3
MAGAZIN | EXKURSION IN DEN GARTEN Zum Herbst hin nimmt die Blüten- vielfalt deutlich ab. Aber eine sehr häufige Pflanze, die viele Haus- wände, Mauern und Baumstämme begrünt, liefert gerade jetzt ein so reichhaltiges Nektarangebot, dass es an ihr summt wie am Bienen- stock: der Efeu (Hedera helix). Seine Haupt-Blütezeit fällt in die Monate September und Oktober. Die Blüten mit den grünen, nach außen gebogenen Blütenblättern sind doldenartig angeordnet und können an alten Efeupflanzen na- hezu flächendeckend auftreten. Für viele Insekten bietet Efeu die letzte Möglichkeit des Jahres, noch einmal richtig „aufzutanken“ oder an den reich frequentierten Blüten leichte Beute zu machen. Zu den häufigen Efeu-Besu- chern zählt die Honigbiene (Apis mellifera). Erst im Jahr 1993 wurde die Efeu-Seidenbiene (Colle- tes hederae) beschrieben, die Efeu- Pollen in ihre Sandnester trägt [6]. Auch zahlreiche Wespen-Arten aus unterschiedlichen Verwandt- schaftsgruppen lassen sich vom Efeu-Nektar anlocken. Viele „Bie- nen“ und „Wespen“ entpuppen sich bei näherer Betrachtung je- doch als Schwebfliegen (Syrphi- dae) mit ausgeprägter Schutzmimi- kry, von denen sich nur einige ohne Präparation bis zur Art be- stimmen lassen. Eristalis tenax (Abbildung 1a) ist unter dem deut- schen Namen „Mistbiene“ be- kannt, weil sich ihre Ratten- schwanzlarven in fauligem Wasser entwickeln. Da die Mistbienen- Weibchen überwintern und im Sommerhalbjahr mehrere Genera- tionen gebildet werden, kann man sie an milden Tagen im Prinzip zu jeder Jahreszeit antreffen. Die zier- lichen Stift- oder Langbauch- schwebfliegen (Sphaerophoria sp.) sind durch einen langen, schlanken Körper gekennzeichnet. Ihre Larven ernähren sich vor al- lem von Blattläusen. Eine typische Wespentracht zeigen unter ande- rem auch die recht großen Vertre- ter der Gattungen Helophilus (Sumpfschwebfliegen) und Chry- sotoxum (Wespenschwebfliegen). Durch eine totenkopfähnliche Zeichnung auf dem Thorax ist Myathropa florea unverwechsel- bar [3]. Als wehrhafte Vorbilder dieser schwarz-gelb gemusterten Schweb- fliegen können insbesondere Fal- tenwespen (Vespidae) gelten, von denen viele synanthrop im Sied- lungsbereich leben. Insbesondere die Haus-Feldwespe (Polistes do- minula, Abbildung 1b), auch Galli- sche oder Französische Feldwespe genannt, und die Kurzkopfwespen der Gattung Vespula bereichern das Geschehen an der Efeuhecke. Die Gemeine Wespe (Vespula vul- garis) und die Deutsche Wespe (V. germanica) sind die beiden ein- zigen Arten, die uns an Kuchen, süßen Getränken oder Grillfleisch lästig werden (Abbildung 2). Ihre Völker erreichen jetzt ihre maxi- male Stärke mit bis zu 10.000 Ar- beiterinnen. Bis in den November hinein können ihre Aktivitäten an- dauern. Die Papiernester fertigen sie unterirdisch in alten Tierbauten oder oberirdisch in dunklen Hohl- räumen an (Abbildung 3a). Das kratzende Geräusch, das entsteht, wenn sie mit ihren Mandibeln Nestbaumaterial von Holzbrettern oder trockenen Zweigen abscha- ben, ist im Sommerhalbjahr sehr 262 | Biol. Unserer Zeit | 4/2012 (42) www.biuz.de © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim NEUE REIHE Jagdszenen in Haus und Garten: Wespen als Räuber und Beute Nicht immer muss man für interessante Tierbeobachtungen Exkursio- nen in spektakuläre Naturräume unternehmen. Zahlreiche Arten sind dem Menschen in den Siedlungsbereich gefolgt und profitieren dort – verglichen mit intensiv genutztem Agrarland – unter anderem von Strukturreichtum und geringen Nährstoffeinträgen [5]. In einer klei- nen Serie soll an dieser Stelle der Blick darauf gerichtet werden, was sich insbesondere in der Welt der Insekten rund ums Haus und im Garten im Laufe eines Jahres entdecken lässt. ABB. 1 Mit einem reichen Nektar-Angebot lockt Efeu (Hedera helix) im Herbst viele Schwebfliegen und Wespen an: a) Mistbiene (Eristalis tenax), b) Haus-Feldwespe (Polistes dominula). a) b) ABB. 2 Deutsche Wespe (Vespula germanica) an Erdbeermarmelade.

Jagdszenen in Haus und Garten: Wespen als Räuber und Beute

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Jagdszenen in Haus und Garten: Wespen als Räuber und Beute

M AG A Z I N | E X K U R S I O N I N D E N G A R T E N

Zum Herbst hin nimmt die Blüten-vielfalt deutlich ab. Aber eine sehrhäufige Pflanze, die viele Haus-wände, Mauern und Baumstämmebegrünt, liefert gerade jetzt ein soreichhaltiges Nektarangebot, dasses an ihr summt wie am Bienen-stock: der Efeu (Hedera helix).Seine Haupt-Blütezeit fällt in dieMonate September und Oktober.Die Blüten mit den grünen, nachaußen gebogenen Blütenblätternsind doldenartig angeordnet undkönnen an alten Efeupflanzen na-hezu flächendeckend auftreten.Für viele Insekten bietet Efeu dieletzte Möglichkeit des Jahres, nocheinmal richtig „aufzutanken“ oderan den reich frequentierten Blütenleichte Beute zu machen.

Zu den häufigen Efeu-Besu-chern zählt die Honigbiene (Apismellifera). Erst im Jahr 1993wurde die Efeu-Seidenbiene (Colle-tes hederae) beschrieben, die Efeu-

Pollen in ihre Sandnester trägt [6].Auch zahlreiche Wespen-Arten ausunterschiedlichen Verwandt-schaftsgruppen lassen sich vomEfeu-Nektar anlocken. Viele „Bie-nen“ und „Wespen“ entpuppensich bei näherer Betrachtung je-doch als Schwebfliegen (Syrphi-dae) mit ausgeprägter Schutzmimi-kry, von denen sich nur einigeohne Präparation bis zur Art be-stimmen lassen. Eristalis tenax(Abbildung 1a) ist unter dem deut-schen Namen „Mistbiene“ be-kannt, weil sich ihre Ratten-schwanzlarven in fauligem Wasserentwickeln. Da die Mistbienen-Weibchen überwintern und imSommerhalbjahr mehrere Genera-tionen gebildet werden, kann mansie an milden Tagen im Prinzip zujeder Jahreszeit antreffen. Die zier-lichen Stift- oder Langbauch-schwebfliegen (Sphaerophoriasp.) sind durch einen langen,

schlanken Körper gekennzeichnet.Ihre Larven ernähren sich vor al-lem von Blattläusen. Eine typischeWespentracht zeigen unter ande-rem auch die recht großen Vertre-ter der Gattungen Helophilus(Sumpfschwebfliegen) und Chry-sotoxum (Wespenschwebfliegen).Durch eine totenkopfähnlicheZeichnung auf dem Thorax ist Myathropa florea unverwechsel-bar [3].

Als wehrhafte Vorbilder dieserschwarz-gelb gemusterten Schweb-fliegen können insbesondere Fal-tenwespen (Vespidae) gelten, vondenen viele synanthrop im Sied-lungsbereich leben. Insbesonderedie Haus-Feldwespe (Polistes do-minula, Abbildung 1b), auch Galli-sche oder Französische Feldwespegenannt, und die Kurzkopfwespender Gattung Vespula bereicherndas Geschehen an der Efeuhecke.Die Gemeine Wespe (Vespula vul-garis) und die Deutsche Wespe (V. germanica) sind die beiden ein-zigen Arten, die uns an Kuchen,süßen Getränken oder Grillfleischlästig werden (Abbildung 2). IhreVölker erreichen jetzt ihre maxi-male Stärke mit bis zu 10.000 Ar-beiterinnen. Bis in den Novemberhinein können ihre Aktivitäten an-dauern. Die Papiernester fertigensie unterirdisch in alten Tierbautenoder oberirdisch in dunklen Hohl-räumen an (Abbildung 3a). Daskratzende Geräusch, das entsteht,wenn sie mit ihren MandibelnNestbaumaterial von Holzbretternoder trockenen Zweigen abscha-ben, ist im Sommerhalbjahr sehr

262 | Biol. Unserer Zeit | 4/2012 (42) www.biuz.de © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

N EU E R E I H E

Jagdszenen in Haus und Garten: Wespen als Räuber und BeuteNicht immer muss man für interessante Tierbeobachtungen Exkursio-nen in spektakuläre Naturräume unternehmen. Zahlreiche Arten sinddem Menschen in den Siedlungsbereich gefolgt und profitieren dort –verglichen mit intensiv genutztem Agrarland – unter anderem vonStrukturreichtum und geringen Nährstoffeinträgen [5]. In einer klei-nen Serie soll an dieser Stelle der Blick darauf gerichtet werden, wassich insbesondere in der Welt der Insekten rund ums Haus und im Garten im Laufe eines Jahres entdecken lässt.

A B B . 1 Mit einem reichen Nektar-Angebot lockt Efeu (Hedera helix) imHerbst viele Schwebfliegen und Wespen an: a) Mistbiene (Eristalis tenax), b) Haus-Feldwespe (Polistes dominula).

a) b)

A B B . 2 Deutsche Wespe (Vespulagermanica) an Erdbeermarmelade.

Page 2: Jagdszenen in Haus und Garten: Wespen als Räuber und Beute

E X K U R S I O N I N D E N G A R T E N | M AG A Z I N

© 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.biuz.de 4/2012 (42) | Biol. Unserer Zeit | 263

oft zu hören. Nester in der Erdekönnen ungenehme Begegnungenmit einem aufgebrachten Wespen-volk auslösen, wenn man etwa mitdem Rasenmäher darüberfährt.Die Nester, die man relativ offenim Gebüsch, unter Dachvorsprün-gen oder auf Dachböden findet,wurden hingegen von den niemalslästigen Langkopfwespen (Doli-chovespula sp.) errichtet, insbe-sondere von der Mittleren Wespe(D. media) und von der Sächsi-schen Wespe (D. saxonica, Abbil-dung 3b). Leider fallen geradediese leicht erreichbaren Nesteroft Vernichtungsaktionen zum Op-fer, was dann natürlich nicht zurerhofften Erleichterung am Kaffee-tisch führt. Die Langkopfwespensind sehr friedfertig, erreichen ge-ringere Volksstärken und schließenihre Entwicklung früher im Jahrab: Mitte August sind die Nestermeist schon verlassen [7].

Deutsche und Gemeine Wespesind nicht nur auf Efeu-Nektar als„Flugbenzin“ aus, sondern benöti-

gen viel proteinreiche Nahrung fürihre Larven. Man kann ausgiebigbeobachten, wie sie im Suchflugvon Blütenstand zu Blütenstandpatroullieren und blitzschnell zu-packen, wenn sie ein Insekt ausfin-dig machen. Die weichhäutigenSchwebfliegen sind eine beson-ders begehrte Beute (Abbildung 4).Eine erfolgreiche Jagd ist durchdas durchdringend hohe Surren ei-ner ergriffenen Schwebfliege weit-hin hörbar. Meist stürzt die Wespeim Kampf mit der Beute zu Boden.Dort wird die Fliege mit kräftigenMandibel-Bissen zerteilt und in Ein-zelstücken als Larvenfutter zumNest geflogen.

Aber auch Wespen könnenleicht zur Beute werden. Lassen sie sich von verführerischen Gerü-chen in Gebäude locken, kann esgeschehen, dass sie in den Win-keln zwischen Wand und Decke indie unregelmäßigen Netze der Gro-ßen Zitterspinne (Pholcus phalan-gioides) geraten. Deren filigraneGestalt lässt kaum vermuten, dasssie auch mit solch wehrhaften Tie-ren fertig werden kann. Sie bewirftihr Opfer mit so großen Mengenvon Spinnseide, dass es sich nichtmehr befreien kann (Abbildung 5).Als ehemalige Höhlenbewohnerinist sie während des gesamten Jah-res eine äußerst nützliche Begleite-rin des Menschen – sofern er sienicht achtlos beseitigt [1].

Innerhalb der eigenen Ver-wandtschaft ist es die Hornisse(Vespa crabro), die im Siedlungs-bereich bevorzugt Jagd auf Wes-

pen macht. Diese werden bei-spielsweise auf Blüten überfallartiggepackt. In charakteristischerWeise hängt sich die erfolgreicheJägerin dann mit ihrer Beute kopf-über in die Vegetation, währendsie sich nur mit einem ihrer Hinter-beintarsen an der Pflanze festkrallt(Abbildung 6). Nun trennt sie mitihren Mandibeln Flügel, Beine,Kopf und Hinterleib ab. Sie hat esauf die proteinreiche Flugmuskula-tur im Thorax abgesehen. Diesewird zu einem kleinen Fleischbäll-chen zerknetet und zum Nest ge-flogen. Hornissen nisten in Baum-höhlen, Dachstühlen und Vogel-nistkästen. Auch ihre Entwicklungerreicht Ende September/AnfangOktober, wenn Jungköniginnen

A B B . 3 Wespennester: a) Nesteingang der Gemeinen Wespe (Vespula vulga-ris) in der Erde, b) verlassenes Nest der Sächsischen Wespe (Dolichovespula saxonica) auf einem Dachboden.

a) b)

A B B . 4 Eine Deutsche Wespe (Vespula germanica) erbeutet eineSchwebfliege (Eristalis sp.) an einerEfeu-Blüte.

A B B . 5 Eine Große Zitterspinne(Pholcus phalangioides) hat im Hauseine Wespe (Vespula sp.) erbeutet.

A B B . 6 Unter einer Blütendolde vonPastinak (Pastinaca sativa) zerteilteine Hornisse (Vespa crabro) kopfab-wärts hängend eine Deutsche Wespe(Vespula germanica).

Page 3: Jagdszenen in Haus und Garten: Wespen als Räuber und Beute

M AG A Z I N | E X K U R S I O N I N D E N G A R T E N

und Männchen ausschwärmen, ihren Höhepunkt. Solange mansich ruhig verhält, ein paar MeterSicherheitsabstand hält, nicht fürErschütterungen sorgt, nicht dieEinflugschneise blockiert und dieTiere nicht anhaucht, lassen sichHornissen am Nest völlig gefahrlosbeobachten. Regelmäßig kannman dort zum Beispiel verfolgen,wie einzelne Arbeiterinnen küh-lende Luft in den Nesteingang fä-cheln oder heimkehrende Hornis-sen von anderen Arbeiterinnen umFutter angebettelt werden [2]. So-bald Wespen- und Hornissenvölkerim Herbst zugrunde gehen, ma-chen sich Vögel über alle frei zu-gänglichen Nester her, zerrupfendie schützende Papierhülle undfressen die letzten Larven und Puppen aus den Waben.

[1] H. Bellmann, Kosmos-Atlas SpinnentiereEuropas, Frankh-Kosmos, Stuttgart, 2001.

[2] H.-H. von Hagen, Einblicke in das Lebenund Verhalten unserer einheimischen Hor-nisse, Film, 1986, DVD-Kopie erhältlich imVademecum Verlag, Oldenburg.

[3] K. Kormann, Schwebfliegen und Blasen-kopffliegen Mitteleuropas, Fauna Verlag,Nottuln, 2002.

[4] M. A. Pfeifer, M. Niehuis, C. Renker(Hrsg.), Die Fang- und Heuschrecken inRheinland-Pfalz, Fauna und Flora in Rhein-land-Pfalz, Beiheft 41, GNOR-Eigenverlag,Landau, 2011.

[5] J. H. Reichholf, Stadtnatur, Oekom Verlag,München, 2007.

[6] K. Schmidt, P. Westrich, Colletes hederae n.sp., eine bisher unerkannte, auf Efeu (He-dera) spezialisierte Bienenart (Hymenop-

264 | Biol. Unserer Zeit | 4/2012 (42) www.biuz.de © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

tera: Apoidea), Entomol. Z. 1993, 103 (6),89–112.

[7] R. Witt, Wespen, Vademecum Verlag, Oldenburg, 2009.

Hannes Petrischak, Nonnweiler-Otzenhausen

S PR U N G VO N S TA DT Z U S TA DT : D I E S Ü D L I C H E E I C H E N S C H R EC K E

Fast schon in ganz Deutschland ist dieSüdliche Eichenschrecke (Meconemameridionale) verbreitet, die zunächstaus dem mediterranen Raum bis in diewärmebegünstigten Gebiete am Rheineinwanderte, inzwischen aber auch inBremen und Berlin nachgewiesenwurde. Meistens wird sie in Gärten ent-deckt. Als wärmeliebende Art hält siesich gern an und in Gebäuden auf. Sieist flugunfähig und daher auf Trans-porthilfe durch den Menschen, etwamit Zügen und unter Motorhauben vonAutos, angewiesen [4].

A B B . Ein Weibchen der SüdlichenEichenschrecke (Meconema meri-dionale) auf den Blättern eines Apfelbaums.