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Akademiegespräche im Landtag Akademie für Politische Bildung Tutzing Israel. Frieden im Land, Frieden in der Region Avi Primor Veranstaltung vom 11. Juni 2008

Israel. Frieden im Land, Frieden in der Region · Die Kanzlerin spricht von der Visi-on von zwei Staaten in sicheren. Israel. Frieden im Land, Frieden in der Region. Avi Primor: Akademie_US_K1

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Akademiegespräche im Landtag

Akademie für Politische Bildung

Tutzing

Israel. Frieden im Land,Frieden in der Region

Avi Primor

Veranstaltung vom 11. Juni 2008

Akademie_US_K1 10.11.2008 16:32 Uhr Seite 1

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Israel. Frieden im Land,Frieden in der Region

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ImpressumTutzing/München 2008Herausgeber:Bayerischer LandtagAbteilung Parlamentarische DiensteMaximilianeum, 81627 Münchenwww.bayern.landtag.de

Akademie für Politische BildungBuchensee 1, 82327 Tutzingwww.apb-tutzing.de

Gedruckt mit Unterstützung des Förderkreises der Akademie für Politische Bildung e.V.

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BegrüßungAlois GlückPräsident des Bayerischen Landtags

EinführungProf. Dr. Dr. h.c. Heinrich OberreuterAkademie für Politische Bildung Tutzing/Universität Passau

VortragIsrael. Frieden im Land, Frieden in der RegionBotschafter a.D. Avi Primor

Diskussion

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Alois Glück, MdLPräsident des BayerischenLandtags

Begrüßung

Meine Damen und Herren, ichheiße Sie herzlich willkommen zum33. Akademiegespräch im Bayeri-schen Landtag. Diese Akademie-gespräche sind eine Kooperationzwischen der Politischen AkademieTutzing und dem BayerischenLandtag. Thematisch sind sie sehrbreit gestreut und der Sinn ist diegeistige Auseinandersetzung, abervor allen Dingen sollen diese Ver-anstaltungen auch ausstrahlen. Ichdanke der Akademie für PolitischeBildung in Tutzing und Herrn Pro-fessor Heinrich Oberreuter, demLeiter, sehr herzlich für diese guteKooperation und für die Zusam-menarbeit. Ich grüße herzlich die Kolleginnenund Kollegen aus dem Parlament.Eine besondere Freude ist es, sounmittelbar vor mir Frau Dr. Hilde-gard Hamm-Brücher begrüßen zudürfen. Mein besonderer Gruß giltder Hauptperson des heutigenAbends, Herrn Botschafter Avi Pri-mor. Lieber Herr Primor, herzlichwillkommen hier in München,herzlich willkommen im Bayeri-schen Landtag und bei dieser Ver-anstaltung. Wir freuen uns sehr,dass Sie zugesagt haben.

60 Jahre Israel, das ist Anlass, sichmit der Geschichte dieses Landes,seiner Existenz und seinem Wegauseinanderzusetzen. Das ist einbesonderes Thema für Deutschlandaufgrund der historischen Gege-benheiten. Die Bundeskanzlerin hat

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bei ihrem Besuch in Israel auch diebesondere Verpflichtung deutlichzum Ausdruck gebracht, die wir fürdie Existenz und das Existenzrechtdieses Landes empfinden. Wir hat-ten hier letzte Woche im Bayeri-schen Landtag gemeinsam mit derLandeszentrale für politische Bil-dung ein dreitägiges Symposium,in dem sehr intensive Beratungenstattfanden über die Entwicklungdes Landes, über die aktuellenBedingungen. Israel ist ein Land,das in seiner 60jährigen Geschich-te immer wieder aufs Neue umseine Existenz kämpfen musste,und die Situation ist unverändertso. Die Situation ist außerordent-lich komplex, und das ist für uns –glaube ich –, wenn man sich nichtimmer wieder und sehr intensivdamit befasst, auch vor Ort, oftschwer nachvollziehbar, wie dieSituation ist und wie Reaktionenvielleicht einzustufen sind. Israelist in der ganzen Region die einzi-ge Demokratie und ein funktionie-render Rechtstaat, was sich ja auchdarin zeigt, dass prominentesteRepräsentanten des Staates sichder Justiz stellen müssen. Ichdenke, das ist ein Zeichen der Stär-ke, und selbstverständlich ist esauch ganz legitim, sich mit derPolitik, der Regierung und den Par-teien eines solchen Landes gegebe-nenfalls auch kritisch auseinander-zusetzen. Ich möchte bloß ganz eindringlichdafür werben, dass wir dies nicht

wohlfeil tun aus unserer gesicher-ten Existenz heraus, gewisser-maßen auf dem moralischenHochsitz, und von daher glauben,urteilen zu können. Ich möchtezwei persönliche Erlebnisse, diemich immer begleiten, wenn es umIsrael geht, kurz schildern. Ich war in den Tagen, als Rabinermordet wurde, in Israel. Es wareine Zeit der Hoffnung, der Zuver-sicht. Wir waren vorher auf denGolan-Höhen. Die uns geführthaben, haben für die Eroberungder Golan-Höhen gekämpft, und eswar davon die Rede, dass mandiese in einem Friedensabkommenfreigibt. Ich habe gespürt, wieschwer das ist. Ich habe mirgedacht, Gott sei Dank bin ich hiernicht verantwortlicher Politiker, derso etwas tragen und vermittelnmuss. Aber es war eine Zeit derHoffnung. Und ich war in Herzliya,ich habe die Einladung gegebenzum Abendessen. Ich wusste garnicht, dass diese Kundgebungstattfindet. Einer der Gesprächs-teilnehmer, der die damals gehei-men Friedensgespräche in Norwe-gen auch mitgeführt hatte, gingwährend des Gesprächs hinaus, hattelefoniert, kam zurück und sagte,die Kundgebung sei gerade zuEnde gegangen. Und wenige Minu-ten später hat uns die Nachrichterreicht, Anschlag auf Rabin. Ichhabe die Erschütterung in demLand erlebt, innerhalb einer Minutewar nichts mehr normal. Am näch-

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sten Tag waren die vereinbartenGesprächspartner vonseiten derPalästinenser nicht mehr erreich-bar. Jahre später, wenn ich mich rechterinnere war es etwa 2001, war ichmit Ministerpräsident EdmundStoiber in Israel und in der Region,u.a. auch auf einer geisterhaftenFahrt nach Ramallah. Aber ammeisten in Erinnerung geblieben istmir das erste Gespräch mit einerMinisterin, deren Namen mir leiderentfallen ist, von der Arbeitspartei.Sie war früher Umweltministeringewesen und war in der Zeit zu-ständig für Handel und Tourismus.Sie sagte in dem Gespräch: Ichhabe 10 Jahre für den Friedenspro-zess gekämpft. Es war oft schwer,auch im eigenen Land. Und jetztmuss ich feststellen, wir habenkeine Partner für diesen Frieden-sprozess. Und sie hat hinzugefügt:Solange unsere Kinder auf demSchulweg beschossen werden, gibtes keine andere Möglichkeit als die,die die Regierung Sharon prakti-ziert. Ich habe diese Verbitterung bei derFrau gespürt, diese Lebensenttäu-schung von Menschen. Wir, HerrBotschafter, haben uns beimAbendgespräch getroffen, und ichhabe auch bei derselben Veranstal-tung Eltern kennen gelernt, Israelisund Palästinenser, deren Kinder indiesem Konflikt ums Leben gekom-men waren, die gemeinsam Wegegesucht haben. So gibt es sicher

unzählige Beispiele. Ich will damit deutlich machen:Das ist dort ein Leben und Handelnunter Bedingungen, wie wir sie unsnicht vorstellen können. Seitdembin ich auch persönlich sehr vor-sichtig geworden in der Beurtei-lung von Vorgängen und von Ver-halten.Wolffsohn hat einmal bei einerVeranstaltung bei uns in der Frakti-on gesagt: Euer deutsches Credoist „Nie wieder Krieg!“; unser Credoist „Nie mehr Holocaust!“ – immergewappnet bleiben für eine solcheSituation. Das heißt, wir habenunter Umständen sehr unter-schiedliche Zugänge. Aber dieses Jubiläum, diese 60Jahre, ist natürlich auch für unsein besonderer Anlass, Gelegenhei-ten zu suchen, uns mit der Situati-on so gut wie möglich vertraut zumachen und zuzuhören. Ich könntemir auch persönlich keine geeigne-tere Persönlichkeit vorstellen alsAvi Primor. Ich sage das vor demHintergrund von Gesprächen, dieich mit Ihnen führen durfte in derZeit, wo Sie Botschafter inDeutschland waren und wo wiruns gelegentlich hier in Münchenzum Frühstück getroffen haben.Ich bin bleibend beeindruckt vondem Buch, das Sie dann geschrie-ben haben, wo Sie auch den WegIhrer Beziehung zu Deutschlandnachzeichneten. Sie waren – wennich es recht in Erinnerung habe –vor der Berufung als Botschafter

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nie in Deutschland gewesen. Siehaben dann für mich in atembe-raubend kurzer Zeit Deutschgelernt im Goethe-Institut inFrankfurt. Und Sie sind einBrückenbauer geworden. EinBrückenbauer zwischen unserenLändern, ein Brückerbauer sind Sienach wie vor zwischen Israel undEuropa. Und wer immer seineBücher liest oder die Kolumnen, dieHerr Primor immer wieder schreibt– morgen ist wieder eine in der„Süddeutschen“ mit einer Einschät-zung der Wirkung hoher Ölpreise,bei der manche wahrscheinlichzunächst schlucken werden, nachdem, was Sie mir gesagt haben –,aber wer die Berichte liest, kenntSie als einen ein phantastischenAnalytiker und einen unabhängi-gen Denker. Der Botschafter Primorhat eine für Diplomaten unge-wöhnliche Freiheit in den Positio-nen beansprucht und praktiziert,vielleicht nicht immer zur Freudeseiner Regierung. Wie auch immer,aber umso wertvoller sind uns IhreAnalysen. Nochmals herzlichenDank.

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Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich OberreuterAkademie für Politische BildungTutzing / Universität Passau

Einführung

Lieber Herr Präsident, sehr geehrterHerr Primor! Die Brückenbauerhaben wir in der Tat nötig. Icherinnere mich an wissenschaftlicheVeranstaltungen mit israelischenKollegen, die aus München stamm-ten und denen es nicht leicht ge-fallen ist, nach Deutschland zukommen angesichts der Alpträume,die sie überfielen, auch in Deutsch-land zu übernachten. Das sind dieHintergründe, auf denen wir überdeutsch-israelische Beziehungensprechen. Der Präsident hat ja ineiner wundervollen Weise auchseine persönlichen Eindrücke miteingeführt. Ich kann nur sagen:Wer die Geografie dieses Landesnicht kennt, der sollte seinen Intel-lekt an der Friedens- und an derSicherheitsfrage lieber nicht aus-probieren; denn manches, was dortsicherheitsrelevant ist, entsprichtin seiner Entfernung etwa derStrecke vom Maximilianeum nachMünchen-Sendling. Ich habe selbstin einem Kibbuz erlebt, wie Elterndarüber klagten, dass man denKindern nicht nur den Weg zumKindergarten freihalten musste,sondern zugleich auch den Weg inden Schutzkeller, weil von denGolan-Höhen herab in den Kibbuzhineingezielt worden ist. Ich emp-fehle dringend, über viele Dingenicht ohne eine gewisse persönli-che Erfahrung und ohne einegewisse Landeskenntnis zu spre-chen.

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Meine Damen und Herren, was istdas für ein Land, das nicht nur inKrisen gezeugt, sondern auch inKrisen weitergelebt hat? Ein Landmit einem Friedensproblem, aberauch ein Land mit Herausforderun-gen in seinem Inneren, mit einerPatchwork-Gesellschaft, mit vielengegensätzlichen Erfahrungen undHorizonten. Wenn wir jetzt schonpersönliche Erfahrungen preisge-ben, dann erinnere ich mit Schau-dern an ein Graffito in Jerusalem,auf dem der Gegensatz zwischenSephardim und Ashkenasi zumAusdruck gekommen ist. Da stand,man kann es kaum glauben, „Ash-kenasi = SS“. Das sind die innerenSpannungen eines Landes, das mitsich auch selbst in Frieden kom-men muss und das in dem gewalti-gen Strom der Zuwanderung ausunterschiedlichen Kulturen einegroße Aufgabe und viel Arbeithatte.Doch nach 60 Jahren hat sich trotzdieser vielen Probleme, trotz Krieg,trotz Terror, das Land positiv ent-wickelt. 600.000 Juden lebten zuBeginn der Unabhängigkeit in die-sem Land. Jetzt sind es sieben Mil-lionen. Damals gab es eigentlichnoch nicht einmal Landwirtschaft,geschweige denn Industrie. Jetztist es ein Hightech-Land, auf dasmit großem Respekt geschaut wird.Die inneren und äußeren Anspan-nungen haben diese positive Ent-wicklung nicht negativ zu beein-drucken vermocht. Angela Merkel

charakterisierte vor der Knesset am18.03.2008 Israel als ein Land voll-er Vitalität und Zuversicht mittechnologischen Spitzenleistungen,mit kulturellem Reichtum und Tra-dition.Die Probleme hat die Kanzlerinnicht vergessen hinzuzufügen. Wirdürfen dankbar sein, dass dieseProbleme nicht mehr primär in denBeziehungen zwischen unserenbeiden Ländern und Völkern liegen.So sehr die Erinnerung an dieShoah natürlich wach ist undwach bleiben muss, so sehr mussauch das Bewusstsein von derbesonderen Verantwortung derDeutschen wach bleiben, wenn siedenn einen Beitrag dazu leistenkönnen, Israels Sicherheit mit zuunterstützen. David Ben Gurionhat einmal das geflügelte Wortgesprochen: „Wer nicht an Wunderglaubt, ist kein Realist.“ Auf dasVerhältnis zwischen unseren bei-den Staaten mag das zutreffen, obes auch auf den Friedensprozessim Nahen Osten zutrifft, diese Fra-ge möchte ich eigentlich liebernicht impulsiv stellen. Denn Friedewird nur ein Werk schmerzlicherKompromisse, guten Willens undangestrengter Verhandlungen seinkönnen. Frühere Annäherungenhat es schon gegeben, von denen –wenn ich es recht im Gedächtnishabe – Avi Primor meinte, sie wä-ren partiell eigentlich ganz knappvor dem Zielweg gescheitert, undmanchmal wisse man eigentlich

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nicht so recht, warum denn dochnoch.Die Kanzlerin spricht von der Visi-on von zwei Staaten in sicherenGrenzen und in Frieden für dasjüdische Volk in Israel und für daspalästinensische in Palästina. Dochgenau dort, meine Damen undHerren, beginnt das Problem. Wiesieht die territoriale Gestaltung ausund wie sehr sind territoriale Fra-gen mittlerweile von Sicherheits-fragen überlagert? IsraelischeSicherheitspolitiker verstehen dieKontrolle über die Westbank zu-nehmend als sicherheitspolitischeNotwendigkeit. Würde sich dieSicherheitslage nach einem Abzugvon dort ähnlich verschlechternwie ehedem im Gaza-Streifen? Unddies angesichts der Nähe derWestbank zu israelischen Ballungs-zentren und zum Beispiel zuminternationalen Airport in Tel Aviv!Gleichzeitig fordern die Palästinen-ser – und wir haben auch dafürVerständnis – eine politische Lö-sung, die ihnen einen Ausweg zeigtaus einem von Israel kontrolliertenLeben in isolierten, durch Mauern,Zäune und Militärposten begrenz-ten Enklaven. Wie immer geht esum Geschichtsinterpretationenund es geht um kollektives Selbst-verständnis. Es geht also um hoheHürden gegenseitiger Verständi-gung. Der Schlüsselbegriff aberheißt nach wie vor Sicherheit. Werhilft? Vor allem die USA und auchdie Europäische Union engagieren

sich. Mit der Konferenz von Anna-polis haben die USA wieder ihrepolitische Führungsrolle betont. Sievermitteln aber, wenn ich das rechtsehe, gegenwärtig nicht wirklich,sondern überlassen die Sache denbeiden Konfliktparteien. DieEuropäer haben sich aufgrund des-sen weitgehend wieder auf ökono-mische Unterstützung zurückgezo-gen. Dafür, dass bis Jahresende,wie ein abtretender Präsidentmeint, eine Lösung erreicht werdenkönnte, scheinen mir Olmert wieAbbas zu schwach zu sein, um ent-schieden zu Ergebnissen zu kom-men und diese Ergebnisse auchdurchsetzen zu können. Sodannbleiben wesentliche Akteure, wieetwa die Hamas, in den Friedens-prozess nicht einbezogen. Exper-ten, auch Avi Primor, sagen: DieEinbeziehung Syriens sei zum Bei-spiel von zentraler Bedeutung, weildadurch potenzielle Störfaktoren inder Region domestiziert undUnterstützung mobilisiert werdenkönnte. – Aber, meine Damen undHerren, was Avi Primor zu sagenhat, das soll er Ihnen am bestenselber erzählen. Ich lade Sie herz-lich ein und danke, dass Sie dasind.

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Botschafter a.D. Avi Primor

Israel. Frieden im Land, Friedenin der Region

Vortrag

Sehr geehrter Herr Landtagspräsi-dent, Herr Alois Glück, ich dankeIhnen für die durchaus freundli-chen Worte. Ein bisschen übertrie-ben, aber es hat mir gefallen –immer besser als Schimpfe. Sehrgeehrter Herr Professor Oberreuter,ich danke auch Ihnen. Ich dachtemir, wenn Sie so weiter die Situati-on bei uns analysieren, was bleibtfür mich übrig? Auf jeden Fallwerde ich Ihnen nicht widerspre-chen.Die heutige Zeit stimmt. Es ist eineFeierzeit für uns: 60 Jahre Unab-hängigkeit des Staates Israel. Aller-dings spreche ich persönlich nichtvon der Gründung des Staates Is-rael vor 60 Jahren. Man hat denStaat nicht gegründet, man hat dieUnabhängigkeit ausgerufen. Ge-gründet hat man ihn 50 Jahre zu-vor schon mit der ZionistischenBewegung. Aber von der Gründungdes Staates Israel vor 60 Jahren zusprechen, das wäre so, als würdeman sagen: 1949 war die Grün-dung Deutschlands, das war esnicht, man hat die Bundesrepublikausgerufen. Wenn wir von 60 Jah-ren sprechen und tatsächlich auchvon der Gründung des Staates Is-rael mit der Gründung der Zionisti-schen Bewegung 1897, dann mussman sich die Frage stellen: Washaben wir erreicht, was haben wirangestrebt und wie verhalten sichdiese beiden Dinge?Der Gründer des Staates Israel warja Theodor Herzl, und er hat ganz

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genau niedergeschrieben, was ervorhatte. Er hat nicht nur in sei-nem ersten Buch, dem „Juden-staat“, genau gesagt, was er an-strebte, sondern darüber hinaus imJahr 1902 ein weiteres Buch veröf-fentlicht unter dem Titel „AltNeu-Land“. Das alte Land, das ein neuesLand wird. In dem hat er ausführ-lich und detailliert beschrieben,was für ein Land er haben will.Was soll dieses Land werden, wiesoll es aussehen, wie soll es leben?In allen Details. Es ist interessant,das auch mit der heutigen Situati-on zu vergleichen. Zunächst einmalsagte er, dass die Gründung der Zi-onistischen Bewegung einen Sinn,einen Zweck hat – nämlich, denJuden ein Leben in Würde leben zuermöglichen, weil die Emanzipationder Juden im Laufe des 19. Jahr-hunderts zwar juristisch ein Erfolgwar, aber nicht gesellschaftlich.Gesellschaftlich wurden die Judennicht als Ebenbürtige, also Gleich-berechtigte akzeptiert. Deshalb leb-ten sie nicht in Würde und würdenauch nie in Würde leben, solangesie nicht ein Volk werden wie alleanderen. Anders gesagt: Solangesie keinen Staat haben, die eigeneUnabhängigkeit, internationaleSouveränität. In dieser Hinsicht istdas Ziel erreicht. Wir sind einStaat, wir haben unsere internatio-nale Souveränität.Ich glaube nicht, dass wir nur inIsrael in Würde leben; ich glaube,dass auch Juden in aller Welt sich

etwas mehr Würde leisten können,seitdem sie in ihrem Hintergrundauch einen Staat haben. Es gab inAmerika immer einen interessantenUnterschied. Amerika ist ja ein Zu-wanderungsland, und da sagteman: Wieso können die Juden vonAntisemitismus sprechen? Alle sindhier Ausländer, alle kommen ausverschiedenen Kulturen, alle müs-sen allmählich Amerikaner werden.Und die Juden sind genauso wiedie anderen. Es war aber nicht so,weil jede Zuwanderung im Hinter-grund noch irgendwo eine Heimathatte, eine Kultur, einen Staat. Obes die Italiener waren, die Iren, diePolen, die Deutschen Ende des 19.Jahrhunderts oder wer auch immer.Nicht aber die Juden, die hattenhinter sich keinen Staat. Das istheute nicht mehr so. Die zweite Sache, die Herzl sagte:Damit die Juden in Würde leben,müssen sie tatsächlich auch in ih-rem Land, in ihrer Heimat leben,das heißt nicht nur ein paar Juden,sondern tatsächlich eine Masse vonJuden, nicht unbedingt alle. Aber esmuss schon erheblich sein, und wieSie wissen – das hat der Landtags-präsident schon angedeutet, auchHerr Oberreuter – heute sind wir 7Millionen Juden, das heißt dieMehrheit der Juden in aller Welt.Eine knappe Mehrheit, aber immer-hin die Mehrheit, wenn wir alleJuden in allen Ländern mitzählen.Damit ist auch ein Ziel Herzlserreicht.

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Und dann sprach Herzl davon, dasses eine Demokratie sein müsse.Was bedeutet das, eine Demokra-tie? Wenn wir das heute sagen, istes ja selbstverständlich. Damalswar es aber nicht so. Wo gab eseigentlich damals, Ende des 19.Jahrhunderts, eine echte parla-mentarische Demokratie? Herzl hatsie in Frankreich kennengelernt,aber wo noch in Europa? Die Judenlebten ja meistens in Ländern, dienoch keine parlamentarische De-mokratie waren. Das waren dasdeutsche Kaiserreich, das öster-reichische Kaiserreich, das russi-sche Kaiserreich oder auch in denislamischen Ländern. Wie machtman aus Leuten, die keinen demo-kratischen Hintergrund, keine de-mokratische Erziehung haben, einedemokratische Gesellschaft? Er hatschlicht und einfach seine Bewe-gung auf Demokratie gegründet,was für ihn nicht so bequem war,weil man ihm widersprechen konn-te, weil er Koalitionen bilden mus-ste. Er hätte ja allein die Bewegungführen können, er war beliebt ge-nug dazu. Nein, er wollte die De-mokratie einführen, erzwingen,und seitdem müssen sich alle Wel-len von Zuwanderern, die nach Is-rael kommen, diesem Kern anpas-sen. Daher entstand die Demokra-tie, die trotz Kriegszustand über-lebt hat und sich sogar entwickelthat, was eine Ausnahme ist.Kriegszustand ist für Demokratieüberhaupt nicht günstig.

Und dann sagte Herzl, wir müsstenein Land haben, das modern ist. Einmodernes Land, das auf Industrie,auf Entwicklung, auf Hochtechno-logie beruht. Und wie Sie wissen,haben wir auch das erreicht – eswurde schon angesprochen und istheute weltbekannt. Wir sind einfortschrittliches, hochtechnologi-sches Land, nochmals, trotz Kriegs-zustand und trotz Schwierigkeiten.Wo Herzl aber sein Ziel nicht er-reicht hat, das war in einem Punkt,den man ihm sehr oft vorwirft,und zwar zu Unrecht. Leute, diesich in seiner Schrift nicht ausken-nen, behaupten, er hätte es igno-riert, dass in diesem historischenLand der Juden sich auch eine an-dere Bevölkerung befindet, mit derman zurechtkommen muss. Dasstimmt nicht. Lange und ausführ-lich hat Herzl über die Araber Palä-stinas gesprochen. Die nanntensich damals noch nicht Palästinen-ser. Und er hat von einer Zusam-menarbeit der beiden Bevölkerun-gen gesprochen zum Wohle beider.Gemeinsam sollten wir den NahenOsten entwickeln, schrieb er undhat detailliert erfundene Gesprächeniedergeschrieben – es war ein Ro-man, was er da geschrieben hat –,Gespräche zwischen jüdischen Zu-wanderern aus Europa und Ara-bern Palästinas, wie sie gemeinsameine Zukunft in Würde aufbauensollen für die beiden Völker. Aber indiesem Punkt waren wir, sind wirnicht erfolgreich.

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Ich will die Wurzel der Geschichte,die Hintergründe, hier nicht nocheinmal erzählen, denn ich gehe da-von aus, dass Sie sich alle ein bis-schen auskennen. Aber ich willdirekt zur Frage, die mein Themaist, kommen: Frieden im NahenOsten, Frieden in der Region – istdas möglich, wann, wie? Wennman eine schwierige Frage stelltund keine Antwort hat, dann gibtman eine sehr lange Antwort, undinfolgedessen muss ich Sie im Vor-aus um Verständnis bitten, dass ichda nicht sehr kurz sein kann.Gibt es überhaupt eine Friedens-möglichkeit? Ist Frieden überhauptmachbar? Es gab ja so viele Ent-täuschungen. Ja, es gibt eine Frie-densmöglichkeit, es gibt sogar ei-nen Friedensentwurf, es gibt einenFriedensplan, der liegt sogar aufder Hand. Er liegt vollkommen aufder Hand und wird auch nicht be-stritten. Wenn Sie alle Friedensent-würfe, Projekte und Vorstellungen,die man selbst seit dem Jahr 2000veröffentlicht hat, miteinandervergleichen, dann werden Sie se-hen, dass ihre Prinzipien alle gleichsind. Es gab schon im Jahr 2000den Friedensplan des amerikani-schen Präsidenten Clinton. Es gabim Januar 2002 den FriedensplanSaudi-Arabiens. Im selben Jahr, imAugust 2002, die sogenannteBush-Vision. Dann gab es im Plandes Nahostquartetts den berühm-ten Fahrplan, die road-map. Danngab es einen sehr kühnen Plan der

palästinensischen Insassen in denisraelischen Gefängnissen. Unddann gab es den Plan des heutigenMinisterpräsidenten Olmert, den erim November 2006 am Grab BenGurions ausgesprochen hat. Und esgab verschiedene Pläne der Zivilge-sellschaft. Der bekannteste ist dieGenfer Vereinbarung und es gibtnoch viele andere. Wenn Sie die alle miteinander ver-gleichen, werden Sie sehen, dasssie alle gleich sind. Alle haben die-selben Prinzipien, dieselben Kom-ponenten, dieselben Ideen. Die For-mulierung ist manchmal besser,manchmal anders, die Reihenfolgeändert sich. Aber im Grunde ge-nommen ist es immer wieder der-selbe Plan, der sich immer wieder-holt, und dem eigentlich allezustimmen. Wir wissen, was dieserPlan beinhaltet: Eine Trennungzwischen Israelis und Palästinen-sern, das heißt das Ende der Besat-zung der palästinensischen Gebie-te, das heißt ein Palästinenserstaat,ein unabhängiger Palästinenser-staat, der aber in Frieden mit Israelleben, mit Israel kooperieren muss,den Staat Israel anerkennen undehrlich akzeptieren muss. Eine Tei-lung der Stadt Jerusalem, auch dasgibt es. Eine Lösung des Flücht-lingsproblems der Palästinenserund darüber hinaus noch einenFriedensplan zwischen Israel undSyrien und Libanon. Ich will Ihnenhier nicht alle Details aufzählen,die sind bekannt und alle diese

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Details sind immer wieder diesel-ben. Wir müssen die Gebiete räu-men, nicht unbedingt auf dieGrenze vor dem Sechstagekrieg,nicht unbedingt auf die sogenann-te Grüne Linie von 1967. Aber eineTeilung muss auf Demografie beru-hen: Wo Palästinenser leben, sollein Palästinenserstaat entstehen;wo Israelis leben, soll der israeli-sche Staat bestehen bleiben, undes soll ein bisschen Landaustauschgeben, damit die neuen Grenzenauch demografische Grenzen sind.Dem haben alle zugestimmt: Palä-stinenser, Israelis, Amerikaner,Europäer, Araber, die ArabischeLiga. Aber wenn das so einfach ist,warum haben wir den Friedennicht? Wenn es so einen klarenund akzeptablen Friedensplan gibt,warum setzt man ihn nicht in dieTat um? Da kommt die Hauptfrage:Wenn Sie heute die beiden Haupt-kontrahenten – also die israelischeRegierung und die palästinensischeRegierung – in Betracht ziehen,dann werden Sie sehen, dass daswohlwollende Leute sind. Nicht alleisraelischen Minister, nicht alleisraelischen Spitzenpolitiker, auchnicht alle palästinensischen Spit-zenpolitiker, aber die entscheiden-den, die Mehrheit, die führendenKräfte, stimmen diesen Plänen zu.Das sind Realisten. Ehud Olmertkommt aus dem Likud, seine Stell-vertreterin Tzipi Livni kommt ausdem Likud, die sind mit der Idee

des vollkommenen, vollendetenIsrael aufgewachsen, das heißt dieAnnektierung aller Gebiete. Diestreben aber heute solche Frie-denspläne an. Ich spreche schonnicht von einer Arbeitspartei undanderen. Die Palästinenser: wir ver-trauen dem palästinensischen Prä-sidenten Machmud Abbas, wir wis-sen, dass er wohlwollend ist, dasser ein Realist ist, gegen Terror, unddass er eine Lösung anstrebt, einenKompromiss. Also warum kannman das nicht in die Tat umsetzen?Ist es die Bevölkerung, die sichdem widersetzt? Auch das nicht.Wenn Sie die Meinungsumfragenbetrachten, dann werden Siesehen, dass es ständig eine stabile,solide Zweidrittelmehrheit in derisraelischen Bevölkerung gibt, undunter den Palästinensern eine nochgrößere Mehrheit, die allen Kom-ponenten dieser verschiedenenFriedensprojekte zustimmt. DieMeinungsumfragen stellen die Fra-gen detailliert, nicht so pauschal:„Akzeptieren sie einen Friedens-plan?“. Nein, sondern Detail für De-tail, und da sieht man, dass die Be-völkerung dahintersteht. Dann aberkommt eine weitere Frage in denMeinungsumfragen, die lautet:„Sollte es heute vorgezogeneWahlen geben, wen würden sie andie Macht bringen?“ Und da lautetdie Antwort: Die Opposition, denLikud. Wir werden die Partei an dieMacht bringen, die sich diesenFriedensprojekten widersetzt. Also

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ist das doch widersprüchlich?Nicht unbedingt. Was die Israeliswirklich im Sinne haben ist: Wirsind zu allen Zugeständnissenbereit. Alle Zugeständnisse, die dieverschiedenen Friedensprojektevon Israel verlangen, akzeptierendie meisten Israelis. Aber sie glau-ben nicht, dass all dies auch reali-sierbar ist, dass so ein Friedenspro-projekt auch umsetzbar ist.Warum? Weil sie sagen, es fehltuns ein Element, nämlich das Top-Element. Was für die Israelis wirk-lich wichtig, unentbehrlich ist, weiles ihnen am Herzen liegt, ist nichtunbedingt der Frieden. Denn dieIsraelis sagen, was bedeutet genauFrieden, was ist das? Ist das greif-bar? Versteht man, was das ist?Wenn wir letzten Endes die Ge-schichte der Menschheit betrach-ten, dann werden sie sehen, dassVölker immer gegeneinander ge-kämpft und danach Frieden mit-einander geschlossen haben, umwieder gegeneinander zu kämpfen.Nein, was wir wirklich wollen,womit wir uns seit der Unabhän-gigkeit des Staates Israel ununter-brochen auseinandersetzen müs-sen, das ist die Sicherheit.Herr Professor Oberreuter, Siehaben das schon angesprochen.Die Sicherheit, das ist der Schlüs-sel. Das ist die Hauptfrage. Diemeisten Israelis brauchen dieGebiete nicht, die meisten Israelisbrauchen die Siedlungen nicht. Wirmeinen nur, dass die Gebiete und

die Siedlungen ein Mittel sind, umunsere Sicherheit zu gewährleisten,zumindest teilweise. Wir sagen:Wir haben den Gaza-Streifengeräumt, wir haben die Siedlungenin dem Gaza-Streifen geräumt, wirhaben den Südlibanon geräumt,und was haben wir dafür bekom-men? Sicherheit? – Ganz imGegenteil! Bombardierungen, diewir nie zuvor hatten, Raketen tag-täglich, Granaten tagtäglich aufunseren Dörfern und Städten. Zwarhaben wir den Südlibanon wieauch den Gaza-Streifen auf eineWeise geräumt, wie es ich würdesagen nicht unbedingt empfeh-lenswert war, nämlich einseitig,ohne Vereinbarung, ohne Koordi-nierung, nicht im Einklang mit denNachbarn. Aber das sieht derdurchschnittliche Bürger nicht. Ersagt: Was soll das, wir sind ja nichtmehr da. Es gibt keine Besatzung,es gibt keine Siedlungen, die israe-lische Armee befindet sich dortnicht. Warum greift man uns an?Sollte man uns jetzt aus demWestjordanland angreifen, solltenwir im Rahmen einer Friedensver-einbarung das Westjordanlandräumen, da würde die Sache er-heblich gefährlicher sein, weil dasWestjordanland – Professor Ober-reuter, Sie haben es schon ange-deutet – am Rande der Zentrendes israelischen Staates liegt. AmRande der Großstädte, des Flugha-fens, der Häfen, der Industrie. Soll-ten wir aus diesem Gebiet bombar-

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diert werden, dann wäre es erheb-lich gefährlicher für uns als dieBombardierungen aus dem Gaza-Streifen oder aus dem Südlibanon.Das können wir uns nicht leisten. Wir haben schon mehrfach Gebietegeräumt – Gaza-Streifen und Süd-libanon waren ja nicht die ersten.Wir haben Ende der Siebzigerjahremit dem ägyptischen PräsidentenSadat den Frieden geschlossen undhaben ihm alle seine Gebiete zu-rückgegeben, haben alle Siedlun-gen auf seinem Boden geräumt.Sadat sagte, als er zu uns kam: Ichwill meine Gebiete zurückbekom-men bis zum letzten Zentimeter,das hat er immer betont. Und erhat sie auch bis zum letzten Zenti-meter zurückbekommen. Warum?Weil er uns Sicherheit versprochenhat. Wir haben ihm vertraut. Wirhaben ihm nicht nur vertraut, weilwir dachten, dass er ehrlich war.Sondern weil wir wussten, dass erauch die Mittel zur Verfügunghatte, um Sicherheit zu gewährlei-sten, zu erzwingen, und das hatsich ja auch so erwiesen. Genau sowar es dann auch mit König Hus-sein aus Jordanien, der ebenfallsseine Gebiete zurückbekommenhat, weil er Sicherheit versprachund wir ihm vertrauten mit Recht.Aber wer soll uns heute Sicherheitim Westjordanland garantieren?Mahmud Abbas, der Palästinenser-präsident? Er ist ehrlich, er istwohlwollend, er ist anständig, erwill, kann es aber nicht. Er hat die

Mittel nicht zur Verfügung. Er kannnicht einmal für seine eigeneSicherheit sorgen. Sehen Sie, wasihm im Gaza-Streifen passiert ist,wie die Hamas die Macht über-nommen hat, das könnte wohlmorgen im Westjordanland genau-so passieren. Sadat konnte Sicher-heit versprechen, erzwingen, ge-währleisten. König Hussein auch.Der Palästinenserpräsident kann esnicht.Also ist der Frieden – leider – nichtmachbar, und wenn er nicht mach-bar ist, bedeutet dies, dass wirwahrscheinlich wieder einen Krieghaben werden, so wie es immer beiuns der Fall ist. Und ich sageIhnen, die Bevölkerung wünschtsich wirklich keinen Krieg. Noch niehat man in Israel den Krieg so ge-fürchtet wie heute. Noch nie, weildie Bevölkerung genau weiß, dassKrieg heute Raketen auf die Zen-tren, auf die Zivilzentren des Staa-tes Israel bedeutet. Es wird einRaketenkrieg sein. Der Iran sorgtdafür, dass die Hisbollah und ande-re immer mehr und immer moder-nere Raketen bekommen. Die wer-den alle auf die Städte Israelsgerichtet. Man will den Krieg nichthaben, aber sollte man keine Alter-native dazu haben, dann mussman zumindest den Krieg richtigführen und alles Mögliche tun, umihn zu gewinnen. Aber das wird dieheutige Regierung, so sagt dieisraelische Bevölkerung, nicht tunkönnen. Wir haben ja gesehen, wie

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sie den Krieg im Libanon im Som-mer 2006 geführt hat. Sollte eswirklich wieder zu Krieg kommen,und das wird – so meint die Bevöl-kerung – wahrscheinlich der Fallsein, weil man den Frieden nichtdurchsetzen kann, dann brauchenwir eine Regierung, die einen Kriegführen kann, was nur das rechteLager kann. Warum? Das rechteLager kann immer einen Krieg gutführen, so heißt es. Dabei vergisstdie Bevölkerung bei uns, dass alleerfolgreichen Kriege, die Israelgeführt hat, von einer linkenRegierung geführt wurden. Deneinzigen Krieg, den das rechteLager geführt hat, war der Liba-nonkrieg 1982, und das war eineregelrechte Katastrophe. Aber dasrechte Lager – das vergisst man –hat eine glasklare Sprache. Es sagt:Im Krieg, da muss man den Feindzerschmettern, ohne Wenn undAber. Während die anderen sagen:Man muss sehen, man muss ver-handeln, man muss es sich überle-gen und man muss vielleicht ande-re Lösungen finden. Aber die Be-völkerung sagt: Wenn es Krieg gibt,dann muss die Antwort klar unddeutlich sein. Deshalb ist dieBevölkerung einerseits zu Zuge-ständnissen bereit, andererseitsaber will sie den Likud und Netan-jahu an die Macht bringen. Wider-sprüchlich, aber verständlich. Wie kommt man aus dieser Klem-me heraus? Zunächst einmalmacht sich Ehud Olmert Gedanken.

Ehud Olmert weiß, dass er unbe-liebt ist – ich weiß gar nicht, ob eran der Macht bleibt. Es kann sein,dass er morgen zurücktritt. Aberdas macht keinen großen Unter-schied; denn wenn seine Partei ander Macht bleibt, wenn die heutigeKoalition zusammenhält und wennein Nachfolger die Koalition fort-setzen kann, dann wird der Nach-folger dasselbe Dilemma haben wieEhud Olmert heute. So sagt EhudOlmert: Ich sehe die Meinungsum-fragen, ich weiß, dass ich Neuwah-len verliere. Womit kann ich nochin die Wahlen gehen und eineChance haben? Wo kann ich eineTrumpfkarte finden? Wir wissen,die Antwort lautet: Sicherheit –und mit den Palästinensern werdeich das nicht erreichen. Also viel-leicht mit Syrien? Wir haben sehrviele Gründe, weshalb wir Interessedaran haben, mit Syrien zu verhan-deln. Zunächst einmal: wenn wirmit Syrien Frieden schließen, dannwerden wir so gut wie automatischauch mit Libanon Frieden schlies-sen, dann haben wir den Friedenmit allen unseren unmittelbarenNachbarn. Das wäre eine ganzneue Situation für Israel und eswürde natürlich auch die Situationmit den Palästinensern erleichtern.Wenn wir mit Syrien Friedenschließen, wird die Hisbollah unsnicht aus dem Südlibanon angrei-fen können, denn ohne die HilfeSyriens ist das schon sehr kompli-ziert, überhaupt kann man heute

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ohne Syrien keinen Krieg gegenIsrael führen. Die israelische Bevöl-kerung fürchtet den Krieg, will ihnüberhaupt nicht haben. Also: ohneSyrien gibt es keinen Krieg. Wennman mit Syrien Frieden schließt,dann wird es wahrscheinlich eineSpaltung zwischen Syrien und demIran geben, also wird sich die irani-sche Gefahr, die erheblich ist, einklein wenig von uns entfernen undsich nicht mehr an unserer Grenzebefinden. Warum? Syrien ist zwarmit dem Iran verbündet und mitder Hisbollah, das stimmt. Aberwarum? Ist das eine natürlicheAllianz zwischen ihnen? Keines-wegs, denn wenn die Iraner in derislamischen Welt die Oberhandgewinnen, dann wird das für Syri-en bitter sein. Die Syrer sind keineIraner, sie sind Araber. Wenn dieFundamentalisten die Oberhandhaben, wird es das Ende des syri-schen Regimes bedeuten, weil dieSyrer zwar eine Diktatur sind, aberkein Gottesstaat. Die Syrer sindnicht daran interessiert, dass dieIraner die Oberhand gewinnen,ganz im Gegenteil: Die Iraner sindSchiiten, die Syrer sind Sunniten.Die Syrer haben überhaupt keinInteresse an dieser Allianz mit demIran, mit der Hisbollah und mitdiesen schiitischen fundamentali-stischen Kräften. Aber wir allehaben Syrien in die Isolationgedrängt. Zunächst die Amerikaner,danach die Franzosen und natür-lich auch wir. Und jetzt nehmen

die Syrer die Verbündeten, die siefinden können. Es ist eine Notalli-anz, nicht wirklich ein grundsätzli-ches Interesse Syriens. Das ist auchder Grund, weshalb die Syrer mituns verhandeln wollen. Da sagtman bei uns, da sagen viele Israe-lis: Ja, aber man müsste ihnen dieGolan-Höhen zurückgeben, daswollen wir nicht. Vier israelischeMinisterpräsidenten haben schonin der Vergangenheit mit Syrienverhandelt, und alle haben alsAnsatzpunkt den Syrern die Golan-Höhen versprochen und sich auchbei den Amerikanern diesbezüglichverpflichtet. Das waren Rabin undPeres, aber auch Netanjahu undBarak. Herr Präsident, Sie haben angedeu-tet, dass die Verhandlungen ge-scheitert sind. Warum? Wegen einpaar hundert Metern, nicht Kilo-metern, Metern! Es ging um Mei-nungsverschiedenheiten bezüglichder Grenze, die ein paar hundertMeter betreffen, nicht mehr. Wirwaren wirklich fast zu einer Ver-ständigung gelangt. Das Prinzipwar, dass man die Golan-Höhenzurückgibt. Natürlich hängt dasvon den Umständen ab: Was be-kommen wir dafür? Was für einenFrieden? Was für Sicherheitsmaß-nahmen? Was für internationaleGarantien? Es gibt, wie gesagt,sehr viele detaillierte Entwürfe, wirhaben schon vier Mal mit denSyrern verhandelt, immer wiederwaren wir kurz vor einer Verständi-

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gung. Also ist all dies schon so gutwie ausgebügelt; die Frage ist nur,ob wir den politischen Willen ha-ben. Heute haben wir ihn, und wa-rum haben wir ihn? Weil EhudOlmert sagt: Wenn ich mich zurWahl stellen will, dann muss ichmit einer Trumpfkarte kommen.Heute habe ich eine Chance, wennich mit einem Frieden mit Syrienkomme. Die Syrer können unsSicherheit garantieren, genau wiedie Ägypter und wie die Jordanier,sobald es in ihrem Interesse liegt,weil sie tatsächlich die Möglichkeitdazu haben. Sie haben die Mittelzur Verfügung, anders als die Palä-stinenser. Und die Syrer haben esauch schon bewiesen: Wann auchimmer wir mit ihnen einen Vertraggeschlossen haben, einen Waffen-stillstand und dergleichen, habensie ihn immer 100%ig respektiert.Immer. Also mit einem Frieden mit Syrienkönnte Olmert sich zur Wahl stel-len. Warum macht er es also nicht?Denn die Syrer wollen es doch,weil sie es brauchen. Ehud Olmertbraucht es, wenn nicht für Israel,dann für sich. Warum tut er esnicht? Weil die Syrer zwar mit unsverhandeln wollen, aber der Preisist weder Israel noch sind es dieGolan-Höhen. Der Preis, das sinddie USA. Wenn die Syrer auf denIran verzichten sollen, dann brau-chen sie eine andere Allianz: dieAmerikaner, die Europäer, die ara-bische Welt, mit der wir heute zer-

stritten sind. Aber die Amerikanerzögern. Es hat lange gedauert, bisdie Amerikaner dem überhaupt zu-gestimmt haben, dass wir mit denSyrern verhandeln. Doch sie sagen,tut es, wenn ihr wollt, aber wir ha-ben damit nichts zu tun. Israelreicht den Syrern nicht aus, siebrauchen die Amerikaner. Ich sehenicht, dass Präsident Bush derjeni-ge sein wird, der diesbezüglich dieamerikanische Politik ändern wird,aber vielleicht nach den Wahlenoder eher nach der Machtübernah-me des neuen Präsidenten näch-stes Jahr, da könnte eine Möglich-keit bestehen. Ob es bei uns EhudOlmert sein wird oder nicht, stehtnicht fest. Aber wer auch immer, erwird genau die gleiche Situationvor Augen haben und dasselbeDilemma.Eine Hauptfrage bleibt bestehen:Was ist mit den Palästinensern?Selbst wenn wir mit Syrien Friedenschließen, haben wir das palästi-nensische Problem noch nicht ge-löst. Was machen wir dann? Dasist doch das Hauptproblem, das istdoch der Kern der Nahostkrise.Solange sich im Nahen Osten eineBevölkerung befindet, die nicht inWürde lebt – und das sind diePalästinenser –, wird es keinenFrieden geben. Und wenn es keinenFrieden gibt, wird es auch für Israelkeine Sicherheit auf Dauer gebenkönnen. Napoleon sagte, man kann mitBajonetten alles erzielen, alles

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erreichen, nur kann man auf Bajo-netten nicht sitzen. Wir sitzen aufBajonetten, schon 60 Jahre lang.Ewig kann das nicht so weiterge-hen. Das Problem ist: Wie unddurch wen kann die Sicherheitgewährleistet werden, wenn wirdas Westjordanland räumen? OhneRäumung des Westjordanlandeswird es natürlich keinen Friedengeben, weil sonst kein Palästinen-serstaat entstehen kann. Ich sehenicht, dass die Palästinenser jemalsin den Stand kommen, die Sicher-heit selber gewährleisten zu kön-nen. Ich sehe, dass das auch nichtvon der arabischen Welt geschafftwerden wird, obwohl die arabischeWelt Interesse daran hat. Wiesokommt es dazu, dass Saudi-Arabi-en einen Friedensplan veröffent-licht? Wieso kommt es dazu, dassdie Arabische Liga, die arabischeWelt insgesamt so einen Friedens-plan unterstützt? Der Plan sprichtnicht nur von Frieden mit Israel,von der Anerkennung des StaatesIsrael, sondern von Normalisierungder Beziehungen, also einen neuenAlltag von Zusammenarbeit insLeben zu rufen, einen neuenNahen Osten ins Leben zu rufen.Warum? Sind sie plötzlich in unsverliebt? Es ist klar, warum. Weil sieeinen anderen Feind haben, eineandere Gefahr, eine erheblichgrößere Gefahr für sie alle, unddiese Gefahr heißt Iran. Der Iran spricht immer gegen Isra-el, spricht von der Vernichtung des

Staates Israel. Aber ansonsten istIsrael nicht wirklich ein iranischesProblem, nicht wirklich ein irani-sches Interesse. Es ist ein Mittel,um sich bei den Massen der Mos-lems beliebt zu machen. Das echteInteresse des Iran ist der tausend-jährige Traum der iranischen Köni-ge und Kaiser, ihre Nachbarschaftzu beherrschen, also Irak, Saudi-Arabien und die Golfstaaten.Genau das strebt der Iran heutean. Das heißt nicht, dass er dieseStaaten erobern muss, aber dieOberhand will er gewinnen. Sollteder Iran dieses Ziel erreichen, dannwürde er über 27% aller Erdölre-serven der Welt herrschen. Damitkann er uns alle einschüchtern.Und das fürchten die arabischenNachbarstaaten, deshalb brauchensie Ruhe in ihrem Hinterhof, beiden Palästinensern und Israelis,damit sie sich gegen den Iran stel-len können. Aber uns Sicherheitgewährleisten, das können sienicht. Dazu haben sie keine Mittelzur Verfügung. Also, wer kann das tun? Die Ameri-kaner selbstverständlich, die kön-nen alles machen. Ein Bruchteil deramerikanischen Armee im Irakkönnte in dem kleinen Westjordan-land Sicherheit gewährleisten,umso mehr, da die palästinensischeBevölkerung und die palästinensi-sche Regierung sie begrüßen wür-den. Wissen Sie, wie klein dasWestjordanland ist? Viel kleiner alsBayern, zweimal so groß wie das

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2Saarland. 5500 km , das ist nichtder Irak und nicht Afghanistan undnicht Vietnam. Es hat eine kleineBevölkerung, die auch eine auslän-dische Truppe begrüßen wird undsie haben will. Aber da die Amerikaner aus innen-politischen Gründen dies nichtwollen und auch nicht tun werden,wer auch immer der amerikanischePräsident sein wird, gibt es nurnoch – ja, wir haben es erraten –die Europäische Union. Was eineinternationale Truppe, die Sicher-heit im Westjordanland erzwingensoll, braucht, ist vor allem einepolitische Rückenstärkung. EineRückenstärkung, die solide ist. DieMission der Truppe, das ist dasWichtige. Die Truppe muss nichtgroß sein, die Truppe muss auchnicht unbedingt europäisch sein.Die politische Führung, die politi-sche Unterstützung, die Missionder Truppe muss von der Europäi-schen Union kommen, weil eskeine andere Macht auf Erden gibt,die so etwas leisten kann. Eineinternationale Truppe, es könnenauch europäische Truppen sein. Ichgehe davon aus, dass es in Osteu-ropa Länder gibt, die so etwasgerne tun würden. Aber sie sollwirklich international sein. Siekann auch unter Federführung derNATO stehen. Ich würde sehr gernemoslemische Truppen begrüßen,zum Beispiel die Türken. Die Türkenhaben ein echtes Interesse, Ruheim Nahen Osten zu erzwingen. Sie

haben eine große Armee, eine star-ke Armee und ein Interesse und siesind Moslems. Es können auchandere sein. Indonesier oder wasauch immer. Die Hauptsache istnicht die Größe der Truppe, obwohlsie schon robust sein muss, weil sieetwas erzwingen muss, nicht beob-achten, sondern erzwingen. DieHauptsache ist: Was für eine Mis-sion hat diese Truppe? Wenn wirdie Truppen im Südlibanonbetrachten, dann sehen wir, dassdie gar nichts bewirken können,weil sie keine klare Mission haben.Sie sind eine Beobachtungstruppe,nicht wie die amerikanische Truppeim Irak oder die internationale inAfghanistan. Die Truppe für dasWestjordanland muss eine kleineTruppe sein, die robust ist und diedie klare Mission hat, Sicherheit zuerzwingen. Sollte man das irgend-wann durchsetzen, dann würde dieisraelische Bevölkerung den Frie-densplan akzeptieren, dann würdedie palästinensische Bevölkerungdieser Truppe zujubeln. Natürlichdarf so eine Truppe nicht zu langebleiben; mit der Zeit wird sie auchzur Besatzungstruppe. Sie muss solange bleiben, bis die palästinensi-sche Behörde so weit aufgebautist, dass sie selbst die Macht unddie Verantwortung übernimmt. DieEuropäer zögern nicht, weil sie essich nicht leisten können, sondernweil sie nicht kühn genug sind. Siesagen, Frieden im Nahen Osten,Ruhe im Nahen Osten ist ein

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unmittelbares europäisches Inter-esse, aber dazu etwas zu tun, inBewegung zu setzen – das sehe ichnoch nicht. Ich sehe das nicht, aberich sehe auch keine andere Lösung. Wenn man von den Palästinensernspricht, und das soll mein letztesWort sein, dann stellt man natür-lich auch die Frage: Sie wollenFrieden mit Mahmud Abbasschließen, mit dem Westjordan-land, aber was geschieht mit demGaza-Streifen und der Hamas, wobleiben die denn? Wie wir wissen,kann man mit der Hamas nichtsprechen. Sie sind Fundamentali-sten, Terroristen; sie sagen offen,sie wollen den Staat Israel zer-stören und werden nie einen StaatIsrael im Nahen Osten akzeptieren.Es gibt keine Ansatzpunkte, über-haupt mit ihnen zu sprechen, undaußerdem wird die Hamas sowiesonicht mit uns sprechen wollen. Siewollen doch nur Israel bekämpfenund zerstören, worüber sprichtman dann? Sie würden auch niezustimmen, dass Mahmud Abbasmit uns Frieden schließt, aus den-selben Gründen. Es hört sich alleswunderbar an, es stimmt nur nicht. Anfang des Jahres 2005 stand derdamalige israelische Ministerpräsi-dent Sharon vor einem Dilemma.Er hatte entschieden, einseitig denGaza-Streifen zu räumen. Er hataber Sorgen gehabt, was geschieht,wenn die Armee sich zurückziehtund von Scharfschützen beschos-sen wird. Das kann er sich nicht

leisten. Wenn er unter Umständen– der einseitige Abzug war sowiesoin der Bevölkerung umstritten –noch Verluste erleiden sollte, daswäre für ihn damals innenpolitischverheerend gewesen. Eine Armee,die sich zurückzieht, ist ja immeranfällig, unter allen Umständen, injedem Krieg. Also wie konnte ersicher sein, dass der einseitigeAbzug, obwohl er einseitig ist, den-noch friedlich verläuft? Er wusstegenau, mit wem er sprechen sollte:mit der Hamas. Natürlich nichtoffen, nicht offiziell, sondern hin-ter den Kulissen, mittels der Ägyp-ter. Aber es gab ein gegenseitigesInteresse. Er sagte zur Hamas: Waswollt ihr, dass wir den Gaza-Strei-fen verlassen? Wir wollen denGaza-Streifen friedlich verlassen;wenn wir ihn nicht friedlich verlas-sen können, dann bleiben wir davor Ort. Also gibt es ein gegenseiti-ges Interesse. Und wir haben eineVereinbarung gefunden, die voll-kommen respektiert wurde. Es istim Laufe des Abzuges der israeli-schen Armee aus dem Gaza-Strei-fen kein einziger Schuss gefallen.Nicht ein einziger Schuss, und ichdarf Sie daran erinnern, dass 2005in Gaza die Hamas noch gar nichtan der Macht war. Das war nochvor den Wahlen, die die Hamas andie Macht gebracht haben, ein Jahrspäter im November 2006. Alsokann man mit der Hamas spre-chen, wenn es ein gegenseitigesInteresse gibt. Und die internatio-

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nale Politik beruht, basiert immerauf Interessen und nicht aufgroßen Idealen. Heute gibt esgemeinsame Interessen zwischenuns und der Hamas. Die Hamasbraucht unbedingt Ruhe, weil dieBevölkerung im Gaza-Streifen der-artig im Elend lebt, dass dieHamas, ihre Beliebtheit verlierenwird, wenn sie nicht etwas verbes-sern kann. Und wir brauchen Ruhe,weil wir sonst keine Ruhe fürunsere Städte und Dörfer entlangdes Gaza-Streifens finden können.Wir schaffen es nicht mit Gewalt,wir haben es schon versucht. Wirschaffen es nicht. Wir können Gazanoch so bombardieren und nochso bekämpfen und noch so angrei-fen, die schießen weiter. Selbst alswir den Gaza-Streifen besetzt hat-ten, haben sie geschossen. Heutenatürlich viel mehr. Also wir brau-chen Ruhe und die Hamas brauchtRuhe. Und man verhandelt mitein-ander. Ja, man spricht miteinanderhinter den Kulissen, mit Hilfe derÄgypter. Alle leugnen es, allesagen, das stimmt gar nicht. Esstimmt. Die Frage ist, ob wir mitder Hamas in den kommendenWochen oder sogar Tagen einenWaffenstillstand erzielen werden,oder ob es zunächst noch einmaleinen Angriff gibt, um zu zeigen,dass man doch der Stärkere ist.Und dann wird man die Feuerpau-se beschließen. Wir müssen irgend-wann dazu kommen, nicht nurRuhe entlang der Grenze des

Gaza-Streifens zu erreichen, son-dern dass es auch irgendwannwieder irgendeine Vereinbarungzwischen den beiden palästinensi-schen Behörden gibt, zwischen derpalästinensischen Regierung inRamallah und der in Gaza. Sonstwird der eine den anderen immertorpedieren. Also brauchen wireine internationale Truppe, umSicherheit zu gewährleisten, undwir brauchen auch eine Vereinba-rung zwischen den beiden Teilender Palästinenser. Das alles hörtsich ein bisschen wie Zukunftsmu-sik an. Ich verspreche Ihnen, daswird tagtäglich vor Ort diskutiert.Es scheint nur unmöglich zu sein.Es ist möglich. Wie haben Sie esvorhin gesagt: Wer an Wundernicht glaubt, ist kein Realist.Warum? Weil es nicht um Wundergeht, es geht um Realismus. Danke.

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Diskussion Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Ober-reuter:Herzlichen Dank für eine klareAnalyse, bei der man sich am Endefragt, warum kann man es nichtdoch beschleunigen, und bei derSie am Ende die Karten auch aufunseren Tisch gelegt haben. DieEuropäer werden gebraucht undich glaube, der Saal war am Endeauch sehr erleichtert, dass Sie,nachdem Sie im ersten Teil zwargesagt haben, wo kein Frieden ist,wird es wieder eine kriegerischeAuseinandersetzung geben, aberdoch Wege aufgezeigt haben, diediese kriegerische Auseinanderset-zung nicht unausweichlich erschei-nen lassen. Jetzt sollen wir hier miteinanderkurz über diese Analyse diskutie-ren. Ich kann mir eigentlich alsEinstieg, Herr Präsident, keine bes-sere Frage vorstellen als die: Sinddie Europäer bereit, geeicht, sinddie innenpolitischen Verhältnisse inEuropa, in Deutschland so, dass einEngagement auf diesem Feldemöglich erscheint, so notwendig esist, und wären wir –(Zwischenruf Avi Primor: Ohne Ein-satz der Bundeswehr)– ich weiß, ich komme gerade dar-auf, und wären wir bereit es zutun, wenn es die Türken für unsmachen, um es auf diese Formel zubringen. Das ist ja unser Beitragzum Frieden, das ist ja in allen Kri-sensituationen das Scheckbuchgewesen.

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Präsident Alois Glück:Mir ist noch nicht ganz klar,warum die Amerikaner sich in die-ser Konstellation weigern, mit Syri-en in Verhandlungen einzutreten.Einerseits betrachten die USA Syri-en als einen der Schurkenstaaten,aber auf der anderen Seite liegtihrer Analyse zufolge klar auf derHand, dass einige Interessen Syri-ens mit denen der USA kompatibelsind. Sind die USA hier ideologischverblendet? Wenn ich das richtigeinschätze, ist doch der Iran dieeigentliche Bedrohung für beideSeiten. Warum also sind die USAhier weiterhin so unbeweglich?

Avi Primor:Das letzte Mal, dass wir vor einerseriösen Verhandlung mit Syriengestanden haben, war im März2000. Da flog der damalige ameri-kanische Präsident Clinton eigensnach Genf, um den syrischen Prä-sidenten zu treffen, den Vater desheutigen Präsidenten Hafis al-Assad. Er ist da hingeflogen, weiler davon ausgegangen ist, dass erschon einen Friedensvertrag in derTasche hatte. Er war sicher, dass essich lohnt, da hinzufliegen, weilalles schon ausgebügelt war. Gut,das ist ihm damals nicht gelungenund er hat die Syrer beschuldigt. Inseinen Memoiren beschuldigte erBarak, den damaligen israelischenMinisterpräsidenten. Immerhinwaren es Nebensächlichkeiten, diees nicht erlaubt haben, eine ver-

hältnismäßige Nebensächlichkeit.Seitdem gab es keine Verhandlun-gen mehr bis auf April 2003.Im April 2003 hatten wir schonden jungen, den heutigen Präsi-denten. Der hat Boten nach Israelentsandt, im Geheimen natürlich,alles war hinter den Kulissen undim Geheimen, um Verhandlungenanzubieten. Warum ausgerechnetzu diesem Zeitpunkt? Was geschahdann? Das war der Irak-Krieg undder syrische Präsident ist davonausgegangen – oder zumindestfürchtete er –, dass nach derBeseitigung Saddam Husseins erdran sein würde. Er wollte eineVersicherung haben und dachte,wenn er mit Israel verhandelt, kön-nen sich die Amerikaner vielleichtnicht so sehr einen Angriff aufSyrien leisten. Das war eigentlichsein Ziel. Das heißt: Er hat dasschon richtig analysiert, die Ameri-kaner haben Syrien immer als Teilder Achse des Bösen beschriebenund gesagt, dieses Regime müsseman beseitigen. Das gleiche sagteübrigens auch Chirac, wegen derErmordung des ehemaligen libane-sischen Ministerpräsidenten. Erbeschuldigte Assad persönlich. Alsosuchte Assad einen Ausweg, aberdie Amerikaner wollten das nicht.Die Amerikaner sagen, das ist einRegime, das mit dem Iran verbün-det ist, ein Regime, das mit denFundamentalisten im Libanon ver-bündet ist, ein Regime, das die Ter-roristen im Irak unterstützt. Das

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konnte man nie wirklich nachwei-sen, aber die Amerikaner bestehendarauf und infolgedessen sprichtman mit diesem Regime nicht,man muss es beseitigen.Natürlich war das für uns schwie-rig. Für Sharon war das kein Pro-blem. Sharon sagte, ich will nichtmit Syrien verhandeln. Anders alsalle meine Vorgänger bin ich nichtbereit, die Golan-Höhen zurückzu-geben, also habe ich kein Streitob-jekt mit den Syrern zu lösen. Esgibt auch keinen Grund, überhauptVerhandlungen aufzunehmen,denn es beginnt ja mit den Golan-Höhen und wird sicher auch mitden Golan-Höhen enden. Wenn ichdazu nicht bereit bin, macht es kei-nen Sinn. Als Ehud Olmert dannaber an die Macht kam, hat er esanders gesehen, nur fürchtete erdie Amerikaner, wenn sie sich demso sehr widersetzen. Ich war da-mals der Meinung – das habe ichauch in verschiedenen Artikeln inIsrael geschrieben –, dass die Ame-rikaner sich Verhandlungen mit Sy-rien widersetzen. Aber sollten wirden Amerikanern sagen, dass daswirklich in unserem Interesse ist?Wenn es für uns unentbehrlich ist,mit Syrien zu sprechen, dann wer-den sie zumindest wegsehen. Unddas hat letzten Endes Ehud Olmertauch mit Bush so erzielt. Bushsagte, gut, wenn du es machenwillst, dann mach es. Ich bin nichtdabei, aber ich werde dich nichtzurückhalten. Die Amerikaner mei-

nen immer noch, dass man dassyrische Regime beseitigen muss.Ich glaube, dass der neue amerika-nische Präsident – selbst wenn esMcCain ist – das anders sehenwird. Zunächst einmal hat sich zu-mindest scheinbar die Lage im Li-banon beruhigt, es gibt einen liba-nesischen Präsidenten. Also ist Sy-rien nicht mehr der Böse, der daeine Lösung verhindert, obwohl ichkeine Lösung sehe. Ich glaube, dassdie Hisbollah dort die Macht über-nimmt, aber abgesehen davonglaube ich, der neue amerikanischePräsident wird das anders sehenund das wird tatsächlich die Ver-handlungen mit Syrien ermögli-chen. Bleibt nur die Frage, werwird dann bei uns an der Machtsein?(Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Oberreu-ter: Einer von zwei Herren, daswissen wir jetzt.)– Es könnte auch eine Dame sein.

Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Ober-reuter:Ich bleibe mal dabei, der Herr Prä-

sident hat meinen Versuch, dieEuropäer mit aufs Spielfeld zubringen – ich würde mal sagen,aus nahe liegenden Gründen –abgeblockt. Aber kann es denn sosein, dass in der internationalenPolitik immer dann, wenn esbrenzlig ist, die Europäer auf dieAmerikaner vertrauen, bei allemMisstrauen, das man den USA ent-gegenbringt?

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Avi Primor:Es ist klar, wenn ich von einer

internationalen Truppe spreche –mit Unterstützung der Europäer,denn wenn nicht die Europäer dieechte politische Macht dahintersind, wird es nicht gehen, dann istmir klar, dass die Europäer esgegen den Willen der Amerikanernicht tun werden. Die Amerikanermüssen zumindest wegschauen.Wenn sie sich dem klipp und klarwidersetzen, wird es so etwas nichtgeben. Aber die Amerikaner, die vorein paar Jahren noch niemandenim Nahen Osten haben wollten –ich sage nur: „wir alleine im NahenOsten“ – haben schon längst ihreMeinung geändert. Im Südlibanonsind die Truppen keine Amerikaner,und sie haben dem zugestimmt.Nachdem wir den Gazastreifengeräumt haben, entstand eine klei-ne internationale Truppe – Bewa-chungstruppe – entlang der Gren-ze zwischen Ägypten und demGaza-Streifen, da sind auchEuropäer, und die Amerikanerhaben dem zugestimmt. Also sinddie Amerikaner in dieser Sacheschon milder geworden und ver-stehen, dass wir alleine das nichtlösen können. Auf jeden Fall nicht,solange sie sich nicht wirklichengagieren wollen, und das wollensie nicht. Also müssen sie jemandanderen zulassen. Ich glaube, wenndie Europäer heute den Willen zei-gen sollten – die werden wahr-scheinlich sowieso auf den näch-

sten Präsidenten in Amerika warten–, aber sollten sie den Willen zei-gen, glaube ich nicht, dass es ame-rikanische Widersprüche gebenwird.

Präsident Alois Glück:Es war von einem Land noch nichtdie Rede, das immer wieder auf dieWeltbühne drängt, nämlich vonRussland. Spielt Russland in diesemGesamtkonflikt – etwa mit Blickauf Syrien, aber auch anderweitig –eine Rolle?

Avi Primor:Überhaupt nicht erstaunlicher-weise. Immer wieder versucht man,die Russen ein bisschen zu enga-gieren. Ehud Olmert war selbstzwei oder drei Mal in Moskau, dersyrische Präsident war da, derägyptische Präsident auch, auchdie Palästinenser waren schon inRussland, selbst die Hamas-Leutehaben Russland besucht. Aber dieRussen bewegen sich nicht. Ichglaube, dass sie schlechte Erinne-rungen an den Nahen Osten haben.Vielleicht sind sie auch noch nichtreif dazu, ich weiß nicht. Es kommtnichts von Seiten der Russen.(Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Oberreu-ter: Aber sie spielen doch im Iranmit. Den haben Sie doch auch starkins Zentrum Ihrer Überlegungengestellt)– Im Iran, ja, aber ich glaube nicht,dass die Russen wirklich einen ira-nischen Sieg anstreben. Das glaube

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ich nicht, weil das auch für Russ-land gefährlich werden kann. Fun-damentalisten an der russischenGrenze mit Atomwaffen? Sie ha-ben schon die Tschetschenen dortund jetzt die Iraner? Ich glaubenicht, dass die Russen so weitgehen wollen. Aber vorerst verdie-nen sie viel Geld dort und dasgefällt ihnen schon. Ich glaubenicht, dass das sehr weit gehenkann.

Präsident Alois Glück:Darf ich, bevor wir schließen, eine

letzte Frage stellen? Welche Rollespielt aus Ihrer Sicht der Konflikt indieser Region für die weltweiteRadikalisierung des Islam? Undumgekehrt: Inwieweit spielt dieRadikalisierung des Islam, als Glau-be wie als Ideologie, in diesemKonflikt eine große Rolle?

Avi Primor:Wenig, in beiden Richtungenwenig. Nehmen Sie zunächst ein-mal die Schriften von Osama binLaden. Bis auf den 11. September2001 finden Sie nirgends in seinerPropaganda und in seinen Schrif-ten das Wort Israel, auch nicht dasWort Palästina, nicht einmal Jeru-salem. Überhaupt nicht. Er kämpftfür das Heilige Land, er kämpftgegen die Amerikaner, weil sie dasHeilige Land, den heiligen Bodendes Heiligen Landes entweihthaben, und damit meint er Saudi-Arabien. Er war doch einmal mit

den Amerikanern verbündet. Dannhat er seine Meinung geändert,nach dem ersten Krieg gegen denIrak 1991, weil die AmerikanerTruppen auf irakischem Boden sta-tioniert haben. Das war die Entwei-hung des heiligen Bodens, wasallerdings die Engländer, als sie inder Region waren, nie getanhaben, sie haben es besser verstan-den. Er hat von Israel überhauptnicht gesprochen, aber nach dem11. September hat er begriffen,dass Israel ein gutes Propaganda-objekt sein kann. Da hat er allmäh-lich zunehmend – ein bisschen–über Palästinenser, über Jerusa-lem gesprochen. Das war aberkünstlich, erzwungen. Stellen Siesich vor, es gäbe keinen Staat Isra-el. Was hätte das daran geändert?Es hätte eine El Kaida gegeben, eshätte ein Afghanistan gegeben –aus denselben Gründen –, es hätteden 11. September gegeben. Es istalles ein Kampf der Fundamentali-sten, zunächst einmal gegen diearabischen Regierungen, gegen dieverhältnismäßig modernen arabi-schen Regierungen, die nicht reli-giös genug sind, und dann gegenden Westen. Israel ist eine Zugabe.Als man Osama bin Laden einmaldie Frage gestellt hat, wieso er vonIsrael überhaupt nie spricht, da hater gesagt: Das ist eine Nebensäch-lichkeit; wenn wir den Weltkrieggewinnen, wird es sowieso keinIsrael geben. Also das beschäftigtmich nicht. Es war so seine Art.

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Außerdem sieht man überhaupt inder arabischen Welt und in derislamischen Welt so viele Kriege,die nichts mit Israel zu tun haben.Der achtjährige Krieg zwischendem Irak und dem Iran, was hatdas mit uns zu tun? Der Krieg zwi-schen Ägypten und Jemen in denSechzigerjahren und so weiter. Dassind alles Dinge, die gar nichts mituns zu tun haben, aber wir werdenals Propagandaobjekt sehr oft ver-wendet. Das stimmt.

Präsident Alois Glück:Meine Damen und Herren, wirmüssen abschließen. Ich möchteauch in Ihrer aller Namen HerrnBotschafter Primor herzlich dankenfür diese Einblicke und Analysen.Ich glaube, wir werden mit eineranderen Sensibilität und Aufmerk-samkeit in den nächsten Wochenund Monaten in den Medien ver-folgen, was sich hier tut. Vielenherzlichen Dank und Ihnen einenschönen Abend.

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