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IT aus der Steckdose: Hype oder Realität?

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Page 1: IT aus der Steckdose: Hype oder Realität?

schließen individuellen Verhaltens der Teil-nehmer – der Status Quo im BereichE-Science und eigentlich nur eine Paralleli-sierung beherrschbarer Client-Server-An-wendungen. Die okonomischen Potenzialebleiben auf die Lastverteilung innerhalb ge-schlossener Umgebungen und fur Spezial-anwendungen beschrankt, die in der Wissen-schaft und großeren Unternehmen zu findensind.

Prof. Dr. Torsten EymannUniversitat Bayreuth

Lehrstuhl fur Wirtschaftsinformatik

IT aus der Steckdose:Hype oder Realitat?

von Wolfgang Gentzsch

Die Formel „IT aus der Steckdose“ sugge-riert, dass wir in Zukunft IT-Dienste ge-nauso beziehen konnen wie Strom. Es gibthier aber einen feinen Unterschied. DerStrom aus der Steckdose betreibt eine Viel-zahl von Geraten, die wir jedoch selbst nochanschaffen und betreiben mussen. Wir be-kommen also nicht z. B. das Licht, die War-me, das frisch gespulte Geschirr, oder das ge-kuhlte Bier selbst aus der Steckdose, sondernnur den Strom zum Beleuchten, Warmen,Spulen oder Kuhlen. Im Unterschied dazuwerden IT-Dienste in Zukunft komplett insHaus (oder unterwegs auf Handy oderPDA) geliefert. Die Anwendung selbst wirdalso nicht mehr im Computer daheim oderin der Firma sitzen, sondern in einem Rech-ner eines externen IT-Dienstleisters (oder ei-ner internen IT-Abteilung). Damit gehen wirin punkto IT einen ganzen Schritt weiter alsbeim Strom: es kommt die IT-Anwendungselbst aus der Steckdose; der Computer, dieSoftwarewerkzeuge, die Anwendungen unddie aufwandige Pflege dieser komplexenUmgebung werden aus unserer direktenUmgebung verschwinden und von Spezialis-ten ubernommen, die sich z. B. um die opti-male Auslastung und damit um moglichstgeringe Kosten kummern.Das klingt in der Tat revolutionar. Aber

alle dazu notwendigen Bausteine sind heuteschon vorhanden: Netzwerke, Rechen- undSpeicherknoten, intelligente Middleware,zahllose Softwareanwendungen, die in sol-chen verteilten Umgebungen laufen, und Zu-gangssysteme (Portale), die einen sicherenund transparenten Zugang zu den Ressour-cen, Anwendungen und Daten ermoglichen.Und in der so genannten Open Grid ServicesArchitecture werden Schnittstellen bereit-gestellt, die eine standardisierte Kommuni-kation aller verteilten Komponenten erlaubt.

Solche Grid-Umgebungen bieten eine gan-ze Reihe von Vorteilen: transparenter Zugriffauf und bessere Auslastung von Ressourcen,nahezu unendliche Rechen- und Speicher-kapazitat, wesentlich hohere Flexibilitat,Kostensenkung durch das Utilitymodell, ho-here Qualitat der entwickelten Produkte,kurzere Marktreife und mehr. In wissen-schaftlichen und technischen Organisationenmit einem hohen Bedarf an Rechenleistungist diese Revolution schon seit einigen Jahrenim Gange, meist in Form von prototypi-schen Grid-Umgebungen.Das Bundesministerium fur Bildung und

Forschung (BMBF) fordert seit Septembergemeinsam mit fuhrenden deutschen Wis-senschaftseinrichtungen den Aufbau einesD-Grid als Teil der deutschen E-Science-Ini-tiative. Diese umfasst die Forderung vonForschung und Entwicklung in den Berei-chen Grid-Computing, E-Learning undWissensmanagement. Bei entsprechenderBeteiligung der Wissenschaftsorganisationenund der Wirtschaft wird das BMBF dafur inden nachsten funf Jahren bis zu 100 Mio. azur Verfugung stellen. Ziel ist die Schaffungeiner digitalen wissenschaftlichen Infrastruk-tur, die es den global vernetzten und interna-tional kooperierenden Wissenschaftlern er-moglicht, den permanenten Austausch, dieDokumentation und die unmittelbare Ver-offentlichung von Forschungsergebnissendurchzufuhren.Neben den offensichtlichen Vorteilen fur

die Wissenschaftler hat die neue Grid-Tech-nologie auch große Potenziale fur unsereWirtschaft. Im Zeitalter hochster Dynamik,schrumpfender Entfernungen, und globalerKonkurrenz sind diejenigen Organisationenim Vorteil, die entweder auf billige oder aberauf hoch spezialisierte Ressourcen nach Be-darf zugreifen konnen. Ersteres konnen wirfur Deutschland vergessen. Also mussen wirunsere Wettbewerbsfahigkeit durch Speziali-sierung starken. Das fangt an mit einer gutenAusbildung und geht uber den Einsatz mo-dernster Werkzeuge, optimale Entwick-lungs- und Produktionsablaufe bis hin zuhoch effizienten Kommunikations- und Ver-triebswegen. Hier kann die Grid-Technolo-gie einen entscheidenden Beitrag leisten. Dieschon erwahnten Vorteile fuhren dazu, dassauf jegliche Ressource (also Computer, Soft-ware, Anwendung, Daten, usw.) in einfacherund effizienter Weise zugegriffen werdenkann. Wir werden jeden Vorgang und jedesnoch so komplexe Produkt zunachst in vir-tueller Realitat simulieren konnen, was z. B.Qualitat, Funktionalitat und Sicherheit derProdukte verbessert, ihre Herstellung kos-tengunstiger macht und Risiken und Fehler-quellen reduziert. Mit Grid-Technologie las-sen sich die IT-Strukturen besser an die realeArbeitsteilung anpassen (und nicht mehrumgekehrt). Zum Beispiel werden global

agierende Firmen in Zukunft einfacher inder Lage sein, ihre komplexen Arbeitspro-zesse in einzelne Komponenten aufzubre-chen und so um den Erdball zu verteilen,dass der Zugriff auf geeignete Arbeitskrafteund Ressourcen gewahrleistet, die Produk-tivitat erhoht und die Kosten gesenkt werdenkonnen. Grid-Technologie sorgt dabei fureine nahtlose Integration und Kommunika-tion aller verteilten Komponenten und denweltweiten, transparenten und sicheren Zu-griff auf die firmenproprietare Information.Dabei ist die neue Grid-Technologie nicht

nur auf Wissenschaft und auf die Wirtschaftbeschrankt. Sie wird eine ahnlich revolutio-nierende Auswirkung auch auf unsere Schu-len, ja unser gesamtes Ausbildungssystemhaben. Einerseits wachst unser Wissen expo-nentiell – in der Bioinformatik zum Beispielverdoppeln sich die Datenbestande der For-scher alle vier Monate –, andererseits halt dieAusbildung an unseren Schulen, insbesonde-re in den naturwissenschaftlichen Fachern,nicht Schritt mit dieser rapiden Entwicklung.Grid-Technologien konnen hier die Platt-form bilden fur virtuelle Labors, in denenKinder und Lehrer die Geheimnisse von Na-tur, Technik und Gesellschaft wirklichkeits-nah und interaktiv erfahren, als waren sie einTeil davon. Dies wird ihre Motivation for-dern, ihr Wissen realitatsnaher gestalten undihre Kreativitat steigern. Schulen und Uni-versitaten mussen sich nicht mehr mit derBeschaffung und dem Betrieb von IT-Anla-gen beschaftigen, sondern konnen sich aufdas konzentrieren, was ihre Sache sein sollte:Produktion und Vermittlung neuen Wissens.Statt HBFG-Antrage zu schreiben, werdensie kunftig wieder mit der Konzeption neuerLern- und Forschungsprozesse untereinan-der konkurrieren.Bis wir soweit sind, werden wohl noch ei-

nige Jahre vergehen. Unser heutiges Wissenmuss zunachst „gridgerecht“ aufbereitetwerden. Geeignete Sicherheitstechnologienmussen garantieren, dass niemand sich eineranderen Identitat bemachtigen kann unddass vertrauliche Daten in einem „Daten-Hochsicherheitstrakt“ abgelegt werden kon-nen. Das erfordert insbesondere eine engeZusammenarbeit der Informatik mit derNachrichtentechnik, damit die Rechner unddie Netze diese Sicherheitsfunktionen unter-stutzen. Auch wenn wir bestimmte Ressour-cen im Grid mit anderen teilen, weil das effi-zienter ist und die Zusammenarbeit fordert,so muss doch gewahrleistet sein, dass wirnur fur unseren eigenen Nutzungsanteil be-zahlen und dass unsere eigenen Berechnun-gen vertraulich bleiben. Auch mussen wirgenugend Ressourcen bereitstellen, um frus-trierende Durchsatzprobleme und damit lan-ge Wartezeiten zu vermeiden. Die guteNachricht ist, dass an all diesen Problemenhart gearbeitet wird. Tausende von Experten

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 48 (2006) 1, S. 68–78

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in Wissenschaft und Wirtschaft arbeiten anLosungen fur diese Probleme, im deutschenD-Grid-Projekt genauso wie internationalim Global Grid Forum.Die explosionsartige Verbreitung des

Grid-Computings in den letzten Jahren hattenaturlich auch ein Wirrwarr von Begriffenund Definitionen zur Folge, da jeder im Griddie Losung seiner speziellen Aufgaben sahund dementsprechend mit einer eigenenGrid-Definition aufwartete. Das wird sichauch so schnell nicht andern, ist aber fur denFortschritt der Grid-Technologie unerheb-lich. Wer von uns versteht schon genau, wo-her und wie und warum der Strom so undnicht anders aus der Steckdose kommt?Oder die Telefonie? Oder das Fernsehen?Die Verbreitung und Nutzung des Internetsoder des Mobiltelefons zum Alltagsmediumhat nur 5–10 Jahre gebraucht! Diese „Uti-litys“ sind fester Bestandteil unseres tag-lichen Lebens geworden und bald werdenwir das Grid-Computing hinzufugen kon-nen.Deutschland ist im Moment dabei, im in-

ternationalen Wettbewerb um eine einheitli-che und fur alle zugangliche E-Science-Platt-form fur Wissenschaft und Wirtschaft (alsodas Grid) aufzuholen, den heute unbestrittenEngland mit der in 2001 gestarteten „UKe-Science Initiative“ anfuhrt. Die deutscheE-Science-Initiative gehort mit 100 Mio.Euro allein vom BMBF sicher zu den großennationalen E-Science-Initiativen der Welt.Schatzungsweise noch einmal soviel Geldwird uber EU-geforderte E-Science-Projekteim selben Zeitraum nach Deutschland flie-ßen. Auch von unserer Wirtschaft wird einentsprechender Beitrag dazu erwartet. Wich-tig ist, dass in dieser Phase die deutschenWissenschaftler untereinander und auch in-ternational eng zusammenarbeiten. Nur sokann eine dauerhafte, globale, offene, digitalePlattform entstehen, zum Nutzen unsererWissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft.

Prof. Dr. Wolfgang Gentzsch,D-Grid-Koordinator

Director Major Grid Projects,Global Grid Forum

IT aus der Steckdoseund Wirtschaftsinformatik

von Manfred Grauer

Grid-Technologie und E-Science

In der letzten Dekade wurden weltweit meh-rere großere Initiativen zur Etablierung vonGrid-Infrastrukturen fur rechen- und daten-intensive wissenschaftliche Forschungsvor-haben gestartet (s. [BeFH03] oder [FoKe04]).

Diese Ansatze der Grid-Technologie wurdenbisher vorrangig in Gemeinschaften vonWissenschaftlern entwickelt, untersucht undgenutzt. Zu diesen meist national geforder-ten Aktivitaten zahlen das „Cyberinfra-structure“-Programm der USA, e-Science inGroßbritannien, NorduGrid in Schweden,DutchGrid und das Virtual Laboratory fore-Science in den Niederlanden, Grid.it in Ita-lien oder seit 2003 die D-Grid-Initiative(http://www.d-grid.de) in Deutschland.Ebenso gibt es eine umfangreiche Forderungvon Grid-Technologien in der EU sowohlim 5. als auch im 6. Rahmenprogramm (s.http://www.cordis.lu/ist/grids/).Dabei wird unter dem Begriff der Grid-

Technologie verstanden, uber das Internetgeographisch verteilte physische IT-Ressour-cen (Rechner, Speicher, Netzwerke), infor-mationelle Ressourcen (Datenbanken, Ar-chive, Messinstrumente), Softwarediensteund menschliche Expertise zu einer ganz-heitlichen Ressource zu verknupfen und invereinheitlichter Form nutzbar zu machen.In Anlehnung an die Nutzung des elektri-schen Stromnetzes (Electrical Power Grid)fur vielfaltige Zwecke, und in diesem Sinneorts- und zeitunabhangig, wird die Metapherder Computerleistung aus der Steckdose ver-wendet. Dabei gilt diese Metapher nur be-dingt und stellt eine erhebliche Verein-fachung dar. Aber selbst fur die Entwicklungder Stromversorgung als Verbrauchsgut bisheute bedurfte es uber 200 Jahre seit den Er-findungen von A. Volta, N. Tesla oderTh. Edison, wie R. Buyya in seiner Promo-tion von 2002 aufzeigt.Als Pionier und Vorzeigebeispiel fur die

Entwicklung und ganzheitliche Nutzung derGrid-Technologie gilt das CERN in Genfmit seinen weltweit vernetzten Forscher-gruppen, deren Rechner- und Auswerteres-sourcen sowie dem Beschleunigerring alsteures Experimentierlabor und Quelle vonMessdaten auf dem Gebiet der Hochenergie-physik. Das weltweit großte Grid wird wohlderzeit mit dem Large Hadron ColliderComputing Grid (LCG) fur die im Jahre2007 beginnenden Experimente am CERNaufgebaut. Das LCG besteht aus mehr als100 Standorten (Sites) in 31 Landern mit dendortigen Universitaten und Forschungsein-richtungen. So verfugt dieses Grid uber mehrals 10.000 Recheneinheiten (CPUs) und ins-gesamt etwa 10 Millionen Gigabytes Spei-cherplatz.Wie das LCG-Projekt-Beispiel zeigt,

sind die bisherigen weltweiten Forschungs-aktivitaten hauptsachlich auf das Ziel derVerbesserung und Erweiterung der wissen-schaftlichen Erkenntnismoglichkeiten durchGrid-Technologie in den Grundlagenwis-senschaften ausgerichtet und setzen derengemeinschaftliche/kooperative Nutzung vo-raus. Unter Fuhrung englischer Wissen-

schaftler hat sich bezuglich dieser Vision ei-ner globalen Zusammenarbeit fur wissen-schaftliche Forschungsziele auf Gebieten mitrechenintensiven Problemen und großen Da-tenmengen wie in Medizin, Biologie, Che-mie, Teilchenphysik, Astronomie oder Ma-terialwissenschaften seit dem Jahr 2000 derBegriff der „E-Science“ (E steht hier fur ex-tented oder enhanced) etabliert. Das bedeu-tet fur die Grundlagenwissenschaften, dassProblemklassen bearbeitet werden konnen,deren Untersuchung mit klassischen Mittelnder wissenschaftlichen Arbeit nicht moglichwar. Ein sehr uberzeugendes Beispiel fur die-se neuen Moglichkeiten ist das Radiotele-skop LOFAR (LOw Frequency ARray, s.http://www.astron.nl, http://www.ivoa.net),das sich in den Niederlanden und TeilenDeutschlands im Bau befindet. Da klassischephysische Teleskope an mechanische Gren-zen bezuglich Stabilitat und Genauigkeit ge-stoßen sind, geht man vollig neue Wege, in-dem 25.000 Radiosensoren auf einer Kreis-flache von 350 km Durchmesser verteiltwerden und uber ein 10-Terabit/s-Netz miteinem Superrechner verbunden sind, in demerst das Bild entsteht. Es entstehen sogarmehrere Bilder, da man mit diesem virtuellenTeleskop gleichzeitig mehrere Richtungenauswerten kann. Auf diese Weise wird eineEmpfindlichkeit und Sehscharfe erreicht, dieum den Faktor 1000 hoher ist als bisherigeMoglichkeiten. Somit kann man in der Ra-dioastronomie in bisher nicht erkennbareBereiche vorstoßen.Forschungen zu derartiger Nutzung der

Grid-Technologie werden in einer erstenPhase seit September 2005 im Rahmen derD-Grid/E-Science-Initiative des Bundes ge-fordert.Das Beispiel belegt aber auch, dass es bei

der Nutzung der Grid-Technologie um weitmehr geht als die Ausnutzung freier CPU-Zyklen und deren Handel. Solche Fragenwurden seit 10 Jahren auf dem Gebiet desCluster-Computings untersucht und es wur-den entsprechende Scheduling- und Lastver-teilungsmechanismen entwickelt. Damitwurde der Tatsache entsprochen, dass dieklassische Desktoplandschaft eines Unter-nehmens, die bei einer CPU-Laufzeit von(24�7) St./Woche die CPU-Zyklen zu 90%und mehr ungenutzt lasst, okonomisch ei-gentlich eine Ressourcenverschwendung ist.Die Erweiterungen der wissenschaftlichen

Erkenntnismoglichkeiten durch Grid-Tech-nologie basieren zum einen darauf, dass Wis-senschaftler weltweit vernetzt sind, ein-fachen Zugang zu Hochstleistungsrechnernhaben, um ihre Hypothesen effizient uber-prufen zu konnen, dabei aber auch Zugriffauf entfernte Datenquellen haben und ande-rerseits uber fortgeschrittene Visualisie-rungssysteme verfugen. Durch die Simula-tion als dritte Saule der Forschung – neben

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 48 (2006) 1, S. 68–78

Meinung/Dialog 71