24
Jacobs University Bremen Sampling in qualitativen Unter- suchungen: Entwicklung eines Stichprobenplanes zur Erfassung von Präferenzen unter- schiedlicher Stakeholdergruppen zu Fragen der Priorisierung medizinischer Leistungen Margrit Schreier, Felix Schmitz-Justen, Adele Diederich, Petra Lietz, Jeannette Winkelhage und Simone Heil Priorisierung in der Medizin FOR 655 Nr. 12 / 2008 Campus Ring 1 28759 Bremen Germany www.jacobs-university.de FOR 655 Working Paper serves to disseminate the research results of work in progress prior to publication to encourage academic debate. Copyright remains with the authors.

Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany ISSN 1866-0290 │ Die Reihe

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Jacobs University Bremen

Sampling in qualitativen Unter-suchungen: Entwicklung eines Stichprobenplanes zur Erfassung von Präferenzen unter-schiedlicher Stakeholdergruppen zu Fragen der Priorisierung medizinischer Leistungen Margrit Schreier, Felix Schmitz-Justen, Adele Diederich, Petra Lietz, Jeannette Winkelhage und Simone Heil

Priorisierung in der Medizin FOR 655 Nr. 12 / 2008

Campus Ring 1 28759 Bremen Germany www.jacobs-university.de

FOR 655 Working Paper serves to disseminate the research results of work in progress prior to publication to encourage academic debate.

Copyright remains with the authors.

Page 2: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Impressum:

Campus Ring 1 28759 Bremen Germany www.jacobs-university.de ISSN 1866-0290 www.for655.de │www.priorisierung-in-der-medizin.de

Die Reihe „Priorisierung in der Medizin“ umfasst Arbeits- und Forschungsberichte der DFG Forschergruppe FOR655 „Priorisierung in der Medizin: eine theoretische und empirische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Berichte und weitere Informationen zu der Forschergruppe können abgerufen, werden unter: http://www.for655.de oder http://www.priorisierung-in-der-medizin.de The series „Priorisierung in der Medizin“ consists of working papers and research reports of the DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft, i.e., German Research Foundation) Research Group FOR655 „Priorisierung in der Medizin: eine theoretische und empirische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).(Prioritizing in Medicine: A Theoretical and Empirical Analysis in Consideration of the Public Health Insurance System) Reports and further information can be found at http://www.for655.de or http://www.priorisierung-in-der-medizin.de

Page 3: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

FOR655 – Nr. 12 / 2008

Sampling in qualitativen Untersuchungen:

Entwicklung eines Stichprobenplanes zur

Erfassung von Präferenzen unterschiedlicher Stakeholdergruppen zu Fragen der Priorisierung

medizinischer Leistungen

Margrit Schreier, Felix Schmitz-Justen, Adele Diederich, Petra Lietz, Jeannette Winkelhage und Simone Heil

Jacobs University Bremen

Der vorliegende Beitrag beschreibt die Vorgehensweise bei der Entwicklung eines qualitativen Stichprobenplans in der konzeptuellen Projektphase für das Teilprojekt A “Kriterien und Präferenzen in der Priorisierung medizinischer Leistungen: eine empirische Untersuchung” (der Forschergruppe FOR 655). Damit ist zugleich der strukturelle Rahmen für das Sampling in den empirischen Teilprojekten B2, B3 und B5 vorgegeben. Es wird zunächst auf die Unterschiede zwischen Vorgehensweisen und Zielsetzungen bei probabilistischen und non-probabilistischen Verfahren der Stichprobenziehung eingegangen. Anschließend werden Verfahren der bewussten Stichprobenziehung genauer dargestellt, wie sie auch in der vorliegenden Untersuchung zum Einsatz kommen, und es wird die Entscheidung für einen qualitativen Stichprobenplan bzw. die Ziehung einer heterogenen Stichprobe begründet. Schließlich wird die forschungspraktische Umsetzung dieser Vorgehensweise sowohl zwischen als auch innerhalb von Stakeholdergruppen genauer dargestellt.

____________________________ Prof. Dr. Magrit Schreier Jacobs University Bremen gGmbH Campus Ring 1 28759 Bremen phone: 0421-200-3406 e-mail: [email protected]

Page 4: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Sampling in qualitativen Untersuchungen

FOR655 – Nr. 12 / 2008 2

1. Einleitung

Die Gesundheitsausgaben in Deutschland steigen von Jahr zu Jahr. Wurden 1995 noch 186,5 Mrd. Euro ausgegeben, waren es 2004 bereits 234 Mrd. Euro. Das waren 10.6 Prozent des Bruttoinlandproduktes, nach den USA und der Schweiz die dritthöchsten Ausgaben weltweit (alle Angaben Statistisches Bundesamt, 2006). Wollen und können wir uns das als Gesellschaft leisten? Die Rufe nach Einschränkung bestimmter medizinischer Leistungen werden lauter. Aber welche Leistungen sollten eingeschränkt oder vielleicht völlig vorenthalten werden? Und wer soll das entscheiden? Welche Interessensgruppen gibt es? Haben gesunde und kranke Bürgerinnen und Bürger ähnliche Ansichten? Was meinen Mediziner, Politiker oder Vertreter der Krankenkassen dazu?

In dem Teilprojekt A „Kriterien und Präferenzen in der Priorisierung medizinischer Leistungen: Eine empirische Untersuchung“ der Forschergruppe „Priorisierung in der Medizin: Eine theoretische und empirische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)“, FOR 655, sollen die Präferenzen verschiedener Interessensgruppen (im Folgenden auch: Stakeholdergruppen) bezüglich der Verteilung medizinischer Leistungen in Deutschland erfasst werden sowie die Kriterien, die diesen Präferenzen zugrunde liegen. 1 Dabei stehen Kriterien der horizontalen Priorisierung im Mittelpunkt, also Aspekte der Priorisierung über verschiedene Krankheitsbilder hinweg. Das Forschungsvorhaben gliedert sich in zwei Phasen. In einer ersten qualitativen Phase soll ein möglichst breites Spektrum an Präferenzen und Präferenzkriterien differenziert im Rahmen teilstandardisierter Interviews erhoben werden. Diese qualitative bildet die Basis für die anschließende quantitative Phase, die eine repräsentative Bevölkerungsbefragung sowie die Durchführung von Conjoint-Analysen beinhaltet. Der vorliegende Text bezieht sich ausschließlich auf die erste, qualitative Projektphase. Um sicherzustellen, dass bei der Interviewstudie in der Tat ein möglichst breites Spektrum an Personen mit unterschiedlichen Interessenslagen berücksichtigt wird, erfolgt die Auswahl der Teilnehmer/innen an Hand qualitativer Stichprobenpläne mit dem Ziel der Gewinnung einer heterogenen Stichprobe. Nach einem kurzen Überblick zu Prinzipien und Vorgehensweisen der Stichprobenziehung in qualitativen Untersuchungen folgt die Dokumentation der forschungspraktischen Umsetzung dieses Instrumentes. Die Teilprojekte B2 (Hämophilie A), B3 (Organallokation) und B5 (Evidenzbasierte Medizin) bedienen sich ebenfalls dieses Ansatzes.

1 Verweis Antrag

Page 5: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Margrit Schreier et al.

FOR655 – Nr. 12 / 2008 3

2. Stichprobenziehung in der qualitativen Forschung - Methodologie In der methodologischen Literatur werden zwei Gruppen von Verfahren der Stichprobenziehung diskutiert: probabilistische und non-probabilistische Verfahren (Neuman, 2006). Probabilistische Verfahren – also verschiedene Varianten der Ziehung einer Zufallsstichprobe - zielen darauf ab, eine Stichprobe zu gewinnen, die hinsichtlich relevanter Merkmale für die Grundgesamtheit repräsentativ ist. Mit der Ziehung einer Zufallsstichprobe verbindet sich in der Regel die Zielsetzung, von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit zu verallgemeinern, etwa bei der Wahlforschung. Die Generierung einer Stichprobe nach dem Zufallsprinzip ist allerdings alleine noch keine Garantie dafür, dass das Kriterium der Repräsentativität auch tatsächlich erfüllt ist. Hier spielen noch andere Faktoren eine Rolle, insbesondere die Größe der Stichprobe: Beispielsweise lässt die Befragung von drei Personen, auch wenn sie nach dem Zufallsprinzip ausgewählt sind, keine gute Prognose des Wahlverhaltens der Gesamtbevölkerung zu. Die Ziehung einer Zufallsstichprobe ist demnach nur dann sinnvoll, wenn erstens mit der Untersuchung das Ziel verbunden ist, von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit zu verallgemeinern, und wenn zweitens die Bedingungen für die Repräsentativität der Stichprobe erfüllt sind; insbesondere muss die Zufallsstichprobe hinreichend groß sein (Gobo, 2004). Unter der Bezeichnung der non-probabilistischen Verfahren werden alle Methoden der Stichprobenziehung zusammengefasst, die nach einem anderen als dem Zufallsprinzip erfolgen. Non-probabilistische Verfahren gliedern sich wiederum in zwei Gruppen: die Ziehung einer anfallenden Stichprobe und Verfahren der absichtsvollen Stichprobenziehung (Schreier, 2007). Die Ziehung einer anfallenden Stichprobe erfolgt nach dem Kriterium der Zugänglichkeit: es werden diejenigen Fälle in die Stichprobe aufgenommen, die gerade verfügbar sind. Unter dem Begriff der „absichtsvollen Stichprobenziehung“ werden eine Vielzahl unterschiedlicher Vorgehensweisen zusammengefasst, denen lediglich gemeinsam ist, dass die Stichprobenziehung nicht willkürlich erfolgt, sondern dass ihr eine bestimmte Überlegung zugrunde liegt – eben eine „Absicht“ -, welche dies im Einzelnen auch sein mag (im Überblick: Coyne, 1997; Quinn Patton, 2002; Schreier, 2007). Absichtsvolle Verfahren der Stichprobenziehung kommen vor allem dann zur Anwendung, wenn die Zielsetzung der Untersuchung eine andere ist als die der Verallgemeinerung von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit. Dies ist auch in der vorliegenden Untersuchung der Fall, bei der die Zielsetzung nicht darin besteht, im statistischen Sinn von der Stichprobe auf die Bevölkerung Deutschlands insgesamt zu schließen (diese Zielsetzung wird mit der repräsentativen Bevölkerungsbefragung im Rahmen der zweiten Forschungsphase verfolgt), sondern zunächst einmal ein möglichst breites Spektrum an Präferenzen zu Fragen der Priorisierung medizinischer Leistungen und an Kriterien zu ermitteln, die diesen Präferenzen zugrunde liegen. Verfahren der absichtsvollen Stichprobenziehung werden ausgesprochen uneinheitlich dargestellt und diskutiert. Manche Autor/inn/en beschränken sich auf die Darstellung

Page 6: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Sampling in qualitativen Untersuchungen

FOR655 – Nr. 12 / 2008 4

einiger weniger Methoden: Kelle und Kluge (1999, Kap. 3) diskutieren beispielsweise drei Verfahren: search-for-counterexamples sampling, theoretical sampling und den qualitativen sampling-plan- bzw. das selective sampling; Marshall (1996) präsentiert ebenfalls drei Strategien, das convenience, das judgment und das theoretical sampling (wobei das convenience sampling im vorliegenden Beitrag nicht der Gruppe der absichtsvollen Verfahren der Stichprobenziehung zugeordnet wird: s. oben). Darüber hinaus führt Patton (2002) führt in seiner Darstellung 15 verschiedene Strategien absichtsvoller Stichprobenziehung auf und Coyne (1997) gar 27. Schreier (2007) schlägt eine Gruppierung dieser Vorgehensweisen in kriteriums- und in verfahrensorientierte Strategien vor. Bei kriteriumsorientierten Strategien richtet sich die Beschreibung der Vorgehensweise am Kriterium aus, dem die Fälle genügen müssen, um in die Stichprobe aufgenommen zu werden, bzw. an der Zusammensetzung der Stichprobe, die angestrebt wird; ausschlaggebend ist dabei die Ausprägung des interessierenden Phänomens selbst (d.h., in der Begrifflichkeit der quantitativen Forschung, die Ausprägung der abhängigen Variable). Diese Gruppe von Strategien umfasst beispielsweise die Suche nach Gegenbeispielen (s.o.), das intensity sampling (Patton, 2002), das extreme case sampling, die homogene und die heterogene Stichprobe. Bei verfahrensorientierten Strategien steht die Vorgehensweise bei der Stichprobenziehung im Mittelpunkt. Hierzu zählen unter anderem das theoretical sampling, das Schneeballverfahren und der qualitative Stichprobenplan (wie im Übrigen auch die übergeordnete Bezeichnung der „nicht-probabilistischen Verfahren der Stich-probenziehung“). Verfahrensorientierte Varianten der absichtsvollen Stichprobenziehung lassen sich zudem danach unterteilen, ob die Gesichtspunkte, nach denen die Auswahl der Fälle erfolgt, bereits zu Beginn der Untersuchung bekannt sind (deduktive Vorgehensweise: top down-Verfahren) oder selbst das Ergebnis der Untersuchung darstellen (induktive Vorgehensweise: bottom up-Verfahren). In der Forschungspraxis finden das theoretical sampling (als Beispiel für ein bottom up-Verfahren) und der qualitative Stichprobenplan (als Beispiel für ein top down-Verfahren) besonders häufig Anwendung. Die Vorgehensweise der theoretischen Stichprobenziehung wurde im Kontext der „Grounded Theory“ entwickelt (Glaser, 1992; Glaser & Strauss, 1967) und vollzieht sich weitgehend ergebnisoffen. In einer ersten Phase werden zunächst einander möglichst ähnliche Fälle in die Stichprobe aufgenommen; diese werden in einer zweiten Phase mit Fällen kontrastiert, die sich in einer oder mehreren Hinsichten von den ersten Fällen unterscheiden und somit geeignet sind, erste vorläufige Hypothesen entweder zu bestätigen oder zu widerlegen. Auf diese Weise werden sukzessive Faktoren (einschließlich ihrer Wirkungsrichtung) identifiziert, die den Untersuchungsgegenstand beeinflussen. Qualitative Stichprobenpläne sind dagegen – als top down-Verfahren – gerade dadurch gekennzeichnet, dass sich schon im Vorfeld der Untersuchung begründete Annahmen

Page 7: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Margrit Schreier et al.

FOR655 – Nr. 12 / 2008 5

darüber aufstellen lassen, welche Faktoren den Untersuchungsgegenstand in welcher Weise beeinflussen. Die Gesamtzahl potenzieller Einflussfaktoren wird allerdings in der Regel zu groß sein, als dass alle in ein- und derselben Untersuchung berücksichtigt werden können. Entsprechend besteht der erste Schritt bei der Erstellung eines qualitativen Stichprobenplans in der Festlegung derjenigen Faktoren, an Hand derer die Stichprobenziehung erfolgen soll (beispielsweise Geschlecht und Schulbildung, um hier zwei der geläufigsten soziodemographischen Faktoren als Beispiel zu nennen). Im nächsten Schritt werden die Ausprägungen dieser Faktoren festgelegt (also etwa „männlich“ und „weiblich“ für das Geschlecht; „ohne Berufsabschluss“, „mit Berufsausbildung“, „mit Hochschulabschluss“ für die Schulbildung) und in einer Tabelle miteinander kombiniert, so dass jede Kombination einer „Zelle“ in dieser Tabelle entspricht (im Beispiel wären das bei zwei Ausprägungen für Geschlecht und drei Ausprägungen für Schulbildung also sechs Zellen). Abschließend wird bestimmt, welche Zellen des Versuchsplans mit wie vielen Fällen besetzt werden sollen. Ein qualitativer Stichprobenplan muss also keine vollständige Kombination bzw. Kreuzung der einbezogenen Faktoren realisieren: Manche Zellen sind vielleicht unter theoretischen Gesichtspunkten nicht von Interesse oder gar nicht verfügbar. In der Regel wird versucht, jede theoretisch und praktisch relevante Zelle mit mindestens einem Fall zu besetzen. Vor dem Hintergrund der Zielsetzung, ein möglichst breites Spektrum an Präferenzen hinsichtlich der Priorisierung medizinischer Leistungen und hinsichtlich der Kriterien zu erfassen, die diesen Präferenzen zugrunde liegen, wird in der vorliegenden Untersuchung eine möglichst heterogen zusammengesetzte Stichprobe angestrebt. Da sich durchaus begründete Annahmen über Faktoren machen lassen, die mit der Einstellung zur Priorisierung medizinischer Leistungen in Zusammenhang stehen (s. ausführlich unten), kann die Stichprobenziehung nach einem top down-Verfahren erfolgen, wobei sich auch unter forschungsökonomischen Gesichtspunkten das gerade dargestellte Vorgehen der Erstellung eines qualitativen Stichprobenplans anbietet. Zusammenfassend wird somit beim Sampling ein Vorgehen realisiert, das unter kriterienorientierten Gesichtspunkten als heterogenes Sampling und unter verfahrensorientierten Gesichtspunkten als top down-Verfahren der Erstellung eines qualitativen Stichprobenplans zu charakterisieren ist. Im Folgenden wird dieses Vorgehen konkret beschrieben.

3. Qualitative Stichprobenziehung: Forschungspraktische Umsetzung Eine heterogene Stichprobe entspricht im vorliegenden Kontext einer Stichprobe von Personen, von denen anzunehmen ist, dass sie sich im Hinblick auf ihre Präferenzen bezüglich medizinischer Leistungen und im Hinblick auf Kriterien unterscheiden, die diesen Präferenzen zugrunde liegen. Diese Heterogenität wird im vorliegenden Forschungsprojekt im Rahmen eines zweischrittigen Verfahrens auf zwei Ebenen realisiert. Auf einer ersten Ebene sollen die Unterschiede zwischen den Stakeholdergruppen in ihrer Variabilität erfasst werden; auf dieser Ebene ist also sicherzustellen, dass möglichst unterschiedliche Stakeholdergruppen in die

Page 8: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Sampling in qualitativen Untersuchungen

FOR655 – Nr. 12 / 2008 6

Untersuchung einbezogen werden. Auf der zweiten Ebene sind die Unterschiede innerhalb der Stakeholdergruppen zu berücksichtigen; hier sind also innerhalb jeder Stakeholdergruppe möglichst unterschiedliche Vertreter/innen dieser Gruppen einzubeziehen. Die Berücksichtigung der Variabilität auf beiden Ebenen erfolgt, indem jeweils entsprechend eines qualitativen Stichprobenplans Faktoren spezifiziert werden, von denen anzunehmen ist, dass sie mit Einstellungen zum Gegenstandsbereich der (horizontalen) Priorisierung medizinischer Leistungen in Zusammenhang stehen.

3.1 Erste Ebene: Auswahl der Stakeholdergruppen Stakeholdergruppen in Bezug auf das medizinische System sind a priori spezifizierbar. Sie umfassen insbesondere: Kranke, ihre Angehörigen, Gesunde, Mediziner/innen, Pflege- und Hilfspersonal (sowohl stationär wie auch ambulant), Vertreter/innen der Krankenkassen und Politiker/innen. Damit ist die Anzahl der Gruppen zwar überschau-bar, aber dennoch zu hoch, um alle Gruppen bei der vorliegenden Untersuchung gleichermaßen zu berücksichtigen. Um eine begründete Auswahl von Gruppen mit möglichst unterschiedlichen Interessenslagen und mit möglichst unterschiedlichen Positionen in Bezug auf das medizinische System zu treffen, werden im Folgenden Gesichtspunkte benannt, nach denen sich die Interessen der Gruppen unterscheiden. Diese Gesichtspunkte lassen sich zugleich als Kriterien für die Erstellung eines qualitativen Stichprobenplans auf der ersten Ebene der Stakeholdergruppen nutzbar machen. Die Stakeholdergruppen unterscheiden sich zunächst hinsichtlich der eigenen Betroffenheit durch Krankheit. Betroffen sind erkrankte Personen selbst sowie (mittelbar) ihre Angehörigen; für beide Personengruppen ist davon auszugehen, dass sie in Bezug auf Krankheit aus der Innensicht heraus argumentieren. Alle weiteren denkbaren Stakeholdergruppen sind dagegen nicht selbst durch Krankheit betroffen, sie argumentieren entsprechend aus der Außenperspektive. Entsprechend ergeben sich für dieses Kriterium zwei Ausprägungen: eigene Betroffenheit durch Krankheit versus keine eigene Betroffenheit. Die Gruppen unterscheiden sich weiterhin hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zum medizinischen System: Erkrankte und ihre Angehörigen werden – qua Krankheit – zu passiven Angehörigen des Systems; andere Stakeholdergruppen wie Ärzte oder Pflegepersonal sind als aktive Angehörige zu klassifizieren; wieder andere Stakeholdergruppen wie gesunde Personen oder Politiker gehören dem System dagegen nicht oder (etwa als Gesundheitspolitiker) nur in sehr mittelbarer Form an. Entsprechend ergeben sich für dieses Kriterium drei Ausprägungen: Akteure innerhalb des medizinischen Systems; Personen, die dem medizinischen System passiv angehören; sowie Personen, die keine Angehörigen des medizinischen Systems sind. Schließlich unterscheiden sich die Gruppen auch in Bezug auf ihre institutionelle Zugehörigkeit und damit einhergehend die Ausbildung von Fachwissen (wobei in Bezug

Page 9: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Margrit Schreier et al.

FOR655 – Nr. 12 / 2008 7

auf medizinische Institutionen eine partielle Überschneidung mit dem zweiten Kriterium vorliegt) und ihre Anbindung an Lobbygruppen: Politiker/innen, Vertreter/innen von Krankenkassen, Ärztinnen und Ärzte (gemeinsam mit dem Pflegepersonal) gehören je unterschiedlichen gesellschaftlichen Institutionen an und verfügen entsprechend über je unterschiedliches Fachwissen; erkrankte oder gesunde Personen gehören dagegen keiner Institution an. Für das dritte Kriterium resultieren somit die Ausprägungen: keine institutionelle Zugehörigkeit, Zugehörigkeit zu medizinischen Institutionen, Zugehörig-keit zu anderen Institutionen.

Im Hinblick auf die Gewährleistung größtmöglicher Heterogenität von Interessen und Perspektiven im Hinblick auf Fragen horizontaler Priorisierung werden für die Untersuchungen im Rahmen des Teilprojekts A insgesamt sechs Stakeholdergruppen ausgewählt, deren Verteilung über die Ausprägungen der drei Kriterien (Betroffenheit; Zugehörigkeit zum medizinischen System; institutionelle Zugehörigkeit) in Tabelle 1 wiedergegeben ist.

Stakeholdergruppe Betroffenheit Zugehörigkeit

med. System

Institut.

Zugehörigkeit

Gesunde Personen Nein Nein Keine

Erkrankte Personen Ja Passiv Keine

Ärzte/Ärztinnen Nein Aktiv Medizin

Pflegepersonal Nein Aktiv Medizin

Politiker/innen Nein Nein Andere: Politik

Vertreter/innen der

Kostenträger

Nein Nein Andere:

Wirtschaft

Tabelle 1: Übersicht über die berücksichtigten Stakeholdergruppen, TP A

Tabelle 1 zeigt, dass mit der Auswahl dieser sechs Stakeholdergruppen eine fast vollständige Kreuzung der drei Kriterien realisiert wird, wobei Dopplungen von Kriterienkombinationen möglichst vermieden werden. Nicht realisiert ist die Kombination von Zugehörigkeit zum medizinischen System und gleichzeitiger eigener Betroffenheit durch Krankheit. Diese Kombination entspricht keiner spezifischen Stakeholdergruppe; auch wäre die Suche nach konkreten Personen, die diese Kombination realisieren, mit einem u. E. ethisch nicht verantwortbaren Eingriff in deren Privatsphäre verbunden. Eine Dopplung findet sich in Bezug auf die Gruppen der Ärztinnen und Ärzte sowie des Pflegepersonals: Beide Stakeholdergruppen sind nicht

Page 10: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Sampling in qualitativen Untersuchungen

FOR655 – Nr. 12 / 2008 8

durch eigene Krankheit betroffen und gehören beide dem medizinischen System an. Allerdings unterscheiden sie sich stark in Bezug auf ihre Position innerhalb der Hierarchie des medizinischen Systems und dürften daher auch potenziell unterschiedliche Positionen zu Fragen der Priorisierung medizinischer Leistungen vertreten. Ähnliche Überlegungen sind für die Einbeziehung sowohl der Politiker/innen als auch der Vertreter/innen der Krankenkassen ausschlaggebend: Beide Gruppen sind nicht durch eigene Krankheit betroffen, gehören dem medizinischen System nicht an und sind durch die Zugehörigkeit zu einer anderen Institution als der Medizin gekennzeichnet. Ihre institutionelle Zugehörigkeit bezieht sich dabei auf je unter-schiedliche Institutionen mit unterschiedlichen Wirkungskreisen, woraus sich wiederum die Annahme ableitet, dass diese beiden Gruppen durch unterschiedliche Interessen gekennzeichnet sind. In den empirischen Teilprojekten B2, B3 und B5 erfolgt die Auswahl der Stakeholdergruppen nach ähnlichen Gesichtspunkten, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass in diesen Projekten nicht Fragen der horizontalen, sondern der vertikalen Priorisierung im Mittelpunkt stehen. Der Schwerpunkt liegt dort also jeweils auf Fragen der Priorisierung medizinischer Leistungen im Hinblick auf spezifische Krankheitsbilder. Damit rücken Stakeholdergruppen, die durch die Krankheit betroffen sind, stärker in den Mittelpunkt des Interesses, während Stakeholdergruppen, die anderen Institutionen zugehörig sind, an Bedeutung verlieren. Folglich finden Politiker/innen und Vertreter/innen der Gesetzlichen Krankenkassen beim Sampling dieser Projekte keine Berücksichtigung. Um der vermehrten Bedeutung der Betroffen-heit durch die Krankheit Rechnung zu tragen, wird stattdessen die Gruppe der Angehörigen einbezogen. In Tabelle 2 sind die Stakeholdergruppen wiedergegeben, die bei der Untersuchung von Fragen vertikaler Priorisierung Berücksichtigung finden, sowie deren Verteilung über die Ausprägung der drei Kriterien. Stakeholdergruppe Betroffenheit Zugehörigkeit

med. System

Institut.

Zugehörigkeit

Gesunde Personen nein nein keine

Betroffene

Patient/inn/en*

ja nein keine

Angehörige Betr.

Patient/inn/en

ja nein keine

Ärzte/Ärztinnen nein ja Medizin

Pflegepersonal nein ja Medizin

Page 11: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Margrit Schreier et al.

FOR655 – Nr. 12 / 2008 9

Tabelle 2: Übersicht über die berücksichtigten Stakeholdergruppen, TP B2, B3, B5 * Die Stakeholdergruppe der Erkrankten Personen (TP A) wird bei Fragen der vertikalen Priorisierung alternativ auch als Gruppe der Betroffenen Patient/inn/en bezeichnet.

3.2 Auswahl der Kriterien und ihrer Ausprägungen innerhalb der Stakeholdergruppen Nachdem auf der ersten Ebene der Stichprobenziehung die verschiedenen Stakeholdergruppen festgelegt sind, geht es nun auf der zweiten Ebene – ebenfalls im Hinblick auf das Ziel, eine möglichst heterogene Stichprobe zu gewinnen - darum, für jede Stakeholdergruppe solche Kriterien zu identifizieren, die mit Einstellungen zur Priorisierung medizinischer Leistungen in Zusammenhang stehen. Um die Anzahl der Interviews in einem umsetzbaren Rahmen zu halten, können nicht alle Kriterien berücksichtigt werden, die eine Heterogenität der Einstellungen der Befragten zur Priorisierung medizinischer Leistungen innerhalb der einzelnen Stakeholdergruppen erwarten lassen. So ist beispielsweise denkbar, dass die Einstellungen zum Untersuchungsgegenstand mit dem sozialen Status, den politischen Einstellungen (national-konservativ bis linksradikal), mit der Religionszugehörigkeit (z.B. christlich; hinduistisch, islamisch; oder keine Religionszugehörigkeit) oder auch (für bestimmte Stakeholdergruppen) mit der beruflichen Tätigkeit (Selbständige/r; Angestellte/r, Rentner/in usw.) der Befragten variieren. Diese hier exemplarisch aufgeführten Kriterien sind jedoch unseres Erachtens im vorliegenden Kontext von geringerer Bedeutung als diejenigen Kriterien, die letztendlich der Auswahl von Personen innerhalb der Stakeholdergruppen zugrunde gelegt werden. Um die Komplexität der Stichprobenpläne in einem forschungspraktisch noch handhabbaren Rahmen zu halten und zudem die Anzahl der Interviews auf ein realistisches Maß zu beschränken, wird die Anzahl der Kriterien pro Stakeholdergruppe auf drei Kriterien mit höchstens drei Ausprägungen festgesetzt; außerdem sollen je Stakeholdergruppe maximal 15 Interviews durchgeführt werden. Um die Vergleichbarkeit zwischen den Teilprojekten zu sichern, sind zusätzlich je Stakeholdergruppe jeweils (mindestens) zwei der drei Kriterien zwischen den Teilprojekten identisch zu halten. Im Folgenden sind pro Stakeholdergruppe die Kriterien und deren Ausprägungen erläutert, die der Auswahl von Personen innerhalb der Gruppe zugrunde liegen. Dabei beschränken wir uns auf die Stakeholdergruppen, die bei der Erfassung von Präferenzen zu Fragen der horizontalen Priorisierung einbezogen werden; auf Kriterien bei der Auswahl von Personen bei der Erfassung von Präferenzen hinsichtlich der vertikalen

Page 12: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Sampling in qualitativen Untersuchungen

FOR655 – Nr. 12 / 2008 10

Priorisierung bei bestimmten Erkrankungen (TPe B2, B3 und B5) bleiben hier unberücksichtigt. Die folgende Tabelle 3 fasst die für die einzelnen Stakeholdergruppen im Rahmen des horizontalen Teilprojektes A als relevant identifizierten Kriterien zusammen.

Stakeholdergruppe Kriterien

Gesunde Personen Höchster erreichter Bildungsabschluss; Alter; Ost/West

Erkrankte Bevölkerung Höchster erreichter Bildungsabschluss; Alter; Schwere d. Erkrankung; O/W

Ärzte/innen Arbeitsumfeld; Berufsgruppe

Pflegepersonal Arbeitsumfeld; Berufsgruppe; Pflegeerfahrung

Politiker/innen Verortung innerhalb des Parteienspektrums

Vertreter/innen d. GKV Vertreter/innen der Kostenträger (Gesetzlichen Krankenkassen – GKV)

Tabelle 1: Übersicht über die Kriterien zur Auswahl von Personen pro Stakeholdergruppe – Teilprojekt A

3.2.1 Gesunde Personen Für das Sampling aus der Gruppe der gesunden Personen werden die folgenden drei Kriterien angesetzt: höchster erreichter Bildungsabschluss, Alter sowie Sozialisation in den alten/neuen Bundesländern. Bildung stellt einen wesentlichen Teil der Sozialisation dar und steht als solcher in Zusammenhang mit Meinungen und Einstellungen in unterschiedlichen Bereichen, darunter auch Einstellungen zur Priorisierung von medizinischen Leistungen. Zudem ist davon auszugehen, dass der höchste erreichte Bildungsabschluss Überschneidungen mit anderen potenziell relevanten soziodemographischen Faktoren aufweist, wie beispielsweise dem sozialen Status. In Anlehnung an die International Standard Classification of Education der United Nations Educational Scientific and Cultural Organization (UNESCO, 2006) werden bei der Erstellung des Stichprobenplans drei Ausprägungen des höchsten erreichten Bildungsabschlusses berücksichtigt: ohne Berufsabschluss (ISCED-Level 0-2), mit Berufsausbildung (ISCED-Level 3-4), mit Hochschulausbildung (ISCED-Level 5-6). Diese Zusammenfassung stellt gemäß einer Kohorten-Analyse von Reinberg und Hummel (2002) über die Generationen hinweg auch eine angemessen ausgeglichene Verteilung zwischen den Abstufungen dar. Allerdings berücksichtigt eine solche Gleichverteilung nicht die Veränderungen im Bildungsniveau der Bevölkerung über die Zeit. So waren nach der Erhebung von

Page 13: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Margrit Schreier et al.

FOR655 – Nr. 12 / 2008 11

Reinberg und Hummel (2002) im Jahr 2000 von den 35-49-jährigen 21% ohne Berufsausbildung; 39% mit Berufsausbildung; und 46% mit Fach-/Hochschulausbildung; bei den 50-64-jährigen war die Verteilung hingegen 24% / 30% / 28%. Auch Winkler und Stolzenberg (1999) kommen zu dem Schluss, dass sich im Anschluss an die 60er Jahre das formale Bildungsniveau der Bevölkerung stark erhöht hat. Im Jahr 2000 waren von der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und ohne Berufsausbildung 55% 15-34-jährig, 21% 35-49-jährig sowie 24% 50-64-jährig. Von der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und mit Berufsausbildung waren im Jahr 2000 31% 15-34-jährig, 39% 35-49-jährig sowie 30% 50-64-jährig. Schließlich waren von der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und mit Hoch-/Fachhochschulausbildung im Jahr 2000 26% 15-34-jährig, 46% 35-49-jährig sowie 28% 50-64-jährig (Winkler & Stolzenberg, 1999, S. 593). Wir gehen allerdings davon aus, dass der Einfluss der tendenziell höheren Bildung bei der jüngeren Bevölkerung in dieser qualitativen Phase des Forschungsprojektes vernachlässigt werden kann. Folglich wurde für jede Stufe des Bildungsfaktors die gleiche Anzahl an Personen in die Stichprobe aufgenommen. Da der Bedarf nach Gesundheitsleistungen nachgewiesenermaßen mit dem Alter variiert (vgl. z. B. Badura, 1999), wird als zweites Kriterium das Alter bei der Erstellung des Stichprobenplans für Gesunde berücksichtigt. Bei einem durchschnittlichen Renten-eintrittsalter von 63,2 Jahren im Jahr 2006 (Deutsche Rentenversicherung, 2007) und unter der Zielsetzung, pro Ausprägung des Faktors eine etwa vergleichbare Altersspanne abzudecken, ergeben sich folgende Ausprägungen: Personen bis zu 30 Jahren, Personen zwischen 30 und 63 Jahren sowie Personen über 63 Jahren. Als drittes Kriterium wird berücksichtigt, dass Menschen in Deutschland in Abhängigkeit davon, ob sie in den alten oder den neuen Bundesländern aufgewachsen sind, Erfahrungen mit je unterschiedlichen Gesundheitssystemen gemacht haben, was ihre Einstellungen zur Priorisierung ebenfalls beeinflussen dürfte. Indikator für die Klassifikation von Teilnehmer/inne/n als „Ost“ oder „West“ ist der Wohnort, an dem sie bis zur Wiedervereinigung aufgewachsen waren. Der Wohnort zum Zeitpunkt des Interviews ist hingegen nicht von Relevanz, beziehungsweise zweitrangig. Auch der Aspekt der Ost-West-Migration wird hier nicht weiter berücksichtigt. Zwischen 1989 und 1993 betrachtet, erreichte die Ost-West-Wanderung mit 395.000 Personen bereits 1990 ihren Höhepunkt und ist seitdem stark zurückgegangen. Im Jahr 1993 zogen nur noch etwa 180.000 Personen von Ost- nach Westdeutschland, womit die Abwanderungsquote von 1,2% im Rahmen anderer innerdeutscher Wanderungs-bewegungen liegt (Büchel & Schwarze, 1994). Aus Gründen der praktischen Handhabbarkeit wird dieses dritte Kriterium nicht vollständig mit den Kriterien „Bildung“ und „Alter“ gekreuzt, so dass sich ein Stichprobenplan mit insgesamt neun Zellen bzw. Personen ergibt. Der resultierende Stichprobenplan für die Stakeholdergruppe der gesunden Personen ist in Tabelle 4 zusammenfassend wiedergegeben.

Page 14: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Sampling in qualitativen Untersuchungen

FOR655 – Nr. 12 / 2008 12

Stakeholdergruppe: Gesunde Personen

Höchster erreichter Bildungsabschluss Anzahl: 9

Alter --- Ohne

Berufs-abschluss

Mit Berufs-

ausbildung

Mit Hochschul-ausbildung

Anzahl

--- O W W 3 --- 0 18-30 Jahre --- 0 --- W O W 3 --- 0 31-62 Jahre --- 0 --- O W O 3 --- 0 >62 Jahre --- 0

Anzahl 3 3 3 9

Tabelle 2: Qualitativer Stichprobenplan für die Stakeholdergruppe Gesunde Personen – Kriterien und Ausprägungen

3.2.2 Erkrankte Bevölkerung Für die Stakeholdergruppe der erkrankten Personen wird angenommen, dass ihre Einstellung zu Fragen der Priorisierung in der Medizin am stärksten von der Schwere ihrer Erkrankung beeinflusst wird (mit den Ausprägungen: leichte und schwere Erkrankung). Unter dem Gesichtspunkt der Zielsetzung, ein möglichst breites Spektrum an Positionen zu erfassen, werden solche Personen vorab von der Stichprobenziehung des vorliegenden Teilprojekts A ausgeschlossen, die an einer der Krankheiten leiden, die bereits in den Untersuchungen der Teilprojekte B2, B3 und B5 berücksichtigt sind. Die Einstufung der konkreten Krankheitsbilder der Untersuchungsteilnehmer/innen als „leicht“ oder „schwer“ erfolgt auf der Grundlage einer Beratung durch Mediziner/innen. Beispielsweise wird ein „durchschnittlich“ ausgeprägter Bandscheibenvorfall als „leicht“ eingestuft – im Vergleich zu einer „durchschnittlichen“ Krebserkrankung („schwer“). Weiterhin können sich die Krankheiten zwischen den Zellen unterscheiden (es muss sich also nicht um leichte und schwere Ausprägungen derselben Krankheit handeln), und es können sowohl chronische als auch akute Erkrankungen einbezogen werden. Darüber hinaus wird angenommen, dass die Einstellungen erkrankter Personen in Abhängigkeit von denselben Faktoren variieren, wie dies auch bei den gesunden Personen der Fall ist. Entsprechend werden neben der Schwere der Erkrankung der höchste erreichte Bildungsabschluss, das Alter und das Aufwachsen in den alten oder den neuen Bundesländern als weitere Faktoren in den Stichprobenplan aufgenommen.

Page 15: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Margrit Schreier et al.

FOR655 – Nr. 12 / 2008 13

Aus Gründen der Handhabbarkeit wird auch für diese Stakeholdergruppe keine vollständige Kreuzung aller Faktoren realisiert, so dass sich ein Stichprobenplan mit 12 Zellen bzw. Personen ergibt, der in Tabelle 5 aufgeführt ist. Stakeholdergruppe: Erkrankte Bevölkerung

Höchster erreichter Bildungssabschluss

Anzahl: 12

Alter Schwere der Erkrankung

Ohne Berufs-

abschluss

Mit Berufs-

ausbildung

Mit Hochschul-ausbildung

Anzahl

Leicht W O 2 Schwer O W 2 18-30 Jahre --- 0 Leicht W O 2 Schwer W O 2 31-62 Jahre --- 0 Leicht O W 2 Schwer O W 2 >62 Jahre --- 0

Anzahl 4 4 4 12

Tabelle 5: Qualitativer Stichprobenplan für die Stakeholdergruppe Erkrankte Bevölkerung – Kriterien und Ausprägungen Die Stakeholdergruppe der erkrankten Bevölkerung findet (als Gruppe der betroffenen Patient/inn/en) auch in den Teilprojekten B2, B3 und B5 Berücksichtigung, bei denen jeweils eine spezifische Krankheit im Mittelpunkt steht. Die Zuordnung von Personen zu den beiden Merkmalsausprägungen „leicht/schwer“ kann dort projektintern jeweils anhand krankheitsspezifischer Ausprägungen erfolgen.

3.2.3 Ärztinnen und Ärzte Einen ersten Gesichtspunkt, der sich auf die Einstellungen von Mediziner/innen zu Priorisierungsfragen auswirken dürfte, stellt das Arbeitsumfeld dar, und zwar mit den Ausprägungen ‚Krankenhaus’ und „Privat- / Schwerpunktpraxis“. Die beiden Arbeitsfelder sind durch unterschiedliche Arbeitsbedingungen gekennzeichnet. Diese Unterschiede betreffen auch die Intensität des Kontakts zwischen Mediziner/inne/n und Patient/inn/en: Im Krankenhaus besteht typischerweise ein regelmäßiger Kontakt, der sich allerdings nur über einen kurzen Zeitraum erstreckt. Zwischen niedergelassenen Mediziner/inne/n und Patient/inn/en ist der Kontakt typischerweise weniger intensiv, kann sich jedoch über einen längeren Zeitraum erstrecken, ggf. sogar (insbesondere bei Allgemeinmediziner/inne/n) über Jahre.

Page 16: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Sampling in qualitativen Untersuchungen

FOR655 – Nr. 12 / 2008 14

Als weitere Kriterien werden die Hierarchieebene sowie die fachliche Spezialisierung angesetzt, die in dem Stichprobenplan für diese Stakeholdergruppe zu dem Kriterium Berufsgruppe zusammengefasst sind. Dabei wird angenommen, dass verschiedene Hierarchieebenen in erster Linie im Kontext des Arbeitsumfelds „Krankenhaus“ zum Tragen kommen, während die Einstellungen zur Priorisierung von Ärztinnen und Ärzten in Privat- oder Schwerpunktpraxen vermutlich stärker durch deren jeweilige fachliche Spezialisierung geprägt sind. Für die Hierarchieebene werden drei Ausprägungen angesetzt: Student/in im praktischen Jahr, Assistenzarzt bzw. –ärztin, Oberarzt bzw. –ärztin. Diese Hierarchieebenen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer Aufgabenbereiche, sondern möglicherweise auch hinsichtlich der Einstellungen zu Berufsbild und Möglichkeiten der ärztlichen Tätigkeit; dabei ist zu vermuten, dass ein eventueller Idealismus von der Tätigkeit als Student/in im Praktischen Jahr bis hin zur Tätigkeit als Oberarzt bzw. Oberärztin sukzessive abnimmt. Bei der fachlichen Spezialisierung werden vier Ausprägungen berücksichtigt: Allgemeinmedizin (mit/ohne Facharzt), Innere Medizin, Frauenheilkunde und Psychiatrie. Da es vorrangig um die Vielfalt der Meinungen geht, ist bei der Auswahl der Spezialisten ein formaler Cut off-Punkt nach Anzahl der Beschäftigten innerhalb einer Spezialistengruppe oder nach der Höhe der Ausgaben im Gesundheitswesen durch eine Spezialistengruppe zweitrangig (für die einschlägigen Zahlen s. Bundesärzte-kammer; BMG; StBA). Bei einer unvollständigen Kreuzung der Kriterien „Arbeitsumfeld“ und „Berufsgruppe“ derart, dass Ärztinnen und Ärzte verschiedener Hierarchieebenen nur aus dem Arbeitsumfeld „Krankenhaus“ und Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen nur aus dem Arbeitsumfeld „Privat-/Schwerpunktpraxis“ einbezogen werden, ergibt sich ein Stichprobenplan mit sieben Zellen bzw. Personen (s. Tabelle 6). Stakeholdergruppe: Ärzte/innen Arbeitsumfeld Anzahl:

7

Berufsgruppe --- KrankenhausPrivat- / Schwerpunkt-praxis

--- Anzahl

--- 1 1 --- 0 Student/in im

Praktischen Jahr --- 0 --- 1 1 --- 0 Assistenzarzt/

Assistenzärztin --- 0

Page 17: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Margrit Schreier et al.

FOR655 – Nr. 12 / 2008 15

--- 1 1 --- 0 Oberarzt/

Oberärztin --- 0 --- 1 1 --- 0

Spezialist/in 1: Allg. Med. (mit/ ohne Facharzt) --- 0

--- 1 1 --- 0 Spezialist/in 2:

Innere Medizin --- 0 --- 1 1 --- 0 Spezialist/in 3:

Frauenheilkunde --- 0 --- 1 1 --- 0 Spezialist/in 4:

Psychiatrie --- 0 Anzahl 3 4 0 7

Tabelle 6: Qualitativer Stichprobenplan für die Stakeholdergruppe Ärztinnen und Ärzte – Kriterien und Ausprägungen In den krankheitsspezifischen, vertikalen Teilprojekten B2, B3, B5 ist vorgesehen, nur solche Mediziner/innen zu befragen, die direkten/indirekten Kontakt mit Patient/inn/en mit den je projektspezifisch relevanten Krankheitsbildern haben. Deren Fachrichtungen sind dabei je nach Teilprojekt zu spezifizieren: Im Rahmen des Teilprojektes B2 mit Schwerpunkt auf Hämophilie-Erkrankungen wären dies beispielsweise Hämatologen/innen und Orthopäden/innen; im Rahmen des Teilprojektes B5 mit Schwerpunkt auf der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit wären Gefäßchirurg/inn/en, Angiolog/inn/en und interventionelle Radiolog/inn/en einzubeziehen.

3.2.4 Pflegepersonal Das Kriterium der Hierarchieebene wird ebenso für die Stakeholdergruppe des Pflegepersonals angesetzt, hier mit den Ausprägungen „Pfleger/in“ und „Pflegeleitung“. Aus diesen Ausprägungen geht bereits hervor, dass bei dieser Stakeholdergruppe nur das Arbeitsumfeld „Krankenhaus“ Berücksichtigung findet, nicht dagegen das Umfeld „Privat- / Schwerpunktpraxen“: Die dem Pflegepersonal in Krankenhäusern äquivalente Berufsgruppe wäre hier die der Arzthelfer/innen, die jedoch in erster Linie administrative Aufgaben wahrnehmen und daher keine den anderen medizinischen Berufsgruppen vergleichbare Nähe zu den Patient/inn/en aufweisen. In Altenheimen wiederum ist eine Nähe des Pflegepersonals zu den Patient/inn/en gegeben. Da das Forschungsprojekt sich jedoch ausschließlich auf die Gesetzliche Krankenversicherung

Page 18: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Sampling in qualitativen Untersuchungen

FOR655 – Nr. 12 / 2008 16

konzentriert, Altenheime aber durch die Pflegeversicherung finanziert werden, bleiben Altenheime in der Studie unberücksichtigt. Gerade im pflegerischen Bereich zeigen sich mit zunehmender Dauer der Berufstätigkeit häufig Symptome eines Burn-out, der sich unter anderem in einer ablehnenden Haltung den Patient/inn/en gegenüber manifestieren und sich entsprechend ebenfalls auf Einstellungen zu Priorisierungsfragen auswirken kann (Berger & Zimber, 2004; Zimber, Teufel & Berger, 2005). Als zweites Kriterium wird folglich die Dauer der Pflegeerfahrung in den Stichprobenplan aufgenommen, und zwar mit den Ausprägungen „weniger als sieben Jahre“ und „mehr als zwölf Jahre“. Da das Erreichen einer Position in der Pflegeleitung an sich bereits mehrere Jahre der Berufserfahrung voraussetzt, wird auf dieser Hierarchieebene nur die Ausprägung ‚mehr als zwölf Jahre Pflegeerfahrung’ berücksichtigt. Bei unvollständiger Kreuzung der beiden Faktoren „Hierarchieebene“ und „Pflegeerfahrung“ resultiert ein Stichprobenplan mit drei Zellen bzw. Personen, der in Tabelle 7 dargestellt ist. Stakeholdergruppe: Pflegepersonal Arbeitsumfeld Anzahl: 3

Berufsgruppe Pflege-erfahrung Krankenhaus --- --- Anzahl

<7 Jahre 1 1 >12 Jahre 1 1 Pfleger/in --- 0 <7 Jahre 0 >12 Jahre 1 1 Pflegeleitung --- 0 --- 0 --- 0 --- --- 0

Anzahl 3 0 0 3

Tabelle 7: Qualitativer Stichprobenplan für die Stakeholdergruppe Pflegepersonal – Kriterien und Ausprägungen Wie bereits im Zusammenhang mit der Stakeholdergruppe der Mediziner/innen erwähnt (s. oben Abschnitt 3.2.4), soll in den krankheitsspezifischen, vertikalen Teilprojekten B2, B3, B5 nur Pflegepersonal befragt werden, das in direktem/indirektem Kontakt mit Patient/inn/en steht, die je projektspezifisch relevante Krankheiten aufweisen. Neben

Page 19: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Margrit Schreier et al.

FOR655 – Nr. 12 / 2008 17

Krankenhäusern soll dort auch das Tätigkeitsfeld der ambulanten Schwerpunktpraxen berücksichtigt werden.

3.2.5 Politiker/innen Für die Stakeholdergruppe der Politiker/innen gehen wir davon aus, dass deren Einstellungen zu Fragen der Priorisierung in der Medizin in erster Linie mit der Parteizugehörigkeit variieren. Bei einer Berücksichtigung aller derzeit im Bundestag vertretenen Parteien (nach den Ergebnissen der Bundestagswahl 2005: SPD 34,2%; CDU 27,8%; CSU 7,4%; FDP 9,8%; Die Linkspartei/PDS 8,7%; Bündnis 90/Die Grünen 8,1%) ergibt sich ein Stichprobenplan mit fünf Zellen bzw. Personen (s. Tabelle 8). Stakeholdergruppe: Politiker/innen --- Anzahl: 5

Verortung innerhalb d. Parteien-spektrums

--- --- --- --- Anzahl

--- 1 1 --- 0 CDU/CSU --- 0 --- 1 1 --- 0 SPD --- 0 --- 1 1 --- 0 FDP --- 0 --- 1 1 --- 0 Die

Linkspartei.PDS --- 0 --- 1 1 --- 0 Bündnis 90/Die

Grünen --- 0 Anzahl 5 0 0 5

Tabelle 8: Qualitativer Stichprobenplan für die Stakeholdergruppe Politiker/innen – Kriterien und Ausprägungen

Page 20: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Sampling in qualitativen Untersuchungen

FOR655 – Nr. 12 / 2008 18

3.2.6 Vertreter/innen der Gesetzlichen Krankenkassen Die Kassen der Gesetzlichen Krankenversicherung variieren erheblich hinsichtlich ihrer Mitglieder- und ihrer Kostenstruktur, was sich wiederum auf die Einstellungen ihrer Vertreter/innen zu Fragen der Priorisierung medizinischer Leistungen auswirken dürfte. Entsprechend erfolgt die Auswahl der Gesetzlichen Krankenkassen nach dem Kriterium des Anteils der GKV-Versicherten bzw. nach den Kassenarten. In 2003 vertraten die Ortskrankenkassen 41% der Versicherten, die Ersatzkassen für Angestellte und Arbeiter 31% und die Betriebskrankenkassen 18% (Bundesministerium für Gesundheit, 2005). Die Innungskrankenkassen (IKKs), die lediglich 6.1% der Versicherten repräsentieren, werden nicht berücksichtigt. Die aufgenommenen Krankenkassenverbände (Orts-, Ersatz- und Betriebskrankenkassen) spiegeln zugleich eine sehr unterschiedliche Kostenstruktur durch ihre jeweilige Versichertenstruktur wider, die einen maßgeblichen Einfluss auf ihre Politik haben dürfte. Während beispielsweise die Rentner/innen in den AOKs den zweitgrößten Anteil der Versicherten darstellen (28%), machen sie bei den BKKs nur den drittgrößten Anteil der Versicherten aus (17%) und stellen damit die größte Abweichung vom Bundesdurchschnitt (24%) dar. Ebenso große Unterschiede treten in den Anteilen der Freiwillig Versicherten auf, die bei den VdAKs einen doppelt so großen Anteil der Versicherten (8%) verglichen mit den AOKs (4%) stellen (Bundesdurchschnitt 5%). Da die mitversicherten Familienangehörigen selbst keine Beiträge zahlen und die Beiträge der Rentner/innen vergleichsweise niedrig sind, können die pflicht- oder freiwillig versicherten Beitragszahler/innen als für die Kostenstruktur optimale Mitglieder gezählt werden. Der Anteil dieser für die Kostenstruktur der KVs optimalen pflicht- oder freiwillig versicherten Beitragszahler/innen ist insgesamt bei den AOKs mit 46% der Versicherten am geringsten, und fällt bei den BKKs und VdAKs mit 53% gleich hoch aus (Bundesdurchschnitt 49%). Je Bundesverband2 werden Geschäftsführer bzw. Vorsitzende unterschiedlicher Gremien, Leitungsgruppen oder Geschäftsbereiche mit betriebswirtschaftlichem Bezug zum Gesundheitswesen ausgewählt. Identische Gremien, Leitungsgruppen oder Geschäftsbereiche bestehen über die Bundesverbände hinweg nicht. Bei einer Berücksichtigung von drei Kassenarten und zwei Kassen pro Kassenart ergibt sich ein Stichprobenplan von sechs Zellen (s. Tabelle 9).

2 Der „Spitzenverband Bund der Krankenkassen“, eine deutsche Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren Repräsentanten/innen als Interviewteilnehmer/innen hätten rekrutiert werden können, übernimmt erst zum 01.07.2008 – und damit nach der Interviewphase – seine Tätigkeit als Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen übernimmt teilweise Funktionen der einzelnen Krankenkassenverbände (AOK-Bundesverband; BKK-Bundesverband; Verband der Angestellten-Krankenkassen; etc.). Er wurde im Rahmen der Gesundheitsreform 2007 (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) gegründet; die Neuregelung wurde mit einem notwendigen Bürokratieabbau begründet.

Page 21: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Margrit Schreier et al.

FOR655 – Nr. 12 / 2008 19

Stakeholdergruppe: Kostenträger (GKV) --- Anzahl: 6

Bundesverbände der GKVs --- --- --- --- Anzahl

--- 2 2 --- 0 AOK-

Bundesverband --- 0 --- 2 2 --- 0

Verband d. Angest.-Krankenkassen e. V. --- 0

--- 2 2 --- 0 BKK

Bundesverband --- 0 Anzahl 6 0 0 6

Tabelle 9: Qualitativer Stichprobenplan für die Stakeholdergruppe ‚Vertreter/innen der Gesetzlichen Krankenversicherung’ – Kriterien und Ausprägungen

3.2.7 Gesamtüberblick Diese Verbindung von Stakeholdergruppen, Faktoren und Ausprägungen resultiert für das Teilprojekt A in insgesamt 42 Zellen bzw., bei einer Zellenbesetzung von n=1, Interviewpartner/inne/n: neun gesunde Personen, zwölf erkrankte Personen, sieben Ärztinnen und Ärzte, drei Personen aus der Gruppe des Pflegepersonals, fünf Politiker/innen und sechs Vertreter/innen der Gesetzlichen Krankenkassen. Aufgrund der in diesem Beitrag beschriebenen Vorgehensweise ist damit beabsichtigt, ein möglichst breites Spektrum an Präferenzen (unterschiedlicher Stakeholdergruppen) zu Fragen der Priorisierung medizinischer Leistungen zu gewinnen.

Literatur Badura, B. (1999). Elemente einer bürgerorientierten Gesundheitspolitik.

Gewerkschaftliche Monatshefte, 50(6), 349-356. BÄK, B.-. (2006). Ärztestatistik zum 31. Dezember 2006, [PDF-Document].

Bundesärztekammer - BÄK. Available: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Aerztestatistik2006.pdf [2007, 03.07.2007].

Page 22: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Sampling in qualitativen Untersuchungen

FOR655 – Nr. 12 / 2008 20

Berger, G., & Zimber, A. (2004). Alter(n)sgerechte Arbeitsplätze in der Altenpflege. Wege zur Stärkung der Arbeits(bewältigungs)fähigkeit (nicht nur) der älteren Mitarbeiter/innen. Bericht im Rahmen des EQUAL Modellprojekts Altersgerechte Arbeitsplätze. Stuttgart. Heidelberg: Qualifizierung, Personal- und Organisationsentwicklung.

Büchel, F., & Schwarze, J. (1994). Die Migration von Ost- nach Westdeutschland - Absicht und Realisierung. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (MittAB), 27(Sonderdruck).

Bundesministerium für Gesundheit - BMG, Referat Öffentlichkeitsarbeit. (2005). Statistisches Taschenbuch Gesundheit 2005. Berlin.

Coyne, I. T. (1997). Sampling in qualitative research. Purposeful and theoretical sampling; merging or clear boundaries? Journal of Advanced Nursing, 26(3), 623-630.

Curtis, S., Gesler, W., Smith, G., & Washburn, S. (2000). Approaches to sampling and case selection in qualitative research: examples in the geography of health. Soc Sci Med, 50, 1001-1014.

Deutsche Rentenversicherung. (2007). Rentenzugangsalter steigt. Deutsche Rentenversicherung. Available: http://www.drv-bund.de [2007, 29.06.2007].

Glaser, B. (1992). Basics of Grounded Theory Analysis. Mill Valley, California: Sociology Press.

Glaser, B., & Strauss, A. (1967). The Discovery of Grounded Theory. Chicago: Aldine Publishing Co.

Gobo, G. (2004). Sampling, representativeness, and generalizability. In C. Seale, G. Gobo, J. F. Gubrium, & D. Silverman (Eds.), Qualitative research practice (pp. 435-456). London: Sage.

Kelle, U., & Kluge, S. (1999). Vom Einzelfall zum Typus: Fallvergleich und Fallkostrasierung in der qualitativen Sozialforschung. Opladen: Leske+Budrich.

Kommission/EUROSTAT, E. (2002). Die soziale Lage in der Europäischen Union, [World Wide Web Document (.PDF)]. Europäische Kommission/EUROSTAT. Available: http://ec.europa.eu/employment_social/social_situation/docs/SSR2002_de.pdf [2007, 20.08.2007].

Marshall, M. N. (1996). Sampling for qualitative research. Family Practice, 13(6), 522-525.

Morse, J. M. (1991). Strategies for sampling. In J. M. Morse (Ed.), Qualitative Nursing Research: A Contemporary Dialogue (pp. 127-145). Newbury Park, California: Sage.

Neuman, W. L. (2006). Social research methods: Qualitative and quantitative approaches. Boston: Allyn & Bacon.

Patton, M. Q. (2001a). "Purposeful Sampling" (Chap. 5), Qualitative research and evaluation methods (3rd. ed., pp. 230-247). Thousand Oaks: Sage.

Patton, M. Q. (2001b). "Variety in Qualitative Inquiry" (Chap. 3), Qualitative research and evaluation methods (3rd. ed., pp. 75-141). Thousand Oaks: Sage.

Reinberg, A., & Hummel, M. (2002). Zur langfristigen Entwicklung des qualifikationsspezifischen Arbeitskräfteangebots und -bedarfs in Deutschland.

Page 23: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Margrit Schreier et al.

FOR655 – Nr. 12 / 2008 21

Empirische Befunde und aktuelle Projektionsergebnisse. Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt und Berufsforschung, 35(4), 580-600.

Sandelowski, M. (1995). Focus on qualitative methods: sample size in qualitative research. Research in Nursing and Health, 18, 179-183.

Sandelowski, M., Holditch-Davis, D., & Harris, B. G. (1992). Using qualitative and quantitative methods: the transition to parenthood of infertile couples. In J. F. Gilgun & K. Daly & G. Handel (Eds.), Qualitative Methods in Family Research (pp. 301-323). Newbury Park, California: Sage.

Schreier, M. (2007). Qualitative Stichprobenkonzepte. In G. Naderer & E. Balzer (Eds.), Qualitative Marktforschung in Theorie und Praxis (pp. 232-245). Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler.

Strauss, A., & Corbin, J. (1990). Basics of Qualitative Research: Grounded Theory, Prodecures and Techniques. Newbury Park, California: Sage.

Tremblay, M.-A. (1957). The Key Informant Technique: A Nonethnographic Application. American Anthropologist, New Series, 59(4), 688-701.

United Nations Educational Scientific and Cultural Organization (UNESCO). (2006). International Standard Classification of Education - ISCED 1997 (May 2006, Re-edition). United Nations Educational Scientific and Cultural Organization (UNESCO). Available: http://www.uis.unesco.org/TEMPLATE/pdf/isced/ISCED_A.pdf [2007, 20.06.2007].

Winkler, J., & Stolzenberg, H. (1999). Der Sozialschichtindex im Bundes-Gesundheitssurvey. Gesundheitswesen, 61(Sonderheft 2), 178-183.

Winkelhage. J, Diederich, A., Heil, S., Lietz, P., Schmitz-Justen, F., & Schreier, M.. (2008). Qualitative Stakeholder-Interviews: Entwicklung eines Interviewleitfadens zur Erfassung von Prioritäten in der medizinischen Versorgung. Jacobs University Bremen gGmbH. Available: http://www.priorisierung-in-der-medizin/publications/ [FOR 655 No 07/01.

Zimber, A., Teufel, S., & Berger, G. (2005). Alter(n)sgerechte Arbeitsplätze in der Altenpflege: Eine Handreichung für Pflegeeinrichtungen. Ergebnisse eines Modellprojektes im Rahmen des EQUAL-Projektes „Dritt-Sektor-Qualifizierung in der Altenhilfe in Baden-Württemberg“, Stuttgart. Heidelberg: Qualifizierung, Personal- und Organisationsentwicklung.

Page 24: Jacobs University Bremen - priorisierung-in-der- · PDF fileImpressum: Campus Ring 1 28759 Bremen Germany   ISSN 1866-0290   │  Die Reihe

Working Paper Series FOR 655

1. Hartmut Kliemt: Priority setting in the age of genomics, December 2007 (1)

2. Marlies Ahlert: If not only numbers count – allocation of equal chances, December 2007 (2)

3. Stefan Felder: The variance of length of stay and the optimal DRG outlier payments, December 2007 (3)

4. Jeannette Winkelhage, Adele Diederich, Simone Heil, Petra Lietz, Felix Schmitz-Justen und Margrit Schreier: Qualitative Stakeholder-Interviews: Entwicklung eines Interviewleitfadens zur Erfassung von Prioritäten in der medizinischen Versorgung, December 2007 (4)

5. Antje Köckeritz: A cooperative bargaining model for two groups of patients, January 2008 (1)

6. Marlies Ahlert and Hartmut Kliemt: Necessary and sufficient conditions to make the numbers count, January 2008 (2)

7. Stefan Felder and Andreas Werblow: Do the age profiles of health care expenditure really steepen over time? New evidence from Swiss Cantons, February 2008 (3)

8. Marlies Ahlert, Wolfgang Granigg, Gertrud Greif-Higer, Hartmut Kliemt und Gerd Otto: Prioritätsänderungen in der Allokation postmortaler Spender-Lebern – Grundsätzliche und aktuelle Fragen, February 2008 (4)

9. Marlies Ahlert, Stefan Felder and Bodo Vogt: How economists and physicians trade off efficiency and equity in medically and neutrally framed allocation problems, February 2008 (5)

10. Adele Diederich and Hartmut Kliemt: Public health care priorities at the polls – a note, March 2008 (6)

11. Stefan Felder: To wait or to pay for medical treatment? Restraining ex-post moral hazard in health insurance, April 2008 (7)

12. Margrit Schreier, Felix Schmitz-Justen, Adele Diederich, Petra Lietz, Jeannette Winkelhage und Simone Heil: Sampling in qualitativen Untersuchungen, Juli 2008 (8)