55
ISSN 1435-2206 Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland Prof. Dr. Wilfried Erbguth Universität Rostock Hans-Jürgen Ermisch Rechtsanwalt, Hamburg Dr. Rolf Gestefeld Präsident des OVG Hamburg Prof. Dr. Hans-Joachim Koch Universität Hamburg Hannelore Kohl Präsidentin des Landesverfassungsgerichts und des OVG Mecklenburg-Vorpommern Dr. Hubert Meyer Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Niedersächsischen Landkreistages Dr. Herwig van Nieuwland Präsident des OVG Lüneburg Prof. Dr. Ulrich Ramsauer Universität Hamburg, VG Hamburg Prof. Dr. Alfred Rinken Präsident des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen, Universität Bremen Hans-Joachim Schmalz Präsident des OVG Schleswig Dr. Wolfgang Schrödter Hauptgeschäftsführer des Nieders. Städtetags a.D. Matthias Stauch Präsident des OVG Bremen Prof. Dr. Kay Waechter Universität Hannover 11. Jahrgang, Heft 4/2008 Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte Albert Ingold Einzelhandelsbezogene Landes- und Bauleitplanung in der Freien Hansestadt Bremen Friedrich L. Cranshaw Konzepte zur Verbesserung der Finanzlage der Gebiets- körperschaften – ein Überblick (Teil 2) Ulrich Niere Zur Einheitlichkeit der Abwägungsentscheidung im Stadtstaat Till Steffen Zum Verhältnis von BAFöG-Leistungen und Arbeitslosengeld II NordÖR NordÖR Grundsicherung nach SGB II für arbeitssuchende Unionsbürger OVG Bremen, Beschl. vom 5.11.2007 – S1 B 252/07 Bürgerbegehren gegen eine aufgrund einer Weisung durchgeführten Bauleitplanung VG Hamburg, Urt. vom 20.11.2007 – 13 K 3512/06 Zur Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit amtlicher Stellen vor einer Kommunalwahl OVG Greifswald, Beschl. vom 29.2.2008 – 2 O 141/07 Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des Lüchow- Dannenberg-Gesetzes Nds. StGH, Urt. vom 6.12.2007 – StGH 1/06 Keine Übertragung von Strommengen vom KKW Mülheim- Kärlich auf das KKW Brunsbüttel OVG Schleswig, Urt. vom 16.1.2008 – 4 KS 6/07 Aus den Entscheidungen: Abhandlungen: Herausgeber: Nomos 11. Jahrgang, Heft 4/2008 Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte

ISSN 1435-2206 No NorrdÖR€¦ · Prof. Dr. Kay Waechter Universität Hannover 11. Jahrgang, Heft 4/2008 Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte Albert Ingold Einzelhandelsbezogene

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • ISSN 1435-2206

    Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland

    Prof. Dr. Wilfried Erbguth Universität Rostock

    Hans-Jürgen Ermisch Rechtsanwalt, Hamburg

    Dr. Rolf Gestefeld Präsident des OVG Hamburg

    Prof. Dr. Hans-Joachim Koch Universität Hamburg

    Hannelore Kohl Präsidentin des Landesverfassungsgerichts und des OVG Mecklenburg-Vorpommern

    Dr. Hubert Meyer Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Niedersächsischen Landkreistages

    Dr. Herwig van Nieuwland Präsident des OVG Lüneburg

    Prof. Dr. Ulrich Ramsauer Universität Hamburg, VG Hamburg

    Prof. Dr. Alfred Rinken Präsident des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen, Universität Bremen

    Hans-Joachim Schmalz Präsident des OVG Schleswig

    Dr. Wolfgang Schrödter Hauptgeschäftsführer des Nieders. Städtetags a.D.

    Matthias Stauch Präsident des OVG Bremen

    Prof. Dr. Kay Waechter Universität Hannover

    11. Jahrgang, Heft 4/2008 Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte

    Albert IngoldEinzelhandelsbezogene Landes- und Bauleitplanung in der Freien Hansestadt Bremen

    Friedrich L. Cranshaw Konzepte zur Verbesserung der Finanzlage der Gebiets-körperschaften – ein Überblick (Teil 2)

    Ulrich NiereZur Einheitlichkeit der Abwägungsentscheidung im Stadtstaat

    Till SteffenZum Verhältnis von BAFöG-Leistungen und Arbeitslosengeld II

    NordÖRNordÖR

    Grundsicherung nach SGB II für arbeitssuchende UnionsbürgerOVG Bremen, Beschl. vom 5.11.2007 – S1 B 252/07

    Bürgerbegehren gegen eine aufgrund einer Weisung durchgeführten BauleitplanungVG Hamburg, Urt. vom 20.11.2007 – 13 K 3512/06

    Zur Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit amtlicher Stellen vor einer Kommunalwahl OVG Greifswald, Beschl. vom 29.2.2008 – 2 O 141/07

    Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des Lüchow-Dannenberg-GesetzesNds. StGH, Urt. vom 6.12.2007 – StGH 1/06

    Keine Übertragung von Strommengen vom KKW Mülheim- Kärlich auf das KKW BrunsbüttelOVG Schleswig, Urt. vom 16.1.2008 – 4 KS 6/07

    Aus den Entscheidungen:

    Abhandlungen:Herausgeber:

    Nomos

    11. Jahrgang, Heft 4/2008 Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte

    �����

    ������������������

    ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������

    ������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������

    ����

  • I

    In diesem Heft . . .

    I

    Abhandlungen

    Informationen aus Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung

    Rechtsprechung

    Rechtsprechung in Leitsätzen ................................................................................ 191

    VerfassungsrechtNds. StGH .................................... 162Urt. vom 6.12.2007 – StGH 1/06– Verfassungswidrigkeit von Bestimmun-gen des Lüchow-Dannenberg-Gesetzes

    BaurechtVG Hamburg ............................... 167Urt. vom 20.11.2007 – 13 K 3512/06– Bürgerbegehren gegen eine aufgrund einer Weisung durchgeführten Bauleit-planung

    OVG Greifswald ........................... 169Beschl. vom 9.01.2008 – 3 M 190/07– Zur Abgrenzung von Wohnen und Ferienwohnen

    PlanungsrechtOVG Schleswig .............................. 170Urt. vom 12.2.2008 – 4 KS 8/05– „Reduzierte“ Abwägung nach Teilaufhe-bung eines Planfeststellungsbeschlusses

    UmweltrechtOVG Schleswig .............................. 173Urt. vom 16.1.2008 – 4 KS 6/07– Keine Übertragung von Strommengen vom KKW Mülheim-Kärlich auf das KKW Brunsbüttel

    Dienstrecht

    OVG Bremen ................................ 176Urt. vom 6.2.2008 – 2 A 391/05– Besoldung kinderreicher Beamter

    OVG Hamburg ............................. 180Urt. vom 17.12.2007 – 1 Bf 191/07 (nicht rechtskräftig) – Zulässigkeit der sog. Kostendämpfungs-pauschale im hamburgischen Beihilfe-recht

    OVG Lüneburg ............................. 185Beschl. vom 11.2.2008 – 5 LB 365/07– Haftung eines Polizeibeamten wegen Falschbetankens eines Dienstfahrzeugs

    Sozialrecht

    OVG Bremen ................................ 186Beschl. vom 5.11.2007 – S1 B 252/07– Grundsicherung nach SGB II für arbeits-suchende Unionsbürger

    LSG Hamburg .............................. 188Beschl. vom 19.12.2007 – L 5 B 469/07 ER AS– Arbeitslosengeld II im Darlehenswege bei Studium

    Kommunalrecht

    OVG Greifswald ........................... 190Beschl. vom 29.2.2008 - 2 O 141/07– Zur Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit amtlicher Stellen vor einer Kommunal-wahl

    BundesverwaltungsgerichtGeschäftslage des Bundesverwaltungs-gerichts im Jahr 2007 ................. 158

    BundEinnahmen aus Lkw-Maut und Ausgaben für Verkehrsinfra- struktur ..................................... 159

    Schleswig-Holstein Anti-Korruptionsbeauftragter in Schleswig-Holstein ................... 159

    CeBIT 2008: Prozessregister zur Umsetzung der EU-Dienstleistungs-richtlinie .................................. 159

    Hamburg Ergebnisse der Bürgerschaftswahlen in Hamburg ............................... 159

    Neue Landesgesetze zum Wohnungswesen ....................... 160

    Hamburg und Schleswig-Holstein

    Schleswig-Holstein und Hamburg leiten Fusion ihrer Patent-Agen- turen ein ................................... 160

    Mecklenburg-VorpommernGeschäftsentwicklung des Ober-verwaltungsgerichts .................. 160

    Personalia

    Neue Präsidentin des Schleswig-

    Holsteinischen Oberlandes-

    gerichts ..................................... 161

    Neue Vizepräsidentin des Schleswig-

    Holsteinischen Verwaltungs-

    gerichts ..................................... 161

    Rezension

    Verwaltungsgerichtsordnung –

    Kommentar anhand der höchtsrich-

    terlichen Rechtsprechung (RiOVG

    Reinhard Wilke, Schleswig) .......... 161

    Albert IngoldEinzelhandelsbezogene Landes- und Bauleitplanung in der Freien Hansestadt Bremen ........................................................ 141

    Friedrich L. Cranshaw Teil 2: Konzepte zur Verbesserung der Finanzlage der Gebietskörperschaften – ein Überblick ............................................... 146

    NordÖR 4/2008

    ForumUlrich NiereZur Einheitlichkeit der Abwägungsentscheidung im Stadtstaat ............................................................................................. 153

    Till SteffenZum Verhältnis von BAFöG-Leistungen und Arbeitslosengeld II ............................................................................................. 157

  • II NordÖR 4/2008

    Rechtsanwälte des Monats

    Die Schriftleitung der NordÖR dankt den Rechtsanwaltskanzleien und Sozietäten in den norddeutschen Bundesländern, die durch Ihre Anzeigen den Erfolg und die weitere Verbreitung unserer Zeitschrift inhaltlich und finanziell sichern. Das April-Heft wird von der Kanzlei Dr. Ernst, Franke, Hammann, Bressel unterstützt:

  • NordÖR 4/2008

    Der Beitrag beschäftigt sich anlässlich einer jüngst ergangenen Entscheidung des OVG Bremen mit den rechtlichen Anforderungen an Landesplanung und Bauleitplanung in Bremen. Dabei wird be-sonderes Gewicht auf einzelhandelsrelevante Aspekte gelegt und eine Übertragung der Rechtsprechung auf die Länder Berlin und Hamburg erwogen.

    I. Einleitung

    Ansiedlungsvorhaben im Bereich des großflächigen Einzelhan-dels stellen unverändert einen Schwerpunkt der planungsrecht-lichen Auseinandersetzungen in Rechtsprechung und Literatur dar. Anfänglich war die planungsrechtliche Debatte vor allem auf die originär bauleitplanerische Bewältigung von Einzelhan-delsansiedlungen ausgerichtet. Diesbezüglich erfolgte durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in weiten Berei-chen für die Praxis eine abschließende Klärung, beispielhaft sei auf die Zweibrücken-Entscheidung zu Ansiedlungen im Außen-bereich1 und zahlreiche Entscheidungen zur Bestimmung der Großflächigkeitsgrenze nach § 11 Abs. 3 BauNVO2 verwiesen. In jüngerer Zeit gewinnen demgegenüber zunehmend Fragen der landesplanerischen Steuerung des großflächigen Einzelhandels bzw. deren Wirkungen auf den Bereich der Bauleitplanung an Bedeutung.3 Zu nennen sind hier beispielsweise die Annahme einer u.a. aus § 1 Abs. 4 BauGB hergeleiteten Erstplanungspflicht in der Mülheim-Kärlich-Entscheidung des Bundesverwaltungs-gerichts4 und die Auseinandersetzungen in der Literatur um die Zielqualität von zentralörtlichen Ausweisungen i.S.v. Kongru-enz- und Integrationsgebot bzw. Beeinträchtigungsverbot5.

    Daneben ist auf die aktuell auflebende Diskussion in Folge der Rechtsprechung des OVG Münster und eines Beitrags von

    Abhandlungen

    Einzelhandelsbezogene Landes- und Bauleitplanung in der Freien Hansestadt Bremen – zugleich Anmerkung zu OVG Bremen, NordÖR 2008, 69

    Von Dr. Albert Ingold*

    * Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Verwal-tungswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin.

    1 BVerwGE 117, 25. 2 BVerwGE 124, 364; BVerwG, BauR 2004, 1735; BVerwG, BauR 2006, 648;

    BVerwG, NVwZ 2006, 340; BVerwG, ZfBR 2007, 684. 3 Aktuell wird speziell die Steuerungsebene der Regionalplanung dies-

    bezüglich kritisch in den Blick genommen; vgl. Uechtritz, NVwZ 2007, 1337.

    4 BVerwGE 119, 25. 5 Spannowsky, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, § 7 ROG [Lfg.: 2/05],

    Rn. 64 ff.; Ingold, Erstplanungspflichten im System des Planungsrechts, 2007, S. 274 ff., jew. m.w.N.; speziell hinsichtlich des jüngst in den De-battenmittelpunkt rückenden Integrationsgebots: Ernst, Standortsteu-erung durch Landesplanung und kommunale Bauleitplanung, 2006, S. 133 ff.; Kopf, Rechtsfragen bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroß-projekten, 2002, S. 266 f.; Schneider, Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Factory Outlet Centern, 2003, S. 127; Hoppe, DVBl 2001, 81 (87); ders., NWVBl 1998, 461 (466 f.).

    6 OVG Münster, BauR 2007, 845; Kuschnerus, Der standortgerechte Einzel-handel, 2007, Rn. 333 ff. u. Rn. 679 ff.

    7 BVerwG, Urt. v. 11.10.2007, Az.: 4 C 7/07 (JURIS), Rn. 18 ff.

    141

    NordÖRZeitschrift für öffentliches Recht in NorddeutschlandHerausgegeben von

    Prof. Dr. Wilfried Erbguth, Universität Rostock – Hans-Jürgen Ermisch, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Hamburg – Dr. Rolf Gestefeld, Präsident des OVG Hamburg – Prof. Dr. Hans-Joachim Koch, Universität Hamburg – Hannelore Kohl, Präsidentin des OVG Greifswald – Dr. Hubert Meyer, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Niedersächsischen Landkreistages – Dr. Herwig von Nieuwland, Präsident des OVG Lüneburg – VRiVG Prof. Dr. Ulrich Ramsauer, Universität Hamburg – Prof. Dr. Alfred Rinken, Präsident des Staatsgerichtshofes der Freien Hansestadt Bremen, Universität Bremen – Hans-Joachim Schmalz, Präsident des OVG Schleswig – Dr. Wolfgang Schrödter, Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Städtetages – Matthias Stauch, Präsident des OVG Bremen – Prof. Dr. Kay Waechter, Universität Hannover

    Zentrale Schriftleitung: VRiVG Prof. Dr. Ulrich Ramsauer, Hamburg

    Landesschriftleitungen in Bremen, Greifswald, Hamburg, Lüneburg, Schleswig Heft 4/2008

    Kuschnerus hinzuweisen, welche hinsichtlich der (gerichtli-chen) Bestimmung städtebaulicher Auswirkungen von Einzel-handelsansiedlungen eine grundsätzliche Skepsis gegenüber gutachterlichen Umsatzumverteilungsprognosen äußern und insoweit eine Umorientierung der Rechtsprechungspraxis be-fürworten.6 Das Bundesverwaltungsgericht ist diesen grundsätz-lichen Bedenken in einer jüngst ergangenen Entscheidung für den Sachbereich des § 34 Abs. 3 BauGB entgegengetreten, hat jedoch einen tatsachengerichtlichen Auswahlvorbehalt hin-sichtlich der methodischen Bestimmung von Kaufkraftabflüs-sen anerkannt.7

  • NordÖR 4/2008142

    Es stellt sich insoweit die Frage, welche Handhabe sich hin-sichtlich dieser Problemkreise speziell in den Stadtstaaten eta-bliert, die – jedenfalls bislang – für ihr Stadtgebiet über kein ausdifferenziertes Zentrale-Orte-Konzept verfügen. Das jüngst ergangene Urteil des OVG Bremen ist in dieser Situation rich-tungsweisend.

    II. Die Entscheidung des OVG Bremen

    Das OVG Bremen hatte anlässlich seines Urteils vom 30.10.20078 in einem Normenkontrollverfahren über die Rechtmäßigkeit eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans der Stadtgemeinde Bremen zu befinden. Gegenstand des Bebauungsplans war die Ansiedlung eines großflächigen Einrichtungshauses und eines SB-Möbelmarktes an der Landesgrenze Bremens mit einer Ge-samtverkaufsfläche von ca. 40.000 m². Antragsteller in diesem Verfahren waren eine Nachbargemeinde und ein benachbarter Landkreis, die behaupteten, durch die Bauleitplanung in ihrer kommunalen Planungshoheit bzw. ihren Rechten als Träger der Regionalplanung verletzt zu sein.

    Das Gericht hat beide Anträge abgewiesen.

    Hinsichtlich des benachbarten Landkreises sei der Antrag be-reits unzulässig. Denn eine § 2 Abs. 2 S. 1 BauGB vergleichbare Vorschrift gebe es für Landkreise nicht und auch aus Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG ließe sich vorliegend kein Recht ableiten, das durch die Bauleitplanung Bremens potenziell verletzt sein könn-te.

    Der Normenkontrollantrag der Nachbargemeinde stelle sich demgegenüber als zulässig, aber unbegründet dar.

    Es liege kein Verstoß gegen § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB vor, denn das Ziel der Stadtgemeinde Bremen, dem oberzentralen Versor-gungsdefizit Bremens im Möbelsektor entgegenzuwirken und Leerstände zu verhindern, rechtfertige die Planung städtebau-lich.

    Auch seien sämtliche für die planerische Abwägung bedeutsa-men Belange in den wesentlichen Punkten gem. §§ 2 Abs. 3, 214 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauGB zutreffend ermittelt und bewertet wor-den. Dies gelte vor allem hinsichtlich der Auswirkungen des Pla-nungsvorhabens auf Vorhabensgemeinde und Nachbargemein-den. Insoweit knüpft das Gericht maßgeblich an das Kriterium des Kaufkraftabflusses zur Bestimmung der Umsatzumverteilun-gen an, betont zugleich jedoch, dass es sich dabei zunächst aus-schließlich um ermittelte wirtschaftliche Auswirkungen handele. Der Planungsträger durfte deshalb die Ermittlung auf Umsat-zumverteilungen zu Lasten des vorhandenen Einzelhandels in der Innenstadt beschränken. Denn städtebauliche Auswirkungen kämen allein bei negativen Auswirkungen auf zentrale Versor-gungsbereiche oder auf die verbrauchernahe Versorgung in Be-tracht. Derartige Funktionen erfülle vorliegend ausschließlich die Innenstadt der Nachbargemeinde.

    Ferner kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass auch keine fehlerhafte Abwägung vorgenommen worden sei. Private und öffentliche Belange seien ordnungsgemäß gegeneinander ab-gewogen worden. Das OVG Bremen führt wörtlich aus: „Die Antragsgegnerin ist rechtlich nicht gehalten, Bemühungen der Antragstellerin zu 1. um eine Stärkung von deren Funktion als Mittelzentrum Vorrang vor der Verbesserung ihrer eigenen Funktion als Oberzentrum einzuräumen.“9

    Zuletzt verstößt der Bebauungsplan nach Auffassung des OVG Bremen auch nicht gegen das Entwicklungsgebot aus § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB. Denn dieser sei wirksam aus einem im Par-allelverfahren gem. § 8 Abs.3 BauGB geänderten Flächennut-

    Abhandlungen Albert Ingold

    zungsplan entwickelt worden. Gegen die Wirksamkeit des Flä-chennutzungsplans ließe sich nicht anführen, dieser verstoße seinerseits gegen raumordnungsrechtliche Vorgaben. Zwar gebe es in Bremen derzeit kein verbindliches Landesraumordnungs-recht. Das Fehlen eines Landesplans führe jedoch nicht zur Un-wirksamkeit des Flächennutzungsplans.

    III. Rechtliche Bewertung

    Die Argumentation des OVG Bremen überzeugt weitestge-hend. Im Folgenden soll auf einzelne Aspekte des Urteils und de-ren Bedeutung jenseits des entschiedenen Einzelfalls gesondert eingegangen werden.

    1. Niedersächsische Regionalplanung

    Soweit das Gericht die Antragsbefugnis des benachbarten Land-kreises aus § 47 Abs. 2 VwGO abgelehnt hat, da eine Beeinträch-tigung der Regionalplanung durch die bremische Bauleitpla-nung ausgeschlossen werden könne, ist diese Argumentation im Ergebnis zutreffend. Seitens des Gerichts wurde indes leider explizit offen gelassen, inwieweit sich ein niedersächsischer Landkreis als Träger der Regionalplanung generell überhaupt auf Art. 28 Abs. 2 GG berufen kann.

    Denn das „Recht der Selbstverwaltung“ aus Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG genießt ein Landkreis nur im Rahmen der ihm übertrage-nen Selbstverwaltungsaufgaben.10 Weder die Landesplanung als staatliche Aufgabe, noch die Regionalplanung als „staatliche Landesplanung für Teilräume“ gehört indes eindeutig zu den Selbstverwaltungsaufgaben.11

    Deshalb vermag § 26 Abs. 1 S. 1 NROG, der den niedersächsi-schen Landkreisen die Regionalplanung als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises zuweist, die Regionalplanung nicht wirksam der Selbstverwaltungsgarantie zu unterstellen. Soweit die ständi-ge Rechtsprechung des niedersächsischen OVG aus dieser Norm ableitet, den Landkreisen sei die regionalplanerische Planungs-hoheit als wehrfähiges Recht zugewiesen,12 ist diese Auffassung mit § 9 Abs. 4 ROG unvereinbar. Denn diesbezüglich weist die herrschende Literaturauffassung zu Recht darauf hin, dass § 26 Abs. 1 S. 1 NROG gegen die Vorgabe aus § 9 Abs. 4 ROG verstößt, demzufolge nur regionale Planungsgemeinschaften oder staatliche Planungsstellen Träger der Planung sein können.13 Die isolierte Zuweisung der Regionalplanung an die einzelnen niedersächsi-schen Landkreise ist wegen Verstoßes gegen rahmenrechtliche Vorschriften folglich unwirksam und vermag keine landes-rechtliche Zuweisung regionalplanerischer Planungshoheit als Grundlage für eine wehrfähige Rechtsposition aus Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG zu begründen. Insoweit hat das OVG Bremen es vorlie-gend leider versäumt, der jedenfalls derzeitig rechtswidrigen

    8 OVG Bremen, NordÖR 2008, 69 (69 ff.). 9 OVG Bremen, Urt. v. 31.10.2007, Az.: 1 D 147/07 (JURIS), Rn. 95. 10 BVerfGE 83, 363 (383); vgl. auch Tettinger, in: v.Mangoldt/Klein/Starck,

    Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 28 Abs. 2 GG, Rn. 237. 11 Steiner, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2006, V, Rn. 26;

    Battis, Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, 5. Aufl. 2006, S. 36; Krebs, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, 4. Kap., Rn. 59.

    12 OVG Lüneburg, DÖV 2001, 524, m.w.N. 13 Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, § 6 ROG [47. Lfg.], Rn. 30;

    Battis, Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, 5. Aufl. 2006, S. 36; vgl. auch Knemeyer, BayVBl 1980, 15, 17; Bunse, DVBl 1984, 420 (425); Dörr, in: Achterberg/Püttner/Würtenberger, Besonderes Verwal-tungsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, § 7, Rn. 161.

  • NordÖR 4/2008 143

    Praxis des niedersächsischen Raumordnungsrechts exempla-risch entgegenzuwirken.14

    2. Anforderungen an Umsatzumverteilungsgutachten

    Vollumfänglich begrüßenswert sind demgegenüber die Ausfüh-rungen des Gerichts zu den Anforderungen an die gutachterlich der Abwägung zugrunde gelegten Umsatz- bzw. Kaufkraftum-verteilungsgutachten.

    Zunächst ist festzuhalten, dass das Gericht insoweit von der grundsätzlichen Tauglichkeit derartiger Gutachten zur Ermitt-lung städtebaulicher Auswirkungen einer Bauleitplanung aus-geht. Es stellt zudem zutreffend dar, dass die städtebauliche Verträglichkeit nicht automatisch bejaht oder verneint werden kann, wenn der Kaufkraftabfluss einen bestimmten Grenzwert über- bzw. unterschreitet, sondern vielmehr die individuellen Gegebenheiten des Vorhabens und der betroffenen Versorgungs-zentren berücksichtigt werden müssen. Insoweit schließt sich das OVG Bremen in der Sache den seitens des OVG Münster15 und durch Kuschnerus16 formulierten Vorbehalten gegen die gutachterlich determinierte Handhabe einer starren (zumeist 10 %-igen) Kaufkraftabflussschwelle an.17 Nicht geteilt wird in-des – in Übereinstimmung mit der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts18 – deren generelle Skepsis ge-genüber Kaufkraftabzugsgutachten als solchen. Auch misst das OVG Bremen dem Kriterium des Kaufkraftabzugs – anders als die Vertreter vorgenannter Auffassung – nicht lediglich eine bloße (erste) Indikatorenwirkung bei.

    Vielmehr vertritt das OVG Bremen eine vermittelnde Position, welche die durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-gericht für Tatsachengerichte eröffnete methodische Kriterien-auswahl sachgerecht ausübt19 und in dieser Form allgemeine Zustimmung finden sollte. Denn es wird für die planerische Ab-wägung darauf hingewiesen, dass Kaufkraftabzugsgutachten der Sache nach eine Prognose enthielten, so dass allein aus prognos-tisch divergierenden Gutachten nicht automatisch die Pflicht zur Einholung weiterer Gutachten oder ein Ermittlungsfehler resultiere, solange die jeweilige Prognose von einem zutreffen-den Sachverhalt ausgehe und auf einer methodisch anerkann-ten Vorgehensweise beruhe. Diese Betrachtung trägt speziell der Situation von Planungsträgern angemessen Rechnung, da im Rahmen einer Planungsentscheidung, welche ihrerseits struktu-rell auf eine Zukunftsgestaltung ausgerichtet ist, typischerweise prognostische Elemente die Abwägung bestimmen werden, so dass die jeweiligen Planungsträger fachlich u.a. auf Kaufkraftab-zugsgutachten angewiesen sind.20

    Es kann demnach einem Planungsträger nicht als Ermitt-lungsfehler angelastet werden, dass dieser sich nach eingehen-der Befassung mit den betreffenden Gutachten dafür entschei-det, einer Prognose auf Grundlage einer gesicherten fachlichen Einschätzung und Bewertung zu folgen. Bannasch weist in die-sem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass ein methodisch korrekt erstelltes Marktgutachten eine ihm folgende Abwägung der Gemeinde trägt und sich später einstellende negative Abwei-chungen oder gegenteilig ausfallende Gerichtsgutachten ex post keinen Abwägungsfehler zu begründen vermögen.21 Mit ande-ren Worten gingen also Prognoseunsicherheiten nicht zu Lasten der planenden Gemeinde.

    3. Aussagen zum Landesplanungsrecht

    Speziell für die bremische Landesplanung sind die Aussagen des OVG Bremen zum Verhältnis von Landesplanungsrecht und Bauleitplanung von erheblicher Bedeutung.

    a) Landesplanerisches Umsetzungsdefizit

    Das Gericht hat zunächst deutlich hervorgehoben, dass Bremen derzeit ein landesplanerisches Umsetzungsdefizit hinsichtlich der Vorgaben des ROG aufweist.

    Gem. § 8 Abs. 1 S. 1 ROG ist für das Gebiet jedes Landes ein Raumordnungsplan aufzustellen; es handelt sich um eine objek-tiv determinierte Erstplanungspflicht der Länder.22 Über einen solchen Raumordnungsplan verfügt Bremen derzeit nicht. Das Landesraumordnungsprogramm aus dem Jahr 1981 wurde durch Entscheidung des Staatsgerichtshofs im Jahr 1983 für nicht ver-bindlich erklärt.23 Seitdem wurde kein verbindlicher Landesplan aufgestellt.24

    Zwar besteht für das Land Bremen gem. § 8 Abs. 1 S. 1 ROG die Möglichkeit, optional Landesplanung im Wege eines Flächen-nutzungsplans zu betreiben. Diesbezüglich nahm die bisherige Rechtsprechung des OVG Bremen an, dass bremische Flächen-nutzungspläne die Funktion eines Raumordnungsplans wahr-nähmen.25 In der vorliegenden Entscheidung distanziert sich das OVG Bremen ausdrücklich von dieser Rechtsprechung und stellt zutreffend fest, dass derzeit in Bremen die optionale Ab-hilfemöglichkeit des § 8 Abs. 1 S. 2 ROG nicht wahrgenommen wird.26 Dies ergibt sich zum einen aus dem Willen des Plange-bers, welcher keine eigenen raumordnerischen Regelungen tref-fen wollte, sondern sich ausdrücklich auf anderweitig festgeleg-te raumordnerische Bindungen bezog.27 Zum anderen scheitert eine Funktionsübernahme i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 2 BauGB daran, dass der bremische Flächennutzungsplan tatsächlich jegliche qualifizierte Festlegung zur Raumstruktur gem. § 7 ROG i.V.m. § 8 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 ROG vermissen lässt.28

    14 An dieser Stelle soll dahinstehen, inwieweit der niedersächsische Ge-setzgeber infolge der Abweichungskompetenzen durch die Födera-lismusreform rechtlich in der Lage wäre, eine § 26 Abs. 1 S. 1 NROG entsprechende Regelung nunmehr nach Fortfall der Rahmengesetzge-bungskompetenz wirksam zu erlassen. Denn jedenfalls steht ein Neuer-lass bzw. eine gesetzgeberische Abweichungsentscheidung nach neuem Recht derzeit noch aus; die Zuweisung beurteilt sich übergangsweise gem. Art. 125b Abs. 1 GG nach bisherigem Recht, so dass die Rechtswid-rigkeit vorerst weiter andauert.

    15 OVG Münster, BauR 2007, 845 (850 ff.). 16 Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, 2007, Rn. 338 ff. u.

    Rn. 680 ff. 17 Eine gewisse Skepsis gegenüber starren Schwellenwerten ist auch in der

    Rechtsprechung des BVerwG angedeutet: BVerwG, NVwZ 2004, 220 (223).

    18 BVerwG, Urt. v. 11.10.2007, Az.: 4 C 7/07 (JURIS), Rn. 18 ff. 19 Vgl. dazu: BVerwG, Urt. v. 11.10.2007, Az.: 4 C 7/07 (JURIS), Rn. 22. 20 Diese Notwendigkeit eines Rückgriffs auf das Kriterium des Kaufkraft-

    abzugs erkennt auch das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 11.10.2007, Az.: 4 C 7/07 [JURIS], Rn. 16 ff.) explizit an.

    21 Bannasch, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öffentlichen Bau-rechts, Z II [14. EL], Rn. 176.

    22 Vgl. dazu: Ingold, Erstplanungspflichten im System des Planungsrechts, 2007, S. 192 ff., insbes. auch zu den Auswirkungen der Föderalismusre-form auf raumordnungsrechtliche Erstplanungspflichten.

    23 StGH Bremen, DVBl 1983, 1144. 24 Zu anderen landesplanerischen Ansätzen Bremens vgl. Grooterhorst/

    Schwencke, NordÖR 2007, 442 (444). 25 OVG Bremen, Urt. v. 10.12.2001, 1 D 203/01 (JURIS), Rn. 114: Es „ist

    darauf zu verweisen, daß ein Raumordnungsverfahren in Bremen nicht stattfindet, vielmehr der Flächennutzungsplan die Funktion des Raum-ordnungsplans übernimmt (§ 8 Abs. 1 ROG). Das Verfahren zur Ände-rung des Flächennutzungsplans läuft gegenwärtig. Dem Abstimmungs-gebot nach § 8 Abs. 2 ROG kann in diesem Verfahren genüge getan werden.“

    26 So auch: Grooterhorst/Langguth, NordÖR 2008, 107, Fn. 5. 27 Vgl. Flächennutzungsplan Bremen, Erläuterungsbericht 1983, Teil A, 1.

    S. 1. 28 Vgl. zum Streit, ob ein funktionsübernehmender Flächennutzungsplan

    i.S.v. § 8 Abs. 1 S. 2 ROG an die Festsetzungsmöglichkeiten des ROG ge-bunden ist: Dallhammer, in: Cholewa/Dyong/von der Heide/Arenz, § 8 ROG, Rn. 37; Koch, in: Hoffmann-Riem/Koch, Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2006, 211, 214 f.; jew. m.w.N.

    Albert Ingold Abhandlungen

  • NordÖR 4/2008144

    Nach nunmehr allgemeiner Auffassung verfügt das Land Bre-men raumordnungsrechtlich demnach über keinen Landesplan und kommt der Erstplanungspflicht aus § 8 Abs. 1 S. 1 ROG der-zeit nicht nach.

    b) Auswirkung auf die Bauleitplanung

    Damit richtet sich der Blick auf die Frage, ob und ggf. wie sich ein solches raumordnungsrechtliches Defizit auf die bremische Bauleitplanung auswirkt.

    aa) Keine Pflicht zum landesplanersetzenden Flächennutzungs-plan. Nach zutreffender Auffassung des Gerichts besteht keine Verpflichtung der bremischen Bauleitplanungsträger zu raum-ordnerischen Festsetzungen mittels eines Flächennutzungs-plans. Insbesondere sind die Planungsträger weder bundes- noch landesrechtlich zur Aufstellung eines landesplanersetzenden Flächennutzungsplan angehalten.

    Entgegen teilweise geäußerter Auffassung folgt eine solche Pflicht für das Landesgebiet Bremens nicht aus § 8 Abs. 1 S. 2 ROG. Zur Begründung einer solchen Pflicht wird geltend ge-macht, diese aktualisiere sich in dem Moment, „wenn das Bun-desland Bremen von seiner Befugnis zur Landesplanung nicht oder nicht wirksam Gebrauch“ mache.29 Diesbezüglich komme eine formelle oder eine materielle Anknüpfung in Betracht. Bei formeller Betrachtung sei für die Pflicht zur raumordnerischen Flächennutzungsplanung aus § 8 Abs. 1 S. 2 ROG entscheidend, ob eine ausdrückliche oder konkludente Willensäußerung des Landes Bremen gegeben sei, für das Landesgebiet keinen Lan-desplan aufzustellen.30 Lege man demgegenüber ein materielles Kriterium zugrunde, komme es allein darauf an, ob tatsächlich ein wirksamer Plan i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 1 ROG für das Landesgebiet aufgestellt worden sei.31 Nach beiden Kriterien ergebe sich für das Land Bremen eine Pflicht zur Raumordnungsplanung mit-tels Flächennutzungsplan.

    Diese Rechtsauffassung ist jedoch zurückzuweisen. Die Ver-treter dieser Auffassung verkennen nämlich bereits, dass aus § 8 Abs. 1 S. 2 ROG dogmatisch keine Pflicht der kommunalen Bauleitplanungsträger resultieren kann. Adressat der Norm ist ersichtlich ausschließlich das jeweilige Bundesland. Allein für dessen Gebiet ist nach § 8 Abs. 1 S. 1 ROG ein übergeordneter Landesplan aufzustellen. Für die Stadtstaaten wird ergänzend durch § 8 Abs. 1 S. 2 ROG lediglich eine optionale Abhilfemög-lichkeit eingeräumt. Adressat dieser Option ist jedoch unverän-dert das betreffende Land. Selbst wenn sich ein Stadtstaat dazu entschließen sollte, von der Möglichkeit nach § 8 Abs. 1 S. 2 ROG Gebrauch zu machen, so besteht die raumordnungsrecht-liche Verpflichtung durch das ROG allein gegenüber dem jewei-ligen Land.32 Ein „Durchgriff“ der Pflichtigkeit auf die Träger der kommunalen Bauleitplanung scheidet insoweit dogmatisch aus; deren Wahrnehmung der Landesplanung im Sinne einer Über-antwortung durch das Land kann sich allein nach Maßgabe des Landesplanungsrechts ergeben. Vorliegend findet sich jedoch keine Bestimmung, welche Bremen oder Bremerhaven zu raum-ordnerischen Festsetzungen in ihren Flächennutzungsplänen anhält. Selbst wenn es eine solche Vorschrift gäbe, wäre dennoch Adressat der Verpflichtung aus § 8 Abs. 1 ROG unverändert das Land Bremen. Dieses würde sich zur Erfüllung seiner Verpflich-tung lediglich die kommunale Flächennutzungsplanung zu Ei-gen machen, ohne dass die Träger der kommunalen Bauleitpla-nung unmittelbar raumordnungsrechtlich verpflichtet wären.

    Entgegen aktueller Literaturstimmen kann in Ermangelung einer Pflicht zur raumordnungswahrnehmenden Bauleitpla-nung ein Flächennutzungsplan bei Verzicht auf raumordneri-sche Festsetzungen auch nicht gegen §§ 8 Abs. 1 S. 2, 7 ROG ver-

    stoßen.33 Dies wird durch eine Kontrollüberlegung besonders deutlich: Der Flächennutzungsplan der Stadtgemeinde Bremen wurde am 12.07.1983 im Amtsblatt bekannt gemacht. Im Erläu-terungsbericht wurde explizit auf das Landesraumordnungspro-gramm Bremens vom 03.03.1981 Bezug genommen und eine planerische Berücksichtigung von dessen Aussagen in Aussicht gestellt.34 Durch Entscheidung vom 22.08.1983 – ca. einen Mo-nat nach Bekanntgabe des Flächennutzungsplans –, wurde durch den Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen die Unwirk-samkeit des Landesraumordnungsprogramms festgestellt.35 Der Flächennutzungsplan entspräche also bei konsequenter Anwen-dung der vorgenannten Auffassung nicht den Anforderungen des § 8 Abs. 2 S. 2 ROG (bzw. dessen Vorgängernormen), da er auf gebotene raumordnungsrechtliche Festsetzungen verzich-tet, und wäre folglich rechtwidrig. Würde man eine Pflicht zur Raumordnungsplanung durch den Flächennutzungsplan aner-kennen, so könnte letztlich die Landesplanung durch ihre Un-tätigkeit bzw. Fehlerhaftigkeit zugleich über die Rechtmäßigkeit der kommunalen Bauleitplanung disponieren. Dieses Ergebnis wäre indes mit Art. 28 Abs. 2 GG hinsichtlich der kommunalen Planungshoheit unvereinbar, da dem Landesgesetzgeber betref-fend den bundesrechtlich als Selbstverwaltungsaufgabe den Ge-meinden zugewiesenen Aufgaben keine materielle Determinati-onsbefugnis zukommen kann. Selbst wenn man also eine Pflicht des Bauleitplanungsträgers aus § 8 Abs. 1 S. 2 ROG annähme, so dürften jedenfalls raumordnerische Mängel nicht auf die Ebene der Bauleitplanung durchschlagen.36

    Deshalb ist der Rechtsprechung des OVG Bremen, wonach die Funktion eines Flächennutzungsplans gem. § 5 Abs. 1 S. 1 BauGB durch das Fehlen eines Raumordnungsplans nach dem ROG nicht berührt werde, angesichts von Art. 28 Abs. 2 GG und des Ebenensystems der Gesamtplanung zuzustimmen.

    bb) Bindung an allgemeines Raumordnungsrecht. Zu Recht geht das OVG Bremen auch davon aus, dass demgegenüber eine Bindung der Flächennutzungsplanung an die unmittelbar gel-tenden Vorgaben des Raumordnungsrechts besteht. So sind vor allem die Grundsätze der Raumordnung (§ 3 Nr. 3 ROG) gem. § 4 Abs. 2 ROG in der Abwägung zu berücksichtigten.37 Aus dieser Vorgabe kann jedoch keine Bindung an die Ziele und sonstigen raumordnerischen Festlegungen eines Nachbarlandes hergelei-tet werden, da sich dessen Raumordnungsprogramm kompeten-ziell allein auf dessen Landesgebiet beziehen kann.38 Eine ande-re Handhabe würde auf eine bundesweite Gleichförmigkeit der Raumordnungsplanung hinauslaufen und wäre mit der födera-len Planungsautonomie unvereinbar.

    29 Grooterhorst/Schwencke, NordÖR 2007, 442 (443); Grooterhorst/Langguth, NordÖR 2008, 107 (108).

    30 Grooterhorst/Schwencke, NordÖR 2007, 442 (443). 31 Grooterhorst/Schwencke, NordÖR 2007, 442 (444). 32 Dies folgt gesetzestechnisch bereits aus dem derzeitig (noch) gegebenen

    Charakter des ROG als Rahmengesetz, vgl. Art. 125b S. 1 u. S. 2 GG. 33 So aber: Grooterhorst/Schwencke, NordÖR 2007, 442 (445); Grooterhorst/

    Langguth, NordÖR 2008, 107 (108). 34 Vgl. Flächennutzungsplan Bremen, Erläuterungsbericht 1983, Teil A,

    1. S. 1: „Die in dem Landesraumordnungsprogramm Bremen [...] dar-gestellten Ziele der Raumordnung und Landeplanung sind bei der Auf-stellung des Flächennutzungsplans, soweit sie Auswirkungen auf die Grundzüge der Bodennutzung haben, berücksichtigt worden“.

    35 StGH Bremen, DVBl 1983, 1144. 36 Dieser Grundsatz gilt auch hinsichtlich des von Grooterhorst/Schwencke

    (NordÖR 2007, 442 [445 f.]) unterstellten Abwägungsdefizits des bremi-schen Flächennutzungsplans infolge Bezugnahme auf das unwirksame Landesraumordnungsprogramm. Jener Gesichtspunkt der planerischen Abwägung betont vielmehr deutlich den planerischen Vorbehalt derge-stalt, dass die Raumordnungsplanung Bremens anderweitig und eben nicht mittels Flächennutzungsplanung erfolgen soll.

    37 Zur dogmatischen Handhabe als Abwägungsdirektiven vgl.: Runkel, in: Bielenberg/Runkel/Spannowsky, § 3 ROG [Lfg.: 2/06], Rn. 182 ff.

    38 OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2007, 7 (12 f.).

    Abhandlungen Albert Ingold

  • NordÖR 4/2008 145

    Dies bedeutet indes nicht, dass insoweit kein Abstimmungs- und Rücksichtnahmegebot gegenüber der Raumordnungspla-nung eines Nachbarlandes für die Ebene der Flächennutzungs-planung greift.

    Zwar geht das OVG Bremen zutreffend davon aus, dass eine sol-che Abstimmungspflicht gegenüber einem Nachbarland nicht aus § 8 Abs. 2 ROG folgt. Ausweislich des Wortlauts erfasst diese Norm lediglich die Abstimmung von Landesraumordnungsplä-nen; eine unmittelbare Anwendung auf reine Flächennutzungs-pläne scheidet aus. Gleiches gilt für die regionalplanerische Ab-stimmung gem. § 9 Abs. 3 ROG.

    Jedoch kommt auch eine analoge Anwendung der Normen nicht in Betracht: Dies wird vom Gericht betreffend § 8 Abs. 2 ROG im Ergebnis zutreffend anerkannt. Versagt wird die analoge Anwendung mit dem Argument, dass die Bauleitplanung in ei-nem Nachbarland keine gewichtigen Auswirkungen auf die Lan-desplanung als solche nach sich ziehen dürfte. Demgegenüber hält das OVG Bremen eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 3 ROG für regionalplanerische Auswirkungen grundsätzlich für möglich und stellt insoweit fest, dass einer regionalplanerischen Abstimmungspflicht in diesem Fall genügt worden sei.

    Letztere Konstruktion ist indes darauf zu untersuchen, ob die Voraussetzungen für eine Analogie gegeben sind. Es ist insoweit zweifelhaft, ob überhaupt eine planwidrige Regelungslücke angenommen werden kann. Denn für den Bereich der Bauleit-planung als eigenständiger Gesamtplanungsebene folgt eine umfassende Abstimmungs- und Rücksichtnahmeverpflichtung bereits aus dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB.39 Raum-ordnungsrechtliche Auswirkungen sind danach jedenfalls als unbenannte öffentliche Belange in der Abwägung angemessen zu berücksichtigen.40 Hinzu kommt, dass bauleitplanerisch ein interkommunales Abstimmungsgebot in § 2 Abs. 2 BauGB ge-sondert ausgestaltet ist.41 § 2 Abs. 2 S. 2 BauGB weist bereits ex-plizit einen Bezug zu raumordnerischen Belangen auf. Es hätte vor diesem Hintergrund wohl sachlich näher gelegen, eine er-weiternde Auslegung dieser Norm zur Konkretisierung der Ab-stimmungsanforderungen vorzunehmen, als an raumordnungs-rechtliche Abstimmungsvorschriften analog anzuknüpfen.

    Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung von § 8 Abs. 2 ROG oder § 9 Abs. 3 ROG liegen also für den Bereich der Bauleitplanung nach vorzugswürdiger Auffassung generell nicht vor. Die Abstimmungspflicht in der Bauleitplanung bestimmt sich vielmehr allein nach Maßgabe der Abwägungsdirektiven des BauGB. Der Rechtsprechung des OVG Bremen ist insoweit lediglich im Ergebnis zu folgen: Es besteht eine materielle Ab-stimmungspflicht, der Genüge getan ist, wenn die konkreten Auswirkungen einer Planung auf die raumordnungsrechtlichen Belange anderer Planungsträger in die eigenen Planungserwä-gungen einbezogen und fehlerfrei ermittelt, bewertet und ge-wichtet werden.

    IV. Konsequenzen für die Landes- und Bauleitplanung in Bremen und den Stadtstaaten

    Abschließend ist der Frage nachzugehen, welche Konsequenzen das besprochene Urteil für die Landes- und Bauleitplanung in Bremen nach sich zieht. Daneben soll auch die Bedeutung des Urteils für die Stadtstaaten Berlin und Hamburg analysiert wer-den.

    Von allgemeiner Bedeutung – auch jenseits der Stadtstaaten – sind sicherlich die entwickelten Anforderungen an Planungsgut-achten als Grundlage für die planerische Abwägung. Insoweit ist zu wünschen, dass sich die Betonung des prognostischen Cha-

    rakters von Gutachten zur Umsatzumverteilung und Einzelhan-delsentwicklung durchsetzen wird: Einerseits erhöhen sich die Anforderungen an Gutachten, die städtebauliche Auswirkun-gen in Zukunft nicht schematisch anhand der Über- oder Un-terschreitung von Kaufkraftabzugsschwellenwerten bestimmen können. Andererseits wird deutlich, dass Divergenzen zwischen ordnungsgemäß erstellten Prognosen sowie das Prognoserisiko nicht auf die Rechtmäßigkeit planerischer Abwägungsentschei-dungen durchschlagen können.

    Hinsichtlich der landesplanerischen Auswirkungen für die Freie Hansestadt Bremen ist zunächst festzuhalten, dass durch das Urteil ein Planungsdefizit Bremens explizit benannt wurde. Das Land Bremen kommt derzeit seiner Erstplanungspflicht aus § 8 Abs. 1 ROG nicht nach. Insoweit ist der bremische Landesgesetz-geber angehalten, die Grundlage für eine bremische Landespla-nung zu schaffen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in Fol-ge der Föderalismusreform die Landesgesetzgeber gem. Art. 72 Abs. 3 Nr. 4 GG i.V.m. Art. 125b Abs. 1 S. 3 GG auf dem Gebiet des Raumordnungsrechts nunmehr abweichende Regelungen treffen können. Dem bremischen Gesetzgeber ist folglich glei-chermaßen die Möglichkeit eröffnet, durch Landesgesetz den Verzicht auf eine Landesplanung zu normieren. Letztlich kann also das Land Bremen über die derzeit bestehende Erstplanungs-pflicht aus § 8 Abs. 1 ROG disponieren. Für welche Alternative sich das Land Bremen entscheidet, ist letztlich planungspoliti-schen Zweckmäßigkeitserwägungen überantwortet.

    Für andere Bundesländer kommt eine landesplanerische Über-tragung von Maßstäben des Urteils von vornherein lediglich für die ebenfalls in § 8 Abs. 1 S. 2 ROG genannten Stadtstaaten in Betracht.

    In Berlin stellen sich indes die der Entscheidung zugrunde lie-genden Problemstellungen der Landesplanung – vor allem im Verhältnis zu Nachbarländern – nicht. Denn das Land Berlin unterhält zusammen mit dem Land Brandenburg eine gemein-same Landesplanungsabteilung als Träger der gemeinsamen Landesplanung, die in einem gemeinsamen LEPro und LEP eV – bzw. künftig im LEP B-B – als Landesplan i.S.d. § 8 Abs. 1 ROG mündet.42 Insoweit ist weder eine Implementierung von Anfor-derungen des § 7 ROG in einen Flächennutzungsplan noch die raumordnerische Abstimmungspflicht gegenüber dem einzigen Nachbarland für das Land Berlin zukünftig relevant.

    Somit ist der Blick allein auf die Freie und Hansestadt Hamburg zu richten. Hamburg verfügt ebenso wie Bremen über keinen übergeordneten Landesplan i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 1 ROG, sondern hat bislang allein einen Flächennutzungsplan aufgestellt. Nach dem Erläuterungsbericht des Flächennutzungsplans folgt dieser dem Konzept eines landesplanersetzenden Flächennutzungs-plans.43 Bei Übertragung der Anforderungen des OVG Bremen an einen landesplanersetzenden Flächennutzungsplan gem. § 8

    39 Vgl. allgemein zur Funktion des Abwägungsgebots als materieller raum-planerischer Koordinationsregel: Durner, Konflikte räumlicher Planun-gen, 2005, S. 331 ff.

    40 Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, 10. Aufl. 2007, § 1 BauGB, Rn. 104.

    41 Zum Regelungsumfang vgl. Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, 10. Aufl. 2007, § 2 BauGB, Rn. 22 ff.; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautz-berger, § 2 BauGB [85. Lfg.], Rn. 96 ff.

    42 Vgl. dazu: OVG Berlin-Brandenburg, LKV 2007, 32 (34), das die Frage, ob den Ländern neben der gemeinsamen Landesplanung noch die Mög-lichkeit landesplanerischer Aktivitäten jenseits der durch den Landes-planungsvertrag vorgesehenen Mechanismen und Institutionen ver-bleibt, offen gelassen hat.

    43 Vgl. Erläuterungsbericht des Flächennutzungsplans, Neubekanntma-chung vom Oktober 1997, S. 24, zit. nach Wickel, NordÖR 2003, 229 (231).

    Albert Ingold Abhandlungen

  • NordÖR 4/2008146

    Abs. 1 S. 2 ROG ergibt sich jedoch auch für das Land Hamburg, dass derzeit keine Umsetzung der landesplanerischen Erstpla-nungspflicht erfolgt ist. Insoweit wird zu Recht darauf hingewie-sen, dass der hamburgische Flächennutzungsplan weder zeich-nerische noch textliche Kennzeichnungen von Kerninhalten eines Raumordungsplans gem. § 7 Abs. 2 ROG aufweise.44 Die-ses Erfordernis ist jedoch vom OVG Bremen als Anforderung an einen qualifizierten Flächennutzungsplan gem. § 8 Abs. 1 S. 2 ROG – in Einklang mit der Begründung des Regierungsentwurfs ROG 199845 – ausdrücklich anerkannt worden. Nach Maßgabe dieser Rechtsprechung trifft also auch das Bundesland Ham-burg eine raumordnerische Erstplanungspflicht aus § 8 Abs. 1 ROG. Sollte sich Hamburg für die Variante eines landesplaner-setzenden Flächennutzungsplans entscheiden, können die Aus-führungen des OVG Bremen betreffend nachbargemeindliche Abstimmungserfordernisse indes nicht übertragen werden, da für diesen Fall § 8 Abs. 2 ROG und § 9 Abs. 3 ROG unmittelbar gälten.46

    Als abschließendes Ergebnis ist festzuhalten, dass der diesem Beitrag zugrunde liegenden Entscheidung des OVG Bremen eine weitreichende Bedeutung für die Landes- und Bauleitplanung der Freien Hansestadt Bremen beizumessen ist. Ebenso ist die hamburgische Landesplanung gehalten, sich mit den Anforde-rungen der Entscheidung auseinander zu setzen und planerisch zu reagieren. Ferner sollten die vom OVG Bremen entwickelten Anforderungen an Planungsgutachten allgemeine Beachtung finden.

    44 Koch, in: Hoffmann-Riem/Koch, Hamburgisches Staats- und Verwal-tungsrecht, 3. Aufl. 2006, 211, 214 f.; Wickel, NordÖR 2003, 229 (231).

    45 BT-Drs. 13/6392, S. 85. 46 Zum Erfordernis einer landesgrenzenüberschreitenden Planung für die

    Metropolregion Hamburg vgl. Koch, in: Hoffmann-Riem/Koch, Ham-burgisches Staats- und Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2006, S. 211 (S. 215).

    Konzepte zur Verbesserung der Finanzlage der Gebietskörperschaf-ten – ein Überblick

    Von Dr. iur. Friedrich L. Cranshaw*

    I. Einleitung

    In einem ersten Beitrag in dieser Zeitschrift1 im Zusammenhang mit dem Themenkreis der Verschuldung der öffentlichen Hand und etwaigen insolvenzrechtlichen Möglichkeiten, diese Situa-tion zu steuern, hatte der Verfasser unter dem Titel “Insolvenz(verfahrens)unfähigkeit von Gebietskörperschaften – ein geeig-neter Ansatz zur Sanierung öffentlicher Haushalte ?” das insol-venzrechtliche Konzept nicht für überzeugend gehalten. Eine andere Frage ist freilich, wie die finanzielle Enge der regionalen Gebietskörperschaften [Kommunen, Gemeindeverbände, Bun-desländer], aber auch sonstiger insolvenzunfähiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts, durch geeignete Maßnahmen gemildert werden kann, auch ohne dass jeweils ein (nur de lege ferenda einzuführendes) Insolvenzverfahren2 zur Verfügung steht. Einige wenige Aspekte sollen dazu nachfolgend behandelt werden. Ausgangspunkt ist die auch 2007 prekäre Haushalts- und Schuldenlage trotz der im Jahr 2006 noch kaum erhofften mas-siven Steigerung der Steuereinnahmen, eingeschlossen die Steu-ererhöhungen zum 01.01.2007.3 Aus finanzwissenschaftlicher Sicht u. a. wird aber aus gutem Grund unverändert vor den Ge-fahren der Verschuldung gewarnt.4 Bei den derselben entgegen wirkenden Steuerungsmaßnahmen soll nachfolgend zwischen eher „konservativen“ und eher innovativen bzw. alternativen Verfahrensweisen unterschieden werden. Alle Maßnahmen ver-mögen indes nur dann Verschuldungsstrukturen zu verbessern, wenn die gewonnenen Freiheitsgrade zum Abbau der Verschul-dung genutzt werden, jedenfalls nicht dazu, sofort wieder neue Aufgaben zu generieren. Entscheidend ist dabei u. a., dass nicht übergeordnete Körperschaften anderen ihre politischen Ziele auferlegen, ohne die Ausgaben hierfür zu definieren und zu fi-nanzieren.5 Die gelegentliche Debatte um Länderneugliederung

    * Rechtsanwalt in Mannheim 1 Cranshaw, Insolvenz(verfahrens)fähigkeit von Gebietskörperschaften

    – ein geeigneter Ansatz zur Sanierung öffentlicher Haushalte? NordÖR 2008, S. 97ff.

    2 Sofern dies verfassungsrechtlich überhaupt möglich wäre, siehe Crans-haw, Insolvenz- und finanzrechtliche Perspektiven der Insolvenz von ju-ristischen Personen des öffentlichen Rechts, insbesondere Kommunen, in der Reihe Smid/Zeuner/Schmidt, Schriften zum deutschen, europä-ischen und internationalen Insolvenzrecht, Band 7, Berlin 2007, Rdnr. 144 ff. = S. 109 ff., 177 ff. = S. 140 ff.

    3 Siehe den Beitrag „Steueraufkommen steigt im März um 16,4%“, Frank-furter Allgemeine Zeitung (FAZ) v. 14.04.2007, S. 12 (38,4 Mrd. €). Das In-stitut für Weltwirtschaft in Kiel rechnete im April 2007 mit im Vergleich zum Nov. 2006 noch einmal erhöhten Steuereinnahmen von 20 Mrd. € im Jahr 2007, FAZ v. 26.04.2007, S. 12, „Gute Konjunktur lässt Steuerein-nahmen sprudeln“.

    4 Vgl. Zimmermann, „Ein Land in der Kreide“, FAZ v. 14.04.2007, S. 13. Ziel ist für 2008 die Reduzierung des „Staatsdefizits auf null“, siehe zu dem Gutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute Frühjahr 2007, den Beitrag in der FAZ v. 19.04.2007, „Institute erwarten dauerhaften Auf-schwung“, S. 11. Zu einem kommunalen Beispiel: In Rheinland-Pfalz ist die Kommunalverschuldung trotz Einnahmensteigerungen um 496 Mio. € im Jahr 2006 angestiegen (auf 12,55 Mrd. €), siehe den „Kommu-nalbericht“ des Landesrechnungshofs, verfügbar auch unter www.rech-nungshof-rlp.de/Kommunalberichte/KB2006_gesamt.pdf – S. 3, Zusam-menfassende Darstellung mit dem Hinweis auf einen „im siebzehnten Jahr in Folge..negativen Finanzierungssaldo.“.

    5 Unbehelflich ist dabei der Hinweis auf etwa verfassungsrechtliche Hemmnisse der Finanzierung durch den Bund, weil dann auch nicht die Aufgabe auf Veranlassung des Bundes z.B. auferlegt werden darf. Ein anschauliches Beispiel hierfür aus der im Frühjahr 2007 aktuellen Politik ist erneut die Diskussion über Krippenplätze für Kinder unter drei Jah-ren, vgl. FAZ v. 03.04.2007, S. 1, „Ein Krippenplatz für jedes dritte Kind“ (wenn auch ohne förmlichen Rechtsanspruch), wobei nach Verlautba-rungen die Folgekosten den regionalen Gebietskörperschaften blieben, während der Bund nur die Investitionskosten finanzieren würde, siehe zur Bundestagsdebatte in der FAZ v. 28.04.2007, S. 4. Siehe auch Frank-furter Allgemeine Sonntagszeitung v. 06.05.2007, S. 1, „Wieder Stichelei-en in der Koalition“ mit dem Hinweis aus dem Parlament, der Bund sehe „verfassungsrechtlich keine Möglichkeit, dass der Bund in den Betrieb von Kinderbetreuungseinrichtungen einsteigt“.

    Abhandlungen Friedrich L. Cranshaw

  • NordÖR 4/2008 147

    (vgl. Art. 29 GG) oder Gebietsreformen in Bundesländern6 dürf-te wenig weiterhelfen. Neugliede-rungen auf Bundesebene sind verfassungsrechtlich faktisch nicht durchsetzbar. Kommunale Neugliederungen in Bundesländern sind vor dem Hintergrund gemeindlicher Identität sensibel, „Sanierungsfusionen“ wären auch vor dem Hintergrund der Erhöhung der Schuldenbelas-tung der aufnehmenden Körperschaft sicher im einzelnen hoch problematisch.

    II. Konzepte zur Verbesserung der Finanzlage

    1. Einnahmesteigerungen und Kostenreduzierungen – „klassische“ Maßnahmen mit Grenzen

    a) Bemühungen um die Erhöhung der Einnahmen

    Die wohlbekannten klassischen Maßnahmen bestehen einmal in der Einführung oder Erhöhung von Steuern, Gebühren, Bei-trägen und Abgaben. Die Grenzen liegen dort, wo bundes- oder landesrechtliche Vorschriften dem entgegenstehen bzw. wo etwa autonom festzusetzende Hebesätze ausgeschöpft sind. Eine weitere Grenze stellt die mit Erhöhungen der Abgaben sinkende Bereitschaft insbesondere von Unternehmen dar, sich in der be-troffenen Kommune anzusiedeln oder gar das Risiko, aus dersel-ben wegzuziehen. Umgekehrt gibt es freilich Ansiedlungsfälle, in denen etwa eine zu geringe Gewerbesteuer als Wettbewerbs-verzerrung zu Lasten anderer Kommunen betrachtet und „sank-tioniert“ wurde.7

    In diesen Zusammenhang gehört auch das Bemühen, mehr Leistungen im Wege des (Landes)Finanzausgleichs zu erhalten.8

    b) Die engen Spielräume bei den Kostenreduzierungen

    aa) Die Bindung an rechtlich bestehende Pflichten, das Konnexitäts-prinzip

    Die zweite wesentliche Komponente ist die Zielsetzung, den Anstieg der Ausgaben zu bremsen, die Ausgaben insgesamt zu begrenzen oder gar zu reduzieren. Kaum Entlastung ist auf je-nen Ausgabenfeldern möglich, jedenfalls nicht kurzfristig, die bundes- oder landesgesetzlich vorgeschrieben sind, z.B. auf dem Sektor der „Sozialhilfeleistungen“ und gesetzlich vorgegebenen Leistungen auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe. Auch die Personalausgaben der Gemeinden können insoweit nicht von ihnen selbst unmittelbar gesteuert werden, als Tarifgebun-denheit besteht und etwa der TVöD entsprechende Vorgaben z.B. für Einwertung, Vergütung und Arbeitszeit macht.9 Dasselbe gilt für bundes- oder landesrechtliche Regelungen, die bestimm-te Personalstrukturen vorschreiben, woran wiederum Zuschüsse geknüpft werden. Beispiel ist auch hier wieder der Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch die Klinikversorgung. Für die Vergütung der Organe und Beamten der Kommunen gilt vice versa dasselbe. Des weiteren kann nur ein wirklich sehr strikt ver-standenes Konnexitätsprinzip verhindern, dass den Kommunen oder auch den Ländern Aufgaben auferlegt werden, ohne dass für entsprechenden Kostenausgleich gesorgt wird. Insbesonde-re bei den Kommunen fallen Finanzierungsverantwortung und Entscheidung über die Kostenauferlegung häufig auseinander.10 Im Gefüge des deutschen Föderalstaats kommen sie als Teil der Länder vor, nicht aber verfassungsrechtlich als Teil des Gesamt-staats. Die Bundesrepublik ist insoweit zweigliedrig.

    bb) Die Beschränkung der freiwilligen Leistungen

    Bei der Kosteneinsparung steht somit zweifellos die Einschrän-kung freiwilliger Leistungen im Vordergrund, deren Förderung durch die Länder und im Rahmen des Finanzausgleichs auch

    6 Siehe z.B. zu den aktuellen Erwägungen in Rheinland-Pfalz zu kom-munalen Zusammenschlüssen den Beitrag „Kommunale Hochzeit mit Signalwirkung“ in der Zeitung „“Die Rheinpfalz“, Ludwigshafen, v. 02.05.2007, Teil Südwestdeutsche Zeitung. Bei der Diskussion wurde z.B. eine „Kopfprämie“ pro Einwohner der an der Fusion beteiligten Kom-munen in Höhe von 100 € als Leistung des Landes zur Förderung der Gebietsreform angedeutet.

    7 Das hat etwas mit dem landesinternen Finanzausgleich zu tun, siehe Cranshaw, Insolvenz- und finanzrechtliche Perspektiven...(Fn 1), Rdnr. 65a f. = S. 48 ff., nichts jedoch mit dem europäischen Beihilferecht. Ein niedriger Hebesatz bei der Gewerbesteuer, der die Attraktivität der Kommune steigert und zwar zu Lasten anderer Wettbewerber in anderen Gemeinden, deren Kosten dadurch erhöht werden, ist keine Beihilfe im Sinne des Art. 87 EG-Vertrag, sondern allgemeine, für jeden Gewerbetrei-benden geltende Bestimmung. Der „Steuerwettbewerb“ in der Gemein-schaft ist gang und gäbe und könnte nur durch harmonisierte Steuerge-setzgebung gelöst werden, die wiederum de lege lata (Art. 93 EG-Vertrag) nur bei indirekten Steuern möglich ist; siehe auch Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts auf das Insolvenzverfahren, Baden-Baden, 2006, S. 220 ff./223 ff. Zu der Thematik der interkommunalen Wettbe-werbsverzerrung durch niedrige kommunale Steuersätze siehe LVerfG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 13.06.2006 – LVG 7/05 – www.lverfg.justiz.sach-sen-anhalt.de .

    8 Dabei werden nicht selten Anträge an das Bundesverfassungsgericht (siehe die Klagen Berlins, Bremens und des Saarlands aus jüngster Zeit) bzw. die Verfassungsgerichte und Staatsgerichtshöfe der Länder gestellt, um eine Verbesserung des Finanzausgleichs zu erzielen.

    9 Ein Novum ist insoweit, dass nach einer Presseverlautbarung die Vereini-gung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VkA) in einer Klage gegen die Gewerkschaft verdi und die Tarifunion im Deutschen Beamtenbund vor dem Arbeitsgericht Berlin derzeit (April 2007) die Anwendung einer tarifvertraglichen Klausel anstrebt, um die Arbeitszeiten der privatrecht-lich angestellten Mitarbeiter durch Anpassung an die Länder auf wenig mehr als 40 Wochenarbeitsstunden heraufzusetzen – eine Maßnahme, die bei gleicher Mitarbeiterzahl die Kosten pro Arbeitsstunde senkt und hilft, entweder Personalzahlen abzubauen oder erhöhten Personalbedarf durch die vorhandenen Mitarbeiter zu decken, ohne die Personalzahlen zu erhöhen; vgl. dazu den Beitrag „Kommunen wollen 40-Stunden-Wo-che erzwingen“, FAZ v. 25.04.2007, S. 11

    10 Vgl. dazu das Beispiel in Fn 4. 11 BVerfG, Urt. v. 19.10.2006 – 2 BvF 3/03 – NVwZ 2007, 67 12 Vgl. z.B. LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 11.05.2006 – LV 1, 5,

    9/05 – NordÖR 2006, 443, zu IV 1 ff. der Gründe 13 Vgl. BVerfG, Urt. v. 19.10.2006 – 2 BvF 5/03, s.o., Absätze-Nrn. 216

    – 250.

    eher reduziert werden kann. In dem Berlin-Urteil des BVerfG vom 19.10.200611 ist auch deutlich von den Einsparmöglich-keiten auf diesem Sektor die Rede. Die Rechtsprechung von Landesverfassungsgerichten befasst sich ebenfalls damit. Wenn beispielsweise noch gewisse Mittel für die freiwilligen Aufgaben zur Verfügung stehen, ist das hinreichend und berechtigt nicht zu weitergehenden Geldforderungen gegenüber dem Land aus dem Finanzausgleich. Als maßgebliche Größe dient dabei u.a. der Vergleich mit den Gemeinden anderer Bundesländer und deren Einnahmen pro Einwohner.12 Das BVerfG hat im Berlin-Urteil zur Prüfung der Haushaltsnotlage u.a. die Kreditfinanzie-rungsquote und die Zins-Steuer-Quote ebenso berücksichtigt wie einen Vergleich der Einnahmen und Ausgaben Berlins mit Hamburg als vergleichbarem Stadtstaat und zwar auf einer gan-zen Reihe maßgeblicher Sektoren.13 Im Ergebnis wird damit die Selbstverständlichkeit gefordert, auf überkommene freiwillige Leistungen zu verzichten, wenn sie unbezahlbar werden. Die Kommunen müssen dann eine Auswahl dessen treffen, was sie an solchen Leistungen noch erbringen wollen. Vergleicht man die zitierte Rechtsprechung des BVerfG zu Berlin und des LVerfG Mecklenburg-Vorpommern zu den dortigen Gemeinden, so stellt man fest, dass die Notlage erst unter extremen Vorausset-zungen angenommen wird. Wagt man übrigens, bei aller gebo-tenen Vorsicht, einmal den Vergleich zu dem völkerrechtlichen Staatsnotstand wegen Zahlungsunfähigkeit, fällt eine Parallele auf: Auch dieser Einwand nach Art. 25 des Entwurfs der Völker-rechtskommission der Vereinten Nationen zur „Responsibility

    Friedrich L. Cranshaw Abhandlungen

  • NordÖR 4/2008148

    of States for Internationally Wrongful Acts“14, der die Durchset-zung von Ansprüchen gegen das Not leidende Staatswesen bis zur Behebung der Notlage hemmen soll, verlangt eine essentiel-le, geradezu existenzbedrohende Situation, die zudem nicht we-sentlich durch eigenes Handeln des Schuldners verursacht sein darf. Aus diesem Grunde hat das Schiedsgericht der Weltbank einen Staatsnotstand für Argentinien in dem bisher einzigen neueren Fall zum „Staatsnotstand“ nicht annehmen wollen.15 Ist in der Bundesrepublik die gerichtlich umrissene Grenze nicht erreicht, besteht kein Anspruch auf (weitere) Leistungen des Landes (oder Bundes) bzw. sind bis zu jenen Grenzen freiwillige Leistungen abzubauen.

    c) Die Fremdfinanzierung der kommunalen Aufgaben16

    Zur Finanzierung der Aufgabenerfüllung werden die Gebietskör-perschaften auch künftig, trotz Einsparungen, Privatisierungs-konzepten (siehe sogleich 2.) und den sonstigen Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung, einen weiteren überkommenen Weg wählen müssen, nämlich den der Aufnahme von Kredit an den Märkten (als Kommunalkredit zu äußerst günstigen Konditi-onen), auch als kurzfristigen Kassenkredit17 oder als langfristiges Schuldscheindarlehen zur Refinanzierung gleichfalls langfristi-ger Infrastrukturinvestitionen. Die Möglichkeit der günstigen Finanzierung für die öffentliche Hand ist aufgrund hier nicht zu behandelnder vielfältiger kreditaufsichtsrechtlicher Ausnahme-regularien18 möglich, die u.a. auf der Insolvenzunfähigkeit der Gebietskörperschaften, dem Steuererhebungs – und -findungs-recht sowie den Finanzausgleichsstrukturen aufbauen und die wiederum dem Kreditgeber eine günstige Refinanzierung er-möglichen.19

    Teilweise werden auch schon seit den Achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Ansatz bekannte „innovative“ Finanzstrukturen wie Swaps und Derivate20 genutzt, um weite-re Finanzierungsvorteile zugunsten der Gebietskörperschaft zu generieren, soweit dies kommunalaufsichtsrechtlich zulässig ist. Dabei handelt es sich im wesentlichen um Zins- und Kurssiche-rungsgeschäfte, deren Ziel z.B. die Absicherung des Zinssatzes unter Optimierung der Zinshöhe ist. Die bei den Beteiligten lie-genden potenziellen Risiken in diesem Zusammenhang (wenn die notwendigen Verfahrensweisen nicht eingehalten werden) hat die neuere Rechtsprechung im Fall des Währungsswap einer kommunalen Gesellschaft plastisch gemacht.21

    Eine alternative, heute längst eingeführte Form der Fremdfi-nanzierung, sind Finanzierungsleasing und diesem ähnliche Fi-nanzierungsstrukturen.22

    2. Innovative bzw. alternative Konzepte – Privatisierung von Leistungen und public private partnership („PPP“)

    a) Die rechtliche Verselbstständigung kommunaler Eigenbetrie-be und sonstige Privatisierungen

    Weitreichende Erfolge erzielen die Kommunen indes sicher dann, wenn sie kommunale Unternehmen in Form des Eigen-betriebs rechtlich verselbstständigen, wenn rechtlich selbststän-dige Unternehmen der Gebietskörperschaften mit privater Be-teiligung gestärkt bzw. vollständig verkauft werden23 oder wenn die Gemeinden kommunale Leistungen ganz oder teilweise pri-vatisieren.

    Erhebliche stille Reserven können der Natur der Sache nach durch den Verkauf kommunaler Unternehmen oder sonstiger Vermögenswerte gehoben werden. Die in jüngster Zeit bekannt gewordenen „spektakulären“ Beispiele betreffen die Privatisie-rung von Wohnungsbaugesellschaften24, die im Falle Dresdens

    zur vollständigen Entschuldung der Stadt geführt hat.25 Nicht immer sind die Stadtverwaltungen mit ihren Bemühungen um

    14 International Law Commission Draft Articles on Responsibility of States für internationally wrongful acts wirh commentaries, UN, New York, 2005, siehe Cranshaw, Fragen der gerichtlichen Durchsetzung von For-derungen aus ausländischen Staatsanleihen, DZWiR 2007, 133 ff./138 f. u. Fn 60; ders., Insolvenz- und finanzrechtliche Perspektiven... (Fn 1), Rdnr. 84 ff. = S. 71ff. und Fn 290 f./295.

    15 International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID, Schiedsgericht der Weltbank), Schiedsurteil v. 12.05.2005 – Case No. ARB/01/8 – insb. Rdnr. 331 – verfügbar über www.worldbank.org/icsid..

    16 Kredite werden im Blick der vorliegenden Darstellung, die zwischen Ei-gen- und Fremdfinanzierung unterscheidet, nicht wie kameralistisch unter die Einnahmen subsumiert, zumal sie unter der Doppik nicht er-gebniswirksam sind und in der Bilanz zu passivieren sein werden, siehe zur kameralistischen Struktur Waldhoff, Kommunale Einnahmen im Überblick, in: Henneke/Pünder/Waldhoff, Recht der Kommunalfinan-zen, 2006, § 7 Rdnr. 3, S. 118 sowie Rechnungshof Rheinland-Pfalz (Fn 3), aaO, S. 14 und S. 7, Fn 11.

    17 Der Rechnungshof Rheinland-Pfalz (Fn 3) rügt in seinem Kommunalbe-richt 2006, aaO, S. 20, den „..seit Jahren besorgniserregende(n) Zuwachs an Kassenkrediten..“, die „..zunehmend zur Finanzierung von Fehlbe-trägen aus früheren Haushaltsjahren genutzt....“ werden, aaO, S. 23. Das Instrument des Kassenkredits wird damit (dem Haushaltsrecht zuwider, siehe Rechnungshof Rheinland-Pfalz, aaO) ökonomisch wie ein revol-vierender Betriebsmittelkredit eingesetzt.

    18 Siehe hierzu das 2006 novellierte KreditwesenG (KWG – FNA 7610-1), die am 01.01.2007 in Kraft getretene Solvabilitätsverordnung (SolvV – BGBl. 2006 I 2926 ff.) und das Pfandbriefgesetz v. 22.05.2005, BGBl. 2005 I 1373 (FNA 7628-8; vgl. insbesondere § 20 PfandbriefG über die Indeckungnahme von Forderungen gegen Kommunen für Öffentliche Pfandbriefe, eine wesentliche Gesetzesbestimmung zur Refinanzierung von Kommunalkrediten). Die Materie ist europarechtlich überformt, vgl. die Richtlinien 2006/48/EG („Bankenrichtlinie“) bzw. 2006/49/EG („Kapitaladäquanzrichtlinie“), ABl. (EU) L 177 v. 30.06.2006, S. 1 ff. bzw. 206 ff.

    19 Vgl. Cranshaw, Insolvenz- und finanzrechtliche Perspektiven... (Fn 1), Rdnr. 282 ff. = S. 203 ff.

    20 Swap = „Tausch“; die aus dem angelsächsischen Rechtsraum kommen-den Swapgeschäfte sind rechtlich mitnichten „Tausch“, sondern syn-allagmatische Verträge sui generis mit „Austausch“ von Zahlungsströ-men, die die Privatautonomie (vgl. § 311 BGB) gestattet. Siehe hierzu die grundlegende Darstellung zu Swaps unter Beteiligung der inländischen Gebietskörperschaften (Bund/Länder) Kewenig/Schneider, Swap-Ge-schäfte der öffentlichen Hand in Deutschland, WM-Sonderbeilage 2/1992; allgemein siehe Gößmann/Weber/Schröter/Steuer/Hellner, Bankrecht und Bankpraxis (BuB), LBl., 2006, Band 4 Nr. 7 Finanzinno-vationen, OTC-Derivate, Rdnr. 7/1000 ff. Swaps sind Finanzinstrumente nach § 104 Abs. 2, 3 InsO. Es handelt sich z.B. bei mit einem konkreten Grundgeschäft zusammenhängenden konnexen Swapgeschäft zur Zins-sicherung-/Kurssicherung keineswegs um Spekulation, vgl. Kewenig/ Schneider, aaO, S. 3, siehe z.B. auch die Abgrenzung in R 45 der Gewer-besteuerrichtlinien 1998 Abs. 1 Sätze 6, 7. Mit „Derivaten“ wird eine in sich völlig unterschiedliche Gruppe von Finanzinstrumenten bezeich-net, die aus anderen Finanzanlagen (z.B. von Swaps) „abgeleitet“ sind. In den Kommunen werden Swap- bzw. Derivatgeschäfte nach Maßgabe entsprechender Erlasse der Aufsichtsbehörden wohl generell genutzt. Einzelheiten können hier nicht dargestellt werden.

    21 Vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 24.03.2005 – 2 U 111/04 – ZIP 2005, 1313 sowie BGH, Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde dagegen – Beschl. v. 21.03.2006 – XI ZR 116/05 – DRsp Nr. 2006/7883 (Ausein-andersetzung einer kommunalen Gesellschaft mit der Vertragspartne-rin eines Derivatgeschäfts); siehe in derselben Sache den Rechtsstreit der Gesellschaft mit ihrem Geschäftsführer, OLG Naumburg, Urteile v. 16.04.2002 und 16.11.2004 – 9 U 206/01 – DB 2002, 2316 (2002) und DRsp Nr. 2006/6747 (2004) sowie BGH, Urt. v. 01.12.2003 – II ZR 161/02 – BGHZ 157, 151 ff. = NJW 2004, 1528.

    22 Siehe dazu Cranshaw, Insolvenz- und finanzrechtliche Perspektiven.... (Fn 1), Rdnr. 27 = S. 14 f. mwN.

    23 Die kommunalen Vermögenswerte können indes nur einmal veräußert werden, das ist die Thematik des sprichwörtlichen „Tafelsilbers“. An die Veräußerung muss sich dann die Schuldenreduzierung anschließen.

    24 Die Veräußerung bedarf eines transparenten Verfahrens bzgl. der Festle-gung des Preises, um u.a. später den Vorwurf der rechtswidrigen Beihilfe durch die Körperschaft zugunsten des Erwerbers entgegen Art. 87, 88 EG-Vertrag zu vermeiden. Regelmäßig wird man bei größeren Transak-tionen europaweit oder international in einem der Vergabe ähnlichen Verfahren „ausschreiben“.

    25 Siehe zum Ergebnis der Veräußerung FAZ v. 17.11.2006, S. 4, „Dresden ist jetzt schuldenfrei“; Dresden hat danach aus dem Verkauf seiner Städ-tischen Wohnungsbaugesellschaft 784 Mio. € Schulden zurückgezahlt und 982 Mio. € netto erlöst. Man spare dadurch 60 Mio. € jährlich allein an Lasten für die Gesellschaft, die Dresden früher offenbar aus dem Kom-munalhaushalt tragen musste, wobei die Erträge der Gesellschaft nach dem zitierten Beitrag in der FAZ schon abgezogen waren. In demselben

    Abhandlungen Friedrich L. Cranshaw

  • NordÖR 4/2008 149

    Haushaltssanierung durch Privatisierung gegenüber den Bür-gern aber ganz erfolgreich.26

    b) Public Private Partnership (Öffentlich Private Partnerschaf-ten)27

    Innovative Privatisierungsmodelle werden unter dem Aspekt der public private partnership diskutiert, eine insbesondere in Großbritannien und Australien weithin verbreitete Beteiligung Privater an öffentlichen Infrastrukturen.28 Die Konzepte um-fassen die verschiedensten Lösungsansätze.29 Es gibt bis auf den Kernbereich der hoheitlichen Verwaltung so gut wie keine Leis-tung, die nicht auch in irgendeiner Form mindestens teilpriva-tisiert werden könnte. Werden aber bisher von der öffentlichen Hand unmittelbar angebotene Leistungen der Daseinsvorsorge auf private Unternehmen verlagert, unterstellt man die Leistung dem Wettbewerb und damit dem dafür geltenden Regelungsre-gime. Der Wettbewerb zur Optimierung der Leistungen für den Bürger ist gerade einer der wesentlichen Aspekte von dergleichen Konstruktionen. Je mehr Leistungen privatisiert werden, desto gewichtiger wird die Bedeutung der wettbewerbsrechtlichen Regularien auf dem betreffenden Teilmarkt. Dabei sind nicht nur die Vorgaben des inländischen Rechts bedeutsam, sondern insbesondere die europarechtlichen Anforderungen, die das Vergaberecht und das europäische Beihilferecht30 aufgeben. Bei dergleichen Projekten geht es um Infrastrukturen, um öffentli-che Einrichtungen der Gebietskörperschaften in einem weiten Sinne. Nicht immer werden neue Infrastrukturen geschaffen, vielmehr handelt es sich nicht selten um die Vornahme der er-forderlichen Investitionen in bestehende Strukturen, die sich die öffentliche Hand aufgrund der Verschuldung nicht mehr leisten kann, nicht mehr unmittelbar leisten zu können glaubt oder will. Daneben steht die mit dem Konzept einhergehende Kosten-reduzierung für Investition und Betrieb der Einrichtung, d.h. der Wegfall oder die Reduzierung von Folgekosten.

    Ganz neu sind diese Phänomene nicht, wenn man z .B. an den Bereich Erziehungs- und Schulwesen denkt: Kindertagesstätten werden beispielsweise herkömmlich überwiegend von freien, d.h. hier kirchlichen Trägern unterhalten31, die erhebliche Ei-genbeiträge zu leisten haben; auch das ist (aus heutiger Sicht) eine Form der Privatisierung. Dasselbe gilt für die staatlich aner-kannten Ersatzschulen in freier Trägerschaft, die sogar auf dem Sektor der Prüfungen als beliehene Unternehmer nach überkom-menem deutschen Verwaltungsrecht tätig werden.32

    c) Gemeindeverbände und Privatisierung

    Dabei steht die Privatisierung der Natur der Sache nach nicht nur der einzelnen Gebietskörperschaft zur Seite, sondern auch den Gemeindeverbänden. Auf die komplexen Rechtsbeziehun-gen zwischen dem Bürger und dem zur Erfüllung der Aufgabe der Daseinsvorsorge verpflichteten kommunalen Träger33 bzw. zwischen diesem und dem privaten Unternehmen, das die Auf-gabe tatsächlich ausführt, kann vorliegend nicht eingegangen werden.

    d) Der Stand der Privatisierung34

    Zum Stand der Privatisierung lässt sich in etwa folgendes beob-achten:

    Bereits heute durchgängig privat oder privatisiert sind In-frastrukturen wie die Telekommunikation, weitgehend die En-ergieversorgung (Gas, Strom), bestimmte Hafenbetriebe (z.B. Hamburg)35, Großflughäfen (Frankfurt) usw. Auf die bundeswei-ten frühen Privatisierungen der vormaligen Bundespost und der Bundesbahn darf am Rande hingewiesen werden.

    Die Privatisierung hat begonnen oder ist fortgeschritten bei der Müll- und Abfallentsorgung, der Frischwasserversorgung, dem öffentlichen Personennahverkehr und bei den Post- und Paketdiensten.36

    Die Krankenhausversorgung durch Anstalten der Gebietskör-perschaften befindet sich offenbar ebenfalls (mindestens teilwei-se) im Umbruch hin zu privaten Trägern; diese Entwicklung geht bis zu den Universitätskliniken, künftig ggf. bis zu den medizini-schen Fakultäten.37 Zu den PPP-Vorhaben gehören in Deutsch-land u.a. auch Schulen, Schwimmbäder, sogar Justizvollzugs-anstalten38 und jedwede Art von Verwaltungsgebäuden für die öffentliche Hand, vom Rathaus bis zum Gerichtsgebäude.39 Zur Disposition stehen Fernstraßenprojekte, sogar die Privatisierung des Autobahnnetzes dürfte mittelfristig kein Tabuthema mehr sein.40

    Beitrag wird von einer Entscheidung aus Leipzig berichtet, kommunale Betriebe zu veräußern, insb. die Veräußerung von „bis zu 49,9%“ an den Stadtwerken durch ein „internationales Bieterverfahren“.

    26 So etwa hat die Stadt Freiburg/Br. die Entschuldung durch Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft hintangestellt, nachdem ein Bürgerent-scheid die Veräußerung trotz schwieriger Lage der kommunalen Finan-zen bis 2009 verunmöglicht hat, siehe Soldt, „Heuschreckenfreie Zone“, FAZ v. 14.11.2006, S. 1.

    27 Siehe dazu das Gesetz zur Beschleunigung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingun-gen für Öffentlich Private Partnerschaften v. 01.01.2005, BGBl. 2005 I 2676 ff., wodurch u.a. (in Art. 7) das Investmentgesetz (FNA 7612-2) geändert wurde, um Kapitalanlagegesellschaften den Erwerb von „Nießbrauchrechte(n) an Grundstücken...., die der Erfüllung öffentli-cher Aufgaben dienen....“ zu ermöglichen.

    28 Damit kann zugleich privates Anlegerkapital gezielt in die öffentliche Infrastruktur gelenkt werden, vgl. zur Einschätzung am Markt den Bei-trag „Infrastruktur lockt mit stabiler Rendite“, FAZ v. 23.01.2007, S. 19.

    29 Siehe z.B. den vom Bundesmin. für Wirtschaft u. Arbeit schon 2003 he-rausgegebenen Leitfaden „Public Private Partnership“ sowie den weite-ren Leitfaden „Wirtschaftlichkeitsuntersuchun-gen bei PPP-Projekten“ der länderoffenen Arbeitsgruppe und der entsprechenden Bundesar-beits-gruppe vom September 2006, letzterer verfügbar z.B. unter www.sachsen.de/....

    30 Siehe dazu ,,Einflüsse des europäischen Rechts auf das Insolvenzverfah-ren, 2006, S. 173 ff.

    31 Aufgrund der finanziellen Engpässe auch der kirchlichen Organisati-onen scheint hier freilich ein Teilrückzug zu drohen. Vgl. zur Position der freien Träger § 4 SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe (FNA 860-8); zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit der öffentlichen zu den freien Trä-gern der Jugendhilfe, insbesondere zu dem faktischen Vorrang des freien Trägers, siehe § 4 Abs. 2 SGB VIII.

    32 Abhängig jeweils von den schulrechtlichen Vorschriften des Landes-rechts, insb. den Privatschulgesetzen.

    33 In diesem Zusammenhang darf nur an den Anschluss- und Benutzungs-zwang erinnert werden, siehe zu gebührenrechtlichen Aspekten in die-sem Kontext Kube, Lenkungszwecke kommunaler Abgaben, in: Henne-ke u.a. (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, 2006, § 21 Rdnr. 29 ff.

    34 Für den Stand von PPP-Projekten und die erwartete Entwicklung siehe Hüfner, PPP-Markt gewinnt an Dynamik, Die Bank 2007, S. 24 ff. Da-nach sind von Ende 2003-2006 ca. 1,4 Mrd. € Investitionsvolumen ver-geben worden, 140 Projekte mit einem Volumen von ca. 6 Mrd. € sollen in „Vorbereitung bzw. Ausschreibung“ sein, Hüfner, aaO, S, 25.

    35 Siehe dazu Lagoni, Hamburg Port Authority, NordÖR 2005, 445 ff. 36 Der Wegfall des Briefmonopols der Deutschen Post AG steht bekannt-

    lich bevor. 37 Die erste Übertragung einer Universitätsklinik auf einen privaten Träger

    erfolgte 2005 und betraf die Universitätskliniken in Marburg und Gie-ßen. Die rheinland-pfälzische Landesregierung denkt aktuell wohl an die Privatisierung des Universitätsklinikums Mainz. Siehe zu der The-matik Carsten Germis, Wer will eine Universitätsklinik kaufen ?, Frank-furter Allgemeine Sonntagszeitung v. 26.11.2006, S. 45.

    38 Die Haftanstalt „Hünfeld“ in Hessen, vgl. FAZ v. 08.12.2005, S. 62 und das in der Realisierung befindliche Projekt der JVA Burg in Sachsen-An-halt, vgl. die Pressemitteilung 629/06 der Staatskanzlei von Sachsen-An-halt v. 19.12.2006.

    39 Vgl. Cranshaw, Insolvenz- und finanzrechtliche Perspektiven....,, (Fn 1) Rdnr. 28 = S. 15 f. mwN; Sehr viel weiter gehen Entwicklungen im Aus-land, insb. in Großbritannien.

    40 Das würde Autobahn-/Fernstraßennutzung generell gegen Benutzungs-gebühren („Maut“) bedeuten, wozu die bestehende Maut für schwere LKW und deren Strukturen das Modell ist.

    Friedrich L. Cranshaw Abhandlungen

  • NordÖR 4/2008150

    e) Privatisierung: „Chancen“ und „Risiken“

    Die Privatisierungen sind für die Gebietskörperschaften die Chance, sich von Lasten und Aufgaben zu befreien, die längst nicht mehr zwangsläufig von ihnen selbst wahrgenommen wer-den müssen. Zudem ist der hinter der kommunalen Betätigung stehende Gedanke der Daseinsvorsorge durch den Staat konti-nuierlichem Wandel unterworfen, Daseinsvorsorge ist dyna-misch.41

    Für den Bürger und die Unternehmen kann das Verbilligung bei gleichzeitig hohem Leistungsstandard bedeuten, soweit nicht z.B. Monopolstrukturen befestigt bzw. geschaffen werden, d.h. wenn der Markt funktioniert.

    Dennoch dürfen auch die Risiken nicht verkannt werden. Konflikte mit dem Leistungserbringer etwa sind nicht auszu-schließen. Der private Abfallentsorger usw. kann insolvent wer-den, so dass Lücken in der Entsorgung auftreten können u.ä. Gerät der private Krankenhausbetreiber, Schwimmbadbetreiber usw. in die Insolvenz, kann die Gebietskörperschaft auch in die Situation kommen, ggf. die Leistung doch wieder selbst erbrin-gen und/oder die Infrastruktur übernehmen zu müssen, wenn am Markt nicht schnell Ersatz gefunden werden kann. Letzteres kann wie die Insolvenz des bisherigen Leistungserbringers auch Merkmal sein, dass das ursprüngliche „Privatisierungskonzept“ einen Mangel aufweist. Die „Privatisierung“ dürfte in praxi – von den Fällen des Marktversagens abgesehen – im übrigen un-umkehrbar sein, die Entscheidung dafür ist weit in die Zukunft wirkende politische Gestaltung.

    III. Rechtliche Vorteile und Risiken im Zusammenhang mit der Privatisierung von kommunalen Unterneh-men sowie Eigenbetrieben

    1. Die (formelle)42 Privatisierung des Eigenbetriebs und anderer rechtlich unselbstständiger Organisationen der öffentlichen Hand

    a) Die Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz

    (§§ 168 ff. UmwG, Ausgliederung von Unternehmen aus dem Vermögen von Gebietskörperschaften oder deren Zusammen-schluss): Die Privatisierung von Leistungen der Daseinsvorsorge, die bisher von den kommunalen Gebietskörperschaften eigen-ständig zur Verfügung gestellt wurden, kann wie dargestellt auf mehrerlei Arten erfolgen. In Frage kommt auch eine nur „for-melle“ Privatisierung rechtlich unselbstständiger kommunaler Unternehmen, die die Leistung erbracht haben. Zunehmend werden daher Eigenbetriebe der Kommunen in Gesellschaften des privaten Rechts ausgegliedert, wobei nach Maßgabe des Lan-desrechts wohl praktisch ausschließlich die Rechtsform der neu gegründeten Kapitalgesellschaft (GmbH oder der AG) gewählt wird. Das bedeutet zunächst nichts anderes als die Einbringung bisherigen kommunalen Vermögens in eine andere Rechtsform. Es handelt sich dabei um eine Sacheinlage in Gestalt der Assets des bisherigen Eigenbetriebs, also um die Sachgründung einer Kapitalgesellschaft. Eine Gemeinde, die ihr Rechnungswesen auf die Doppik umgestellt hat, stellt in ihrer Bilanz auf der Aktiv-seite in den Vermögenswerten einen (Aktiv)Tausch fest; an Stelle des Vermögens des Eigenbetriebs ist die Beteiligung an einer Ka-pitalgesellschaft getreten.

    b) Der Entschuldungseffekt durch die Umwandlung, die mittel-fristig erfolgende vollständige Enthaftung der Kommune:

    Als weiterer wesentlicher Effekt dieser Maßnahme ne-ben dem Wegfall künftiger Verschuldung ist eine sofortige (Teil)entschuldung der Kommune festzustellen, deren Verbind-lichkeiten sich um die dem bisherigen Eigenbetrieb zugeord-neten Passiva reduzieren (§§ 168 ff., 171, 131 UmwG). Arbeit-nehmer gehen nach § 613a BGB auf die neue Gesellschaft über, was ebenfalls zu einer Entlastung der Gebietskörperschaft führt (§ 324 UmwG).

    Haftungsrechtlich erlöschen Ansprüche, die Gläubiger aus der originären Finanzierung des Eigenbetriebs gegen die Kommune haben, freilich erst fünf Jahre nach Vollzug der Ausgliederung (§§ 172, 157 UmwG). Bei ökonomischer Betrachtung ist die Ge-bietskörperschaft dann ihrer Verbindlichkeiten endgültig ledig. Unter der Doppik wird sie Pensionsrückstellungen auflösen kön-nen.

    c) Die Beziehung der Gebietskörperschaft zu der ausgeglieder-ten Gesellschaft

    Die Gebietskörperschaft kann vorbehaltlich kommunalrechtli-cher und europarechtlicher Bestimmungen frei entscheiden, ob sie ihre Beteiligungsgesellschaft zum Zwecke günstiger Finan-zierung z.B. durch eine Bürgschaft unterstützt oder nicht. Sie kann die ausgegliederte Gesellschaft in eine Holding einbringen und Private daran beteiligen, um eine bessere Positionierung am Markt zu erreichen. Die Beteiligungsgesellschaft kann durch Aufsichtsgremien (Aufsichtsrat) bei entsprechender Gestaltung der Satzung von etwa die unternehmerische Betätigung hin-dernden Zwängen des kommunalen Aufsichtsrechts und sonsti-ger verwaltungsrechtlicher Vorschriften befreit werden und da-durch unternehmerische Freiheit und Marktanteile gewinnen. Die Bürger können davon letzten Endes zweifach profitieren. Die von der privatisierten Gesellschaft erbrachte Leistung kann ggf. billiger werden als beim Eigenbetrieb und die Kommune kann zusätzlich Erträge aus der Beteiligung erwirtschaften, was wie-derum dem Haushalt zugute kommt. Zudem ist, wie erwähnt, die Verschuldung gesenkt worden. Altersversorgungslasten für Mitarbeiter werden auf der Ebene der Gebietskörperschaft re-duziert. Diese haftet nicht für Geschäfte der Gesellschaft, auch nicht, wenn sie Alleingesellschafter ist.

    Im Fall drohender Insolvenz einer solchen Gesellschaft treffen die Kommune keine „Insolvenzabwendungspflichten“.43

    41 Was die Mitgliedstaaten der EU unter Daseinsvorsorge subsumieren – und unter Hintanstellung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben orga-nisieren können, steht zwar nicht in ihrem „Belieben“ aufgrund der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts (insb. Art. 16 EU-Vertrag, Art. 86 EG-Vertrag), sie haben aber ein weites Ermessen, das es ermöglicht, Daseinsvorsorge auch regional oder lokal differenziert zu betrachten, Cranshaw, Einflüsse des europäischen Rechts... (Fn 6), S. 180 ff./184 u. Fn 888 mwN.

    42 „Formelle“ Privatisierung deshalb, weil das in eine Rechtsform des pri-vaten Rechts gebrachte kommunale Unternehmen dennoch „öffent-lich“ bleibt, wirtschaftlich ebenso betrachtet wie unter dem Aspekt des europäischen Rechts, siehe dazu die Transparenzrichtlinie 80/723/EWG idF der RL 2005/81/EG, ABl. (EU) L 312 v. 29.11.2005 und das Änderungs-gesetz des Transparenzrichtlinie-Gesetzes v. 21.12.2006, BGBl 2006 I 3364.

    43 Herrschende Meinung, siehe dazu Cranshaw, Insolvenz- und finanz-rechtliche Aspekte...(Fn 1), Rdnr. 173 ff./174a mwN.

    Abhandlungen Friedrich L. Cranshaw

  • NordÖR 4/2008 151

    2. Die Risiken der Privatisierung aus der Sicht der Gebiets-körperschaft

    a) Unbegrenzte Insolvenzfähigkeit und Einzelvollstreckung

    Sogar dann, wenn die Tätigkeit der Gesellschaft allein der Da-seinsvorsorge dient und ihr Vermögen öffentlichen Zwecken, so ist dennoch ihr gesamtes Vermögen dem Insolvenzbeschlag unterworfen, soweit nicht ausnahmsweise eine öffentlich-rechtliche Bindung bzw. Widmung besteht, die den Zugriff der Gläubiger verunmöglicht. Die verwaltungsrechtlichen Vollstre-ckungshindernisse des Gemeinderechts bzw. des § 882a ZPO sind nicht anwendbar.

    b) Insolvenz der Beteiligungsgesellschaft und Verlust öffentli-chen Vermögens

    Wird die Gesellschaft insolvent und liquidiert, verliert die Kom-mune zugleich ihre vorher eingebrachten Vermögenswerte voll-ständig. Auch, wenn ein Insolvenzplan die Gesellschaft selbst durch Sanierung rettet, wird das nur möglich sein, wenn Gläubi-ger erhebliche Vermögensopfer bringen, um wenigstens eine be-stimmte Quote aus der Unternehmensfortführung zu erhalten. Wie auch sonst, ist dann aber zu hinterfragen, ob bzw. inwieweit Gesellschafter, die nichts zur Sanierung beigetragen haben, den alleinigen ökonomischen Nutzen daraus ziehen. Die Beteiligung war angesichts der Insolvenz wertlos, denn bei der Liquidation einer Gesellschaft erhält der Gesellschafter nur das, was nach vollständiger Befriedigung der Gläubiger an Vermögen verbleibt (§ 199 Satz 2 InsO). Es gibt keinen erkennbaren Grund, dies im Rahmen einer Sanierung deutlich anders zu handhaben. Den dadurch erzielten Wert werden die Gläubiger zur Verlustreduzie-rung ggf. versuchen (müssen), soweit als möglich abzuschöpfen (z.B. durch “Besserungsschein“), soweit nicht der Gesellschafter einen entsprechenden Sanierungsbeitrag leistet.

    Die Gebietskörperschaft hat daher alle Vorteile einer Privati-sierung, sie trägt aber auch das unternehmerische Beteiligungs-risiko daraus ohne Einschränkungen.

    Nicht nur das in die Gesellschaft anfänglich eingebrachte Ver-mögen, sondern auch Kapitalerhöhungen, Kapitalrücklagen, Gesellschafterdarlehen usw. können damit in vollem Umfang verloren gehen.

    Die Gebietskörperschaft kann dagegen nicht einmal uneinge-schränkt etwas unternehmen (siehe sogleich lit. c) und d), denn sie ist ihrerseits in der Behandlung ihrer Beteiligungen tendenzi-ell größeren Beschränkungen unterworfen als private Unterneh-menseigner.

    Hat die kommunale Körperschaft „ihrer“ Gesellschaft eine Bürgschaft zur Verfügung gestellt, ist mit deren Inanspruchnah-me und entsprechender Haushaltsbelastung zu rechnen.

    c) Rechtliche Probleme der Auftragsvergabe der Gebietskörper-schaft an die privatisierte Kapitalgesellschaft:

    Die Kommune kann „ihre“ Gesellschaft nicht einmal pro-blemlos mit Aufträgen versehen. Soweit Leistungen ausschrei-bungspflichtig sind, kann die Gebietskörperschaft nach den europarechtlichen Vergaberichtlinien und der dazu ergangenen jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „ihrer“ Gesellschaft den Auftrag ohne Vergabeverfahren nur erteilen, wenn die Gesellschaft so in die Organisation der Körperschaft faktisch eingegliedert ist44, dass man sie wie eine eigene Organi-sationseinheit betrachten kann, wie ein „Amt“ oder eine Spar-te, abhängig wiederum von dem Organigramm. Letzten Endes wird dabei die Gesellschaft wieder ähnlich einem unselbststän-

    digen „Eigenbetrieb“ der Gebietskörperschaft behandelt. Diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn die Gesellschaft am Markt einigermaßen unabhängig von konkreten Beschlüssen der kom-munalen Entscheidungsgremien agiert. Hierfür genügt bereits ein hinreichend weiter Satzungszweck in dem Gesellschaftsver-trag der GmbH, die Installation eines entscheidungsbefugten Aufsichtsrats und ähnliche Details. Aufgrund der größeren Un-abhängigkeit von ihren Aktionären (vgl. §§ 119 Abs. 2, 23 Abs. 5 AktG) stellt sich dieses Problem bei der Aktiengesellschaft wohl verschärft.45

    Verliert die Gesellschaft den Wettbewerb, kann es sein, dass der wichtigste Auftrag wegbricht, nämlich eben der durch ihren Gesellschafter, dessen Instrument sie bis zur Ausgliederung als Eigenbetrieb war. Kann sie als Unternehmen, das Aufgaben im Bereich der Daseinsvorsorge erfüllt, die damit entstehende Lü-cke nicht füllen, z.B. durch Aufträge anderer kommunaler Kör-perschaften oder als Subunternehmer erfolgreicher Bieter, kann sie sogar über kurz oder lang in ihrer Existenz bedroht sein.

    d) Haftungsrechtliche Risiken der Beteiligung

    Die andere Seite des Risikos stellen haftungsrechtliche Kon-stellationen dar. Wird die Gesellschaft uneingeschränkt in den Dienst des Gesellschafters gestellt, ist sie gleichsam nur Instru-ment („Vehikel“) zur Verfolgung der Zwecke der Daseinsvorsor-ge, ist das Ziel der Haftungsbeschränkung gefährdet, wenn im Einzelfall die Voraussetzungen der Rechtsprechung des BGH un-ter dem Aspekt der Haftung für Existenzvernichtung zu bejahen wären.46 Zudem haben die Geschäftsführer der „kommunalen“ Kapitalgesellschaft die Insolvenzantragspflichten zu erfüllen. Sie haben Risiken nach §§ 64 Abs. 2, 43, 84 GmbHG und verwand-ten Vorschriften zu tragen.

    e) Die Folgen des europäischen Wettbewerbsrechtes, insbeson-dere des Beihilferechts (Art. 87 ff., 86 EG-Vertrag)

    aa) Schließlich kann die staatliche Körperschaft ihre privatrecht-lich organisierte Gesellschaft nicht einmal finanziell „beliebig“ vor der Insolvenz retten, auch wenn sie politisch wollte und dies nach allgemeinem Kommunal- und Haushaltsrecht zulässig und genehmigungsfähig wäre. Dabei stehen haushaltsrechtliche As-pekte rechtlich keineswegs im Vordergrund. Werden Aufgaben der Daseinsvorsorge auch nur „formell“ privatisiert, setzt man die Aufgabenerfüllung und den Aufgabenerbringer dem Wett-bewerb aus. Gerade der Wettbewerb, die Leistungserbringung

    44 Siehe zu der Thematik EuGH, Urt. v. 11.01.2005, Stadt Halle gg. Arge... Trea Leuna – Rs C-26/03 – NVwZ 2005, 157 = NZBau 2005, 111 = DöV 2005, 427; Urt. v. 13.10.2005, Parking Brixen gg. Gemeinde Brixen u.a. – Rs C-458/03 – NVwZ 2005, 1407; Urt. v. 10.11.2005, Kommission gg. Österreich (wg. Gemeinde Mödling) – Rs C-29/04 – NVwZ 2006, 70; Urt. v.11.05.2006, Carbotermo u.a. gg. Comune di Busto Arsizio u.a. – Rs C-340/04, Slg. 2006 I-4137.

    45 Siehe Pluta, in: Heidel (Hrsg.), Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2007, 1 § 119 AktG Rdnr. 2, 8, 14 ff. mit gr