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1 Nr. 33, August 2015 jazzletter EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser Was, wenn man hören muss: «Nein, mit Jazz habe ich überhaupt nichts am Hut.»? Soll man gleich mit einer Einführung in Jazz und Blues kontern oder einfach denken: «Na ja, dann eben nicht.» Eine Einführung ist auf alle Fälle mit viel rhetorischem Aufwand verbunden, eventuell auch mit musikalischem. Und die Erfolgschancen sind klein. Wenn der Kontrahent die Qua- litäten des Jazz bis anhin nicht selbst ent- deckt hat, dann hat er eben – etwas bild- haft ausgedrückt – keine JazzApp geladen. Ob Musikhörer oder Musikspieler – ohne eine geladene JazzApp bleiben Jazz und Blues unberührte Randerscheinungen. Das gilt auch für die meisten Akteure der Klassikszene. Meister ihres Faches wie Friedrich Gulda oder André Previn sind Ausnahmen, die zeigen, was entsteht, wenn in der Klassik verankerte Musiker auch eine JazzApp geladen haben. Ein Muster an Vielseitigkeit ist Thomas «Sabu» Marthaler, eine Koryphäe der Zahnmedizin. In seinen jungen Jahren war er nicht nur einer der besten Dixieland- Klarinettisten des Zürcher Jazzbetriebes. Er musizierte auch immer mit Begeisterung mit urchigen Ländlerkapellen. Er hatte eben eine JazzApp und eine LändlerApp geladen. René Bondt porträtiert ihn auf den Seiten 7 und 8. In eigener Sache, Jazzgeschichte, Musiker- porträts, Billie Holiday. Wir hoffen, in unserem breiten Themenspektrum wird auch das eine oder andere für Sie von Interesse sein. Herzlich Vor siebzig Jahren war Kriegsende in Europa. Was bedeutete das für den Jazz? Ganz sicher einmal – und das war das Wich- tigste: Der Jazz wurde aus der Zwangsjacke der Nazis befreit. Er konnte wieder leben und sich entwickeln. Dabei spielte der direkte Kontakt mit Musikern aus Amerika, dem Land der Befreier und Ursprungsland von Jazz und Blues, eine wegweisende Rolle. Weil unser Thema ein sehr weites Feld öffnet, beschränken wir uns auf Seite 2 swissjazzorama.ch darauf, unser Augenmerk auf die Situation in Deutschland zu richten. Verglichen mit der geistigen Knebelung des deutschen Volkes, waren die Auswirkungen des Krieges auf den kulturellen Betrieb in der Schweiz eher klein. Wer hier damals Jazz spielte, ob als Professional oder Amateur, konnte sich von dem, was aus den USA kam, ungestört inspirieren lassen. Darüber berichten wir in unserer nächsten Ausgabe. Mehr zum Thema auf Seite 2 Inhalt 2 Als der Krieg zu Ende war… 4 «Taking a chance on Jazz»: Roman Dylag 6 Zum 100. Geburtstag von Billie Holiday 7 Tschäss, Nietenhosen und Sartre: Thomas «Sabu» Marthaler 9 25 Jahre swissjazzorama.ch, 2. Teil 10 Notre page en français: Vu de France 11 In memoriam: Clarke Terry und B.B. King 12 Blick ins Archiv/In memoriam/Impressum Das Kriegsende und der Jazz Ganz nebenbei hatten die Amis den Jazz im Gepäck. Bald wurden auch Teile der jüngeren Schweizer Nach- kriegs-Generation vom Jazz-Fieber erfasst! 8. Mai 1945 – Kriegsende: Stunde Null für Europa – mit ungewisser Zukunft! 1945 – 2015

swissjazzorama.ch jazzletter · Freund aussergewöhnlich hoch geschätzt. ... dramatisch.Gemäss der Biografie Heinrich Himmlers,Reichsführer SS,verfasst von Peter Longerich,erklärte

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Page 1: swissjazzorama.ch jazzletter · Freund aussergewöhnlich hoch geschätzt. ... dramatisch.Gemäss der Biografie Heinrich Himmlers,Reichsführer SS,verfasst von Peter Longerich,erklärte

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Nr. 33, August 2015

jazzletterEDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser

Was, wenn man hören muss: «Nein, mitJazz habe ich überhaupt nichts am Hut.»?Soll man gleich mit einer Einführung in Jazzund Blues kontern oder einfach denken:«Na ja, dann eben nicht.» Eine Einführungist auf alle Fälle mit viel rhetorischemAufwand verbunden, eventuell auch mitmusikalischem. Und die Erfolgschancensind klein. Wenn der Kontrahent die Qua-litäten des Jazz bis anhin nicht selbst ent-deckt hat, dann hat er eben – etwas bild-haft ausgedrückt – keine JazzApp geladen.

Ob Musikhörer oder Musikspieler – ohneeine geladene JazzApp bleiben Jazz undBlues unberührte Randerscheinungen. Das gilt auch für die meisten Akteure derKlassikszene. Meister ihres Faches wie Friedrich Gulda oder André Previn sindAusnahmen, die zeigen, was entsteht,wenn in der Klassik verankerte Musikerauch eine JazzApp geladen haben.

Ein Muster an Vielseitigkeit ist Thomas«Sabu» Marthaler, eine Koryphäe derZahnmedizin. In seinen jungen Jahren warer nicht nur einer der besten Dixieland-Klarinettisten des Zürcher Jazzbetriebes. Er musizierte auch immer mit Begeisterungmit urchigen Ländlerkapellen. Er hatte eben eine JazzApp und eine LändlerAppgeladen. René Bondt porträtiert ihn auf den Seiten 7 und 8.

In eigener Sache, Jazzgeschichte, Musiker-porträts, Billie Holiday. Wir hoffen, in unserem breiten Themenspektrum wirdauch das eine oder andere für Sie von Interesse sein.

HerzlichVor siebzig Jahren war Kriegsende in Europa. Was bedeutete das für den Jazz?Ganz sicher einmal – und das war das Wich-tigste: Der Jazz wurde aus der Zwangsjackeder Nazis befreit. Er konnte wieder lebenund sich entwickeln. Dabei spielte der direkte Kontakt mit Musikern aus Amerika,dem Land der Befreier und Ursprungslandvon Jazz und Blues, eine wegweisende Rolle.

Weil unser Thema ein sehr weites Feldöffnet, beschränken wir uns auf Seite 2

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darauf, unser Augenmerk auf die Situation in Deutschland zu richten. Verglichen mitder geistigen Knebelung des deutschenVolkes, waren die Auswirkungen des Krieges auf den kulturellen Betrieb in derSchweiz eher klein. Wer hier damals Jazzspielte, ob als Professional oder Amateur,konnte sich von dem, was aus den USAkam, ungestört inspirieren lassen. Darüberberichten wir in unserer nächsten Ausgabe.

Mehr zum Thema auf Seite 2

Inhalt2 Als der Krieg zu Ende war… 4 «Taking a chance on Jazz»: Roman Dylag6 Zum 100. Geburtstag von Billie Holiday7 Tschäss, Nietenhosen und Sartre:

Thomas «Sabu» Marthaler9 25 Jahre swissjazzorama.ch, 2. Teil

10 Notre page en français: Vu de France11 In memoriam: Clarke Terry und B.B. King12 Blick ins Archiv/In memoriam/Impressum

Das Kriegsende und der Jazz

Ganz nebenbei hattendie Amis den Jazz im Gepäck.Bald wurden auch Teileder jüngeren Schweizer Nach-kriegs-Generationvom Jazz-Fieber erfasst!

8. Mai 1945 – Kriegsende:Stunde Null für Europa –mit ungewisser Zukunft!

1945–2015

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WORTE DES PRÄSIDENTEN

Neue Prioritäten

Nachdem sich die Geschäftsleitung untergrosser Mithilfe der Crew in früheren Jah-ren schwergewichtig mit dem Anliegenbeschäftigt hat, das Jazzarchiv in verschie-dener Hinsicht auf Vordermann zu bringen(Aufbau von allgemein über das Internetzugänglichen Suchmaschinen für die Kata-logisierung unserer Archivalien, Identifi-zierung und Kennzeichnung der Archivbe-stände mit einem Schweizer Bezug, Einrich-tung eines neuen internen Informatiksys-tems, Neuordnung und Erfassung der Print-medien usw.), arbeitet sie nun vermehrt an der Weiterentwicklung der Aussenbezie-hungen. Nach zahlreichen Seiten hinwerden Gespräche und Verhandlungengeführt mit dem Ziel, das swissjazzorama in der Schweiz breiter abzustützen und in

einschlägigen Kreisen bekannt zu machen.Es geht um die Verbesserung der Finan-zierung, der Beziehungen, des Erschei-nungsbildes und um die Einbindung vonund die Suche nach Möglichkeiten der Zu-sammenarbeit mit anderen Institutionen.

Gestützt auf eine ältere vertragliche Grund-lage liefern wir der Schweizer National-phonothek derzeit unsere Schellackplattenzur Reinigung und klimatisierten Einlage-rung. Für die Phonothek betreuen wir zudem, wie zahlreiche grössere SchweizerBibliotheken auch, eine Hörstation. DerVerein memoriav wird uns dabei helfen,gefährdete Tonträger zu digitalisieren. ImHerbst können wir voraussichtlich mit derSchweizerischen Nationalbibliothek einePlakatkatalog-Kooperation vereinbaren.Am 5. Juni besuchte uns der Direktor desDepartements Musik der Zürcher Hoch-schule der Künste zwecks Sondierung vonMöglichkeiten einer engeren Zusammen-arbeit. Am 13. Juli traf sich der Präsidentmit dem Leiter der Fachstelle Kultur derkantonalen Zürcher Direktion der Justiz und des Inneren. Es ging um die Finanzie-rung des laufenden Betriebes und andereUnterstützungsmöglichkeiten durch denKanton. Am 13. August werden wir ersteGespräche mit dem Bundesamt für Kultur,Sektion Museen und Sammlungen bzw.

Vor dem Zweiten Weltkrieg war in Deutsch-land in Sachen Jazz einiges los. In den Tanz-lokalen der grossen Städte, besonders inBerlin und Hamburg, waren oft erstklassigeJazzformationen zu hören. Im «Haus Vater-land» am Kurfürstendamm in Berlin spielteEnde der 20er-Jahre der Klarinettist Danny Polo mit der Band «The New Yorkers», in derkein Geringerer als Dave Tough, der spätereGoodman-Drummer, am Schlagzeug sass.

Auch das grosse Orchester von Paul White-man soll mit Konzerten in Berlin im Rahmeneiner Europatournee 1926 sensationelle Erfol-ge gehabt haben. Whitemans Musik warauch auf Platten erhältlich. Komponisten

der Klassik, z.B. Paul Hindemith, ErnstKrenek und Kurt Weill, waren positiv beein-druckt von der neuen Musikgattung ausAmerika. Sie sahen im Jazz nicht nur eineoberflächliche Tanzmusik, sondern echteKunst.

Ob Paul Whitemans ziemlich kommerziellausgerichtetes Orchester am besten geeig-net war, den amerikanischen Jazz in Europavorzustellen? Wohl eher nicht. Besser ge-eignet wäre da Louis Armstrong gewesen,der 1933 mit Bigbands auf einer ausge-dehnten Europatournee war, die auchKonzerte in der Schweiz, u.a. in Zürich,aber leider nicht in Deutschland einschloss.

(Kein Platz für Satchmo im Jahr der Macht-ergreifung Hitlers.)

Ein Schweizer in Nazi-Deutschland.

Hier soll nicht unterlassen werden, auf diewichtige Rolle des Schweizers Teddy Staufferals Bandleader in Deutschland hinzuweisen.Er machte sich 1929 von Bern aus auf, mitseiner kleinen «Jazzkapelle» die Herzen des Berliner Tanzpublikums zu erobern.Später begeisterte er mit einer auf einerespektable Grösse angewachsenen Swing-band auch das Publikum in Hamburg undanderen deutschen Städten. Als Hitler 1933zur Macht kam, wurde es für den Jazz, da-mals meistens im Swingstyle gespielt, all-mählich etwas eng. Bei den Nazis, aber auchallgemein beim Establishment galt er alsentartet. Wegen seiner afrikanischen Wur-zeln und weil viele Jazzmusiker jüdischerHerkunft waren, stigmatisierte man ihn alsNigger- oder Judenmusik. Teddy Stauffer,wahrscheinlich weil er Schweizer war, konn-te sich mit seiner Band musikalisch relativfrei bewegen. Er war während der Olympia-de 1936, als sich die Nazis darum bemüh-ten, Weltoffenheit zu suggerieren, noch

Als der Krieg zu Ende war:Schluss mit den Vorschriften

Die Entwicklung des Jazz in der Schweiz und in Deutschland wurde in beidenLändern durch den Zweiten Weltkrieg beeinflusst. Doch die politischen Voraus-setzungen konnten kaum unterschiedlicher sein. Deutschland: Ein unmenschliches,kulturfeindliches Regime, das an vielen Fronten in Kriege verwickelt war.Die Schweiz: Eine vom Krieg nur indirekt berührte Nation, wo sich Kulturelles frei bewegen und entfalten konnte. Von Jimmy T. Schmid

swissjazzorama-CrewmitgliedPAUL SCHENK, 1940 – 2015

Obwohl wir ihn nur kurze Zeit kennen durften, haben wir ihn nicht nur als Fan,als Fachmann für Vieles im swissjazz-orama, als Team-Member und vor allemals guten, verlässlichen und humorvollenFreund aussergewöhnlich hoch geschätzt.Er war der natürliche Mittelpunkt seinerFamilie und Freunde. Nach seinem erfolg-reichen Berufsleben in mehreren Berei-chen der Gastronomie pflegte er viel-fältige Hobbys und damit auch viele gute Freundschaften. Sein Humor, seineHilfsbereitschaft und seine Lebensfreudewerden uns weiterhin begleiten undinspirieren. Den letzten Tag vor seinemHinscheiden haben wir mit ihm verbracht,bei swissazzorama-Arbeit, beim Essen,beim Lachen und beim Philosophieren.Adieu Paul, wir vergessen Dich nicht!

Klaus Nägeli und Konrad Korsunsky vom Simmen-Team

Sektion Kulturschaffen führen. WeitereGespräche sind geplant. Über Details,Erfolge und Schwierigkeiten berichten wirbaldmöglichst.

Mit swingendem Gruss

Andrea EngiPräsident swissjazzorama.ch

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Persona grata. Doch kurz vor dem Ausbruchdes Zweiten Weltkrieges wurde es ihm zuriskant. Er kam zurück in die Schweiz, wo er 1939 an der Landesausstellung in Zürichim Vergnügungs-Palais anstelle von JimmieLunceford zum Tanz aufspielte. (Luncefordwar wegen des Kriegsausbruches verhindert,nach Europa zu reisen.)

Wenn man den genauen Wortlaut einigerVorschriften und Gesetze kennt, die von denNazis erlassen wurden, kann man sichvorstellen, mit welch eiserner Konsequenzsie der Swingmusik zu Leibe rückten. GegenEnde des Krieges verschärfte sich die Lagedramatisch. Gemäss der Biografie HeinrichHimmlers, Reichsführer SS, verfasst von PeterLongerich, erklärte Himmler «Wenn wirbrutal durchgreifen, werden wir ein gefähr-liches Umsichgreifen dieser anglophilenTendenz in einer Zeit, in der Deutschland umseine Existenz kämpft, vermeiden können.»Aus heutiger Sicht kaum vorstellbar: AktiveSwingfans riskierten sogar eine Überwei-sung in ein Konzentrationslager. (Siehe auchHinweis auf Bücher zum Thema «Jazz unterden Nazis» auf Seite 12, Spalte 1 unten).

Nach dem Krieg in Deutschland.

Obwohl die deutschen Städte nach der be-dingungslosen Kapitulation in Schutt undAsche lagen, kam zaghaft wieder etwasBewegung in die Jazzszene. In Treffpunkten,die sich später zu Jazzclubs entwickelten,spielte man sich seine liebsten Schellacksvor, wenn die dazu nötigen Einrichtungenvorhanden waren. Wo GIs zu Gast waren,wurden auch V-Discs abgespielt, da gab esmusikalische Höhepunkte seltener Art. (sieheKasten). Live-Musik gab's vor allem in densogenannten Ami-Clubs in Berlin, wo deut-sche Musiker, die oft schon vor dem Kriegeprominent waren, mit Amerikanern jammten.Die ersten Nachkriegsjahre waren noch eineArt Durststrecke. Doch anfangs der Fünfzi-gerjahre entstanden einige Orchester, dieschon Bigband-Swing von beachtlicherQualität boten. Kurt Edelhagen liebte ambi-

tionierte Projekte, z.B. das «Concerto forJazzband and Symphonic Orchestra» vonRolf Liebermann, verstand es aber auch,seine Bigband zu extrem swingendenNummern anzutreiben. Dabei wurde er zuseiner besten Zeit vom Schweizer DrummerStuff Combe mit viel Verve assistiert. DerBandleader Erwin Lehn war ebenfalls – wieKurt Edelhagen – ein Jazzpionier der Nach-kriegszeit. Sein Südfunk-Tanzorchestergründete er 1951. Er fand immer wiederMöglichkeiten, sich von kommerziellenZwängen zu befreien und echten Bigband-Jazz zu spielen. Auch bei Lehn war einSchweizer Schlagzeuger die treibende Kraftder Rhythm Section, der mit Erfolg beiweiteren deutschen Bigbands auftretendeZürcher Charly Antolini. Das Lehn- und dasEdelhagen-Orchester waren Radio-Bigbands, von denen es durch die Auftei-lung in Besatzungszonen und ein neuepolitisch föderalistische Struktur eine ganzeReihe gab. Sie bildeten quasi das Rückgratdes deutschen Nachkriegsjazz.

Doch mit beachtlichem Erfolg spieltenbereits einige Jahre nach dem Krieg nichtnur Bigbands, sondern auch kleinereFormationen. Combos wurden sie damalsgenannt. Sie umfassten meistens einenoder zwei Bläser und eine Rhythm Section.Typisch für diese Art Jazz waren die Grup-pen von Hans Koller. Obwohl Koller Öster-reicher war, trat er vorwiegend in der Bun-desrepublik auf. Seine «New Jazz Stars»waren von Frankfurt aus aktiv. Das promi-nenteste Mitglied war der Posaunist AlbertMangelsdorff, der im Rückblick als einerder international erfolgreichsten deutschenJazzmusiker bezeichnet werden darf.

Amateurbands

Einige Jahre nach Kriegsende formiertensich immer mehr Amateurbands. BRD-weitwaren es um die Tausend. Kahle Keller vonWohnhäusern und Kneipen wurden vonjazzbegeisterten Jugendlichen in originelleÜbungslokale umgebaut. Dieses Phänomen

ist nicht nur dem Dixieland-Revival, derPopularisierung des alten Jazzstiles, zuzu-ordnen. Viele Gruppen orientierten sich anmodernen Stilen, z.B. Bebop oder West-coast. Der Amateurjazz war und ist durch-aus keine jazzgeschichtlich vernachlässig-bare Randerscheinung. Viele Musiker be-gannen als Amateure und brachten es imLager der Profis zu Rang und Namen. DieAmateurbands trugen viel dazu bei, dasssich der Jazz gesellschaftlich mehr undmehr etablieren konnte. Die noch jungeDeutsche Jazz-Föderation wurde immeraktiver und organisierte 1955 in Düsseldorfzusammen mit dem lokalen Hot Club daserste Amateur-Jazzfestival der BRD, fürbesonders ambitionierte Musiker der idealeStart für eine Profikarriere.

Zum Schluss ein kurzer Blick auf zwei spe-zifisch deutsche Erscheinungen. Die eine istvorwiegend literarischer Natur: JoachimErnst Berendt. Er hat mit seinen von pro-fundem Fachwissen zeugenden Büchernund Sendungen Ausserordentliches zumangemessenen Verstehen von Jazz undBlues beigetragen. Die andere Erscheinungist politischer Art: die DDR. Anfänglichhatte es der Jazz schwer. Die DDR-Staats-führung lehnte ihn als kulturfeindlich ab.Doch mit den Jahren nahm die allgemeineAkzeptanz zu, so dass sich eine stabileJazzszene entwickelte, die durchaus auchinternationalen Qualitätsanforderungenentsprach. Die vollständige Befreiung vonallen Repressionen kam erst Ende 1989,mit dem Fall der Mauer. Da hiess es dann –leider viel später als in Westdeutschland:Schluss mit den Vorschriften.

In einem ähnlichen Bericht in unserernächsten Ausgabe geht es um dieAuswirkungen des Kriegsendes auf denJazz in der Schweiz.

V-DiscV-Disc ist die Abkürzung für «VictoryDisc» (Schallplatten für den Sieg).Das waren grosse, 78-tourige Schel-lackplatten, vorwiegend mit Jazz.

Die Armeeleitung schickte sie, zwi-schen 1943 und 1949, den GIs in alle Welt zur Hebung der Moral.Weil die Platten aus Schellack beimTransport oft zerbrachen, wurdespäter ein geeigneteres Material,Vinylite genannt, eingesetzt.

Unser Archiv enthält 50 dieser rarenScheiben, die zu begehrten Sammler-Objekten wurden.

Eugen Hadamovsky (1904–1945)war ein Funktionär der NSDAP (National-sozialistische Deutsche Arbeiterpartei)

«Mit dem heutigen Tag spreche ich ein end-gültiges Verbot des Niggerjazz für den gesamtendeutschen Rundfunk aus. (…) Wir werden dabei ganze Arbeit leisten. Der Niggerjazz istvon heute ab im deutschen Rundfunk ausge-schaltet, gleichgültig in welcher Verkleidunger uns dargeboten wird.» (12.5.1935).

Josef Goebbels (1897–1945/Selbstmord)war von 1933 bis 1945 Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Leiterder Reichskulturkammer

«Auf keiner Bühne tritt heute mehr ein Jud auf,in keinem Film wirkt heute noch ein Jud mit».

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«Taking a chance on Jazz»Roman Dylag reflektiert

seine lange Musikerkarriere 1. TEIL

Dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 spurte der Jazz mit manchen West-Ost-Begegnungen vor. Bassist Roman Dylag gehört zu jenen Musikern, die früh andiesem kulturellen Brückenbau mitwirkten. 1938 im polnischen Krakau geboren,später in Schweden eingebürgert, lebt und wirkt der Sideman vieler berühmter Jazzmusiker seit vielen Jahren in der Schweiz. Seine erstaunliche Karriere hat er in einer ausführlichen Chronologie festgehalten.René Bondt fasst das auf Englisch geschriebene Manuskript zusammen.

Roman stammte aus einem einfachenElternhaus. Als Hitlers Wehrmacht Polenüberfiel, war er gerade 18 Monate alt.Während manche Familien das attackierteKrakau Hals über Kopf verliessen, fandendie Dylags keinen Fluchtort im zunächstdeutschrussisch geteilten Polen. Man bliebund arrangierte sich mit den Besatzern:Vater Dylag übernahm die Pflege der Gäu-le eines deutschen Generals, die Mutterwusch die Wäsche deutscher Offiziere. DieUmstände garantierten kein leichtes Leben,vermittelten aber immerhin eine gewisseSicherheit.

Als die Rote Armee die Nazis gegen Kriegs-ende aus Krakau vertrieb, atmete die Bevöl-kerung zunächst auf. Die sowjetischen Be-freier erwiesen sich aber als wilde Horde.Hinter den Fassaden der von Stalin diktier-ten polnisch-russischen Freundschaft ent-wickelte sich bei vielen Polen ein tiefer Hasssowohl auf die Deutschen wie auf die Sow-jets. Für den Knaben Roman war das ge-sellschaftlich-politische Klima noch Neben-sache: Seine Richtmarke hiess Edward.Der elf Jahre ältere Bruder spielte auf demAkkordeon populäre Songs. Ihm eiferteRoman nach, der seit dem sechsten Lebens-jahr ebenfalls handorgelte, zunächst ausdem Stegreif, dann auch nach Noten.Irgendwie gelang es den Dylags sogar, einPiano zu organisieren und dem NachwuchsKlavierstunden zu ermöglichen.

Harry James kontra Stalins Störsender

Trotz stalinistischer Abschottung begannder mit der US Army nach Westeuropa importierte Jazz-Bazillus auch die osteuro-päische Jugend zu infizieren. In Krakauentstand kurz nach dem Krieg der erstepolnische Jazzclub. Die Dylag-Brüder saug-ten die Bigband-Musik auf, die das ameri-kanische Konsulat in der alten Universitäts-stadt Krakau auf Platten auslieh. 1952 bemühte sich der vierzehnjährige Romanum Aufnahme ins Krakauer Musik-Lyzeumund schaffte es zwar nicht in die Pianisten-,aber in die Trompeter-Klasse. Auch daspasste. Denn erstens spielte Bruder Edwardebenfalls Trompete. Und zweitens war Harry

James – der via Radio-AFN-Kurzwelle undWillis Conovers berühmte «Jazz Hour»manchmal sogar die osteuropäischen Störsender übertönte – für Roman Dylagein grosses Vorbild.

Diphterie stoppte nach drei Jahren RomansHorn-Studium. Auf ärztliches Anraten hinwechselte er auf den Double-Bass undschloss nach einjähriger Zusatzschlaufe dieLyzeumsausbildung ab. Nach Stalins Tod1953 begann in Polen ein Frühlingslüftchenzu wehen, das dem «westlich-dekaden-ten» Jazz allmählich sogar offiziöse Korri-dore öffnete. Roman Dylag gründete eineBand und nahm an einem von der Zeitung«Echo Krakowa» organisierten Jazzcon-test teil. In den Sommerferien 1955 ver-diente er als Pianist in Bruder EdwardsTanzorchester erstmal mit Musik Geld.Zwei Jahre später wurde er Bassist im Or-chester des Pianisten Andrzej Trzaskow-ski und studierte gleichzeitig Musikologiean der Jagellonen-Uni in Krakau. Die Praxisdominierte freilich die Theorie: Die Trzas-kowski-Band tingelte im umgebauten Last-wagen durch ganz Polen, wo der Jazz mitt-lerweile grosse Anerkennung gefundenhatte. «The concerts were always sold-out», erinnert sich Roman. Ein Highlightbedeutete der Band-Auftritt am 2. Jazzfes-tival in Sopot, wo neben Tschechen undWestdeutschen auch die Amerikaner AlbertNicholas (Klarinette) und Bill Ramsey(Gesang) Präsenz markierten. Für den 19-jährigen Polen Dylag, mittlerweile derbeste Jazzbassist zwischen Ostsee undKarpaten, tat sich eine neue Welt auf.

Mit zwanzig erstmals im Westen

1958 beendete Roman sein Musikologie-Studium, um an der Krakauer Musikaka-demie sein Wissen in Theorie und Komposi-tion zu vertiefen. Das schwer koordinier-bare Nebeneinander von Studium undAuftritten im Kreis führender polnischerJazzmusiker blieb indes eine grosse He-rausforderung, da viele gute Engagementsnicht in der Region Krakau, sondern in War-schau oder Lodz zu absolvieren waren.1958 sprengte der zwanzigjährige Musiker

erstmals den nationalen Rahmen: Ein Kurz-trip führte Roman als Bassist der Polish AllStars nach Dänemark. Der wachsendenkulturellen Dominanz von Warschau trugDylag im Folgejahr Rechnung, indem ersein Studium an der Musikakademie derpolnischen Metropole fortsetzte und dortmit seiner damaligen Freundin Nina eineWohnung bezog. Ebenfalls 1959 spielte eram sowjetisch inspirierten Jugendfestival inWien, wo Roman zeitweilig zum prowest-lichen Anti-Festival «desertierte» und dorttollen US-Jazz serviert bekam.

Weitere Türen westwärts öffneten sich.Stan Getz war der Star des Jazz JamboreeFestivals 1960 in Warschau – und einepolnische Rhythm Section mit Roman amBass durfte ihn begleiten. 1961 lud derdeutsche Jazz-Spezialist Joachim ErnstBerendt den jungen Polen nach Westberlinzwecks Mitwirkung in einer European AllStars Band ein. Im Jahr des Berliner Mauer-baus wurde Roman Dylag jedoch der Reise-pass verweigert. Der bitter Enttäuschteballte die Faust im Sack («I promisedmyself to do everything possible to leave my country for good as soon as possible»)und machte auf einer «Ersatztour» durchdie DDR neue Erfahrungen mit östlicherMangelwirtschaft. Echten Trost spendete in der Folge eine amerikanische Avance:1962 bot die US-Botschaft in Warschau fünfpolnischen Jazzern eine Bildungsreise in dieUSA an. Das Quintett durfte reisen – undBassist Dylag war dabei! Sechs unvergess-liche Wochen lang spielten sich die fünfOsteuropäer durch Säle und Clubs in NewYork, Boston, Chicago, Los Angeles, SanFrancisco und New Orleans. Der Schluss-cocktail wurde am Newport Jazz Festival1962 gereicht.

Nur weg aus Polen!

Im März 1963 schlug Dylags geballte Faustzu. Die drei Polen Krzysztof Komeda (p), JanWroblewski (ts) und Roman Dylag formier-ten sich mit dem schwedischen DrummerRune Carlson zum Quartett für einenAuftritt im Stockholmer Golden Circle Club.Nun kappte der Krakauer die Verbindung zu

Dylag mit Tomasz Stanko

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seinem Heimatland, dessen Regime darauseinen Käfig gemacht hatten. Mit einemBass und zwei kleinen Taschen ging's vonWarschau per Bahn nach Ostberlin undSassnitz, dann mit der Fähre nach Trelle-borg. Das schwedische Publikum nahm diepolnischen «Exoten» mit grosser Sympa-thie auf. Die Ankömmlinge trafen auf einstark amerikanisiertes Land, dessen Bevöl-kerung freilich den USA politisch mit spür-barer Reserve begegnete. Roman, soebender realsozialistischen Aufsässigkeit ent-ronnen, befremdete die idealistischeEinschätzung des Kommunismus durchviele Schweden.

Nach zwei Wochen im Golden Circle Clubund einem Engagement im KopenhagenerJazzhus Montmartre reisten Dylags polni-sche Mitmusiker heim, er aber blieb inSkandinavien und fand dort attraktive Jobs– so mit dem Saxofonisten und FlötistenSahib Shihab und mit der JazzsängerinAnita O'Day. «Anita impressed me verymuch with her typical instrumental app-roach to singing», hält Roman Dylag inseinen Erinnerungen fest. Anderseits ver-mittelte Anita, als schwierige Person mitAlkohol-Problemen, dem Neo-Westler aucheine dunklere Facette des «jazz business».Es folgen Engagements mit dem eindrück-lichen Dexter Gordon und der Folk-Blues-Legende Josh White. Im Sommer 1963 in-tegrierte sich Roman wieder in das PolishJazz Quartett, das zuerst am Festival imsüdfranzösischen Juan Les Pins auftrat unddann im Pariser Blue Note Club, wo der –noch immer polnische – Bassist tolle musi-kalische Momente an der Seite von JohnnyGriffin, Kenny Drew und dem psychisch wie physisch angeschlagenen Bud Powellerlebte.

Ab Herbst 1963 wirkte Roman Dylag imneu formierten Quintett des ambitioniertenschwedischen Posaunisten Eje Thelin mit.Das Land des Bandleaders bescherte demTeam gute Auftritte, was dem Bassistenermöglichte, seine wachsende Skandina-vien-Liebe mit dem Kauf eines altgedientenund entsprechend reparaturanfälligenVolvo zu artikulieren. Eine andere Liebe,

nämlich jene zur inzwischen in die USAausgereisten Freundin Nina, näherte sichdagegen trotz gegenseitigen Wiederan-näherungbekundungen dem Nullpunkt. Sowar es Roman nicht unangenehm, als er imhohen Norden die Baslerin Simone kennenlernte, die später seine Frau wurde.

1964 tourte die Thelin-Truppe durch Skandi-navien, über Belgien ging's anschliessendnach Deutschland und ins Basler Atlantis.Im gleichen Jahr trat die Band an den Jazz-festivals von Bologna, Frankfurt und Bledauf. Für Roman fiel zudem Studioarbeit ineiner Band um Benny Golson und JimmyWitherspoon an. Und als Thelin sein Tour-nee-Quintett wieder verkleinerte, zählte erweiter auf den Bassisten Dylag. Zurück inSchweden wartete auf Roman ein Engage-ment mit Ben Webster. «Ben was not aneasy character», merkt Dylag in seinemManuskript an. «There were ups anddowns, but I couldn't blame him – I lovedhis playing.» Nach dieser Begegnung mitdem amerikanischen Meister am Tenorsaxwurde in Schweden ein polnisches Wieder-sehen und -hören gefeiert: Roman Dylagtraf auf den Pianisten und KomponistenKrzysztof Komeda, den jungen TomaszStanko (tp) und Michal Urbaniak (ts).

Unterwegs mit der«crème de la crème»

Die zweite Hälfte der sechziger Jahre lesensich aus der Perspektive des anpassungs-fähigen Jazzbassisten Dylag wie ein viel-gliedriges Name-Dropping. Da fand musi-kalisches Zusammenspiel statt mit Leutenwie: George Russell, Art Farmer, Stuff Smith,Steve Lacy, Sonny Stitt, Wayne Shorter, BillBarron, Eddie «Lockjaw» Davis, ZbigniewNamyslowski. Aber auch für Berufsmusikergibt es ein Leben neben Rhythmen undTonleitern. Im Juli 1967 tauschten Romanund Simone in Schweden die Eheringe – es war zweifellos eine Liebesheirat, aberzugleich ein formelles Bündnis, von demsich Roman beim Auftauchen künftigerWest-Ost-Reiseprobleme Hilfe versprach.Der befürchtete Ärger konkretisierte sich,als der «Polen-Flüchtling» im Heiratsjahr

einer Einladung zum Jazz Jamboree inWarschau folgte. Seit 1963 hatte Romankeinen Fuss auf polnischen Boden gesetztund sich jeweils mit jährlich erneuertenpolnischen Reisepässen «Distanzfreiheit»gesichert. Nun begannen die bürokrati-schen Schikanen schon an der Grenzezwischen DDR und Polen mit Dylags Auto,das er verzollen sollte. In Krakau begeg-nete Roman erstmals nach viereinhalbJahren wieder seinen Eltern, die ihrerseitsseit 1963 nervenaufreibende Scherereienmit der Staatsmacht hatten wegen derunverzollten Ausfuhr von SohnemannsKontrabass.

Während sich in Osteuropa politischesTauwetter nur tropfenweise materialisierte,änderte sich das musikalische Klima imlange ausgesprochen jazzfreundlichenSkandinavien spürbarer. Rock und Popgefielen einer jüngeren und lärmigerenPublikumsgeneration. In Stockholm gingder Golden Circle Club auf Rhythm'n'Blues-Kurs. 1969 tourte Roman Dylag in Klein-formation durch südschwedische Schul-häuser. Die musikalische Zeitenwende registrierend, war Roman froh um regel-mässige kommerzielle Gigs. Und trotz un-guter Erinnerung an 1967 nahm der Exil-pole auch wieder sein Geburtsland insVisier: 1970 spielte Dylag, nun mit einemKonsularpass versehen, wieder am War-schauer Jazz Jamboree. Dieses Mal funktio-nierten Ein- und Ausreise reibungslos.Schwerer tat sich der Profimusiker mit denneuen Tonalitäten: Roman begann, wieviele andere Kontrabassisten auch, mitDirektabnehmern und Bassverstärkern zupröbeln, was erst nach wiederholten Anläufen befriedigend gelang. Auch demkommerziellen Trend, den Kontrabass bei Bedarf durch den E-Bass zu ersetzen,gab er sich nolens volens hin, ohne je ein inniges Verhältnis zu diesem «Zupf-Hybrid» zu entwickeln.

Wie das Musikerleben von RomanDylag weiterging – unter anderemauch in der Schweiz – können Sie im nächsten Jazzletter nachlesen. (Red.)

und Anita O’Day Dizzy Gillespie Im Archiv des swissjazzorama.ch finden sich Angaben über 36 Alben auf denenRoman Dylag als Bassist mitwirkte.

Aufnahmen auf LPs oder CDs von 1964 bis 2008. So z.B. Archiv-Nr: LP-01011 mit dem Remy Filipovitch Trio, 1982 in Kölnaufgenommen oder die CD-00053 mit StanGetz, aufgenommen in Warschau.

Zudem finden sich im Archiv, nebst Plakaten,auch Eigenaufnahmen des swissjazzorama.chder CDC und Videoaufnahmen z.B. aus demFilm «Teddy Bär» von Rolf Lyssy von 1983,mit Filmmusik von Bruno Spoerri.

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Am 7. April jährte sich der Geburtstag der überragenden Jazzsängerin BillieHoliday (1915–1959) zum hundertstenMal. Erfreulich, dass dieses Ereignis auch in der Tagespresse ein erstaunlichbreites Echo fand. Von Albert Stolz

Einige Journalisten und Journalistinnensowie Ktitiker und Kritikerinnen gingendabei (fast) so weit, Billie Holiday als«Erfinderin des Jazzgesangs» zu feiern.Dabei ging jedoch vergessen, dass etwa zur gleichen Zeit (Mitte der 1930er Jahre)eine andere Jazzsängerin im Orchester desSchlagzeuger Chick Webb von sich redenmachte: Ella Fitzgerald. Diese virtuose, imGegensatz zu Holiday über einen beträcht-lichen Stimmumfang verfügende Sängerinsteht sozusagen als «Antipodin» zu Holi-day für einen zweiten Strang innerhalb desJazzgesangs (vgl. weiter unten).

Billie Holiday hat ihre Lebensgeschichteund ihre Ansichten in ihrer bekanntenAutobiografie «Lady sings the Blues»dargestellt. Man hat ihr verschiedentlichvorgeworfen und auch nachgewiesen, dieWirklichkeit teilweise mit dem Ziel dereigenen Legendenbildung zurechtgebogenzu haben. Vergleicht man jedoch etlicheihrer Grundaussagen, so stimmen sie mitdenen anderer Musikerinnen und Musikerweitgehend überein. Die 1956 veröffent-lichte Autobiografie zeigt unter anderemeindrücklich die Lebens- und Produktions-bedingungen auf, denen die afroamerika-nischen Jazzmusiker und -musikerinnendamals (und teilweise auch noch später)unterworfen waren.

Der alltägliche Rassismus

Billie Holiday hat unter dem in den USAherrschenden Segregationssystem starkgelitten und hat Zeit ihres Lebens daraufreagiert. Obwohl die rassistische Diskrimi-nierung und Erniedrigung mitverantwort-lich war für Billies Drogen-, Alkohol- undpsychischen Probleme, hat sie den Rassis-mus nie zu verdrängen versucht.

Die monatelange Tournee, auf die sie 1937mit dem Orchester des weissen Bandlea-ders und Klarinettisten Artie Shaw ging,bedeutete für sie eine nicht abreissendeFolge rassistischer Diskriminierungen, wieBillie Holiday im folgenden Zitat aufzeigt:«Manchmal fuhren wir 600 Meilen undhielten nur einmal an. Dann war es meisteine Kneipe, wo ich nicht bedient wurde,

mal ganz abgesehen, dass ich dort dieToiletten nicht benutzen konnte, ohne eineSzene heraufzubeschwören. (...) DieserStress und diese Hektik packten mich so,dass ich krank wurde.»

Als sie mit dem Orchester von Count Basieauf Tournee ging, erlebte sie eine vielleichtnoch schlimmere Erniedrigung. Da sie eine hellere Hautfarbe hatte als ihre Mit-musiker, musste sie bei einigen Auftrittennoch schwarze Schminke auftragen: Fürgewisse weisse Zuhörer wäre schon derblosse Gedanke unerträglich gewesen, dasseine weisse Frau mit einem schwarzenOrchester auftreten könnte...

Ihre Erfahrungen mit dem alltäglichenRassismus fand Billie Holiday am vorzüg-lichsten im 1939 vertonten Gedicht über dieLynchjustiz «Strange Fruit» des DichtersAbel Meeropol (alias Lewis Allen) wieder-gegeben. Angesichts der Sprengkraft dieserNummer weigerte sich der PlattenmultiColumbia, ihn aufzunehmen. Ihr wohl be-rühmtester Song wurde dann vom Indie-Label Commodore veröffentlicht. Billie Holi-day war wie die allermeisten Musiker undMusikerinnen jener Zeit keine Polit-Aktivis-tin. Musiker wie etwa der wunderbareTrompeter und KP-Mitglied Frankie New-ton, mit dessen Orchester Holiday diesesStück aufnahm, waren die Ausnahme. Den-noch ist «Strange Fruit» in der Geschichtedes Jazz wohl das leidenschaftlichste Zeug-nis gegen die Rassenunterdrückung vor der «Freedom Now Suite», die 1960 von

der Sängerin Abbey Lincoln mit dem Orchester des Schlagzeugers Max Roachaufgenommen wurde.

Trotz all der schlimmen Erfahrungen ist sich Billie Holiday dennoch stets bewusstgeblieben, dass der in den USA grassieren-de Rassismus keine blosse «Naturerschei-nung», keine den Weissen angeboreneNeigung darstellt. Unter Billies Freundenund Bekannten findet man etliche liberaleWeisse (wie etwa Orson Wells, der diesesJahr auch 100 Jahre alt geworden wäre)oder Musiker wie Benny Goodmann, ArtieShaw, Charlie Barnet usw. Die sonst eherals «unpolitisch» geltende Billie Holidayerkennt mit bemerkenswerter Klarheit,dass dieser Rassismus auch ganz konkretesozio-ökonomische Grundlagen hat:«Du kannst bis zu den Brüsten in weisserSeide stecken, mit Gardenien im Haar, keinZuckerrohr weit und breit, und trotzdemimmer noch auf einer Plantage arbeiten.Nehmen wir beispielsweise die 52. Strassein den späten dreissiger und frühen vierzi-ger Jahren. Allgemein hielt man es für einegrosse Sache. «Swing Street» wurde siegenannt. (...) Millionen hatten nie einenSchritt in die 131. Strasse (im Schwarzen-viertel Harlem, A.S) gesetzt. Wären siejedoch nur einmal dorthin gegangen, dannhätten sie schon vor zwanzig Jahren Swinghören können. (...) Wie dem auch sei, dieweissen Musiker waren am «swingen»,von einem Ende der 52. Strasse bis zumanderen. Nur weit und breit kein schwarzesGesicht. (...) Doch die 52. Strasse konntesich nicht ewig gegen Schwarze absperren.(...) Schliesslich fanden die Plantagen-besitzer heraus, dass sie mit schwarzenKünstlern Geld verdienen konnten und dass sie sich einfach nicht mehr ihre altenVorurteile leisten konnten. Also fielen die Barrikaden und es gab jede MengeArbeit für eine Reihe grosser Musiker.»

Billies Aussagen zeigen mit letzter Deut-lichkeit, wie ihre «Plantagenbesitzer», dieBosse der Musik- und Unterhaltungs-industrie, die Hervorbringungen afroameri-kanischer Kultur der jeweiligen Marktlageentsprechend beliebig verwerten: Ist diekulturelle und soziale Aufnahmebereit-schaft für Musik, die Afroamerikanerinnenund -amerikaner gespielt haben, bei einemweissen Publikum genügend gross, wirdauch schwarze Musik massiv verbreitet.Und wenn immer nur möglich erst, nach-dem sie einem ästhetischen «Reinigungs-bad» unterzogen wurde. Eine erste Gegen-

LADY SINGS THE BLUES:Zum 100. Geburtstag von Billie Holiday

1957

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reaktion auf diese Akkulturation des Jazzerfolgte später im Bebop.

Lady sings the Blues?

Auch wenn ihre Autobiografie und eineihrer späteren Platten unter diesem Titelerschienen sind, hat Billie Holiday selten«reinen» Blues gesungen. Nach dieserformalistischen Betrachtungsweise stimmtder Titel «Sings the Blues» nicht mit ihremgrossartigen Werk überein. Dieses bestehtvor allem aus Song- und Balladenmaterial,das sich weit mehr an der europäischenLiedstruktur als am Bluesschema orientiert.Auch ist ihre Stimme nicht «rau», volu-minös und pathetisch, wie dies fälschlicher-weise von Bluessägern und -sängerinnenerwartet wird, sondern (vor allem in jun-gen Jahren) schmiegsam und von gross-städtischer Eleganz. Diese Unterscheidun-gen machen jedoch für Bluesmusiker und -musikerinnen (wie etwa auch für denkürzlich verstorbenen B.B. King, vgl. S.11)keinen Sinn: Für sie ist Billie Holiday eineder ihrigen, besitzen doch ihre Interpreta-tionen von Songmaterial den emotionalenGehalt des Blues. Ihre bluesige Phrasierungund ihre Identifikation mit den gesunge-nen Texten, ein weiteres «Bluesmerkmal»,bewirkten, dass selbst auf den ersten Blickbanale Songs zu grossen Interpretationenwurden, eine neue Dimension erhielten.Der Klarinettist, Pianist und Arrangeur TonyScott, der 1955 und 1956 mit Billie Holidayzusammenarbeitete, meinte diesbezüglich:«Wenn Ella «Mein Mann hat mich ver-lassen» singt, denkst du, dass er an derStrassenecke ein Brot kaufen ging. SingtBillie jedoch den gleichen Song, dann siehst du die gepackten Koffern vor dir und wie der Typ die Treppe runtergeht und du weisst, dass er nicht mehr zurück-kommen wird.»

Für Mimi Perrin von der Gesangsgruppe«Double Six de Paris» war Billie Holidaymit Bessie Smith, die erste «Storytellerin»,eine aussergewöhnliche «Geschichten-erzählerin». Nicht umsonst zählt Billie Holiday in ihrer Autobiografie die «Emp-ress of the Blues», Bessie Smith, die schon in den 20er-Jahren mehrmals meta-phorisch unverschlüsselt gegen Rassismus,soziale Ungleichheit und Machismus an-sang, zu ihren grössten Vorbildern. Unterdiesem Blickwinkel betrachtet, stimmt derTitel «Sings the Blues» mit Billie HolidaysWerk überein.

Im unserem Archiv finden Interessierte viel Material über Billie HolidaysWirken. So sind zurzeit erfasst:101 LPs, 41 CDs, 35 Schellacks,26 Bücher und vieles mehr.

Tschäss Ländlermusiker Thomas MarthalerNietenhosen schrieb auch an einemund Sartre Kapitel Schweizer Jazz mit

Nachkriegs-Zürich um 1950: Die bürger-liche Erwachsenenwelt pflegte ihre kultu-rellen Traditionen, freute sich nach einerPeriode der Entbehrungen am wirtschaft-lichen Aufschwung. Der konjunkturelleFrühling und der einsickernde «americanway of life» förderte allerdings auch neueTrends. Eine wachsende Zahl von Schulab-gängern träumte von einer beruflichenExistenz als Grafiker oder Werber, Dekora-teur oder Fotograf. In diesen Kreisen, aberauch bei den Gymnasiasten und Studentengedieh ein von «Negertschäss» und «Nie-tenhosen», Baskenmützen und Sartre-Lektüre begleitetes Lebensgefühl. Die«Existenzialisten» trafen sich in Jazzkellernund alkoholgeschwängerten Debattier-buden, begeisterten sich für Dixieland oderCharlie Parker, träumten von einer Weltjenseits der Rassen- und Klassengrenzen.«Die Existenzialisten waren völlig unpoli-tisch», schrieb Professor Marthaler einmalüber seine Zürcher Sturm-und-Drang-Jahre.«Allerdings war etwas vorhanden, ohnedass man es ausgesprochen hätte. DasKlassenbewusstsein wurde gänzlich negiert. Jeder konnte kommen. Er konnte –wie ich – vom Zürichberg kommen, es

wurden keine Unterschiede gemacht. Esgab keine parteiliche und keine ideologi-sche Richtung.» Thomas Marthaler schlugeine akademische Laufbahn ein, widmeteseine Freizeit aber der Musik. MarkanteSpuren hinterliess er nicht nur in der Zahn-medizin, sondern auch in der Ländlermusik.Und ein knappes Jahrzehnt lang prägte erals Klarinettist der Porridge Brass Band undder Trester Seven auch die lokale ZürcherJazzszene mit. «Der erste Jazzkeller befandsich an der Strassburgstrasse am Stauffa-cher. Nachher kam der Keller an der Müns-tergasse. Dort haben wir zünftig in dieKerbe gehauen. Einmal spielten wir ‚Who'sSorry Now' für mehr als eine halbe Stunde(…) bis alle Tänzer auf der Tanzfläche fixund fertig waren. Und wir Musiker auch.»

Die Klarinette im Kleiderkasten

Wie er aktiv zur Musik kam, erzählte Tho-mas Marthaler dem swissjazzorama-Besu-cher kürzlich in seiner originell eingerichte-ten Dachwohnung an der Zürcher Bellerive-strasse. «Bei mir kam zuerst die Volksmu-sik. Als knapp 17-jähriger Gymnasiastmachte ich 1945 die ersten Aufnahmen.Alles wurde damals nach dem Gehörgespielt, Noten brauchte ich erst später.

Gab's jemanden, der dem AutodidaktenMarthaler die ersten Griffe auf der Klarinette zeigte?Das war Gerold Merker, der Sohn meinerGotte. Eines Tages drückte mir «Goldi» eineKlarinette in die Hand und sagte, er habebegonnen, Schwyzerörgeli zu spielen. Umgemeinsam zu musizieren, wäre es gut,wenn ich Klarinette lernen würde, meinteer. Mein Vater besass damals fünf Ländler-platten, die wir brav nachspielten. «Goldi»war fünf Jahre älter als ich und gab denTon an. Schon bald gingen wir auf Beizen-tour in der Stadt Zürich, die nach demKrieg durchaus ein Mekka für Volksmusik-freunde war. Einer unserer Treffpunkte wardas Goldene Fass hinter der Militärkaserne,wo ich die damals namhaften Länderklari-nettisten beobachten und um Rat fragenkonnte. Meine Eltern begleiteten die musi-kalischen Gehversuche wohlwollendkritisch, wenig freuten sie jedoch meinezeitraubenden Engagements im Chreis

Die jungen Jazzmusiker von heute kennen sich aus. Sie lesen Noten, können arran-gieren. Ihre Stilbildung ist weniger durch die Spielpraxis geprägt als durch die aka-demischen Lehrgänge von Jazzschulen. Ganz anders verhielt es sich, als der Jazz nach dem Zweiten Weltkrieg über den Atlantik schwappte und – beispielsweise in Zürich – eine Welle der Oldtime-Begeisterung wie auch der Bebop-Neugier ent-fachte. Der 86-jährige Zahnprophylaxe-Pionier und Musiker Thomas Marthaler frischtim Gespräch mit René Bondt Erinnerungen ans swingende «Limmatathen» auf.

Trester Seven: Marthaler, Erwin Hinder, Muz Zeier.

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Cheib, Sie rieten mir zu einer grundlegendenAusbildung am Konservatorium und konfis-zierten fürs erste mein Blasinstrument.Zusammen mit meinem Bruder wurde ichaber schon bald in einem Kleiderkastenfündig. Ich nahm die Klarinette wieder raus,um anderswo zu üben, und liess nur dasInstrumentenköfferli im Kasten. EinigeMonate später weihte ich Vater und Mutterin das Komplott ein. Glücklicherweisebewiesen die Eltern in diesem bangenMoment Humor, sie gaben ihren Widerstandauf, auch wenn sie meine damaligen musi-kalischen Aktivitäten weiterhin nicht beson-ders schätzten. Meine Konzession bestanddarin, mich nun tatsächlich à fond mit musi-kalischer Weiterbildung zu beschäftigen.Ich tat es mit Hilfe eines Klaviers. Gebliebenaus jener Zeit ist mir meine Verehrung derMusik von Johann Sebastian Bach.

Bei Klarinette und Klavier blieb es nicht, esgibt Aufnahmen von Ihnen, da spielen sieselber Schwyzerörgeli oder Bass.Im Rahmen der musikalischen Weiterbil-dung kam das eine und andere hinzu. Mit33 wollte ich es nochmals genau wissen aufmeinem Hauptinstrument, ich nahm beimehreren Klarinettenlehrern Stunden. Undschliesslich landete ich im Konsi, als michder Erste Klarinettist des Zürcher Opern-Orchesters, Hansjörg Leuthold, als Kuriosumin den Kreis seiner Schüler aufnahm.

Kommen wir zum Kapitel Jazz in Ihremmusikalischen Leben. Blenden wir zurückauf die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg,als Dixie, New Orleans und Swing hierzu-lande aufkamen, als amerikanische Jazz-musiker zuhauf durch Europa tourten undals die Jungen gegen die Elterngenerationaufzubegehren begannen. Waren es solcheTreiber, die Sie dem Jazz zuführten?Bei mir ging das ganz abrupt. Gerold Merkerwanderte nach Amerika aus, wodurch ichmeinen Örgeler verlor. In der Folge konzen-trierte ich mich auf das Klavier und spielteeine Weile kaum Klarinette. 1948/49 absol-vierte ich zudem ein Studienjahr in Genf,wohnte aber anschliessend wieder bei denEltern im Zürcher Rigiviertel. Und dort liegtja auch der Resiweiher, den ich als Knabe oftaufgesucht hatte. Eines Abends traf ich dorteinen Trompeter, einen Posaunisten und einen Trommler, die am Weiher übten. Dieerkannten mich und heuerten mich sogleichals Klarinettisten an. So rutschte ich eineZeitlang in den frühen Zürcher Jazz hinein.Die Trester Seven und die Porridge BrassBand waren jene beiden Vehikel, bei denenich spielte. Das Repertoire bestand aus denErfolgstiteln von Kid Ory bis Louis Arm-strong, denen Bläser wie Muz Zeier, Karl«Satchmo» Salzmann, Arthur Fehr, ErwinHinder und Cliff Roggwiler nacheiferten. AmBass betätigte sich Felix Rogner, der späterbeim Metronome Quintett moderneren Jazz

spielte. Auch ich selber kam im Jazz zwei-gleisig voran, also in beiden Stilrichtungen.

Auf der Bühne mit Charlie Parker

Im Sinne der Praxisschulung nach der Dentisten-Ausbildung in Zürich und Genf arbeiteten Sie um die Mitte der fünfziger Jahre ein Jahr lang an einer BostonerKlinik. Dort erlebten Sie gewissermassendie Champions League im US-Jazz ...Die ganze Jazzprominenz zog damals anmir vorbei. Gemeinsam mit Charlie Parkerstand ich sogar auf der Bühne und gab ander Seite dieses Champions mein Bestes. InBoston wohnte ich wenige Minuten vomnächstgelegenen Jazzlokal entfernt. JedenAbend spielten dort Musiker im Wochen-engagement. Pro Stunde traten sie jeweils40 Minuten lang auf, dann mussten sie 20Minuten lang pausieren, weil das die Musi-kergewerkschaft so durchgepaukt hatte.Die Intermissions überbrückte ein Pianistsolo. Einer dieser Pianisten war Joe Bat-taglia, mit dem ich einmal einige Stückespielen durfte und dann gelegentlich wie-der bei ihm einstieg. Bei der Wirtin desKlubs war ich sehr willkommen: Es agiertendort vorwiegend Schwarze, gegen die ich –als Schweizer – nicht die geringste Aver-sion hatte. Ganz im Gegenteil: Für michwar der schwarze Jazz doch das Ereignisschlechthin. Die Wirtin besorgte auch den

Der musikalische Zahnarzt«Ländlerprofessor» nennt man Thomas Martha-ler hier und dort. Der wohlmeinende Übernameumschreibt in kompaktester Form zwei zentraleAktivitäten im Leben des mittlerweile 86-jähri-gen Zürchers. Nach Grundschule und Gymna-sium studierte Thomas in Genf und Zürich Zahn-medizin. Eine einjährige Assistentenstelle an derForsyth Dental Infirmary in Boston schloss sichan. An dieser amerikanischen Klinik wurden Pa-tienten mit enormen Kariesschäden behandelt.Die Frage nach den Ursachen und der Vermeid-barkeit der Zahnkaries weckte Marthalers In-teresse: Zurück in Zürich verzichtete der jungeZahnarzt auf die Übernahme der Praxis seinesVaters und wandte sich einer wissenschaftlichenKarriere als Forschungsassistent an der damali-gen Abteilung für konservierende Zahnheilkundezu, daneben öffnete ihm seine mathematischeBegabung einen zusätzlichen akademischenWeg zur Planung, Methodologie und Statistik.

Pionier der Kariesprophylaxe

1963 startete Thomas Marthaler die periodischeErfassung der Zahngesundheit bei der Schulju-gend im Kanton Zürich und in andern Teilen derSchweiz. Eigenständig, kreativ und beharrlichwidmete er sich in der Folge ein Professoren-leben lang mit Fluoridforschung, Prophylaxe undEpidemiologie. Er erarbeitete die wissenschaft-lichen Grundlagen zur Salzfluoridierung, die er in der Schweiz und – als Berater der Weltge-sundheitsorganisation WHO – auch in andereneuropäischen Ländern sowie in Mittel- undSüdamerika implementierte. Heute profitierenweltweit rund 300 Millionen Menschen von der

Salzfluoridierung. Für seine Verdienste erhielt der Schweizer mehrere Auszeichnungen derInternational Association for Dental Research.

Stets um nachhaltige Kariesvorbeugung in derSchweiz bemüht, etablierte Thomas Marthalerbei der Schulzahnpflege in den zürcherischenGemeinden das Primat der Prophylaxe underfasste deren Erfolg in 16 Stichprobengemein-den lückenlos. Bis heute konnte ein Kariesrück-gang bei den Schülern aller Altersklassen umrund 90 Prozent erreicht werden. Der von Marthaler in den Zürcher Gemeinden angeregteEinsatz von Schulzahnpflege-Helferinnen (derenAusbildung er selbst durchführte) wurde in denmeisten Kantonen übernommen.

Ein Herz für die Folklore

So eindrücklich die Wegmarken sind, die Martha-ler hauptberuflich setzte, so intensiv betrieb derliebenswerte Herr Professor daneben stets dasHobby Volksmusik. Mit 14 begann er Klarinettezu blasen – und wurde schnell heimisch in derörtlichen und bald auch in der helvetischenLändlerszene. Als der Amateurjazz in und umZürich in den fünfziger Jahren ein eigenstän-diges Profil gewann, war «Sabu» Marthaler indieser Sparte ebenfalls ein willkommenerMitstreiter (Trester Seven, Porridge Brass Band).A la longue aber schlug sein Herz für die schwei-zerische Folklore. An der Seite von Ländler-grössen wie Josias Jenny, Res Gwerder, LuziBergamin oder Sepp Huber setzte sich «Ländler-professor» Thomas Marthaler mit seinen zahl-reichen Auftritten, Kompositionen und Ton-trägern aus Überzeugung für eine ehrliche undunverfälschte, weder von provinziellen «Stil-kämpfen» noch durch modisch anbiederndenSchnickschnack belastete Volkskultur ein.

musikalischen Schulterschluss zwischenmir und den Brüdern Sidney und Wilbur de Paris. Mit diesen schwarzen Musikernerlebte ich unwahrscheinliche Zeiten.

Ab 1956 konzentrierten Sie sich wieder aufdie Ländlermusik. Aber blieben die Ohrenoffen für den Jazz und seine Entwicklung?Ja natürlich. Ich muss jedoch gestehen,wenn ich Jazz höre, und das tue ich nichtsehr oft, dann handelt es sich um altenJazz. Ich schätze zum Beispiel seit Jahr-zehnten die Dutch Swing College Band.

Welche Gemeinsamkeiten verbinden ausIhrer Sicht den Jazz und die Volksmusik?Es gibt gemeinsame Wurzeln. Und auch beider sozialen Schichtung der Musiker unddes Publikums stimmt vieles überein. Derfrühe Jazz in der Schweiz wurde von Leu-ten getragen, die ein gutes Ohr hatten undzwischen echt und billig unterscheidenkonnten.

Mittlerweile durchläuft der Schweizer Jazzfreilich seine Akademisierungsphase mit allden Jazzschulen, die es landesweit gibt ...Das ist der Lauf der Dinge. Ich bildete mich wohl technisch an den Instrumentenweiter, machte aber den Trend zur Intellek-tualisierung der volksnahen musikalischenRichtungen nicht mit.

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25 Jahre swissjazzorama.chDas Schweizer Jazzarchiv

Unsere Jubiläumskonzerteund Veranstaltungen im Überblick2.Teil: Januar bis Mai 2015

Wir danken allen Sponsoren und der Stadt Usterfür die grosszügige Unterstützung, mit der esmöglich wurde, alle unsere Veranstaltungen mit grossem Erfolg durchzuführen.

22.01. Kulturkeller «La Marotte»,Affoltern a. Albis Im Rahmen des 25-Jahr-Jubiläumsbesuchte das swissjazzoramaden Kulturkeller «La Marotte»Mit reiste das Melch Däniker Trio mit Roman Dylag am Bassund Fernand Schlumpf am Schlagzeug.

25.01. Dank der langjährigen Zusammenarbeitmit der Reformierten Kirchgemeinde Uster durften wir diesen speziellen Jazzgottes-dienst und das Abendkonzert in der refor-mierten Kirche durchführen.Der Jazz-Chor «arcas syncopics» aus Chur,der sich schon seit Jahren mit vielfältigen undabwechslungsreichen Programmen profiliert,gestaltete zusammen mit dem Ustermer Orga-nisten Peter Freitag den Taufgottesdienst.Das Abendkonzert stand ganz im Zeichen derrockigen und jazzigen Titel, die der Leiter, HeinzGirschweiler, verstärkt durch Flügel und Gitarre,speziell arrangierte. Die vielen Besucher desKonzertes zeigten sich hoch erfreut über dasProgramm und seine hohe Qualität.

08.03. Musikcontainer UsterFreie Bühne für Martin Hugelshofer.Der frühere Programmchef des swissjazzorama,der Dutzende von Konzerten organisierte, brach-te eine interkantonale Gruppe auf die Bühne.Sein Quartett verstärkte er mit der SängerinRebecca Spiteri, die durch ihre Bühnenpräsenzund die swingende Präzision der Songs demMittagskonzert zu einem Höhenflug verhalf. Dervolle Saal sorgte für die richtige Ambiance undder fachkundige Applaus der Zuhörer bewies die musikalische Qualität des Programmes.

14.03. Jazzclub DübendorfDas swissjazzorama besuchte denAuftritt von Barbara Dennerlein(Hammond B3) in der Oberen Mühle.

27.03. Musikcontainer Uster Der Jazzclub Thalwil besucht das swissjazzorama mit «Rebecca & the Sophistocats»Das Programm: Kommentare und Filmeinlagenüber die Zusammenarbeit von Louis Armstrongund Ella Fitzgerald. Was die Dame und die vierGentleman darboten, war ein Stück Jazz-geschichte, Titel aus dem Great AmericanSongbook und von Thomas Bernold aus der«Filmkiste» speziell zusammengestellte Original-Soundies. Ein swingender, lehrreicherAbend mit viel Schmunzeln und Erinnerungen an die 1940er- und 1950er-Jahre.

8.3.2015: Rebecca Spiteri voc, Jean-Yves Petiot b, Richard Lipiec fl

Herbst 2014 bis auf weiteres:Jubiläums-Ausstellung des swissjazzorama.ch

10.04. Musikcontainer UsterAbend des Vereins swissjazzorama.chmit Apéro und Vereinsversammlung.Anschliessend Konzert mit den Gewin-nern des Swiss Jazz Award 2014: «NicoleHerzog & Stewy von Wattenwyl Group».Die Zusammenarbeit von Nicole Herzog undStewy von Wattenwil gibt es seit 2007.2012 veröffentlichten sie das Album «Intimacy».Der erfrischende Vocal-Jazz, die lyrischen Balla-den, der schwarze Blues und der kochendeSwing lösten beim Publikum Begeisterung undmagische Momente aus.

30.04. Musikcontainer Uster Internationaler Unesco Jazz DayZu Ehren dieses weltumspannenden Jazz-Tagesgab es ein Wiedersehen mit der Bigband derHochschule Luzern. Unter der Leitung von EdPartyka nahm sich die Band des musikalischenErbes der Schweizer Jazz-Ikone George Gruntz(1932–2013) an und spielte Stücke aus demRepertoire der frühen George Gruntz ConcertJazz Band.Mit dabei war Felix Gruntz, der einige Detailsaus dem Vermächtnis seines Vaters erläuterte,sowie an der Trompete Franco Ambrosetti,Weggefährte des leider verstorbenen GeorgeGruntz. Das war ein absoluter Höhepunkt desJubiläumsjahres. Das Publikum im vollbesetztenSaal wusste es zu danken.

Während diesen Jubiläumswochenpräsentierte sich das swissjazzorama.chin Uster mit diversen grösseren und kleineren Ausstellungen:

Herbst 2014 bis … Musikcontainer UsterZu sehen war (und ist bis auf weiteres)die grosse Jubiläums-Ausstellung über das swissjazzorama.chGezeigt werden in Text und Bild sowie mit Original-Sammelgut:– seine Geschichte– sein Archiv– seine Sammlungen– seine Donatoren und vieles mehr

März 2015 Foyer des Stadthauses UsterAusstellung zum Thema «Jazz in der Schweiz»Auf 8 Tonstationen konnte Schweizer Jazz,von den 1920er- bis in die 1980er-Jahre, gehörtwerden. Gezeigt wurden auch ausgesuchtePlakate aus unserem Archiv.

April 2015 Stadt- & Regionalbibliothek UsterAusstellung «Das Jazzbuch»Präsentiert wurden Jazzbücher aus dem riesigen Fundus unseres Archivs.

Mai 2015 Villa Grunholzer in UsterKleine Ausstellung im EingangsbereichZu sehen waren einige ganz spezielle Plakateund Lithografien aus unserem Archiv.

Zusammenstellung dieses Rückblicks: Fernand Schlumpf und Walter Abry.Der 1. Teil (Herbst 2014) kann im Jazzletter Nr. 32 nachgelesen werden.

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NOTRE PAGE EN FRANÇAIS

Vu de France Dans le no. 670 de l'importante revue Jazz Magazine les rédacteurs ont décernéleurs chocs de l'année 2014. Parmi les lauréats figurent aussi trois musiciens/musiciennes suisses: Sylvie Courvoisier, Lucas Niggli et Andreas Schaerer.Le dernier est en plus désigné révélation étrangère de l'année: «La révélation de l'an passé a été le groupe suisse Hildegard lernt fliegen et son formidable chanteur Andreas Schaerer.»

Sylvie Courvoisier

L'album Double Windsor (Tzadik) de Syl-vie Couvoisier est selon Philippe Méziat «le meilleur disque de la pianiste sous son nom et à ce jour. Parce qu'elle y inau-gure une voie nouvelle pour elle, dans une configuration classique. Parce qu'on y retrouve les qualités tant de l'improvisa-trice que de la compositrice. Parce queKenny Wollensen et Drew Gress sont lespartenaires parfaits de cette aventure.Un dynamisme raisonné qui contient (au double sens du terme) les déborde-ments que l'on aime et la sagesse que l'on devine.»

Duo Andreas Schaerer – Lucas Niggli

Concernant le disque Arcanum (Intakt)d'Andreas Schaerer et Lucas Niggli le rédacteur Thierry Quénum écrit: «Le duovoix/percussions d'Andreas Schaerer etLucas Niggli relève de la révélation sidé-rante. Quoi, on peut produire tant de musique(s) avec un larynx et quelquesobjets frappés-frottés? Ces deux Helvètesn'ont pas fini de surprendre et de bous-culer nos oreilles pour faire naître entreelles maint sourire enchanté.»

Sidney Bechet in Switzerland /en Suisse(United Music Foundation/united music.ch)

Dans le no. 673 de la même revue JacquesAboucaya a chroniqué ce coffret de 4 CDs:

«Où placer ce luxueux objet? Discothèque pour ces quatre disquesd'enregistrements rares ou inédits? Bibliothèque pour le livret, de fait un livred'art de 216 pages, format 30 x 30 cm,comportant une biographie détaillée,250 photos et 140 documents peu connus,voire inconnus jusqu'ici?»

«L'Académie du Jazz, elle, n'a pas hésité et lui a décerné en 2014 son prix de lameilleure réédition ou du meilleur inédit.Bénéficiant d'un remastering irréprochable,la musique couvre la période 1949–1958.Au gré d'émissions de radio et de concertsen Suisse, Sidney est entouré de forma-tions diverses, depuis l'orchestre de PierreBraslavsky (à Genève en mai 1949) jusqu'àcelui de Claude Aubert (concert privé enmars 1954) en passant par les Rythmes de Radio-Genève, les orchestres de ClaudeLuther et André Réwellotty ou un All Starsréunissant en 1958 le trompettiste JackButler et le batteur Kansas Field. Bechet,on s'en doute, domine à tous égards ses partenaires – encore que certains ne luiservent pas seulement de faire-valoir. Ilfaut, enfin, souligner l'incomparable valeurdocumentaire des interviews radiopho-niques, dont celle où Sidney présente sonballet La nuit est une sorcière et en jouedes extraits, accompagné par Charles Lewis (p). Rien de plus émouvant que lavoix, l'accent, l'élocution incomparables decelui qui fut, en ces années, l'un des pluséminents ambassadeurs en Europe du styleNew Orleans. Le texte bilingue, français-anglais, est l'œuvre de deux grands spécia-listes de l'homme et de l'œuvre, l'un etl'autre clarinettistes, de surcroît: FabriceZammarchi et Roland Hippenmeyer,aux archives inépuisables. Leurs propos,passionnants, à coup sûr exhaustifs, sontrehaussés par une iconographie variée.Le tout, indispensable en dépit du coûtélevé mais justifié (179 CHF). Et puis,quand on aime...» Compilation: as

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Clarke TerryAfroamerikanischer Trompeter,Flügelhornist, Bandleader, Komponist14.12.1920 – 21.2.2015

Mike Mueller, ehemaliger Präsident des Jazzclubs Uster, erinnert sich:

Am neunten Dezember 1993 durfte ich den Jazzfreunden in Uster zum zweiten Mal den legendären Trompeter Clark Terrypräsentieren, seine Begleiter waren GeorgeRobert, Dado Moroni, Isla Eckinger undPeter Schmidlin, eine der solidesten Begleitbands, die damals in der Schweiz zu bekommen war. Clark Terry war in aller-bester Spiellaune, entspannt und fröhlich

zeigte er sich dem Publikum und liess unsteilhaben, was Jazz sein konnte – nämlichMusik auf höchstem Niveau mit gewalti-gem Unterhaltungswert.

Sein warmer Ton entführte uns in seine Weltdes Blues mit «Somebody Done Stole MyBlues» zu «Perdido» (Ellington, Juan Tizol),um dann bei Dizzy Gillespie reinzuschauenmit der humorvollen Interpretation von«Salt Peanuts». Eine kleine Perle dieserBegegnung war das Stück «Steppin On TheRoaches» wo Clark Terry seine «Mumbles»,seine einzigartige Variante des Scatgesangsvortrug die immer wieder begeisterte undLachsalven beim Publikum hervorrief.Auch im persönlichen Gespräch erlebte icheinen Künstler von grosser Liebenswürdig-keit und völlig frei von Starallüren.

1998 lud mich George Robert ein, die Big-band der Jazzschule Bern nach New Yorkzur Jazz Educaters Conference zu begleiten.Das hiess, ungefähr 7000 Musiker aus den USA versammelt im Hotel Marriott.Die Schweizer Band war eine der wenigennicht-amerikanischen Orchester und ihrGastsolist war Clarke Terry. Clarke genossdie Sympathien und Standing Ovations desNew Yorker Publikums, und auch die SwissJazz School Band kam sehr gut an.

Fotos: Clarke Terry und der Schweizer Saxofonist George Robert

IN MEMORIAM

B.B. KingAfroamerikanischer Blues Gitarristund -Sänger16.9.1925 – 14.5.2015

The King is gone

Am 14. Mai starb mit B.B. (Riley B.) King imAlter von fast 90 Jahren der letzte der gros-sen «Gründerväter» des modernen Nach-kriegs-(Post-War-)Blues. Im Gegensatz zumanderen Blueskoloss der Post-War-Ära,dem 1983 verstorbenen Muddy Waters, dereinen rauen, dem grossstädtischen MilieuChicagos angepassten «elektrisierten»Mississippi-Delta-Blues verkörperte, ent-wickelte B.B. King einen geschliffenerenorchestralen Blues; ein Bluesstil von grös-serer melodischer Bandbreite, in dem manauch auf Einflüsse von Gospel und Jazzstösst. In jungen Jahren arbeitete King inMemphis auch als DJ am Radio. Dadurchkam er mit der Musik der JazzgitarristenCharlie Christian und Django Reinhardtsowie jener der Bigbands von Count Basie,Jimmie Lunceford usw. in Kontakt. King

war ein grosser Bewunderer dieser Musik,die auch Spuren in seiner Musik hinterliess.Wesentlich beeinflusst wurde er jedoch vor allem von den beiden Bluesgitarristenund -sängern Lonnie Johnson und T-BoneWalker, wobei Kings Spielweise wenigerjazzy als die seiner Vorbilder war: Kingstand dem Südstaatenblues, dem er etlicheElemente entnahm, näher als seine Vor-bilder. Den Durchbruch schaffte B.B. King1951 mit der Bluesnummer «Three O'Clock

Blues», auf den ersten Platz der R&B-Charts: Das war der Beginn einer langenund erfolgreichen Karriere. Kings Gitarren-stil, wie übrigens auch derjenige seiner Na-mensvetter Albert und Freddie King, beein-flusste Heerscharen von Blues-, Rock- undPopgitarristen. B.B. King gehört wie MuddyWaters zu den Musikern, die den Sound der Populärmusik der zweiten Hälfte des20. Jahr-hunderts nachhaltig prägten. as

Page 12: swissjazzorama.ch jazzletter · Freund aussergewöhnlich hoch geschätzt. ... dramatisch.Gemäss der Biografie Heinrich Himmlers,Reichsführer SS,verfasst von Peter Longerich,erklärte

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Wörter gehören zu den masselosen Dingen, sienisten sich in unser Denken ein und treiben daihr Un-Wesen. In einem ebenso masselosen Netzbleiben sie verbunden über unsere Köpfe hinwegund durchleben manchmal einen Bedeutungs-wandel, beispielsweise vom Gebrauchswort zumSchimpfwort und umgekehrt.Mit «Neger» bezeichneten die europäischen Kolonialisten ab dem 17. Jh. Menschen mitschwarzer Hautfarbe, es war ein anderes Wortfür Sklave. Es verlor dann allmählich dieseBedeutung im Sprachgebrauch. Der Sklave ver-schwand, der Neger blieb. Die Gebrauchsgrafikaus der ersten Hälfte des letzten Jahrhundertsspricht eine deutliche Sprache. Selbst der offen-sive Rassismus der Nazis konnte daran nichtsändern, bis erst mit der Bürgerrechtsbewegungdie diskriminierende und rassistische Konno-tation ins breite Bewusstsein zurückkehrte. DieseEinleitung soll erklären, warum im Bestand desswissjazzorama fünf Bücher das Wort «Neger»im Titel führen (dürfen). Den umgekehrten Weg vom «Schimpfwort» zum Gebrauchswort hat «Esoterik» hinter sich.(In der Umgangssprache hat «esoterisch» die Be-deutung von «nur für Eingeweihte bestimmt»).Nun machen sich in den von mir frequentiertenBuchhandlungen die Regale mit Esoterik-Litera-tur immer breiter, nicht zuletzt auf Kosten derMusik-Bücher. Jazz-Bücher findet man nochseltener als ein Gräslein in einem Hühnerhof.Von esoterischen Klängen blieb selbst der Jazznicht verschont, somit finden sich auch in derJazz-Literatur gewisse Spuren.Die Redaktion des Jazzletters hat mich gebeten,ein Buch aus unseren Beständen zu besprechen.Das bringt mich in ein Dilemma: Einerseitswüsste ich schon eines oder mehrere, anderseitssetze ich es dann der Gefahr aus, dass jemandneugierig wird und es mitnimmt. Denn nach wievor werden eigentlich keine Bücher ausgeliehen– ausser Belletristik, denn vielleicht wissen nicht alle, dass Belletristik mit «schöngeistigerLiteratur» übersetzt wird – und wer will schon im ungemütlichen Archiv-Keller ein «schöngeis-tiges» Buch lesen… Ich verweise auf meineKolumne im letzten Jazzletter.

IN MEMORIAM

Der Jazzletter erscheint 2–3 x jährlichRedaktion: Jimmy T. Schmid (J.T.S.) Layout: Walter Abry (WA)Copyright: swissjazzorama.chIm Werk 8, 8610 Uster Tel. ++41(0)44 940 19 [email protected] www.jazzorama.chContact pour la Suisse romande: Christian SteuletTél. 079 890 67 53, [email protected] per la Svizzera italiana: Nicolas GillietTel. 079 428 97 65, [email protected] dieser Nummer: Walter Abry, RenéBondt, Andrea Engi, Bruno Gut, Mike Mueller,Jacques Rohner, Fernand Schlumpf (fs)Jimmy T. Schmid, Irène Spieler, Albert Stolz (as)

IMPRESSUM

BLICK INS ARCHIV

Ornette Coleman* Afroamerikanischer Altsaxofonist10.3.1930–11.6.2015Der Altsaxofonist Ornette Coleman überraschteMitte der Fünfzigerjahre mit einem absolutneuartigen Jazzstil. Er gilt zu Recht als einer derherausragenden Pioniere des Free Jazz.

Umberto Arlati*Schweizer Trompeter. 22.6.1931– 4.5.2015Der Oltener Umberto Arlati war ein ausgezeich-neter Bebop-inspirierter Solist. Er war einer derWegbereiter des modernen Jazz in der Schweiz.2010 erhielt er den Solothurner Kunstpreis.

Orrin KeepnewsUS-amerikanischer Musikproduzent 2.3.1923–1.3.2015Seit den Neunzigerjahren setzte sich Orrin Keepnews immer wieder mit Erfolg für dieWiederveröffentlichung historischer Jazzauf-nahmen ein. Für seine journalistische Arbeitwurde er mehrfach ausgezeichnet.

Bruce Lundvall US-amerikanischer Musikproduzent 13.9.1935–19.5.2015Der in New Jersey geborene Bruce Lundvall leitete während 25 Jahren mit grossem Erfolgdas Platten-Label Blue Note. Er förderte zahl-reiche berühmte Jazzmusiker.

Bruno Rub Schweizer Jazzjournalist und Radioredaktor16.9.1944–20.5.2015Der Badener Bruno Rub war während vieler JahreJazzredaktor bei Radio DRS2. Er war auch jour-nalistisch erfolgreich auf dem Gebiet des Jazztätig, u.a. für die Zeitschrift JAZZ’N'MORE.

Peter Schmidlin*Schweizer Schlagzeuger. 28.12.1947– 25.5.2015In Riehen geborener Drummer, der mit Erfolg mit den besten Jazzmusikern der letzten Jahrzehnte zusammenspielte. Seit 1991 warPeter Schmidlin Leiter des Jazz Labels TCB.

Gunther Schuller*US-amerikanischer Hornist, Musikwissenschafterund Dirigent. 22.11.1925–21.6.2015Er spielte Horn im Cincinnati Symphony Orchestra und im Orchester der MetropolitanOpera und machte Jazz mit bedeutenden Musikern wie Dizzy Gillespie und Miles Davis.

Siro SpörliSchweizer Trompeter. 13.5.1931– 4.2.2015Siro Spörli hat Wesentliches zur Entwicklung des Luzerner Jazzbetriebes beigetragen.Unter anderem war er Mitglied des bekanntenLighttown-Oktetts.

John Ward Belgischer Schlagzeuger. 15.12.1927– 12.5.2015Als Swingdrummer mit Bebop-Einschlag warJohn Ward während 25 Jahren mitverantwortlichfür die Jazzqualitäten des Hazy Osterwald-Sextetts. René Bondt porträtierte ihn im März2013 für den Jazzletter Nr. 27.

* Die mit einem Stern gekennzeichneten Verstorbenen werden wir demnächst mit einem Porträt würdigen. J.T.S.

Papier ist nicht geduldigVon der Wortbedeutung

Bücher im SJO zum Thema «Jazzunter den Nazis»sind zu finden unter dem Stich-wort «National-sozialismus» imFeld «Thema».Wagen Sie einenBesuch auf archivdaten.jazzorama.ch

Bruno Gut

Mit einem Riesen-Effort der Verantwortlichensind nun unsere Archivbestände für jedermannzuhause abrufbar.

Ein Beispiel:Eine unserer Prioritäten ist die Erfassung der«Simmen-Sammlung». Zwei Crew-Mitgliederarbeiten zurzeit nur für diese umfangreicheSammlung. Vorerst werden die Tonträger erfasst.

Bereits sind über 1700 LPs bearbeitet.Sie suchen nun eine spezielle LP aus dieserSammlung und wollen die Einträge dazu aufihrem PC ansehen. Wie gehen Sie vor?Schritt 1: Gehen Sie im Internet aufwww.jazzdaten.ch oder über unsere Webseitewww.jazzorama.ch und klicken dann in derlinken Spalte unten auf «Jazzdaten.CH».Schritt 2: Geben Sie im Suchfeld den Code fürdie «Simmen-Sammlung» ein. Dieser ist: S-LP-*Diese spezielle Suche ist nur möglich, weil dieGesamtsammlung «Simmen» als Ganzes separaterfasst wird. So verbleiben auch Tonträger-Dop-pel in dieser Sammlung, obwohl sie im Archivdes swissjazzorama schon vorhanden sind.(Anderes kann unter irgendeinem Stichwort ge-sucht werden: Musiker- oder Bandnamen, Titeleines Musikstückes, Schallplattenmarke usw.). Schritt 3: Es erscheinen alle bis zum heutigenDatum erfassten Einträge der Simmen-LPs:Album Archivnummern (1775).(Die Zahl in Klammern ist die Anzahl der andiesem Datum erfassten Langspielplatten. Je mehr erfasst sind, umso grösser ist die Zahl).Schritt 4: Klicken Sie auf das Feld «Album-Archivnummern» und es erscheinen alle bishererfassten LPs auf dem Bildschirm, sortiert nachden Archivnummern.Schritt 5: Sie finden ein spezielles Album, wo-rüber Sie mehr Informationen suchen. Klicken Siedas Album an, und es erscheint der kompletteEintrag mit den Details, die auf dem Platten-Cover angegeben sind.Weitere Schritte: Sie finden einen Fehler oderSie haben mehr Details über das Album, dannklicken Sie doch bitte auf das Feld «Kontakt»ganz oben rechts, und Sie können der Crew eineMitteilung hinterlassen.Ideen: Sie möchten die Platte ansehen oderanhören, dann senden Sie einen «Kontakt»,und Sie werden von einem Crewmitglied ange-sprochen werden.Für Mitglieder des Vereines swissjazzorama.chsind auch Besuche im Archiv und weitere Dienst-leistungen möglich. Werden Sie doch einfachMitglied. Auch das können Sie auf dem Kontakt-feld angeben.Bemerkungen zur Sammlung Simmen:Nicht wenige LP-Hüllen enthalten spannendepersönliche Notizen von Johnny Simmen.Johnny Simmen war der legendäre, weltweitbekannte Jazzkenner- und Förderer.TausendeArtikel in Dutzenden von Jazz-Zeitschriftenmachten ihn bei Jazzkritikern, Jazzfans, aberauch bei Jazzmusikern bekannt. Über ihn habenwir im Jazzletter Nr. 28 (August 2013) und Nr. 29 (Januar 2014) in grösseren Beiträgenberichtet. Fernand Schlumpf

Unsere erfassten Archivbe-stände sind jetzt im Internet