. Kantone (trotz einiger Veränderungen am Budget-System beider Entitäten 2006). In der Praxis hapert es jedoch auch weiterhin an der Implementie-rung. Die komplexe administrative Struktur des Staates auf verschiedenen Ebenen er-schwert zusätzlich eine effiziente Kommunalverwaltung (European Commission 2007: 12).

Die Kommunalpolitik hatte in den ersten Nachkriegsjahren den stärksten Einfluss auf die Rückkehr der Flüchtlinge und die sozio-ökonomische Entwicklung einer Region (Bie-ber 2005: 420). Einige positive Beispiele wie etwa Travnik (die Partnerstadt von Leipzig) und Tuzla stehen negativen Fällen wie Višegrad und Stolac gegenüber. Durch den Bürger-krieg veränderte sich daher die Siedlungsstruktur in vielen Gemeinden massiv und nachhal-tig. Viele neue, zum Teil extrem kleine Gemeinden mit nur 150 Einwohnern entstanden durch die Entitätsgrenzziehung, so etwa Pale-Prača in der Föderation oder Istočni Drvar in der RS, die heute eine Restrukturierung der Gemeinden notwendig erscheinen lassen. Nur noch wenige der vormals zahlreichen multi-ethnischen Orte sind heute ethnisch gemischt (Bieber 2005: 421). In einem mühsamen und mehr oder weniger erfolgreichen, meist von der internationalen Gemeinschaft angestoßenen Prozess mit Machtteilungsarrangements wurden zudem vormals getrennte Kommunalverwaltungen wieder zusammengeführt. Ne-ben der Gemeinde Žepče im Kanton Zenica-Doboj ist ein besonders prominentes Beispiel die Stadt Mostar in der Hercegovina, durch die im Krieg die Frontlinie zwischen Bosniaken und Kroaten verlief. Die Stadt nahm und nimmt für die bosnischen Kroaten eine strategisch besondere Bedeutung ein, war sie doch der Sitz der sezessionistischen Institutionen und stellt heute noch symbolisch „ihre“ Hauptstadt in Bosnien und Hercegovina dar. Die Stadt ist heute mehrheitlich von Bosniaken und Kroaten besiedelt. Nach dem Ende der Kämpfe wurde die Stadt von 1994 bis 1997 zunächst unter EU-Verwaltung gestellt (einer der Ver-walter war der Deutsche Hans Koschnik). Ein Interimsstatut dezentralisierte die Macht weiter und teilte die Stadt 1996 in sechs Stadtbezirke, was letztlich zur Separation der Ad-ministration sowie dem Aufbau paralleler Strukturen und Doppelung öffentlicher Einrich-tungen, etwa der Feuerwehr, führte. Der Wiedervereinigungsprozess erwies sich also hoch-gradig spannungsgeladen, polarisiert und politisiert. Letztlich war es der Hohe Repräsen-tant, der 2004 ein neues Statut verordnete und die ethnische Trennung der Stadt zumindest administrativ beenden sollte. Er hob die Selbständigkeit der sechs Bezirke auf, vereinte diese zu einer administrativen Gemeinde und reformierte auch die entsprechenden Gre-mien, etwa den Stadtrat (vgl. zu den Wahlen auch Kap. 8). Damit läutete er das Ende der parallelen Institutionen ein und vereinte zentrale öffentliche Einrichtungen, etwa sehr sym-bolträchtig das alte Gymnasium, das direkt an der Frontlinie lag (Bieber 2005: 420ff.). Im September 2006 ernannte der Hohe Repräsentant schließlich einen Sonderbeauftragten zur Lösung ausstehender Probleme, der weitere Reformen zu Rundfunk oder den getrennten kulturellen Einrichtungen verordnete (European Commission 2007: 12).

Das Erbe des Krieges spürt weiterhin auch die Gemeinde Srebrenica in der Republika Srpska, deren Bevölkerungsstruktur sich nahezu komplett gewandelt hat. Heute mehrheit-lich serbisch bewohnt (von ehemals 75% heute nur noch ca. 30% bosniakisch), hat sie je-doch weiterhin eine hohe Symbolbedeutung für die vertriebene bosniakische Bevölkerung. Bosniakische Politiker verlangten einen Sonderstatus für die Gemeinde, unter direkter Kon-trolle des Staates und somit außerhalb der Kompetenzen der RS. Dies führte zu massiven Spannungen vor Ort und im gesamten Land. Die Regierung der RS gestand schließlich der Gemeinde den Status einer sozio-ökonomischen Sonderzone zu und entwickelte einen spe-ziellen Entwicklungsplan. Im Mai 2007 ernannte der Hohe Repräsentant schließlich in Reaktion auf die Spannungen zusätzlich einen internationalen Sondergesandten für die

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Srebrenica-Region (European Commission 2007: 12), der unter anderem auch spezielle Registrierungsregeln für die Kommunalwahlen im Oktober 2008 aushandelte (vgl. Kap. 8).

Neben dieser landesweit einheitlichen untersten Gliederungsebene, zu denen auch di-rekte Wahlen stattfinden (vgl. Kap. 8), existieren in den Gebieten des ehemaligen kommu-nistischen Jugoslawien und so auch in Bosnien und Hercegovina in allen Gemeinden noch sogenannte mjesna zajednica (etwa „Ortsgemeinschaften“), die teilweise administrative und kommunale Aufgaben übernehmen. Ihr rechtlicher Status ist jedoch unklar. Es gibt auf-grund der Regulierungshoheit der Entitäten keine landesweit einheitliche Regelung, son-dern ein Patchwork unterschiedlichster Regelungen. So sind sie in manchen Gegenden offiziell anerkannt, in anderen operieren sie eher als quasi-NGOs (BTI 2007: 6).

15. Internationale Beziehungen und Europapolitik Die besondere Rolle externer Akteure für den Friedens- und Demokratisierungsprozess Bosnien und Hercegovinas wurde bereits in Kapitel 3 ausführlich diskutiert, daher soll an dieser Stelle nur kurz auf die Integrationsperspektiven des Landes in die euro-transatlan-tischen Organisationen eingegangen werden. Die erste wichtige Hürde nahm das Land 2002 mit dem Beitritt zum Europarat. Das Land steht weiter unter Beobachtung des Europarats, der regelmäßige Überprüfungsberichte verfasst. Alles in allem hat Bosnien und Hercegovi-na aber einen Großteil der Post-Beitrittskriterien erfüllt. Im Jahr 2007 konnte Bosnien und Hercegovina auch einige beachtenswerte außenpolitische Erfolge erreichen: Das Land wur-de als ein Vertreter der Gruppe der osteuropäischen Staaten in den VN-Menschenrechtsrat gewählt und Sarajevo zum Sitz des Sekretariats des aus dem Stabilitätspakt für Südosteuro-pa hervorgehenden Regionalen Kooperationsrats (Regional Co-operation Council) ernannt.

Wichtigstes außenpolitisches Ziel ist jedoch die Integration in die Europäische Union, welches nicht nur von nahezu allen politischen Parteien sondern auch einem Großteil der Bevölkerung und damit allen Volksgruppen geteilt wird. In regelmäßigen Meinungsumfra-gen sprechen sich meist 80-85% der Bürger für einen Beitritt in die EU aus (vgl. auch Gromes 2006a: 513). Die europäische Perspektive bietet damit das wichtigste, wenn nicht gar einzige, vereinende politische Projekt in diesem Land und wird daher auch gern ideali-siert, die damit einhergehenden Pflichten und Aufgaben werden beschönigt. Bosnien und Hercegovina ist Mitglied im Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess und erhielt – wie alle südosteuropäischen Länder – auf dem EU-Gipfel in Thessaloniki 2003 eine klare Bei-trittsperspektive. Die Verhandlungen zu einem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkom-men (SAA), dem ersten Schritt in Richtung EU, wurden offiziell im November 2005 eröff-net und im Dezember 2006 abgeschlossen (vgl. European Commission 2007). Im April 2008 erfüllte das Parlament mit der Verabschiedung einer Polizeireform das letzte ausblei-bende politische Kriterium, so dass am 16.6.2008 das SAA mit der EU unterzeichnet wer-den konnte (vgl. Richter 2008). Viele Politiker würdigten den Tag als das wichtigste Datum für die Zukunft des Landes seit Unterzeichnung des Abkommens von Dayton. Bis zur Rati-fikation durch alle EU-Mitgliedsländer ist bereits am 1.7.2008 ein Interimsabkommen in Kraft getreten, welches vor allem Handelserleichterungen vorsieht. Wichtige Schritte zur Integration in den europäischen Wirtschaftsraum hat das Land darüber hinaus im Jahr 2007 mit der Mitgliedschaft im Mitteleuropäischen Freihandelsabkommen (Central European Free Trade Agreement – CEFTA) und der Europäischen Energiegemeinschaft (Energy Community Treaty) unternommen. Die Umsetzung des SAA stellt für das Land und seine administrative Struktur eine immense Herausforderung dar, muss es doch in allen Berei-

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chen des acquis communautaire (z.B. Telekommunikation, Verkehr) sein Regelwerk ver-einheitlichen und an jenes der EU anpassen. Auf Basis der Europäischen Partnerschaft ist das Land zudem an enge Vorgaben der Europäischen Union für den politischen Reform-prozess im Land gebunden. Zur Unterstützung dieser Reformen erhält Bosnien und Herce-govina im Rahmen des Instruments for Pre-Accession (IPA) von 2007 insgesamt 62.1 Mio. € (European Commission 2007) zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, der Administration und des öffentlichen Dienstes. Abseits all der finanziellen und wirtschaftlichen Vergünsti-gungen versprechen sich die Bürger von dem Annäherungsprozess an die EU eine Aufhe-bung der Visapflicht. Dieses Schutzinstrument der Schengen-Staaten hatte in den letzten Jahren zur Isolation, Abschottung und Entfremdung der Länder des Westlichen Balkans beigetragen, die sich zunehmend an außereuropäischen Ländern orientierten.

Neben einem Beitritt zur Europäischen Union strebt das Land ebenfalls die Mitglied-schaft in der NATO (North Atlantic Treaty Organization) an. Im Dezember 2006 wurde das Land auf dem NATO-Gipfel in Riga in das NATO-Programm „Partnerschaft für den Frie-den“ aufgenommen. Der NATO-Gipfel in Bukarest beschloss Anfang April 2008 die Auf-nahme eines „Intensivierten Dialogs“ als weiteren Schritt.

Die Erfüllung der Kriterien beider Organisation stellte und stellt für Bosnien und Her-cegovina eine große Belastungsprobe dar. Zwar hat sich mittlerweile die Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Crimi-nal Tribunal for the Former Yugoslavia – ICTY) in Den Haag verbessert, doch verschob die NATO etwa 2004 mehrfach die Teilnahme des Landes am Programm „Partnerschaft für den Frieden“. Größtes Hindernis scheint jedoch die dysfunktionale Verfassungsstruktur des Landes zu sein. Der Europarat urteilte 2005 kritisch: „Mit einem solch schwachen Staat wird Bosnien und Hercegovina nicht fähig sein, Fortschritte auf dem Weg Richtung Euro-päische Integration zu machen“ (Council of Europe 2005: 8; Übersetzung d. Autoren). Auch die Europäische Kommission hat eine Verfassungsreform als Vorbedingung einer weiteren Annäherung angemahnt (European Commission 2007). Derzeit fehlt dem Land noch die notwendige administrative und legislative Kapazität und Expertise zu den Ver-handlungen mit der EU, sind diese doch durch die dezentrale Struktur zu stark verstreut. Eine effektive Befolgung der zentralen Richtlinien und Normen ist somit derzeit nicht ge-währleistet. Alles in allem hat der Prozess der Annäherung an die EU aber schon zu einer deutlichen Zentralisierung geführt, denn die von der EU geforderten Veränderungen liefen de facto auf einen Machtverlust der Entitäten hinaus (z.B. Zollverwaltung, einheitliche Mehrwertsteuer 2006). Angesichts der Opposition der Entitäten, allen voran der RS, gegen weitere solche Reformvorhaben und eine Novellierung der Verfassung sowie der Diskussi-onen um einen Erweiterungsstopp in Brüssel selbst, wird jedoch zunehmend fraglich, wie stark die EU zukünftig noch die politische Entwicklung im Land prägen kann.

16. Ausblick: Von Dayton nach Brüssel? 13 Jahre nach dem Ende des Krieges sind die Folgen noch lange nicht überwunden, das Erbe noch überall zu spüren Nie vergessen darf man aber die Ausgangssituation, in der sich das Land 1995 befand. Nach einem dreieinhalbjährigen Krieg, in welchem knapp 100.000 Menschen ihr Leben verloren oder weiterhin als vermisst gelten, entstand ein territorial, po-litisch und gesellschaftlich tief gespaltenes Land, mit dessen staatlicher Struktur und insti-tutionellem Aufbau sich keine der drei ethnischen Volksgruppen zufrieden gab. Mit diesen Gegenpolen, einem in der post-kommunistischen und post-jugoslawischen Welt einzigarti-

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gen politischen Gebilde, welches das gesellschaftliche und politische Leben dreiteilt, und einer völlig brach liegenden Wirtschaft galt es schließlich, einen Staat aufzubauen.

Eine der Meilensteine auf diesem Weg war die Verfassungsreform 2002, die die Frage der institutionellen Diskriminierung der Serben in der Föderation und der Kroaten und Bosniaken in der Republika Srpska löste, indem sie die ethnisch fundierte Machtteilung letztlich in aller Konsequenz auch auf die Entitäten und Kantone übertrug. Zum ersten Mal wurde eine Vertretung und Teilhabe der quantitativ kleineren Gruppen am Regierungs- und Entscheidungsprozess möglich. Weiterhin offen bleibt aber die Frage der Diskriminierung und Exklusion der ethnischen Minderheiten bzw. der „sonstigen“ Staatsbürger, die sich nicht mit den drei konstituierenden Volksgruppen identifizieren können. Dabei handelt es sich nicht um eine Minderheit, sondern quantitativ eine große Bevölkerungsgruppe, die sich nicht in das System der drei ethnischen Gruppen einordnen möchte. Ihre Partizipationsmög-lichkeiten und insbesondere die Besetzung von hohen Ämtern ist nicht oder nur bedingt möglich. Die Europarat hat mehrere Male explizit auf diese Problematik hingewiesen und Bosnien und Hercegovina zu einer Korrektur der Diskriminierungselemente aufgefordert.

Eine tendenziell positive Entwicklung haben auch die gesamtstaatlichen Institutionen genommen, funktionieren sie doch heute wesentlich besser als noch vor wenigen Jahren. Die Präsidentschaft hat heute einen festen Sitz in Sarajevo, arbeitet kontinuierlich und kann auf einen einigermaßen entwickelten Verwaltungsapparat zurückgreifen – das alles war 1996 nicht der Fall. Der Ministerrat hat sich von einem ehemals symbolischen Gremium mit drei Ministerien zu einem Arbeitsforum mit neun Ministerien gemausert, welcher im-mer mehr Elemente einer Regierung im Sinne einer parlamentarischen Demokratie an-nimmt. Wie die Präsidentschaft und der Ministerrat hat auch die Parlamentarische Ver-sammlung Kompetenzen hinzugewonnen und die Zahl ihrer Entscheidungen stark erhöht. Noch mangelt es jedoch allen drei zentralen staatlichen Institutionen an qualifiziertem Per-sonal und professionellen Beratungsgremien. In vielen Bereichen wurden große Reformen unternommen, die die staatliche Ebene stärkten und die Demokratisierung des Landes för-dern sollten. Die Streitmächte der Entitäten wurden unter einem gesamtstaatlichen Dach und einem Verteidigungsministerium zusammengeführt (2004, 2006); neue staatliche Insti-tutionen wie der Grenzschutz (2000) oder der Geheimdienst (2004) nahmen ihre Arbeit auf. Das gesamte Justizsystem wurde reformiert, ein neues Justizministerium (2002), ein ge-samtstaatlicher Gerichtshof (2003) und ein Hoher Gerichtsrat (2004) geschaffen. Dies sind nur einige wichtige Reformen – viele andere in den Bereichen Wirtschaft, Medien und Verwaltung bleiben an dieser Stelle unerwähnt, haben aber ebenfalls einen entscheidenden Beitrag zu vielen kleinen positiven Schritten im Land geleistet.

Der Höhepunkt nach Unterzeichnung des Vertrages von Dayton ist jedoch zweifelsoh-ne das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union. Acht lange Jahre hatte man auf diesen Tag gewartet. Um all den Anforderungen und Kriterien der EU gerecht zu werden, verabschiedete das Parlament bis Ende 2005 46 neue Gesetze und gründete 27 neue Institutionen. Die Annäherungspolitik hat damit entscheidend zum Staatsbildungsprozess des Landes beigetragen (der noch nicht abgeschlossen ist). Der Vor-sitzende des Ministerrates Bosnien und Hercegovinas, Nikola Špirić, nannte das Abkom-men eine „Tür in eine blühende Zukunft“. Politiker des Landes sollten „die Vergangenheit hinter sich lassen“. Der Vorsitzende der Präsidentschaft Bosnien und Hercegovinas Haris Silajdžić hatte eine ähnliche Botschaft: „Mit der Unterzeichnung zeigt Bosnien und Herce-govina, dass es alles das hinter sich gelassen hat, was in den 1990er Jahren geschehen ist“ (zit. nach Krause 2008: 3). Mit der Aufhebung der Visapflicht, die für 2009 vorgesehen ist, hätte sich auch für viele Bürger schließlich ein langer Traum erfüllt, bedenkt man die unbe-

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grenzte Freizügigkeit, die die heutigen bosnisch-hercegovinischen Staatsbürger im ehema-ligen Jugoslawien genießen konnten. Heute aber hört die Freizügigkeit z.B. schon an der kroatisch-slowenischen Grenze auf. Dass man die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Slowenien nicht ohne Visum besuchen kann, ist für die meisten Bürger unverständlich.

Das Land befreit sich langsam des Daytoner Erbes und hat in den Europäisierungspro-zessen (Annäherung an die EU und die NATO) den einzigen Ausweg gefunden. Nach die-sem Etappenerfolg steht vor Bosnien und Hercegovina noch ein steiniger Weg zur Vollmit-gliedschaft in der EU, der nur über eine weitere Stärkung des „unvollendeten politischen Systems“ (Gavrić/Banović 2007: 54) hin zu einem funktionierenden Staat zu meistern ist – von Dayton nach Brüssel, wie man in Bosnien und Hercegovina sagen würde. Wichtige Institutionen müssen aufgebaut und die bisherigen Blockade- und Vetomöglichkeiten redu-ziert werden. Reformen im Bildungs- und Polizeibereich, zu einem einheitlichen Wirt-schafts- und Steuersystem sowie zur Regulierung des Sozialsicherungssysteme sind nur einige der Aufgaben, die noch auf die Politiker warten. Auf ihre Verantwortungsbereit-schaft für das Land Bosnien und Hercegovina kommt es somit entscheidend an. Sonst be-steht schnell die Gefahr, dass das Land zu einem künstlichen Gebilde der internationalen Politik und zur erneuten Krisenregion degeneriert und nur dank der ständigen Präsenz des großen Bruders, der internationalen Gemeinschaft, weiter existiert. 2009 eröffnet sich ein Fenster der Gelegenheiten, einen ersten Schritt bei der Verfassungsreform einzuleiten und somit zu verhindern, dass das Land auf einem Abstellgleis und nicht im Schnellzug Rich-tung Europa landet.

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