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Jüdischer Almanach der Leo Baeck Institute. Israel von Gisela Dachs 1. Auflage Jüdischer Almanach der Leo Baeck Institute. Israel – Dachs schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Jüdischer Verlag 2008 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 633 54230 7

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Leseprobe

Dachs, Gisela

Jüdischer Almanach

Israel

Herausgegeben von Gisela Dachs. Redaktionelle Beratung: Na'ama Sheffi, Adina Stern. Mit

Fotos von Shlomo Arad

© Jüdischer Verlag

978-3-633-54230-7

Jüdischer Verlag

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J�DISCHERALMANACH

der Leo Baeck Institute

IsraelHerausgegeben von

Gisela Dachs

J�discher Verlagim Suhrkamp Verlag

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Redaktionelle Beratung:Na’ama Sheff i, Adina Stern

Umschlagabbildung:Wegweisertafel in Israel (� Shlomo Arad)

Erste Auflage 2008� f�r diese Zusammenstellung J�discher Verlag im Suhrkamp Verlag;

f�r die einzelnen Beitr�ge bei den Autorinnen und Autoren� f�r alle Photos: Shlomo Arad

Frankfurt am Main 2008Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,

des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotograf ie, Mikrof ilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Satz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Printed in GermanyISBN 978-3-633-54230-7

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INHALT

Zu diesem Almanach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

fania oz-salzberger Vieles anders, aber dochvertraut: Wenn sich die einstigen zionistischenTr�umer heute auf Israel-Reise begeben w�rden . . 12

zeev tzahor Der neue Israeli . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

gil yaron Bekenntnisse eines (�berzeugten)Einwanderers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

gisela dachs Das Ph�nomen Yossi Vardi oder:Warum die israelische High-Tech-Industrieso erfolgreich ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

shimon adaf Peripherie versus Zentrum oder:Das zweite Israel im Abseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

amir gutfreund Kofmans Laden . . . . . . . . . . . . . . 63

ram vromen 24 Stunden Auszeit: Wie und warums�kulare Israelis Jom Kippur begehen . . . . . . . . . . . 79

wladimir struminski Gottes Technik.Wie israelische Rabbiner und Wissenschaftlermoderne Technologie dem j�dischenReligionsgesetz anpassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

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martina keller Nachwuchs um jeden Preis . . . . . . 100

yael munk Schauplatz Tel Aviv: Die s�kulareMetropole im israelischen Film . . . . . . . . . . . . . . . 107

gadi taub J�disch versus demokratisch?oder: Die Sehnsucht nach einem »legitimen«Nationalstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

oz almog Ein freies Volk in unserem Land oderein freier Mensch im globalen Dorf. Ein f iktiverDialog �ber die Gebrechen der israelischenGesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

kinneret rosenbloom I love you, Terminal.Das Ausland – Eine israelische Perspektive . . . . . . 136

chaim noy Die große Reise mit dem Rucksack . . . . 145

pierre heumann »Wurzeltourismus« in Polen . . . . . 151

yigal zalmona Die israelische Kunst und derOrient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

eran j. rolnik Freuds Pioniere . . . . . . . . . . . . . . . . 168

Zu den Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . 179

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ZU DIESEM ALMANACH

Das moderne Israel ist ein Staat, der aus einer Idee herausgeboren wurde. Er sollte Antwort sein auf Verfolgung undMinderheitendasein der Juden in aller Welt. Was TheodorHerzl ertr�umt hatte, setzte David Ben Gurion 1948 in dieWirklichkeit um.Daß aus dem Traum von einem unabh�ngigen j�dischenStaat Realit�t wurde,war alles andere als selbstverst�ndlich.Der diesj�hrige Almanachwidmet sich zum 60. Geburtstagdes Staates Israel der heutigen Wirklichkeit in Israel – das,was f�r die Israelis l�ngst ganz selbstverst�ndlich zu ihremAlltag gehçrt, wird in den Blick genommen.Mit einer Auswahl von Aspekten, die keinen Anspruch aufVollst�ndigkeit erheben mçchte, soll hier der »israeliut« nach-gegangenwerden, derMischung von spezif ischenund nichtselten widerspr�chlichen Momenten, die das Leben inIsrael heute ausmachen. Wenn es einen gemeinsamen Nen-ner gibt, dann ist es vielleicht der permanente Wandel, indem sich die �beraus dynamische israelische Gesellschaftbef indet. Herzls Traum ist wahr geworden, wenn auch an-ders, als er es sich einst in Wien ausgemalt hatte.Was von den Vorstellungen der zionistischen Tr�umer inErf�llung gegangen ist – und was nicht –, zeigt FaniaOz-Salzberger in ihrem Erçffnungsbeitrag auf. Sie nimmtsechs ber�hmte Vordenker, nach denen l�ngst �berall imLand Straßen benannt sind, auf eine imagin�re Reise durchsheutige Israel mit. Auch wenn sie �ber manches staunenm�ssen, kommt ihnen doch vieles vertraut vor.Zeev Tzahor zeichnet die verschlungene Entstehungsge-

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schichte der israelischen Gesellschaft nach. Die zionisti-schen Pioniere wollten einen »neuen Menschen« und eine»neue Gesellschaft« schaffen, ihre »neuen Hebr�er« aber ha-ben nur wenig mit den heutigen Israelis gemein. Das aberbedeute, so argumentiert Tzahor, noch lange kein Schei-tern: Vielleicht liege der israelische Erfolg paradoxerweisegerade darin, den Traum von einem »neuen Menschen« indie Realit�t eines ganz normalenMenschen in einer norma-len Gesellschaft verwandelt zu haben.Noch immer entscheiden sich Einwanderer aus anderenL�ndern daf�r, bewußt Teil dieser israelischen Gesellschaftmit all ihren Ecken und Kanten zu werden. Gil Yaron, derin den 1990er Jahren aus Deutschland eingewandert ist,beschreibt, was den Alltag in Israel f�r ihn so lebenswertmacht.L�ngst hat sich das »Kibbuz-Land, in dem die Orangen bl�-hen«, in ein prosperierendes High-Tech-Land verwandelt.Internetguru Yossi Vardi, der als einer der ersten Israelisschon vor Jahrzehnten in die Branche investiert hat undheute junge Talente fçrdert, erz�hlt uns mehr �ber die In-gredienzien dieses typisch israelischen Erfolgsrezepts.Doch hat dieser Erfolg auch seine Schattenseiten, die sichin einem wachsenden sozialen Gef�lle manifestieren. Ne-ben der Wohlstandsgesellschaft des High-Tech-Israel gibtes auch ein zweites Israel im Abseits. �ber die schon mitden großen Einwanderungswellen kurz nach der Staats-gr�ndung entstandene Kluft zwischen Zentrum und Pe-ripherie schreibt Shimon Adaf, der in der ProvinzstadtSderot aufgewachsen ist.Die Pole eines anderen Kontrasts, der das israelische Lebentief pr�gt, sind Weltlichkeit und Religiosit�t. Was passierenkann, wenn die so unterschiedlichen Welten der S�kularenund der Frommen im Alltag zuf�llig aufeinandertreffen,

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erz�hlt Amir Gutfreund in seiner Geschichte »KofmansLaden«.Am hçchsten j�dischen Feiertag Jom Kippur kommt dasgesamte Land 24 Stunden lang zum vçlligen Stillstand.Ram Vromen hat sich mit diesem Ph�nomen besch�ftigt,dem sich auch s�kulare Israelis nicht ganz entziehen kçnnenoder wollen.Wladimir Struminski gew�hrt einen Einblick in die Arbeitdes Wissenschaftlich-Technologischen Halacha-Institutsin Jerusalem, dessen Mitarbeiter erf indungsreich modern-ste Technologien und Religionsgesetz miteinander in Ein-klang zu bringen versuchen, um das Leben der Menschenzu verbessern, ohne gegen Gottes Gebote zu verstoßen.Wohl in keinem anderen Land ist man gegen�ber der mo-dernen Fortpflanzungsmedizin so aufgeschlossen, auch vonreligiçser Seite gibt es keine rigiden Vorbehalte. Der Kin-derwunsch in Israel kennt kaum Grenzen. �ber die g�n-gige Praxis, Nachwuchs um jeden Preis zu zeugen, schreibtMartina Keller.Zwischen der »Heiligen Stadt« Jerusalem und der s�kularenK�stenmetropole Tel Aviv und den damit verbundenenLebensentw�rfen hat schon immer eine Rivalit�t bestan-den. Die einheimischen Filmemacher haben hier eine klareOption: �ber die Vorliebe des israelischen Films f�r den»Schauplatz Tel Aviv« schreibt Yael Munk.Die politische Debatte kreist heute mehr und mehr um dieFrage, ob Israel zugleich ein j�discher und ein demokrati-scher Staat sein kann. Angesichts der sich zuspitzenden Po-sitionen »j�disch versus demokratisch« pl�diert Gadi Taubin seinem Beitrag f�r eine differenziertere Sichtweise.Harsche Selbstkritik gehçrt genauso zum israelischen Da-sein wie dessen leidenschaftliche Verteidigung, dies f�hrtbeispielhaft Oz Almog in seinem fiktiven Streitgespr�ch

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�ber den Zustand der heutigen Gesellschaft zwischen ei-nem Großvater und seinem Enkel vor Augen.Israeli zu sein heißt aber heute auch, die enge Heimat gerneeinmal f�r eine Weile zu verlassen. Kinneret Rosenbloombeschreibt die besondere Liebe zum internationalen Ben-Gurion-Flughafen und kommt zugleich auf die Grenzendes israelischen Traums vom Ausland zu sprechen. UmsReisen geht es auch in dem Beitrag von Chaim Noy, dersich mit dem typisch israelischen Ph�nomen der »großenRucksacktour« besch�ftigt, all den jungen Frauen undM�n-nern, die es nach dem Armeedienst erst einmal f�r eine l�n-gere Zeit in den FernenOsten oder nach S�damerika zieht.Ein neueres beliebtes Reiseziel ist Polen. Pierre Heumannbeschreibt, wie sich immer mehr Israelis in dem Land, daslange bei Israelis vor allem f�r den Ort der Vernichtungder europ�ischen Juden stand, auf Wurzelsuche begebenund sich so auf ganz persçnliche Weise mit der Shoah aus-einandersetzen.Israel liegt mitten im Orient und ist vom Okzident ge-pr�gt. Yigal Zalmona geht der Frage nach, in welchen For-men dieses Bem�hen um die eigene Verortung zwischenOrient und Okzident in der Kunst Ausdruck gefundenhat.Heute ist die israelische Gesellschaft viel offener daf�r, dieVielfalt ihrer Identit�ten kennenzulernen und anzuerken-nen. In seinem Schlußbeitrag beschreibt Eran Rolnik, wieerstaunlich fr�h die Psychoanalyse aus Europa ihren Wegnach Zion gefunden und ihren spezif ischen Beitrag imRingen der israelischen Gesellschaft um ihr Selbstverst�nd-nis geleistet hat, ein Prozeß, der auch heute noch nicht ab-geschlossen ist.Langweilig wird es auch in Zukunft nicht werden. Undwenn die zionistischen Vordenker in zehn Jahren wieder

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durchs Land reisen w�rden, dann gerieten sie sicherlich er-neut ins Staunen.Die Photos in diesem Almanach – Momentaufnahmen ausdem heutigen Israel – stammen von Shlomo Arad.

Gisela Dachs, Tel Aviv/Jerusalem

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FANIA OZ-SALZBERGER

VIELES ANDERS, ABER DOCH VERTRAUT:

WENN SICH DIE EINSTIGEN

ZIONISTISCHEN TR�UMER HEUTE AUF

ISRAEL-REISE BEGEBEN W�RDEN

»Entscheidend ist nur, daß solche Tr�ume,wie Marx wußte, sich nie verwirklichen.«

Hannah Arendt

»Tr�ume keine kleinen Tr�ume, denn sie haben nicht die Kraft,die Herzen der Menschen zu bewegen.«

Goethe

Große Tr�ume werden, wie der Zionismus eindringlichgezeigt hat, wahr, aber nie ganz so, wie sie getr�umt wur-den.Anl�ßlich des 60. Geburtstags des Staates Israel will ichdem kleinen Traum nachh�ngen, sechs große zionistischeTr�umer – Herzl, Achad Ha’am, Nordau, Bialik, Katznel-son und Jabotinsky1 – auf einen langen Stadtbummel durchdie Tel Aviver Innenstadt mitzunehmen.Wir treffen uns aneinem milden Winterabend, trinken schon einmal eine er-ste Runde (einen ausgezeichneten israelischen SauvignonBlanc) und schlendern durch die sechs Straßen, die ihreNamen tragen.Viel Verkehr, Gedr�nge, Touristen aus aller Welt, baumbe-standene alte Alleenund renovierte Bauhausblocks,�berf�ll-te Caf�s, israelische Gourmet-Restaurants und Falafel-St�n-de zur Gen�ge. Unseren alten Zionisten wird schwindelnvor Staunen �ber den halb europ�ischen, halb mediterra-nen Little Apple, der auf diesen Sandd�nen gewachsen ist.

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Ich wette, Jabotinsky regt als erster eine zweite Runde Ge-tr�nke an.Es wirdNacht in Tel Aviv. Zwei Gymnasiastinnen erkl�renHerzl mit russischem Akzent den Ursprung des Namensder Stadt, »Fr�hlingsh�gel«, nach demTitel der hebr�ischen�bersetzung von Altneuland, und er nickt �berrascht: Hatmein kleines Buch so weitreichende Folgen gehabt? In derStraße, die nach ihm benannt ist, mischen sich tats�chlichAlt und Neu, ein Hauch gutbetuchter Stadtnorden mitGastarbeitern und Trauergestalten aus dem S�den derStadt. Achad Ha’am, ein Mann des Geistes, wird die Im-mobilienpreise in »seiner« Straße nicht glauben wollen.Aber sicher gef�llt ihm die Architektur (h�bsch in altemGlanz restauriert) sowie die Musikszene und das alterna-tive Theater. Ach, Tel Aviver Nachtleben, wer h�tte dichdamals ertr�umt? Hippe Jugendliche flanieren vor�ber,Clubber und K�nstler und junge Soldaten auf Wochen-endurlaub. Weißt du noch, Max Nordau, wie sehnlich dudir ein »Muskeljudentum« gew�nscht hast? Komm mitins n�chste Fitness-Center, da f�llt dir vor Staunen dasKinn herunter.Da unsere Nacht in Tel Aviv ein voller Erfolg war, bleibenunsere Fr�hzionisten noch ein wenig l�nger. Am n�chstenTag nehmen wir sie mit ins nçrdliche Galil�a und �ber-nachten in einem Kibbuz-G�stehaus. Gr�ne H�gel, roteZiegeld�cher, ein schneebedeckter Berggipfel vor leuch-tend blauem Himmel, graue Flecke in den W�ldern, woim Sommer 2006 Hisbollah-Granaten eingeschlagen ha-ben. Mit dem Fernglas aber kann man weit schlimmeregraue Flecke auf der libanesischen Seite der Grenze entdek-ken. Und inmitten der Felder und Apfelg�rten ein Jacuzzi-Spa.Am Hermon sehen unsere G�ste Skil�ufer hinunter- und

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gepanzerte Fahrzeuge mit Soldaten in voller Montur hin-auffahren. Kein Frieden mit euren Nachbarn? seufzenHerzl und Achad Ha’am in ungl�ubiger Best�rzung. Nichteinmal die volle Anerkennung von Israels Existenzrecht,antworten die Gastgeber. Und am çstlichen Horizont lau-ern tçdliche Waffen, die sich ein Vision�r des 19. Jahrhun-derts in seinen schlimmsten Alptr�umen nicht h�tte vor-stellen kçnnen. Der Antisemitismus grassiert wieder inder Welt, und es scheint, der j�dische Staat ist den Antise-miten zum neuen globalisierten Juden geraten. Sie hassenihn ohne Zusammenhang, ohneMaß,weit hinaus �ber einefaire Kritik an seinen Taten und Untaten gegen�ber seinenarabischen Feinden. Sie hassen ihn einfach, weil er da ist.Das hatte ich nicht beabsichtigt, rufen Herzl und Nordaugemeinsam. Aber ich wußte es, ich habe es erkannt, h�ltJabotinsky dagegen: Juden werden sich noch lange vertei-digen m�ssen.Aber seht euch doch um, ruft Katznelson. Seht euch dieLandwirte und die Urlauber und die Studenten an. Araberund Juden studieren Kunst und Technik, Frauen aus tradi-tionellen Familien erhalten High-Tech-Ausbildungen. Unddie Lastwagen voll frischen �pfeln und gutem Wein. DerJordan ist tief und breit? Nein, eher nicht. (Unsere sechsZionisten sausen jetzt in Kajaks den schnell strçmendenFluß hinunter.) Aber Milch und Honig gibt’s, keine Frage.Und »der Finger Galil�as«, der nçrdlichste Teil Israels, woTel Chai standhielt und Metulla sich an den Erdbodenkrallte, strotzt von derselben Energie, die Israel fast �beralldurchstrçmt. Mit sechzig ist diese Gesellschaft, trotz man-cher Unkenrufe und Ger�chte, noch jung.Und seht euch diese Kibbuzim an, schiebt Berl nach. (DieKajakfahrt haben wir hinter uns gebracht, Bialik gerettet.)Wir haben sie als Mustergesellschaften aufgebaut. Modelle

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halten niemals ewig. Sie sind nicht mehr die radikalen Ex-perimente in sozialistischer Gleichheit, deren Pioniere wirmit Leib und Seele waren. Berl seufzt, aber tut er es nichtaugenzwinkernd? Sie verkaufen Land, zahlen gestaffelteLçhne, betreiben Einkaufszentren. Aber sie sind da, gr�nund wunderbar, zum Teil privatisiert, aber immer noch le-bendig. Immer noch engagiert. In aller Stille gew�hren sieFl�chtlingen aus Darfur Unterkunft und Verpflegung, sen-den ein Signal menschlicher Solidarit�t an die israelischeGesamtgesellschaft. Junge Familien kommen jetzt in Scha-ren, um beizutreten.Im s�dlichen Galil�a sehen sich die zionistischen Tr�umerein arabisches Dorf und eine j�dische Entwicklungsstadtan. Dort werden sie hart mit der sozialenWirklichkeit kon-frontiert, die vielschichtiger ist, als sie es je h�tten ahnenkçnnen. Herzl wird traurig feststellen, daß Israels arabischeStaatsb�rger noch nicht den Wohlstand und die Gleichstel-lung erreicht haben, die der Zionismus seines Stils ihnenh�tte bescheren sollen. Katznelson wiederum r�gt bitterdie Armut vieler Juden und Araber und beklagt, daß Israelssozialdemokratische Vision im argen liegt. Doch Bialikwird halb sarkastisch, halb weise vor sich hin murmeln:Das hier ist eine normale Gesellschaft. Ein Staat unter ande-ren. Und sicher nicht der schlechteste.In Kfar Vradim besuchen sie Stef und Eitan Wertheimersgl�nzend florierenden Industriebetrieb, und die ganze Strek-ke nach S�den zu Herzlias High-Tech-Bastionen witternsie den Hauch von Wirtschaftserfolg, Intelligenz, harterArbeit und regem Verstand. Weiter s�dlich dann, in dennanotechnologischen Laboren des Weizmann-Instituts undnochweiter unten, imNegev,wo ihre europ�ischen Augenin der Sonne blinzeln, sehen sie neue hydrotechnische Pro-jekte, die ersten Ans�tze großer zukunftsweisender Anla-

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gen, die an der israelisch-jordanischen Grenze entstehen.Und Herzl, ganz in seinem Element unter den technik-begeisterten Tr�umern j�ngerer Generationen, wird er-kennen, daß die neue Gesellschaft, die er sich ertr�umte,niemals ihre Vision verloren hat. Daß auch heute, von Schi-mon Peres �ber dieWertheimers bis hin zu zahlreichen jun-gen M�nnern und Frauen, die Kreativit�t m�chtig amWerk ist. Ichwar wie ihr,wird man Herzl zu einem jungenIngenieur in einer kleinen Start-up-Firma in Haifa sagenhçren: Ich habe auch unkonventionell gedacht.Auf einem Universit�tscampus h�lt Achad Ha’am inne,um sich mit ein paar sogenannten postzionistischen Histo-rikern und Soziologen zu unterhalten. Er ist ein weiserMann, der alte Ascher Ginzberg, kommt gut mit ihnen zu-recht, wie sie auch mit ihm. Er weiß, daß nur eine winzigeMinderheit der heutigen Zionismuskritiker wirklich demumgekehrten Traum nachh�ngt, den j�dischen Staat in denNebel der Geschichte entweichen zu sehen, wie ein in dieFlasche zur�ckgezwungener Geist. Er weiß, daß mancheInterpretationen des j�disch-arabischen oder pal�stinen-sisch-israelischen Konflikts heute mit empçrender, schwin-delerregender Schlichtheit vorgebracht werden. Aber AchadHa’am weiß ebenso wie viele Israelis im Inneren ihres Her-zens, daß manche Kritik berechtigt, seriçs und hilfreich ist,daß die israelische �ffentlichkeit sie aufgreifen kann, daßIsrael sie sich heute leisten darf.Achad Ha’am verlangt, daß wir eine schwierige Tour durchdieWest Bank unternehmen, und ichwillige ein. Jud�a undSamaria sollen wir auf Jabotinskys ausdr�cklichen Wunschsagen. So besuchen unsere fr�hen Zionisten denn j�discheSiedlungen (einige von ihnen richtige St�dte) und arabi-sche St�dte und Dçrfer. Sie verbringen ein paar Stundenan einer Straßensperre, einer Einrichtung, die durchaus j�-

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dische Leben vor Terroristenangriffen sch�tzen mag, aberauch viele arabische Leben elend macht. Unnçtig elend, er-laube ich mir einzuwerfen. Meine fr�hzionistischen Rei-segef�hrten werden mir mit Sicherheit alle etwas darauferwidern, die Aussichten auf einen israelisch-pal�stinensi-schen Frieden in unserer Zeit jeder auf seineWeise analysie-ren. Ja, sie werden sich sogar ziemlich vehement unterein-ander streiten, typisch israelisch, kçnnte man sagen. Aberich will ihnen in diesen Fragen, die offene Wunden ber�h-ren, keine Worte in den Mund legen. Das w�re unfair.Und nun auf nach Jerusalem. Zuerst besichtigen sie YadVashem. Von meinen sechs Gef�hrten hat nur Berl dieShoah zu Lebzeiten vor Augen gehabt. Er schickte j�discheFallschirmspringer ins besetzte Europa und machte sich f�rdie illegale Einwanderung von �berlebenden stark. Aberer starb zu fr�h, 1944, um das unvorstellbare Ausmaß zu er-ahnen. Allerdings hat Berl vorausgesagt, daß danach ein j�-discher Staat entstehen m�sse und werde. Keiner unsererfr�hen Zionisten konnte den Holocaust kommen sehen.Ihr Besuch in Yad Vashem wird in ersch�tterter Stille en-den m�ssen – der Stille derjenigen, die auf tragische Weiserecht gehabt haben, weit �ber ihre schlimmsten Erwartun-gen hinaus.Herzl hat sich in Jerusalem nie wohl gef�hlt,weder persçn-lich noch in seiner literarischen Phantasie. Auch heutewirder sich, meine ich, in dieser Stadt mit ihrer Ultraorthodo-xie, ihrer fanatischen Ader, ihrem streng historischen Blickeher verloren vorkommen. Jabotinsky hingegen ist sicherbegeistert, vielleicht sogar zu Tr�nen ger�hrt, wie groß-artig alles ist: die erleuchteten Altstadtmauern bei Nacht,der gediegeneGlanz desOberstenGerichtshofs, die h�bschalternden Steinh�user in Rechavia, die optimistische Archi-tektur der Knesset und des Israel Museums. Achad Ha’am

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wird besorgt sein �ber die Beziehungen zwischen Ortho-doxen und Freidenkern, �ber die zahlreichen Jerusalemer,die die Wahrheit gepachtet zu haben meinen und nichtzuhçren wollen. Aber wie in Tel Aviv ist Achad Ha’amauch hier nicht vergessen. Er wird zitiert, studiert, disku-tiert. Sein Bem�hen um ein kulturelles, geistiges Judentumtaucht aus der Versenkung auf, erwacht zu neuem Leben,zieht im Verborgenen Kreise.Irgendwann lassen Berl und ich die großen alten M�nnerim Rosengarten spazierengehen und sehen uns ein Fußball-spiel an. Es gibt eine neue Mannschaft in der Stadt, HapoelKatamon, eine Basisinitiative, ein waschechter roter Erbeder großen Hapoel-Tradition. Und sobald das Spiel be-ginnt, sind Berl und ich mit Herz und Seele dabei.Gef�llt ihnen das, was sie in der Knesset zu hçren bekom-men,woman sie unauff�llig auf die Besuchergalerie winkt?Was halten sie von der israelischen Psyche, wie sie sich inden hehren Hallen des Obersten Gerichtshofs offenbart?Ich kann es nicht wissen und traue mich nicht zu raten. Sol-len die zionistischen Tr�umer zuschauen und zuhçren, wieJerusalem dem allt�glichen Regierungsgesch�ft nachgeht.Eine komplizierte, unvollkommene, liberale Demokratieist am Werk. Sie ringt mit zahlreichen Kr�ften, die feind-selig, antiliberal, antidemokratisch oder schlichtweg anti-israelisch sind. Manchmal ringt sie auch mit sich selbst. Un-sere zionistischen Tr�umer sind z�he K�mpfer: Sie werdenbegreifen m�ssen, daß ihr Traum Wirklichkeit gewordenist, morastige und tr�be und st�ndig im Wandel bef ind-liche Realit�t. Keine Utopie. Kein Arkadien. Kein Paradiesauf Erden.Wir verzehren auf dem Machane Jehuda Markt ein einfa-ches, aber schmackhaftes Mahl – Herzl tut sich schwermit Humus, Nordau l�ßt sich das Goldstar Bier schmek-

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ken –, und danach gehen wir zum Busbahnhof, um einenEgged-�berlandbus zu nehmen.Meine zionistischen Tr�u-mer kçnnen sich alle gemeinsam auf die R�ckbank zw�n-gen. Die gesamte erste Alija, daran muß man in diesem Au-genblick denken, w�rde sich heute m�helos in ein oderzwei Straßen in Beer Scheva unterbringen lassen. So kçn-nen wir es uns gem�tlich machen, und der Fahrer stelltdas Radio schçn laut an.W�hrend der Bus die kiefernbestandenen H�nge hinab-f�hrt, die jetzt gr�n und mit Blumen und Pilzen �bers�tin der barmherzigen Wintersonne liegen, werden unsereFr�hzionisten kurz mit israelischer Musik konfrontiert.Fusion klingt dagegen wie ein Understatement. Sie �ber-steigt Alt und Neu, Ost und West, Jazz und Folk, �thio-pisch und Spanisch und Russisch und Marokkanisch. DieTexte sind hervorragend, ausdrucksvoll. Und ich kann Bia-lik schon im Takt mitwippen sehen, denn hier macht einejunge Rockgruppe etwas vçlligNeues mit einem seiner Ge-dichte. Stçrt es dich, Chaim Nachman? Was, �ber siebzigJahre nach meinem Tod vertont und neu interpretiert zuwerden? Willst du mich aufziehen?Eine Reihe vor meinen m�den Fr�hzionisten sitzt ein jun-ges Paar. Stammen seine Vorfahren aus Tunesien, die ihrenaus der Ukraine? Wer kann das noch wissen, außer beimSchabbatessen am Freitagabend? Aber hçrt euch das Hebr�-isch der beiden an und horcht genau hin. Es ist nicht direktbiblisch, nicht direkt zweite Alija. Es ist lebendig, spr�-hend, slangdurchsetzt. Dieses Hebr�isch, dieses grçßte lin-guistische Start-up-Unternehmen des 20. Jahrhunderts!Herzl setzt sich verwirrt im Sitz auf. Ich hatte gedacht,sie w�rden hier Deutsch reden, murmelt er. Aber Bialikund Jabotinsky, beide große Hebraisten, grinsen ihn an.Heute machen mehr Menschen Liebe auf hebr�isch als auf

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d�nisch, mußt du wissen. Mehr Menschen schreiben B�-cher und Aufs�tze in Hebr�isch als in çsterreichischemDeutsch. Gewiß, lieber Theodor, lieber Benjamin Se’ev,dein Traum ist gr�ndlich ver�ndert, aber quicklebendig.Selbst Tr�ume, die du nie getr�umt hast, sind hierzulandelebendig.Und so verlasse ich sie, die zionistischen Tr�umer, steigestill und leise an meiner Haltestelle aus und lasse die Gr�n-derv�ter des Zionismus in den Dunst entschwinden. Michfaszinieren sie alle. Sie sind so unterschiedlich. Das heutigeIsrael spiegelt ihre Verschiedenartigkeit wider – und vieleandere Tr�ume obendrein. Nat�rlich ist der Staat Israelnicht aufgrund eines einzelnen Traums oder einer einzel-nen Person entstanden, obwohl Herzls Traum vom j�di-schen Staat ihm manchmal erstaunlich nahekommt. W�h-rend ich dem sich entfernenden Bus nachwinke, mçchteich jedoch folgendes sagen: Wenige Tr�umer haben so gutgetr�umt – vielleicht weil sie so hellwach waren. WenigeTr�umer waren so hoffnungsvoll, trotz der dunklen Wol-ken, die sie an Europas Horizont aufziehen sahen. WenigeTr�umer in der Weltgeschichte sind so ungeheuer weitge-gangen.Kommt in zehn Jahren wieder, lieber Theodor, Ascher,Max, Chaim Nachman, Berl und Wladimir-Se’ev. Es wirdnicht langweilig werden, das kann ich euch jetzt schon sa-gen. Lehitraot – auf Wiedersehen.

Aus dem Englischen von Ruth Achlama.

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