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Heft 11 1955 ] G~rHER NIETHAMMER: Jagd auf Vogelstimmen 115 Jagd auf Vogelstimmen Von Giinfher Niefhammer Am 28. November 1953 starteten die 9 Mitglieder der Internationalen Sahara- und Sudan-Expedition yon Laghouat aus ihre Fahrt durch die Sahara. Schon am Abend hatten unserv 3 Autos die ersten 200 km ~Vfiste bezwungen und die 0ase Ghardaia erreicht: Zu sp~ter Stunde~ fuhren wir dicht aufgeschlossen dutch das enge Tor des auf beherrschender HShe gelegenen alten Forts, vom franzSsischen Kommandanten aufs freund- lichste empfangen. Friih am n/ichsten Morgen, als an meinem Bett hinter den dicken Fesmngsmauern noch alles dunkel war, klang ein Vogelliedchen auf, das mir den Schlaf vertrieb und reich hinaus in den Burghof lockte. Die kurze D/~mmerung war angebrochen, und nach wenigen Minuten hatte die Nacht das Szepter an den Tag abgegeben: die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne vergoldeten die Zinnen des trutzigen Forts. Dort oben saI3 ein fuchsbraunes VSgelchen und sang seine Strophe in die feierliche Stille des jungen Wiistentages: Zum ersteu Male vernahm ich das Lied der Haus- ammer Emberiza striolata, eines echten Sahara-Vogels, der -- wie sein Name besagt -- eine Vorliebe fiir H'~user hat und in vertrauter Nachbar- schaft mit dem Menschen lebt, als sei ibm die weite Wiiste zu einsam. So kurz und einpr~gsam die Strophe der Hausammer ist, mir wollte es dennoch nicht gelingen, sie im Tagebuch treffend aufzuschreiben. Wie ein besorgter Lehrer wiederholte das VSgelchen geduldig immer wieder sein Liedehen und schaltete jedesmal eine Pause von 3 Sekunden ein, um reich nachdenken zu lassen. Und schliel31ich hatte ich einen Einfall; zwar war mir nicht eine gute schriftliche Fassung des Hausammer-Gesanges gegliickt, aber ich dachte an unser Magnetophon und die MSglichkeit, das Lied so einzufangen, wie die Tele-Kamera das Bild des Vogels einf~ngt. Mein belgiseher Freund JULIEN LAE~EN war begeistert, schleppte da~ AEG-Ger~it KL 25 in die Kiiche und schtol3 es an die elektrische Lei- tung an, w~hrend ich das Mikrophon unter die Singwarte unseres VSgel- chens in Stellung brachte. Dann lief das Band: Aufnahme! Der Schatten im griinen ,,optisehen Auge" des Magnetophons schlug zu unserer Freude regelm~Big aus, und 10 Minuten sparer hSrten wir uns in and~ch- tigem Schweigen das Opus ,,Morgengesang der saharischen Hausammer in Ghardaia" an. Die Wiedergabe war getreu wie das Original, wenigstens ffir unser Ohr. Und ffir das Vogelohr auch: Das M~nncheu da oben hfipfte beim Klang der Wiedergabe seines eigenen Liedchens erregt hin und her, machte einen langen Hals und sehmetterte zwisehendurch und in immer 8"

Jagd auf Vogelstimmen

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Heft 11 1955 ] G~rHER NIETHAMMER: Jagd auf Vogelstimmen 115

Jagd auf Voge l s t i mme n

Von Giinfher Niefhammer

Am 28. November 1953 starteten die 9 Mitglieder der Internationalen Sahara- und Sudan-Expedition yon Laghouat aus ihre Fahrt durch die Sahara. Schon am Abend hatten unserv 3 Autos die ersten 200 km ~Vfiste bezwungen und die 0ase Ghardaia erreicht: Zu sp~ter Stunde~ fuhren wir dicht aufgeschlossen dutch das enge Tor des auf beherrschender HShe gelegenen alten Forts, vom franzSsischen Kommandanten aufs freund- lichste empfangen.

Friih am n/ichsten Morgen, als an meinem Bett hinter den dicken Fesmngsmauern noch alles dunkel war, klang ein Vogelliedchen auf, das mir den Schlaf vertrieb und reich hinaus in den Burghof lockte. Die kurze D/~mmerung war angebrochen, und nach wenigen Minuten hatte die Nacht das Szepter an den Tag abgegeben: die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne vergoldeten die Zinnen des trutzigen Forts. Dort oben saI3 ein fuchsbraunes VSgelchen und sang seine Strophe in die feierliche Stille des jungen Wiistentages: Zum ersteu Male vernahm ich das Lied der Haus- ammer Emberiza striolata, eines echten Sahara-Vogels, der -- wie sein Name besagt -- eine Vorliebe fiir H'~user hat und in vertrauter Nachbar- schaft mit dem Menschen lebt, als sei ibm die weite Wiiste zu einsam. So kurz und einpr~gsam die Strophe der Hausammer ist, mir wollte es dennoch nicht gelingen, sie im Tagebuch treffend aufzuschreiben. Wie ein besorgter Lehrer wiederholte das VSgelchen geduldig immer wieder sein Liedehen und schaltete jedesmal eine Pause von 3 Sekunden ein, um reich nachdenken zu lassen. Und schliel31ich hatte ich einen Einfall; zwar war mir nicht eine gute schriftliche Fassung des Hausammer-Gesanges gegliickt, aber ich dachte an unser Magnetophon und die MSglichkeit, das Lied so einzufangen, wie die Tele-Kamera das Bild des Vogels einf~ngt.

Mein belgiseher Freund JULIEN LAE~EN war begeistert, schleppte da~ AEG-Ger~it KL 25 in die Kiiche und schtol3 es an die elektrische Lei- tung an, w~hrend ich das Mikrophon unter die Singwarte unseres VSgel- chens in Stellung brachte. Dann lief das Band: Aufnahme! Der Schatten im griinen ,,optisehen Auge" des Magnetophons schlug zu unserer Freude regelm~Big aus, und 10 Minuten sparer hSrten wir uns in and~ch- tigem Schweigen das Opus ,,Morgengesang der saharischen Hausammer in Ghardaia" an. Die Wiedergabe war getreu wie das Original, wenigstens ffir unser Ohr. Und ffir das Vogelohr auch: Das M~nncheu da oben hfipfte beim Klang der Wiedergabe seines eigenen Liedchens erregt hin und her, machte einen langen Hals und sehmetterte zwisehendurch und in immer

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schnellerer Folge sein Lied zu uns herab. AIs der grSBte Nachdruek, den vermeintlichen Nebenbuhler verstummen zu machen, nichts niitzte, rfickte ihm der Hausammerhahn zu Leibe und schwirrte und hfipfte minutenlang vor der Kfiche auf und ab, ohne im Singen innezuhalten. ,,Was ist das wohl fiir ein Rival, d e r n u r zu hSren und nicht zu sehen ist?" mochte es im Kopfe des aufgeregten VSgelchens vorgehen. Ohne Zweifel ist das kleine Kerlchen yon dem einzigen Verlangen erfaBt, die Stimme des Ein- dringIings zum Schweigen zu bringen: Es geht der seltsamen Sache energisch auf den Grund, durchbricht alle Schranken gewohnter Vorsicht und fliegt zu uns in die Kfiche herein! Hinter ihm schnappt die Tiir ins SchloB, und dann schweigt der Lautsprecher. Stille auf beiden Seiten, denn der Vogel wird inne, dab er in eine ihm unbegreifliche Falle geriet. Aber sie wird ihm nicht gef~hrlich, da wir ihn liebevoll in die Hand nehmen und mit unseren besten Wfinschen wieder in Freiheit setzen. Nun aber r~umt er das Feld, d .h . seinen Hof, und schwingt sich fiber die Zinnen des Forts aus unserem Gesichtskreis. Wir aber genieBen noeh einmal unsere Kopie und sind nicht wenig fiberrascht, als sich unser Vogel trotz seiner schlechten Erfahrungen sofort aufs neue bei uns einsteIlt und wiederum zum S~nger- wettstreit antritt! Dabei hfipft or sogar auf das inzwischen vor die Tfir bugsierte Magnetophon! Als wires abstellen, fliegt das VSgelehen auf seine alte Singwarte zurfick und fiihlt sich endlich als Sieger auf dem Plan.

Was sJch soeben abgespielt hatte, war nicht nur ffir den Vogel, sondern auch ffir uns neu. DaB man einen Vogelgesang getreu aufnehrnen und nach Belieben wiedergeben und abhSren kann, ist fiir die Kenntnis und das Kennenlernen der Vogelstimmen wertvoll. DaB man aber mit dieser Methode einen Vogel (vielteich~ sogar die meisten VSgel?) heranlocl~en kann -- bis ins Zimmer, ist fiir andersartige Aufgaben und Fragestellungen der Vogel- knnde wichtiger; noch wesentlicher, vor allem ffir die Verhaltensforschung und die Ermitttung der Bedeutung der verschiedenen Vogelrufe, mag die dritte Erfahrang sein, die wir wenig spgter machten: Auf unserem Band batten wir auch den Lockruf des Mg.nnchens festgehalten. Wetm wir ihn im Lautsprecher brachten, stellte sich sofort das Weibchen ein. Das M~nn- chen folgte erregt, den Nebenbuhler zu vertreiben und das Weibehen zurtiek- zuerobern. Bei geschicktem Einsatz des Magnetophons dfirfte es also nicht schweffallen, die Bedeutung jedes einzelnen Rufes zu ermitteln und die Reaktion der VSgel anf diese Laute kennen und bewerten zu lernen. Zwei- fellos wird diese Methodik, riehtig angewandt und weiter entwickelt, in Zukunft als nfitzliches HilfsmitteI zum Verstgndnis der intimen Beziehun- gen zwisehen den VSgeln (derselben und verschiedener Art) dienen.

Ehe wir Ghardaia verlieBen, ftihrten wir noch ein paarmal das Schau- spiel ,,Hausammer wird zum Lautspreeher befohlen" anf, stets mit dem g]eichen prompten Erfolg, auch wenn zuvor die VSgel -- in Begleitung des

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M~nnchens erschien meist auch das Weibchen -- weder zu sehen noch zu hSren waren. Diese verbliiffende Vorstellung 15ste bei Kameramann FRITZ BIJCKNER und mir den Plan aus, einen Vogelfilm zu drehen, um diesen Einsatz des Magnetophons auf Expeditionen zu demonstrieren.

Gelegenheit dazu ergab sich erst viel sparer, als wir die Sahara hinter uns hatten und 2500 km weiter sfidlich im Gebiet des Tschadsees lagerten. Hier gab es keine elektrische Zimmerleitung mehr, an der wir das Auf- nahmeger~it h~tten anschliet]en kSnnen, und der im Magnetophon eingebaute Lautsprecher erwies sich als zu leise fiir unser Vorhaben. Die Vogelwelt aber prangte in alien Farben, nnd tausend heimliche Stimmen ]ockten, flSteten, trillerten und schmetterten im dichten Urwald des Schari-Flusses und hallten yon Ufer zu Ufer wider.

Fiir die fehlende eIektrische Leitung muBten zwei Autobatterien herhalten (12 Volt werden benStigt, jede Autobatterie hat 6 Volt Spannung). Nach einem geeigneten Lautsprecher hatte Herr B~3eKN~R in Fort Lamy vorsorg- lich Ausschau gehalten und bei einem H~ndler billig ein Wrack erstanden, aus dem er ein wohltSnendes Instrument zu basteln verstand. Dann nahmen wir den Rotbauchwfirger Laniarius erythrogaster aufs Korn: Sein Iauter, charakteristischer Ruf schallt st~ndig aus dem dichten Busch und Urwald, ohne dal] man dieses Schattenvogels mit der schwarzen Oberseite und dem feuerroten Bauch ansichtig wird. Zun~chst sucht sich der Regisseur eine passende Szenerie ffir die Filmaufnahmen: eine sonnige Lichtung, in deren Nachbarschaft ein Wfirgerpaar haust. Dann werden Lautsprecher und Kameras eingebaut, die Objektive auf den halbhech im Astwerk versteckten Lautsprecher gerichtet. Unter der einen Kamera ist das Magnetophon griff- bereit verstaut, von ibm aus fiihrt das Erdnngskabel 30 m weir ins Wasser und das Mikrophonkabel mSglic~st nahe an die verborgenen S~nger. Wir brauchen auf die Stimme der nnermiidlichen VSgel nicht lange zu warren -- schon gleitet das Tonband durch die Ffihrungsrollen, und das ausschlagende optische Auge verr~t uns: ,Aufnahme gut." Fiinf Minuten sp~ter haben wir geniigend Strophen eingesammelt, um unseren Lautsprecher reichlich versor- gen zu kSnnen. Der Knepf am Magnetophon wird auf Wiedergabe herum- geschwenkt und da -- lassen selbst wir uns beinahe t~uschen durch den pNStzlich unmittelbar vor uns hereinplatzenden Wiirgergesang. Das ist wirklich Laniarius, der voile, laute F15tenpfiff des Miinnchens und die quarrende Begleitung des Weibchens! Blitzschnell spricht der Platzherr an, wit hSren es an der n~her kommenden Stimme; schon ist sie uns so dicht, da/] wir in dem lebhaften Zwiegesang nicht mehr die Vogelkehle vom Lautsprecher unterscheiden kSnnen, da leuchtet ein blutroter Fleck im satten Grfin, irrlichtert durch Ge~st und Gelaub, ]etzt 15st sich ein Schatten aus der Deckung und gleitet fiber unsere kleine Lichtung: der Rotbauch- wfirger ist zur Stelle und flStet frei und nahe vor uns. NervSs schl~gt er

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mit dem Schwanz, zuckt hin uud her, verrenkt sich schier den Hals und schmettert dem ffechen Eindringling trotzig seia Lied entgegen: er weiB ja nichts yon der listigen Technik des Menschen. Derweil hat die Kamera zu schnurren begonnen. Auch das Weibchen eilt herbei, gesellt sich zum M~nn- chen und f/illt mit quarrender Unterstimme in den lauten F15tenpfiff seines Gemahls ein: Wit hSren ein Duett, in dem sich die beiden Parmer so wunderbar verstehen, dab sie auch ohne Taktstock gleichzeitig einzusetzen scheinen: Die Strophe, wie von e i n e m Vogel hervorgebraeht, ist ein har- monisches Konzert yon M~innchen u n d Weibchen. Erst viel sparer, als wir den Film im Vorfiihrungsraum ablaufen lassen, stellen wir lest, dab das M~nnchen den Bruchteil einer Sekunde vor dem Weibchen einsetzt. Das Weibchen reagiert stets blitzartig, auch wenn es das M~nnchen nicht an- schaut, es l~Bt sich nur akustisch leiten.

Schier unermfidlich sind unsere beiden S~inger: Das Spiel l~uft schon eine Stunde. Ab und zu machen wir eine Pause; dann zieht sich das Paar rasch in die Mitte seines Reviers zuriick. Wie Puppen an einem Faden ziehen unsere SirenenkI~nge die beiden V6gel stets wieder heran. Wir lassen sie nach Belieben tanzen und lo&en zwischendurch noch einen gelb- b~uchigen Buschwiirger (Chlorophoneus sulfureopectus) mit seinem stereo- typen , , d y - dy -- dyi" auf die Biihne: sein Gesang war unbeabsichtigt bei der Rotbauchwiirgeraufnahme aufs Band geraten.

Doch wit sind im afrikanischen Busch -- uns geht der Atem aus: Die Batterien werden schneller m/ide als die W/irger, u n s e r e ,,Stimme" ver- siegt und versagt. Von Tsetsefliegen zerstochen und mit der erniichtern- den Aussicht, den Anlasser des Autos mit saftlosen Batterien nicht mehr bet~tigen zu kSnnen, verlassen wir dennoch froh gestimmt den Schauplatz, noch ganz im Banne des Erlebnisses nnd mit neuen Erfahrungen und den Aufnahmen yon Gesang und Farbenpracht eines der charakteristischsten V~igel der W~lder siidlich des Tschadsees bereichert.