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DAS IT-MAGAZIN VON FERCHAU ENGINEERING < atFERCHAU #15 > <10> GLOBALER ZAHLUNGSVERKEHR // Chinesen kaufen im Schwarzwald ein <22> ALLES FUNKT // 5G-Netze für das Internet der Dinge <06> < VOLL AUF DRAHT > Heimische Gründer und das Internet der Dinge

IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

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Page 1: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

D A S I T - M A G A Z I N V O N F E R C H A U E N G I N E E R I N G

<atFERCHAU #15>

<10> GLOBALER ZAHLUNGSVERKEHR // Chinesen kaufen im Schwarzwald ein

<22> ALLES FUNKT // 5G-Netze für das Internet der Dinge

<06>

< VOLL AUF DRAHT >

Heimische Gründer und das Internet der Dinge

Page 2: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

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impressum ihr weg zu uns

atFERCHAU

Ausgabe 02 | 2015

Auflage: 31.000

7. Jahrgang

Chancen erkennen,Chancen ergreifen

Liebe Leserinnen, liebe Leser, vor 49 Jahren legte mein Vater die Basis für die Firma FERCHAU – 1966 war der Bedarf an

angestellten Ingenieuren in unserer Region gering, und durch den Schritt in die Selbstän-

digkeit fand er neue Auftraggeber in Wiesbaden und München. Im gleichen Jahr stellte die

Deutsche Bundespost den Betrieb der letzten Handvermittlungsstelle für innerdeutsche

Gespräche ein. Beide haben ihre Chance erkannt und konsequent genutzt – auf der einen

Seite die gefragte Fachkraft, auf der anderen Seite die sich automatisierende Wirtschaft.

Mit Industrie 4.0 schreiben wir ein weiteres Kapitel in der Zusammenarbeit von

Mensch und Maschine. Und wieder eröffnen sich für beide Seiten neue Chancen: Die

Wirtschaft kann ihre Produktivität und Effizienz verbessern, und den Menschen bieten

sich spannende Herausforderungen. Auch daher bin ich mir sicher, dass hochqualifizierte

Fachkräfte in Zukunft entscheidend für den Erfolg von Innovationen bleiben. Und es wird

sich zeigen, dass ein akademisch-technischer Hintergrund sowie eine entsprechend

profunde Ausbildung zu allen Zeiten die richtige Entscheidung waren.

Für ein Unternehmen wie FERCHAU mit umfassenden Kenntnissen in allen techni-

schen Disziplinen und Produktionsprozessen ist die Ausweitung des Portfolios in Richtung

Industrie 4.0 ein logischer Schritt. Auch daher war der Ausbau des Geschäftsfelds IT

zentraler Bezugspunkt unserer strategischen Ausrichtung. In der Personalstruktur

haben wir dies bereits umgesetzt: Mehr als 1.200 IT-Consultants sind inzwischen für

uns tätig. Auch haben wir unsere internen Abläufe optimiert, um die über 70 FERCHAU-

Niederlassungen besser miteinander zu vernetzen. Gefragt sind ein schneller Überblick

über Projekte und Best Practices mit dem Ziel, passende Ansprechpartner zu finden, den

Kunden übergreifend zu beraten und eine ideale Lösung zusammenzustellen.

Die Entwicklung der Automatisierung wird unser Leben und die Wirtschaft auch in den

kommenden Jahren verändern. Prägende Elemente sind der höhere Grad der internationalen

Vernetzung sowie der Zugewinn an Transparenz, Effizienz und Komfort. Wenn es den Fach-

kräften und damit der Wirtschaft gelingt, diese Möglichkeiten konstruktiv zu nutzen, dann

werden wir alle von der Entwicklung und den Chancen profitieren. Die Gelegenheit muss

indes jeder selbst ergreifen – diese Aufgabe lässt sich vorerst noch nicht automatisieren.

Viel Spaß bei der Lektüre wünscht Ihnen

PS: Im November erhalten Sie Informationen zum Thema Industrie 4.0 von uns. Sprechen Sie uns an,

wenn Sie Ihre Chancen und Risiken für den digitalen Wandel diskutieren wollen.

HERAUSGEBERFERCHAU

Engineering GmbH

Steinmüllerallee 2

51643 Gummersbach

Fon +49 2261 3006-0

Fax +49 2261 3006-99

[email protected]

ferchau.de

CHEFREDAKTION

(V. I. S. D. P.)

Martina Gebhardt

REDAKTIONSTEAMKatharina Bischoff

Dirk Cornelius

Nando Förster

Wibke Kötter

Kerstin Kraft

Dietmar Schönherr

Rolf Schultheis

Christoph Sedlmeir

Nicole Walter

GESTALTUNGMatthias Müller

Fon +49 211 63559150

grafish.de

REDAKTION EXTERNBernd Seidel & Friends

Fon +49 89 890683620

seidelfriends.de

DRUCKGronenberg

Druck & Medien

51674 Wiehl

Fon +49 2261 9683-0

<03>< e d i t o r i a l >

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D A S I T - M A G A Z I N V O N F E R C H A U E N G I N E E R I N G

<atFERCHAU #15>

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< i n s i d e / e v e n t s >

< v o i c e s >

OSCAR FÜR atFERCHAU

Große Ehre: Die atFERCHAU holt erneut Gold beim größten Corporate-Publishing-Wettbewerb in Europa.

POLE-POSITION

Was bedeuten die Digitalisierung, das Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch.

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GEWINNSPIEL16

< n u m b e r s >

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< c o v e r >

START-UPS

Zahlen, Daten und Fakten zur neuen deutschen Gründerzeit.

KUCKUCKSUHREN FÜR CHINESENIn Off enburg nahe dem Schwarzwald unterstützt FERCHAU Lösungen für den globalen Zahlungsverkehr.

SCHNELLER ZUM ZIEL

Routen planen, Touren optimieren und geschickter navigieren: Ein FERCHAU-Consultant beschreibt, worauf es in der Verkehrsplanung ankommt.

DAS DEUTSCHE VALLEYWir sind kein Volk von Gründern – das Internet der Dinge hat jedoch das Potential, das zu ändern.

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< b r a n c h e n g e f l ü s t e r >

INDUSTRIE 4.0 BRAUCHT NEUE SCHNITTSTELLENMaschinen, Anlagen und Produkte können nur kommunizieren, wenn es passende Schnittstellen gibt. Deren Entwicklung ist ein komplexer Prozess.

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VIRTUELLE DATENAUTOBAHNEN

Die IT-Vernetzung der Zukunft braucht eine neue Mobilfunkgeneration: 5G. Forscher arbeiten daran, dass die Daten schneller fl iegen lernen.

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DIE WELT AUS DEM DRUCKER

3D-Drucker zwingen Ingenieure und Entwickler zum Umdenken. Durch die Tech-nologie öff net sich eine völlig neue Welt.

ENIGMAS ERBEN

Quantencomputer sind bald in der Lage, beliebige Verschlüsselungen zu enträtseln.

QUANTIFIED SELF

Das eigene Leben vermessen – wer braucht das und was bringt es?

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IT RUND UMS RENNMOTORRAD

Florian Alt fährt Motorradrennen in der Klasse Moto2. Er erläutert, wo und warum IT in seinem Beruf unverzichtbar ist.

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BAUM DER ERKENNTNIS

Selbstkontrolle – das Leben im Griff .29

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ÜBERSTEHT DIE ERSTEN DREI

JAHRE NICHT.

80 PROZENT DER DEUTSCHEN ENTSCHEIDEN SICH GEGEN DAS GRÜNDEN, WEIL DIE ANGST VOR DEM MISSERFOLG ZU GROSS IST.

JEDE DRITTE GRÜNDUNG

(32 PROZENT)

SIND ZU KNAPP 90 PROZENT MÄNNLICH,

START-UP-GRÜNDER:

VERFÜGEN ZU ÜBER 81 PROZENT ÜBER EINEN HOCHSCHULABSCHLUSS

UND SIND IM DURCHSCHNITT 34,9 JAHRE ALT.

ALLER START-UPS WERDENIN TEAMS GEGRUNDET.77 PROZENT

11 BIS 18 PROZENT GRÜNDEN NACH EINEM MISSERFOLG EIN WEITERES MAL. DIE DURCHSCHNITTLICHE ERFOLGSQUOTE DES ZWEITEN ANLAUFS IST UNGEWÖHNLICH HOCH.

1

3

4

IM JAHR 2013 SANK DIE ZAHL DER DEUTSCHEN VOLLERWERBSGRÜNDUNGEN AUF EINEN HISTORISCHEN TIEFPUNKT, IM VERGANGENEN JAHR STIEG SIE AUF KNAPP 400.000 WIEDER LEICHT AN. 2

*

1

1

DIESER WERT IST DIAMETRAL ENTGEGENGESETZT ZUM DURCHSCHNITTLICHEN GRÜNDUNGSGESCHEHEN IN DEUTSCHLAND (23 PROZENT TEAMGRÜNDUNGEN).

* Vollerwerbsgründung bedeutet, dass Existenzgründer ihre selbständige Tätigkeit hauptberufl ich und auf Dauer ausüben. Die Mittel

für ihr Unternehmen sowie für ihre private Lebensführung können allein durch die selbständige Tätigkeit aufgebracht werden.

Quellen: 1 Deutscher Start-up Monitor 2014 2 KfW-Gründungsmonitor 2015 3 Factbook Gründerland Deutschland 4 Amway-Studie 2014

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»Standing on the shoulders of giants«: Verglichen mit US-Internet-Konzernen, wirken

deutsche Start-ups klein. Das kann sich bald

ändern – einen Versuch ist es immer wert.

Illustration: Miriam Migliazzi & Mart Klein, dainz.net

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In den USA boomt die Gründerszene. Die Deutschen gehen

eher auf Nummer sicher. Mit dem Internet der Dinge und

Industrie 4.0 könnte sich das ändern.

Zeit für eine neue Gründerzeit

DAS DEUTSCHE VALLEY

 A ls Frederik Brantner die Apo-

theke verließ, ahnte er noch

nicht, dass die Idee, die er im

Kopf hatte, die Lager- und

Fabrikhallen der Zukunft er-

obern, ja, die Industrie 4.0

mitgestalten könnte. Er dachte zuerst an sich

selbst. An all die Dinge, die in seiner Wohnung

herumlagen. Er müsste sie nur einsammeln

und in eine Schublade werfen, ein kluger Ro-

boter würde sie aufräumen. Wenn er etwas

brauchte, müsste er es dem Roboter nur sa-

gen. Ein Kommissionierautomat, wie er ihn

in der Apotheke eben gesehen hatte – für je-

dermann. Eine Maschine, die Dinge ein- und

ausräumt und sie demjenigen bringt, der sie

haben möchte. Nein, die Idee stammt nicht

aus dem Silicon Valley, sondern vom Betriebs-

wirt Frederik Brantner, der aus dem Breisgau

kommt und in Bayern lebt. Er ist der Geschäfts-

führer eines Start-ups im Münchner Westen.

Brantner hat eine große Vision für sein kleines

Unternehmen. »Wir wollen Weltmarktführer

in unserer Nische der klugen Logistikroboter

werden«, sagt der Gründer.

Deutschland baut am Internet der Dinge.

Anders als bei der Entwicklung des Internets

sollen die besten Ideen diesmal nicht aus dem

Silicon Valley kommen. Die US-Pioniere neh-

men Deutschland als Innovationsstandort

bereits ernst. Ingenieurexpertise ist gefragt.

Eines der ersten und heute einflussreichsten

Unternehmen im Valley, der Netzwerk-Aus-

rüster Cisco, hat in einer Studie errechnet: Das

Potential, das die deutsche Wirtschaft lang-

fristig mit dem Internet der Dinge erwirtschaf-

ten könnte, liegt bei mehr als 700 Milliarden

Euro. Deutschland könne eine der zwei, drei

führenden Kräfte weltweit werden. Konzerne

wie Bosch, Siemens oder die Telekom arbei-

ten längst an digitalen Strategien. Doch das

genügt nicht. »Die Dynamik einer Volkswirt-

schaft hängt ganz entscheidend von jungen

Unternehmen ab, die mit innovativen Ideen in

den Markt eintreten«, sagte bereits vor einigen

Jahren der Staatssekretär im Wirtschaftsmi-

nisterium Ernst Burgbacher. Die digitale Wirt-

schaft braucht eine florierende Gründerszene,

ein deutsches Valley.

Doch Deutschland ist nicht bekannt für

seinen Unternehmergeist, sondern gilt als

Land der Arbeiter und Angestellten. Die Angst

vor dem Scheitern sitzt tief. Wenn etwas

schiefgeht, schämen wir uns, wir huldigen lie-

ber dem Perfektionismus. In den USA hingegen

hat sich eine positive Fehlerkultur entwickelt:

Scheitern bedeutet, aus Fehlern zu lernen.

Gründer feiern den Untergang ihres Unterneh-

mens auf »Failure Parties«, bei denen sie sich

mit anderen Gescheiterten austauschen. ↘

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Page 8: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

Im Jahr 2013 sank die Zahl der deut-

schen Vollerwerbsgründungen auf einen

historischen Tiefpunkt. Im internatio-

nalen Vergleich schneidet Deutschland

mies ab: Mit einer Gründungsquote von

fünf Prozent belegt es Platz 22 von 26.

Die Vereinigten Staaten erreichen mit

einer Quote von mehr als zwölf Prozent

Platz eins.

Doch der erste Blick trügt. Wer ge-

nauer hinsieht, entdeckt, dass sich in der

deutschen Gründerszene einiges tut. Als

besonders kreativ und dynamisch gelten

die Neugründungen in der digitalen Wirt-

schaft, für die sich der Name Start-ups

etabliert hat. Es sind zwar noch wenige,

doch dafür sind sie hochinnovativ und wei-

sen ein enormes Wachstumspotential auf.

So auch »Magazino«, das von Frede-

rik Brantner gegründete Start-up in Mün-

chen. Nachdem er in der Apotheke von

der Idee kluger Logistikroboter infiziert

worden war, verbrachte er einige schlaf-

lose Nächte. Schließlich veranstaltete

er ein Creative-Thinking-Wochenende,

um sich mit anderen auszutauschen, und

überzeugte einen Ingenieur und einen In-

formatiker davon, einzusteigen. Bald tüf-

telten die drei in einem kleinen mietfreien

Büro in der Münchner Innenstadt an ih-

rem Geschäftsmodell. Das Chaos in den

eigenen Schubladen interessierte Brant-

ner immer weniger. Je länger er und sei-

ne Kollegen nachdachten, desto mehr

wirtschaftlich bedeutsame Anwendungs-

bereiche fielen ihnen ein. Sie sahen ihr

Produkt beispielsweise im E-Commerce:

In den Lagerhallen von Online-Händlern

wie Amazon sortieren Tausende Mitar-

beiter Millionen von Dinge in Regale ein

und wieder aus. Dafür wären doch ihre

Roboter bestens geeignet. Ebenso sahen

sie Geschäftspotential in der Fertigung:

Ihre Maschinen könnten als Pick-and-

place-Lösungen in der flexiblen Fabrik

der Zukunft eingesetzt werden, bei-

spielsweise in der Automobilindustrie.

Brantner ist ein knappes Jahr durch

die Gegend getingelt und hat potentiellen

Kunden und Investoren von seiner Ge-

schäftsidee erzählt. Mit Erfolg. Er fand

Geldgeber, im Januar 2014 gründeten er

und seine beiden Kollegen eine GmbH.

Heute mieten sie 270 Quadratmeter Bü-

rofläche und haben rund 20 Mitarbeiter

angestellt. Industrie 4.0 ist das, was in

deren Köpfen und Rechnern passiert.

Knapp 400 Kilometer entfernt treffen

sich täglich ein paar junge Männer in ei-

ner Garage und basteln ebenfalls am In-

ternet der Dinge. Die Garage gehört zur

Gründerwerkstatt neudeli der Bauhaus-

Universität in Weimar. Der Architekt

Martin Breuer, der Kognitionswissen-

schaftler Bastian Bügler und der Medien-

manager Nicolas Herrmann haben das

Start-up »plants & machines« gegründet.

Ihr Produkt ist ein automatisierter aqua-

ponischer Garten, der die Tier- und die

Pflanzenzucht vereint. Über ihre Vision

sagt Herrmann: »Wir wollen den Anbau

von Lebensmitteln in die Wohnungen brin-

gen.« Wenn es nach plants & machines

geht, kann bald jeder Städter seine eige-

ne kleine Farm bewirtschaften – ohne mit

den Händen in der Erde zu buddeln oder

den Parkettboden zu beschmutzen. Alles,

was der Städter braucht, ist diese Kons-

truktion aus der Weimarer Garage.

Sie sieht aus wie eine Art Aquarium:

Zwei gläserne Kisten in der Größe von

Getränkekästen stehen aufeinander. Die

untere ist halbvoll mit Wasser, Zierfische

schwimmen darin, Neonsalmler, Guppys,

Goldfische. In der oberen wachsen Pflan-

zen, Basilikum beispielsweise oder Chili-

schoten. Es ist ein in sich geschlosse-

nes Ökosystem, das den Fischkot filtert

und damit die Pflanzen düngt. Sensoren

messen Werte wie den Wasserstand,

die Luftfeuchtigkeit und das Lichtspek-

trum. Die Daten werden in einer Schub-

lade am unteren Ende der Konstruktion

verarbeitet. Einer Schublade, randvoll mit

Elektronik und künstlicher Intelligenz:

einem Rasperry-Pi-Minicomputer, vier

Platinen, mehreren USB-Anschlüssen,

Computerchips, kleinen Schaltern und

Lämpchen. Die Technik sorgt dafür, dass

Wasser, Licht und Luft perfekt aufeinan-

der abgestimmt sind. Das vermeintliche

Aquarium ist ein Computer, der sich um

die Tiere und die Pflanzen kümmert. Der

Städter muss nichts tun, außer Wasser

aufschütten und die Fische füttern.

Frederik Brantner ist der

Geschäftsführer des Münchner

Start-ups »Magazino«.

Regal-Roboter »Toru«: Der Name kommt aus dem

Japanischen und bedeutet »greifen«. Im Gegensatz zu

heutigen Systemen schafft es Toru, Objekte selbständig

aus dem Regal beziehnungsweise Karton zu entnehmen.

Das Gründerteam des Weimarer Start-ups

»plants & machines« (v. l.): Martin Breuer, Nicolas Herrmann, Bastian Bügler.

»Wer genauer hinsieht,

entdeckt, dass sich in der

deutschen Gründerszene

einiges tut.«

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Page 9: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

Anfang 2016 soll das Produkt

marktreif sein. Die Macher sehen die

entwickelte Technik nicht nur im Smart

Home, sondern wollen damit auch Ge-

wächshäuser automatisieren, um Le-

bensmittel-, Zier- und Zuchtpflanzen in

größerem Stil anzubauen, egal wo und

bei welcher Temperatur. Ein Projekt für

die Zukunft, sagen sie, da ihre Ökosyste-

me so effizient arbeiten, dass sie kaum

Ressourcen verbrauchen.

Es gibt einen weiteren Anwendungs-

bereich des Internets der Dinge, in dem

viel Potential schlummert: elektronische

Textilien. Wissenschaftler am »Design

Research Lab« in Berlin, einem Institut

der Universität der Künste, erforschen ihn

für eine universitäre Einrichtung unge-

wöhnlich praxisorientiert. »Unsere Vision

ist es, dass elektronische Textilien alltäg-

lich werden. Wir betreiben Forschung, die

darauf wartet, dass Produkte daraus wer-

den«, sagt Katharina Bredies, die den Be-

reich leitet. Einige Mitarbeiter sind gerade

dabei, sich mit Produktideen selbständig

zu machen. Das Design Research Lab ist

nicht nur Labor, sondern auch eine Ta-

lentschmiede für Start-up-Gründer.

»Wie gehen wir mit Technik um,

wenn sie plötzlich weich, biegsam oder

knotbar ist? Welche Chancen ergeben

sich daraus?« Um solche Fragen dreht

sich die Arbeit von Katharina Bredies und

ihrem Team. Sie entwickeln elektroni-

sche Textilien, die stark auf ihre Funktion

ausgerichtet sind und dabei gut ausse-

hen. Bredies nennt drei Beispiele.

Erstens: das Notfalljackett für

Schlaganfallpatienten. Die Jacke erlaubt

es ihrem Träger, bei einem Sturz den

Notarzt zu alarmieren. Im Alltag können

Menschen, die im Notfall Hilfe benöti-

gen, das Jackett tragen, ohne als Patien-

ten aufzufallen. »Selbst wenn Leute alt

oder krank sind, wollen sie sich stilvoll

kleiden«, sagt Bredies.

Zweitens: vernetzte Strickstulpen

für die Handgelenke. Sie eignen sich für

Menschen, die viel am Computer arbei-

ten. Wer beim Tippen seine Hände falsch

belastet, kann sich die Sehnenscheiden

entzünden. Die elektronischen Strick-

stulpen erfassen die Bewegungsdaten

und warnen den Träger, wenn er seine

Hände ungünstig bewegt. Die Stulpen

pflegen und beugen vor. Im Gegensatz

zu einer medizinischen Bandage sehen

sie schick aus.

Drittens: interaktive Handschuhe.

Sensoren an den Fingern messen, ob die

Hände ausgestreckt oder gebeugt sind,

und erkennen die jeweilige Geste. Das

Textil könnte gehörlosen Menschen das

mobile Kommunizieren erleichtern.

Es gibt sie also reichlich, die deut-

schen Ideen zum Internet der Dinge.

Und die Beispiele zeigen, dass es sich

lohnt, den Gründergeist zu wecken. Die

Gesellschaft müsste sich darauf einlas-

sen, Scheitern als Chance zu begreifen.

Das würde nicht nur die Gründer, son-

dern auch potentielle Investoren ermu-

tigen. Ein deutscher Investor überlegt

dreimal: Ist es das Risiko wert? Im Sili-

con Valley werden aus dem Nichts Millio-

nen in ein Start-up gesteckt, bei dem man

noch keine Ergebnisse sieht, sondern le-

diglich an die Vision glaubt. Auch die Po-

litik könnte nachhelfen, beispielsweise

indem sie die Digitalwirtschaft steuer-

lich fördert. Gründer brauchen ein posi-

tives Umfeld, um den Mut zu fassen, ihre

waghalsigen Ideen umzusetzen. Sonst

gehen sie verloren. //

HIER WIRD GEGRÜNDET

Wo in Deutschland die Hochburgen für

digitale Gründer liegen – und warum.

ferchau.de/read/it152a

web-special

mehr informationen

Deutscher Start-up Monitor 2014 deutscherstartupmonitor.de

KfW-Gründungsmonitor 2015 bit.ly/1KogA2e

»plants & machines«: Unsere kleine Farm

für die urbane »Frischzellen«-Produktion.

Hält nicht nur warm: Mit der »Wavecap« kann man Radio

hören – das Zugband mit Bommeln regelt die Lautstärke,

und mit dem Glöckchen lässt sich der Sender wechseln.

Katharina Bredies entwickelt

am Berliner »Design Research

Lab« elektronische Textilien.

»Unsere Vision ist es, dass

elektronische Textilien

alltäglich werden.«

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Page 10: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

Kuckucksuhr Titisee

Die

vom

Volksbank Off enburg: Zahlungssysteme für eine globalisierte Welt

< p r o j e c t s >

Page 11: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

Eine globalisierte Welt braucht Zahlungsmittel, die rund um den Globus

funktionieren. Die Volksbank Off enburg eG mit der eigens für den Vertrieb

gegründeten First Cash Solution Vertriebs-GmbH ist eine der wenigen Banken

in Deutschland, die auch global agierenden Unternehmen Lösungen

für den bargeldlosen Zahlungsverkehr anbieten.

Wenn jemand eine Reise

tut, so kann er was ver-

zählen …« So beginnt

das bekannte Gedicht

»Urians Reise um die

Welt« von Matthias

Claudius aus dem Jahr 1786. Obwohl

mittlerweile fast 230 alt, hat das Motto

mehr Gültigkeit denn je.

... setzt der Dichter seine Wortkunst

fort. Doch hier macht er die Rechnung

ohne den Wirt der Neuzeit. Der will mög-

lichst sofort bezahlt werden. Ob mit Bar-

geld oder per Plastik. Ungünstig nur,

wenn der Händler – nehmen wir beispiels-

weise den Kuckucksuhrenverkäufer am

schönen Titisee im Hochschwarzwald –

die Kreditkarten der Reisegruppe aus

China nicht akzeptiert. Zum Hintergrund:

Kuckucksuhren stehen als Souvenir für

Touristen aus China hoch im Kurs, und

die Region um den Titisee gehört zum

Pflichtprogramm.

Auf knapp zwei Millionen Übernach-

tungen hierzulande bringen es dieses

Jahr Reisende aus dem Reich der Mitte,

schätzt das Statistische Bundesamt. Da-

bei geben sie durchschnittlich in einem

deutschen Tax-free-Shop 536 Euro aus.

Tendenz jedes Jahr steigend. Doch die

einzige Kreditkarte Chinas – Union Pay –

wird nicht überall akzeptiert.

Damit den Händlern der Umsatz nicht

entgeht, gibt es clevere Finanzdienstleis-

ter wie die Volksbank Offenburg eG. Sie

bietet Unternehmen einen vollständigen

Service, von der Bereitstellung der Ter-

minals und der Tresorlösungen über die

Akzeptanz aller Karten bis hin zur Abrech-

nung und automatisierten Verbuchung

der Zahlungsverkehrstransaktionen. Und

das nicht nur im Schwarzwald: Zu den

Kunden der Volksbank zählen Modeket-

ten wie Orsay, Pimkie und Hallhuber und

weitere internationale Großunternehmen

und lokale Händler und Restaurants.

»Rückgrat des reibungslosen Zah-

lungsverkehrs ist eine umfassende

IT-Infrastruktur, welche die Volksbank

ihren Kunden bereitstellt, gepaart mit ei-

nem Bündel an Services, die sich ständig

weiterentwickeln«, erklärt FERCHAU-

IT-Consultant Sebastian Hoch. Der Ba-

chelor of Science angewandte Informatik

unterstützt als Softwareentwickler das

Inhouse-Team im Bereich Zahlungsver-

kehr. Eine Spezialität der Offenburger

sind sogenannte Cashpooling-Produkte,

führt Hoch weiter aus. Mit dem Cashpoo-

ling werden beispielsweise die gesam-

ten bargeldlosen Zahlungen eines Tages

gebündelt und in einem Betrag gutge-

schrieben. So sinken Kontoführungsge-

bühren auf ein Minimum.

Beispiel: Wird in der Filiale einer

Restaurantkette in Europa über das Kar-

tenterminal bezahlt (egal, von welchem

Kreditinstitut die Karte ist), überweist

die Volksbank Offenburg den Betrag und

zieht ihn anschließend vom Konto des

Käufers ein. Die Zentrale der Restaurant-

kette bekommt diese Zahlungen gebün-

delt, kann sie über Cardview verfolgen

und später Auswertungen generieren.

Die Ausweitung der Produktpalette

wurde im letzten Jahr mit der Integration

von Bargeldentsorgungslösungen weiter

fortgesetzt. Die Systemlösungen basie-

ren vollständig auf Technologien aus

Microsofts .NET-Welt. »Momentan steht

die SEPA-Umstellung für den Kartenbe-

reich an, also müssen auch neue gesetz-

liche Anforderungen integriert werden«,

ergänzt Hoch. Zu seiner abwechslungs-

reichen Tätigkeit gehört es auch, neue

Kreditkartenanbieter samt Sicherheits-

erfassung zu implementieren oder Ex-

portschnittstellen zu programmieren,

um Daten für die Abrechnung bereitzu-

stellen. Eine selbständige, strukturierte

Arbeitsweise und gute Kommunikations-

Skills, um sich etwa mit Produktmanage-

ment und Operating abzustimmen, sind

klare Anforderungen. Im Bankenumfeld

rundet die absolute Geheimhaltungs-

pflicht das Profil ab. ↘

»Ich gab dem Wirt

mein Ehrenwort,

Ihn nächstens zu bezahlen;

Und damit reist ich

weiter fort

Nach China und Bengalen ...«

über die volksbank offenburg eg

Die Volksbank Off enburg eG wurde 1864 als

Genossenschaft gegründet und beschäftigt

329 Mitarbeiter. Mit fast 40.000 Mitgliedern

und 18 Geschäftsstellen positioniert sie sich

als starker Netzwerkpartner in der Region.

mehr informationen

MANUEL GIERINGER Account Manager IT

FERCHAU Freiburg

[email protected]

ferchau.de/go/freiburg

Entwicklung: Visual Studio 2013,

MS SQL Server 2008, C#, VB.NET

Zur Quellcodeverwaltung: Team Foundation

Server 2013

Anforderungs-/Projektmanagement:Sharepoint

methoden und tools

<11>< p r o j e c t s >

Page 12: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

Dirk Knittel (links), Geschäftsführer First Cash Solution Vertriebs-GmbH, und FERCHAU-IT-Consultant Sebastian Hoch prüfen die neue Terminalsoftware.

Methodisch greift das Team auf Be-

währtes zurück, um neue Funktionen zu

entwickeln. »Je nach Projektinhalt ge-

hen wir nach dem Wasserfallmodell vor

oder setzen agile Verfahren ein«, sagt

Hoch. Vom Grob- und Feindesign über

die Implementierung bis zum abschlie-

ßenden Test und Roll-out ist der 25-Jäh-

rige, der nach dem Standard ISTQB zer-

tifizierter Tester ist, in alle Phasen der

Entwicklung eingebunden.

Doch nicht nur die Arbeit an den

»großen Baustellen« schätzt IT-Consul-

tant Sebastian Hoch. Motivierend sind

für ihn auch die abwechslungsreichen

»kleineren Projekte«, wie er sie nennt.

So hat er ein Programm geschrieben,

das Logfiles ausliest und nach Syntax

und Semantik analysiert, um dem Ver-

trieb die Arbeit zu vereinfachen.

Der Gestaltungsspielraum, den die

Volksbank den Entwicklern zugesteht,

macht’s möglich. »Das gibt Raum für

Kreativität«, findet Hoch. Den er gerne

nutzt und Tools innerhalb der Entwick-

lung einführt, um Abläufe und die Arbeit

der Kollegen weiter zu verbessern. Auf

sein Konto gehen die Umstellung des be-

stehenden Versionsverwaltungssystems

auf den Team Foundation Server von

Microsoft und die Einführung einer sta-

tischen Code-Analyse. »Ich liebe es, den

Überblick über Projekte und eine strate-

gische Sicht darauf zu haben«, erklärt er.

Aus der Vogelperspektive erkennt er, wo

Verbesserungen möglich sind. //

weitblick

Laut Bundesverband Banken e.V.

gibt es hierzulande rund 2.000 Kredit-

institute mit circa 38.000 Filialen und

etwa 56.000 Geldautomaten. Rund

645.000 Menschen sind im Kreditgewer-

be beschäftigt (alle Zahlen von 10/2014).

Rund 20 Milliarden bargeldlose Trans-

aktionen wurden 2013 vollzogen, davon

3,6 Prozent mit Kreditkarten. 55 Prozent

der Kunden nutzen Online-Banking.

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Die PTV Group ist ein führender Hersteller für Traffi c- und

Logistics-Software. Robert Göhler, IT-Consultant von FERCHAU,

erklärt, wie die Lösungen die Verkehrsplanung und die

Verkehrssteuerung unterstützen und optimieren.

PTV: Optimierung logistischer

Planungen mit Echtzeit-Simulations-Daten

TRAFFIC MEETS LOGISTICS

<13>< p r o j e c t s >

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Sie stürzen mit 200 Stundenkilometern in einem Wingsuit in Richtung Erdboden.Weit über 200 Absprünge mit dem Fallschirm haben Sie absolviert. Wie hält ein – Sie entschuldigen den Ausdruck – Adrenalin-Junkie vor dem Rechner die Füße still und kann sich aufs Program-mieren konzentrieren?

Auf den ersten Blick hat beides

nichts gemeinsam, doch im Kern fühlt

es sich für mich häufig sehr ähnlich an.

Ich liebe die Komplexität: die beim Fall-

schirmspringen und die von IT-Systemen.

Wenn ich Systemarchitekturen entwerfe,

programmiere oder teste und mich auf

die Suche nach Programmfehlern be-

gebe, tauche ich ein in eine andere Welt.

Dann bekomme ich einen Tunnelblick, bin

total fokussiert, probiere unterschiedli-

che Ansätze, entwickle Hypothesen und

kreise das Problem Schritt für Schritt

ein. Wenn das Programm dann bei Wie-

derstart läuft, denke ich: »Yes, schon wie-

der geschafft.« Das ist ein Glücksgefühl

– ähnlich wie beim Fallschirmspringen.

Sie arbeiten im Logistics-Data-Techno-logies-Team. Was kann die Lösung und welchen Nutzen bringt sie? Das Geschäftsfeld »Logistics Soft-

ware« adressiert unter anderem die The-

men Routenplanung, Tourenoptimierung

und Navigation. Um optimale Routen,

etwa für Speditionen oder das Fuhrpark-

management, berechnen zu können,

kommen neben geographischen Karten

auch Zusatzdaten zum Einsatz: Ver-

kehrsmeldungen, Verkehrsbelastungen

zur Rushhour und so weiter. Das zweite

Geschäftsfeld, »Traffic Software«, be-

schäftigt sich unter anderem mit Frage-

stellungen wie Verkehrssimulation und

-prognose. PTV Optima arbeitet mit

komplexen Verkehrsmodellen und ist in

der Lage, eine Verkehrsprognose für die

Zukunft auf Basis von Echtzeitdaten zu

berechnen. Dies können zum Beispiel

Daten von kommunalen Messstationen

oder aktuelle Verkehrslagedaten von pro-

fessionellen Providern sein.

Wie exakt sind diese Simulationen?Hier sind zwei Parameter wichtig:

Erstens: Für welchen Zeitraum sind Pro-

gnosen möglich? Zweitens: Wie exakt bil-

den sie die Realität ab? Momentan sind

Voraussagen anhand von Echtzeitdaten

wie der Geschwindigkeit des Verkehrs

von bis zu 1,5 Stunden im Voraus rea-

listisch – Voraussagen bis zu einer Wo-

che sind das Ziel. Die Prognosequalität

unserer Simulationen analysieren wir

permanent; momentan in einem Projekt

mit einer europäischen Metropolregion.

Dazu vergleichen wir die berechneten

Prognosedaten mit Daten aus der Reali-

tät (Floating-Car-Data), die PTV ebenfalls

zur Verfügung stehen.

Wie sieht Ihre Aufgabe konkret aus? Mit dem Projekt lassen sich die

von PTV Optima berechneten Verkehrs-

prognosen als Mehrwertdaten für eine

genauere Routenberechnung in logisti-

schen Produkten, wie dem »PTV xRoute

Server«, verwenden. Meine Aufgabe

ist die Entwicklung und Integration von

OSGi-gestützten Modulen unter »Apa-

che Karaf« und »Felix«. Sie versorgen

wiederum Softwarekomponenten aus

dem Logistics-Bereich mit aktuellen

Zusatzdaten. Alle fünf Minuten wird eine

aktuelle Verkehrsprognose in unter-

schiedliche Formate konvertiert, über

serviceorientierte Schnittstellen an ande-

re Softwarekomponenten weitergereicht

und mit Informationen angereichert,

bevor sie in eines der Endsysteme einge-

speist wird.

Welche Eff ekte erzielen Sie damit?Der Nutzen liegt in der Integration

von Traffic-Simulations-Daten in Ver-

fahren zur Routenplanung, zur Touren-

optimierung und auch zur Berechnung

möglichst genauer Ankunftszeiten in

der Tourdurchführung. Konkret könnten

das Ankunftszeiten von Lkw an den La-

derampen von Kunden sein, die auf die-

se Weise besser vorausgesagt werden

können.

In vielen Softwareprojekten wird nach der Methode Scrum gearbeitet. Wie sieht das Projektmodell bei PTV aus?

Scrum ist auch bei PTV das bevor-

zugte Vorgehensmodell. Meistens arbeite

ich in Scrum-orientierten Teams, wo wir

unsere Aufgaben per User-Storys (eine

in Alltagssprache formulierte Software-

anforderung, Anm. d. Red.) entweder di-

gital oder über Whiteboards selbst orga-

nisieren. Sind die User-Storys definiert,

gehe ich auf die Jagd nach Informationen.

Ich lasse mir erklären, was genau pro-

grammiert werden soll, wer damit ar-

beiten muss, welche Systemressourcen

benötigt werden, was konfigurierbar sein

muss, welche Schnittstellen angeboten

und welche Schnittstellen bedient werden

müssen.

Mit welchen Systemen und Programmen arbeiten Sie hauptsächlich?

Als Entwicklungsumgebung nutze

ich »IntelliJ« von IDEA, davon habe ich so-

gar eine Privatlizenz auf meinem Rechner

zu Hause. Mein persönliches Lieblings-

framework ist »Spring«, eine quelloffene

Entwicklungsumgebung für die Java-

Plattform. Daneben nutze ich gängige

Programme wie Apache Maven, Jenkins

Build, SVN oder GIT.

Die rasche Einarbeitung in neue Tools und Kenntnisse zum Fachgebiet Transport-logistik und Geokoordinaten sind häufi g eine Herausforderung ...

Stimmt. Die vielfältige Auswahl un-

terschiedlicher Systeme, Frameworks

und Technologien, die bei PTV kombiniert

werden, macht ein ständiges Umdenken

und Weiterbilden erforderlich. Aber ich

arbeite im Team mit meinen Kollegen im-

mer sehr eng zusammen und stelle Fra-

gen. So lerne ich sehr schnell dazu, auch

in den fachlichen Themenfeldern wie Lo-

gistik und Geodaten. Mir bereitet diese

Komplexität, mich in einer stark modula-

ren Softwarelandschaft zu bewegen, viel

Freude. Für mich heißt das: eintauchen

und komplett darauf einlassen. //

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über ptv

Die PTV Group bietet Software und Consulting für Verkehr,

Transportlogistik und Geomarketing: ob Transportrouten,

Vertriebsstrukturen, Individualverkehr oder öff entlicher

Verkehr. Rund um den Globus arbeiten rund 600 Mitarbeiter

an leistungsstarken und zukunftsweisenden Lösungen.

Der Hauptsitz befi ndet sich in der Technologieregion

Karlsruhe und ist seit der Unternehmensgründung 1979

das Entwicklungs- und Innovationszentrum.

mehr informationennen

RALF BRAUNSenior Account Manager IT

FERCHAU Karlsruhe

[email protected]

ferchau.de/go/karlsruhe

Projektmethodik: Scrum (agiles Projektmanagement)

Entwicklungsumgebung: JavaSE, OSGi, Apache Felix,

Spring Framework, XML

Kommunikation: Restfull, WebService, Apache Camel

Tools: IDEA IntelliJ (Entwicklungsumgebung),

Apache Maven (Build-Automatisierung und -Management),

Apache Karaf (OSGi-Container)

Datenbanken: Postgres, MapDB (NoSQL)

Infrastruktur: SVN (Sourcecodeverwaltung), Jenkins Build,

Atlassian Jira, Atlassian Confl uence

methoden und tools

weitblick

Verkehrsoptimierung ist nötigDie Gesamtfahrleistung von Lkw mit Dieselantrieb lag laut

Statista im Jahr 2012 bei rund 60 Milliarden Kilometer

allein in Deutschland. Die Anzahl der Lkw hierzulande belief

sich laut Kraftfahrt-Bundesamt im Jahr 2014 auf rund

2,6 Millionen Fahrzeuge. Das Güteraufkommen durch Lkw

ist 2013 mit rund drei Milliarden Tonnen transportierter

Güter gegenüber dem Vorjahr leicht gestiegen. Der Anteil

der Lkw am Güterverkehr in Deutschland liegt damit bei

rund 70 Prozent der insgesamt transportierten Güter von

4,4 Milliarden Tonnen. Im Wirtschaftsbereich Verkehr sind

rund zwei Millionen Menschen in 87.500 Unternehmen

beschäftigt. 2014 gab es in Deutschland 475.000 Staus mit

einer Gesamtlänge von 960.000 Kilometern. Insgesamt

summierten sich die gemeldeten Staus auf eine Dauer

von 285.000 Stunden – umgerechnet mehr als 32 Jahre.

Quellen: Statista, Statistisches Bundesamt

Links: Robert Göhler, IT-Consultant von FERCHAU, liebt die Komplexität – beim Fallschirmspringen

und beim Programmieren.

Rechts: Projektbesprechung mit Axel Gußmann, Director Logistics Data Services bei PTV, Robert Göhler und Dominik Eisenberg,

Manager Data Technologies bei PTV (v. l. n. r.).

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Page 16: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

Laut Apple zeigt die Apple Watch nicht

nur die Zeit an, sondern versteht auch,

was Zeit für Sie bedeutet. Ganz schön

hoher Anspruch. Was kann sie wirklich?

Nachrichten senden und empfangen, te-

lefonieren, mailen, Termine und Kontakte

checken. Und die Apple Watch misst all

Ihre Bewegungen, egal ob beim Gassi

gehen, beim Treppensteigen, beim Mit-

den-Kindern-Spielen oder beim Sport

und bei der Arbeit. Sie merkt sich sogar,

wann man aufsteht, um motiviert weiter-

zumachen, oder wann Bewegungsmangel

herrscht.

Wenn Sie eine Apple Watch (42-Milli-

meter-Aluminiumgehäuse, Space Gray,

mit Sportarmband in Black) gewinnen

wollen, dann loggen Sie sich ein unter:

ferchau.de/go/it-gewinnspiel und beant-

worten Sie folgende Frage: Wie lang (Kilo-

meter) soll das Quantennetzwerk zwischen

Schanghai und Peking werden? Tipp: Auf-

merksam die Seite 26 lesen. Einsende-

schluss ist der 04.12.2015. Viel Glück!

Gewinner des iPhone 6 der letzten

Ausgabe ist: Herr Wolfgang Schmidt von

der Martin GmbH in München. Herzlichen

Glückwunsch!

atFERCHAU-Gewinnspiel

Platz eins beim BCP-Award

APPLE WATCH: MEHR ALS EIN ZEITEISEN

atFERCHAU ERHÄLT GOLD

ferchau.de/go/it-gewinnspiel

Mit rund 730 eingereichten Publika-

tionen brach der Best-of-Corporate-

Publishing-Award (BCP) 2015 alle

Rekorde. In diesem Jahr wurde der

Award zum 13. Mal in 28 Kategorien

und viermal als Sonderpreis vergeben.

FERCHAU setzte sich mit seinem IT-

Magazin »atFERCHAU« in der Kategorie

»B2B Magazin – IT/Kommunikation/Ener-

gie« – neben Unternehmen wie T-Systems

International GmbH, Wingas GmbH und

KYOCERA GmbH erfolgreich durch.

Ausschlaggebend für den Preis waren

vor allem die herausragende journalisti-

sche Qualität und die außergewöhnliche

Gestaltung des Kundenmagazins. »Mit der

<atFERCHAU#14> hat das Gummersba-

cher Familienunternehmen das etwas an-

dere IT-Magazin geschaffen: Hochmodern

durchgestylt, alle Artikel mit einem Touch

von Lifestyle und das Ganze inhaltlich so

aufbereitet, dass der Anspruch der fach-

lichen Relevanz nicht verloren geht«, so

die Begründung der Jury, die sich 2015

aus 160 Experten zusammensetzte.

Verliehen wurde der BCP-Award vor

rund 680 Gästen am 18. Juni im Rahmen

des BCP-Kongresses in München durch

den bekannten Journalisten Dr. Hajo

Schumacher. Mit der Auszeichnung konn-

te sich FERCHAU zum vierten Mal im

Wettbewerb behaupten. Bereits 2013

erhielt der Engineering-Dienstleister

Gold, im Jahr 2014 und 2012 freute sich

das Redaktionsteam über Silber.

Große Ehre für FERCHAU: Deutschlands Nr. 1 im Engineering holt erneut Gold

beim größten Corporate-Publishing-Wettbewerb in Europa, dem BCP-Award.

Ein Beleg für die herausragende journalistische Qualität und die außergewöhnliche

Gestaltung des IT-Magazins »atFERCHAU«.

Stellvertretend für das gesamte atFERCHAU-

Redaktionsteam: Matthias Müller (grafi sh),

Bernd Seidel (Bernd Seidel & Friends) sowie

Kerstin Kraft, Christoph Sedlmeir und

Wibke Kötter (FERCHAU)

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Page 17: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

Heinz-Paul Bonn, Illustration: Julian Rentzsch

DURCHGESTARTET

Gründerszene Deutschland: Profi teure von Industrie 4.0?

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Page 18: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

»Wenn es uns gelingt, der Digitalisierung der Produktionsprozesse den

Stempel ›Created in Germany‹ aufzudrücken, haben wir einen signifikanten

Wettbewerbsvorteil erreicht«, konstatiert der langjährige Vizepräsident des

Hightech-Verbands Bitkom Heinz-Paul Bonn. Im Gespräch mit atFERCHAU

erklärt der IT-Kenner seinen Blick durch die rote Brille.

Sie sind schon lange im Geschäft, Herr Bonn; was unterscheidet eine Geschäfts-gründung 1995 von einem Start-up 2015?

Als ich mein Unternehmen 1980

gegründet habe, lebten wir in der Welt

der mittleren Datentechnik. Der Mittel-

stand eroberte gerade erst die EDV. Wir

lösten also mit neuen Geschäftsideen die

Schreibmaschine ab. Im Jahre 1995, dem

Jahr, in dem Microsoft das Internet für sich

entdeckte, musste ein Start-up völlig neue

Geschäftsmodelle für den ECommerce

entwerfen. Heute haben Start-ups viel

weniger Zeit, sich zu entwickeln.

Warum heißen Geschäftsgründungen heute eigentlich »Start-ups«, oder gibt es einen signifi kanten Unterschied?

Das ist mal eine schöne Frage;

zunächst einmal heißt »start-up« über-

setzt nicht nur »Firmengründung« oder

»Neugründung«, sondern im ursprüng-

lichen Sinne »Anlauf«. Und das sagt

etwas über die Philosophie der heutigen

Gründer aus. Junge Gründer von heute

sind viel stärker teamorientiert, als es

beispielsweise meine Generation war,

die immer auch hierarchisch orientiert

war und ist. Aber die betriebswirtschaft-

lichen Herausforderungen bleiben die

gleichen – und hier sind junge Gründer in

der Regel heute besser ausgebildet, als

wir es waren.

Heute Gründer – morgen Pleite. Eine berechtigte Furcht, die manchen Pionier abschreckt?

Wer die Pleite fürchtet, sollte nicht

zur Gründung schreiten. Sorge und vor

allem Vorsorge ist aber auf jeden Fall

geboten. Zu den Schwächen deutscher

IT-Unternehmen muss eindeutig die

fehlende internationale Ausrichtung

nicht nur der Märkte, sondern auch des

Managements selbst gezählt werden.

Noch bei einem Global Player wie SAP

führt die internationale Besetzung des

Vorstands regelmäßig zu Verwerfungen.

Die Stärken liegen wiederum in der inge-

nieurmäßigen Herangehensweise, die auf

Prozessoptimierung ausgerichtet ist. Das

ist unser Exportschlager.

Wie steht’s denn da vergleichsweise um die IT-Branche in Deutschland, Europa, den USA und China?

Aus der Sicht der OECD erreichen

statistisch in den USA vier von fünf

Neugründungen das dritte Lebensjahr

– das ist durchaus ein Spitzenwert. Das

führt zu einem Anteil an jungen Unter-

nehmen am Gesamtmarkt von rund

16 Prozent.

Was wäre denn der ideale »Nährboden« für Start-ups, und warum läuft es in den USA besser als in Deutschland?

Ich könnte mit einem Bonmot ant-

worten: In Deutschland kann es schon

deshalb keine Gründung in der Garage

geben, weil die Gewerbeaufsicht das

verbieten würde. Das exakte Gegenteil,

die Erleichterungen für den Schritt in die

Selbständigkeit, der Zugang zu Venture-

Capital, die Schaffung von Inkubatoren,

in denen Ideen zur Reife kommen können

– all das ist in den USA selbstverständ-

lich, während wir in Europa um Rege-

lungen ringen. Und natürlich die Angst

vor dem Fehlschlag, die hierzulande

deutlich ausgeprägter ist als jenseits

des Atlantiks, was übrigens auch damit

zusammenhängt, dass ein Fehlschlag

dort durchaus auch als Ritterschlag

gesehen wird.

»Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere IT doch nicht«: Welches IT-Rückgrat braucht ein Unternehmen heut-zutage im Cloud-Zeitalter?

Drafi Deutscher singt weiter: »Alles,

alles geht vorbei, doch wir sind uns treu.«

Und auch da ist was dran. Das Rückgrat IT

muss heute mobile Anwendungen unter-

stützen, große Datenmengen verarbeiten

können, eine globale Reichweite haben

und interaktiv mit den Kunden – auch

über soziale Medien – korrespondieren.

Ein System, das 1999 up to date war, wird

das kaum leisten können. Unternehmen

müssen sich heute in sich verändernden

Märkten auf ein gewandeltes Kundenver-

halten einstellen, das mehr Individualität,

mehr Reaktionsschnelligkeit, mehr Inter-

aktion mit dem Kunden verlangt.

Zitat Bonn: »Cloud-Computing befi ndet sich ohne Zweifel in einer Sinnkrise«.Welchen Sinn würden Sie ihm denn einhauchen wollen?

Es sind meiner Meinung nach nicht

die Kostenaspekte, die in die Cloud

führen, sondern die bessere Möglich-

keit zur Zusammenarbeit und Interaktion

entlang der Wertschöpfungskette und

die Nutzung mobiler Dienste. Cloud-

Computing ist nicht ein anderes Wort

für Outsourcing – auch wenn viele große

Abschlüsse der Vergangenheit genau

darauf zielen. Erstens gilt: Mobile Compu-

ting ist ohne die Cloud nicht zu machen.

Zweitens gilt: Neue Geschäftsmodelle

wie zum Beispiel die Shareconomy, also

ein Wirtschaftszweig, der durch Teilen

Mehrwert erzeugt, funktionieren ohne

die Cloud nicht. Uber, Airbnb, eBay – alles

das sind typische Cloud-Anwendungen

dieser Provenienz. Auch Marktplätze und

Kundenplattformen lassen sich ohne die

Cloud nicht realisieren. Und die Logistik –

immerhin eine Querschnittsdisziplin, die

in jedem Unternehmen, das reale Waren

produziert und ausliefern muss, gefordert

ist – würde ohne Dienste aus der Wolke

kaum noch reaktionsfähig sein.

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Page 19: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

Welche Auswirkungen hat Industrie 4.0 für die Softwareentwicklung allgemein und für die industrienahe IT – Stichwort: Embedded Systems?

Zunächst, wenn Sie das Stichwort

Embedded Systems nennen: Die Ferti-

gungsmaschinen werden mit immer

mehr Sensoren und Aktoren ausgestat-

tet, mit sogenannten cyberphysischen

Systemen (CPS), die es den Maschinen

erlauben, das Werkstück, das sie als

Nächstes bearbeiten sollen, zu identifi-

zieren, seinen Status zu erkennen und den

nächsten Arbeitsschritt einzuleiten. Das

ist eine große Herausforderung für den

Maschinenbau. Aber auch eine Riesen-

chance. Hier werden Software und Hard-

ware noch enger zusammenarbeiten.

Eine mindestens gleich große Herausfor-

derung ist aber auch die Schaffung neuer

Planungssysteme für die Unternehmen,

die ja nicht nur plötzlich ein Vielfaches

an Daten zu verarbeiten haben, sondern

auch in Echtzeit reagieren müssen.

Was sagt eigentlich die Bezeichnung »Industrie 4.0« über die Branche aus?

Was ist an einer »vierten indus-

triellen Revolution« nicht inspirierend?

Industrie 4.0 hilft dabei, die Geschäfts-

prozesse auch unternehmensübergrei-

fend noch stärker zu verzahnen, weil

wir nicht mehr über die Waren, sondern

durch die Waren kommunizieren. Und

in diese Kommunikation werden auch

die Konsumenten einbezogen, die ihre

Kundenerfahrung über soziale Netze

zurückmelden. Und wenn es uns gelingt,

der Digitalisierung der Produktionspro-

zesse den Stempel »Created in Germany«

aufzudrücken, haben wir für unseren

Standort einen signifikanten Wettbe-

werbsvorteil erreicht. Und die Chancen

stehen gar nicht schlecht.

Kritiker sagen, ist doch nur junger Wein in alten Schläuchen, und der ganze Hype sei nur von der IT-Industrie getrieben, die neue Produkte auf den Markt wirft. Wo ist der Benefi t?

Mit Industrie 4.0 wird ja nicht die Steu-

erung der Produktion eingeführt, sondern

die Selbststeuerung der Systeme. Das ist

ein himmelweiter Unterschied. Und im

Übrigen unterscheiden sich die speicher-

programmierbaren Steuerungen von vor

40 Jahren erheblich von den heutigen.

Diese Weiterentwicklung wird durch den

Schritt in Richtung Industrie 4.0 nur fort-

gesetzt. Ich stimme Ihnen ja zu, dass es

sich bei Industrie 4.0 um die Anwendung

einer ganzen Reihe von weiterentwickel-

ten Technologien – Internet der Dinge,

SPS, CPS, PPS, ERP – handelt, die alle

evolutionär vorangetrieben werden. Aber

die Umsetzung in neue Fertigungsprozes-

se hat durchaus disruptiven Charakter.

Insofern halte ich auch den Begriff »vierte

industrielle Revolution« für durchaus

angemessen.

Trademark: »Internet of Things« (IoT). Wie hoch schätzen Sie hier das Potential deutscher IT-Unternehmen ein?

Der Begriff Internet der Dinge

umfasst die Technologien, die bei Indus-

trie 4.0 zur Anwendung kommen. Vor

allem in der Logistik kommen ja schon

seit langem RFID-Tags zum Einsatz, die

nicht nur dabei helfen, den Weg der Waren

zu ihrem Bestimmungsort zu verfolgen.

Es geht auch darum, den Zustand der

Waren auf dem Weg zu verfolgen. Und

schließlich »weiß« die Ware dann, was

mit ihr zu geschehen hat.

Ist das IoT schon aus der Beta-Phase heraus?

Nein. Es wird auch nicht den Tag

geben, an dem wir sagen können: Jetzt

ist es so weit. Insofern ist es eben doch

evolutionär und nicht revolutionär.

Laut aktuellen Umfragen ist das Schließen von Sicherheitslücken die größte Herausforderung im Bereich IoT. Stimmen Sie dem zu?

Ja, aber ich würde die Einschrän-

kung auf das Internet der Dinge weglas-

sen und vielmehr sagen: Sicherheitslü-

cken sind die größte Herausforderung.

Immer und überall. Punkt. //

Die rote Brille ist sein Markenzeichen.

Heinz-Paul Bonn zählt zu den bekanntes-

ten und einfl ussreichsten Persönlichkei-

ten der deutschen IT-Szene: langjähriger

Vizepräsident des Hightech-Verbands Bit-

kom und Mitglied in der Hall of Fame der

»COMPUTERWOCHE« sowie exzellenter

Kenner der IT-Start-up-Szene hierzulande,

in den USA und in Asien.

über heinz-paul bonn

www.bonnblog.eu

link

» Das Rückgrat IT muss heute mobile Anwendungen

unterstützen, große Datenmengen verarbeiten

können, eine globale Reichweite haben und interaktiv

mit den Kunden – auch über soziale Medien –

korrespondieren.«

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Page 20: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

HERAUSFORDERUNG SCHNITTSTELLEN

Damit der elektronische Datenaustausch zwischen Maschinen, Anlagen, Produkten

und Umwelt in Echtzeit funktioniert, sind neue Schnittstellen unverzichtbar.

Wie weit ist die technologische Entwicklung heute?

Die heimlichen Stars beim Datenaustausch

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Page 21: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

Maschinen kommunizie-

ren mit Menschen, mit

anderen Maschinen, mit

zu produzierenden Pro-

dukten und mit der Um-

welt: Ohne Schnittstellen

und Standards geht da gar nichts. Sie sind

die Hidden Stars in der Industrie 4.0. Die

Qualität von Schnittstellen entscheidet

nicht nur über die Performance von Pro-

zessen, sondern auch über ihre Sicher-

heit und Verfügbarkeit. Rolf Schultheis,

Leiter Geschäftsfeld IT bei FERCHAU,

sagt: »Schnittstellen sind die wichtigs-

ten Elemente in der kompletten Industrie

4.0.« Bislang jedoch »sprechen« die vie-

len Sensoren, Maschinen, Anwendungen

und Services, die in einem funktionieren-

den Industrie-4.0-Szenario interagieren

müssen, noch in vielen verschiedenen,

häufig proprietären Sprachen. Durchgän-

gige Kommunikation ist so nicht möglich.

In seinen »Umsetzungsempfehlun-

gen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0«

(siehe Link dazu) hat der Arbeitskreis In-

dustrie 4.0 der acatech Standardisierung

und offene Standards für eine Referenzar-

chitektur gefordert. Hoch gehandelt wird

in diesem Zusammenhang der Standard

Open Platform Communications Unfied

Architecture (OPC UA), der als Protokoll

für die Machine-to-Machine(M2M)-Kom-

munikation entwickelt wurde. OPC UA

ermöglicht den hersteller-, betriebssys-

tem- und busunabhängigen Datenaus-

tausch von der »Enterprise-Ebene« bis

hin zur Feldebene. Schultheis: »Der große

Vorteil von OPC UA besteht darin, dass der

Standard sowohl unterschiedliche Ebe-

nen der Architektur beschreibt als auch

übergreifende Themen wie Datensicher-

heit und Datenmodellierung anpackt.«

Auf dem Weg zur Plattform für die

Datenkommunikation in der Industrie 4.0

wird OPC UA jedoch noch weitere Anfor-

derungen erfüllen müssen. Beispiels-

weise ist OPC UA in der bisherigen Form

nicht für die Kommunikation in Echtzeit

geeignet – eine Basisanforderung an vie-

le Industrie-4.0-Prozesse. Experten for-

dern daher: OPC UA sollte zukünftig auf

den TSN-Standards aufsetzen. TSN steht

für Time-sensitive Networking und be-

zeichnet eine ganze Reihe von Standards.

Tatsächlich hat sich vor kurzem auf In-

itiative des Roboterherstellers KUKA in-

nerhalb der OPC Foundation eine Gruppe

gebildet, die an der Kombination von OPC

UA und TSN arbeitet. Auch die Kommu-

nikation von RFID- und anderen Auto-

ID-Geräten mit OPC UA wird derzeit von

einer Arbeitsgruppe vorangetrieben.

Doch die Zahl der am Markt beteilig-

ten Player ist groß, und viele von ihnen

haben eigene Interessen daran, Stan-

dards zu ihren Gunsten zu beeinflus-

sen oder sogar eigene Standards – ein

Widerspruch in sich – abzuleiten. Das

spricht gegen die Erwartung einer bal-

digen Verfügbarkeit allgemeinverbind-

licher Schnittstellen. Vor diesem Hin-

tergrund mahnt Professor Volker Stich,

Geschäftsführer des renommierten

Forschungsinstituts für Rationalisie-

rung (FIR) an der RWTH Aachen: »Der

notwendige Informationsaustausch in

der Industrie 4.0 funktioniert nur mit-

tels geeigneter Schnittstellen. Hier

dürfen wir nicht bis zur Durchsetzung

allgemeingültiger Standards warten,

sondern müssen Schnittstellen an Sys-

tem- und Unternehmensgrenzen mög-

lichst interoperabel gestalten, um einen

durchgängigen Informationsfluss ge-

währleisten zu können.«

Rüdiger Spies, Industry Analyst und

Patentanwalt, erklärt: »Angesichts der

wachsenden Vielfalt der Sensoren und

der cyberphysischen Systeme reicht ein

einziger Standard nicht.« Er verweist

auf das Beispiel der Automobilindus-

trie, wo mit ODBC II ein Standard-Bus

für die Übertragung von Fahrzeugdaten

geschaffen wurde, den jedoch nahezu

jeder Hersteller mit spezifischen Zu-

sätzen nutzt. Hinzu kommt die Vielfalt

der Anforderungen, so Spies: »Für vie-

le Anwendungen, beispielsweise in der

Logistik, genügt es völlig, wenn der Da-

tenaustausch in Sekunden abläuft. Dabei

liefert das heute übliche TCP/IP durch-

aus brauchbare Ergebnisse und wird

auch weiterhin eingesetzt werden. Geht

es jedoch um Millisekunden, etwa bei

der Robotersteuerung in der Fertigung,

dann brauchen wir neue Entwicklungen

wie etwa TSN.«

Professor Volker Stich vom Aache-

ner FIR empfiehlt Anwendern daher

pragmatisches Vorgehen auf dem Weg

zur Industrie 4.0: »Nicht jeder braucht

größtmögliche Flexibilität, Komplexität

und Geschwindigkeit auf einmal. Wich-

tig ist vor allem, den Anschluss nicht zu

verpassen. Und mit den heute vorhande-

nen Technologien und Standards lässt

sich schon mehr erreichen, als bislang

umgesetzt wird.« //

links

Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0: Abschluss-bericht des Arbeitskreises Industrie 4.0

bit.ly/1JPJllP

OPC Foundation: OPC Unifi ed Architecture:Wegbereiter der 4. industriellen (R)Evolution

bit.ly/1gwYfHh

»Schnittstellen sind die

wichtigsten Elemente in der

kompletten Industrie 4.0.«

HERSTELLERSPEZIFISCHE SPEZIFIKATIONEN

SPEZIFIKATIONEN FÜR INFORMATIONSMODELLE ANDERER ORGANISATIONEN

DA AC HA

OPC-UA-BASE-SERVICES

TRANSPORTWEBSERVICE /OPC UA BINARY

OPC-UA-DATENMODELLMODELLIERUNGSREGELN

IEC, ISA, EDDL, ...

OPC-INFORMATIONSMODELL

BASISDIENSTE

BASIS FÜR OPC UA

OPC UNIFIED ARCHITECTURE (OPC UA)

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Page 22: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

ZERO-VERZÖGERUNG – FAST!

Eine neue Mobilfunkgeneration, genannt 5G, soll die wichtigsten Zukunftsprojekte

der europäischen Hightech-Branchen anschieben: Industrie 4.0 etwa

oder autonomes Fahren. Damit will Europa weltweit die Führung übernehmen.

5G: Neues Funknetz für die Digitalisierung

 In der Fertigung unterhalten sich Werkstücke mit

den Maschinen über die nächsten Bearbeitungs-

schritte. Autos steuern selbsttätig durch den Ver-

kehr. Der Facharzt aus der Uni-Klinik steuert den

OP-Roboter im Kleinstadt-Krankenhaus. Ein Wind-

rad in der Nordsee meldet ein Problem mit dem

Rotorlager und nimmt sich selbst vom Netz. All das sind Szena-

rios, in denen Maschinen mit Maschinen kommunizieren,

möglichst in Echtzeit. Denn der Ausfall oder auch nur eine

Verzögerung der Datenkommunikation kann gravierende Folgen

haben. In vielen Fällen werden diese Bits drahtlos ausgetauscht.

Herkömmliche Mobilfunknetze, auch das noch junge LTE-Netz,

stoßen hier an ihre Grenzen. Dabei sind die geschilderten Anwen-

dungen strategisch wichtig für die Entwicklung der Wirtschaft.

Energiewende, Industrie 4.0, autonomes Fahren, all diese Vorhaben

belegen Top-Prioritäten in der Agenda Deutschlands und Europas.

Ein neues Funknetz muss also her. Nicht nur die zukünftigen

Datenmengen sprengen die Kapazität der alten Netze, vielmehr

spielt die Geschwindigkeit des Austauschens die entscheidende

Rolle. Eine selbstorganisierende Fertigung, autonomes Fahren,

interaktionsfähige Roboter – das erfordert eine Kommunikati-

onskette, deren Latenzzeit gegen null geht. Weil diese in die Grö-

ßenordnung kommen soll, in welcher Menschen auf taktile Reize

reagieren, ist auch die Rede vom »taktilen Internet«. Was darun-

ter zu verstehen ist, macht ein Demonstrationsmodell am 5G Lab

der TU Dresden deutlich, einem europaweit in der Entwicklung

der neuen Mobilfunktechnik führenden Institut: Der interessierte

Besucher erhält dort eine Displaybrille mit angebauter Kamera

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mobile Datenmengen

1.000 x größere

Quelle: METIS

2G

angeschlossene Geräte

10 x – 100 x so viele

Latenz

5 x geringere

Endbenutzer-Datenraten

10 x – 100 x schnellere

10 x längere

3G 4G 5G

Lebensdauer von

Low-Power-Geräten

ENTWICKLUNG BIS 2020

aufgesetzt. In dem Display sieht er genau das, was er auch mit

bloßem Auge sehen würde – allerdings mit einer leichten Verzö-

gerung von 50 Millisekunden. Das klingt nach wenig. Aber es ist

genug, um das Auffangen eines zugeworfenen Balls zur unlös-

baren Aufgabe zu machen. 50 Millisekunden, das ist die Verzö-

gerung, mit der ein UMTS-Funknetz auf eine Anfrage reagiert –

im günstigsten Fall. »Wenn man aber Roboter fernsteuern will,

braucht man sehr kurze Latenzzeiten«, so Professor Frank Fitzek,

der die Forschungsaktivitäten des 5G Lab koordiniert. Sehr kurz,

das heißt: Eine Millisekunde, nicht mehr.

Neben Schnelligkeit soll die fünfte Mobilfunkgeneration

noch mit anderen technischen Daten beeindrucken: Datenüber-

tragungsraten bis zu einem Gigabit je Sekunde für ultrahochauf-

lösendes Fernsehen etwa. Das ist mindestens zehnmal mehr als

die Vorgängergeneration LTE und fast 25-mal mehr als das immer

noch in Betrieb befindliche UMTS.

All das stellt hohe Anforderungen an Funktionsspektrum und

Struktur der 5G-Netze. Für die hohen Bandbreiten wird es nötig

sein, neue Frequenzbänder in Betrieb zu nehmen. Während heu-

tige Mobilfunknetze im Wesentlichen auf drei Frequenzbereichen

funken – in Deutschland sind das 800 MHz, 1,8 GHz und 2,6 GHz –,

nehmen 5G-Vordenker wie Fitzek gedanklich schon mal das

elektromagnetische Spektrum bis hinauf auf 300 GHz in Beschlag.

Die Forderung nach kurzen Latenzzeiten bringt einen wei-

teren Megatrend der IT ins Spiel: die Cloud. Denn die gewünschte

Reaktionszeit lässt sich nur gewährleisten, wenn auch alle Verar-

beitungsprozesse ortsnah ablaufen. Das macht aber eine neue In-

frastruktur erforderlich. »Server und Datenzentren müssen nahe

an die Basisstationen heran«, sagt Johannes Weicksel, Bereichs-

leiter Telekommunikation beim Branchenverband Bitkom. Es wird

daher individuelle Clouds geben müssen, die mit mobilen Anwen-

dern »mitwandern«. Diese Forderung läuft auf ein recht klein-

räumiges Mobilfunknetz mit vielen Basisstationen hinaus. Auch

die Frequenzbänder im dreistelligen Gigahertzbereich gehen mit

kurzen Reichweiten einher und fordern damit ein entsprechend

eng geknüpftes drahtloses Netz. Dahinter muss dann nach Exper-

teneinschätzung ein ultraschnelles Glasfasernetz liegen, welches

die Daten der lokalen Clouds weiterreicht.

Angesichts dieser Fülle von nicht gerade bescheidenen Ent-

wicklungszielen bleiben Fragen offen. Die wichtigste: Wer soll

das bezahlen? Schließlich haben die Netzbetreiber gerade eini-

ge Milliarden in eine Frequenzauktion gesteckt, bei der es aber

nicht um die Zukunftstechnik 5G geht, sondern erst einmal um

»normale« Netze. Und schon 2020 soll 5G kommerziell verfüg-

bar sein. Wird die Branche ihren selbstgesteckten Zeitrahmen

einhalten können? Bitkom-Experte Weicksel gibt sich einstwei-

len zweckoptimistisch. »Die Standardisierung läuft gerade unter

Hochdruck«. Mit anderen Worten: Einen Standard gibt es noch

gar nicht. Kenner wissen aber: Gerade der Standardisierungs-

prozess benötigt viel Zeit. //

»UM 5G KOMMT KEINER HERUM«

Interview mit Professor Frank Fitzek, der die Forschungs-

aktivitäten des Dresdner 5G Lab koordiniert.

ferchau.de/read/it152b

Gemeinsame Website von Fraunhofer Fokus und Heinrich-Hertz-Institut Berlin5g-berlin.de

Ausführliches Whitepaperbit.ly/1Nfl WQB

Website 5G Lab der TU Dresden5glab.de

Next-Generation Mobile Networks Alliance ngmn.de/home.html

web-special

mehr informationen

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Die Ukulele des Mädchens ist nicht aus Koa-Akazie, sondern aus dem 3D-Drucker – wie der gesamte Film »Chase Me« einschließlich seiner Protagonistin. Die Möglichkeiten der Technologie sind gewaltig.

Von Minibohrern, Häusern und Mondstationen

DIE WELT AUS DEM DRUCKER

3D-Drucker verändern die Welt der Fertigung. Die Herstellung komplexer

Teile aus Kunststoff , Metall und anderen Werkstoff en ohne Werkzeuge

und Formen zwingt Ingenieure zum Umdenken und eröff net

der Industrie völlig neue Chancen.

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Das gibt es nur im Kino:

Eine komplette Welt aus

dem 3D-Drucker zeigt der

Kurzfilm »Chase Me« des

Filmemachers Alexandre

Deschaud. Mit mehr als

2.500 3D-Drucken realisierte er die Ge-

schichte eines Mädchens, das von einem

Monster verfolgt wird. Selbst die Bäume

in dem Animationsfilm stammen aus dem

3D-Drucker Formlabs Form 1+ STL.

Ganz so weit ist der 3D-Druck in der

realen Welt noch nicht, wenngleich ihm

Experten wie der Innovationsforscher

Professor Frank Piller von der RWTH Aa-

chen das Potential für eine grundlegende

Revolution der industriellen Fertigung

zuschreiben. Piller sagt: »Vieles von dem

Wissen, das Ingenieure bislang brauch-

ten, um fertigungsgerecht zu konstruie-

ren, ist jetzt hinfällig. Doch gleichzeitig

ist der 3D-Druck eine große Chance für

jeden Entwickler, um sein kreatives Po-

tential besser auszuschöpfen.«

Von der künstlichen Ohrmuschel

über Zahnersatz, filigranen Designer-

schmuck und Maschinenersatzteile bis

hin zu Motorrädern, Autos, Häusern und

Brücken: In immer kürzeren Intervallen

erscheinen beeindruckende Bilder neu-

er Produkte »aus dem Drucker« in den

Medien. Den Rekord als größte Objekte

aus dem 3D-Drucker halten derzeit wohl

eine viktorianisch anmutende Villa und

ein fünfstöckiges Wohnhaus der chinesi-

schen Baufirma Winsun. Beide sind bis-

lang nur Ausstellungsstücke und nicht

bewohnbar, doch der Hersteller strebt die

Fertigung alltagstauglicher Modelle an.

Auch wenn deutsche Bauvorschrif-

ten mit derartigen Verfahren bis auf

weiteres wohl nicht zu erfüllen sind:

Die Europäische Weltraumorganisa-

tion ESA entwickelt bereits Szenarios

für den Einsatz von 3D-Druck auf dem

Mond, um dort benötigte Gebäude und

Anlagen gleich vor Ort zu produzieren –

unter Verwendung des reichlich vorhan-

denen Regoliths (»Mondstaub«). Andere

Entwickler erarbeiten Technologien für

möglichst kleine Drucke, und so verwun-

dert es nicht, dass auch der mit 17 Milli-

meter Höhe, 7,5 Millimeter Breite und

13 Millimeter Länge angeblich kleinste

Akku-Bohrschrauber der Welt aus einem

3D-Drucker kommt – konstruiert von ei-

nem Wartungstechniker in Neuseeland.

Das Prinzip der additiven Fertigung,

das dem 3D-Druck zugrunde liegt, ist

einfach. Dabei erstellt eine Maschine

dreidimensionale Werkstücke schicht-

weise (additiv) aus einem oder mehre-

ren flüssigen oder festen Werkstoffen

nach digital vorgegebenen Maßen und

Formen, wie sie etwa mit einem CAD-

System erstellt werden.

Ähnlich wie Texte und andere zweidi-

mensionale Digitaldruckerzeugnisse las-

sen sich im 3D-Druck hergestellte Objekte

einfach durch Änderungen an den Kon-

struktionsdaten individuell verändern –

ohne den zeitaufwendigen und teuren Bau

spezieller Werkzeuge. In der Automobilin-

dustrie beispielsweise wird 3D-Druck aus

diesem Grund seit Jahren für Rapid Proto-

typing eingesetzt, um die Time to Market

bei neuen Produkten zu verkürzen. Heute

wird 3D-Druck in vielen Bereichen ge-

nutzt, um Prototypen oder Vorlagen, etwa

für Gussformen, herzustellen. Dabei pro-

fitieren die Unternehmen unter anderem

von der Möglichkeit, Hinterschneidungen

abzubilden, die mit konventionellen Ver-

fahren nicht realisierbar sind.

Darüber hinaus hat der 3D-Druck in-

zwischen den Status eines eigenständigen

Fertigungsverfahrens (»Rapid Manufac-

turing«) für die Vor- und die Kleinserien-

fertigung erlangt. Tobias King, Director

Applications & Marketing beim Unter-

nehmen voxeljet, berichtet: »Wir haben in

einer ganzen Reihe von Kundenprojekten

die Erfahrung gemacht, dass sich 100 bis

wenige Tausende von komplexen Teilen in

vielen Fällen wirtschaftlicher herstellen

lassen als mit klassischen Werkzeugma-

schinen.«

Allerdings lohnt sich die Investition

in eine 3D-Druckmaschine für die indus-

trielle Fertigung nicht für jedes Unter-

nehmen, weshalb voxeljet 3D-Druck auch

als Service anbietet und unter anderem

Zylinderköpfe für Schiffsdiesel fertigt.

Die Potentiale der Technologie sind also

mannigfaltig, wie RWTH-Forscher Piller

sagt, nun liegt es an Kunden und Ent-

wicklern, daraus wirtschaftlich mach-

bare Lösungen zu entwickeln. //

»Wir haben in einer ganzen

Reihe von Kundenprojekten

die Erfahrung gemacht,

dass sich 100 bis wenige

Tausende von komplexen

Teilen in vielen Fällen

wirtschaftlicher herstellen

lassen als mit klassischen

Werkzeugmaschinen.«

3d-druck für fertigung in europa

Um die Möglichkeiten des 3D-Drucks voran-

zutreiben, entsteht in Amsterdam derzeit un-

ter Beteiligung der Hochschule »Hogeschool

van Amsterdam« ein kompletter Business-

Park, in dem sich alles um den 3D-Druck

dreht (www.3dmakerszone.com). Ziele sind

neben der Innovationsförderung mehr Be-

schäftigung und wirtschaftliches Wachstum

für die Region Amsterdam. Innovationsfor-

scher Frank Piller (twitter.com/masscustom)

glaubt, dass 3D-Druck nicht nur die Ferti-

gung, sondern unser wirtschaftliches System

verändern wird: »Beim 3D-Druck macht es

von den Kosten kaum einen Unterschied, ob

der Drucker in Deutschland oder in China

steht. Und wer für den hiesigen Markt pro-

duziert, kommt unter dem Strich wohl mit

der Fertigung in Deutschland günstiger weg,

weil die Kosten und der Zeitaufwand für den

Transport entfallen.«

Das Internet ist voll von Beispielen, die das

Potential des 3D-Drucks in allen Branchen

und Anwendungsbereichen zeigen. An erster

Stelle steht der Film »Chase Me«, aus dem das

Titelbild links stammt. Hinter dem Trailer des

Kurzfi lms gibt es einen Link zum »Making-

of«. Aber es kommen auch Minibohrer aus

dem Drucker, ebenso wie ganze Häuser.

links

bit.ly/1E8f0D6

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 Ein »gigantisches Desas-

ter« für die Sicherheit

im Internet drohe,

prophezeit Professor

Johannes Buchmann von

der TU Darmstadt. Und

zwar in Gestalt des Quantencomputers.

Dieser Zukunftsrechner könnte heutige

Verschlüsselungen fix knacken, weil

er sehr viele Möglichkeiten gleichzeitig

testet, so als ob man alle möglichen

Varianten für ein Passwort auf einmal

probieren könnte. »Es gäbe keine sichere

Verbindung zu eBay oder Amazon mehr«,

warnt Buchmann. Zertifikate und digitale

Signaturen könnten leicht gefälscht

werden, fügt der Mathematiker und der

Experte für IT-Sicherheit hinzu.

Zwar basteln Physiker noch an Pro-

totypen, die noch zu schwach sind, um

das sichere Surfen zu bedrohen. Doch

schon in fünf Jahren könnte es einen

Quantencomputer geben, der sogar einen

Supercomputer ausstechen kann, pro-

gnostiziert der Innsbrucker Quantenphysi-

ker Rainer Blatt. Werden also sensible Da-

ten von Firmen oder Regierungen schon in

wenigen Jahren ungeschützt sein? Nein,

meinen viele Physiker. Denn aus dem Reich

der Quantenphysik komme nicht nur das

Gift, sondern auch das Gegengift, die soge-

nannte Quantenkryptographie (kurz: QK).

Ein Lauschangreifer enttarnt sich bei

dieser Technik zwangsläufig. Die QK be-

nutzt Lichtteilchen (Photonen) als Informa-

tionsträger. Der Lauscher wird entdeckt,

weil die Gesetze der Quantenphysik es

verbieten, die von den Photonen getragene

Information auszulesen, ohne diese zu

verändern (siehe Text im Web dazu).

Die Finanzindustrie wendet die QK

bereits an, um sensible Informationen

zwischen verschiedenen Firmenstand-

orten auszutauschen. Kein Wunder also,

dass einer der wenigen kommerziellen

Anbieter von QK-Systemen, IDQuantique,

im schweizerischen Genf sitzt. Sein Boss,

Grégoire Ribordy, freut sich zwar über

wachsendes Interesse an der QK. »Regie-

rungen erkennen immer mehr, dass ihre

sensiblen Daten in 15 Jahren ungeschützt

sein könnten«, sagt er. Er beobachte

jedoch, dass Asien die QK wesentlich

beherzter einführe. Europa könnte seine

Vorreiterrolle bei der Entwicklung der

QK verlieren, warnt Ribordy.

Im Fernen Osten entstehen derzeit

erste Ansätze für eine künftige QK-Infra-

struktur. Das größte Projekt: Zwischen

Schanghai und Peking entsteht ein 2.000

Kilometer langes Quantennetzwerk. »Mehr

als 300 Nutzer aus der Finanzindustrie und

andere Unternehmen werden am Testlauf

im Jahr 2016 teilnehmen«, sagt Zhao

Yong von der Chinesischen Universität

für Wissenschaft und Technik. Auch Re-

gierung und Militär schlüpfen unter den

Schutzmantel der Quantenphysik. Nach

dem Test werde das Netz auf Tausende

Nutzer erweitert, kündigt Yong an.

Vergleichbare Pläne gibt es in Europa

nicht. Im Gegenteil: Testnetzwerke wie

das »Swissquanten-Netzwerk« im Gebiet

um Genf wurden wieder abgebaut. Gründe

für den verhaltenen Einsatz der Technik

sehen Forscher in der noch geringen

Reichweite von rund 100 Kilometern und

den noch geringen Datenraten. Allerdings

arbeiten Forscher an größeren Reichwei-

ten, im Labor erreichen sie bereits über

300 Kilometer.

Aber auch den Nimbus der absoluten

Abhörsicherheit hat die QK im Jahr 2010

Quantenkryptographie

ENIGMAS ERBEN

Die Sicherheit im Internet

wird heute durch Verfahren

geschützt, die ein künftiger

Quantencomputer knacken

könnte. Abhilfe könnte eine

weitere Technik aus der

Quantenphysik schaff en:

die Quantenkryptographie.

Doch noch ist unklar, ob sie

rechtzeitig die Lücke füllen

kann. Indessen entwickeln

Mathematiker andere

quantencomputerresistente

Verfahren.

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verloren, als der Physiker Vadim Makarov,

damals an der Uni Trondheim, das System

von IDQuantique knackte. Doch das Ende

bedeutet das nicht: »In Forschungslabors

entsteht derzeit eine zweite Generation

von QK-Systemen, die deutlich resisten-

ter gegen Angriffe sein werden«, sagt

Marakov. Eine hundertprozentige Sicher-

heit werde es aber auch mit der QK nicht

geben, meinen Experten, da technische

Umsetzungen des theoretisch hundert-

prozentig sicheren quantenphysikalischen

Prinzips immer Schlupflöcher offen ließen.

Das Rennen gegen die Entwickler

des Quantencomputers könnte indessen

auch ohne Quantenphysik gewonnen wer-

den: In den Schubladen der Kryptologen

schlummerten jahrzehntelang Verschlüs-

selungsverfahren, die nun wieder her-

vorgeholt werden, weil sie als resistent

gegen Quantencomputer gelten. Darunter

fallen sogenannte gitterbasierte Verfah-

ren. In mathematischen Gittern – das sind

regelmäßige Strukturen ähnlich einer

Honigwabe oder dem Stahlskelett eines

Hochhauses – lassen sich sehr schwie-

rige Aufgaben finden, denen auch ein

Quantencomputer erliegen würde. Zum

Beispiel folgende: Setze dich auf irgendei-

nen Punkt X mitten im Gitter. Wo befindet

sich der nächstgelegene Gitterpunkt? Bei

einem zwei- oder dreidimensionalen Git-

ter ist diese Aufgabe nicht schwer. Doch

die abstrakten Gitter der Mathematiker

besitzen Tausende Dimensionen. Darin

den nächstgelegenen Punkt zu erken-

nen ähnelt der Aufgabe, ein bestimmtes

Sandkorn an einem Strand zu finden.

Derzeit arbeiten Mathematiker wie

Johannes Buchmann daran, solche sper-

rigen Verfahren fit für den täglich millio-

nenfachen Einsatz im quirligen Internet zu

machen. Doch es gibt auch hier Zweifel:

Mit gitterbasierten Verfahren habe man

zu wenig Erfahrungen, um ihnen zu ver-

trauen, meint der Berliner Datenschützer

Ulrich Vollmer. Es ließ sich bislang nicht

beweisen, dass sie tatsächlich quanten-

computerresistent sind. Wie sicher also

das Internet in Zeiten des Quantencom-

puters sein wird, bleibt bislang offen und

bietet Stoff für weitere Forschung. //

Die Enigma (griechisch »Rätsel«) ist eine Rotor-

Schlüsselmaschine, die im Zweiten Weltkrieg

zur Verschlüsselung des Nachrichtenverkehrs

des deutschen Militärs verwendet wurde. Als

Erfinder gilt der deutsche Elektroingenieur

Arthur Scherbius (1878–1929), dessen erstes

Patent hierzu vom 23. Februar 1918 stammt.

Die Enigma besteht im Wesentlichen

aus der Tastatur, einem Satz von drei aus-

tauschbaren Walzen (Rotoren mit einem

Durchmesser von etwa 100 Millimeter) und

einem Lampenfeld zur Anzeige. Der Walzensatz

ist das Herzstück zur Verschlüsselung. Die drei

Walzen sind drehbar angeordnet und weisen auf

beiden Seiten für die 26 Großbuchstaben des

lateinischen Alphabets 26 elektrische Kontakte

auf, die durch 26 isolierte Drähte im Inneren der

Walze paarweise und unregelmäßig mitein-

ander verbunden sind, beispielsweise (Walze

III) Kontakt A mit B, B mit D und so weiter.

Drückt man eine Buchstabentaste, so fließt

Strom von einer in der Enigma befindlichen

4,5-Volt-Batterie über die gedrückte Taste durch

den Walzensatz und lässt eine Anzeigelampe

aufleuchten. Der aufleuchtende Buchstabe

entspricht der Verschlüsselung des gedrückten

Buchstabens. Da sich bei jedem Tastendruck die

Walzen weiterdrehen, ändert sich das geheime

Schlüsselalphabet nach jedem Buchstaben.

Trotz mannigfaltiger Verbesserungen gelang

es den Alliierten mit hohem personellen und

maschinellen Aufwand, die deutschen Funk-

sprüche nahezu kontinuierlich zu entziff ern.

ENIGMA

Das erste Patent der Enigmabit.ly/1MkiUZ2

Simulation der Enigma M4bit.ly/1NtxvUJ

Quantennetzwerk in Chinabit.ly/1NTO0ak

Rainer Blatt: »Wir sind nicht weit vom leistungsstarken Quanten-computer entfernt.«bit.ly/1Mkilye

WIE QUANTENPHYSIK FÜR SCHNELLIGKEIT UND SICHERHEIT SORGT

web-special

ferchau.de/read/it152c

mehr informationen

Johannes Buchmann Der Mathematiker arbeitet mit Gittern, die über Tausende von Dimensionen verfügen.

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Der Trend Quantifi ed Self

DIE SELBSTVERMESSER Für Self-Tracker besteht das Leben aus Zahlen. Sie messen Puls,

Schlaf, Schritte und mehr für ein gesünderes Leben.

Doch was ist die Rendite – und was das Risiko?

Wenn André Kießlich

morgens aufsteht,

legt er seine Puls-Uhr

um. Sie misst seinen

Herzschlag und zählt

seine Schritte. Sechs

Kilometer schafft der FERCHAU-IT-Spe-

zialist aus Brandenburg an einem Tag –

Sport nicht eingerechnet. Beim Training

trägt Kießlich einen Brustgurt. Alle ge-

sammelten Daten teilt und analysiert er

mit einer Online-Community. »Mir als

Leistungssportler hilft das, mich zu ver-

bessern. Es motiviert mich«, sagt der

29-Jährige, der schon bei deutschen Ka-

nu-Meisterschaften gestartet ist.

André Kießlich ist ein Vertreter des

Quantified-Self-Trends. Die meisten Self-

Tracker messen mehr: Schlaf, Blutzucker,

Gewicht, Blutdruck, Kalorienzufuhr oder

auch Stimmung. Die Werte dokumentie-

ren sie in digitalen Tagebüchern, Apps

oder Excel-Tabellen. Controlling für den

Körper sozusagen. Das Ich als Manager,

die Unternehmens-Ziele: Erfolg, Glück

und Gesundheit. 41 Prozent der Befrag-

ten einer Studie des Marktforschungs-

Instituts YouGov hatten Ende 2014 eine

Gesundheits-App auf dem Smartphone.

Der Absatz von Smartwatches und Fit-

ness-Trackern hat sich laut statista.com

im vergangenen Jahr verdreifacht – von

17 auf 51 Millionen Stück weltweit.

Kritiker sehen im Self-Tracker den

modernen Narzissten. Tabellen und Gra-

fiken über die eigenen Leistungen und

Werte ersetzen den Spiegel. Der Wissen-

schaftler Stephan Porombka beschäftigt

sich mit Selbstvermessung und sieht das

in einem Interview differenzierter: »Es ist

ein Stück Aufklärung über einen selbst.

Daher hat das mit Narzissmus nichts zu

tun, sondern mit der Individualitätskultur

der Moderne.«

Vom Technik-Nerd bis zum Gesundheits-fanatiker

Zu den Self-Trackern zählen vor allem

Männer – ob Leistungssportler, Technik-

Nerd, Gesundheitsfanatiker oder Young

Professional. »Wir sind unser eigenes

Betriebs-Zentrum. Wollen wir effektiver

werden, müssen wir uns besser kennen-

lernen«, sagte Gary Wolf in einem Vortrag.

Der US-Journalist ist ein Pionier der Sze-

ne. Er gründete das Netzwerk Quantified

Self (QS), das auch in Deutschland Ableger

hat. Um effizienter zu werden, dokumen-

tieren Self-Tracker nicht nur Fitnessdaten,

sondern auch Finanzen oder Mailverkehr.

Michael Stingl hat 2015 eine QS-Grup-

pe für die Region Nürnberg gegründet. Der

IT-Spezialist probiert immer wieder ande-

re Gadgets aus. Aktuell misst ein Pulsoxi-

meter, das über die Kopfhörerbuchse des

Smartphones betrieben wird, den Sauer-

stoff in seinem Blut. Er sei mehr an Trends

interessiert als daran, das Leben bis ins

Detail zu optimieren. Die Gruppe solle den

Austausch zwischen denen anstoßen, die

die Technik nutzen – vom Sportmediziner

bis zum Technik-Freak. Stingl sieht Self-

Tracking als gesellschaftliche Entwick-

lung, wie man mit eigenen Daten umgeht.

»Zum einen ist es ein weiterer Schritt hin

zum aufgeklärten Patienten, zum anderen

eine Einschränkung der eigenen Freiheit.

Die Frage ist: Jetzt habe ich die Daten, was

mache ich damit? Da war ich selbst schon

ratlos«, sagt Stingl.

Versicherte können Geld sparen – Datenschützer warnen

Krankenkassen haben Antworten und

begrüßen den Trend. Die AOK Nordost bie-

tet zum Beispiel an, dass sie sich an den

Kosten für Geräte oder Apps beteiligt. Für

DAK-Mitglieder gibt es die App FitCheck.

Versicherte, die ihre Sportaktivitäten

angeben, werden mit Prämien belohnt.

Datenschützer kritisieren das. Denn was,

wenn die App über längere Zeit keine Ak-

tivitäten aufzeichnet?

Lieber Stufen gehen anstatt Rolltrep-

pe oder Aufzug zu fahren. Lieber Salat

anstatt noch einer Curry-Wurst. Self-Tra-

cking kann ein Ansporn sein. Der Sozio-

loge Stefan Selke rät in einem Interview

jedoch, sich nicht nur der Selbstkontrolle

durch Daten zu unterziehen: »Wenn ich

Blutdruck oder Stimmung messe, ist das

nicht gleichzusetzen mit Gesundheit oder

Glück. Das ist eine Gefahr.« //

Zeit-Dossier zum Thema Quantifi ed Self bit.ly/1ySFg1T

Diese Tools empfehlen die Self-Tracker in ihrer Communitybit.ly/1sAuPNq

Gesundheits-Apps im Test bit.ly/1LHwQ29

mehr informationen

Links: André Kießlich ist IT-Spezialist bei FERCHAU und Leistungssportler. Der Kanute trat schon bei mehreren deutschen Meisterschaf-ten an. Die Daten, die er mit seiner Puls-Uhr sammelt, motivieren ihn. (Bild: Rudolf Seifert)

Rechts: Der IT-Spezialist und Unternehmens-gründer Michael Stingl aus Erlangen hat eine Quantifi ed-Self-Ortsgruppe gegründet.

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Wer fragt dich häufi ger, wie es dir geht?

SMARTPHONEPARTNER ARZT

SCHLAFPHASENWECKER

WOVONTRÄUMST DU?

HAST DU ANGST VOR

DATENKLAU?

MATRATZENSENSORZUR SCHLAFMESSUNG

SOLL DER KÜHLSCHRANKAUCH DEINEN

CHOLESTERINSPIEGELKENNEN?

SONNE/KINDER

WELTFRIEDEN

INSTAGRAM TAGEBUCH

Inhalt: Heike Kottmann

Baum der Erkenntnis

WIE VIEL QUANTIFIED SELF STECKT IN MIR?

WER KANN DASBESTÄTIGEN?

EINEN SCHRITT-ZÄHLER AUCH?

MACHST DUEIGENTLICH SPORT?

BESITZT DU EINEPULS-UHR?

POSTEST DU DEINE JOGGING-STRECKE AUF FACEBOOK?

WOVON WIRST DU MORGENS WACH?

MISST DEINE UHR AUCH DEINEN BLUTDRUCK?

PROTOKOLLIERST DU DEINE

ESSGEWOHNHEITEN?

BETRÜGST DU HÄUFIG DEINEKRANKENVERSICHERUNG

MIT FALSCHANGABEN?

HÄTTEST DU GERN EINENKÜHLSCHRANK, DER DIR

DIE EINKAUFSLISTE MAILT?

GUT SO!WILLST DU MEHR

FÜR DEINEGESUNDHEIT TUN?

HAST DU MINDESTENS EINEGESUNDHEITS-APP

AUF DEINEM SMARTPHONE?

AUF EINER SKALAVON 1 BIS 10:

WIE GESUND LEBST DU?

UNTERHÄLTST DU DICH ETWA

MIT SIRI?

0-3

WO?

>4

JaNein

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Ja

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Sorry, aber dir

ist nicht zuhelfen!

Achtung,Suchtgefahr! Du bist der geborene

QSler!

Du hast viel

QS-Potential!

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Der Fahrer?Florian Alt ist ein deutscher Motorradrennfahrer, der 1996 in Gummersbach

zur Welt kam. Im Jahr 2012 wurde er deutscher Meister in der 125-Kubikmeter-

Klasse und gewann den Red-Bull-MotoGP-Rookies-Cup. 2013 startete Alt

erstmals in der Moto3-Klasse der Motorrad-WM für das Kiefer-Racing-Team.

In der laufenden Saison fährt er in der Moto2-Klasse der Motorrad-WM für

das Octo-IodaRacing-Team. Für die beiden Fahrer des italienischen Renn-

stalls arbeiten fast 20 Mann in Technik und Verwaltung.

Der Einstieg?»Schon als kleines Kind habe ich die Motorradfahrer bei uns im Bergischen

Land bewundert. Zum vierten Geburtstag bekam ich ein kleines Bike ge-

schenkt. Nach zwei Jahren über Feldwege und Wiesen brachte mich ein

Freund zum Pocketbike und auf die Rennstrecke. Ich wollte gegen andere

Fahrer antreten und gewinnen.«

Die Schnittstelle

zwischen Mensch und

Maschine, das »Dash«,

ist etwa so groß wie ein iPad

Mini. Der Fahrer sieht hier seine

Rundenzeit, die Zeiten der vier

Streckenabschnitte im Vergleich zur

besten Runde sowie wichtige Daten

wie Drehzahl und Motortempera-

tur, die für eine ideale Leistung

zwischen 70 und 75 Grad

betragen sollte.

»ALS FAHRER KANNST DU NICHT MEHR LÜGEN«

IT am Rennmotorrad

Der direkte

Kontakt zur Familie,

zu den Fans und zu

den Medien läuft über das

Smartphone. Heutzutage sei

das unverzichtbar, sagt

Florian Alt. Er nutzt in erster

Linie Twitter (@AltFlo66),

Instagram und

Facebook.

Zwischen

den Rennen bleibt

kaum Zeit für die heimi-

sche Spielkonsole. Mit

dem Computerspiel »Moto

GP 2015« kann sich

Florian Alt immerhin

selbst spielen.

Die Gabel

kostet rund 10.000

Euro. Sensoren messen

permanent die Bewegun-

gen wie Eintauchtiefe und

Schläge. Alle Parameter

lassen sich dann mecha-

nisch an den Kurs

anpassen.

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Page 31: IT Magazin atFERCHAU 2015/02...Internet der Dinge und Industrie 4.0 für die deutsche Industrie? Der Branchenkenner und langjährige Bitkom-Vizepräsident Heinz-Paul Bonn im Gespräch

Die Geschwindigkeit?»Der Top-Speed hängt von der Länge der Geraden ab. In der

Regel schaffen wir rund 300 Stundenkilometer, bei einer sehr

langen Geraden auch etwas mehr. 300 Stundenkilometer auf

der Rennstrecke fühlen sich an wie 150 Stundenkilometer auf

der Straße. Die Rennstrecke ist breit, und alle fahren in die

gleiche Richtung. Zudem gibt es keinen Tacho.«

Die Angst?»Ich habe nicht gezählt, wie oft ich mit dem Motorrad gestürzt

bin. Als Kind auf dem Minibike passiert das fast jedes Wochen-

ende, später wird es weniger. Insgesamt waren es wohl 500-mal,

schätze ich. Angst hatte ich nie, und die werde ich auch nicht

haben. Sobald man Angst hat, wird man zu langsam. Natürlich

hat man Respekt vor gewissen Situationen, denn in diesem

Geschwindigkeitsbereich ist Fahren kein Spiel mehr.«

Die IT?»Als Fahrer kann man nicht mehr lügen. Das Motorrad steckt

voller Sensoren, unser Datenrecording erfasst alles. Der Com-

puter sieht den Unterschied zwischen Halbgas und 30 Prozent,

kennt die Bremspunkte, und das Team liest sämtliche Daten von

Training und Rennen. Für einen Spitzenplatz im Rennen müssen

alle Details bei den Einstellungen haargenau stimmen.«

Das Highlight?»Für mich ist der Start der größte Moment im Rennsport.

30 Fahrer preschen auf die erste Kurve zu, und es wird immer

enger. Ein unglaubliches Gefühl, das furchtbar viel Spaß

macht.«

Kleine LED-

Blitze signalisieren

dem Fahrer, wann der op-

timale Schaltzeitpunkt näher

rückt. Die ersten Schaltblitze

flackern bei 14.000 Umdrehun-

gen, bei der zehnten LED ist

der optimale Schaltzeitpunkt

erreicht. Dieser liegt bei zwi-

schen 15.800 und 16.000

Umdrehungen.

An seinem

persönlichen Com-

puter wertet Florian Alt

alle Daten des Motorrads

zu Hause in Ruhe aus, geht

die Rennen durch und

analysiert die Videos von

sich und den Konkur-

renten.

Am Lenker

links hat der Fahrer drei

Schalter: Der Speed-Limiter

für die Boxengasse hält das

Motorrad konstant auf 60 km/h.

Der zweite erlaubt die Auswahl

verschiedener Mappings des Mo-

tors, über die unter anderem die

Leistung in Drehzahlbereichen

geregelt wird. Der dritte

Schalter ist die Launch-

Control.

Das GPS

zeichnet die vollstän-

dige Linienbahn aller

Runden auf, die Daten

lassen sich anschließend am

Computer betrachten. Die

Darstellung umfasst auch

alle Punkte, an denen

Gas gegeben oder ge-

bremst wurde.

Bei Training

und Rennen werden

alle Daten der Motorrad-

ECU (Steuereinheit) per

Kabel ins Notebook geladen.

Die Zeit drängt meistens,

denn der Fahrer muss

wieder auf die

Strecke.

Die Auspuff-

temperatur ist eine

wichtige Messgröße.

Sie kann auf über 700 Grad

steigen. Wenn der Auspuff zu

heiß wird, erhält der Motor zu

viel Sprit. Das Team muss mit

den Daten die Einspritzzeiten

und das Gemisch (mager/

fett) möglichst ideal

einstellen.

Geschwindig-

keitssensoren gibt es

am Vorderrad und am Hin-

terrad. Grund ist der »Spin«

am Hinterrad: Dreht sich das

Hinterrad 15 km/h schneller

als das Vorderrad, fährt die

Maschine nicht mehr schnell

genug nach vorne. Der

Grip ist nicht mehr

perfekt.

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