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Jean-Michel Basquiat. Der afro-amerikanische Kontext seines Werkes DISSERTATION zur Erlangung der Würde des Doktors der Philosophie der Universität Hamburg vorgelegt von Susanne Reichling aus Mannheim Hamburg 1998

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Jean-Michel Basquiat.Der afro-amerikanische Kontext seines Werkes

DISSERTATIONzur Erlangung der Würde des Doktors der

Philosophie

der Universität Hamburg

vorgelegt von

Susanne Reichling

aus Mannheim

Hamburg 1998

1. Gutachter: Prof. Dr. Wolfgang Kemp

2. Gutachterin: Prof. Dr. Monika Wagner

Tag des Vollzugs der Promotion: 20. Januar 1999

In Erinnerung an meine Oma, Helene Schultheiß

INHALT

1. Einleitung

1.1 Forschungsstand und Ausstellungsgeschichte 1

1.2 Zur bisherigen kunsthistorischen Einordnung Basquiats 6

1.3 Das "Phänomen Basquiat" 11

1.3.1 Biographie: Version A 11

1.3.2 Julian Schnabels Film "Basquiat" 17

1.3.3 Biographie: Version B 20

1.4 Basquiats Rezeption in der (artistic) "black community" oder 27

"Nobody Loves a Genius Child"

2. Basquiats Collage-, Zitat- und Codierverfahren

2.1 Einführung in Basquiats Werk 33

2.2 Collage 34

2.3 Schrift im Bild 36

2.4 Basquiats Collageverfahren als visuelle Umsetzung der 37

musikalischen Strategie des "Sampling"

2.5 Basquiats Zitatverfahren 41

2.6 Basquiats Codierverfahren als visuelle Anwendung der 43

afro-amerikanischen Rhetorik des "Signifying"

2.6.1 Der Ursprung des "Signifying": Bildlektüre "Moses and the Egyptians" 46

2.6.2 Superman ist Dambala: Bildlektüre "Ascent" 48

3. Basquiats als Erforscher, Archivar und Vermittler

afro-amerikanischer Kultur und Geschichte

3.1 Neo-Expressionismus oder Kontext-Kunst? 53

3.2 Basquiat als "Griot" 56

3.3 "Droppin' Science": Basquiat als Vermittler afro-amerikanischen Wissens 57

3.4 Europäische vs. afrikanische Schriftkonzeptionen im Werk Basquiats 58

3.4.1 Lateinische Schrift: Bildlektüre "Jesse" 58

3.4.2 Afrikanische Piktogramme: Bildlektüre "Grillo" 62

4. Afrikanische Kultur und Geschichte im Werk Basquiats

4.1 Die Problematik des "Primitivismus" 69

4.2 Basquiats Bildvokabular im Kontext der afro-amerikanischen Kunst 75

des 20. Jahrhunderts

4.3 Afrika als Zentrum der kulturellen Selbstdefinition Basquiats 82

4.4 Afrika vs. Amerika 89

4.5 Ägypten als Ursprung afro-amerikanischer Kultur: eine 91

afrozentrische Lesart afrikanischer Geschichte

4.6 Karthago vs. Rom: afrikanische oder europäische Hegemonie? 96

5. Afro-amerikanische Geschichte im Werk Basquiats

5.1 "Prelude to Our Age. A Negro History Poem" 99

5.2 Sklavenhandel und Sklaverei 102

5.3 Liberty? 105

5.4 Die Flucht aus der Sklaverei 111

5.5 Die haitianische Revolution 112

5.6 Der amerikanische Bürgerkrieg 114

5.7 Die "Reconstruction Era" 115

5.8 "Back to Africa": Marcus Garvey 115

5.9 Afro-amerikanische Sportler als Volkshelden 118

5.10 Die Sechziger Jahre 121

6. Die Repräsentation des "Schwarzen" im Werk Basquiats

6.1 Die Parallelität von Identitäts- und Signaturproblematik 123

6.2 Basquiats Selbstportraits: "Invisible Men" 127

6.3 Stereotype Repräsentationsformen der Afro-Amerikaner 131

6.3.1 Das "nigger"-image: Sambo, "blackface minstrels" & Co. 131

6.3.2 "Whitewashing Action": Das Leitmotiv Seife 139

6.4 Basquiats Gegenlesen der amerikanischen Populärkultur 144

6.5 Der Topos der Anatomie und die Geschichte des 146

wissenschaftlichen Rassismus

6.5.1 Bildlektüre "Leonardo da Vinci's Greatest Hits" 151

6.6 Basquiats Kritik der weißen Repräsentation schwarzer Sexualität 157

6.6.1 "King Kong und die weiße Frau" 157

6.6.2 Die "Hottentottenvenus" 159

6.7 Anatomische Profilvergleiche: "Cäsar" vs. "The Negro" 161

7. Ausblick 167

Vorwort

Jean-Michel Basquiat (1960-1988) verkörpert durch sein Leben und Werk die Synthese

von afrikanischer, karibischer, afro-amerikanischer, weißer amerikanischer und euro-

päischer Kultur.

Ein angemessenes Studium von Basquiats Arbeiten bewegt sich zwischen dem Situie-

ren seines Lebens und Werks innerhalb der New Yorker Subkulturszene der frühen

Achtziger Jahre und einem "akademischen" Lesen seiner Bildinhalte, wie Greg Tate in

seinem Katalogessay Black Like B. 1992 feststellt:

Basquiat was ... a populist postmodernist. He belongs to a black tradition, wellestablished by our musicians, of making work that is heady enough to confoundacademics and hip enough to capture the attention span of the hip-hop nation.1

Gleichzeitig muß man, so die afro-amerikanische Feministin bell hooks, für ein tieferes

Verständnis der Arbeiten Basquiats die "tragische Dimension" des Lebens der Afro-

Amerikaner in den Vereinigten Staaten begreifen:

To see and to understand these paintings, one must be willing to accept the tra-gic dimension of black life. In The Fire Next Time, James Baldwin declared that"for the horrors" of black life "there has been almost no language" .... Basquiat'swork gives that private anguish artistic expression.2

Die anfängliche Motivation der vorliegenden Arbeit bildete 1991 meine Annahme, daß

in Basquiats Bildtexte Subtexte eingewebt sind, die sich einer schnellen, an westlichem

Bildungsgut orientierten Betrachtung und Interpretation entziehen. Bei der Beschäfti-

gung mit der vor 1992 publizierten Sekundärliteratur stellte sich bald ein Unbehagen

über deren völliges Ignorieren der afro-amerikanischen Elemente in Basquiats Arbeiten

ein. Wichtiger schien den meisten weißen Interpreten Basquiats seine Etablierung im

Kanon anerkannter europäischer und amerikanischer Künstler zu sein - seine kulturelle

Identität als Afro-Amerikaner karibischer Abstammung wurde dadurch entweder ver-

sucht zu kaschieren oder aber in die Bahnen stereotyper Muster wie "Graffitikünstler"

und "authentischer Primitiver" gelenkt.

Wolfgang Kemp gab mir in 1993/94 am Kunstgeschichtlichen Institut der Philipps-

Universität in Marburg die Möglichkeit, meine Magisterarbeit über Basquiat frei zu

1 Tate In: Marshall, 56.2 hooks In: Art in America, 72.

gestalten. Meine daran anschließende Doktorarbeit führte mich nach New York, wo ich

den Großteil meiner Forschungen im Schomburg Institute for Research in Black Cultu-

re, einer Bibliothek der Public Library und weltweit größten Sammlung zum Thema

Afro-Amerika, tätigte. Auch die Bibliotheken des Museums of Modern Art, des Whit-

ney Museums of American Art, der Midtown Public Library und des Caribbean Cultu-

ral Institutes waren sehr hilfreich.

Richard Marshall, Kurator der 1992 ausgerichteten Basquiat-Retrospektive im New

Yorker Whitney Museum of American Art, unterstützte mich durch die Zurverfügung-

stellung seines gesamten Bild- und Informationsmaterial, der Beschaffung von Kon-

takten zu Freunden Basquiats sowie der Sichtung von Orginalwerken. Basquiats Vater

und Erbe Gerard Basquiat hingegen zeigte sich weniger kooperationsbereit. Er hätte

mir den Zugang zu Basquiats Sammlung afrikanischer, amerikanischer, afro-

amerikanischer und europäischer Kunst sowie seiner Bibliothek, Platten- und Video-

sammlung ermöglichen und damit wertvolle Hinweise auf Basquiats Zitierweisen lie-

fern können. Doch Gerard Basquiat steht jeglicher Beschäftigung mit dem Werk seines

Sohnes mit äußerster Skepsis und Widerwillen gegenüber. Hier wird eine wissen-

schaftliche Erforschung des Nachlasses in den nächsten Jahren wahrscheinlich über-

haupt nicht möglich sein.

Die Sammlerin Leonore Schorr zeigte mir viele Arbeiten Basquiats im Orginal und gab

mir wichtige Hinweise zu seinem Bildvokabular. Die Interviews mit Basquiats frühen

Freunden Michael Holman und Maripol haben mir Aufschluß über seine Situierung

innerhalb der New Yorker Subkultur der frühen Achtziger Jahre sowie über die Hinter-

gründe von Julian Schnabels Film Basquiat gegeben. Ein Gespräch sowie die daran

anschließende Korrespondenz mit Robert Farris Thompson, Professor für afrikanische

und afro-amerikanische Kunst in Yale, bestätigte viele meiner Annahmen und ermu-

tigte mich, in die bereits eingeschlagene Richtung weiterzuforschen. Basquiats später

Freund Ouattara, ein in New York lebender Künstler aus Abidjan, war im Bezug auf

die afrikanische Ikonographie in Basquiats Arbeiten hilfreich. Basquiats Galerist Bruno

Bischofsberger und der Schweizer Botschafter in Budapest Claudio Caratsch waren mit

Informationen zu der von ihnen organisierten Ausstellung Basquiats 1986 in Abidjan

behilflich. Dem afro-amerikanischen Künstler Michael Richards und dem afro-

amerikanischen Kunsthistoriker Franklin Sirmans danke ich für die aufschlußreichen

Gespräche über Basquiat und die Probleme des afro-amerikanischen Künstlerdaseins.

Die Beschäftigung mit Basquiats Werk im Kontext der afro-amerikanischen Problema-

tik hat mich gelehrt, viele Fakten der europäischen und amerikanischen Geschichte und

Kunstgeschichte von einer anderen Seite und einer neuen Fragestellung zu betrachten.

Insofern hat, so denke ich, Basquiat sein Ziel einer "Subversion" der weißen Kunstwelt

erreicht, nämlich auch auf der "weißen Seite" zu einem Informieren und Umdenken

über die "black experience" der Afro-Amerikaner aufzufordern.

Daß die vorliegende Arbeit in dieser Form geschrieben werden konnte, verdanke ich

der akademischen Nachwuchsförderung der Stadt Hamburg und dem Deutschen Aka-

demischen Austauschdienst. Der größte Dank jedoch gilt meiner Familie, die mich in

meiner Arbeit von Anfang an unterstützt hat. Meinem Bruder Stefan danke ich für die

vielen Anregungen, Ermutigungen und das kritische Korrekturlesen der Arbeit.

1

1. Einleitung

1.1 Forschungsstand und Ausstellungsgeschichte

Das Interesse an Leben und Werk Jean-Michel Basquiats beginnt - zehn Jahre nach sei-

nem Tod - in diesem Jahr erneut zu erwachen. Basquiat wurde von vielen seiner New

Yorker Zeitgenossen als ein "Genie", das seiner Zeit voraus und daher in seinem Leben

unverstanden blieb, angesehen. So äußerte sich Basquiats Freund Fred Braithwaite a.k.a.

Fab Five Freddy 1992 in einem Interview mit Sigrid Sischy: "Jean-Michel was the future,

basically, and he still is".1 Auch Ouattara sagte in Interviews zu mir mehrmals "Jean-

Michel was the future. If you want to understand his work, you have to go very deep".2

Nun aber scheint die "Zukunft" langsam eingetreten zu sein. 1998 sind zwei neue Bücher

über Basquiats Leben auf dem amerikanischen Markt erschienen. Die New Yorker Jour-

nalistin Phoebe Hoban hat eine Biographie über Basquiat geschrieben - Basquiat. A

Quick Killing in Art - die allerdings zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Arbeit noch

nicht erhältlich war. Ein ebenfalls 1998 in Japan von Taka Kawachi publiziertes Buch

über Basquiat mit dem Titel King for a Decade ist eine Sammlung von Interviews und

zeigt bislang unpublizierte Zeichnungen Basquiats.

Die bislang jüngste Museumsausstellung Basquiats ist 1997 Jean-Michel Basquiat.

OEuvres sur papier im Pariser Musée Maillol gewesen. 1996 hat die Pariser Galerie En-

rico Navarra, die sich des seltenen Vertrauens von Basquiats Vater und Alleinerben

Gerard Basquiat erfreut, eine Monographie Basquiats publiziert, die fast einem Werk-

verzeichnis seiner Gemälde gleichkommt.3 Im gleichen Jahr publizierte Navarra zusam-

men mit der Pariser Galerie Lucien Durand das Buch Jean-Michel Basquiat. OEuvres

sur Papier. Works on Paper, das Richard Marshall zufolge die "Vorstufe" für ein Werk-

verzeichnis der Zeichnungen Basquiats sein soll.4 1996 gab es in London in der Serpen-

tine Gallery eine große Basquiat-Ausstellung und in Malaga im Palacio Episcopal eine

kleinere Show, während in New York Basquiats Siebdruckserie der Blue Ribbon Pain-

tings im Studio Museum in Harlem gezeigt wurde.5 Im August 1996 ist Julian Schnabels

Film Basquiat in New York angelaufen. Während die New Yorker des "Phänomens

1 Sischy In: Interview, 123.2 Interview mit Ouattara am 25. Oktober 1997 in New York.3 Navarra, Enrico (Hrsg.): Jean-Michel Basquiat. Paris 1996.4 Gespräch mit Richard Marshall im Januar 1996 in New York.5 Serpentine Gallery, London: "Jean-Michel Basquiat." 6. März - 21. April 1996 (ohne Katalog). Jean-Michel Basquiat. Malaga: Palacio Episcopal de Malaga 1996. Jean-Michel Basquiat. The Blue RibbonPaintings. South Hadley, MA: Mount Holyoke College Art Museum 1996.

2

Basquiat" jedoch eher überdrüssig sind, da sie mit Basquiat viele unangenehme Erinne-

rungen an die gierige New Yorker Kunstwelt der Achtziger Jahre verbinden, stieg in

Deutschland das öffentliche Interesse an Basquiat durch den im Dezember 1996 ange-

laufenen Film sprunghaft an. Vorbereitet wurde dieses Interesse durch die im Sommer

1996 in Kassel und München gezeigte Ausstellung Collaborations. Warhol, Basquiat,

Clemente.

In den Jahren 1992 bis 1996 wurden Basquiats Arbeiten fast jedes Jahr in Frankreich

gezeigt, wo er neben Japan und Korea den wohl größten Bekanntheitsgrad besitzt.6 1992

ist mit der von Richard Marshall ausgerichteten Basquiat-Retrospektive im Whitney Mu-

seum of American Art in New York das Jahr der "institutionellen Adelung" Basquiats.

Denn obwohl Basquiats Werk seit 1992 durch Ausstellungen in amerikanischen, franzö-

sischen und asiatischen Kunstinstutionen ständig präsent ist, erfolgte bislang nur eine

geringe wissenschaftliche Aufarbeitung seiner Arbeiten. Die meisten Ausstellungskatalo-

ge nach der Retrospektive des New Yorker Whitney Museums of American Art von

1992 enthalten entweder Wiederabdrucke alter Essays oder neue Essays, die im wesent-

lichen in einem allgemeinen "Feiern" von Basquiats "künstlerischem Genie" bestehen.

Allein der Katalog der Whitney-Retrospektive besticht durch seine interessanten Essays.

So beleuchten die Texte des afro-amerikanischen Kulturkritikers Greg Tate, des weißen

amerikanischen Professors für afrikanische und afro-amerikanische Kunst Robert Farris

Thompson und des englischen (Sub)-kulturtheoretikers Dick Hebdige den afro-

amerikanischen Kontext von Basquiats Werk. Dieser Ausstellungskatalog ist daher zur

Grundlage der vorliegenden Arbeit geworden.7

Zu Basquiat sind bislang insgesamt ca. dreißig Kataloge von Einzelausstellungen und

fünfzig Kataloge von Gruppenaustellungen erschienen. Über sein Leben und Werk exi-

stieren rund zweihundert Zeitschriftenartikel. Während die Katalogessays mit Ausnahme

des Whitney-Kataloges zumeist Basquiats außergewöhnlichem Talent huldigen, fokus-

sieren die Zeitschriftenartikel auf die Begebenheiten seines turbulenten Lebens. Bas-

quiats zahlreiche Affären, seine Freundschaft mit Andy Warhol, seine Drogensucht und

seine unberechenbaren Ausfälle wurden jahrelang zum Lieblingsthema von Lifestyle- und

6 Musée Cantini, Marseille: "Jean-Michel Basquiat", 3. Juli - 21. September 1992; Musée-Galerie de laSeita, Paris: "Jean-Michel Basquiat. Peinture, dessin, écriture." 17. Dezember 1993 - 26. Februar 1994,Galerie Enrico Navarra, Paris: "Jean-Michel Basquiat. Peintures. 2. April - 12. Juni 1996.7 Robert Farris Thompson hat bereits 1985 einen Essay über Basquiat in dem Austellungskatalog Jean-Michel Basquiat der New Yorker Mary Boone Gallery geschrieben, in dem er Basquiats Werk erstmalsin einem afro-amerikanischen Zusammenhang diskutiert.Die deutsche (gekürzte) Übersetzung "DenHimmel zum Sprechen bringen - Jean-Michel Basquiats Kunst der Beschwörung" ist in Haenlein, Carl(Hrsg.): Jean-Michel Basquiat. Hannover: Kestner-Gesellschaft 1986 abgedruckt.

3

Frauenmagazinen wie Interview, Domus, Vogue oder Vanity Fair.8 Die Kunstkritiken in

Zeitschriften wie Artforum, Art in America, Flash Art oder The New Yorker taten sich

da schwerer. Sie mußten über das Werk Basquiats berichten, das zuweilen wie ein lästi-

ges "Abfallprodukt" eines interessanteren Lebens erschien. Das New Yorker Kritikerla-

ger war in die euphorischen (linken) Anhänger und die zumeist konservativen Feinde

Basquiats aufgeteilt. Während Basquiats Leben und nach der Whitney-Retrospektive gab

es so viele Diskussionen um Basquiats Werk und den künstlerischen Wert seiner Arbei-

ten, daß ich bei meinen Forschungen in New York auf eine allgemeine Müdigkeit gegen-

über dem Thema Basquiat gestoßen bin. Nicht von ungefähr ist schon seit langem keine

größere Basquiat-Ausstellung mehr in den Vereinigten Staaten ausgerichtet oder ein

Artikel in einem amerikanischen Kunstmagazin erschienen.

Von den amerikanischen Zeitschriftenartikeln sind die wenigen Artikel afro-amerikani-

scher Intellektueller für das Ziel der vorliegenden Arbeit die interessantesten. Während

Basquiat zu seinen Lebzeiten von afro-amerikanischen Kulturkritikern überhaupt nicht

beachtet, ja sogar gemieden wurde, hat sein tragischer Tod zu einem Umdenken beige-

tragen. So schrieb Greg Tate anläßlich einer Ausstellung von Arbeiten Basquiats in der

New Yorker Vrej Baghoomian Gallery 1989 den grundlegenden Essay Flyboy in the

Buttermilk. The Crisis of the Black Artist in White America, in dem er Basquiats Leben

und Werk in die Geschichte der afro-amerikanischen Literatur und Musik einreiht.9 Die

afro-amerikanische Feministin bell hooks nahm in ihrem Essay Altars of Sacrifice. Re-

membering Basquiat 1993 zu der Basquiat-Retrospektive im Whitney Museum von

1992 Stellung und kritisierte vor allem die mißverstandene Rezeption Basquiats unter

weißen Kunstkritikern.10Die Performancekünstlerin Lorraine O'Grady beleuchtet in ih-

rem Artikel A Day at the Races. Lorraine O'Grady on Basquiat and the Black Art

World Basquiats komplizierte Beziehung zu der New Yorker institutionalisierten

"schwarzen Kunstwelt".11 Der Kunsthistoriker Franklin Sirmans schließlich faßt in Tip-

Tapping on a Tightrope die von Tate und hooks aufgezeigten Probleme in der Rezeption

8 Beispiele hierfür sind Cortez, Diego: "Black Picasso and the Lie Detector." Domus. 1982. Alhadeff,Gini: "Arte Piu Moda". Uomo Vogue. Oktober 1984, 388. Rosenblatt, Roger: "The Faith of the YoungArtist." Esquire. Dezember 1985, 159-160. Schaper, Michael: "Ein Twen im Trend." Stern. Nr. 36,August 1985, 29. Taylor, Paul: "A New Avenue for Art .... Madison." Vogue. Februar 1985, 80. Hoban,Phoebe: "SAMO ... is Dead. The Fall of Jean-Michel Basquiat." New York. 26. September 1988, 36-44.Keith Haring: "Remembering Basquiat." Vogue. November 1988, 230-234. Haden-Guest, Anthony:"Burning Out." Vanity Fair. Vol. 51, Nr. 11, November 1988. Bourriand, Nicolas: "Black Picasso."Decoration Internationale, Februar 1988, 22.9 In: The Village Voice. Vo. XXXIV, Nr. 46, 14. November 1989, 31-36. Wiederabdruck in Tate, Greg:Flyboy in the Buttermilk. Essays on Contemporary America. An eye-opening Look at Race, Politics,Literature and Music. New York: Fireside 1992.10 In: Art In America. Juni 1993, 68-75.11 In: Artforum. April 1993, 9-12.

4

von Basquiats Arbeiten zusammen.12 Schließlich ist das Interview von Sigrid Sischy mit

Fred Braithwaite, Jean-Michel Basquiat as told by Fred Braithwaite a.k.a. Fab 5 Fred-

dy, zu erwähnen.13 Der ehemalige Graffitimaler und Partypromoter Fred Braithwaite war

ein früher Freund Basquiats und beleuchtet in diesem Interview den Kontext von Bas-

quiats frühen Arbeiten.

Als schriftliche Quelle für Basquiats Biographie dienen das von Patt Hackett herausge-

gebene Tagebuch Andy Warhols sowie die von Franklin Sirmans im Katalog der Whit-

ney-Retrospektive zusammengestellten Lebensdaten. Von Basquiat selbst gibt es kaum

Selbstäußerungen, die meisten davon sind in privaten Interviews aufgezeichnet. Ledig-

lich die sehr gute Dokumention von Geof Dunlop, Jean-Michel Basquiat. Shooting Star,

und das haarsträubende Interview von Paul Tschinkel mit Basquiat, Jean-Michel Bas-

quiat, geben einen Einblick in die Persönlichkeit Basquiats.14

Von der weißen Kunstkritik und den Katalogtexten wurde Basquiats Werk in einen wei-

ßen amerikanisch/europäischen kunsthistorischen Kontext eingeordnet, der bei Leonardo

da Vinci beginnt und mit Andy Warhol endet. Zudem wurden rekurrente Bildmotive

Basquiats wie die Worte "salt," "cotton", "tobacco", "tar" entschlüsselt und wichtige

Topoi wie Anatomie, Sport, Jazz und Populärkultur interpretiert. Besonders Basquiats

offensichtlicheren Bezüge zur afro-amerikanischen Kultur sowie seine Nennung von

Jazzmusikern und Boxern sind bereits ausführlich diskutiert worden. Die Einordnung in

einen afro-amerikanischen Kontext, der über die Wahrnehmung dieser spezifisch

"schwarzen Domänen" hinausgeht, ist bisher allerdings kaum erfolgt, wie bell hooks in

ihrer Besprechung der Whitney-Retrospektive von 1992 bemerkt:

Rarely does anyone connect Basquiat's work to traditions in African-Americanart history. While it is obvious that he was influenced and inspired by the worksof established white male artists, the content of his work does not neatly con-verge with theirs. [...] Basquiat was in no way secretive about the fact that hewas influenced and inspired by the work of white artists. It is the multiple othersources of inspiration and influence that are submerged, lost, when critics are ob-sessed with seeing him as solely connected to a white Western artistic continuum.These other elements are lost precisely because they are often not seen, or ifseen, not understood.15

12 In: Acme Journal. Bd. 1. Nr.3. 1994, 94 -101.13 In: Interview. Oktober 1992, 119-123.14 Tschinkels legendäres Interview mit Basquiat wird in Julian Schnabels Film Basquiat von Christo-pher Walken als "Interviewer" und Jeffrey Wright als "Basquiat" fast wortwörtlich nachgespielt.15 hooks In: Art in America, 70.

5

Eine Ausnahme von dieser einseitigen Rezeption Basquiats bilden lediglich die vier oben

erwähnten Zeitschriftenartikel und die Katalogessays der Whitney-Retrospektive. Aus-

gehend von der dort geleisteten Forschung möchte ich in meiner Arbeit diese gemachten

Ansätze erweitern und vertiefen. Da man Basquiats komplexe und vielschichtige Bildin-

halte nur anhand detallierter Bildlektüren aufzeigen kann, habe ich mich im folgenden zu

einem "close reading" seiner Arbeiten entschlossen. Diese Werkinterpretationen wech-

seln zwischen dem ausführlichen Lesen von "Schlüsselbildern" Basquiats und dem zu-

sammengefaßten Vorstellen von Leitmotiven und übergreifenden Topoi in seinen Arbei-

ten. Das Ziel der vorliegenden Dissertation ist es, anhand der Bildlektüren und ihrer

Kontextualisierung in der afro-amerikanischen Kultur und Geschichte die bis auf wenige

Ausnahmen noch unbearbeitete afro-amerikanische Ikonographie im Werk Basquiats zu

erschließen.

Die in der vorliegenden Arbeit zitierten Werke Basquiats sind in den folgenden Ausstel-

lungskatalogen publiziert, die die Basis meiner Recherchen gebildet haben. Bislang un-

veröffentlichtes Abbildungsmaterial ist als solches gekennzeichnet.

• Navarra, Enrico (Hrsg.): Jean-Michel Basquiat. Paris 1996 (Zweibändige Monogra-phie).

• Jean-Michel Basquiat. OEuvres sur papier. Works on Paper. Paris: Fondation DinaVierny Musée Maillol 1997 (Ausstellungskatalog mit vielen der Zeichnungen, dieBasquiat als Farbkopien in seine großen Arbeiten "gesamplet" hat).

• Jean-Michel Basquiat. The Blue Ribbon Paintings. South Hadley, MA: Mount Ho-lyoke College Art Museum 1996 (kleiner Ausstellungskatalog der Blue Ribbon Sieb-druckserie, mit der Basquiat im Studio Museum in Harlem erstmals in einem afro-amerikanischen Kontext gezeigt wurde).

• Jean-Michel Basquiat. Malaga: Palacio Episcopal de Malaga 1996. (Ausstellungska-talog).

• Jean-Michel Basquiat. Peinture, dessin, écriture. Paris: Musée-Galerie de la Seita1993. (Ausstellungskatalog mit einem kleinen Glossar zu Basquiats Bildvokabular).

• Jean-Michel Basquiat. Paris: Musée d'art contemporain 1993 (Ausstellungskatalog).

• Marshall, Richard (Hrsg.): Jean-Michel Basquiat. New York: Whitney Museum ofAmerican Art 1992.

• Jean-Michel Basquiat. Une rétrospective. Marseille: Musées de Marseille 1992 (Aus-stellungskatalog).

6

• Tsuzuki, Kyoichi: Jean Michel Basquiat. Kyoto, Japan: Kyoto Shoin International1992.

• Cheim, Robert (Hrsg.): Jean-Michel Basquiat. Drawings. New York: Robert MillerGallery 1990 (Ausstellungskatalog).

• Pellizzi, Francesco (Hrsg.): Jean-Michel Basquiat. New York: Vrej BaghoomianGallery 1989 (Ausstellungskatalog, der Essay von Pellizzi versucht der besonderenÄsthetik von Basquiats Arbeiten gerecht zu werden).

• Haenlein, Carl (Hrsg.): Jean-Michel Basquiat. Das zeichnerische Werk. Hannover:Kestner Gesellschaft 1989 (Ausstellungskatalog mit einer Zeichnungsserie aus derSammlung Thomas Ammann).

• Jean-Michel Basquiat, Julian Schnabel. Malmö, Schweden: Roseeum 1989 (Ausstel-lungskatalog).

• Haenlein, Carl (Hrsg.): Jean-Michel Basquiat. Hannover: Kestner-Gesellschaft 1986(Ausstellungskatalog).

• Jean-Michel Basquiat. Drawings. Zürich: Edition Bischofsberger und Boone 1985(Katalog der Zeichnungsserie von 1982/83 aus der Sammlung Thomas Ammann).

1.2 Zur bisherigen kunsthistorischen Einordnung Basquiats

..., the critical literature on his work has been rather uncritical. Emphasizing theanectotal, the elegiac, and the sacramental, many writers drift from analyses ofhis art into personal recollections of the artist, and seem at times to vie for the di-stinction of having known him best. Little arthistorical comparison is offered;there is a widespread reluctance to venture outside the sphere of black cultureheroes such as Charlie Parker, Joe Louis, and Thelonius Monk, who dominatediscussions of his work .... Surely the work of few other important contemporaryartists is more consistently talked about in terms from outside the visual arts.16

Treffender läßt sich die bisherige kunstkritische/kunsthistorische Einordnung Basquiats

kaum beschreiben, denn eine größere Polarisierung in der Bewertung eines Künstlers,

eine größere Entfernung von der eigentlichen Beschreibung des Werkes hin zu den end-

losen Diskussionen über die Qualität von Basquiats Arbeiten, seine steile Karriere, seinen

hohen Marktwert und seine Drogensucht ist kaum vorstellbar.

Die Rezeption von Basquiats Werk durch die weiße Kunstkritik kann in vier zeitlich auf-

einanderfolgende Stufen gegliedert werden: 1980 bis 1981 die euphorische "Entdek-

16 McEvilley In: Artforum, 94.

7

kung" durch Jeffrey Deitch und Rene Ricard,17 1982 bis 1984 der Versuch einer positi-

ven Beschreibung und Kategorisierung durch Lisa Liebmann, Jeanne Silverthorne, Flo-

rence Isaacs und Vivien Raynor,18 ab 1984 die Debatten um die Qualität seiner Arbeiten

von Kate Linker, Eleanor Heartney, Hilton Kramer und Robert Hughes19 und schließlich

die nach seinem Tod beginnende Diskussion über die "politischen Inhalte" seiner Arbei-

ten durch Peter Schjeldahl und Greg Tate.20

Während Basquiats frühe Graffitiarbeiten durchaus als politische Statements betrachtet

werden,21 nimmt das Interesse an den politischen Inhalten seiner Arbeiten zunächst pro-

portional zu seinem Erfolg ab. Die Kunstkritiker sind seit Rene Ricards Initialkategori-

sierung

If Cy Twombly and Jean Dubuffet had a baby and gave it up for adoption, itwould be Jean-Michel. The elegance of Twombly is there but from the samesource (graffiti) and so is the brut of the young Dubuffet.22

größtenteils bemüht, ihn durch die Vergleiche mit Cy Twombly und Jean Dubuffet, mit

Jackson Pollock und Robert Rauschenberg, mit Franz Kline und Andy Warhol im Kon-

text einer europäisch/amerikanischen high art Tradition zu etablieren, den schwarzen

low art "Graffitikünstler" für die weiße Kunstwelt salonfähig zu machen. So schreibt

Lisa Liebmann in ihrer Rezension von Basquiats erster New Yorker Einzelausstellung

bei Annina Nosei 1982:

Basquiat's art, on the whole, looks French; more specifically it suggests that par-ticular French esthetic that is rooted in language and linguistic signs. It is an

17 Deitch, Jeffrey: "Report from Times Square." Art in America. Nr. 68. September 1980, 58-63. Ri-card, Rene: "The Radiant Child." Artforum. Dezember 1981, Nr. 20, 35-43.18 Liebmann, Lisa: "Jean-Michel Basquiat at Annina Nosei." Art in America. Nr. 70, Oktober 1982,130. Silverthorne, Jeanne: "Jean-Michel Basquiat." Art in America. Nr. 20, Oktober 1982, 82/83.Isaacs, Florence: "Jean-Michel Basquiat. Young Rising Star in Contemporary Art." Visions. Vol. 2, Nr.1, 36-39. Raynor, Vivien: "Art. Paintings by Jean-Michel Basquiat at Boone." The New York Times.11. Mai 1984, C25.19 Linker, Kate: "Jean-Michel Basquiat." Artforum. Oktober 1984, 91. Heartney, Eleanor: "Bas-quiat/Warhol. Tony Shafrazi." Flashart International. Nr. 125. Dezember/Januar 1985/86. Kramer,Hilton: "Will the Death of Basquiat Awaken The Art World to its Slimier Side?" The New York Obser-ver. 31. August 1988, 1, 10. Hughes, Robert: "Jean-Michel Basquiat. Requiem for a Featherweight."The New Republic. 21. November 1988, 34-36.20 Schjeldahl, Peter: "Paint the Right Thing." Elle. November 1989, Nr. 51, 214-215. Tate, Greg: "Fly-boy in the Buttermilk. The Crisis of the Black Artist in White America." The Village Voice. Vo.XXXIV, Nr. 46, 14. November 1989, 31-36. Wiederabdruck in Tate, Greg: Flyboy in the Buttermilk.Essays on Contemporary America. An eye-opening Look at Race, Politics, Literature and Music. NewYork: Fireside 1992.21 So Faflick, Philip: "SAMO Graffiti. Boosh-Wah or CIA?" The Village Voice. 11. Dezember 1978.Ricard, Rene: "The Radiant Child." Artforum. Dezember 1981, Nr. 20, 35-43. Hager, 99.22 Ricard In: Artforum, 43.

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esthetic that the Surrealists codified, that later artists such as Dubuffet improvi-sed upon, and that the French then largely abandoned insofar as painting wasconcerned, leaving its development to foreigners like Twombly and Penck. Bas-quiat is not French, but it is to this highly cultivated, expatriated, and often self-conscious tradition that his work pertains ..... 23

Die augenscheinliche "Primitivität" sowie die Schrift in Basquiats Arbeiten wird in diesen

Interpretationen zu einer Verlängerung von Jean Dubuffets Art Brut und Cy Twomblys

Schreiben, sämtliche Aspekte einer möglichen Bedeutung im afro-amerikanischen Kon-

text werden dadurch jedoch ausgeblendet.

Neben dieser Etablierung einer europäisch/amerikanischen "Ahnenreihe" wird zwischen

1982 und 1984 von der Kunstkritik vor allem die zeichnerische und malerische "Raffi-

nesse" Basquiats betont. So schreibt Vivien Raynor in ihrer Rezension der ersten Einze-

lausstellung Basquiats bei der Mary Boone Gallery 1984:

The young artist uses color well, applying it flatly, as in a composition of a ver-tical brown pickax, with Africa on the right in green, and, on the left, a prismlikeshape and the word "eye" drawn in white, all on a black ground. Elsewhere, thepaint is used more expressionistically in bright impastoed blocks. But more re-markable is the educated quality of Basquiat's line and the stateliness of his com-positions, both of which bespeak of a formal training that, in fact, he never had.24

Gleichzeitig jedoch setzt 1984 mit Kate Linkers Rezension der gleichen Ausstellung die

später immer lauter werdende Kritik an Basquiats Wiederholung der Bildelemente ein,

die so gar nicht zum Bild des "authentischen" Neo-Expressionisten passen :25

.... the problem with these works lies less in their elasticity of means than in thedecorative function they're increasingly forced to serve. There was too much he-re; often it seemed as though Basquiat had been required to churn out canvasespurely through permutations and combinations of the code. At his best the artistis quirky and whimsical, but how can you wax in some twenty-plus variations?26

23 Liebmann In: Art in America, 130.24 Raynor In: The New York Times, C25.25 Siehe dazu auch Heartney, Eleanor: "Basquiat/Warhol. Tony Shafrazi." Flashart International. Nr.125. Dezember/Januar 1985/86. Kramer, Hilton: "Will the Death of Basquiat Awaken The Art World toits Slimier Side?" The New York Observer. 31. August 1988, 1, 10. Hughes, Robert: "Jean-Michel Bas-quiat. Requiem for a Featherweight." The New Republic. 21. November 1988, 34-36 (dt. Übersetzung inHughes, Robert: Denn ich bin nichts, wenn ich nicht lästern darf. Kritische Anmerkungen zu Kunst,Künstlern und Kunstmarkt. München 1995).26 Linker In: Artforum, 91

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Diese Kritik an der Wiederholung von Basquiats Bildelementen setzt sich auch ein Jahr

nach Basquiats Tod 1988 in einem Artikel des konservativen Kunstkritikers Robert

Hughes fort:

Es war die Geschichte eines kleinen ungeschulten Talents, das in die Kreissägeder Kunstbetriebspromotion geraten war, absurd überschätzt von den Händlern,Sammlern, Kritikern und nicht zuletzt von sich selbst. Das lag zum einen daran,daß Basquiat schwarz war, die ansonsten monochrome Kunstindustrie verspürtedas Bedürfnis, sich mit einem "primitiven" Touch zu erneuern. Weitaus bessereschwarze Künstler als Basquiat, wie der Bildhauer Martin Puryear, mußten sichnicht mit dieser Art von kurzfristigem Hype-Erfolg herumschlagen. Er zwangBasquiat dazu, sich ständig zu wiederholen, ohne daß er die Gelegenheit bekam,sich weiterzuentwickeln.27

Während Basquiats Werk zu seinen Lebzeiten bis auf die Ausnahme des 1985 für die

zweite Einzelausstellung Basquiats in der Mary Boone Gallery geschriebenen Essays von

Robert Farris Thompson nicht im Kontext afro-amerikanischer Kultur diskutiert wurde,

wird seit seinem Tod auch von weißen Kunstkritikern verstärkt auf seine "political and

social concerns" verwiesen - auf die zur Disposition stehende malerische Qualität soll

nun ein inhaltlicher Qualitätsbeweis folgen.28 Im Kontext dieser veränderten Sichtweise

auf das Werk Basquiats werden 1990 Arbeiten von ihm in der New Yorker Ausstellung

The Decade Show. Frameworks of Identity in the 1980s und 1991 in der kalifornischen

Ausstellung Compassion and Protest. Recent Social and Political Art from the Eli

Broad Family Foundation gezeigt.29

Die große Basquiat-Retrospektive des Whitney Museum of American Art in New York

von 1992, das solche Ausstellungen normalerweise nur etablierten, kunsthistorisch längst

abgesicherten Künstlern widmet, zeigte Basquiat im Anschluß an dieses neue Klima des

Multikulturalismus in der amerikanischen Kunstwelt daher als einen kritischen, eher kon-

zeptuell arbeitenden Künstler. Besonders seine Thematisierung von Jazzmusik und

schwarzen Boxern, von Kolonialisierung, Sklaverei und Rassismus werden nun von Ri-

chard Marshall, dem Kurator der Ausstellung, ins Zentrum der Diskussion gestellt.30 Die

Retrospektive wird jedoch bereits im Vorfeld von konservativen Kritikern wie Hilton

Kramer und David D'Arcy als ein Mittel zur Stabilisierung der hohen Preise Basquiats

27 Hughes, 402.28 Schjeldahl, Peter: "Paint the Right Thing." Elle. November 1989, Nr. 51, 214-215.29 Museum of Contemporary Hispanic Art, The New Museum of Contemporary Art, The Studio Muse-um in Harlem: "The Decade Show. Frameworks of Identity in the 1980s." 12. Mai - 19. August 1990.San Jose Museum of Art: "Compassion and Protest. Recent Social and Political Art from the Eli BroadFamily Foundation." 1. Juni - 25. August 1991.30 Marshall, Richard: "Repelling Ghosts." In: Marshall, 15-27.

10

angegriffen, ein unverblümt rassistischer Titel wie D'Arcys "Turning Point for Basquiat.

Exposure or Stardom? The 'craving for political correctness' leads major institutions like

the Whitney to plan shows of the black junky's work when doubts are growing over the

value - and authenticy - of much of it" war keine Ausnahme.31

Die Whitney-Retrospektive selbst teilte das New Yorker Kritikerlager in die wohlwol-

lende linksliberale Einschätzung von Peter Schjedahl, Thomas McEvilley und Roberta

Smith und die konservativen Attacken von Hilton Kramer und David D'Arcy, wie Adam

Gopnik festellt:32

Now that the Basquiat show has actually opened, up on the Whitney's fourthfloor, the two camps, pro- and anti Basquiat, are right back in place. On the oneside there are the Basquiat bashers, led by the redoubtable Robert Hughes, theymaintain that Basquiat was a barely sentient graffiti marker who was picked upby the downtown art world, which, with its special mixture of condescension andsolemn cultishness, gave him paints and brushes, fed him cocaine, and told him hewas an artist .... The boosters - led, bizarrely, by that constant friend to hip-hopculture the Times .... take the position that Basquiat was a natural genius whosummoned into his paintings the previously taboo energy and vitality of thestreets and got martyred for his troubles ....33

Roberta Smith, die Kunstkritikerin der New York Times, preist Basquiat in ihrer Rezen-

sion der Whitney-Retrospektive als den quintessentiellen Künstler der Achtziger Jahre,

der durch seine politischen Inhalte jedoch auch für die Neuziger Jahre Bedeutung hat:

More than many of his white counterparts, Basquiat had a pressing subject to ex-plore in this hybrid word-image style: being black in America. [...] ... as youspend time with the show, its very intensity consumes the attention, forcing thesensationalism of Basquiat's life to the periphery. Paradoxically, this enables oneto see that his art was essentially an anatomy of himself, one that charted his pas-sion for language and knowledge, his love for popular culture and music, his am-bition and his blackness and even the possibility of his own death. His work isone of the singular achievments of the 80's and, through its insistence that thepolitical is the strongest when it is most personal, it also has great relevance forthe 90's.34

31 D'Arcy In: The Art Newspaper, o.S.32 Schjehldahl, Peter: "Drawing Blood." The Village Voice. 3. März 1992, 85. McEvilley, Thomas:"Royal Slumming. Jean-Michel Basquiat Here Below." Artforum. November 1992, 92-97. Smith, Ro-berta: "Basquiat. Man for his Decade." The New York Times. 23. Oktober 1992, C1, C20.Kramer, Hil-ton: "Whitney Beatifies Basquiat as Ross Plays the Race Card." The New York Observer. 2. November1992, 1, 23. D'Arcy, David: "Basquiat's Case." Vanity Fair. November 1992, 124-146.33 Gopnik In: The New Yorker, 137.34 Smith In: The New York Times, C20.

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Bis zu Basquiats Tod 1988 wurden die pro und contra Debatten um die Qualität und

Bedeutung von Basquiats Werk ausschließlich von weißen Kunstkritikern geführt, die

Stimme afro-amerikanischer Intellektueller sucht man vergeblich. Das liegt zum einen an

deren frustierten Desinteresse an einem Kunstbetrieb, der Schwarze kategorisch aus sei-

nen hermetischen Zirkeln ausschließt. Zum anderen lehnen aber auch viele Basquiats

vermeintliche "Prostitution" ab und werfen ihm den Ausverkauf an die weiße Kunstwelt

vor.35 Doch seit seinem Tod ist bei ihnen ein Umdenken erfolgt, hat die Flut von pro-

duzierten Mißverständnissen ihr Schweigen gebrochen. Die Artikel von Greg Tate, bell

hooks, Lorraine O`Grady und Franklin Sirmans erläutern die afro-amerikanische Pro-

blematik von Basquiats Werk und thematisieren die ambivalente Rolle Basquiats als ei-

nem schwarzen Künstler in einem weißen Kunstsystem.36

Basquiats Werk ist heute, zehn Jahre nach seinem Tod, von einer endgültigen kunsthi-

storischen Einordnung noch weit entfernt. Was bislang erfolgt ist, sind kunstkritische

Kategorisierungen, die sich in der Abfolge Graffitikünstler, Neo-Expressionist und

schließlich "Aushängeschild" des amerikanischen Multikulturalismus zusammenfassen

lassen.37

1.3 Das "Phänomen Basquiat"

1.3.1 Biographie: Version A

Jean-Michel Basquiat first became famous for his art, then he became famous forbeing famous, then he became famous for being infamous - a sucession of repu-tations that often overshadowed the seriousness and significance of the art heproduced.38

Basquiat wurde am 22. Dezember 1960 in Brooklyn als Sohn eines haitianischen Vaters

und einer puertoricanischen Mutter geboren.39 Seine Familie war eine aufstrebende Mit-

telklassefamilie, die es sich leisten konnte, ihren Sohn auf Privatschulen zu schicken.

Basquiats Mutter förderte schon früh seine künstlerische Begabung, animierte ihn zum

35 Tate, 233.36 Siehe dazu Kapitel 1.4 Basquiats Rezeption in der (artistic) "black community" oder: "Nobody Lovesa Genius Child".37 Zum neuen Marktwert Basquiats als einem Repräsentanten des amerikanischen Multikulturalismussiehe O'Grady, 9.38 Marshall, 15.39 Diese Biographie hat als Quelle Sirmans In: Marshall, 233-250. Basquiats Biographie ist in denzahlreichen Zeitungsartikeln über sein Leben früh kanonisiert worden. Zu einer Biographie Basquiatsim Kontext der Subkultur New Yorks mit sehr guten Abbildungsmaterial siehe Hager, 38 - 46.

12

Zeichnen und besuchte mit ihm die Kunstmuseen New Yorks - im Brooklyn Museum

war Basquiat bereits als Sechsjähriger Mitglied.40 Trotz seiner Herkunft aus einer mit-

telständischen Familie begann Basquiat seine künstlerische Karriere jedoch nicht mit ei-

ner akademischen Ausbildung, sondern als Graffitischreiber. Zusammen mit seinem

Schulfreund Al Diaz besprühte er 1977 zuerst die U-Bahn und ab 1978 die Häuserwände

des Galerienviertels Soho mit poetischen und oft kritischen Phrasen wie "SAMO© as an

end to playing art" oder "SAMO© as an end to mindwash religion, stop running around

with the radical chic playing art with daddy's dollars", die er mit dem Pseudonym

SAMO© signierte.41 SAMO© ist eine Abkürzung für "same old shit", was in der afro-

amerikanischen Umgangssprache für die unveränderten rassistischen Verhältnisse in den

Vereinigten Staaten steht.42 SAMO© konnotiert aber auch "Sambo", die bekannteste

rassistische Bezeichnung für den Stereotyp des immer fröhlichen schwarzen Entertainers

- den für ein weißes Publikum spielenden schwarzen Künstler.43 Mit diesem selbstge-

schaffenen Alter ego thematisierte Basquiat von Anfang an ironisch-provokativ seine

Identität als afro-amerikanischer Künstler.44

Durch diese neue Art der Graffiti, die Basquiat gezielt an die Hauswände neben den Ga-

lerien Sohos plazierte, erhielt er schnell die Aufmerksamkeit der New Yorker Kunstwelt.

Zuerst hielt man Basquiats außergewöhnliche Graffiti für die eines weißen Konzept-

künstlers. Doch nachdem die Village Voice Al Diaz und Basquiat ausfindig gemacht

hatte, lüftete ein Interview in der Stadtzeitung das Geheimis um SAMO©.45 Al Diaz

kommentierte das Projekt SAMO© mit den Worten: "SAMO was like a refresher course

because there's some kind of statement being made. It's not just ego graffiti".46 Kurz

nach dem Erscheinen des Artikels hatten Basquiat und Al Diaz eine Auseinandersetzung,

die zur Beendung ihrer kollaborativen Arbeit führte - "SAMO© is dead" war daher im

Januar 1979 an den Wänden Sohos zu lesen.

40 Thompson In: Marshall, 29.41 Zu der Entstehung der SAMO© Graffiti siehe Hoban In: New York, 39; Hager, 42-46. Es wäre inter-essant, Basquiats Anfänge als Graffitischreiber und seine Differenz von den üblichen Graffitis heraus-zustellen. Viel Bildmaterial lagert hier jedoch noch in den Händen von Privatpersonen und ist schwerzugänglich.42 Sischy In: Interview, 119.43 Tate, 239; Boskin, 3-16.44 Im folgenden bezeichne ich Basquiat aus Platzgründen als einen "afro-amerikanischen Künstler",und nicht als einen "afro-amerikanischen Künstler karibischer Abstammung", was der korrekte Termi-nus wäre.45 Hager, 45. Faflick, Philip: "SAMO Graffiti. Boosh-Wah or CIA?" The Village Voice. 11. December1978.46 Hager, 47.

13

1979 begann Basquiat, seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von selbstbedruckten T-

Shirts und Postkarten zu verdienen.47 Er wurde zu einem festen Bestandteil der New

Yorker Subkultur, die Anfang der Achtziger Jahre aus zwei konträren Lebenshaltungen

und Kunstrichtungen bestand: Downtown traf sich die weiße Punk- und New Wave-

Avantgarde, deren Mitglieder die Galeristin der Fun Gallery Patti Astor, die Musiker

David Byrne, Blondie, Madonna, die B-52s und John Lurie sowie die Filmemacher Ma-

ripol, Diego Cortez, Jim Jarmusch und Eric Mitchell waren.48 In den South Bronx ent-

stand um die gleiche Zeit die afro-amerikanische und puertoricanische Jugendkultur des

HipHop, bestehend aus Graffitischreibern wie Lee Quinones, Toxic, A-One und Futura

2000, DJs wie Afrika Bambaata und Grandmaster Flash, Rappern wie Ramm-El-Zee und

Breakdancern wie der Zulu Nation. Basquiat pendelte zwischen diesen beiden Welten:

zu seinen Freunden zählten weiße Künstler und Musiker ebenso wie puertoricanische

und afro-amerikanische Graffitischreiber.

Basquiats erste Ausstellung war die Times Square Show, die 1980 programmatisch

Künstler beider Subkulturen zeigte: Jenny Holzer und Tom Otterness waren ebenso ver-

treten wie David Hammons und die Graffitikünstler Lee Quinones und Kenny Scharf:49

A patch of wall by SAMO, the omnipresent graffiti sloganeer, was a knockoutcombination of de Kooning and subway spray-paint scribbles.50

Diese erste Ausstellungsbesprechung Basquiats durch Jeffrey Deitch nimmt bereits die

spätere Rezeption seiner Arbeiten vorweg. Seine Graffiti wurde als eine Synthese aus

weißer und schwarzer Kultur, aus high und low angesehen.

Basquiats Beteiligung an der Gruppenausstellung New York/New Wave 1981 im P.S. 1 in

Queens markierte den Anfang seiner steilen Karriere. Basquiat zeigte über zwanzig Ge-

mälde und Zeichnungen, die die Aufmerksamkeit der New Yorker Galeristin Annina

Nosei und des Schweizer Galeristen Bruno Bischofsberger erregten.51 Nosei lädt Bas-

quiat im Oktober 1981 zu ihrer Gruppenaustellung Public Address ein, in der Künstler 47 Sirmans In: Marshall, 234. Basquiat verkaufte die Postkarten im Washington Square Park, in Sohound vor dem Museum of Modern Art (ibid., 43).48 Sirmans In: Marshall, 236. Zur Entstehung und Bedeutung des Mudd Clubs, des legendären Clubsder New Yorker Subkulturszene um 1980, siehe Hager, 50ff.49 Colab and Fashion Moda, New York: "Times Square Show. Juli 1980. Review siehe Lippard, LucyR.: "Sex and Death and Shock and Schlock". A Long Review of The Times Square Show." Artforum.August 1980, 50-55.50 Deitch In: Art in America, 61.51 P.S.1, Institute for Art and Urban Resources, New York: "New York/New Wave." 15. Februar - 5.April 1981. Review siehe Flood, Richard: "Skied and Grounded in Queens. New York/New Wave atP.S. 1." Artforum. März 1981, 85-87. Zur Rezeption der Ausstellung siehe auch Hager, 98.

14

mit sozialkritschen Themen wie Jenny Holzer und Barbara Kruger gezeigt wurden.52

Nach dieser Ausstellung wurde Nosei zu Basquiats Haupthändlerin und stellte ihm den

Keller unter ihrer Galerie als Atelier zur Verfügung.53 Dort produzierte Basquiat bis

1982 rund siebzig Gemälde. Nosei verkaufte die frisch aus dem Studio kommmenden

Arbeiten an die Sammler, die von Basquiats "intuitivem" Sinn für Farbe und Kompositi-

on begeistert waren. Basquiat wurde somit zu einem Zeitpunkt bekannt und vermarktet,

zu dem andere Künstler noch die Akademie besuchen, auf die Produktion seiner Werke

folgte die unmittelbare Präsentation und Rezeption.54

Im März 1982 hatte Basquiat seine erste New Yorker Einzelaustellung in der Galerie

von Nosei; im Juni 1982 war er der jüngste Teilnehmer der documenta 7; im September

1982 zeigte Bischofsberger seine Arbeiten in Zürich.55 Im Herbst 1982 beendete Bas-

quiats seine Geschäftsbeziehungen mit Nosei - "I wanted to be a star, not a gallery ma-

scot",56 so Basquiat - und arbeitete zurückgezogen in seiner Wohnung in der Crosby

Street: "I had some money; I made the best paintings ever. I was completely reclusive,

worked a lot, took a lot of drugs".57 Im November 1982 stellte Basquiat diese Arbeiten

in Pattie Astors neu gegründeter Fun Gallery im New Yorker East Village aus, die seit

1981 vorrangig Graffitikünstler zeigte.58 Im East Village gelegen, waren bei der Eröff-

nung neben den reichen Sammlern der Upper East Side vor allem afro-amerikanische

und puertoricanische Jugendliche aus der Nachbarschaft anwesend, die ein "subkul-

turelles Ambiente" erzeugten.59 Die Ausstellung wurde von Bischofsberger für die beste

gehalten, die Basquiat je hatte. Basquiat behielt daher die meisten der gezeigten Arbeiten

für seine eigene Sammlung.60

1984 wechselte Basquiat zur Mary Boone Gallery, einer der angesehensten und teuer-

sten Galerien New Yorks. "I wanted to be in a gallery with older artists", so Basquiat.

Laut McGuigan wollte er aber vor allem die diffamierenden Vergleiche der Kunstkritiker

52 Annina Nosei, New York: "Public Address." 31. Oktober - 19. November 1981.53 Sirmans In: Marshall, 239.54 Zur Legende des im Keller eingeschlossenen "wild boys" siehe auch Hager, 114.55 Annina Nosei Gallery, New York: "Jean-Michel Basquiat". 12. Februar - 3. März 1982. "Documenta7." Kassel, 19. Juni - 23. September 1982. Galerie Bruno Bischofsberger, Zürich: "Jean-Michel Bas-quiat." 11. September - 9. Oktober 1982.56 McGuigan In: The New York Times Magazine, 34.57 Sirmans In: Marshall, 241.58 Fun Gallery, New York: "Jean-Michel Basquiat." 4. November - 7. Dezember 1982. Zur Rolle derFun Gallery, die hauptsächlich Graffitikünstler ausstellt und so eine Verbindung zwischen DowntownManhattan und den Bronx bildete, siehe Hager, 110, 117; Plous, 33.59 McGuigan In: The New York Times Magazine, 34.60 Wie z. B. Jawbone of an Ass, Charles The First und Untitled (Sugar Ray Robinson).

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zu Graffiti beenden und ein "etablierter" Künstler werden,61 denn, so Fred Braithwaite:

"Graffiti had become another word for nigger".62 Ab 1984 repräsentierten Mary Boone

und Bruno Bischofsberger gemeinsam Basquiat. Während Boone Basquiat neben Eric

Fischl, David Salle und Julian Schnabel zeigt, vermarktete ihn Bischofsberger in Europa

zusammen mit Andy Warhol, Francesco Clemente und Gerhard Richter.63 Bischofsber-

ger war in der Achtziger Jahren neben Boone einer der wichtigsten Trendsetter auf dem

internationalen Kunstmarkt. Er vertrat zu Beginn der Achtziger Jahre bereits Julian

Schnabel in Europa und initiierte damit eine internationale Welle des Neo-

Expressionismus.64 Bischofsberger und Boone waren Talente in der Vermarktung der

neuen Malerei und standen im krassen Kontrast zu der intellektuellen und "ärmlichen"

Behandlung der Kunst durch die New Yorker "non for profit"-Galerien - sie erst brach-

ten den "glamour" der Mode- und Musikwelt in die Kunstwelt, die von ihnen re-

präsentierten Künstler wurden zu "Stars" gemacht.

In diesem Kontext ist es nicht verwunderlich, daß Basquiat in den Achtziger Jahren vor

allem als ein Künstler mit spezifisch malerischen Qualitäten rezipiert wurde. Der "au-

thentische Primitive aus dem Untergrund der Straßen von New York" war das stereo-

type Bild, das seine Galeristen von ihm entwarfen. Diese geschickte Vermarktungsstra-

tegie von Bischofsberger und Boone ließen Basquiat schon 1984 zum teuersten afro-

amerikanischen Künstler der Kunstgeschichte werden. Im August 1984 eröffnete Bas-

quiats erste Museumsausstellung in der Fruitmarket Gallery in Edinburgh.65 Zusammen

mit Andy Warhol und Francesco Clemente arbeitete Basquiat 1984 an den Collaborati-

on Paintings, 1985 schließlich mit Andy Warhol alleine. Zusammen mit Warhol produ-

zierte Basquiat siebzig Gemälde, von denen jedoch nur wenige verkauft wurden.66 Auch

61 McGuigan In: The New York Times Magazine, 3562 Haden-Guest In: Vanity Fair, 190.63 Mary Boone/Michael Werner Gallery, New York: "Jean-Michel Basquiat." 5. Mai - 26. Mai 1984.Galerie Bruno Bischofsberger, Zürich: "Collaborations. Jean-Michel Basquiat, Francesco Clemente,Andy Warhol." 15. September - 13. Oktober 1984.64 Hager, 97.65 The Fruitmarket Gallery, Edinburgh: "Jean-Michel Basquiat. Paintings 1981-1984." 11. August - 23.September 1994 (Wanderausstellung).66 Hager, 129. Galerie Bruno Bischofsberger, Zürich: "Collaborations. Jean-Michel Basuqiat, FrancescoClemente, Andy Warhol." 15. September - 13. Oktober 1984. Akira Ikeda Gallery, Tokyo: "Collabora-tions: Jean-Michel Basquiat, Franceso Clemente, Andy Warhol." 14. - 31. Januar 1985. Tony ShafraziGallery, New York: "Warhol and Basquiat. Paintings." 2. Dezember 1985 - 9. Januar 1986. Akira IkedaGallery, Tokyo: "Collaborations: Jean-Michel Basquiat & Andy Warhol." 8. - 30. September 1986.Galerie Bruno Bischofsberger, Zürich: "Collaborations: Jean-Michel Basquiat and Andy Warhol." 15.November 1986 - 17. Januar 1987.

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die Reaktionen der Kunstkritik auf dieses von dem gemeinsamen Galeristen Bischofsber-

ger initiertes Joint-Venture waren ablehnend bis vernichtend.67

1985 begann Basquiats Rezeptionsphase des "being famous for being famous". Andy

Warhol schrieb am 10. Januar 1985 in sein Tagebuch: "I think Jean Michel will be the

most famous black artist after this New York Times thing comes out".68 Im Februar 1985

schmückte Basquiat das Cover des New York Times Magazine, in dem Cathleen McGui-

gans Titelgeschichte New Art, New Money. The Marketing of An American Artist an-

hand von Basquiats kometenhafter Karriere den Kunstboom der Neo-Expressionisten in

New York beschreibt.69

1986 beendete Basquiat seine Zusammenarbeit mit der Mary Boone Gallery und war

somit ohne eine Galerie in New York. Im November 1986 hatte er seine erste Einzelaus-

stellung in Deutschland in der Kestner-Gesellschaft in Hannover - seine zweite Museum-

sausstellung.70 In Hamburg arbeitete er zusammen mit Salvador Dali, Keith Haring, Jo-

seph Beuys und anderen an der Dekoration für Andre Hellers Freizeitpark Luna Luna.71

Als Andy Warhol im Februar 1987 starb, geriet Basquiat in eine schwere Krise. Seit Juni

1987 agierte der New Yorker Kunsthändler Vrej Baghoomian als sein amerikanischer

Galerist; Basquiat stellte jedoch eineinhalb Jahre überhaupt nicht mehr aus. Erst im Janu-

ar 1988 hatte er eine Einzelausstellung in der Pariser Galerie Yvon Lambert.72 In New

York hatte er im Juni 1988 eine Ausstellung in der Vrej Baghomian Gallery.73 Gezeigt

wurden die letzten Bilder Basquiats, in denen er durch Referenzen an das Sterben wie

die wiederholten Worte MAN DIES ( in Eroica I, Eroica II ) und den Tod (Riding

with Death) seinen nahen Tod vorwegsieht. Am Freitag, den 12. August 1988, starb

Basquiat in seinem Loft in der Great Jones Street an einer Überdosis Drogen.

1.3.2 Julian Schnabels Film Basquiat

67 Siehe Hager, 129. Raynor, Vivien: "Basquiat and Warhol." The New York Times. 20. September1985, 85.Heartney, Eleanor: "Basquiat/Warhol. Tony Shafrazi." Flashart International. Nr. 125, Dezember1985/Januar 1986, 43.68 Hackett, 627.69 McGuigan, Cathleen: "New Art, New Money - The Marketing of an American Artist." The NewYork Times Magazine. 10. Februar 1985, 20-28, 32-35, 74 (Titelbericht).70 Kestner-Gesellschaft, Hannover: "Jean-Michel Basquiat." 28. November 1986 - 25. Januar 1987.71 Sirmans In: Marshall, 248.72 Galerie Yvon Lambert, Paris: "Jean-Michel Basquiat." 9. Januar - 10. Februar 1988.73 Vrej Baghoomian Gallery: "Jean-Michel Basquiat. Paintings - Drawings." 15. Juni - 26. Juli 1988.

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Basquiats Leben und Karriere wurde durch Julian Schnabels Film Basquiat im August

1996 in New York plötzlich wieder zum Gesprächsthema Nummer eins. Nur in drei klei-

nen Programmkinos laufend, bediente Basquiat die Mitglieder der jungen Werbe-, Mo-

de- und Kunstszene in Downtown Manhattan. Im traditionellen Sommerloch der New

Yorker Kunstszene erzählte Basquiat die Geschichte von "money and greed" des

Kunstmarktes der frühen Achtziger Jahre. Basquiat war ein Teil dieses Kunstbooms, der

in Deutschland die "Neuen Wilden" hervorbrachte und den internationalen Neo-

Expressionismus zur Kunst für Mittelklassesammler und Investmentbänker gleicherma-

ßen werden ließ. Julian Schnabel zeigt den Künstler Basquiat als eine Metapher dieses

Kunstmarktes. Aus dem Nichts kommend erobert Basquiat im Schnellschritt die Herzen

der Frauen, Galeristen und Sammler. Eine kometenhafte Karierre, die nur New York

produzieren konnte. Vom "wild boy raised by wolves"74 wird Basquiat innerhalb von

zwei Jahren zum jetsettenden Star der internationalen Kunstszene. Basquiats von Julian

Schnabel erzählte Karriere entspricht der oben geschilderten ersten Version seiner Bio-

graphie, die durch unzählige Zeitschriftenartikel bereits kanonisiert worden ist. Wer all

diese Berichte liest, glaubt, Basquiats Leben zu kennen, fast so wie man die Viten eines

Pablo Picasso oder Vincent Van Gogh zu kennen vermeint.

Die komplexe Persönlichkeit Basquiats, seine Starqualitäten und der Geniekult, der um

ihn betrieben wird, fördern ein weiteres biographisches Interesse, das nun durch Phoebe

Hobans Biographie gedeckt werden wird. Selten wurde ein zeitgenössischer Künstler so

populär, näherte sich sein Leben so dem eines Pop Stars an. Basquiat erfreut sich heute

weltweit einer großen, zumeist jugendlichen Fangemeide, die gerne neue Details über

sein Leben und Werk austauscht. Auch bei meinen Recherchen in New York stellte ich

bald fest, daß fast jeder dritte in Downtown Manhattan Basquiat kannte und zuminde-

stens eine Anektode über ihn oder gar eine Begegnung mit ihm zu erzählen hatte. Das

Mitteilungsbedürfnis der New Yorker über Basquiats Leben ist ungebrochen. Bei ge-

nauerem Nachfragen jedoch hat sich zumeist ergeben, daß es sich um recht oberflächli-

che Bekanntschaften handelte. Basquiat selbst beklagt sich über seine angeblichen

Freunde in einem Interview: "A lot of people are going to say they know me".75 Basquiat

wirklich gekannt haben nur wenige. Und noch wenigere sind in sein intellektuelles Uni-

versum vorgedrungen. Basquiat unterhielt sich mit fast niemanden über die Inhalte seiner

Arbeiten - mit Ausnahme von Ouattara. In einem Interview mit Steven Hager begründet

74 So Jeffrey Deitch in der Ausstellungsbesprechung von Basquiats Einzelausstellung bei Annina Nosei1982. Deitch, Jeffrey: "Jean-Michel Basquiat." Flashart. Nr. 16, Mai 1982, 49-50.75 Hager, 39.

18

er dies mit den Worten: "I don't know if I want people to know these things about me.

It's like the end of mystery".76

So nimmt es nicht Wunder, daß sein Leben nicht von einem engen Freund, sondern von

seinem einstmaligen Erzfeind Julian Schnabel verfilmt wurde. Julian Schnabel und Bas-

quiat hatten Mitte der Achtziger Jahre bei der New Yorker Mary Boone Gallery einen

regelrechten Wettkampf laufen. Wer seine Arbeiten am teuersten verkaufte, gewann.

Sieger war schnell Basquiat, der mit vierundzwanzig Jahren bereits der teuerste schwar-

ze Künstler der Kunstgeschichte war.77 Schnabels späte Rache an Basquiat ist nun sein

Film Basquiat, mit dem Schnabel post mortem an Basquiats Ruhm teilnimmt und den

seinen dadurch vermehrt. Diese eigenartige Transferleistung konnte zustandekommen,

da sich Schnabel selbst als der väterliche Freund Basquiats in den Film "geschmuggelt"

hat, der er jedoch nie gewesen ist. Das Drehbuch zu Basquiat wurde von dem polnischen

Filmemacher Lech Majewski geschrieben. Da dieser jedoch nur bedingt Kenntnis über

Basquiats Leben hatte, stellte Julian Schnabel Basquiats frühen Freund Michael Holman

an, ein weiteres Drehbuch zu schreiben. Michael Holman ging seit 1978 zusammen mit

Basquiat und Vincent Gallo abends in den Mudd Club aus und gründete im Mai 1979

mit Basquiat, Vincent Gallo und Shannon Dawson die Art-Noise Band Gray.78 Michael

Holman wußte also über Basquiats subkulturelles Leben sehr gut Bescheid. Michael

Holman ist selbst ein Afro-Amerikaner, der jedoch wegen seiner hellen Hautfarbe zu-

meist für weiß gehalten wird. In seinem Drehbuch für Julian Schnabel waren Holman

Basquiats Freundschaften zu Graffitischreibern und Rappern wie Lee Quinones, Ramm-

El-Zee und Fred Braithwaite ein wichtiges Anliegen. Auch Basquiats komplizierter Be-

ziehung zu seinem Vater Gerard räumte er einen großen Stellenwert ein. Am Ende des

Films hätte Basquiat in Afrika bei Ouattaras Großmutter eine Entziehungskur machen

sollen.79 Nichts von all diesen Ideen übernahm Julian Schnabel. Er strich Michael Hol-

mans subtilere Charakterisierungen Basquiats, seine Einordnung in den Kontext der New

Yorker Subkultur der frühen Achtziger Jahre sowie seine Freundschaften zu afro-

amerikanischen Künstlern fast vollständig. Stattdessen integrierte er sich selbst als "Al-

bert Milo" in Basquiats Leben und zeichnet so ein Portrait der geldgierigen New Yorker

Kunstszene der Achtziger Jahre. Dieses Portrait stimmt überein mit der oben geschil-

derten Version von Basquiats Biographie, die Basquiat vornehmlich als einen Nutznießer

und später als Opfer des New Yorker Kunstsystems sieht.

76 Hager, 40.77 Siehe dazu auch O'Grady In: Artforum, 9.78 Hager, 54; Sirmans In: Marshall, 236.79 Interview mit Michael Holman im September 1996 in New York. Siehe dazu auch meinen Artikel"HEROism. Jean-Michel Basquiat." Spex. Dezember 1996, Nr. 12, 44-46.

19

Obwohl Basquiat eine Verfilmung von Basquiats Leben sein soll, bleibt dem Zuschauer

die Person Basquiat merklich fremd. Was Schnabel zeigt, sind "stories", die man sich

über Basquiat erzählt, eine aus vielen verschiedenen Blickpunkten konstruierte Identität.

Die "eigentliche" Person jedoch entzieht sich der Darstellungsweise. Das ist einerseits ein

typisches Phänomen des Pop Stars, an dessen privatem Leben die Fangemeinde teil-

nehmen will und der sich dennoch durch seine konstruierte Persona dieser entzieht, zum

anderen aber auch das typische Schicksal des "schwarzen Mannes" in Amerika. Basquiat

wird in Julian Schnabels Film, wie in den unzähligen Zeitschriftenartikeln zuvor, zu einer

Leerstelle, zu einem "Invisible Man", auf den die Vorstellungen der Weißen projeziert

werden, der aber dadurch nicht greifbarer wird. Das wird schon an der Rollenbesetzung

deutlich. Schnabel hat den Film in einer vorher nicht bekannten Weise als eine Parabel

über den Ruhm angelegt. Die amerikanischen und deutschen Filmankündigungen laute-

ten: "David Bowie spielt Andy Warhol, Dennis Hopper spielt den Galeristen Bruno Bi-

schofsberger, Gary Oldman ist Schnabels Alter Ego Albert Milo, Courtney Love ist Lady

Pink". Bekannte Film- und Pop Stars übernehmen die Rollen der weißen Begleiter Bas-

quiats. Allein Basquiat selbst wird von dem bis daher nicht als Filmschauspieler in Er-

scheinung getretenen Theaterschauspieler Jeffrey Wright gespielt. Während die weißen

Figuren in ihrem Ruhm seltsam verdoppelt sind, spielt der weitgehend unbekannte Je-

ffrey Wright den mysteriösen Basquiat. Allein er verschmilzt mit dem darzustellenden

Charakter, liefert ein Bild des "Authentischen".

Nach dem großen Erfolg von Julian Schnabels Basquiat sahen sich alte Freunde Bas-

quiats auf den Plan gerufen, der Öffentlichkeit ein anderes Bild Basquiats zu vermitteln.

So arbeitet die in New York lebende französische Filmemacherin Maripol seit Herbst

1996 an einem Dokumentarfilm, der durch Interviews mit frühen Freunden Basquiats ein

anderes, detaillierteres Bild von ihm zeichnen soll. 80 Im Sommer 1997 hat Maripol zu-

dem den Spielfilm New York Beat geschnitten. New York Beat ist ein Film mit und über

Basquiat, der bereits im Dezember 1980 gedreht wurde und der einen Tag aus dem Le-

ben des jungen Basquiat zeigt - Maripols New York Beat ist somit ironischerweise die

"authentische" Vorwegnahme von Julian Schnabels Film Basquiat. Zusammen mit Fred

Braithwaite, Lee Quinones, Patti Astor sowie den New Yorker Bands Blondie, Kid

Creole and the Coconots und Tuxedomoon liefert New York Beat ein Portrait der sub-

kulturellen Szene Downtown Manhattans zu Beginn der Achtziger Jahre.81 Die finan-

ziellen Schwierigkeiten des italienischen Finanziers Rizzoli jedoch ließen das unge-

80 Mehrere Interviews mit Maripol 1995, 1996 und 1997 in New York.81 Hager, 96; Sirmans In: Marshall, 238; Hoban In: New York, 40.

20

schnittene Filmmaterial von New York Beat achtzehn Jahre lang lagern. Nun erst ver-

sucht Maripol, für den Film einen Verleih zu finden.

1.3.3 Biographie: Version B

Es gibt also durchaus noch eine andere, kaum erforschte Biographie Basquiats. Zu wenig

weiß man bislang vom afro-amerikanischen Kontext seines Lebens und von seinen intel-

lektuellen Interessen. Meine Recherchen in diese Richtung zeigten vor allem, daß es sehr

schwer ist, das Vertrauen der wenigen schwarzen Freunde Basquiats zu gewinnen. Zu

groß ist das Mißtrauen in weiße Journalisten, die nur wieder eine weitere "life and death

story" schreiben wollen. So war Basquiats afrikanischer Freund Ouattara beispielsweise

erst nach mehreren Anläufen und meinem Interpretieren von Basquiats Arbeiten in einem

afro-amerikanischen Kontext bereit, mich durch Informationen zu unterstützen. Jemand

wie Maripol hingegen, die immerhin auch eine gute Bekannte Basquiats gewesen ist, will

er von seinem Wissen über Basquiats Bildinhalte nichts mitteilen. Dies ist nur ein Bei-

spiel, um die größtenteils mit dem amerikanischen Rassismus zusammenhängenden zö-

gerlichen bis ablehnenden Verhaltensweisen der wenigen schwarzen Freunde Basquiats

zu illustrieren.

Basquiat war zusammen mit Fred Braithwaite, Lee Quinones, Michael Holman und

Ramm-El-Zee einer der wenigen afro-amerikanischen und puertoricanischen Künstler in

Downtown Manhattan. Sein Interesse galt, ebenso wie das Michael Holmans und Fred

Braithwaites, einer synkretistischen Mischung aus europäischer, amerikanischer, afro-

amerikanischer, karibischer und afrikanischer Kultur.

1978 begann Basquiats Freundschaft mit Fred Braithwaite alias Fab Five Freddy. Fred

Braithwaite, der wie viele andere SAMO© wegen seiner unüblichen Graffiti und seiner

intellektuellen Sophistikation nicht für einen schwarzen Graffitischreiber, sondern für

einen weißen Konzeptkünstler hielt, war erstaunt, als er Basquiat auf einer Party in ei-

nem Loft auf Canal Street mit den Worten "Yo Fred, SAMO's here" vorgestellt bekam.82

Braithwaite, der heute Moderator einer HipHopsendung bei dem Musiksender MTV ist,

fungierte in der New Yorker Subkulturszene der frühen Achtziger Jahren als ein wichti-

ger Vermittler zwischen der in den Bronx seit Mitte der Siebziger Jahre entstandenen

schwarzen und puertoricanischen Kultur des HipHop und der fast ausschließlich weißen

82 Sischy In: Interview, 119. Zu dieser legendären Party siehehttp://www.cleanroom.co.uk/theguy/html/script. Zu Fred Braithwaites Biographie siehe Toop, 140.

21

Avantgarde-Szene in Downtown Manhattan. So konzipiert Braithwaite zusammen mit

Charlie Ahearn 1982 den Graffitikultfilm Wild Style. Dieser Film ist - ebenso wie Mari-

pols Film New York Beat - ein Spielfilm, in dem die Protagonisten sich selbst spielen und

der daher als ein Dokumentarfilm der Zeit dienen kann. Wild Style zeigt Braithwaite als

"Manager" der weißen "Journalistin" Pattie Astor, die das subkulturelle Leben der Graf-

fitischreiber in den Bronx erkunden will. Tatsächlich ist Pattie Astor die Eigentümerin

der New Yorker Fun Gallery, in der Basquiat 1982 eine Einzelausstellung hatte und die

seit 1981 die erste Galerie in Manhattan ist, die Graffitikünstler zeigt. Die Musik zu Wild

Style wurde unter anderem von Basquiats Freund Ramm-El-Zee produziert. 83

Braithwaite zeigte Deborah Harry, der Sängerin der Punkrockgruppe Blondie, die

schwarze Kultur des HipHop in den Bronx. Diese produzierte daraufhin das Stück Rap-

ture, der Hommage der weißen New Yorker Punkrockszene an den frühen HipHop

schlechthin und der erste weiße Rap überhaupt.84 In dem dazugehörigen Musikvideo

spielte Basquiat als Schauspieler mit.85 1978 lebte Basquiat einige Monate lang zusam-

men mit Braithwaite und dem puertoricanischen Graffitischreiber Lee Quinones in einem

Loft in Soho. Während Braithwaite und Quinones auf riesige Leinwände Graffiti malten,

fertigte Basquiat kleine Baseballkarten an.86 Dazu hörten sie Kassetten von HipHop-

Parties, die Braithwaite aus den South Bronx mitgebracht hatte.87 Diese Kassetten zir-

kulierten damals in den interessierten Kreisen der Downtown Avantgarde und steigern

deren Interesse an der neuen schwarzen Musik des HipHop.88

Braithwaite vermittelte daher den Bronxer HipHop-DJ Afrika Bambaataa an den Mudd

Club und an das Negril, wo dieser jeden Donnerstag für ein fast ausschließlich weißes

Publikum auflegte (Abb. 1.1).89 Afrika Bambaataas Musik ist ein komplexes Patchwork

aus Synekdochen der verschiedensten Kulturen, das jedoch in einer eigenständigen

schwarzen Kunstform - dem HipHop - resultiert. Bambaataa mischt in seiner Musik

Beethovens Fünfte Symphonie zusammen mit elektronischer Musik aus Europa und Ja-

pan, karibischem Calypso und amerikanischem Rock und setzt damit William Burroughs

literarische Collagestrategie der "cut-ups" in eine musikalische Form um.90 Bambaataas

musikalisches Konzept eines kulturellen Synkretismus aus Europa und Amerika, aus

schwarz und weiß, aus high und low steht paradigmatisch für Basquiats Collage- und 83 Siehe dazu auch Hager, 112.84 Jones, 50.85 Siehe dazu den Dokumentarfilm Shooting Star.86 Sischy In: Interview, 119.87 Sischy In: Interview, 119.88 Toop, 133.89 Toop, 133.90 Toop, 105.

22

Zitatstrategien.91 Afrika Bambaataa kannte die Theorien schwarzer nationalistischer Füh-

rer wie Marcus Garvey oder Malcolm X und integrierte schon früh ein politisches Be-

wußtsein in den HipHop. Er gründete in den South Bronx die gangartige aber frieden-

sorientierte Zulu Nation, eine Organisation, die sich von einer Breakdancegrupppe zu

einer international agierenden nationalistischen Bewegung entwickelt und die ihre afro-

zentrische Theorie heute über das Internet verbreitet.92 Die Mitglieder der Zulu Nation

nannten sich Zulu Kings,93 Afrika Bambaata selbst gestaltete sein Erscheinungsbild nach

dem Zulu König Shaka .94

Im Mai 1979 gründete Basquiat zusammen mit Michael Holman die Art-Noise Band

Gray, die in weißen New Wave Clubs wie dem Mudd Club, dem CBGB und dem Hurrah

auftrat.95 Basquiat spielte Gitarre, Klarinette und Syntheziser und war, so Michael Hol-

man, der spirituelle, kreative und ästhetische Führer der Band.96 Gray spielte eine Mi-

schung aus Jazz, Punk und Synth-Pop, die sie selbst als "noise music" bezeichneten.97

Basquiat in einem Interview mit dem New York Times Magazine: "I was inspired by

John Cage at the time - music that isn't really music. We were trying to be incomplete,

abrasive, oddly beautiful".98 Im August 1980 jedoch trat Basquiat aus der Band aus, um

sich seiner künstlerischen Karriere widmen zu können.99

Im April 1981 organisierte Fred Braithwaite zusammen mit Futura 2000 im Mudd Club

eine Ausstellung von Graffitikunst, an der auch Basquiat teilnahm - Beyond Words.

Graffiti-Based-Rooted-Inspired Works (Abb. 1.2).100 Basquiat stellte unter seinem Graf-

fitipseudonym SAMO© zusammen mit Fred Braithwaite, Ramm-El-Zee, Lee Quinones,

Lady Pink, Futura 2000, Henry Chalfant und anderen aus.101 Mit den beiden Graffiti-

schreibern Ramm-El-Zee und Toxic fuhr Basquiat im Dezember 1982 nach Los Angeles,

wo er zwei Monate lebte und arbeitete. Er portraitiert sich, Ramm-El-Zee und Toxic in

91 Siehe dazu Kapitel 2.4 Basquiats Collageverfahren als visuelle Umsetzung der musikalischen Strate-gie des "Sampling".92 Siehe dazu "http:// daveyd.com/ wordsfrombam" und "http:// www.thestrandcafe.com/ mills/ con-tact".93 Toop, 59.94 Jones, 49.95 Sirmans In: Marshall, 236. Michael Holman arbeitet in den frühen Achtziger Jahren zusammen mitAfrika Bambaataa im Negril (Toop, 133). Es ist daher anzunehmen, daß auch Basquiat Bambaataapersönlich kannte.96 Hoban In: New York, 39.97 Sirmans In: Marshall, 237.98 McGuigan In: The New York Times Magazine, 26.99 Sirmans In: Marshall, 238.100 Mudd Club, New York: "Beyond Words. Graffiti-Based-Rooted-Inspired Works. 9. - 24. April 1981.101 Sirmans In: Marshall, 238.

23

den Arbeiten Hollywood Africans und Hollywood Africans in Front of the Chinese

Theater with Footprints of Movie Stars von 1983 (Abb. 1.3, 1.4). Im Mai 1983 reiste

er zusammen mit Toxic nach Jamaica.102 Der fünf Jahre jüngere Puertoricaner Toxic,

dessen Portrait Basquiat 1984 malt (Toxic, Abb. 1.5) wuchs in der South Bronx auf und

lebt heute in Italien.103 Zusammen mit dem 1964 in Manhattan geborenen Afro-

Amerikaner A-One sprüht Toxic nicht nur auf U-Bahnwagons, sondern auf ganze

Häuserwände in den South Bronx (Abb. 1.6). A-One war ein fester Bestandteil der

Graffitiszene der Galerie Fashion Moda in den South Bronx, dessen Graffiti seinen Aus-

sagen zufolge von Basquiat inspiriert war, der ihm auch bei seiner künstlerischen Karrie-

re half - A-One stellte zusammen mit Ramm-El-Zee 1984 auf der Biennale XLI in Vene-

dig aus.104 Basquiat portraitiert A-One 1982 in seiner Arbeit Portrait of A-One a.k.a.

King (Abb. 1.7).

Der 1960 in Queens geborene Graffitischreiber, DJ und Rapper Ramm-El-Zee ist einer

der Erfinder der hochcodierten Zeichen-, Gesten-, Kleider- und verbalen Sprache der

HipHop-Kultur.105 In Anlehnung an die Geheimalphabete und Sprachdekonstruktionen

der schwarzen nationalistischen Five Percenter schreibt Ramm-El-Zee ganze Manifeste

zu seiner "Rüstungsgraffiti", die er "Ikonoklast Panzerism" nennt. Ramm-El-Zee macht

Basquiat erstmals mit den militanteren Positionen des afro-amerikanischen Denkens ver-

traut und versucht Basquiat für die Ziele der nationalistischen Gruppe der Five Percen-

ter, die eine Abspaltung der Nation of Islam ist, zu instrumentalisieren, wie Basquiats

damalige Freundin Suzanne Mallouk bemerkt: "Rammelzee often told Jean-Michel that

he now had a responsibility to people of colour. He brought him to meetings of the Five

Percent Nation".106 Ramm-El-Zees vielzitierter Ausspruch "in a war against symbols

which have been wrongly titled, only the letter can fight" kann als ein Motto von Bas-

quiats Ausloten des "Mikrokosmos Wort", seiner hohen Bewertung des einzelnen Buch-

stabens fungieren.107

102 Sirmans In: Marshall, 242.103 Hoekstra, 278.104 Hoekstra, 51.105 Zu Ramm-El-Zee siehe auch DeAk, Edith: "Train as Book." Artforum. Mai 1983, 88-93. Tate,Greg: "Ramm-El-Zee." B Culture. Vol. 1, Nr. 1. 1986. Abb. siehe Hagenberg, o.S, Hager, 78, 89. Hoek-stra, 246.106 Sirmans In: Marshall, 236. Der sektenähnliche Geheimbund der Five Percenter hat einenmystischen Hintergrund (Sonnenereignisse, Zahlensymbolik, Geheimalphabet) und stellt den Glaubenan den "Original Man", den "Asiatic Black Man", in den Mittelpunkt seiner Ideologie. Viele Rapgrup-pen wurden von den Five Percentern Anfang der Neunziger Jahre als Sprachrohre der Bewegung in-strumentalisiert.107 Tate In: Diederichsen 1993b, 165. So assoziiert auch Thompson mit dem von Basquiat geschriebe-nen Wort WEAPON Ramm-El-Zees "Ikonoklast Panzerism" und nicht etwa den naheliegenden Stereo-typ des schwarzen Gangsters (Thompson In: Marshall, 36).

24

Basquiats "Samo"-Graffiti hat inhaltlich und stilistisch jedoch sehr wenig mit der Graffiti

seiner Freunde Toxic, Ramm-El-Zee und A-One zu tun. So sieht Ramm-El-Zee selbst

Basquiat nicht als einen "authentischen" Graffitischreiber an:

Jean-Michel is the one they told you must draw it this way and call it black manfolk art, when it was really white man folk art that he was doing. That's what hedraw .... white man folk art. He does not draw black man folk art because theytold him what to draw .... They called us graffiti but they wouldn't call him graf-fiti. 108

Trotzdem versteht Basquiat seine Graffitifreunde als eine Verbindung zu der neu ent-

stehenden Kultur des HipHop, lädt sie generös auf Reisen ein und fördert ihre künstleri-

schen Karrieren.

Basquiats Interesse an Musik war trotz seines Ausstiegs bei der Band Gray auch nach

1980 ungebrochen. So arbeitete Basquiat seit 1982 selbst als DJ in verschiedenen Clubs

in Downtown Manhattan.109 In seinen 1982 und 1983 entstandenen Arbeiten Charles

the First, CPRKR, Discography (One), Discography (Two), Horn Players und Max

Roach thematisiert er die Musik des Bebop. 1983 produzierte Basquiat zusammen mit

seinen Graffitifreunden Fred Braithwaite, Toxic, A-One, Al Diaz und Ramm-El-Zee eine

der ersten Rap-Platten überhaupt: Beat Bop (Abb. 1.8).110 Beat Bop erschien als limi-

tierte Pressung auf Basquiats eigens dafür gegründetem Plattenlabel "Tartown Record

Co". Der Name "Tartown" spielt sowohl auf "Chocolate City", die schwarze Bezeich-

nung für Washington und im allgemeine jede Stadt mit einem hohen schwarzen Bevölke-

rungsanteil als auch auf "Coontown", dem weißen Schimpfwort für schwarze Stadtvier-

tel an. Ramm-El-Zees Beat Bop-Rap hat als sein Thema die afro-amerikanische Erzie-

hung und simuliert eine Diskussion zwischen einem Gangster und einem Kind über das

Für und Wider des Schulbesuches. Die Musik von Beat Bop ist ein mit nebligen

Echoeffekten durchtränkter "slow trance beat", den David Toop mit der hypnotischen

"drumbeat" Musik der Yoruba aus Nigeria vergleicht.111 Die Musik von Beat Bop dient

als Hintergrundmusik von Style Wars, Henry Chalfants Dokumentarfilm über die New

Yorker Graffitiszene von 1983. Der Plattenname Beat Bop spielt auf die afro-amerikani-

sche Musik an, die Basquiat am meisten liebte: auf den Bebop. Basquiat arbeitete zu-

108 Tate, 236.109 Sirmans In: Marshall, 242.110 Tate, Greg: "Beat the Message Too. Ramm-El-Zee vs. K-Rob." In: Tate, 93-94. Toop, 192. Die Mu-sik ist auf dem Internet unter http://www.raremusic.com/ november/grooves/ 2playlo. abrufbar.111Toop, 122.

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meist zu der Musik von Bebop und besaß eine exzellente Jazzplattensammlung mit raren

Charlie Parker Platten. Mit Fred Braithwaite unterhielt sich Basquiats öfters über die

Analogien zwischen Bebop und HipHop, die Anfang der Achtziger Jahre sonst noch

niemand festgestellt hatte.112 Kurz vor seinem Tod noch trug sich Basquiat mit der Idee,

eine musikalische Fusion von HipHop und Bebop zu versuchen, die bis dato noch nie-

mand gemacht hatte.113

1982 lernte Basquiat Shenge Kapharoah, einen Künstler aus Barbados, kennen, der in

sein Atelier einzieht und für eine Zeit lang zu seinem besten Freund wurde. Durch ihn

wuchs Basquiats Interesse an afrozentrischen Themen, die für die meisten von seinen

bisherigen Freunden ohne Bedeutung waren.114 Shenge Kapharoah selbst betont seinen

Einfluß auf die Themenwahl Basquiats:

You can see our friendship in the work. The paintings speak for themselves ...Moses and the Egyptians, Charles the First, lines like 'most kings get their headschopped off. This is what we were talking about.115

Im November 1992 wurde Basquiat von James Van Der Zee, dem berühmten Doku-

mentarphotographen der Harlem Renaissance, portraitiert (Abb. 1.9). Das Shooting

wurde von Diego Cortez für Henry Geldzahlers Artikel über Basquiat in Interview 1983

arrangiert.116 Van Der Zees Portrait situiert Basquiat in einer Genealogie berühmter

afro-amerikanischer Künstler.

Ende 1984 forciert Basquiat über Fred Braithwaite ein Treffen mit Robert Farris

Thompson, Professor für afrikanische und afro-amerikanische Kunstgeschichte in Yale,

der als ein "weißer Experte" auch unter afro-amerikanischen Intellektuellen eine hohe

Reputation genießt.117 Basquiat gewinnt ihn dafür, den Katalogessay für seine zweite

Einzelausstellung in der Mary Boone Gallery im März 1985 zu schreiben.118 Auf dem

Höhepunkt von Basquiats Karriere in der weißen Kunstwelt wird Thompson zum Mittler

zwischen zwei Kulturen. In seinem Katalogbeitrag diskutiert er Basquiats Kunst zum 112 Tate In: Diederichsen 1993b, 165.113 Hoban In: New York, 38. Diese Fusion wurde erst 1990 mit "Jazz Thing" von Guru und BranfordMarsalis auf dem Soundtrack von Spike Lees Film Mo' Better Blues sowie mit Miles Davis' Platte Doo-Bop (1993) und Gang Starrs' Projekt Jazzmatazz (1993) realisiert.114 Sirmans In: Marshall, 239.115 Sirmans In: Marshall, 239. Leider konnte ich mit Shenge Kapharoah kein Interview führen.116 Sirmans In: Marshall, 241. Geldzahler, Henry: "From Subways to Soho, Jean-Michel Basquiat."Interview. Nr. 13, Januar 1983, 44-46.117 Siehe dazu Tate: "Guerilla Scholar on the Loose. Robert Farris Thompson Gets Down." In: Tate,178-183.118 Mary Boone Gallery, New York: "Jean-Michel Basquiat." 2. - 23. März 1985.

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ersten Mal im afro-atlantischen Zusammenhang. Laut Thompson entwickelte sich aus

ihrem ersten Treffen im Januar 1985 eine andauernde Freundschaft.119

1986 reiste Basquiat zusammen mit seiner Freundin Jennifer Goode zum ersten Mal nach

Afrika, wo Bruno Bischofsberger auf sein Drängen hin eine Ausstellung in Abidjan an

der Elfenbeinküste arrangiert hatte.120 Diese Reise Basquiats steht in der Tradition afro-

amerikanischer Künstler, die seit den Sechziger Jahren nach Afrika "pilgern", um dort ihr

kulturelles Erbe zu erkunden.

Im Januar 1988 traf Basquiat in Paris auf seiner Ausstellungseröffnung bei der Galerie

Yvon Lambert Ouattara, einen Künstler aus Abidjan, der zu dieser Zeit in Paris lebte.

Basquiat war begeistert, einen "echten" afrikanischen Künstler zum intellektuellen Ge-

dankenaustausch gefunden zu haben. Die beiden wurden sehr gute Freunde; Ouattara

zog auf Basquiats Wunsch nach New York, wo dieser dessen Karriere nach allen Kräf-

ten förderte. Er unternahm mit Ouattara eine Reise nach New Orleans um das dortige

Voodoo-Museum zu besuchen und den Mississippi als Ort afro-amerikanischer Ge-

schichte zu erforschen.121 Ouattara lud Basquiat im Sommer 1988 zu einer weiteren Rei-

se an die Elfenbeinküste ein. Nach Basquiats Tod wird in seiner Jackentasche ein auf den

Tag seines Todes ausgestelltes Ticket nach Abidjan gefunden - Basquiat plante dort eine

weitere Entziehungskur.122

1.4 Basquiats Rezeption in der (artistic) "black community" oder "Nobody Loves

a Genius Child"

119 Brief Thompsons an die Verfasserin, März 1998.120 Centre Culturel Français d'Abidjan, Elfenbeinküste: "J. M. Basquiat." 10. Oktober - 7. November1986.121 Interview mit Ouattara am 15. Oktober 1997 in New York.122 Haden-Guest In: Vanity Fair, 184.

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Basquiats Verhältnis zu der sogenannten "black community" war und ist äußerst schwie-

rig, wie Greg Tate 1989 in seinem Essay Flyboy in the Buttermilk. The Crisis of the

Black Artist in White America feststellt:123

Given the past and present state of race relations in the U.S., the idea that anyBlack person would choose exile into "the white world" over the company andstrength in numbers of the Black community not only seems insane to some ofus, but hints at spiritual compromise as well. To be a race-identified race-refugeeis to tap-dance on a tightrope, making your precarious existence a question ofbalance and to whom you concede a mortgage on your mind and body and lienon your soul. Will it be the white, privileged, and learned or the Black,(un)lettered, and disenfranchised?124

Als jemand, der, wie es Tate ausdrückt, "freiwilliges Exil" in der weißen Kunstwelt ge-

funden hatte, wurde Basquiat von New Yorks schwarzer Intelligenzija für "verrückt"

gehalten. Die Rassenschranken in New York waren und sind immer noch sehr hoch und

Schwarze, die sich in die weißen Kunst- oder Musikkreise "verirrt" haben, sind auch

heute noch rar gesät. Basquiat litt unter dieser Situation und sprach mit seinem Freund

Fred Braithwaite öfters darüber: "...There's not enough black people downtown in this ...

whatever it is, pseudo art bullshit".125 Trotzdem sieht Tate diese Situation Basquiats als

exemplarisch für die des afro-amerikanischen Intellektuellen an, der unter einer "dop-

pelten Entfremdung" leidet: entfremdet von der schwarzen Gemeinschaft bewegt er sich

als ein Fremder in "weißem Gebiet". Diese tragische Konstellation, so Tate, habe schon

viele schwarze Intellektuelle vor Basquiat in den Selbstmord geführt.126 Auch die afro-

amerikanische Performancekünstlerin Lorraine O'Grady sieht in Basquiats Entfremdung

von der "black community" die eigentliche Tragik seiner künstlerischen Karriere:

One effect of Basquiat's isolation is not speculation: the thinnest aspect of his artwas not lack of training, which is irrelevant, but his separation from the audiencethat could have enabled and challenged him.127

In der Ausstellungskarriere Basquiats gab es zu seinen Lebzeiten nur eine Beteiligung an

einer Gruppenausstellung in einem multikulturellen und eine in einem afro-amerikani-

schen Kontext. 1983 nahm Basquiat an der Gruppenausstellung Food for the Soup Kit-

123 Tate, Greg: "Flyboy in the Buttermilk. The Crisis of the Black Artist in White America." The Villa-ge Voice. Vo. XXXIV, Nr. 46, 14. November 1989, 31-36. Wiederabdruck in Tate, Greg: Flyboy in theButtermilk. Essays on Contemporary America. An eye-opening Look at Race, Politics, Literature andMusic. New York: Fireside 1992.124 Tate, 233.125 Hager, 40.126 Tate, 232.127 O'Grady In: Artforum, 11.

28

chen in der Galerie Fashion Moda in den Bronx teil.128 Diese Ausstellung wurde von der

New Yorker Obdachloseninitiative präsentiert und war ein Aufmerksammachen auf die

sozialen Mißstände der Stadt. Basquiats Zeichnung Food for the Soup Kitchen von

1983 (Abb. 1.10) wurde für die Einladungskarte der Ausstellung verwendet, an der wei-

ße, afro-amerikanische und asiatische Künstler teilnahmen.129

Basquiat war von 1979 bis 1983 zwar ein aktiver Teil der schwarzen Avantgarde-

Musikszene Manhattans und mit der puertoricanischen und afro-amerikanischen Graffi-

tiszene der South Bronx gut bekannt, hatte aber von der Existenz einer eigenständigen

"high art" Kunstszene der Afro-Amerikaner in New York noch nie gehört. Darauf

machte ihn erst Lorraine O`Grady aufmerksam, die Basquiat 1983 für die Teilnahme an

der von ihr kuratierten Black and White Show in der Kenkeleba Gallery im New Yorker

East Village gewinnen wollte. Auf dem Ausstellungsplakat war Basquiats Name neben

den in der "black community" etablierten afro-amerikanischen Künstlern Adrian Piper,

Coreen Simpson, Ed Clark und weißen Künstlern wie Keith Haring und Nancy Spero

angekündigt.130 O'Grady wollte mit der Teilnahme des jungen, in der schwarzen Kunst-

welt bis dahin unbekannten bzw. unakzeptierten Basquiat ein Exempel statuieren:

I would star Jean-Michel, not David Hammons: David was already overexposedin the black art world, though he wasn't to be discovered by the white one foranother six years.131

Daß Basquiat von dieser kleinen institutionalisierten "schwarzen Kunstwelt" New Yorks

bislang nichts gehört hatte, verwundert wenig. Denn diese isolierte sich aus Frustration

selbst und existierte nur in "not for profit"-Galerien wie der Kenkeleba Gallery im East

Village, Just Above Midtown in Harlem und dem Studio Museum in Harlem. Die

schwarze Kunstwelt der frühen Achtziger Jahre definierte sich vorrangig als eine Anti-

haltung zum weißen Establishment. Laut O'Grady wollte beispielsweise die Gründerin

der Just Above Midtown Galerie Linda Bryant von Basquiat nichts hören:

.... I could tell Linda thought I was crazy: Haitian? From Brooklyn? Only 21? Itwas too weird; she'd catch up with him later. I hadn't even mentioned graffiti.

128 Fashion Moda, Bronx, New York: "Food for the Soup Kitchen." 1. - 15. Oktober 1983.129 Die Galerie Fashion Moda wurde 1979 von dem österreichischen Künstler und Kurator Stefan Einsin den Bronx gegründet und entwicklete sich durch ihre räumliche Nähe zur Graffitiszene der SouthBronx bald zu der Graffitigalerie New Yorks. Fashion Moda zeigte die Graffitikünstler Lee Quinones,Toxic und A-One, die alle Freunde Basquiats waren. Siehe auch Stefan Eins: "Fashion Moda und dieSubway Sprayer." In: Hoekstra, 20-25.130O'Grady In: Artforum, 9. Kenkeleba Gallery, New York: "Black and White Show." 1983.131 O'Grady In: Artforum, 11.

29

With the artists I spoke to, disbelief hardened further: on Prince Street? Whenthere are guys out here who've been working 30 years?132

Lorraine O'Grady versuchte Basquiat vor seinem Schicksal zu "retten", indem sie ihn mit

in den Sechziger Jahren etablierten schwarzen Künstlern bekannt machen wollte:

I knew the art world was about to eat him up and before it did, I hoped to con-nect him to black artists who, picked up in the 60's and then dropped, could givehim perspective on its mores in a way his graffiti friends could not. I also wantedto connect them to his hunger, his lack of fear. There were some who had stop-ped reading art magazines because they knew they would not see themselves the-re.133

Basquiat sagte seine Teilnahme an O'Gradys Black and White Show im letzten Moment

ab, da er bereits mit der Mary Boone Gallery Verhandlungen führte - und da war an das

Ausstellen in einer kleinen schwarzen Institution nicht mehr zu denken.134

1984 wurde Basquiats Portrait James Van Der Zee - VNDRZ (Abb. 1.11) - in der Van

der Zee Memorial Show: James Van der Zee, 1886 - 1983 gezeigt. Im Gegenzug zu Van

der Zees Photoportrait hatte Basquiat 1982 dessen Portrait gemalt.135 Im gleichen Jahr

zeigte die Center Gallery of Bucknell University in Lewisburg in der Gruppenausstellung

Since the Harlem Renaissance. 50 Years of Afro-American Art zwei Arbeiten Basquiats:

Untitled von 1982 und Danny Rosen von 1983.136 Basquiat wurde in der Abteilung

"Self-Taught to Neo-Expressionism" zusammen mit dem Graffitikünstler Futura 2000

und dem "Outsiderkünstler" Bill Traylor ausgestellt. Auch Arbeiten von David Ham-

mons, Betye und Alison Saar, Bob Thompson, Romare Bearden, Palmer Hayden, Jacob

Lawrence, Joe Overstreet und William H. Johnson waren zu sehen - afro-amerikanische

Künstler, die, wie die vorliegende Arbeit im folgenden aufzeigen wird, ähnliche Themen

wie Basquiat bearbeitet haben. Trotzdem war diese Ausstellung zu Basquiats Lebzeiten

seine einzige Beteiligung an einer Ausstellung im afro-amerikanischen Kontext. Denn

den zumeist stark konservativ denkenden Mitgliedern der institutionalisierten schwarzen

New Yorker Kunstwelt war Basquiat äußerst suspekt.137 Greg Tate bemerkte dazu in

132 O'Grady In: Artforum, 11.133 O'Grady In: Artforum, 11.134 O'Grady In: Artforum, 11.135 New York City Department of Cultural Affairs, New York: "Van der Zee Memorial Show: JamesVan der Zee, 1886 - 1983. 1. Februar - 2. März 1984.136 Sirmans In: Marshall, 245. Center Gallery of Bucknell University, Lewisburg, Pennsylvania: "Sincethe Harlem Renaissance. 50 Years of Afro-American Art." 13. April - 6. Juni 1984 (Wanderausstel-lung).137 Interview mit Valery Mercer, Kuratorin am Studio Museum in Harlem, New York, 10. Juli 1998.

30

seinem vier Jahre nach Basquiats Tod geschriebenen Katalogtext Black Like B. selbst-

kritisch:

I find him easier to handle now, just another dead black genius. .... I'm not givento question anymore wether he's black enough for me. Just like all the black na-tionalists who conjure Michael Stewart's name when the subject is police bruta-lity who don't have to contend with how many white girls Stewart chased.138

Ein Afro-Amerikaner, der sich freiwillig in die weiße Kunstwelt begibt, war den meisten

konservativen oder nationalistischen Schwarzen unvorstellbar. Die meisten ignorierten

daher einfach Basquiat und seine Arbeiten. Dies führte dazu, daß die Bildinhalte Bas-

quiats zu seinen Lebzeiten kaum einen Afro-Amerikaner interessiert haben. Aber auch

nach seinem Tod ist sein Bekanntheitsgrad in der "black community" gering geblieben.

So bemerkt O'Grady zwar einen vermehrte Präsenz von Afro-Amerikanern in der Whit-

ney-Retrospektive von 1992, aber die einzige Filmankündigung zu Julian Schnabels Film

Basquiat 1996 in einer afro-amerikanischen Zeitschrift beginnt mit den Worten: "Most

homies in the 'hood' have never heard of Jean-Michel Basquiat".139 Und auch in den New

Yorker Vorführungen von Julian Schnabels Film Basquiat machte die Präsenz von Afro-

Amerikanern nur ungefähr ein Viertel aus - in Harlem oder Brooklyn lief der Film erst

gar nicht. Auch afro-amerikanische Sammler sind extrem selten.140 Basquiat und Fred

Braithwaite unterhielten sich des öfteren darüber, wie man Prominente wie Bill Cosby,

Miles Davis oder Eddie Murphy dazu bringen könnte, Kunst von afro-amerikanischen

Künstlern zu kaufen.141 Doch Kunst spielt in der schwarzen Ober- und Mittelklasse bis-

lang eine geringe Rolle.142 Wenn man sammelt, dann zumeist afrikanische Plastik oder

rare Schallplatten, nicht aber zeitgenössische Kunst. Zudem halten die meisten Angehö-

rigen der schwarzen aufstrebenden Mittelklasse Kunst oft für eine unnötige Form des

Luxus, für eine von den Weißen adaptierte kulturelle Form.143 In jüngster Zeit hat sich

daran aber offensichtlich einiges geändert. Waren bei der Basquiat-Retrospektive des

Whitney Museums 1992 meines Wissens keine afro-amerikanischen Leihgeber beteiligt,

so hat unlängst Spike Lee eine Arbeit Basquiats bei der Tony Shafrazi Gallery in New

York gekauft. Dies kann nun schon fast als ein Signal gelten: der schwarze nationalisti-

138 Sirmans In: Marshall, 245.139 Gregory In: Vibe, 120.140Siehe dazu auch Tate, 243.141 Sischy In: Interview, 122.142 Interview mit Ouattara in New York, 8. Juli 1998.143 Interview mit Michael Holman im September 1995 in New York.

31

sche Filmemacher "rehabilitiert" durch seinen Kauf Basquiat in der "black communi-

ty".144

Neben diesen ideologischen Barrieren in der afro-amerikanischen Beschäftigung mit

Basquiats Werk ist ein weitaus pragmatischerer Grund die einfache Tatsache, daß die

Versicherungssummen für seine Arbeiten sehr hoch sind und sich traditionell eher arme

Institutionen wie das Studio Museum in Harlem eine große Ausstellung seiner Werke

gar nicht leisten können. Selbst die Ausstellung in Abidjan an der Elfenbeinküste, die

Basquiat sich so sehr gewünscht hat, scheiterte fast, weil Bischofsberger sich weigerte,

seine bereits gekauften Arbeiten Basquiats in einer nach seinen Aussagen "herunterge-

kommenen Hütte ohne Dach" auszustellen.145 Basquiat stellt daher selbst auf eigenes

Risiko dreißig noch in seinem Besitz befindliche Gemälde zur Verfügung.146 Die Aus-

stellung wurde schließlich in dem dem Sicherheitsbedürfnis Bischofsbergers mehr zusa-

genden Centre Culturel Français d'Abidjan ausgerichtet. Dort sahen die Ausstellung je-

doch nicht, wie von Basquiat erhofft, schwarze Afrikaner, sondern eine elitäre Gruppe

von Europäern. Eine Konfrontation der Arbeiten mit seinen afrikanischen Wurzeln, die

Basquiat wohl beabsichtigt hatte, blieb weitgehend aus. Sein internationales Jetsetdasein

hatte ihn auch in Afrika eingeholt, auch dort blieb er von einer Gruppe weißer Galeristen

und Diplomaten umringt.147 Von der Kunst der schwarzen Afrikaner, die in Abidjan die

französische Ecole des Beaux Arts besuchen, war Basquiat sehr enttäuscht, wie seine

damalige Freundin Jennifer Goode bemerkt:

I remembered he [Basquiat] was disappointed that they were doing copies ofWestern art. He thought it would be more like his work, but the only things thatwere anything like his were on the outside of houses. Or just signs.148

Ein Jahr nach seinem Tod wird 1989 eine frühe Arbeit Basquiats in der Gruppenausstel-

lung afro-amerikanischer Künstler The Blues Aesthetic. Black Culture and Modernism in

Washington gezeigt.149 Diese Wanderausstellung machte auch im New Yorker Studio

Museum in Harlem Station. Sowohl die in dieser Ausstellung als auch die beiden in der

Ausstellung Since the Harlem Renaissance. 50 Years of Afro-American Art gezeigten

144 Leider konnte ich Spike Lee nicht zu einer Stellungnahme zu Basquiat sowie zu Julian SchnabelsFilm Basquiat bewegen.145 Telefoninterview mit Bruno Bischofsberger am 22. März 1998.146 Eine Liste der ausgestellten Werke existiert leider nicht mehr.147 Telefoninterview mit Bruno Bischofsberger am 22. März 1998.148 Haden-Guest In: Vanity Fair, 192.149 The Washington Project for the Arts, Washington: "The Blues Aesthetic. Black Culture and Moder-nism." 14. September - 9. Dezember 1989.

32

Arbeiten Basquiats haben keine explizite afro-amerikanische Thematik; die Katalogtexte

erwähnen Basquiat mit keinem Wort. Man erhält den Eindruck, als wäre Basquiat nur

aus Gründen der Vollständigkeit in diese beiden wichtigen afro-amerikanischen Über-

blicksausstellungen integriert. Von einem Verständnis oder gar einer Aktzeptanz seiner

Arbeiten von afro-amerikanischen Seite ist hingegen wenig zu spüren.

1992 wird eine Zeichnung Basquiats in der Gruppenausstellung Paris Connection. Afri-

can American Artists in Paris der Galerie Bomami in San Franciso gezeigt.150 1995

zeigt das Studio Museum in Harlem in einer Einzelausstellung Basquiats Siebdruckserie

der Blue Ribbon Paintings, die von der weißen New Yorker Sammlerfamilie Schorr aus-

geliehen wurde.151 Im Studio Museum in Harlem wird Basquiat jedoch wieder wie ne-

bensächlich behandelt. In der Art der Präsentation sieht man die Bemühungen der Insti-

tution, Basquiat zwar in die afro-amerikanische Kunstgeschichte zu integrieren, ihm aber

nicht das von der weißen Kunstwelt beigemessene Gewicht zukommen zu lassen. Auch

nach Basquiats Tod ist das Interesse afro-amerikanischer Kunstinstitutionen an seinem

Werk also relativ gering. In den Kreisen afrikanischer und afro-amerikanischer New

Yorker Künstler jedoch ist Basquiat inzwischen zu einem wichtigen "role model" avan-

ciert. So zitiert Lyle Ashton Harris in seiner Serie "The Watering Hole" von 1996 eines

der Blue Ribbon Paintings Basquiats (Abb. 1.12).152 Auf meine Frage nach seinem

künstlerischen Verhältnis zu Basquiat antwortete er: "He's my favorite artist."153 Der

afro-amerikanische Künstler Michael Richards erklärte mir diesen Sinneswandel der

schwarzen Intelligenzija wie folgt: "The prodigal son goes out to life in another land, but

the family buries the dead body".154 Dennoch hat sich bislang noch kein afro-amerika-

nischer Autor dazu bemüht, eine Biographie oder Monographie Basquiats vorzulegen.

Die intellektuelle Verfügung über das Werk und Leben Basquiats liegt - bis auf die Aus-

nahmen der Beiträge von Tate, hooks, O'Grady und Sirmans - nach wie vor in "weißer

Hand".

150 Bomami Gallery, Jernigan Wicker Fine Arts, San Francisco: "Paris Connection. African AmericanArtists in Paris." 14. Januar - 29. Februar 1992.151 The Studio Museum in Harlem, New York: "Jean-Michel Basquiat. The Blue Ribbon Paintings." 15.Oktober - 31. Dezember 1995 (Wanderausstellung, die in South Hadley startete).152 Jack Tilton Gallery: "Lyle Ashton Harris. The Watering Hole." September 1996.153 Telefoninterview mit Lyle Ashton Harris im September 1996.154 Interview mit Michael Richards im September 1996 in New York.

33

2. Basquiats Collage-, Zitat- und Codierverfahren

2.1 Einführung in Basquiats Werk

Basquiats Werk gliedert sich in Arbeiten auf Leinwand, Skulptur und Zeichnung. Da

bislang kein Werkverzeichnis existiert, kann man die Anzahl seines achtjährigen künst-

lerischen "Outputs" nur ungefähr schätzen: ca. siebenhundert großformatige Arbeiten auf

Leinwand, tausend Zeichnungen und dreißig Skulpturen.

Basquiats Arbeiten auf Leinwand bestehen größtenteils aus einer Mixed-Media-Collage

von Acrylfarbe, Ölkreide, Kohle, Buntstift und aufcollagierten Farbkopien seiner Zeich-

nungen. Ab 1984 integriert er "found objects", die seine "Gemälde" zu dreidimensionalen

Assemblagen werden lassen, die in der Tradition von Robert Rauschenbergs "Combine

Paintings" stehen. Basquiats Arbeiten haben im Orginal eine farbliche Brillianz, kompo-

sitorische Leichtigkeit und Bestimmtheit, die in den Reproduktionen leider meist nur zu

erahnen ist.155 Als Maler kombiniert Basquiat die Farbintensität Emil Noldes und Henri

Mattisses sowie das großflächige "flat-painting" von Franz Kline, Robert Motherwell,

Jackson Pollock und Wilhelm De Kooning zu einer postmodernen Fortsetzung dieser

malerischen Traditionen. Basquiats großformatige "Malerei" sowie seine Betonung der

Zweidimensionalität der Bildfläche durch die Verwendung von Schrift und Collage ste-

hen in der Tradition des Abstrakten Expressionismus. Von Basquiat vorrangig als einem

Maler zu sprechen, trifft jedoch nur einen Aspekt seines Werkes. Stilistisch ist seine

Verfahrensweise nicht allein die eines "klassischen Malers", sondern steht vielmehr in

einer Tradition der Collage von den Dadaisten über den analytischen Kubismus bis hin zu

Robert Rauschenbergs Assemblagen.

Basquiats Zeichnungen sind vor allem "visuelle Poesie". Sorgsam plazierte Worte auf

weißem Grund und mit Wortkaskaden bis an die Ränder gefüllte Blätter wechseln sich

ab. In seinen Zeichnungen zeigt sich Basquiats brilliante kompositorische Fähigkeit, das

"magische Geviert" mit Spannung zu füllen. Basquiats Zeichnungen und seine Arbeiten

auf Leinwand hängen formal und inhaltlich eng miteinander zusammen. Seit 1984 colla-

giert Basquiat Farbkopien seiner Zeichnungen auf Leinwand. Diese Farbkopien bilden

sein Bild/Textarchiv, aus dem er sich für die Anfertigung seiner großformatigen Arbeiten

auf Leinwand bedient. Basquiats ganzes Werk hat somit einen unmittelbaren semanti- 155 Leider ist Basquiats Werk für die Öffentlichkeit bislang sehr schlecht zugänglich. In den Sammlun-gen großer internationaler Museen ist er bis auf die Ausnahme des New Yorker Whitney Museums forAmerican Art nicht vertreten. So sind seine guten Arbeiten bislang nur in den Retrospektiven in NewYork, Paris bzw. Marseille zu sehen gewesen.

34

schen Zusammenhang. Fragmente aus früheren Zeichnungen finden sich in späteren Ar-

beiten wieder, das gesamte Werk ist ein fortwährendes Bearbeiten und Weiterentwickeln

eines existierenden Grundmaterials. Über diese immer wieder neu zusammengefügten

Zeichnungsfragmente malt Basquiat eine Mischung aus figurativer und abstrakter Male-

rei. Seine großformatigen Arbeiten bestehen zumeist aus einem collagierten kleinteiligen

Bildhintergrund und einem in "großer Geste" gemalten Bildvordergrund. Basquiats Ar-

beiten sind Bilder der "Simultanität". Durch das Verfahren der Collage ist alles "gleich-

zeitig" nebeneinander auf der Bildfläche vorhanden. Der Blick des Betrachters verweilt

auf einzelnen Worten oder Wortkonglomeraten, die eigene Assozationsfelder bilden.156

2.2 Collage

Papier collé, in all its different aspects, marks the most poetic moment, the mostrevolutionary moment in the evolution of painting.157

TZARA "EL HOMBRE MAS IMPORTANTE DE DADAISMO"© EL TIPOMAS FUERTE©158

Für Tristan Tzara war die Collage der revolutionärste Moment in der Geschichte der

Malerei; für Basquiat ist Tzara der wichtigste Künstler des Dadaismus, denn er führte

sowohl das "cut-up" Prinzip als auch das Prinzip der Wiederholung in die Kunst ein.

To make a dadaist poemTake a newspaper.Take a pair scissors.Choose an article as long as you are planning to make your poem.Cut out the article.Then cut out each of the words that make up this article and put them in a bag.Shake it gently.Then take out the scraps one after the other in the order in which they left thebag.Copy conscientiously.The poem will be like you.159

Tristan Tzaras Beschreibung der Herstellung einer dadaistischen Wortcollage gleicht

oberflächlich in vielem der Vorgehensweise Basquiats. Dieser schneidet jedoch nicht di-

156 Das Fehlen einer "Linearität" des Leseablaufs der Arbeiten erinnert an die simultanen Schichtungender Musik des HipHop, die einer rein linearen Abfolge der Musik entgegenwirkt.157 Tristan Tzara: "Le Papier collé ou le Proverbe en peinture." In: Hoffman, 60.158 Basquiat In: Untitled , 1985, Collage und Mischtechnik auf Papier (Abb. 4.56).159 Tristan Tzara In: Hoffman, 13.

35

rekt aus seinen Vorlagen - Bücher und Schallplatten - aus, sondern schreibt die ihn inter-

essierenden Worte ab. Trotzdem erscheint die unübersichtliche Informationsflut auf Bas-

quiats Arbeiten nach dem Zufallsprinzip generiert zu sein. Tatsächlich ist Basquiats "vi-

suelle Poesie", wie auch Tzaras Collage, in ihrer Auswahl und Struktur vor allem ein

"Portrait" der Denk- und Bewußtseinsprozesse des Künstlers. Basquiat stellt seine

"Bildgedichte" nicht mit der Absicht einer eindeutigen diskursiven Aussage her. Viel-

mehr bildet seine Zusammenführung von Worten und Zeichen aus den unterschied-

lichsten Kultur- und Kommunikationssystemen ein schier unüberschaubares Angebot

zum Decodieren. Beim Lesen seiner Arbeiten ist daher vor allem die Leistung des Rezi-

pienten gefragt. Dieser konstituiert je nach Bildungsstand und kulturellem Hintergrund

seine eigene Bildbedeutung, seine eigene Lesweise. Basquiats Kommunikationsangebot

richtet sich an die verschiedensten Betrachtertypen. Ein Kenner der Malerei wird seine

Arbeiten auf Leinwand vor allem als ein intelligentes Pastiche aus den wichtigsten male-

rischen Strömungen des 20. Jahrhunderts lesen. Ein mit europäischen Kultur und Ge-

schichte vertrauter "Bildungsbürger" wird über Basquiats enzyklopädische Nennung

europäischer Geschichte, Literatur, Philosophie und Kunst erstaunt sein. Ein in afro-

amerikanischer Kultur und Geschichte bewanderter Interpret wird Basquiats Arbeiten als

einen "Container" schwarzer Kultur verstehen; ein mit afrozentrischen Konzepten ver-

trauter Betrachter Basquiats codierte afrozentrische Lesart europäischer und afrikani-

scher Geschichte bemerken.

Basquiats selbst aber läßt durch das heterogene Prinzip der Collage sein Bedeutungsan-

gebot offen. In Basquiats Collagen gibt es keine Bildsyntax im eigentlichen Sinn, keinen

festen Zusammenhang der Zeichen zueinander. Stattdessen legt Basquiat förmlich Voka-

belhefte afro-amerikanischen Wissens an. Die einzelnen "Vokabeln" stehen zumeist un-

vermittelt nebeneinander, allein ihre Zugehörigkeit zu dem Referenzfeld der "black expe-

rience" lassen sie in einem kohärenten Zusammenhang lesen. Sie bilden jeweils für sich

Konnotationsfelder, die sich mit denen der anderen Worte und Zeichen in den Arbeiten

überlagern, und so zu bestimmten Lesarten führen können.

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2.3 Schrift im Bild

Artists use text, because they have something to say. (Les Levine)160

Seit den Bewegungen von Dadaismus, Futurismus und analytischem Kubismus findet in

der Kunst des 20. Jahrhunderts eine wechselseitige Durchdringung von Wort und Bild

statt. Zum einen signalisiert die Integration von Schrift ins Bild "Inhalt", der Künstler

will "etwas sagen". Zum anderen aber wird die Schrift durch ihre Integration ins Bild

"ikonisiert". Die in die Gemälde und Zeichnungen eingemalten, eingezeichneten oder ein-

collagierten Schriftversatzstücke betonen seit dem analytischen Kubismus die Zweidi-

mensionalität der Gemälde. Basquiat knüpft mit seiner Integration von Schrift ins Bild an

diese Tradition an. Neu ist bei ihm jedoch der sprachliche Aspekt: seine Arbeiten sind

"visuelle Poesie", sie können laut gelesen werden. Dieses laute Lesen der Bilder erinnert

an den Sprechgesang der Rapper des HipHop, weswegen die Kunstkritik seine Arbeiten

auch als "Eye-Rap" bezeichnet hat.161 Basquiats Integration von Sprache ins Bild erzeugt

kein diskursives lineares Sprechen, sondern evoziert lediglich einzelne Assoziationsrei-

hen beim Betrachter. Zwischen den verstümmelten, abgebrochenen oder durchgestriche-

nen Textfragmenten gibt es kaum einen syntaktischen Zusammenhang.

Die Integration von Schrift ins Bild unterscheidet Basquiats Arbeiten von der "reinen

Malerei" des Neo-Expressionismus und verbindet ihn mit den geschriebenen sozialkriti-

schen Statements von Barbara Kruger und Jenny Holzer. In der Malerei der Achtziger

Jahre ist seineVerwendung von Schrift alleine mit dem Vorgehen Anselm Kiefers zu ver-

gleichen. Dieser fügt Schrift in seine Gemälde ein, um diese mit geschichtlichen, my-

thologischen oder literarischen Kontexten zu verbinden. Bei Basquiat funktioniert die

Schrift ebenfalls als ein "referentielles Bedeutungssystem",162 sie verweist auf Dinge,

Ereignisse und Zustände innerhalb und außerhalb des Bildraums.

Obwohl es auf den ersten Blick verlockend erscheinen mag, Basquiats Verwendung von

Schrift formal und stilistisch in den Kontext der gleichzeitig in New York entstandenen

Graffiti-Kunst zu stellen, so ist seine Verwandschaft zu dieser doch nur "soziologischer

Natur".163 Denn die orginale Graffiti auf den U-Bahn-Wagen New Yorks gründet auf

einem sehr konservativen Kunstbegriff: es geht den Schreibern alleine darum, ein gemal-

160 In: Louis, Eleonora/Stoss, Toni, 1.161 Storr In: Cheim, o.S.; Pellizzi, o.S.162 Faust, 17.163 Siehe dazu das Kapitel 6.1 Die Parallelität von Identitäts- und Signaturproblematik.

37

tes oder geschriebenes sorgsam ausgeführtes "masterpiece" der breiten Öffentlichkeit der

Stadt vorzuführen.164 Basquiats frühe "Samo"-Graffiti kann eher als eine Art "Anti-

Graffiti" zu der bestehenden New Yorker Graffiti beschrieben werden. Er schrieb in ei-

nem bewußt "ungekünstelten" Duktus, dafür jedoch an die strategisch wichtigen Stellen

des New Yorker Kunstmarktes. Basquiats spätere Integration von Schrift ins Bild über-

nimmt dieses "understatement" des Geschriebenen und seine sozialkritischen Aussagen.

Die Schnelligkeit und Spontanität seines Schreibens sowie sein gesellschaftskritisches

Anliegen haben mit dem Stil der Graffiti-Künstler New Yorks wenig zu tun.

2.4 Basquiats Collageverfahren als visuelle Umsetzung der musikalischen Strategie

des "Sampling"

Basquiats Collageverfahren steht zum einen in der Tradition von Robert Rauschenbergs

"Combine Paintings", ist aber gleichzeitig auch eine Umsetzung der neuesten musikali-

schen Strategien der Achtziger Jahre. Robert Farris Thompson vergleicht in seinem 1985

für Basquiats zweite Einzelausstellung in der Mary Boone Gallery geschriebenen Essay

Basquiats Collagetechnik mit der des HipHop:

Mit den mnemotechnischen und phonetischen Kräften des Computerzeitalters,den Keyboardinstrumenten mit ihren Speichervorrichtungen, den Buchstaben undZeichen arbeitet Basquiat wie mit dem Pinsel. Das erinnert an "hiphop", die aktu-elle musikalische Revolution, die ebenso funky wie futuristisch ist, an auf "Rap"spezialisierte Aufnahmestudios, die in ihren Computern Industrielärm gespeicherthaben, an James Browns erfolgreiche Hornklänge und an die in Synthesizern ge-speicherten Rhythmen. Basquiat .... arbeitet nach den Prinzipien der beschriebe-nen Techniken, wenn er Lautschrift, literarische Anspielung und chromatischeStrukturen miteinander in Verbindung bringt.165

In Thompsons Beschreibung der Arbeitsweise Basquiats wird dessen auf den musikali-

schen Techniken des Jazz und des HipHop aufbauende improvisatorische, collagehafte,

zitierende und codierende Methode deutlich:

Basquiat stellte schwarze klassische Musik an - Jazz - sehr klar und sehr wohl-tönend. Inmitten dieser Szenerie begann er ruhig zu arbeiten. Aus verschiedenenSchränken zog er bereits vorbereitete Zeichnungen, auf denen Reptilien, Druck-buchstaben, zusammengesetzte Wörter und andere Dinge zu sehen waren. Bas-quiat wählte das Bild eines Krokodils aus, das sehr schmal und sehr grün war. Erklebte es auf eine schon halbfertige Komposition, dann noch ein Krokodil und

164 Siehe dazu Castleman, Craig: Getting Up. Subway Graffiti in New York. New York 1982.165 Thompson In: Haenlein 1986, 18.

38

dann noch eins. Er trat zurück, um die Wirkung dieser Vervielfältigung zu beur-teilen. Dann zerriß er eine andere Zeichnung eines Krokodils in zwei Hälften - eine dreidimensionale Ausradierung - und ließ die eine der beiden Hälften zuBoden fallen. Die andere klebte er, ohne sie nochmals zu bearbeiten, auf eine ab-strakte graue Form im oberen Bildteil. Manchmal wandte er während der Arbeitseine Aufmerksamkeit den drei Freunden zu und lachte mit ihnen. Ähnlich rea-gierte er auf die Jazzmusik, indem er sich manchmal nach ihrem Rhythmus be-wegte und sich dann wieder nur auf die Collage konzentrierte. Er trat zurück,betrachtete die Arbeit, suchte in Stapeln anderer Zeichnungen und collagiertewieder. Das Bild begann zu leuchten, reptiliengrün und Zähne gegen blutigesRot. Überall Fragmente gemalter Schrift. Zum Beispiel klebt er ein Fragment mitsich wiederholenden X und Y in die Mitte des Bildes. Dann nahm er andere Teil-stücke, die identisch bemalt waren und plazierte sie auf der Diagonalen, von linksoben nach rechts unten. In bestimmten Teilen dieser Arbeit war der Blues zu ent-ziffern. Gemalte Titel wie "Hardluck Blues", die an Sonny Boy Williamsons "BadLuck Blues" erinnerten, ein Zitat aus Robert Johnsons Meisterstück "Hellboundon ...." Typisch war, daß Basquiat das Ende des Titels ("My Trail") abriß.166

Basquiats visuelle Synthese aus völlig disparaten Bildelementen war auch das grundle-

gende Element der Zitat- und Collagestrategie des "Sampling" im HipHop, wie es von

den New Yorker DJs Afrika Bambaataa, Kool DJ Herc und Grandmaster Flash Anfang

der Achtziger Jahre "erfunden" wurde:

In the who-dares-wins delirium of the house parties, Bambaataa mixed up ca-lypso, European and Japanese electronic music, Beethoven's Fifth Symphony androck groups like Mountain; Kool DJ Herc spun The Doobie Brothers back-to-back with the Isley Brothers; Grandmaster Flash overlayed speech records andsound effects with the Last Poets; Symphonic B Boys Mix cut up classical musicon five turntables, ..." 167

Afrika Bambaataa, Kool DJ Herc und Grandmaster Flash haben die aus völlig unter-

schiedlichen kulturellen Kontexten stammenden "Samples" in den neuen Text ihres mu-

sikalischen Mixes eingewebt. Analog zu dieser Mischtechnik ist auch Basquiats Colla-

getechnik, die einmal die ganze Welt als Buch "remixt", zu interpretieren. In seiner

großformatigen Arbeit King of the Zulus (Abb. 2.1) von 1984/85 transformiert Bas-

quiat die musikalischen "Sampling"-Strategien Afrika Bambaatas in eine visuelle Form.

Der Bildtitel "King of the Zulus" spielt auf Bambaata als dem "König" der schwarzen

nationalistischen Jugendorganisation Zulu Nation an, das über die Farbkopien gemalte

negroide Gesicht in den Farben Afrikas könnte ein "Portrait" Bambaataas sein. King of

the Zulus steht exemplarisch für weitere Bildcollagen Basquiats aus den Jahren 1983 bis

166 Thompson In: Haenlein 1986, 15.167 Toop, 105.

39

1987 wie Untitled (Soap), 1983/84 (Abb. 6.80); Toxic, 1984 (Abb. 1.5); Red Joy,

1984 (Abb. 6.71); Natchez, 1985 (Abb. 2.2); Enob, 1985 (Abb. 2.3) Untitled , 1985

(Abb. 2.4); Negro Period, 1986 (Abb. 2.5) und Untitled , 1987 (Abb. 2.6). In diesen

Papiercollagen und Holzassemblagen verwendet Basquiat Farbkopien seiner in den Jah-

ren zuvor angefertigen Zeichnungen und collagiert diese zu immer neuen Bildkontexten.

Über den so entstandenen Bildhintergrund, der durch seine Informationsflut an zitierten

Worten und Zeichen eine Art konstanten "noise", ein "Informationsrauschen" bildet, aus

dem es nur sehr schwer ist, einzelne klare Informationen zu erhalten, malt Basquiat in

seinem "primitiven" und"authentischen" Stil zumeist schwarze Figuren. Den kollektiven

zitierten "Samples" des Bildhintergrundes stellt er die Stimme des "orginalen Autors"

gegenüber - postmoderne Zitatstrategie wird mit der Oberfläche des vermeintlich "intui-

tiven Primitiven" kontrastiert. Diese Verbindung von kollektiver Autorschaft im Bild-

hintergrund und "orginaler Stimme" im Bildvordergrund ist eine Transformation des

musikalischen Aufbaus der frühen HipHop-Stücke von Afrika Bambaataa und Grandma-

ster Flash: Während diese auf ihren Plattenspielern die Zitate bereits existenter Musik zu

einem neuen "Text" mischen, rappt über diese Soundcollage ein Sänger mit seiner orgi-

nalen Stimme - die "gesamplete" kollektive Musikgeschichte wird von der einzelnen

Stimme des MCs live begleitet.

Vorbild für die Collageästhetik des HipHop und die Collagetechnik Basquiats gleicher-

maßen war die literarische "cut-up" Technik von William Burroughs. Aber auch Bur-

roughs Ideen zum Verwenden von Alltagsgeräuschen hatten und haben immer noch ei-

nen großen Einfluß auf die "intellektuellen" DJs New Yorks, wie beispielsweise Paul D.

Miller a.k.a. The Subliminal Kid.168 Basquiats Absorbieren von allem, was um ihn herum

täglich geschieht und dessen Verarbeitung in seinen Collagen entspricht der Strategie

von Burroughs' Romanfigur "The Subliminal Kid", der auf einem Kassettenrecorder die

ihn umgebenden Geräusche der Großstadt aufnimmt.169 Sowohl die Geräuschcollagen

der Art-Noise-Musik, die Basquiats Band Gray spielte, als auch die komplizierten syn-

kretistischen Mixe der HipHop-DJs, die Basquiat auf seinen Kassetten und der Platte

Beat Bop 1983 selbst kreierte, beziehen sich auf diese Idee der Collagierung des Alltags.

Ab 1982 übernimmt Basquiat in seinen visuellen Arbeiten diese Idee des Alltags-noise.170

168 Siehe http://www.furious.com/~furious/perfect/djspooky.169 Hebdige In: Marshall, 69, FN 19. Burroughs, William: Nova Express. London: Jonathan Cape 1966.170 Basquiats Synthese aus Gelesenem, Gehörtem, Gesehenen sowie den täglichen Erlebnissen machtsein Werk gleichzeitig zu einer Art offenem Tagebuch der New Yorker Geschehnisse der AchtzigerJahre (Sischy In: Interview, 119). Die These, daß Basquiats Bilder als ein Tagebuch zu lesen sind, ver-tritt auch er New Yorker Anglist Robert Knago, der einen bislang unveröffentlichten biographischenRoman über Basquiat geschrieben hat (Interview mit Robert Knago im Juli 1997 in New York).

40

Für die New Yorker "HipHop-Theoretikerin" Tricia Rose sind das Fließen ("flow"), die

Übereinanderlagerungen ("layering") und die abrupten Brüche ("rupture") die drei wich-

tigsten stilistischen Kategorien einer spezifisch afro-amerikanischen Ästhetik, wie sie sich

vor allem in der Collagetechnik des HipHop manifestiert hat.171 Diese drei Kategorien

können als ein Klassifikationskriterium auch auf Basquiats Arbeiten angewendet werden:

Rapper sprechen in ihren Texten oft vom "flow" und beschreiben so tautologisch das

Fließen der Musik im Hintergrund. In Basquiats Arbeiten fließt die Informationsflut über

den Hintergrund seiner großen Collagen und konstituiert so eine Art permanentes "Hin-

tergrundsrauschen". Das Fließen im HipHop hat verschiedene Geschwindigkeiten: so

stottern die Rapper in einem Moment, um im nächsten förmlich durch die Textpassagen

zu rasen. Auch in Basquiats "Eye-Rap" gibt es verschiedene Geschwindigkeitsstufen:

stakkatoartige Wortalliterationen werden von weit auseinandergezogenen Wörtern mit

Zwischenräumen abgelöst, es gibt dicht geschichtete Textstellen und offene Randbezir-

ke. Im HipHop wird das Fließen der "bass line" durch das "Scratchen" des DJs oder das

Einblenden anderer "gesampleter" musikalischer Passagen meist abrupt unterbrochen

("rapture"). Ähnliches geschieht im Fluß von Basquiats Bildtexten: Das Fließen der

Wörter wird durch das linkische Durchstreichen einzelner Buchstaben oder ganzer

Wörter unterbrochen, im "Orginaltext" der Farbkopie einstmals zusammenhängende

Textstücke werden mitten im (unter Umständen sinnmachenden) Text abgerissen, um

keinen eindeutigen linearen Text mit einer diskursiven Aussage entstehen zu lassen. Hi-

pHop-DJs "layern" ihre "sounds" übereinander und schaffen so einen Dialog zwischen

den "gesampleten" Musikfragmenten und dem Sprechgesang der Rapper.172 Übereinan-

derlagerungen finden in Basquiats Arbeiten fortwährend statt: Als buchstäbliches Über-

einandercollagieren der einzelnen Farbkopien und dem Übereinanderlegen von Sieb-

druckmustern, als Übermalen und Durchstreichen und als schichtartigem Bildaufbau von

collagiertem Bildhintergrund und gemaltem Bildvordergrund. Rapper schichten in ihren

Texten Bedeutungen übereinander, indem sie das gleiche Wort benutzen, um auf eine

Vielzahl von Aktionen und Themen zu "signifyen". Basquiat verwendet ebenfalls homo-

nyme Wortspielereien, um auf die unter einem Wort liegenden weiteren Bedeutungen zu

verweisen.173

171 Rose, 74ff.172 Rose, 39.173 Siehe Kapitel 2.6 Basquiats Codierverfahren als visuelle Anwendung der afro-amerikanischen Rhe-torik des "Signifying".

41

2.5 Basquiats Zitatverfahren

Für seine seit 1979 auf Kasetten aufgenommenen Geräuschcollagen hat Basquiat "found

speech" aus dem ihn umgebenden Alltag verwendet. So nahm er beispielsweise die

Worte "fell down and broke his ass, boom, for real" eines im Fernsehen sprechenden

Obdachlosen auf und mischte dieses Realitätsfragment in die abstrakte "noise music"

seiner Band Gray. Einen Teil dieses "gesampleten" Satzes - "fell down and broke his

(ass©)" - übernimmt er schließlich als Phrase auf einer seiner Zeichnungen.174 Diese zu-

erst in seinen musikalischen Experimenten angewandte Zitatstrategie überträgt Basquiat

seit 1982 in seine visuellen Arbeiten. Die meisten der in Basquiats Werk erscheinenden

Worte, Zeichen und Piktogramme sind direkte Übernahmen aus Büchern - die Bibliothek

als intellektuelles und visuelles Archiv ersetzt bei ihm das Soundarchiv des HipHop-DJs.

Marshall nennt als Basquiats Hauptquellenmaterial Gray's Anatomy und Paul Richters

Artistic Anatomy, das Symbol Sourcebook von Dreyfuss, den Prachtband Leonardo da

Vinci sowie Burchard Brentjes' African Rock Art.175 Basquiat bezeichnet dieses Quel-

lenmaterial als bereits präexistente "facts," für die er jedoch nicht verantwortlich sei, da

er sie lediglich "benutzt", nicht aber ihr Autor ist:

Meine facts hole ich mir aus Büchern. Sachen über Zerstäuber, den Blues, Me-thyl-alkohol, Gänse im ägyptischen Stil. Ich beziehe meine Anregungen aus Bü-chern. Was mir gefällt, erscheint in meinen Bildern. Ich übernehme nicht die Ver-antwortung für meine facts. Sie existieren ohne mich.176

Basquiats "facts" bestehen aus den Abfällen der amerikanischen Populärkultur und den

Referenzen an die afrikanische, karibische und afro-amerikanische Kultur und Geschich-

te. Basquiat zitiert diese "facts" in zwei Stufen: Zum einen nennt er in seiner eigenen

Handschrift Personen, Orte, Bücher, Schallplatten sowie kulturelle und historische Er-

eignisse. Diese erste Stufe seiner Zitierweise ist keine buchstäbliche Übernahme wie bei

einer "klassischen" Collage, sondern das Abschreiben von einer Vorlage und damit ein

den ursprünglichen Text transformierendes "Nennen". Bei diesem nennenden Verweis ist

Basquiats Auswahl aus dem ursprünglichen Kontext sehr wichtig; sie verweist entweder

als Synekdoche auf das dort Denotierte,177 oder aber in einer "Verschiebung" auf etwas

174 Thompson In: Marshall, 40.175 Marshall, 23.176 Thompson In: Haenlein 1986, 23.177 Wie am Beispiel der westafrikanischen nisibidi-Zeichen in Grillo gezeigt werden wird, siehe Kapi-tel 3.4.2 Afrikanische Piktogramme: Bildlektüre "Grillo".

42

im ursprünglichen Text zwar Vorhandenes, aber gerade nicht unmittelbar Zitiertes.178

Gleichzeitig kann aber auch Basquiats Situierung des Zitates im neuen Text wichtig

werden, wobei den Schlüssel zum Decodieren hierbei immer der Referent der "black

experience" bildet. Beispiele hierfür sind die sich über das ganze Werk leitmotivisch wie-

derholenden Worte "soap","spin drying", "agitate", "iron©", "ice", "fool©" und "aesop".

In einer zweiten Stufe zitiert Basquiat sich seit 1984 durch das Farbkopieren seiner

Zeichnungen und das Verwenden von Siebdruckvorlagen selbst. Dieses selbstangelegte

Text/Bildarchiv rekombiniert er in seinen Bildtableaus immer wieder neu, so daß zwi-

schen den "Orginaltexten" je nach Arbeit die verschiedensten Querverbindungen und

Kontexte konstruiert werden. Die wohl auffälligste Form dieser Intratextualität besteht

in der Anhäufung einzelner Motive und Worte, die erst durch ihre Rekurrenz innerhalb

des Werkes Bedeutung gewinnen. Diese Leitmotive, die sich aufeinander beziehen und

so einen Metadiskurs entwickeln, bilden die semantischen Linien des Werkes. Ein leit-

motivisches Zeichen steht jeweils für einen spezifischen Konnotationskomplex: so steht

das Wort "soap" für den Topos des "Weißwaschens", "fool©" für die Tragik des

schwarzen Entertainers, "tar©" für den Topos der blackness und "cotton©" für die

Sklaverei.179

In der Musik des HipHop zeugt die Zitatstrategie des "Sampling" von der Bedeutung

einer kollektiven Geschichtserzählung. Die DJs und Rapper sind durch ihre Wiederver-

wendung von alten Musikstücken zu Statthaltern der kollektiven afro-amerikanischen

Erinnerung geworden. Das "Samplen" von Bruchstücken der afro-amerikanischen Mu-

sikgeschichte durch den HipHop-DJ verfährt grob nach zwei Schemata. Entweder zitiert

der DJ Synekdochen von sehr bekannten Stücken oder aber er benutzt unbekannte oder

gar geheime Quellen als sein musikalisches Grundmaterial.180 Die bekannten Stücke sind

zumeist Meilensteine der schwarzen Musikgeschichte oder aber Reden von afro-

amerikanischen Führern wie Malcolm X und Martin Luther King. Während das bekannte

"gesamplete" Material als Erinnerungshilfe und historisches Erziehungmaterial der Zuhö-

rer benutzt wird, ist das Entschlüsseln der geheimen Quellen der HipHop-DJs zu einer

Art kennerschaftlichem "Zuhörersport" für Eingeweihte geworden. Basquiats Bildtexte

bestehen - genauso wie die Mixe der DJs - zum Teil aus bekannten, zumeist aber aus 178 Wie am Beispiel von Basquiats Leonardozitaten gezeigt werden wird. Siehe Kapitel 6.5.1 Bildlektü-re "Leonardo da Vinci's Greatest Hits".179 Zu "soap" siehe das Kapitel 6.3.2 "Whitewashing Action": Das Leitmotiv Seife, zu "fool©" siehe dasKapitel 6.3.1 Das "nigger"-image: Sambo, "blackface minstrels" & Co, zu "tar" siehe das Kapitel6.2 Basquiats Selbstportraits: "Invisible Men", zu "cotton" siehe das Kapitel 5.2 Sklavenhandel undSklaverei.180 Toop, 65, 106.

43

"um die Ecke gedachten" und geheimen Anspielungen. Basquiat hielt seine Quellen

ebenso wie die HipHop-DJs streng geheim, zumal gegenüber Weißen.181

2.6 Basquiats Codierverfahren als visuelle Anwendung der afro-amerikanischen

Rhetorik des "Signifying"

Signification is the niggers occupation. (Sprichwort)

Some of the rappers' imagery mixes slang and pop culture so thickly that it takessome study to understand what's going down. In 'Rapper's Delight' the term'Death OJ' is used. In current slang 'death' means something good, while 'OJ' is areference to a big car: Erstwhile football star and all-around adman O.J. Simpsondoes Hertz commercials featuring Ford and Lincoln Mercury cars. If we add'death' to Ford and Lincoln Mercury cars (leaving out any disrespectful referenceto Pintos), we come up with the 'Rapper's Delight' character driving off in a Lin-coln Continental. How's that for musicology? As for the future of rapping, I thinkit will become a prerequisite for all black club jocks (and many whites) to be flu-ent in some form of the language.182

Das von Nelson George beschriebene Spiel der Rapper mit Bedeutung und Bedeutungs-

verschiebungen ist ein typisches Beispiel der afro-amerikanischen Rhetorik des "Signify-

ing". Weiße Zuhörer, die mit dieser rhethorischen Strategie nicht vertraut sind, nehmen

die in den Texten der HipHop-Musik gemachten Aussagen zumeist wörtlich - das

schwarze "Signifying" setzt auf dieses Spiel mit dem Mißverstehen von Bedeutung, das

das Decodieren der Texte zu einem Sport für Eingeweihte macht.183 Basquiats Codier-

verfahren basiert auf dieser afro-amerikanischen Tradition des "Signifying", worauf Heb-

dige bereits andeutungsweise und Tate explizit hingewiesen haben:184

To make sense of Basquiat's language you have first to respect African people aslanguage manipulators of the highest order, to respect the complexity of Africancultures as a series of overlapping texts, tongues and dialects, ranging from thein-joke to the alienated, from the colloquial to the schizophrenic. In some re-spects the blackest thing about Basquiat's work ist not his black figures but thework's verbal mastery and sheer verbosity.185

181 So erwähnt der Kunstkritiker Rene Ricard, daß Basquiat sich weigerte, ihm die Quellen seiner Ge-schichtszitate zu zeigen (Ricard In: Marshall, 46).182 George, 46.183 Potter, 83.184 Hebdige In: Marshall, 64.185 Tate In: Marshall, 58.

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Das Ziel dieser Sprachsubversion des "Signifying" ist es, so Gates, "... to critique the

nature of (white) meaning itself, to challenge through a literal critique of the sign the

meaning of meaning".186 Diese rhetorische Technik wird in den Vereinigten Staaten

durch die Figur des "Signifying Monkeys" verkörpert, dieser "... lebt im Zwischenbereich

der Diskurse, verdreht die Wörter und spielt mit ihnen, er bildet Wortfiguren und zeigt

die Ambiguitäten der Sprache auf, indem er ihr ihre Eigentlichkeit nimmt".187 Der "Si-

gnifying Monkey" ist ein Nachfahre des westafrikanischen Trickstergottes Esu, den die

Fon als "divine linguist" bezeichnen, und dessen Funktion als Sprachmanipulator Bas-

quiat in Grillo von 1984 durch ESU/FON nennt (Abb. 3.13).188 Seine Sprachbeherr-

schung, sein Spiel mit Bedeutungen hat sich auch in der Neuen Welt erhalten, wurde zur

Überlebenstrategie der Sklaven, denen bei Androhung des Abschneidens der Zunge das

Sprechen afrikanischer Sprachen verboten war. Die Kommunikation mußte so in der

fremden Sprache der weißen Sklavenhalter erfolgen. Die Instrumentalisierung des wei-

ßen Englisch zum Transportieren versteckter Nachrichten nimmt ihren Anfang in den

Spirituals der Sklaven. Frederick Douglass beschrieb die für die Sklaven überlebensnot-

wendige Technik des "Signifying": "... they would sing, as a chorus, to words which to

many seem unmeaning jargon, but which, nevertheless, were full of meaning to themsel-

ves".189 Dieses bewußte "linguistic masking" setzt sich in einer Erziehung zum "unei-

gentlichen Sprechen" fort. Zu lernen, die Sprache zu manipulieren, eine Art zweiter Sub-

sprache zu beherrschen und ihre vielschichtige Codierung zu entschlüsseln, ist laut Gates

das Ziel jeder schwarzen Erziehung, das "Schwärzeste an der schwarzen Tradition".190

Für Claudia Mitchel-Kernan ist der wichtigste Aspekt des "Signifying" "die versteckte

Absicht bzw. der metaphorische Verweis".191 Sie beschreibt die Methode des "Signify-

ing" so:

Der schwarze Begriff ""Signifying" beinhaltet im Grunde die Annahme, daß Le-xikoneinträge meistens nicht genügen, um die Bedeutung eines Wortes richtig zuinterpretieren, bzw., daß die Bedeutung immer mehr umfasst, als was im Lexikonsteht. ... Deshalb sind die Hörer gezwungen, alle Bedeutungsmöglichkeiten, ... indenen ein Sprechakt sinnvoll ist, und das heißt im Grunde das ganze Diskursuni-versum, in Betracht zu ziehen.192

186 Gates 1988, 47.187 Gates In: Diederichsen 1993b, 178.188 Siehe dazu Kapitel 3.4.2 Afrikanische Piktogramme: Bildlektüre "Grillo".189 Gates 1988, 67.190 Gates In: Diederichsen 1993b, 167.191 Gates In: Diederichsen 1993b, 184.192 Gates In: Diederichsen 1993b, 184.

45

Dies läßt sich prinzipiell auch für die Figuren der europäischen Rhetorik feststellen.

Doch während im weißen Kontext die Referenzobjekte einer gemeinsame kulturellen

Erfahrung entstammen, teilt sich die Referenzebene der Sprache beim "Signifying" in

zwei Erfahrungswelten: die Weiße und die Schwarze. Gates verdeutlicht dieses Verhält-

nis von "Black English" zu "Standard English" mit Hilfe eines Achsenkreuzes: Die hori-

zontale Achse ist die des "Standard English", die vertikale die des "Black English". Der

schwarze Sprachgebrauch spielt auf der paradigmatischen Achse mit den Assoziationen

und Konnotationen der Signifikanten, die in der syntagmatischen Achse relativ determi-

nierte Signifikate besitzen.193 Die Codierung des "Black English" besteht also darin, daß

das, was in einer schwarzen Lektüre Denotation ist, in einer weißen Lektüre nicht einmal

Konnotation sein kann, weil der Referent nicht der weißen Erfahrungswelt entstammt.

Die Schwierigkeiten einer für den weißen Betrachter Sinn erzeugenden Lektüre von

Basquiats Werk sind durch diese rhetorischen Strategien erklärbar. Auf der Achse des

"Standard English", der westlichen Zeichensysteme, erscheinen die denotierten Signifi-

kate in Basquiats Arbeiten trivial und werden so zumeist als eine Fortsetzung der Pop

Art interpretiert. Auf der paradigmatischen Achse des "Black English" verweisen sie

jedoch auf Themen, die zu den wichtigsten der "black experience" zählen.

Wie aber funktioniert die Strategie des "Signifying" auf der Ebene des einzelnen Wortes?

Gates übernimmt hier zur Erläuterung Michael Bakhtins Begriff des "double-voiced

word":

... a double-voiced word as a special sort of palimpsest in which the uppermostinscription is a commentary on the one beneath it, which the reader ... can onlyby reading through the commentary that obscures in the very process of evalua-ting.194

In der rhetorischen Figur der Wiederholung, der für Gates wichtigsten Form der Subver-

sion der denotativen "Sprache der Weißen", ist dieses Wortpalimpsest in eine Abfolge

von vermeintlich gleichen Worten aufgeteilt. Diese kommentieren sich gegenseitig und

höhlen dadurch ihre denotative Bedeutung aus. Die im "Signifying" verwendeten homo-

nymen Wortspiele arbeiten also mit der Identität der Signifikanten und dem "play of dif-

ferences", das durch die den verschiedenen Diskursen zugehörigen Signifikate ent-

steht.195 Die Rethorik des "Signifying" bildet somit eine Opposition zu der vermeintli-

193 Gates 1988, 49.194 Gates 1988, 50.195 Gates 1988, 53.

46

chen Transparenz der Sprache, die in den Bildern Basquiats permanent durch die lexika-

lischen Bezeichnungen evoziert wird. Basquiat macht den Betrachter nicht wie Rene

Magritte durch "das ist keine ..." auf die Diskrepanz zwischen Zeichen und Bezeichne-

tem aufmerksam, sondern unterhöhlt durch die bildinternen und leitmotivischen Wieder-

holungen einzelner Worte und Bildelemente wie "fool©", "soap", "aesop's fables", "cot-

ton©", "tar", etc. die festgelegten Denotationen eines rein "weißen" Wissens.

2.6.1 Der Ursprung des "Signifying": Bildlektüre "Moses and the Egyptians"

In Moses and the Egyptians von 1983 (Abb. 2.7) nennt Basquiat die archetypische

Figur des amerikanischen "Signifying": Moses. Die bildinterne Wiederholung und die

Anführungszeichen des Wortes "MOSES" weisen auf eine im westlichen Kontext nicht

wörtlich zu nehmende Bedeutung von "Moses" und somit auf eine Funktion im afro-

amerikanischen Kontext hin.196 In den Spirituals der Sklaven fungierte Moses als Meta-

pher für die Flucht in den freien Norden; das Singen von "Go down Moses, Way down

in Egypt land, Tell ole Pharaoh, Let my people go", zeigte den Sklaven an, daß in der

Nacht ein Fluchthelfer bereitstehen würde.197

Der rechte Textblock in Moses and the Egyptians benennt die zwei Wunder, die Moses

als Zeichen seiner Auserwähltheit als Führer des Volkes Israel vor dem Pharao vollzie-

hen sollte: Den STAFF INTO SERPENT TRICK und den LEPROSY TRICK.198

WATER INTO BLOOD, FLIES und FROGS hingegen sind die ersten der TEN

PLAUGES, die durch den Stab Aarons ausgelöst wurden, um den Pharao dazu zu be-

wegen, das Volk Israel ziehen zu lassen.199 Ein Vergleich mit der ebenfalls 1983 ent-

standenen Arbeit Early Moses (Abb. 2.8) ist aufschlußreich. Auch hier finden wir

MOSES im Kampf (VS.) gegen die Ägypter, den "STAFF INTO SERPENT TRICK"

und die "MAGIC LEPROSEY". Mit den Worten "MAGIC LEPROSEY" und

LEPROSY TRICK verweist Basquiat auf das Wunder der Umwandlung von Moses

Hand in eine lepröse Hand, die "aussätzig wie Schnee" ist. Nachdem Moses seine Hand

zurück in seinen Mantel steckt, "war sie wieder wie sein anderes Fleisch".200 Diese Bi-

196 Im folgenden werde ich die von Basquiat verwendete Druckbuchstabenschrift mit Großbuchstabenwiedergeben. Zusätze zu den Worten wie Anführungszeichen oder Unterstreichungen werden ebenfallstranskribiert. Nicht übernommen werden Durchstreichungen, Punkte und Kommas.197 Roberts, 148; Levine, 51.198 Siehe Exodus 4, 1-7; 6, 8-13.199 Exodus 7, 20-8, 14.200 Exodus 4, 6,7.

47

belstelle ist für die afro-amerikanischen Afrozentriker der Beweis dafür, daß Moses ein-

deutig schwarz war.201 Das Wunder Gottes lag also darin, die schwarze Haut in weiße

umzuwandeln und vice versa.202

Während Basquiats Gegenüberstellung von Moses und Ägyptern und die Wiederholun-

gen des Wortes "MOSES" in beiden Arbeiten eindeutig als Verweis auf die Identifikati-

on der Sklaven mit dem Volk Israel und das in den Spirituals betriebene "Signifying" zu

lesen ist, verwundert die Konzentration auf die ersten Zeichen der Auserwähltheit Mose.

Warum wählt Basquiat im Zusammenhang mit dem Exodus den STAFF INTO

SERPENT TRICK und nicht etwa den Durchzug durch das rote Meer, der in diesem

Kontext doch viel eindeutiger wäre? Die Prominenz des "STAFF INTO SERPENT

TRICK" und das Ersetzen von "miracle" durch "trick" verweisen weniger auf das Wun-

der des Stabes Aarons (bzw. Mose) als vielmehr auf die Zauberkünste der vom Pharao

herbeigerufenen ägyptischen Weisen, die ihre Stäbe ebenfalls zu Schlangen verwandeln

konnten.203 Auf der paradigmatischen Achse des "Black English" kommt dem STAFF

INTO SERPENT TRICK nun eine Bedeutung zu, die nur über den Referenten der afro-

amerikanischen Kultur zu erschließen ist. Durch ihn werden die afrikanischen Schlangen-

stäbe konnotiert, deren Übernahme nach Amerika Thompson anhand eines Vergleichs

des mit einem Schlangenmotiv verzierten Wanderstabs des Sklaven Henry Gudgell mit

einem Bronzestab aus Benin erstmalig bewiesen hat. Schlangenstäbe sind von da an in

der afro-amerikanischen Kunst zu einem der zentralen Symbole der historischen Anbin-

dung der amerikanischen schwarzen Kultur an die afrikanische geworden (Abb. 2.10,

2.11, 4.29).204

Basquiat übernimmt in Moses and the Egyptians und Early Moses also nicht einfach

das Vokabular einer afro-amerikanischen Ikonographie, sondern spielt lediglich in einer

sehr codierten Form auf der paradigmatischen Achse des "westlichen" Textes darauf an.

2.6.2 Superman ist Dambala: Bildlektüre "Ascent"

201 African Heritage Bible, 96; Suzar, o.S..202 Interessanterweise wurde diese Idee einer Lepraerkrankung der schwarzen Haut im 18. Jahrhundertgenau umgekehrt interpretiert: der amerikanische Arzt Benjamin Rush (1745-1813) hielt die schwarzeHautfarbe für die Folge einer angeborenen Lepraerkrankung, die die ehemals weiße Haut schwarz ge-färbt hat (Jordan, 517-521). Auch in der Collage Untitled von 1982/83 (Abb. 2.9) referiert Basquiat mitLEROSY--->LEPROSEY und PEELING SKIN auf die Bedeutung der Lepra im afro-amerikanischenKontext (siehe dazu Kapitel 6.3.2 "Whitewashing Action": Das Leimotiv Seife).203 Exodus 7, 9-12.204 Livingston, 27 ff; Black Art, 41f; Ferris, 156. Thompson: "African Influences on the Art of theUnited States." In: Robinson, Armstead L.: Black Studies in the University, New Haven 1969, 122-70;Wiederabdruck in Ferris 1983, 27-63.

48

Das "close reading" der Zeichnung Ascent von 1982/83 (Abb. 2.12) soll aufzeigen, wie

durch eindeutig auf die haitianische Kultur verweisende Bildelemente Basquiats "Si-

gnifying" auf die Bedeutung westlicher Zeichen durch den weißen Betrachter nach-

verfolgt werden kann. Die Bildlektüre zeigt, wie Basquiat von einem Schlüsselbild aus-

gehend ein eigenes Bildvokabular entwirft, das nur im Rekurs auf dieses verständlich

wird; wie er Zeichen einer positiven afro-amerikanischen Identität mit denen rassistischer

weißer Projektionen kontrastiert und wie er diese verschiedenen Diskursebenen unter

einem gemeinsamen Konzept miteinander verknüpft.

Die in Ascent gehäuft auftretenden Zeichen, deren Grundelemente ein Kreis, eine verti-

kale Linie sowie verschiedene Kreuze sind, sind Variationen ritueller haitianischer Voo-

doo-Zeichen (Abb. 2.13). Diese werden auf den Boden der Kulträume gemalt und reprä-

sentieren die haitianischen Götter, die "Loas",205 die größtenteils Übernahmen westafri-

kanischer Gottheiten wie Shango, Ogun, Legba und Da sind. Die "Loas" sind Mittlerfi-

guren zwischen dem obersten Gott und den Menschen und reisen als Übersetzer der

Sprache der Menschen in die Gottes auf der Weltachse zwischen Himmel und Erde -

"ascent" und "descent" - auf und ab.206

Die aus einer vertikalen Linie (auf der ein S, eine Kugel, ein Kreis und ein Kreuz aufge-

reiht sind) bestehenden Zeichen links unten und rechts oben im Bild lassen sich nach ei-

ner Aufteilung in zwei Subzeichen zwei verschiedenen Loas - Dambala und Legba - zu-

ordnen. Das S im unteren Teil des Zeichens ist das Symbol des Schlangengottes Dam-

bala, der in den verschiedenen zum Kult gehörenden Zeichen als S oder in S-Form sym-

bolisiert wird (Abb. 2.14). Ein Vergleich mit dem Priesterstab des jamaikanischen

Künstlers Everald Brown (Abb. 2.15) sowie mit Louis Mailou Jones' "Veve Voudou III"

(Abb. 2.16) zeigt Darstellungen Dambalas in der jamaikanischen und afro-amerika-

nischen Kunst.207 Die Rekurrenz des "S" als Zeichen auf Supermans Brust, als das "S" in

dem Häuschen (Signaturersatz) sowie als Anfangsbuchstabe von STAR, SPIRIT und

SOL verweist in diesem Kontext sowohl als Initiale des Wortes "snake" als auch als re-

duziertes bildhaftes Zeichen einer Schlange auf Dambala. Dambala ist der höchste Gott

des haitianischen Götterpantheons und wird mit Moses, dem "Schlangengott" des Alten

Testaments, gleichgesetzt.208 Er wird durch die Farbe Rot symbolisiert.209 In Ascent

205 Gates 1987, 253.206 Lanczkowski, 335.207 Black Art, 220. Die Ikonographie Browns, der ein Priester einer zur Äthiopisch-Orthodoxen Kirchezugehörigen Sekte ist (Black Art, 265), leitet sich von "obeah", dem jamaikanischen Äquivalent desVoodoo ab (ibid., 90).208 African Heritage Bible, 96; Courlander, 318; Deive, 240.

49

verweist das rote "S" auf Supermans Brust auf den Schlangengott. Die gelb/rote Farb-

kombination des Logos bezieht sich auf die bei den Zeremonien des Dambala-Kultes in

New Orleans verwendeten Farben Gelb und Rot.210 Der aus einer Kugel, einer vertikalen

Linie, einem X und einem kleinen Kreis bestehende obere Teil des Zeichens in Ascent

erinnert an die Vévé-Zeichen für den "Loa" Legba, den afrikanischen und haitianischen

Gott der Kommunikation (Abb. 2.13, 2.17). Auch in Rose-Marie Desruisseaus "Hounsi

Dance" (Abb. 2.18) symbolisieren die drei in der rechten oberen Bildecke stehenden

Objekte Legba.

In Ascent ist die Figur des Superman das Subjekt der Mikrogeschichte Leiter -

Superman - Pfeile - ASCENT. Doch lediglich das Superman-Logo, die Aufwärtsbewe-

gung und die Nähe der Spiderman-Maske lassen diese Figur als Superman lesen, es feh-

len sein blauer Anzug und sein roter Mantel (Abb. 2.19). Stattdessen ist ein Arm ver-

stümmelt, der andere zu einem Flügel mutiert. Der zum Aufstieg der haitianischen

"Loas" analoge Aufstieg der im Trance vom Körper losgelösten Seele (FLESH/SPIRIT)

wird im Voodoo-Kult durch Flügel und Leitern symbolisiert.211 Durch den über die hai-

tianischen Vévé-Zeichen erfolgten Bildzugang kommt der Leiter und der Figur des Su-

perman nun eine Bedeutung jenseits einer westlichen weißen Lektüre zu. Durch die An-

spielungen des Bildkontextes "signifyt" Basquiat auf den weißen Comichelden Superman

und macht ihn für "eingeweihte" Betrachter zu Dambala, dem wichtigsten Gott des

Voodoo-Kultes in Haiti und New Orleans.

Auch die Maske des Spiderman wird erst im afro-amerikanischen Kontext zu einem be-

deutungskonstitutiven Element (Abb. 2.21). Die Spinne ist eines der wichtigsten Tiere

der afrikanischen Mythologie: so versorgt die im Sudan und in Zaire verehrte Spinnen-

göttin Ture/Tule die Menschen in schlechten Zeiten mit himmlischer Nahrung,212 wäh-

rend im Schöpfungsmythos der Dschagga sich der "himmlische Urahn" in Gestalt einer

Spinne zur Erde herabseilt.213 Auf diese Geschichte bezieht sich Basquiats Zeichnung

einer sich aus dem Sternenhimmel abseilenden Spinne, die als Farbkopie in die verschie-

densten Bildkontexte collagiert ist (bspw. in Toissaint L'Overture vs. Savonarola,

209 Thompson, 176; SIMPSON, 66/67. Mit dem roten Bilduntergrund in Moses and the Egyptians von1983 (Abb. 2.7) spielt Basquiat auf diese Überlagerung von Moses mit Dambala an. Auch in Rose-Marie Desruisseaus "Hounsi Dance" (Abb. 2.18), das die rituelle Tanzzeremonie des Voodookultesschildert, findet sich Rot als die Farbe Dambalas. Dort ist die Säule in der Mitte des Tanzraumes miteiner roten Spirale, die Dambala symbolisiert, umwickelt (Thompson, 179, 181).210 Mulira In: Holloway, 40, 54.211 Siehe Bernard Wahs "Hallucinations" (Abb. 2.20).212 Knappert, 240, Roberts, 25.213 Loth, 79.

50

1983, Abb. 2.22) und deren Mythos der haitianische Maler Bourmound Byron in "Un-

titled" aufgegriffen hat (Abb. 2.23). Die Erzählungen des aus Ghana stammenden Trick-

sterspinnengottes Anansi wurden völlig intakt nach Amerika übernommen, weswegen

Anansi in der afro-amerikanischen Ikonographie sowohl Afrika als auch dessen kulturelle

Kontinuität in Amerika symbolisiert.214 Die Spinne ist daher auch ein fester Bestandteil

von Basquiats Bildpersonal. In Untitled (History of Black People) von 1983

(Abb. 4.64) situiert Basquiat die Spinne neben einer Pharao/Sklaven-Figur, in Tenor von

1985 (Abb. 2.24) neben den Darstellungen von Maskengesichtern, Vögeln und Ratten

und in Lester Yellow von 1987 (Abb. 2.25) tritt sie als der Scherzartikel MAGNETIC

SPIDERS auf. In der Maske des Spidermans in Ascent überlagern sich also wie bei der

Figur Supermans zwei verschiedenen Diskurssystemen angehörende Signifikate in einem

Lexem: Spiderman/ amerikanische Populärkultur und Spinnengott/ afrikanische Mytho-

logie.

In zwei weiteren Zeichnungen derselben Serie erscheint die Überlagerung von Superman

und Dambala in abgeänderter Form und erhält durch die Kennzeichnung von Copyright-

Zeichen und Krone zusätzlich einen selbstreferentiellen Bezug. In Olympic von 1982/83

(Abb. 2.26) übernimmt Basquiat die gelb/rote Farbgebung sowie das abgeänderte Su-

perman-Logo. Die Nähe des Logos zu dem Vévé-Zeichen und dessen roter Farbgebung

läßt es eindeutig als Stellvertreter Dambalas im Bild lesen. Die Krone über dem Super-

man-Logo verweist auf die "noble" afrikanische Vergangenheit, auf die Abstammung

Dambalas von Da, dem westafrikanischen Schlangengott der Fon in Benin. Das Farbe ist

weiß, seine Gattin ist die Himmelsgöttin Ayida.215 Basquiat nennt das afrikanische Göt-

terpaar Da-Ayida in einer Aufzählung der Zeichnung Untitled von 1982 (Abb. 4.58) mit

SNAKEGOD COUPLE neben weiteren Anspielungen auf den Schlangenkult wie

SERPENTS, MYTHS, HERO und GREAT SPIRIT. Mit "Great One" oder "Spirit"

wurde Dambala von den Voodoo-Anhängern in New Orleans gerufen.216

In der Zeichnung Snakeman von 1982/83 (Abb. 2.27) schließlich schafft Basquiat sei-

nen eigenen Comichelden und kennzeichnet sein Urheberrecht darauf durch das Copy-

right-Zeichen.217 Das "Logo" der weißen Schlange auf rotem Grund "signifyt" sowohl

auf Superman, auf den westafrikanischen Schlangengott Da (weiß!) als auch auf den

haitianischen "Loa" Dambala (rot) - Basquiats neu geschaffene Figur des Snakeman ist

214 Holloway, 16; Levine, 105, 373.215 Thompson, 167. In Ascent verweist der blaue Himmel auf die Himmelsgöttin Ayido.216 Mulira In: Holloway, 40.217 Nach meinen Recherchen gibt es keine Comicfigur mit diesem Namen.

51

ein synkretistisches Produkt weißer amerikanischer, afrikanischer und haitianischer Kul-

tur.

Die christliche Konzeption der Schlange als Verkörperung des Bösen ist einer der Grün-

de für die ablehnende Haltung des Westens gegenüber dem als satanischem Schlangen-

kult pauschalisierten Voodoo-Kult New Orleans und Haitis.218 Das in Ascent

(Abb. 2.12) rekurrente JOHN THE REVELATOR nennt den Ort dieser Konstruktion

der Schlange als dem Symbol des Bösen: In der Offenbarung ist sie der "... Drache, die

alte Schlange, die da heißt Teufel und Satan ...".219 In der 1988 entstandenen Arbeit

Orange (Abb. 2.28) greift Basquiat diese Gegenüberstellung der Konzeption der

Schlange als dem Symbol eines positiven afrikanischen Erbes und der Sünde wieder auf.

Er situiert das "Dambala-Logo" des S in einem Dreieck und das Wort SPIRITS direkt

neben einer großen Schlange mit der Aufschrift DEVIL`S ISLAND. Gleichzeitig ist Jo-

hannes der Täufer jedoch der Patron aller Voodoo-Heiligen, der St. John's Eve Day der

Feiertag des Voodoo-Kultes in New Orleans.220 In dem Wort JOHN ist somit wie in

einem Vexierbild sowohl die Ablehnung des Voodoo-Kultes (Johannesoffenbarung) als

auch sein Feiern (Johannes der Täufer) eingeschrieben.

Die Zeichnung Ascent handelt jedoch nicht allein von einem Aufstieg im Kontext des

Voodoo-Kultes, hier greifen vielmehr vier Diskursebenen ineinanderer über: amerikani-

sche Populärkultur, europäische Hochkultur, haitianische Voodoo-Religion und afro-

amerikanische Geschichte. Im westlichen Text ist das Konzept des Aufsteigens in den

Ebenen von Populär- und Hochkultur durch den bildexternen und -internen Titel

ASCENT, die nach oben gerichteten Pfeile, die Leiter, die Superman-Figur und die

Worte PLOTINUS, MONTSALVAT und FLESH/SPIRIT denotiert. Sonne, Wolke und

das bilddominierende Blau verweisen auf den Himmel als Bereich dieses Aufsteigens.

Von einem Aufstieg im Kontext der afro-amerikanischen Geschichte erzählt hingegen die

Mikrogeschichte links unten. Ein Pavian (das Wort BABOON modifiziert zusammen mit

der rosa Farbe die ambivalente Figur zum Pavian) zieht in den Norden - der Pfeil über

dem Kopf weist auf NORTE. Basquiats Kontrastierung von NERO© VS. BABOON

(DETAIL) verweist auf zwei Verfahrensweisen in der Benennung der Sklaven: die sar-

kastisch-ironische und die offen menschenverachtende Identitätszuweisung als Affe: Jo-

seph Boskin erwähnt die Namen "Nero" und "Cäsar" als typische Sklavennamen.221 Bas-

218 Lanczkowski, 335; Thompson, 163.219 Offenbarung. 12,9; 20,2.220 Mulira In: Holloway, 50.221 Boskin, 31.

52

quiats Negieren dieses projezierten Namens durch das Ausstreichen von NERO© ver-

weist jedoch auf die Praxis der Ex-Sklaven, sich nach ihrer Befreiung zuerst ihrer "clas-

sical and comical given names" zu entledigen.222 Basquiats Verbindung der somit als

Synonym für Sklave stehenden Figur mit NORTE, den Sternenkonstellationen und dem

eingerahmtem POLE STAR konnotieren die am Polarstern orientierte nächtliche Flucht

der Sklaven in den freien Norden. Denn sowohl der Nordstern als auch der Norden fun-

gieren in der afro-amerikanischen Kultur als eindeutige Zeichen der Flucht in die Frei-

heit.223 Die zwischen den Worten ASCENT und POLE STAR liegende durchgestriche-

ne, schwer leserliche Phrase ST . AUL . EES .... E FD . THE NRST kann zu "St. Paul

flees ... the northstar" ergänzt werden. Sie funktioniert als eine telegrammartige Zusam-

menfassung der Handlung. Das in der Mikrogeschichte fehlende, aber eigentlich bedeu-

tungskonstitive Prädikat "flees" bestätigt das konnotierte Konzept der Flucht. Der Apo-

stel Paulus wird von den meisten Afrozentrikern als negroid reklamiert, weil er in der

Bibel für einen Ägypter gehalten wird.224 Basquiat zieht hier also eine Verbindung zwi-

schen Paulus' Missionsreisen in den Norden und der Flucht der Sklaven in den freien

Norden.

In der Zeichnung Ascent findet paradigmatisch für Basquiats Werk eine Gegenüberstel-

lung zweier Identitätskonzepte statt. Während die Namen NERO© und BABOON den

rassistischen weißen Projektionen auf Schwarze entsprechen, ist durch die Subversion

des Bildsubjektes Superman mit dem haitianischen Schlangengott Dambala eine positive

Identifizierung erfolgt.

222 Boskin, 30.223 So nennt z.B. Frederick Douglass seine Abolitionistenzeitschrift North Star (Franklin, 220).224 Apostelgeschichte 21, 38; African Heritage Bible, 1612.

53

3. Basquiat als Erforscher, Archivar und Vermittler afro-amerikanischer Kultur

und Geschichte

3.1 Neo-Expressionismus oder Kontext-Kunst?

"I'm not making paintings", he said, "I'm making tablets".225

Basquiat verstand sich selbst nicht als Maler, sondern als ein "Schreiber" von Tafeln,

Listen und "Vokabelheften". Seine künstlerischen Strategien sind nicht im Kontext for-

maler und stilistischer Problemstellungen der Malerei der Achtziger Jahre zu sehen, son-

dern nur im Hinblick auf die Kunst der Neunziger Jahre verständlich. Basquiats Kunst ist

politisch, sie hat einen Inhalt und sie integriert neue Verfahrensweisen, die erst mit der

Kontext-Kunst der Neunziger Jahre populär werden.226

Eine zentrale Vorgehensweise der Kontext-Kunst ist die der Recherche. Künstler studie-

ren wie Geisteswissenschaftler Quellenmaterial in Bibliotheken und Archiven und prä-

sentieren die Ergebnisse ihrer Untersuchungen in Kunstwerken, die wahlweise die Form

von Informationsständen, Forschungslabors oder Wohnungseinrichtungen annehmen.

Die Künstler verstehen ihre neuen Strategien als eine Untersuchung und Kritik sozialer

oder historischer Bedingungen. Die Kunst wird kontextspezifisch, sie beschäftigt sich mit

der Geschichte oder Funktion des Ausstellungsortes, mit der Geschichte, dem Ge-

schlecht, der sexuellen Orientierung, der kulturellen Identität oder der Rasse des Künst-

lers. Sie entfernt sich damit entschieden von jedem formalen oder gar "l'art pour l'art"

Konzept und will als "Institution Kunst" durch ihre Kritik in die gesellschaftlichen Insti-

tutionen eingreifen. Die Kunst der Achtziger Jahre, vor allem die Malerei des Neo-

Expressionismus, definierte sich durch das genaue Gegenteil. Nach der spröden und in-

tellektuell überlasteten Konzept-Kunst der Siebziger Jahre empfand man die Hinwen-

dung zur reinen Malerei als eine neue künstlerische Befreiung. Endlich ging es wieder

um das Künstlerindividuum als einem "schaffenden Genie": authentische Gesten, expres-

siver Ausdruck, Farbe, Malerei auf Leinwand kamen zurück in die Kunst. Die "Malerfür-

sten" der Achtziger Jahre - Markus Lüpertz, Georg Baselitz, Anselm Kiefer, die "Neuen

Wilden", Sandro Chia, Enzo Cucchi, Francesco Clemente und Julian Schnabel - hatten

225 Basquiat in einem Interview mit O'Grady In: Artforum, 11.226 Zur Kontext-Kunst siehe Weibel, Peter: Kontext Kunst. Kunst der 90er Jahre. Köln 1994.

54

als ihr Thema Farbe, Form und Ausdruck, nicht aber politischen Inhalt und Gesell-

schaftskritik.227

Die allgemeine kunstkritische Einordung Basquiats in den Kontext der Malerei der Acht-

ziger Jahre hat dazu geführt, daß dieser bislang vorrangig als ein rein formaler Maler

behandelt wurde.228 Tatsächlich jedoch bildet das "magische Geviert" von Leinwand und

Zeichnungsblatt nur den Hintergrund von Basquiats künstlerischem Vorgehen. Sein In-

teresse geht weit über formale Probleme hinaus. All diese Problemstellungen löst Bas-

quiat mit Bravour, sie bilden aber nur einen Teil seines eigentlichen Anliegens. Basquiat

arbeitet vielmehr als ein Erforscher von Kultur und Geschichte, von Wissenssystemen,

kurz, vom dem, was Foucault als "construction of knowledge" bezeichnet. Er stellt in

seinen Wortkaskaden sein enzyklopädisches Wissen buchstäblich zur Schau, die meisten

seiner Arbeiten machen den Eindruck, als seien die Worte förmlich aus den Büchern

"gepurzelt". Die Oberfläche seiner Arbeiten konnotieren den Begriff "Wissen", wie

schon Robert Storr festgestellt hat: "Everything about his work is knowing, and much is

about knowing".229 Francesco Pellizzi beschreibt in seinem Essay Black and White All

Over. Poetry and Desolation Painting von 1989 dieses Interesse Basquiats an einem

universalen enzyklopädischen Wissen:

A biography of Charlie Parker, inscribed to me in return for a catalogue of agreat collection of calligraphy in Chinese painting, was practically the last ex-change I had with Jean-Michel Basquiat. On the same occasion, we admired thetypographic complexities of Dr. Dree's mercurial Relation of Some Spirits .... andthe quixotically haunting images of Athanasius Kircher's Mundus Subterraneus.Word configurations, figures "speaking in tongues", metascientific images of theunseen (such as the hidden anatomy of the earth's entrails), the extreme refine-ments of a four-thousand-year-old tradition of writing, as well as the "hiero-glyphs" of the late English Renaissance and their philology of magic - it all see-med to interest Basquiat. This enormous hunger to absorb from the Western andEastern past ... existed alongside Basquiat's natural immersion in the Afro-American spiritual tradition of Voodoo, Santeria, and Condomblé and in the li-ving mythology of American Pop and its music, particulary the blues and its jazzderivations but also rock, for which he wrote lyrics.230

Basquiats Schrift, sein Zitieren lexikalischer Formen, die formalen Anspielungen an

Schultafeln sowie die in den Arbeiten vorhandene Informationsflut beziehen sich alle auf 227 Für das Werk von Anselm Kiefer und eingeschränkt auch für Markus Lüpertz ist inzwischen diepolitische Bedeutung ihrer Aufarbeitung von deutscher Geschichte gezeigt geworden.228 Bei den kunstkritischen Einordnungen ist in eine "gutmeinende" als Neo-Expressionist und eine"böswillige" als Graffiti-Künstler zu unterscheiden.229 Storr In: Cheim, o.S..230 Pellizzi, o.S.

55

den Metatopos "Wissen". Aber das Wissen Basquiats ist nicht das europäischer und

amerikanischer Schulbücher und Enzyklopädien, sondern eine oft fast "geheimbündleri-

sche" Dekonstruktion und Erweiterung dieses Wissens, ein bewußtes "signifyen" darauf,

wie bereits Tate festgestellt hat:231

Basquiat's exhausting list of weights, measures, numbers, anatomical parts, cuisi-ne, and pop icons function as autopsies on forms of knowledge, reading the hi-storical entrails of literacy and numeracy for traces of their culpability in the sub-jugation and degradation of Black people. In so many paintings it seems Basquiatis on a mission of retribution against the Anglos' precious and allegedly value-free banks of information.232

Die in der auf den ersten Blick redundanten Informationsflut von Basquiats Arbeiten

versteckten Einzelinformationen zur afro-amerikanischen Kultur und Geschichte sind ein

konsequentes Gegenlesen weißer Denotations- und Wissensysteme, eine "de-con-

struction of knowledge". Mit diesem Aufzeigen von festgelegten europä-

isch/amerikanischen Wissenssystemen, dem Zeigen einer eigenen Geschichte innerhalb

des "mainstreams" der Geschichte greift Basquiat künstlerischen Strategien wie denen

Renée Greens vor.233 Greens künstlerische Vorgehensweise steht exemplarisch für die

Kontext-Kunst der Neunziger Jahre. Ihre Arbeit gliedert sich in das Quellenstudium und

die anschließende Präsentation des "Erforschten" in Form von Installationen. Greens

Untersuchungen sind zumeist ethnologischer, soziologischer und historischer Art; sie

betreibt eine detektivische, kritische Wissenschaftsgeschichte, indem sie europäisches

und weißes amerikanisches Bildungsgut untersucht und deren falsche oder rassistische

Schlußfolgerungen für die westliche Geschichtsschreibung und Wissenschaft aufzeigt.234

231 Basquiats "geheimbündlerische" Dekonstruktionen stehen in der Tradition der autodidaktischenWissensaneignung der Afro-Amerikaner. Weil ihnen das Wissen ihrer eigenen Geschichte von weißerSeite vorenthalten wird, eignen sie sich dieses seit dem 19. Jahrhundert selbst an. Dabei ist eine Vorlie-be zu Verschwörungstheorien und geheimbündlerischen Ansätzen auszumachen - so machen die Afro-Amerikaner seit dem letzten Jahrhundert bspw. einen großen Anteil der Freimaurer aus. Diese Be-schäftigung mit der eigenen Geschichte führte die meisten afro-amerikanischen Historiker zurück zurafrikanischen Geschichte, speziell zur Geschichte Ägyptens. Die ägptische Kultur bietet nun aber gera-dezu den idealen Nährboden für jegliche Vorliebe fürs Kryptische. Stephen Howe zeichnet in seinemBuch Afrocentrism. Mythical Pasts and Imagined Homes die faszinierende Ideengeschichte dieser afro-amerikanischen Beschäftigung mit der eigenen Geschichte im Hinblick auf Afrika nach. BasquiatsSelbststudium, seine universale Gebildetheit, aber auch seine Vorliebe für alles Kryptische und für dasCodieren von Inhalt sind im Hinblick auf diese afro-amerikanische Tradition zu verstehen.232 Tate, 239.233 Renée Green hat, wenn auch unter völlig anderen Vorzeichen, in den Neuziger Jahren in Europaeine ähnlich steile Karriere gemacht hat wie Basquiat in der Achtziger Jahren. Auch sie ist zwar einemeuropäischen Publikum bestens vertraut, wird aber von der sogenannten "black community" in NewYork weitgehend mißverstanden und ebenfalls argwöhnisch als eine "sell-out-Künstlerin" betrachtet(Interview mit Valery Mercer, Kuratorin des Studio Museum in Harlem, 10. Juli 1998).234 Siehe dazu Kapitel 6.6.2 Die "Hottentottenvenus".

56

Basquiats "Forschungsleistung" besteht in der permanenten Quellensuche durch Lesen,

Musik hören, Filme anschauen, Gespräche führen, kurz, in dem Absorbieren und Zu-

sammentragen von Informationen zu afro-amerikanischer Kultur und Geschichte. Daran

anschließend stellt er seine "Forschungsergebnisse" dem Betrachter in Form eines visu-

ellen Archivs - seiner Arbeiten auf Leinwand, Zeichnungen und Skulpturen - zur Verfü-

gung. Dabei besitzt der Betrachter die Freiheit des eigenen Lesens und Decodierens, die

Arbeiten Basquiats sind nicht didaktisch angelegt, sondern stellen lediglich ein Wis-

sensangebot für die Reflexion des Betrachters zur Verfügung.

3.2 Basquiat als "Griot"

Durch seine Zitatstrategie und Collagetechnik hat Basquiat große Teile der afro-ameri-

kanischen Kultur und Geschichte konserviert. Er steht damit in einer afro-amerikani-

schen (musikalischen) Tradition, die sich von den "Samples" des HipHop über das "Ver-

sioning" des Blues zurück zu dessen eigentlichen Vorfahren, den westafrikanischen

Griots, verfolgen läßt. Griots sind reisende Musiker, die in ihren Liedern die verschie-

denen Stammesgeschichten erzählen, sie sind gleichsam "lebende Bibliotheken", die ent-

weder am Hof der Könige oder freischaffend in Städten und Dörfern arbeiten und als

eine Art "outlaws" komplette Freiheit besitzen.235 Sie sind gleichzeitig heilige Männer,

denen keiner Schaden zufügen darf, da sie die Erhalter der kollektiven Erinnerung - die

"keeper of knowledge" - sind. Der Griot ist in Afrika der offizielle Übermittler der "oral

history" seines Volkes.236 Basquiat verstand sich nach Aussagen seines afrikanischen

Freundes Ouattara als ein Nachfahre dieser westafrikanischen Griots, als jemand, der für

die Afro-Amerikaner das notwendige historische und kulturelle Wissen oral, aber auch

visuell speichert.237 Auch der afro-amerikanische Kulturkritiker Greg Tate vergleicht

Basquiats Rolle für die "black community" mit der des afrikanischen Griots:

To read the tribe astutely you sometimes have to leave the tribe ambitiously, andshould you come home again, it's not always to sing hosannas or a song the tribenecessarily has any desire to hear. Among the Senegambian societies of the WestAfrica savannah, the role of the praise singer and historian is given to a personknown as the griot. Inscribed in his function is the condition of being born a so-cial outcast and pariah.238

235 Ferris, 182, Fn 29; Dictionary Of Black African Civilization, 161.236 Gillon, 22.237 Interview mit Ouattara am 19. November 1997 in New York.238 Tate, 232.

57

In der Zeichnung Undiscovered Genius von 1982/83 (Abb. 4.26) stellt Basquiat die

Rolle des afro-amerikanischen Bluesmusikers (BLUESMAN) in die Tradition des afri-

kanischen Griots (GRIOT), denn ein Großteil der afro-amerikanischen (Alltags)-ge-

schichte wurde von den Bluesmusikern erzählt. Heute übernimmt diese Aufgabe in der

"black community" nicht primär der Schulunterricht, sondern die Texte von politischen

HipHop-Gruppen wie KRS-One, Brand Nubian oder Public Enemy. Diese Rapper ver-

ankern ihre Rolle als Geschichte(n)-erzähler ebenso wie Basquiat explizit in der Traditi-

on der westafrikanischen Griots und der amerikanischen Bluesmusiker.239

3.3 "Droppin' Science": Basquiat als Vermittler afro-amerikanischen Wissens

Eine wichtige Konstante in der Musik des HipHop, die 1982 mit Grandmaster Flashs

The Message beginnt und sich über KRS-One, die Gruppe Public Enemy und das Black

Panther Mitglied Paris fortsetzt, war der Versuch, bei den Hörern ein politisches Be-

wußtsein auszubilden.240 Die Texte der Rapper handeln von der eigenen Geschichte, die

von der Sklaverei über die Lynchmorde der "Reconstruction Era" hin zu Marcus Gar-

veys Back to Africa Movement und der Black Power Bewegung der Sechziger Jahren

reicht. Zusammen mit dem visuellen Vokabular von Plattencovern und Musikvideos

wurde damit durch die HipHop-Musik der Achtziger und Neunziger Jahre ein regel-

rechtes Aufklären und Erziehen der Hörer betrieben. Was den schwarzen Zuhörern mehr

Geschichtsbewußtsein und damit Selbstbewußtsein geben sollte, hat bei der weißen Hö-

rerschaft Aufklärung über einen zumeist unbekannten Teil der amerikanischen Ge-

schichte gegeben. KRS-One, dessen Name ein Akronym für "Knowledge Reigns Su-

preme Over Nearly Everyone" ist, hat dieser Art von Unterricht den treffenden Namen

EduTainment gegeben, einem Mix aus "Entertainment" und "Education".241 KRS-One

war neben Afrika Bambaataa einer der ersten New Yorker Rapper, der mit seiner Musik

eine politische und historische Aufklärung der schwarzen Zuhörer verband:

239 Jones, 19, 56; Potter, 18ff.240 Toop, 120.241 Jones, 62, George, 30.

58

... historically speakin' 'cause people be dissin'the first graffiti artists in the world was the Egyptianswritin' on the walls mixin´ characters with lettersto tell the graphic story about their life,however, today we do the same thing with how we rap and draw ...242

Was KRS-One in seinem Text Out for Fame als die geschichtschreibende und -

erzählende Funktion von Rap und Graffiti beschreibt, das tut auch Basquiat: ein Erzählen

seiner Geschichte als schwarzer Amerikaner durch seine Bildtexte. Er "droppt" in seinen

Arbeiten, ebenso wie die "Consciousness Rapper" in ihren Texten, "science". "Droppin'

science" bedeutet im HipHop-Jargon soviel wie seiner Zuhörerschaft ein oft geheimes

Wissen zu vermitteln. Im HipHop gibt es daher sehr viele Namen, die sich direkt auf das

Lehren, Erziehen und eine akademische Ausbildung beziehen, wie z.B. die Poor Righte-

ous Teachers, Dr. Dre, Professor Griff oder den Mad Scientist. "Knowlegde" ist eines

der Schlüsselwörter im HipHop. Daß Erziehung und Wissen für die meisten Schwarzen

noch immer eine zentrale Rolle spielen, verwundert wenig. Im Schulunterricht der "Pu-

blic Schools" wird ihnen kaum ihre eigene Geschichte gelehrt, und so bilden Ventile wie

die nationalistischen und semireligiösen Gruppierungen wie die Nation of Islam oder

deren im HipHop sehr einflußreiche Abspaltung der Five Percenter Ersatzerziehungsor-

te, in denen ein latent nationalistisches schwarzes Wissen vermittelt wird.

3.4 Europäische vs. afrikanische Schriftkonzeptionen im Werk Basquiats

Durch die Verwendung von phonetischen und ideographischen Schriftsystemen verweist

Basquiat auf die Differenz zwischen der westlichen und der afrikanischen Schriftkonzep-

tion und deren Folgen für die Bildungsproblematik und das kulturelle Selbstverständnis

der Afro-Amerikaner.

3.4.1 Lateinische Schrift: Bildlektüre "Jesse"

In the rush to reduce the word games found in Basquiat's works to mere mimicryof Cy Twombly's cursive scrawls, we're expected to forget that Basquiat comesfrom a people once forbidden literacy by law on the grounds that it would makefor rebellious slaves. Expected to overlook as well that among those same peoplewords are considered a crucial means to magical powers, and virtuosic wordplaypulls rank as measure of one's personal prowess. From the perspective of thissplit-screen worldview, where learning carries the weight of a revolutionary act

242 KRS-One: Out for Fame, KRS-ONE, 1995.

59

and linguistic skills are as prized as having a knockout punch, there are no suchthings as empty signifiers, only misapprehended ones.243

Außer Tate hat bislang niemand die Bedeutung des Schreibens im Werk Basquiats in den

Kontext der afro-amerikanischen Kultur gestellt. Dabei läßt sich an Basquiats Schriftart

seine intensive Auseinandersetzung mit der afro-amerikanischen Bedeutung des Schrei-

bens ablesen. Basquiat hat die Schrift Cy Twomblys nicht unreflektiert übernommen,

sondern sich an ihr abgearbeitet, die durch Twomblys Schreiben konnotierten Themen in

ihr Gegenteil verkehrt.244 Denn während Cy Twomblys Schrift meist leicht, flüchtig, wie

"mit den Fingerspitzen" geschrieben erscheint, ist Basquiats dicke, Buchstabe für Buch-

stabe fest aufgedrückte, "öffentliche" Großbuchstabendruckschrift äußerst präsent.245

Während Cy Twombly Namen wie Vergil in "Erinnerung an eine verblichene Kultur ...,

die nur einige Wörter als Spur hinterlassen" hat, in einer sehr persönlichen, gestischen

Schrift schreibt, erinnert Basquiat mit seiner linkischen Schultafelschrift an eine Kultur

der Unterdrückung, hat kein ungespaltenes positives Gefühl zur Vergangenheit.246 Bei

Basquiat findet sich keine kursive Gerichtetheit der Schrift, sondern dem Autor fremd

bleibende, abgemalte, ikonische Wortblöcke, die als "mots trouves" von einer Distanz

zwischen Schreiber und Geschriebenem zeugen, "uneigentliches Schreiben" sind.

Die Schriftart als Duktus, als Metasignatur, ist bei Basquiat die eines "Illiteraten". Fred

Braithwaite bezeichnet Basquiats Schreibweise als die eines "linkischen Krüppels".247

Auch die Schriftart Twomblys ist linkisch, verweist ihn, wie es Roland Barthes formu-

liert, "in den Kreis der Ausgeschlossenen".248 Doch während Twomblys Schrift trotzdem

selbstverständlich erscheint, suggeriert sie bei Basquiat immer ein mühsam erlerntes

Schreiben. Basquiats Dysgraphie, seine Barbarismen, seine nicht beendeten, durchgestri-

chenen und neugeschriebenen Worte lassen den Betrachter den Prozess des Schreiben-

lernens nachvollziehen. Das durch Basquiats Schriftart konnotierte mühsam erlernte

Schreiben weist auf dessen Bedeutung als "Menschheitszertifikat" hin. Laut Henry Louis

Gates sind schriftliche Texte seit der Aufklärung sichtbares Zeichen von Vernunft, von

Zivilisation, von "Menschsein". Nur durch die Schrift, so die europäische Annahme,

243 Tate, 239.244 Vergleiche mit Twombly, die lediglich der Etablierung Basquiats in einen "Hochkultur"-Kunstkanon dienen sollen, finden sich bei Ricard In: Artforum, 43; Kertess In: Marshall, 54 sowie Mar-shall, 15.245 Barthes, 167.246 Zu Basquiats Kontextualisierung von Vergil innerhalb der afrikanischen Geschichte siehe das Ka-pitel 4.6 Karthago vs. Rom: afrikanische oder europäische Hegemonie?.247 Sischy In: Interview, 122.248 Barthes, 170.

60

könne ein kollektives kulturelles Gedächtnis, könne Geschichtsschreibung entstehen. Das

Hegelsche Postulat, die Afrikaner hätten keine Geschichte und verharrten vielmehr in

einer Art zeitlosem Naturzustand, weil sie keine Schrift besitzen, ist eines der Hauptar-

gumente in der Inferiorität-Superioritätsdebatte. Um die Schwarzen auf dieser ge-

schichtslosen "Evolutionsstufe" zu fixieren, wurde den amerikanischen Sklavenhaltern

verboten, den Sklaven Lesen und Schreiben zu unterrichten.249 Gates betrachtet die in

englischer Sprache geschriebenen Sklaven-Autobiographien daher als "erste politische

Geste", die allein durch den "Akt des Schreibens" sowohl den Beweis ihres Menschseins

als auch den einer eigenen Geschichte erbrachten.250 Vor diesem Hintergrund gewinnt

die Schriftart Basquiats, die jede Selbstverständlichkeit des Schreibens negiert, ihre Be-

deutung. Mit ihrer vermeintlichen Nichtbeherrschung spielt Basquiat sowohl auf die ras-

sistischen Darstellungen eines "schwarzen Schreibunvermögens" als auch auf den müh-

sam erkämpften Bildungsanspruch der Afro-Amerikaner an. 251

Die komplexe Problematik des Vorenthaltens von Bildung sowie der daraus resultieren-

den Wichtigkeit der Erziehung thematisiert Basquiat exemplarisch in Jesse von 1983

(Abb. 3.1). In der dort auftretenden falschen Schreibweise von INFIERORITY

COMPLEX kulminiert der Zusammenhang von Illiterarität und intellektueller Unterle-

genheit, wird zur Tautologie. Der Begriff "inferiority complex" ist innerhalb des afro-

atlantischen Denkens zu einem feststehenden Terminus für das durch das weiße Superio-

ritätsdenken im Schwarzen indoktrinierte Minderwertigkeitsgefühl geworden. Die Ver-

innerlichung dieser weißen Wertvorstellungen führt Frantz Fanon zufolge letztendlich zu

einem permanenten Selbsthaß, den er als eine "neurotic situation" beschreibt.252 Mit den

psychologisch-medizinischen Ausdrücken DIAGNOSIS: ... DISTURBED. PARANOID.

SCHIZOPHRENIC nennt Basquiat die Symptome dieser Neurose. Jesse handelt von

den rassistischen Fähigkeitszuweisungen an Schwarze: Mindere intellektuelle, dafür aber

höhere körperliche Fähigkeiten. Jesse Owens (Bildtitel, FAMOUS NEGRO ATHLETES

NO.# 41, JESSE OWENS, Hakenkreuz) siegte zwar aller Arierrassenideologie zum

Trotz mit vier Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen 1936 über die weiße Konkur-

renz und durchbrach so den Mythos rassischer Inferiorität, doch sein Erfolg bestätigte

nur den Stereotyp des "black bestial brute". Diese Mythenbildung um die körperliche

Überlegenheit und gleichzeitige Animalität Schwarzer setzt sich bis heute fort, der "infe- 249 Gates In: Diederichsen 1993b, 80.250 Gates., 83.251 So zeigt z. B. ein das Taxi der Protagonisten der äußerst beliebten "Amos 'n' Andy" Radiohörspieleder Dreißiger Jahre darstellendes Spielzeugauto (Abb. 3.2) in der Aufschrift eben genau diese Illiterari-tät, durch die den Afro-Amerikanern ein Platz außerhalb der "zivilisierten" Gesellschaft zugewiesenwird.252 Fanon, 197.

61

riority complex" bleibt bestehen. Basquiat nennt die einzige Möglichkeit, diesem Ste-

reotyp wirksam zu begegnen: Erziehung (CRISPUS ATTUCKS HIGH/OLD LINCON

HIGH SCHOOL/LINCOLN). Doch mit BOOKER T. HOTEL verweist er auf den Grad

an Bildung, der Schwarzen von den Weißen zugestanden wurde, verweist auf das zwi-

schen körperlichen und geistigen Fähigkeiten angesiedelte Erziehungsideal Boo-

ker T. Washingtons, dessen 1881 gegründetes Tuskegee Institute Afro-Amerikaner zwar

zu Handwerkern und Industriearbeitern, nicht aber zu Akademikern ausbildete. So ver-

half Washington den Ex-Sklaven zu einem Bildungsstandard, der ihnen ein ökonomi-

sches Überleben gewährleistete, nicht aber zu einer intellektuellen Befreiung, wie sie sein

Antipode W.E.B. DuBois forderte.253

In der "Schultafelserie"254 Basquiats wird sowohl durch das Schreiben mit (weißer)

Ölkreide auf schwarzen Grund als auch durch Phrasen wie I. NOTARY EDUCATION,

II. SENSORY, 3. LANGUAGE und PART TWO IN A SERIES, VOL. IV. das Lernen

thematisiert. Sie rekurriert auf einen Abschnitt afro-amerikanischer Kunst, in dem die

Erziehung zu einem selbstbewußten schwarzen Bürger erklärtes Ziel war, auf das Black

Arts Movement, für dessen pädagogischen Aspekt "Blackboard" (Abb. 3.7) von Cliff

Joseph als paradigmatisches Beispiel steht.255 Hier wird das Alphabet einer eigenen, auf

der afrikanischen Herkunft basierenden Kultur gelehrt, das Erlernen des Schreibens be-

deutet gleichzeitig das Formulieren einer Geschichte, auf die man mit "pride" und "re-

spect" zurückblicken kann. In der "Schultafelserie" Basquiats hingegen wird die Re-

klamierung des afrikanischen Erbes lediglich noch als Abbreviatur (EGYPT, BRONZE

HEAD OF BENIN) den Errungenschaften westlicher Zivilisation entgegengesetzt (Ra-

keten, Flugzeuge),256 dominieren vielmehr die zu kompensierende Geschichte der Kolo-

nialisierung sowie die durch Fernsehen und Werbung verankerten rassistischen Stereoty-

pen die Bildthematik.257

253 Ihde, 91.254 Zu der ich die Bilder Untitled (Hand Anatomy), 1982 (Abb. 3.3), Future Sciences Versus theMan, 1982 (Abb. 3.4), Native Carrying Some Guns, Bibles, Amorites on Safari, 1982 (Abb. 3.5),Untitled (Rinso), 1982 (Abb. 3.6) sowie Tuxedo, 1983 (Abb. 4.32a) zähle.255 Zum Black Arts Movement und seinen Wandmalereien siehe Barnett, 50-63; Lewis, 224-231 undFine, 200-203.256 So bei Future Sciences Versus the Man, 1982 (Abb. 3.4) und Tuxedo, 1983, (Abb. 4.32a).257 So bei Native Carrying Some Guns, Bibles, Amorites on Safari, 1982 (Abb. 3.5) und Untitled(Rinso), 1982 (Abb. 3.6).

62

3.4.2 Afrikanische Piktogramme: Bildlektüre "Grillo"

In den Sechziger Jahren wurde jedoch nicht nur eine eigene Geschichte gelehrt, sondern

auch der Mythos von Afrika als dem "Dark Continent" ohne Schrift und Geschichte wi-

derlegt. Das Erlernen von afrikanischen ideographischen Schriftsystemen sowie von afri-

kanischen Sprachen geriet daher zum Höhepunkt einer afrozentrischen Erziehung (Abb.

3.8).258 Während von der Literatur Basquiats rhythmische Wiederholungen, seine per-

kussive Anordnung von Worten und Zeichen als "Eye-Rap" in der Tradition dieser ora-

len afro-amerikanischen Sprachkultur situiert wurde,259 hat man bislang übersehen, daß

vor allem seine Verwendung von Piktogrammen im Kontext der Bedeutung des afrikani-

schen Schreibens steht. Wieder ist es Thompson, der 1983 in Flash of The Spirit einen

der grundlegenden Beiträge zu Erforschung der Übernahme solcher Schreibsysteme nach

Amerika geleistet hat.260 Thompsons Kapitel über das afrikanische nsibidi- und das ku-

banische anaforuana-Schreiben - das viele afro-amerikanische Künstler vor Basquiat zu

analogen ideographischen Verfahrensweisen inspiriert hat - zitiert Basquiat in Grillo von

1984 wörtlich.261 Basquiat übernimmt Fragmente (FRAGMENTS) aus dem laufenden

Text, den Abbildungen sowie den Fußnoten von Flash of The Spirit, die zeigen, daß er

das Buch intensiv gelesen und somit spätestens seit 1983 eine profunde Kenntnis west-

afrikanischer Mythologien und deren Übernahmen in die Karibik hatte (Abb. 3.9 un-

ten).262

Grillo kann als ein Schlüsselbild gelten - hier kontrastiert und überlagert Basquiat die

Zeichen einer afrikanischen Tradition des Schreibens, einer kulturellen Kontinuität Afri-

kas in Amerika und damit eines afro-amerikanischen Selbstbewußtseins schlechthin mit

den Piktogrammen der westlichen Zivilisation, die er aus Dreyfuss' Symbol Sourcebook

258 Dent, 188.259 So Storr In: Cheim, o. S.; Pellizzi, o. S.; Kertess In: Marshall; 50-55.260 Basquiat besaß Thompsons Buch Flash of The Spirit 1984 (McGuigan In: The New York TimesMagazine, 35). Thompsons Standardwerk über die kulturelle Kontinuität der afrikanischen Kultur inAmerika war wohl auch der Grund für Basquiat, diesen 1985 mit dem Schreiben eines Katalogessaysfür seine zweite Einzelausstellung bei der Mary Boone Gallery zu beauftragen.261 So z. B. die Künstler James Phillips und Houston Conwill (siehe Black Art, 11-116; Dent, 210;Lippard, 68).262 Darauf weist bereits Hebdige (In: Marshall, 68, FN 6) hin. In Black Art (ibid., 114) nennt Thomp-son weitere Texte, die zu einer Kenntnis und Popularisierung der afrikanischen und afro-amerikanischen Zeichensysteme in den Vereinigten Staaten beigetragen haben. Es handelt sich dabeium Griaules (engl. Übersetzung 1986) Standardwerk über die Ideographie der Dogon sowie um LydiaCabreras Studien zu den kubanischen Zeichensystemen La sociedad secreta Abakua (Havanna 1959)und Ritual y simbolos de la iniciacion en la sociedad secreta Abakua (Madrid 1975). Während Bas-quiats Kenntnis von Griaule durch das Zitat einer Dogon-Maske belegt ist, kann sie von Cabrera ledig-lich vermutet werden.

63

zitiert hat.263 Im folgenden ist nach dem Klären der Thompson-Zitate zu zeigen, daß

Basquiats Auswahl dieser Zeichen sowie ihre Rekurrenz innerhalb des Werkes auf ihrer

Relation zu afrikanischen ideographischen Schriftsystemen und afrikanischer Mythologie

basieren.

Basquiats Zitate aus Thompsons Buch Flash of The Spirit bilden drei Gruppen: Referen-

zen an den westafrikanischen Trickstergott Esu, an afrikanische und kubanische Ge-

heimgesellschaften und ihre Zeichen und an den afrikanischen Eisengott Ogun. Die durch

den Trickstergott Esu verkörperte Mythologie eines afrikanischen Schreibens nennt Bas-

quiat mit ESU/FON, BABALAO (EXU-BARA) und DOSSANTOS bzw. SSANTOS

OP. CIT. PP. (Abb. 3.11, 3.13). Die traditionellen Formen afrikanischen Schreibens sind

der Idee eines "heiligen Textes" viel näher als die europäische Textkonzeption als "Ge-

schichtsschreibung". Sie werden in Nigeria durch die drei Stufen der Textproduktion, -

interpretation und -rezeption des Ifa-Orakels verkörpert: Von dem Gott der Schrift, Ifa,

wird durch den Priester auf dem "tray of divination" mit sechzehn Palmnüssen ein Text

geschrieben, seine jeweiligen Konfigurationen werden dann durch die Hilfe des Gottes

Esu interpretiert. Esu ist die Vermittlerinstanz zwischen dem heiligem Text und dem

ersten "Decodierer" der Menschen, dem "babalawo", der die Sprache der Götter in die

Sprache der Menschen übersetzt, und den Basquiat durch BABALAO (EXU-BARA)

nennt.264 Der Trickstergott Esu steht für die Unsicherheiten der Interpretation, für den

Diskurs über einen Text, den nur Eingeweihte lesen können. Seine zwei wichtigsten

Aspekte sind, so Gates, die Pluralität und Unbestimmheit der Bedeutung sowie seine

einzigartige Gabe, die unzusammenhängenden heterogenen Textteile sinnvoll zu verbin-

den, Textkohärenz zu erzeugen.265 Diese Konzeption von der Schrift als dem Text der

Welt, als bestimmtes codiertes und decodierbares Zeichenrepertoir, ist exemplarisch für

andere Schriftsysteme Westafrikas, wie z.B. das ideographische System des Amma-

Orakels der Dogon, das Basquiat durch die an einen Wolkenkratzer erinnernde Haus-

form der sirige-Masken zitiert hat (Abb. 4.43). Der Trickstergott Esu kann somit als

eine Metafigur der Textualität, Heterogenität, Codiertheit und "schwierigen Interpretati-

onslage" von Basquiats Werk gelesen werden.

263 Marshall, 25.264 Exu ist eine Schreibweise des Gottes in Brasilien, Eshu-Bara eine andere (Thompson, 25, 273). In(EXU BARA) fusioniert Basquiat beide. Über Eshu-Bara schrieben Juana und Deoscoredes Dos Santosdie wichtigste Studie, die in den Fußnoten von Thompsons Buch Flash of The Spirit permanent zitiertwird. Basquiat verweist auf diese Fußnoten mit SANTOS OP. CIT. PP (Abb. 3.10).265 Gates 1988, 37.

64

Auf das nsibidi-Schreibsystem der afrikanischen Ejagham (Nigeria/Kamerun) verweist

Basquiat durch NSIBIDI, LEOPARD SKIN und die nsibidi-Ideogramme (Abb. 3.11),

auf deren kulturelle Übernahme nach Kuba durch SUGAR, BRITISH WEST INDIES

(Abb. 3.9) und die mit EVANTAMIENTO DE PLATO und "WINGS" (Abb. 3.11,

3.13) bezeichneten kubanischen anaforuana-Zeichen. Nach Thompson widerlegen die

westafrikanischen nsibidi-Ideogramme der Ejagham den Mythos des "Kontinents ohne

Schrift".266 Die nsibidi-Ideogramme werden von den Mitgliedern der westafrikanischen

Ngbe-Geheimgesellschaft, die einen Leopardengott verehren, verwendet. Deren Mythen

und Zeichen haben sich auch in Kuba fortgesetzt und bilden für Thompson daher ein

Wunder der "kulturellen Wiederherstellung".267

Das Schreiben der nsibidi-Zeichen wurde den Menschen laut Thompson von Meerjung-

frauen, die an einem Ort leben, an dem "bells and gongs echo beneath the water", ge-

lehrt.268 Die Rekurrenz der Zeichen BUZZER und BELL aus Dreyfuss' Symbol Source-

book in Grillo bezieht sich auf diesen Mythos (Abb. 3.9). Die nsibidi-Ideogramme wer-

den in Westafrika in drei Diskursebenen verwendet: als für alle lesbare Zeichen (dann

repräsentieren sie menschl. Verbindungen, Kommunikation, Haushaltsgegenstände), als

Zeichen für Gefahr und Bestrafung ("dark signs") und als komplexe Zeichen, die die

Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie angeben.269 Die Syntax dieses

Schriftsystems ist nicht linear, sondern kann in verschiedene Texturen, wie Stoffe,

Wandbemalungen oder Haushaltsgegenstände eingewebt sein. Das Verstecken solcher

geheimer Zeichen in trivialeren Texten war ein übliches Codierverfahren, das nur Einge-

weihten das Lesen ermöglichen sollte.270 Die westafrikanischen nsibidi-Ideogramme

bilden hier also, ebenso wie der Trickstergott Esu, die afrikanische "Vorlage" für Bas-

quiats komplexes Codierverfahren.

Basquiat zitiert in Grillo stellvertretend für das westafrikanische nsibidi- Schriftsystem

vier Ideogramme:

• Die sternförmigen Zeichen stehen für Kommunikation (Vergl. Abb. 3.11

rechts und 3.12).

266 Thompson, 277. "Nsibidi" bedeutet "gefährliche Buchstaben".267 Thompson, 266.268 Thompson, 244.269 Thompson, 248.270 Thompson, 247.

65

• Die schwarzen mit LEOPARD SKIN beschrifteten Dreiecke und die schwar-

zen Figuren mit erhobenen Armen visualisieren als "dark signs" Gefahr

(Vergl. Abb. 3.11 und Abb. 3.12).

• Der Kreis mit einem integrierten Kreuz ist das den obersten Hierarchiegrad in-

nerhalb der Ngbe-Gesellschaft, die Krone, verkörpernde zentrale Zeichen

(Vergl. Abb. 3.9 Mitte, 3.10). Mit der Ngbe-Krone übernimmt Basquiat ein

afrikanisches Zeichen, das sich gleichzeitig mit einem der wichtigsten Zeichen

der New Yorker Graffiti überlagert, denn die Krone wird dort als Zeichen für

den "king of the line", für den besten Graffitischreiber,verwendet.271

Die westafrikanischen nsibidi-Ideogramme wurden in modifizierter Form auch von der

kubanischen Abakuá-Geheimgesellschaft verwendet und dort durch das kreolische Wort

für Zeichen - anaforuana - ersetzt.272 Für die kubanischen anaforuana-Ideogramme

stehen in Grillo folgende Zeichen:

• Der Kreis mit integriertem Kreuz und vier kleinen Kreisen ist die Übernahme der

nsibidi-Krone und fungiert in Kuba ebenfalls als ein zentrales Motiv, das das dop-

pelte Augenpaar des Leopardengottes Tanze und seiner Braut Sikàn repräsentiert

(Vergl. Abb. 3.11, 3.13, 3.15 mit 3.10). Diese "signature of God" wird häufig auch

von anderen zeitgenössischen afro-amerikanischen Künstlern wie bspw. James Phil-

lips verwendet (Abb. 3.17).273

• Das mit EVANTAMIENTO DE PLATO beschriftete komplexe Piktogramm ist eine

Erweiterung des bei kubanischen Beerdigungen verwendeten Zeichens des "Hebens

des Tellers", was sich auf den Brauch, den Teller eines Toten von seinem Tisch weg-

zustellen, bezieht ( Vergl. Abb. 3.13 mit 3.14).274

Die Mythologie des westafrikanischen Eisengottes Ogun, der in der Karibik und in Bra-

silien weiter verehrt und für das afrozentrische kulturelle Selbstverständnis von großer

Bedeutung ist, nennt Basquiat in Grillo durch AMULA OGUN, IRON BLADE

(Abb. 3.13) und IRON/BRASS (Hufeisen), BELT OF COTTON©, PRESENT IN THE

271 In diesem Sinn hat Basquiat die bereits als SAMO© verwendete Krone in seine Arbeiten übernom-men. Auch das "dark sign" der schwarzen Figur mit erhobenen Armen in Grillo (Abb. 3.11), das beiden Ejagham für "all this country belongs to me" steht, verweist auf ein wichtiges Element der NewYorker Graffiti: an die Reviermarkierungen der "tags", die die Gebiete der verschiedenen Graffitischrei-ber voneinander abgrenzen.272 Thompson, 252.273 Black Art, 113.274 Thompson, 268.

66

SPEEDING BULLET©, IRE, KETU, ILESHA und 16 SONS OF 1ST KING (Abb.

3.9). Ogun ist der Gott des Krieges und der Kultivierung der Natur. Er hat dem Er-

schaffer der Welt geholfen, den Ur-Wald durch seine Eisengeräte (IRON BLADE) zu

lichten, die ersten sechzehn Straßen von der heiligen Stadt in den Dschungel zu schlagen,

auf denen die 16 SONS OF 1ST KING auszogen, um die ersten sechzehn Königtümer

zu gründen (Abb. 3.9). In den alten afrikanischen Städten IRE, KETU, ILESHA wurden

Loblieder auf Ogun als Schöpfer und Zerstörer gedichtet und gesammelt (Abb. 3.9). 275

BELT OF COTTON© ist ein Zitat aus einem dieser aufgeführten Loblieder: "Ogun ties

on his cutlass with a belt of cotton" (Abb. 3.9, rot durchgestrichen).276 Ogun ist in Afrika

in allen Eisengegenständen präsent, so laut Thompson "even in the speeding bullet or

railway locomotive", was Basquiat mit PRESENT IN THE SPEEDING BULLET©

zitiert (Abb. 3.9). Der Eisengott wird durch liturgischen Schmuck aus "iron or brass"

(IRON/BRASS) verehrt (Abb. 3.9). Sowohl in Afrika als auch in der Neuen Welt tragen

die Priester zu Ehren Oguns eine Kette aus kleinen Metallemblemen, die AMULA

OGUN (Abb. 3.11, 3.13).277 Eines der zwanzig Teile dieser Kette ist eine "large cere-

monial iron bell" (BELL). In Kuba wird Ogun vor allem durch Nägel, eiserne Pfeile und

Hufeisen (Hufeisen mit IRON/BRASS), in Brasilien durch "pick, pick-axe, axe, ... and

shovel" verehrt (Abb. 3.9).278 Letztendlich verweisen alle Eisengegenstände in einem

afro-atlantischen Kontext auf den Eisengott Ogun.279

Basquiats ironische Gegenüberstellung der Kette Oguns, der DIVINING CHAIN, mit

NECKLACE 20 PELE280 führt zu seinen Kontrastierungen und Überlagerungen von

afrikanischen und westlichen Zeichensystemen (Abb. 3.11, 3.13). Die aus Dreyfuss'

Symbol Sourcebook übernommenen Piktogramme mit den Beschriftungen SPIN

DRYING, AGITATE, STRECH, BUZZER, BELL, LINK PARABOLE und FILM

CAMERA fungieren auf einer ersten Referenzebene als Statthalter moderner visueller

Kommunikation (Abb. 3.16). Doch die in Basquiats Arbeiten von 1985 bis 1988 durch-

gängige Rekurrenz der Kombination von SPIN DRYING (Spirale) und AGITATE

(Zickzacklinie) lassen diese ausgehend vom afrikanischen Kontext von Grillo als im

westlichen Text versteckte Zeichen weiterer afrikanischer Schriftsysteme lesen

(Abb. 3.15). Die Spirale kommt als das einheitliche Motiv der Felsmalererei in ganz

275 Thompson, 52.276 Thompson, 53.277 Thompson, 53.278 Thompson, 57.279 Thompson, 57.280"Pela" heißt span. Peseten, es ist anzunehmen, das es sich bei PELE entweder um einen umgangs-sprachlichen Ausdruck oder um eine Abänderung Basquiats handelt.

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Afrika vor. Nach Gillon wird die früheste Spiralzeichnung um 6000 v. Ch. datiert, 281

womit sie als eines der ältesten Zeichen der Welt gerne von den Afrozentrikern, die in

Afrika die "Wiege der Menschheit" sehen, angeführt wird.282 Diese Spiralen wurden

entweder als einzelne Zeichen oder in Figuren integriert auf die Felsen gemalt

(Abb. 3.20, 3.21). Basquiat übernimmt in seinen Arbeiten beide Versionen: In den frühen

Arbeiten taucht die Spirale vorwiegend bei selbstreferentiellen Figuren als Ellbogen-

oder Kniemarkierung auf (Abb. 3.22); darauf folgt eine Phase verschiedenster freier Spi-

ralmuster (Abb. 2.5, 3.23, 3.24); und ab ca. 1985 verwendet Basquiat schließlich das

Spiral-Zeichen aus Dreyfuss' Symbol Sourcebook - meist in unmittelbarer Nähe zu

AGITATE und Afrika (Ägypten) denotierenden Bildelementen (Abb. 3.25, 2.33).

Die Zickzacklinie mit der Beschriftung AGITATE in Grillo ist eine verkürzte Referenz

an eines der wichtigsten Motive der Ikonographie des Black Arts Movement: an das

Zickzackmuster. Dieses fungiert auf zwei Ebenen: Zum einen ist es die Übernahme eines

Textilmusters der Yoruba und bezeichnet dort "ashé", die göttliche Kraft.283 Zum ande-

ren soll es die "rhythmic syncopation" des Jazz visualisieren.284 In ihm sind also zwei

Verweise auf eine positive Selbstdefinition fusioniert: das afrikanische Erbe und der Jazz,

womit es zu einem zentralen Motiv der künstlerisch-politischen Agitation des Black Arts

Movement der Sechziger Jahre wurde.285 Auch heute verwenden Künstler der afrozen-

trischen Gruppe Africobra wie James Phillips in "Spirits" von 1986 (Abb. 3.17) das

Zickzackmuster noch in diesem Sinn. In Grillo verweist das Wort AGITATE in seiner

ersten Wortbedeutung "schütteln, hin- und her bewegen" auf seinen ursprünglichen

Kontext, die Betriebsanleitung für Waschmaschinen.286 Die zweite Wortbedeutung, "er-

regen, beunruhigen" bezieht sich zusammen mit der ersten auf die Wirkung des Jazz, die

dritte, "agitieren", nennt schließlich den politischen Rahmen, in dem es verwendet wur-

de. Spirale und Zickzacklinie können somit als extrem verkürzte Kondensate einer afro-

zentrischen Ikonographie gelesen werden und stehen damit stellvertretend für eine Reihe

weiterer im westlichen Hintergrundstext von Grillo versteckten Zeichen.

281 Gillon, 245.282 Die Spirale kann nicht zum festen Motivrepertoire afro-amerikanischer Ikonographie gezählt wer-den. In jüngster Zeit arbeitet jedoch Houston Conwill in Arbeiten wie "Markings on the Sand" von 1989(Abb. 3.18) mit ähnlichen Überlagerungen von Zeichen westlicher Kommunikationssysteme mit tradi-tionellen afrikanischen Symbolen, so auch mit der Spirale.283 Black Art, 111, 113.284 McElroy 1987, 104.285 Black Art, 29.286 So erklärt Basquiat Thompson die Quelle (In: Haenlein 1986, 23).

68

Neben diesen Überlagerungen findet in Grillo , wie schon durch Basquiats Gegenüber-

stellung von NECKLACE 20 PELE und DIVINING CHAIN vorgegeben, eine äußerst

codierte Konfrontation von stereotyper afro-amerikanischer und positiver afrikanischer

Identität statt, die erst durch die Rekurrenz der einzelnen Motive im Werk und ihren

dortigen Kontexten lesbar wird. Im oberen rechten Teil von Grillo stellt Basquiat die

über den Bildtext verteilten Worte SOAP, OIL, CARBON den nsibidi-Ideogrammen

(LEOPARD SKIN) für Gefahr gegenüber, die er durch die weißen "Leopardenflecken"

verdoppelt (Abb. 3.11). In der kreuzweisen diagonalen Zuordnung des Wortes SOAP zu

dem zusätzlichen "white sign" und von OIL/CARBON zu dem orginalen "dark sign"

spielt Basquiat auf komplexe Weise auf eine Problematik an, die später noch ausführlich

diskutiert werden wird.287 Während die Schwärze denotierenden Worte OIL/CARBON

Verweise auf den schwarzen Körpers sind, steht die Seife für den Topos des "Weißwa-

schens" mit all seinen rassistischen Implikationen. Basquiats Zuordnung der Worte

SOAP und CARBON/OIL zu der "Leopardenhaut" in Grillo erfolgt auf zwei Referen-

zebenen. Zum einen stehen die Worte LEOPARD SKIN für die kulturelle Kontinuität

der Afro-Amerikaner, denn in Kuba verkörpern die in schwarz-weiß gemusterten Leo-

pardenkostümen tanzenden Mitglieder der Abakuá-Geheimgesellschaft den aus West-

afrika übernommenen Leopardengott Tanze.288 Zum anderen aber bezieht sich

LEOPARD SKIN auf eine Bibelstelle, in der dessen Unfähigkeit, seine Flecken zu ver-

ändern, mit der des Schwarzen, seine Haut aufzuhellen, verglichen wird.289 In beiden

Ebenen setzt Basquiat die Leopardenhaut mit der Haut des Schwarzen in Bezug: positiv

als zweite Haut des Tanzkostüms, negativ als Hinweis auf das Stigma der schwarzen

Hautfarbe.

Auch die Nähe der "halbierten Eier" zu dem "Maskengesicht" (Abb 3.11), die in einer

ersten Lesart völlig unvermittelt erscheint, erschließt sich erst durch die Rekurrenz dieser

Konstellation innerhalb von Basquiats Werk. Die Eier sind als Zeichen des rassistischen

Stereotyps des Schwarzen als "eye-popping coon" dem Afrika denotierenden gekröntem

schwarzen Gesicht gegenübergestellt.290

287 Siehe das Kapitel 6.3.2 "Whitewashing Action": Das Leitmotiv Seife.288 Thompson, 262.289 Siehe Kapitel 6.3.2 "Whitewashing Action": Das Leitmotiv Seife.290 Siehe das Kapitel 4.3.1 Das "nigger-image": Sambo, "blackface minstrels" & Co.

69

4. Afrikanische Kultur und Geschichte im Werk Basquiats

4.1 Die Problematik des "Primitivismus"

Basquiats dreiteilige Arbeit Untitled von 1983 (Abb. 4.1) bezieht sich auf das wohl

wichtigste Kunstwerk des europäischen Primitivismus des 20. Jahrhunderts, auf Pablo

Picassos "Les Demoiselles d'Avignon" von 1907 (Abb. 4.2). Die gesichtslose weiße Fi-

gur der linken Bildtafel in Untitled zitiert die beiden Mittelfiguren der "Les Demoiselles

d'Avignon". Über der erhobenen Hand der weißen Figur ist das Wort NERO durchge-

strichen und gekrönt geschrieben. An die Stelle der beiden rechten Figuren mit "afrikani-

schen" Maskengesichtern in Picassos "Les Demoiselles d'Avignon" treten in Untitled

vier schwarze "grimmige" Gesichter, die mit den Worten EYE, EAR, NASA, BRAIN,

RIBS, FACE, TORSO, JAW, TEETH und SKULL© beschriftet sind. Das in Untitled in

der linken Bildtafel durch das gekrönte NERO, die Worte WAX WINGS (ICARUS) und

den erhobenen Arm der Figur gebildete Konnotationsfeld referiert auf den Topos der

blackness, auf die Sklaverei und die Skulptur Afrikas. Das Wort NERO ist in den Ar-

beiten Basquiats neben CARBON, TAR und ASBESTOS Statthalter der schwarzen

Hautfarbe. Die unter der weißen Figur geschriebenen Worte WAX WINGS (ICARUS)

konnotieren die Flucht von Daedalus und Ikarus aus der Sklaverei des kretischen Königs

Minos. Der Name Daedalus verweist etymologisch auf die älteste Art plastischer Tätig-

keit, auf die Holzplastik;291 mit der die Skulpturen Afrikas, nicht die Griechenlands

gleichgesetzt werden. Der durch die weiße Figur in Untitled zitierte erhobene Arm der

beiden mittleren Figuren in Picassos "Les Demoiselles d'Avignon" ist William Rubin zu-

folge eine Übernahme des erhobenen Armes von Michelangelos Skulptur des "Sterben-

den Sklaven" (1513-16), von dem Picasso einen Gipsabguß in seinem Studio stehen

hatte (Abb. 4.3).292

291 Günther, 752. Zu Basquiats detaillierter Auseinandersetzung mit der griechischen Mythologie siehe6.5.1 Bildlektüre "Leonardo da Vinci's Greatest Hits", zu einer afrozentrischen Lesart derselben sieheKapitel 4.6 Karthago vs. Rom: afrikanische oder europäische Hegemonie?.292 Rubin, 246, FN 23. Dieser Gipsabguß von Michelangelos "Sterbendem Sklaven" ist in Rubin alsVergleichsbeispiel neben der Figur mit erhobenem Arm von Picassos "Les Demoiselles d' Avignon"abgebildet. Basquiats üblicher "verschobener" Zitatstrategie zufolge, die in dem Kapitel 6.5.1 Bildlektü-re "Leonardo da Vinci's Greatest Hit's" ausführlich behandelt wird, wäre anzunehmen, daß er mit demZitat der Demoiselles explizit auf diese Referenz an die Sklaverei verweisen wollte. Da Untitled jedochbereits 1983 datiert wird, der Ausstellungskatalog von Rubin aber erst 1984 erschienen ist, ist dies nichtmit Sicherheit anzunehmen. So kann nur vermutet werden, daß Basquiat von der Referenz der Demoi-selles an Michelangelos "Sterbendem Sklaven" durch eine andere Quelle Kenntnis hatte oder aber Un-titled falsch datiert ist. Datierungsfehler kommen bei der Flut von Basquiats Arbeiten des öfteren vor,ich konnte jedoch nicht feststellen, ob dies auch bei dieser Arbeit der Fall ist. Für eine falsche Datierungspricht die Tatsache, daß mir von den Jahren 1981-1983 sonst keine Arbeiten Basquiats mit Referenzenan Picassos Werk bekannt sind, seine Auseinandersetzung mit Picasso aber in den Jahren 1984-1988

70

Während die weiße Figur in der linken Bildtafel von Untitled wie ihre Vorlage in Picas-

sos "Les Demoiselles d'Avignon" eine helle Hautfarbe hat, sind die vier Gesichter der

beiden rechten Bildtafeln dunkel. Die rechte Figur ist gekrönt und bezieht sich dadurch

auf das gekrönte NERO im linken Bildteil. Diese vier "negroiden" Gesichter können als

Stellvertreter der beiden rechten Figuren mit "afrikanischen" Maskengesichtern in Picas-

sos "Les Demoiselles d'Avignon" gelesen werden. Rubin zufolge hat Picasso die beiden

"afrikanisierten" Figuren nach seinem legendären Besuch im Musee d'Ethnographie auf

dem Trocadero 1907 übermalt, wo er angesichts der afrikanischen und ozeanischen

Kunst "Schock" und "Offenbarung" zugleich erfahren hat.293 Picasso hatte jedoch kei-

nerlei Wissen über die Bedeutung und Funktion der afrikanischen und ozeanischen Mas-

ken; für ihn bedeutete die Konnotation Afrika lediglich "Dunkelheit", die "afrikanisier-

ten" Demoiselles sollten vor allem Sexualität, Fremdheit und Bedrohlichkeit ausdrük-

ken.294 Rubin beschreibt denn auch 1984 noch diese beiden Köpfe als "horrific, mon-

strous and distorted" und erinnert damit an die Angst und den Schock, den diese Ge-

sichter bei ihren ersten Betrachtern ausgelöst haben.295 Klaus Herding zufolge stellt Pi-

casso mit diesen "häßlichen" afrikanischen Maskengesichtern den europäisch-akade-

mischen Schönheitskanon in Frage.296

Picassos "Les Demoiselles d' Avignon" gelten als der Beginn seiner kubistischen Phase

und damit als ein wichtiger Umbruch in der europäischen Malerei, der durch die "Ent-

deckung" afrikanischer Kunst ausgelöst wurde. Über Picassos Beeinflussung durch afri-

kanische Kunst in den "Les Demoiselles d' Avignon" wird in der Forschung jedoch ge-

stritten. Einen detaillierten Beitrag zu dieser Diskussion leistet Rubin im Katalog der

Ausstellung "Primitivism" in 20th Century Art. Affinity of the Tribal and the Modern,

die 1984 im Museum of Modern Art in New York stattfand. Diese Ausstellung, die Ru-

bin um Picassos "Les Demoiselles d' Avignon" herum aufgebaut hat, stellte die Kunst der

"primitiven Völker" als "Einfluß" neben die hochkulturellen Leistungen der europäischen

Moderne. Rubin fokussierte in dieser Ausstellung ausschließlich auf das Verhältnis der

europäischen Moderne zur "tribal art", schloß jedoch jegliche postkolonialen Aspekte

zunimmt (siehe dazu beispielsweise Untitled (Pablo Picasso), 1984, Navarra, 287; Untitled , 1984,Maillol, 102; Orange, 1988, Abb. 2.28.293 Rubin, 255.294 Zur Verbindung der Idee einer bedrohlichen und exzessiven weiblichen Sexualität mit Afrikanerin-nen in der Wissenschaft und Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts siehe das Kapitel 6.6.2 Die "Hotten-tottenvenus".295 Rubin, 254.296 Herding, 44. Daß Basquiat sich dieser Kontrastierung des europäischen Schönheitskanons mit demzum Inbegriff des "Häßlichen" gewordenen Afrikaners schmerzhaft bewußt war, wird in den Kapiteln6.5 bis 6.6.4 besprochen.

71

zur Problematik des europäischen Primitivismus aus.297 So handelt das Kapitel "Ameri-

can Art" des Ausstellungskataloges denn auch ausschließlich von weißen Künstlern. Eine

Beschäftigung mit den Künstlern der Harlem Renaissance und der afro-amerikanischen

Auseinandersetzung mit afrikanischer Kunst findet bis auf die Ausnahme einer zweizeili-

gen Nennung des "Vorzeige-Afro-Amerikaners" Romare Bearden an keiner Stelle des

Kataloges statt.

Basquiats Arbeiten der Jahre 1984 bis 1986 können als eine Stellungnahme zu dieser

umstrittenen Ausstellung gelesen werden.298 1985 und 1986 bezieht sich Basquiat mit

zwei rekurrenten Elementen seines Bildvokabulars auf die in der Primitivismus-

Ausstellung gezeigte "primitive Kunst" und ihre in Rubins Katalogtext dargelegte Be-

deutung für Pablo Picasso. Die Rekurrenz der Gesichter mit drei Augenpaaren in den

Zeichnungen Untitled , 1985 (Abb. 4.4), Untitled , 1986 (Abb. 4.5) und Untitled , 1986

(Abb. 4.6) verweisen auf eine Maske der Kwele aus dem Kongo (Abb. 4.7), die Picasso

als Anregung für seine Arbeiten "The Studio" (1927/28) und "Head" (1928) gedient hat

(Abb. 4.8). Die Figur in Basquiats Buntstiftzeichnung Untitled von 1986 (Abb. 4.9)

zitiert eine Ganzkörpermaske von den Neuen Hebriden, die Picasso von Henri Matisse

geschenkt bekommen hatte und die in den Fünfziger Jahren zu seinem permanenten Stu-

dioinventar in La Californie in Cannes gehört hat (Abb. 4.10). Auch die seit 1985 in

Basquiats Arbeiten auftretende "Stülpmaske" mit einer verlängerten Nase bezieht sich

auf eine in der Primitivismus-Ausstellung gezeigte Arbeit und ein Mißverständnis in der

europäischen Rezeption "primitiver" Kunst. So hat Alberto Giacometti als Vorlage für

seine Skulptur "Die Nase" von 1947 (Abb. 4.11) eine Helmmaske der Baining aus New

Britain benutzt (Abb. 4.12). Bei seiner Übernahme war Giacometti jedoch nicht bewußt,

297 Zu einer solchen Kritik der Ausstellung siehe Foster, Hal: "The 'Primitive' Unconscious of ModernArt, or White Skin Black Mask." In: Recodings. Art, Spectacle, Cultural Politics. Port Townsend: BayPress 1985. Clifford, James: "Histories of the Tribal and the Modern." In: The Predicament of Culture.Twentieth-Century Ethnography, Literature, and Art. Cambridge u.a.: Harvard University Press 1988.Wallace, Michele: "Modernism, Postmodernism and the Problem of the Visual in Afro-American Cultu-re." In: Ferguson, 39-50. Torgovick, Mariana: "William Rubin and the Dynamics of Primitivism", 119-137.298 Obwohl die Primitivismus-Ausstellung 1984 und 1985 in New York der "talk of the town" war, hatBasquiat sich offensichtlich nicht zu diesem Thema geäußert. Meine Nachfrage bei Robert FarrisThompson, der 1985 in seinem Essay zu Basquiats Einzelaustellung in der Mary Boone Gallery erst-mals die afro-atlantische Thematik von Basquiats Werk thematisiert hat, ergab, daß die beiden nichtüber dieses Thema sprachen. Im Gegenteil: Thompson ist das Ansprechen des Themas Primitivismusgegenüber einem schwarzen Künstler zu heikel gewesen. So schreibt er in einem Brief an die Verfasse-rin: "Jean-Michel and I never discussed the MOMA primitivism show and I certainly would never havediscussed "primitivism" with him. He liked me in part because I never pestered him with such self-conscious and artily weighted stuff. We sipped wine. We discussed women and film and jazz and operaand had great times." Ouattara fand es hingegen wahrscheinlich, daß Basquiat zu der Primitivismus-Ausstellung in seinen Arbeiten Stellung genommen hat. Dennoch hat auch er mit Basquiat nie über dieAusstellung gesprochen (Telefoninterview vom 16. März 1998).

72

daß es sich bei dem verlängerten Teil nicht um eine Art Pinoccionase, sondern um ein

Megaphon handelte. Basquiat spielt auf diese Verwechslung in der Zeichnung Untitled

von 1984 (Abb. 4.13) an. Er plaziert die rohrartige Verlängerung zwar an die Stelle der

Nase,299 läßt sie aber im Kontext anderer Jazzmusiker "trompeten", als ein Megaphon

fungieren. Daß Basquiat Giacomettis Verwechslung sichtlich amüsiert hat, zeigt auch

seine Zeichnung Untitled von 1986 (Abb. 4.15), die diesen "Trompetenrüssel" schließ-

lich parallel zu einem Elefantenrüssel zeigt.300

Die Diskussion um Pablo Picassos Beziehung zur afrikanischen Kunst in der Kunstge-

schichte drehte sich bislang vorrangig um die Frage, ob er aber in seinen Arbeiten einen

"All-Over-Effekt" mit der Konnotation Afrika erzeugt hat, oder ob er bestimmte afrika-

nische Masken und Skulpturen direkt zitiert hat. Die Beantwortung dieser Frage hat für

Picasso und die Geschichte der modernen Kunst jedoch eine völlig andere Bedeutung als

für Basquiat und die Geschichte der afro-amerikanischen Kunst, wie bereits Hebdige

andeutungsweise festgestellt hat:

But in the end, the differences between Picasso and Basquiat - the different rela-tions they adopt to the ethnographic gaze leveled from the West on traditionalAfrican Art, the different investments they make in the construction of their owncelebrity - are more pronounced than any formal affinities in their work.301

Für Basquiat läßt sich die oben gestellte Frage in beide Richtungen mit ja beantworten.

Durch seine Formensprache generiert er auf der Metaebene die Konnotation "Primitivi-

tät" und damit afrikanische Kunst. Sein grober, "expressiver" Pinselduktus, die "wilden"

schwarzen maskenähnlichen Gesichter und die Rohheit seiner Keilrahmenkonstruktionen

konstituieren seinen "primitiven" Stil, der ihn im Kontext des Neo-Expressionismus der

Achtziger Jahre als eine "authentische" Version der "Neuen Wilden" firmieren ließ. Diese

oberflächliche Beziehung zu Afrika haben die meisten weißen Kritiker gesehen, in die

Geschichte des europäischen Primitivismus eingeordnet und - kritisiert, wie beispielswei-

se Robert Hughes:

299 Dasselbe Verfahren verwendet Basquiat auch in Mr. Greedy von 1986 (Abb. 2.14). Hier ist derRüssel allerdings als ein "Saugrüssel" zu lesen, denn mit "Mr. Greedy" war sein geldgieriger ZüricherGalerist Bruno Bischofsberger gemeint.300 Siehe auch die Zeichnung Untitled von 1986, wo ein sitzender Mann mit "Rüssel" "King Kong"gegenübergestellt ist (Abb. 4.16).301 Hebdige In: Marshall, 63.

73

Er [Basquiat] hatte sich, wie flüchtig auch immer, Museumskunst angesehen - vor allem Dubuffets und Picassos, von denen er seine "primitiven" Konventionenabgekupfert hatte.302

Paradigmatisch für eine solche auf weißem suprematistischem Denken basierende Kritik

ist auch Adam Gopniks Artikel in der Zeitschrift The New Yorker:

Far from being even marginally in touch with the spray-can gleam and manic vi-tality of real New York subway art, the Basquiat pictures on the walls of theWhitney are weirdly anachronistic - dutiful schoolboy inventories of every re-ceived idea of "raw" or "primitive" utterance that had been circulating in modernart since before the First World War. [...] The "African" masks, the coarse, zappyline, the scarifications, the scibbling intensity: these are not just the primitiveclichés of 1948 - or, for that matter, of 1918. ... It was corny in 1918, and it wasstill corny in 1988 [...] Basquiat offered the art world a more immediately reco-gnizable inventory of instant "primitive" chlichés that he had picked up by loo-king at art books. There was the Dubuffet stick figure, the Cy Twombly scrawl, afew paint strokes borrowed from de Kooning, and a bit of grotesquerie takenfrom Picasso.303

Gopnik kommt gar nicht in den Sinn, nach einer Beziehung Basquiats zum Primitivismus

zu suchen, die außerhalb des angeblichen "Kopierens" europäischer Meister liegt. Bas-

quiats komplexe Beziehung als Afro-Amerikaner zu der Problematik des europäischen

Primitivismus übersieht er völlig. Der als linksliberal geltende Kunstkritiker Peter Schje-

dahl erkennt zwar die "Sophistikation" Basquiats im Umgang mit dem Formenvokabular

des Primitivismus, kann jedoch kaum glauben, daß ein Schwarzer auf diese Art mit dem

"Primitiven" umgeht:

Would I be surprised to learn that the author was a young black man? ... So Iwould not have expected from a black artist Basquiats vastly self-assured graspof New York big painting aesthetics. The licence (my italics) to tap energy from"primitive" forms has often defined Euro-American, white modernism ever sincePicasso circa 1907. I would have anticipated a well-schooled, very original whitehipster behind the tantalizing pictures.304

Auch für Schjedahl hat "Primitivität" viel mit Pablo Picasso und der europäischen Mo-

derne, wenig jedoch mit dem schwarzen Amerika zu tun. Thomas McEvilley schließlich

hält Basquiats Methode ebenfalls für die eines weißen "Primitivisten":

302 Hughes, 403.303 Gopnik In: The New Yorker, 138.304 Schjeldahl, 214.

74

This black artist was doing exactely what classical-Modernist white artists suchas Picasso and Georges Braque had done: deliberately echoing a primitive sty-le.While seeming to behave like a primitive, Basquiat was actually behaving likewhite Westerners who behave as they assume primitives do. .... So it was not justa question of his imagery glorifying African roots and so on - hymning negritude(though he certainly did celebrate black culture). Basquiat was also focusing onthe white art world's expectations, and on the assumtions and ideologies under-lying them. The enthusiastic acceptance that Basquiat's work received so quicklyfrom the still predominantely white art world reflects this strategy.305

Offensichtlich ist es für McEvilley weniger erstrebenswert, die afrikanischen Wurzeln zu

glorifizieren, als sich als Schwarzer auf die Stufe der weißen "kulturellen Ausbeuter" zu

stellen. Tatsächlich aber steht für Basquiat die Betonung seiner afrikanischen kulturellen

Wurzeln im Zentrum seiner Werkthematik. Das aber bedeutet keinen Widerspruch zu

einer intelligenten Auseinandersetzung mit dem Primitivismus, sondern bildet lediglich

einen Teil davon. So widerspricht die afro-amerikanische Feministin bell hooks dieser

gutgemeinten, doch nach wie vor eurozentrischen Sichtweise McEvilleys:

When art critic Thomas McEvilley suggests that "this black artist was doing ex-actly what classical Modernist white artists such as Picasso and George Braquehad done: deliberately echoing a primitive style," he erases all of Basquiat's di-stinct connections to a cultural and ancestral memory that linked him directly to"primitive" traditions. This then allows McEvilley to make the absurd suggestionthat Basquiat was "behaving like white men who think they are behaving likeblack men", rather than understand that Basquiat was grappling with both thepull of a genealogy that is fundamentally "black" (rooted in African diasporic"primitive" and "high art" traditions) and a fascination with white Western tra-ditions. Articulating the distance separating traditional Eurocentric art from hisown history and destiny and from the collective fate of diasphoric black artistsand black people, Basquiat's painting testify.306

Basquiat adaptiert also auf einer ersten Ebene willentlich die Rolle des Primitiven als die

für ihn einzig mögliche Vermarktungsstrategie in einer weißen und größtenteils rassisti-

schen Kunstwelt, wie bell hooks feststellt:

To be seen by the white art world, to be known, Basquiat had to remake himself,to create from the perspective of the white imagination.307

305 McEvilley, 94.306 hooks In: Art in America, 70.307 hooks In: Art in America, 74.

75

Denn als Afro-Amerikaner einen Platz in der amerikanischen Kunstwelt zu besetzen,

bedeutete noch vor fünfzehn Jahren, der Konstruktion des "Anderen" entsprechen zu

müssen. Ein erfolgreicher intellektueller schwarzer Konzeptkünstler war zu diesem Zeit-

punkt unvorstellbar, wie Tate bemerkt:

No area of modern intellectual life has been more resistant to recognizing andauthorizing people of color than the world of the "serious" visual arts. To thisday it remains a bastion of white supremacy, ....It is easier for a rich white man toenter the kingdom of heaven than for a Black abstract and/or Conceptual artist toget a one-woman show in lower Manhattan, or a feature in the pages of Artfo-rum, Art in America, or The Village Voice. The prospect that such an artist couldbecome a bona fide art-word celebrity ... was, until the advent of Jean-MichelBasquiat, something of a joke.308

4.2 Basquiats Bildvokabular im Kontext der afro-amerikanischen Kunst des

20. Jahrhunderts

Obwohl Basquiat einerseits die stereotype Rolle des Primitiven gespielt hat, war ihm

jedoch andererseits daran gelegen, daß sein Werk in Beziehung zu Afrika gelesen wird.

So läßt er 1985 Robert Farris Thompson, Professor für afrikanische und afro-amerikani-

sche Kunst in Yale und eine Koryphäe auf dem Gebiet der Erforschung von Übernahmen

afrikanischer Kulturen in die Neue Welt, einen Katalogessay für seine zweite Einzelaus-

stellung bei der Mary Boone Gallery schreiben. Dieser Essay erläutert Basquiats "afro-

atlantisches" Bildvokabular und plaziert ihn innerhalb des Kontextes afrikanischer Kul-

tur. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere hat Basquiat damit deutlich Stellung zu seiner

Position als afro-amerikanischer Künstler nehmen lassen. Thompson beginnt seinen Es-

say mit den Worten:

Jean-Michel Basquiat ist ein Afro-Atlantiker par excellence. In seinen Arbeitenverbindet sich die Intensität moderner Kunst (die der afrikanischen Kunst vielesverdankt) mit der Expressivität und Figuration schwarzafrikanischer und kreoli-scher Herkunft. [...] Eines ist es, im Paris der Jahrhundertwende auf der Suchenach einem neuen Stil völkerkundliche Museumsobjekte zu umarmen, etwas ganzanderes aber, mit traditionellen Formen zu leben, sie zu lieben, sich nicht zu ver-lieren, sie noch im Traum zu besitzen ...309

308 Tate, 234.309 Dt. Wiederabdruck, Thompson In: Haenlein 1986, 11.

76

Thompson zufolge war dieser Essay der einzige, den Basquiat über seine Arbeit je für

relevant hielt.310 Tatsächlich ist zu Basquiats Lebzeiten kein Essay von einem afro-

amerikanischen Intellektuellen über sein Werk geschrieben worden und auch die weiße

Kunstkritik hat zu Basquiats Beziehung zur afrikanischen oder afro-amerikanischen

Kultur nie Stellung genommen.

Basquiat sammelte - ebenso wie Picasso - afrikanische Kunst.311 Für ihn hatte das Sam-

meln und die Auseinandersetzung mit afrikanischer Kunst jedoch eine völlig andere Be-

deutung als für Picasso und die europäische Moderne. Für Basquiat ist die afrikanische

Kunst kein Formenfundus, der aus einer kulturellen Distanz "geplündert" werden kann,

sondern bildet das Zentrum seiner Definition als afro-amerikanischer Künstler. Afrika

bedeutet für Basquiat, wie für viele andere afro-amerikanische Künstler auch, den Ur-

sprung seiner eigenen Kultur, an den jede afrozentrische Identitätskonstruktion zu-

rückkehrt, um ein positives Bild schwarzer Kultur zu schaffen. Seine Auseinanderset-

zung mit Afrika ist das "re-klamieren" einer verlorenen Kultur und der Versuch des Auf-

baus eines neuen "afro-atlantischen" Bildvokabulars. Damit steht Basquiat innerhalb ei-

ner Tradition der afro-amerikanischen Kunst, die in der Harlem Renaissance der Zwan-

ziger Jahre beginnt und mit der politischen Kunst der Siebziger Jahren endet.312 Die eu-

ropäische Adaption afrikanischer Kunst durch Picasso fällt in Amerika in eine Zeit, in der

die kulturelle Definition der Afro-Amerikaner durch die Intellektuellen der Harlem Re-

naissance (auch New Negro Movement) neu überdacht wird. Die afrikanische Kultur

wird - über den Umweg der weißen Anerkennung des Primitivismus - als Ursprung afro-

amerikanischer Kultur und Geschichte betrachtet.313 Der Soziologe und Historiker

W.E.B. DuBois startete 1907 die pan-afrikanische Bewegung, einen Zusammenschluß

von Afro-Amerikanern, schwarzen Karibianern und Afrikanern mit dem Ziel einer The-

matisierung der globalen "schwarzen" Probleme.314 Marcus Garvey gründete 1910 die

Repatriierungsbewegung "Back to Africa" und entwickelte damit das Bewußtsein des

310 Brief Thompsons an die Verfasserin, März 1998.311 Interview mit Gerard Basquiat am 25. Oktober 1996 in New York. Interview mit Ouattara am19. November 1997 in New York. Telefoninterview mit Bruno Bischofsberger am 22. März 1998. Umwelche Arbeiten es sich dabei handelte, war jedoch nicht zu ermitteln. Thompson bemerkt, daß Basquiat1984 Zeichnungen nach afrikanischen Masken aus seiner eigenen Sammlung machte (In: Haenlein1986, 15).312 In den Siebziger Jahren findet sich der enge Bezug der schwarzen amerikanischen Kultur zu Afrikavor allem in der Musik von George Clinton, Sun Ra und dem jamaicanischen Reggea, in den spätenAchtziger Jahren im afrozentrischen HipHop.313 Zur Harlem Renaissance siehe Fine, 82-88; Harlem Renaissance. Art of Black America. New York:The Studio Museum in Harlem 1987.314 Black Art, 20.

77

"New Negro", der seine Identität nicht durch seine Hautfarbe, sondern durch das ge-

meinsame afrikanischen Erbe definiert.

Dieses neue afro-amerikanische Bewußtsein führte zu einer kulturellen Explosion im

Blues und Jazz, in der Literatur, dem Tanz und dem Theater. Dichter der Harlem Re-

naissance wie Countee Cullen und Langston Hughes thematisierten erstmals ihre afro-

amerikanische und afrikanische Vergangenheit und fragten in ihren Gedichten "What is

Africa to me?". Der Kunsttheoretiker Alain Locke gab in seinem Buch The New Negro

1925 dieser neuen Identität ihren Namen und führte seine Überlegungen zum Bezug der

afro-amerikanischen zur afrikanischen Kunst in dem Essay The Legacy of Ancestral Art

aus. 1933 bündelte er in Negro Art. Past and Present seine Theorie einer auf Afrika ba-

sierenden afro-amerikanischen Kunst. Locke glaubte, daß die afro-amerikanischen

Künstler durch die Sklaverei von ihrer künstlerischen Entwicklung abgeschnitten wur-

den. Sie orientierten sich daher bislang an europäischen Traditionen, was für Locke je-

doch ein Verleugnen des afrikanischen kulturellen Erbes bedeutete. Er forderte somit die

Wiederentdeckung und Rekonstruktion dieses Erbes durch die afro-amerikanischen

Künstler. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war Picassos "Entdeckung" der afrikani-

schen Kunst und deren Einfluß auf die Entwicklung der modernen Kunst. Lockes Hoff-

nung war es, daß die afro-amerikanische Auseinandersetzung mit der afrikanischen

Kunst einen ähnlich befruchtenden Einfluß auf die eigene Kunstentwicklung haben

könnte.

In den Zwanziger Jahren entwickelt Aaron Douglas in seinen Wandmalereien einen Stil,

der durch afrikanische Stoffmuster beeinflußt war. In dem vierteiligen Mural "The As-

pects of Negro Life" von 1934 (Abb. 4.17) für das Schomburg Institute for Research in

Black Culture in Harlem erzählt er die Geschichte der Schwarzen von Afrika über die

Abschaffung der Sklaverei und die Lynchjustiz der "Reconstruction Era" bis hin zur

Wanderung in den Norden Anfang des 20. Jahrhunderts.315 Louis Mailou Jones' "The

Ascent of Ethiopia" von 1932 (Abb. 4.18) und "Africa" von 1935 sowie Palmer Haydens

"Fétiche et Fleurs" von 1933 (Abb. 4.19) sind weitere frühe Beispiele der künstlerischen

Reklamation Afrikas. Ziel der Künstler der Harlem Renaissance war es, über die Suche

nach ihren afrikanischen "roots" ein neues visuelles Selbstverständnis zu erlangen, ein

Bild des Afro-Amerikaners zu schaffen, das sich von der Negativfolie der rassistischen

amerikanischen Stereotypen abhebt und ihm eine neue "Würde", ein neues einheitliches

Selbst gibt. In den Sechziger Jahren erwachte parallel zum Black Power Movement ein

neuer Afrozentrismus, der durch die Integration von afrikanischen Themen ein größeres 315 Fine, 87.

78

politisches Bewußtsein bilden wollte. Das Black Arts Movement wollte die in den "inner

cities" lebenden afro-amerikanischen Jugendlichen durch eine didaktische Kunstform

über ihre eigene Geschichte, ihre Helden und Ziele informieren. Diese Kunst ist eine Art

öffentliche Historienmalerei und damit Geschichtsunterricht für die in den Schulen bis

dahin nicht gelehrte afro-amerikanische Geschichte. Die "Wall of Respect" (Abb. 4.20),

1967 von einem Künstlerkollektiv an eine Hauswand in Chicago gemalt, gilt als die "spi-

rituelle Quelle" des Black Arts Movement. Neben der geballten Faust des Black Power

Grußes sind die schwarzen Helden Frederick Douglass, Hariett Tubman, Marcus Gar-

vey, W.E.B. DuBois, Malcolm X, Muhammad Ali und Charlie Parker dargestellt. Diese

Heldenportraits sind mit Zitaten aus der afro-amerikanischen und afrikanischen Ge-

schichte verbunden.316 Die im darauffolgenden Jahr in Detroit entstandene "Wall of

Dignity" (Abb. 4.21) ist in drei "Friese" gegliedert. Der obere erzählt die Geschichte

einer "glorreichen" afrikanischen Vergangenheit, der mittlere zeigt Portraits von schwar-

zen Führern wie Marcus Garvey und Malcolm X, der untere vier jugendliche Gesichter.

Am rechten Ende verweist ein Sklavenschiff auf das Trauma der "Middle Passage".1 Bis

in die Achtziger Jahre hinein entstanden in den schwarzen Vierteln der nordamerikani-

schen Städte solche Wandmalereien, die die afrikanische Vergangenheit glorifizieren und

die afro-amerikanischen "Helden" ehren.317

Die aus diesem Künstlerkollektiv enstandene afrozentrische Gruppe Africobra verband

Elemente der afro-amerikanischen Populärkultur mit einem afrikanischen Formvokabu-

lar. Ihr Ziel war die Schaffung eines visuellen Äquivalents zur schwarzen Jazzmusik.

Africobra etablierte eine afrozentrische Ikonographie: die Farben rot-grün-schwarz sym-

bolisierten den schwarzen Nationalismus Marcus Garveys, die geballte Faust die Black

Power Bewegung, Stern und Mond die militante Nation of Islam, die Doppelaxt den

afrikanischen Donnergott Shango, das Ankh-Zeichen das ägyptische Erbe und Spiralen

und Zickzackmuster afrikanische Kulturen.318 Seit den Siebziger Jahren haben afro-

amerikanische Künstler durch ihre Reisen nach Afrika einen engeren Zugang zu Afrika.

Afrika ist nicht mehr als "motherland" nur ein mythischer Ort auf der Suche nach einer

eigenen Identität, sondern ist zum vertrauten "homeland" geworden.319 Gleichzeitig wird

in Amerika die Suche nach kulturellen "Überresten", die den Mythos der völligen Abge-

schnittenheit von der afrikanischen Kultur durch die Sklaverei entkräften sollten, wichtig.

In der Folk Art des "Deep South", in den oralen Traditionen der Tierfabeln, im Voodoo-

316 Barnett, 51f.317 Siehe Barnett, 50-63.318 Black Art, 29.319 Black Art, 31.

79

Kult und in bestimmten Tanz- und Musikformen wurden Fortsetzungen afrikanischer

Kultur entdeckt. An die Stelle der reinen Verwendung von Symbolen für Afrika treten

nun die Spiritualität, Mythen und improvisierte Ästhetik Afrikas. James Phillips benutzt

in "Bazu" von 1974 (Abb. 4.22) die rhythmische Formensprache afrikanischer Textilien,

um eine Fusion von afrikanischer Ästhetik und der Improvisation des Jazz zu schaffen,

Ademola Olugebefola malt 1969 den Yorubagott "Shango" (Abb. 4.23), Betye Saar be-

zieht 1971 mit "Eshu (The Trickster)" (Abb. 4.24) auf den afrikanischen Gott der Kom-

munikation und Raymond Saunders zeichnet 1970 in Afrika seine "Afrikanische Serie"

(Abb. 4.25).320

Basquiat zitiert in seinem Werk in extrem verkürzter Form fast alle Motive und Themen,

die diese spezifisch afro-amerikanische Ikonographie konstituiert haben. Diese besteht

im wesentlichen aus drei großen Themenkomplexen, deren Integration in die künstleri-

schen Arbeiten zumeist mit dem Ziel einer positiven Selbstdefinition - dem Entwickeln

einer "Gegenikonographie" zu denen das Bild des Afro-Amerikaners determinierenden

rassistischen Darstellungen - erfolgt. Es handelt sich dabei um Zeichen des afrikanischen

Erbes, der kulturellen Kontinuität Afrikas in Amerika und der afro-amerikanischen Ge-

schichte.321 Zu den Motiven des afrikanischen Erbes zählen im Bereich der Kunst die

Hinweise auf die westafrikanischen Hochkulturen von Benin, Nigeria, Ägypten und Su-

dan; im Bereich des Kunsthandwerks die Referenzen an geometrische Stoffmuster (Zick-

zack- und Dreieckmuster) und die Metallverarbeitung.322 Was den Bereich der Religion

angeht, so findet man in der afro-afrikanischen Kunst vor allem Darstellungen der west-

afrikanischen Gottheiten Shango, Ogun und Esu. Die kulturelle Kontinuität afrikanischer

Kunst in Amerika wird durch die Verwendung der Motive des Schlangenstabs, der

Trickstertiere Spinne und Hase sowie durch die Ideogramme des Voodoo-Kultes betont.

An die afro-amerikanische Geschichte wird durch die Nennung der "Helden" der Sklave-

rei (Harriet Tubman, Nat Turner, Frederick Douglass, Toussaint L'Overture), der "Er-

ziehern" (Booker T. Washington, W.E.B. DuBois), der frühen Fürsprecher einer afro-

amerikanischen Identität (Alain Locke, Marcus Garvey) und der Sprecher des Black

Power Movements (Malcolm X, Huey Newton) erinnert. Der Bereich von Sport und

Musik wird in der afro-amerikanischen Kunst durch die Darstellung der Boxer (Jack

Johnson, Joe Lewis, Ray Robinson, Muhammad Ali) und Leichtathleten (Jesse Owens)

sowie der Jazzmusiker (Duke Ellington, Louis Armstrong, Charlie Parker, Max Roach)

320 Siehe dazu Gaither, Edmund Barry: "Heritage Reclaimed. A Historical Perspective and Chronolo-gy." In: Black Art, 17-34.321 Lewis, 100-228; Fine, 198-263; Black Art, 20-34, 142f.322 Lewis, 133f.

80

thematisiert. Ende der Sechziger Jahre bildet schließlich die Kritik der amerikanischen

Populärkultur (Dekonstruktionen der rassistischen Stereotypen der Werbung) sowie die

Kritik am institutionalisierten Rassismus der amerikanischen Gesellschaft (Veränderun-

gen der amerikanische Flagge) einen wichtigen Bestandteil der afro-amerikanischen

Kunst.

Basquiats Umgang mit den bestehenden Elementen der afro-amerikanischen Ikonogra-

phie kann auf folgende Grundverfahrensweisen reduziert werden:

• Er erweitert das Vokabular dieser Ikonographie um eine detaillierte Auseinanderset-

zung mit dem Problem der Repräsentation des schwarzen Körpers.

• Neben seinen eindeutigen Afrika- ("Maskengesichter", Ägypten) und Afro-Amerika-

Zitaten (Boxer, Jazz, Blues) webt Basquiat in den "westlichen" Text seiner Arbeiten

versteckte Referenzen an die afro-amerikanische Kultur und Geschichte ein. Dabei

überlagert er die Zeichen westlicher Kommunikation mit denen afro-amerikanischer

Kultur und verteilt sie als Leitmotive über das ganze Werk.

• Er kontrastiert die Zeichen einer positiven afrikanischen und afro-amerikanischen

Identität mit Hinweisen auf die rassistische Darstellung von Schwarzen in der ame-

rikanischen Populärkultur.

Gegen die didaktischen Bestrebungen der afro-amerikanischen Kunst der Sechziger und

Siebziger Jahre, bei den Betrachtern ein afrozentrisches Bewußtsein zu erzeugen, setzen

sich Basquiats kryptische Inhalte ab. Basquiat betreibt keine Aufklärungsarbeit mehr;

durch seine codierte Bildsprache verschafft er dem informierten Betrachter vielmehr ein

Vergnügen am "Decodieren" seiner Bildinhalte. Diese Dimension des Sprechens nur zu

"Eingeweihten" wird von vielen schwarzen Künstlern und Intellektuellen goutiert: man

ist als schwarzer Künstler gleichzeitig außen in der weißen Welt und hat Erfolg durch

das Tragen einer Maske, spricht aber durch den codierten Inhalt nur zu "those who

know".323 Bell hooks beschreibt dieses Phänomen des "versteckten Inhalts" in ihrem

Essay Altars of Sacrifice. Re-membering Basquiat von 1993:

Despite the incredible energy Basquiat displayed playing the how-to-be-a-fa-mous-artist-in-the-shortest-amount-of-time-game - courting the right crowd, ma-king connections, networking his way into high 'white' art places - he chose to

323 hooks In: Art in America, 70.

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make his work a space where that process of commodification is critiqued, parti-culary as it pertains to the black body and soul. [...] Like a secret chamber thatcan only be opened and entered by those who can decipher hidden codes, Bas-quiat's painting challenges folks who think that by merely looking they can "see".... Designed to be a closed door, Basquiat's work holds no warm welcome forthose who approach it with a narrow Eurozentric gaze. ... Even when Basquiatcan be placed stilistically in the exclusive, white male art club that denies entry tomost black artists, his subject matter - his content - always separates him onceagain, and defamiliatizes him. It is the content of his work that serves as a barrier,.... 324

Kevin Bray, ein Bekannter Basquiats, bestätigt diese Lesart von hooks: "..., he [Bas-

quiat] never thinks people understand the paintings".325 Basquiat verfolgte also eine

doppelte Strategie: Zum einen verwendet er in seinem Werk überdeutliche Zeichen der

afrikanischen und afro-amerikanischen Kultur wie Maskengesichter, schwarze Helden

und "primitiven" Stil. Zum anderen aber ist seine inhaltliche Thematisierung der "black

expierence" sehr viel codierter als in der bisherigen afro-amerikanischen Kunst. Das liegt

zum einen daran, daß er Kunst für ein weißes Publikum produzierte, das einer zu offen-

sichtlichen Thematisierung seiner schwarzen Identität nicht positiv gegenübergestanden

und seine Kunst mit dem Label "Protestkunst" versehen hätte. Damit aber hätten seine

Arbeiten wohl das Schicksal der meisten afro-amerikanischen Kunst vor ihm erlitten: nur

zu einem schwarzen Publikum zu sprechen, nur in kleinen Katalogen reproduziert zu

werden, nicht in weißen Galerien ausgestellt zu werden und erst recht nicht international

bekannt zu werden. Basquiat ist also durch seine Strategie des Codierens seiner eigentli-

chen Bildinhalte unter Beibehaltung einer "primitiven" Oberfläche, die ihn im Kontext

des Neo-Expressionismus für die weiße Kunstwelt als ein "authentischer" Künstler ak-

zeptierbar werden ließ, erst eigentlich bekannt geworden. Diese Strategie hat ihm von

schwarzer Seite, wie bereits erwähnt, lange den Vorwurf des ideologischen Ausverkaufs

eingebracht. Für einen afro-amerikanischen Nationalisten war es unvorstellbar, daß sich

ein schwarzer Künstler zum Promoten seiner explizit afro-amerikanischen Bildinhalte aus

der "black community" entfernen und in weißes "Feindesland" begibt.326

Von weißer Seite hat man lange die Dimension von Basquiats Bildinhalten nicht ver-

standen. Nun ist es Basquiat durch seine subversive Strategie tatsächlich gelungen, bei

einem internationalen Publikum das Interesse an einem afro-amerikanischen Künstler und

der Problematik seiner kulturellen Identität zu wecken. Ohne Basquiats "Vorläufer-

schaft" in den Achtziger Jahren wäre das europäische Interesse der Neunziger Jahre an 324 hooks In: Art in America, 72, 74.325 Haden-Guest In: Vanity Fair, 184.326 Tate, 232ff.

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afro-amerikanischen Konzeptkünstlern wie David Hammons, Adrian Piper, Renée

Green, Glenn Ligon, Lyle Ashton Harris, Carrie Mae Weems oder Lorna Simpson nicht

verständlich. Damit ist Basquiat für den Kunstbereich letztendlich das gelungen, was die

Rapper und HipHop-Musiker seit Mitte der Achtziger Jahre in der Populärkultur erreicht

haben - bei den weißen Zuhörern ein Interesse an der Problematik der afro-

amerikanischen Geschichte und Kultur zu schaffen.327

4.3 Afrika als das Zentrum der kulturellen Selbstdefinition Basquiats

Basquiat machte sich in einigen seiner Arbeiten über die simplizistische Ansicht mancher

Europäer über afrikanische Kunst lustig. Nachdem ihm Claudio Caratsch, der damalige

Schweizer Botschafter an der Elfenbeinküste, im Sommer 1985 afrikanische Kunst mit

den Worten erklärte: "It's to repel ghosts, mainly", wurde Basquiat verärgert und amü-

siert zugleich über einen Europäer, der ihm afrikanische Kunst mit einer so begrenzten

Definition nahezubringen versuchte.328 In rund zehn Arbeiten von 1985 spielt daher das

groß geschriebene TO REPEL GHOSTS auf diese Begebenheit an.329 Basquiat selbst

identifiziert sich in seinem Werk fast durchgehend positiv mit den Kulturen Afrikas. Das

unbekannte und unheimliche Afrika der europäischen Imagination des 19. Jahrhunderts,

das er in der Zeichnung Undiscovered Genius von 1982/83 (Abb. 4.26) mit THE

DARK CONTINENT™ nennt, ist für ihn, wie für die meisten Afro-Amerikaner, zu

"Afrika, the motherland" geworden.

In Brown Face von 1981 (Abb. 4.27) kombiniert Basquiat sein Zeichen für "ich", das in

ein Auge geschriebene Wort EYE, mit einem in den Farben Afrikas gemalten Gesicht.330

Die Farben gelb-rot-grün-schwarz konnotieren in Basquiats Werk als ein Metazeichen

durchgängig Afrika als Fokuspunkt einer afrozentrischen Identitätskonstruktion. Gelb-

Rot-Grün sind die Farben der äthiopischen und anderer afrikanischer Flaggen. Diese

Farbkombination wird von der jamaikanischen Rastafaribewegung, die sich in ihrer Reli-

gion auf das äthiopische Staatsoberhaupt Haile Selassie bezieht, verwendet. Die Kombi-

nation dieser Farben mit schwarz verweist auf die rot-grün-schwarz gestreiften Flagge

des Back to Africa Movement des Jamaicaners Marcus Garvey. Rot symbolisiert das

327 Siehe dazu das Kapitel 3.3 "Droppin' Science": Basquiat als Vermittler afro-amerikanischen Wis-sens.328 Telefoninterview mit Bruno Bischofsberger am 22. März 1998.329 Telefoninterview mit Claudio Caratsch am 18. Mai 1998.330 Die Verwendung des Wortes EYE als Bezeichnung von "I" entstammt der Tradition der Codierungvon Worten imHipHop (Bärnthaler, o.S.)

83

vergossene Blut und den Befreiungskampf der Afro-Amerikaner, Grün die "Heimat"

Afrika, Gelb/Gold die ehemalige und wiederkommende Größe Afrikas und Schwarz die

negroide Rasse.331 Beide Farbkombinationen finden in der Kunst der jamaikanischen

Rastafari, bei afrozentrischen amerikanischen Rapgruppen wie X-Clan und Brand Nubi-

an, in der afro-amerikanischen Populärkultur und in der afro-amerikanischen Kunst

Verwendung (Abb. 4.28, 4.29, 4.30).

Im Gegensatz zu einer primitivistischen Auseinandersetzung mit afrikanischer Kunst, die

nur an deren Formenvokabular und magischer Qualität interessiert ist, bezieht sich Bas-

quiat in seinen Arbeiten auf die Funktion der afrikanischen Kunst für das afro-ame-

rikanische Selbstverständnis. In den Arbeiten Bronze von 1982 (Abb. 4.31) und Tuxedo

von 1983 (Abb. 4.32) sowie in der Zeichnung Untitled von 1987 (Abb. 4.33) beziehen

sich BRONZE, BRONZE HEAD OF BENIN bzw. BENIN HEAD BRONE Z auf einen

1938 gemachten Sensationsfund in Benin, durch den die Geschichtsschreibung afrikani-

scher Kunst revidiert werden mußte. Gefunden wurden lebensgroße Bronzeköpfe, deren

Naturalismus in den Dreißiger Jahren die westliche Kunstwelt verblüffte und die mit den

Glanzleistungen griechischer Skulptur verglichen wurden (Abb. 4.34).332 Daß die afrika-

nische Kunst die gleichen ästhetischen Leistungen wie die griechische Kunst hervorge-

bracht hatte, war für die westliche Kunstwissenschaft nicht akzeptierbar. Man glaubte an

einen europäischen Einfluß auf die Kunst Benins oder gar an einen Aufenthalt europäi-

scher Künstler in Benin. Erst in den Fünfziger Jahren konnte überzeugend bewiesen

werden, daß es sich bei den Bronzeköpfen tatsächlich um genuine afrikanische Kunst-

werke handelt.333 Die Geschichte um die Akzeptanz der Bronzeköpfe ist als ein Beispiel

suprematistischen weißen Denkens in das afro-amerikanische Denken eingeflossen.334 In

der afro-amerikanischen Kunst wird deswegen gerade die Kunst Benins neben der

Ägyptens als Beispiel afrikanischer Hochkulturen zitiert und glorifiziert (Abb. 4.21).

In Tuxedo (Abb. 4.32a) plaziert Basquiat seine Nennung der Bronzeköpfe als Hinweis

auf das afrikanische Kunstkönnen und einer positiven Repräsentation im Sinne eines eu-

ropäischen Schönheitsbegriffes direkt neben den die Bildfläche dominierenden Namen

des jüdischen Blackfaceentertainers Al Jolson. Dieser hatte zur Zeit des sensationellen

Fundes in den Vereinigten Staaten durch seine Filmauftritte eine große Definitionsmacht

331 Bender, 19.332 "Mysterious Ife Bronze Heads. African Art Worthy to Rank With the Finest Works of Italy and Gre-ece." The Illustrated London News. 8. April 1939 (MoMA Ordner: Art, African Negro).333 Phillips, 404; Gillon, 253.334 Siehe Wallace, Michele: "Invisibility Blues. Africa, Art & Ancestors." The Village Voice. 23. Juli1996, 23-25.

84

über das stereotype Negativbild der Schwarzen in den Medien und steht damit in unmit-

telbarem Kontrast zu der positiven afrikanischen Repräsentation.335

In der 1985 enstandenen Zeichnung Untitled (Abb. 4.35) zitiert Basquiat eine Bocio-

Figur der Fon in Benin, die im Musee de l'Homme in Paris ausgestellt ist (Abb. 4.36). Es

ist wahrscheinlich, daß Basquiat diese bei einem seiner Parisbesuche gesehen und skiz-

ziert hat. Bocio-Figuren werden im Kontext der Voodoo-Religion der Fon in Dahomey

und Benin verwendet. Die Figuren werden mit der Voodoo-Kraft identifiziert und dienen

sowohl dazu, ihre Besitzer zu verteidigen als auch dazu, andere zu verletzen. Bocio-

Figuren sind in der Fon-Kultur allgegenwärtig, sie befinden sich überall, wo sich Men-

schen aufhalten.336 Die Voodoo-Religion der Fon aus Dahomey und Benin setzte sich

fast unverändert im Voodoo-Kult in Haiti und später in New Orleans fort. Sie ist das

einzige afrikanischen kulturelle System, das komplett in Amerika überlebt hat. Diese

kulturelle Kontinuität gründet in der synkretistischen Überlagerung der afrikanischen

Götter mit den katholischen Heiligen: Ihre Anbetung wurde von den weißen Plantagen-

besitzern nicht bemerkt und somit auch nicht verboten.337 Die afrikanischen Bocio-

Figuren werden durch das Fesseln, Knoten und Festbinden der Skulptur mit ritueller

Kraft aufgeladen (Abb. 4.37).338 Die in Basquiats Arbeiten rekurrenten gefesselten Figu-

ren beziehen sich auf diese rituelle Handlung (Untitled , 1985, Abb. 4.38). In Gri Gri

von 1986 (Abb. 4.39) weist bereits der Titel auf die volkstümlichere Bezeichnung der

Bocio-Figuren als "Gris-Gris" oder "Fetische" hin.339

In der Zeichnung Untitled von 1985 (Abb. 4.4) bezieht sich die gelb/rot/blau gestreifte

gefesselte Figur auf die Bocio-Figuren. Ihre Farbigkeit verweist auf die im Voodoo-Kult

von New Orleans verwendete Farbkombination gelb/rot.340 Das im Umfeld der Figur

wiederholt geschriebene NIGHT WATCHMAN. SECURITY GUARD spielt auf die

kleinen Stoffpüppchen an, die im haitianischen Voodoo die afrikanischen Holzskulpturen

ersetzen: diese Figuren werden "garde-corps" (body guards) genannt.341 Die im westli-

chen Text als ein schlafender Nachtwächter zu lesende Figur wird so im afro-

amerikanischen Kontext zu einer haitianischen Bocio-Figur.

335 Siehe Kapitel 6.3.2 "Whitewashing Action": Das Leitmotiv Seife336 Blier, 101.337 Holloway, xv, 36.338 Blier, 80, 293-96.339 Blier, 101.340 Mulira In: Holloway, 40. Siehe dazu auch 2.6.2 Superman ist Dambala: Bildlektüre "Ascent".341 Blier, 49.

85

Eine sehr viel bekanntere Verkörperung afrikanischer Kunst übernimmt Basquiat in

Grillo von 1984 (Abb. 4.40). Die in die Latten eingeschlagenen Nägel erinnern an die

fast schon zu einem Stereotyp afrikanischer Kunst gewordenen Kongofetische

(Abb. 4.41).342 Grillo konnotiert jedoch auf ganz verschiedenen Ebenen Afrika und afri-

kanische Kultur und kann daher, wie viele Arbeiten der Jahre 1984/85, als eine Stellung-

nahme Basquiats zu der Primitivismus-Ausstellung des Museums of Modern Art gelesen

werden. Auf der Metaebene evozieren die Farben Gelb, Rot, Grün und Schwarz den

Topos Afrika. Die zwei braunen Figuren konnotieren eine afrikanische bzw. afro-

amerikanische Identität. Die linke Figur trägt eine Art Tablett und ist Brian Gormley

zufolge das "Portrait" eines Kellners namens Grillo in dem damals von Basquiat fre-

quentierten New Yorker Club Area.343 Die rechte Figur ist gekrönt und kann als Statt-

halter einer "noblen" afrikanischen Vergangenheit gelesen werden. "Grillo" ist aber

gleichzeitig, so Gerard Basquiat, ein typisches puertoricanisches Essen.344 Ouattara zu-

folge bezieht der Bildtitel auf den afrikanischen Griot.345 "Grillo" evoziert also je nach

kulturellem Hintergrund völlig verschiedene Lesweisen: New Yorker Kellner, puertori-

kanisches Essen, afrikanischer Historiker.

Das mit weißer Kreide gezeichnete "Hochhaus" auf der zweiten Bildtafel von Grillo ist

eine Referenz an die sirige-Masken der Dogon (Abb. 4.43).346 Marcel Griaule beschreibt

die sirige-Maske in seinem Standardwerk Le renard pale als ein "maison a étage", das

Elemente der afrikanischen Architektur der ginna übernimmt.347 Diese kurze Informati-

on reicht für Basquiat aus, um in der Zeichnung Dime a Dozen von 1983 (Abb. 4.45)

diese eigentümliche Form einer afrikanischen Maske dem Empire State Building gegen-

überzustellen, die Inbegriffe afrikanischer und amerikanischer Architektur zu kontrastie-

ren.

Im Gegensatz zu der strikten Gegenüberstellung zwischen "primitiver" afrikanischer und

"hoher" europäischer Kunst, wie sie in Rubins Primitivismus-Ausstellung betrieben wur-

de, bezieht sich Basquiat mit dem Bildvokabular des Hintergrundtextes von Grillo gera-

342 Dies sind Holzfiguren, die Gefäße für magische Mittel sind und die bei jedem rituellen Gebrauchmit Eisengegenständen (Nägel, Schrauben, Maschinenteile, etc) gespickt werden (Sieber, 83). In derafro-amerikanischen Kunst finden sich viele Referenzen an die Kongofetische, so bspw. in VusumiziMadunas Skulptur "La Diablesse as Sentinel" (Abb. 2.42).343 Interview mit Brian Gormley am 24. Oktober 1995 in New York.344 Interview mit Gerard Basquiat am 25. Oktober 1995 in New York.345 Interview mit Ouattara am 19. November 1997 in New York.346 Basquiat verwendet das gleiche Hochhaus auch in Portrait of the Artist as a Young Derelict, 1982(Abb. 4.44).347 Griaule, 439.

86

de auf die kulturelle Kontinuität afrikanischer Schreibsysteme in der Karibik. Basquiat

zitiert aus Robert Farris Thompsons 1983 erschienenem Buch Flash of The Spirit Ideo-

gramme und Wörter, die von der Übernahme der afrikanischer Kulturen in die Neue

Welt zeugen und die von Thompson als Argument gegen die These verwendet werden,

daß die Afro-Amerikaner durch die Sklaverei einen absoluten Kulturverlust erlitten hät-

ten.348 Basquiat erinnert mit diesen Zitaten an die eigentlichen Erben der "primitiven"

afrikanischen Kulturen, die von dem Diskurs der Primitivismus-Ausstellung jedoch gänz-

lich ausgeschlossen waren.

In Grillo (Abb. 4.40) verweist Basquiat mit ESU auf den afrikanischen Trickstergott

Esu.349 Esu ist ein zentraler Gott der nigerianischen Yoruba, deren Götterpantheon fast

vollständig in die Neue Welt übernommen wurde und die Grundlage amerikanischer Re-

ligionen wie Santeria (in Kuba und Puero Rico) und Candomblé (in Brasilien) ist. In Exu

von 1988 (Abb. 4.46) erinnert Basquiat durch den Namen des Titels auf die Übernahme

des westafrikanischen Trickstergottes Esu nach Brasilien, wo dieser als Exu verehrt

wird.350 In Haiti wurde aus Esu Papa Legba, der Gott der Kommunikation und Vermitt-

lung, dessen symbolische Farben schwarz und gelb sind. Eine von Papa Legba besessene

Person hinkt und läuft langsam mit einem Stock.351 In To Repel Ghosts von 1985

(Abb. 4.47) verwandeln die gelb/schwarze Farbigkeit und der Stock den jungen schwar-

zen "streetman" in eine Verkörperung des haitianischen "loas" Papa Lebgas.352

In der Zeichnung Flash in Naples von 1983 (Abb. 4.48) übernimmt Basquiat das Logo

der Comicfigur Flash, einen gelben Blitz auf der Brust. Das Coverbild des Comics kün-

digt Flash als "Lightning Action" an (Abb. 4.49). Diese Referenz an Gewitter ist für

Basquiat Grund genug, den weißen Comichelden Flash synkretistisch mit dem afrikani-

schen Donnergott Shango zu überlagern, denn Shango ist mit der Macht von Blitz und

Donner ausgestattet und wird in der afrikanischen Kunst durch die Doppelaxt und die

Farbe rot symbolisiert (Abb. 4.50).353 In den Sechziger Jahren ist Shangos Kraft mit dem

Black Power Movement verglichen worden, weswegen er auch zum rekurrenten Bild-

348 Siehe dazu ausführlich Kapitel 3.4.2 Afrikanische Piktogramme: Bildlektüre "Grillo".349 Siehe dazu ausführlich Kapitel 3.4.2 Afrikanische Piktogramme: Bildlektüre "Grillo".350 Thompson, 25, 273.351 Simpson, 66.352 Merewether In: Mito y Magia, XLII, CXXV.353 Poynor, 61. Flashs/Shangos Logo, der Blitz auf der Brust, findet sich auch in anderen Arbeiten Bas-quiats als Zeichen Shangos wieder, wie bspw. in Leonardo's Greatest Hits von 1982 rechts neben denWorten SEVLAC, CALVES (Abb. 4.97) und in der Zeichnung Untitled (Grain Alcohol) von 1983(Abb. 4.51).

87

personal der Kunst des Black Arts Movement zählt (Abb. 4.23, 4.52).354 Basquiat be-

zieht sich bereits 1982 mit Red Warrior (Abb. 4.54) durch die rote Farbe und den

Kämpfertopos auf Shango. Auch die abstrahierte Zeichnung einer Doppelaxt in Sienna

von 1984 (Abb. 4.55), die zu seinem rekurrenten Bildvokabular zählt, konnotiert Shan-

go.

Die Rekurrenz des Wortes IRON, oft durch ein Copyright-Zeichen, durch Unterstrei-

chen oder Durchstreichen innerhalb von Auflistungen von Metallen markiert, sowie die

der Worte und Gegenstände AXES, PICK-AXE, SICKLES, FORKS, MATTOCKS

(wie bspw. in Undiscovered Genius 1982/83, Abb. 4.26) und die aus Dreyfuss' Symbol

Sourcebook entnommen Bügelanweisungen HOT IRON und COOL IRON verweist auf

den nigerianischen Eisengott Ogun, den Gott der Krieger, Schmiede und Bauern

(Abb. 4.56, 4.57). Alles Metall verweist in Nigeria auf Ogun,355 der heute noch in der

Karibik und Brasilien weiter verehrt wird und für das afrozentrische kulturelle Selbstver-

ständnis von großer Bedeutung ist. Die Eisen konnotierenden Worte in Basquiats Bild-

vokabular erinnern gleichzeitig an die westafrikanische Kunst der Metallverarbeitung und

ihre Übernahmen in der Schmiedekunst der Black Folk Art des amerikanischen Südens.

So nennt Basquiat in der Zeichnung Untitled von 1982 (Abb. 4.58) neben dem afrikani-

schen WAR GOD Ogun auch die afro-amerikanischen SMITHS AS HEROES.

In der drei Jahre nach Basquiats anfänglicher Identifikation mit Afrika in Brown Face

(Abb. 4.27) enstandenen Arbeit Eye-Africa von 1984 (Abb. 4.59) ist Basquiats Identität

nun klar von der Afrikas getrennt, denn das Wort EYE nimmt die Stelle Amerikas ein -

eine kulturelle Selbstdefinition Basquiats als einem Afro-Amerikaner mit dem Blick-

punkt Afrika.356 Basquiat fokussiert in seinen Arbeiten durchgehend auf die kulturellen

Kontinuitäten der afrikanischen Kultur in Amerika, sucht nach einer Verbindung zu sei-

nen afrikanischen "Wurzeln". Damit steht er in einer Tradition afro-amerikanischer In-

tellektueller und Künstler, die mit der Harlem Renaissance beginnt.357 In einer Fortset-

354 Auch Basquiats Freund Ouattara setzt sich in seinen Arbeiten mit dem Donnergott Shango ausein-ander: 1993 hat er mit "Nok Culture" (Abb. 4.53) eine Shango-Skulptur geschaffen, seit Anfang 1998arbeitet er an einer Bildserie zu diesem Thema. Interview mit Ouattara am 19. November 1997 in NewYork.355 Poynor, 66.356 Eye-Africa wurde Claudio Caratsch zufolge in Basquiats Ausstellung 1986 in Abidjan an der El-fenbeinküste gezeigt.357 In den Vierziger Jahren haben W.E.B. Dubois in Black Folk, Then and Now (1939) sowie Hersko-vits mit The Myth of the Negro Past (1941) diese kulturellen Kontinuitäten weiter erforscht. In denSiebziger Jahren hat Lawrence Levine mit Black Culture and Black Conciousness (1977) ein Standard-werk zur afro-amerikanischen Kultur und dem Fortleben afrikanischer Trickstergeschichten in denSüdstaaten geleistet. 1981 hat Robert Farris Thompson in The Four Moments of the Sun eine kulturelleVerbindung zwischen den Afro-Amerikanern und den Bantu aus Zentralafrika nachgewiesen. In seinem

88

zung dieses Denkens plaziert Basquiat in seinen Arbeiten die Zeichen Afrikas fast immer

in den Kontext der Kultur und Geschichte Amerikas. Dabei unterlegt er die westlichen

Zeichen in einer Bedeutungssubversion mit einem afro-amerikanischen oder afrikani-

schen Kontext. In Untitled von 1984 (Abb. 4.60), das Teil einer zwölfteiligen Sieb-

druckserie ist, nennt er in der oberen Bildhälfte Filmtitel, die alle Hasen beinhalten:

"PORKY'S HARE HUNT", "HARE CONDITIONED", "HARE TONIC",

"ACROBATIC BUNNY", "RACKATEER RABBIT", "RABBIT TRANSIT", HARE

DEVIL HARE, und zeigt einen liegenden Comichasen mit der Unterschrift PRESENT.

Wie Bruce Guenther in dem Ausstellungskatalog Jean-Michel Basquiat. The Blue Rib-

bon Paintings erwähnt, sind diese Referenzen an die amerikanischen Zeichentrickfiguren

Porky Pig und Elmer Fudd ein ironischer Kommentar auf den den Zeichentrickfilmen

inhärenten Rassismus, denn der rosafarbene (lies weiße) Porky Pig und Elmer Fudd ver-

folgen die "troublemakers" Bugs Bunny und Daffy Duck.358 Basquiat interpretiert Buggs

Bunny in Untitled als Verkörperung der Figur des afro-amerikanischen Tricksterhasen

Brer' Rabbit, dessen Intelligenz und Einfallsreichtum ihn über die Macht der weißen

Autoritäten siegen läßt. Tatsächlich ist die Figur des Brer' Rabbit eine kulturelle Über-

nahme der Afro-Amerikaner aus Afrika: Tricksterhasengeschichten finden sich in Gui-

nea, Nigeria, Angola und Ostafrika. Die Wolof aus Guinea und die Mandinka haben die-

se Geschichten nach Amerika importiert, wo der Tricksterhase in den "folk tales" der

Südstaaten als der listreiche B'rer Rabbit fortlebt.359 Bereits in der Zeichnung Untitled

von 1982 (Abb. 4.58) nennt Basquiat mit HARE AS GOD den afrikanischen Trickster-

hasengott zusammen mit einer Aufzählung anderer afrikanischer Götter und ihrer afro-

amerikanischen Übernahmen: SERPENTS, MYTHS, HERO; SMITHS AS HEROES;

SNAKE GOD COUPLE; SUN GODS; ANIMALS IN THE SKY und GREAT

SPIRIT.360 In Untitled von 1984 (Abb. 4.61) bezieht die laufende Figur mit "Hasenoh-

ren" im oberen linken Bildteil auf eine nigerianische Holzskulptur, die eine "Hasenoh-

renmaske" trägt (Abb. 4.62). Diese Figur verdoppelt Basquiat im unteren Bildteil und

verlängert ihre Hasenohren, so daß sie zu einem Hybrid zwischen Mensch und Hase wird

und bezeichnet sie mit SUN GOD/TRICKSTER und GREAT HARE. Auch in TBT von

1984 (Abb. 4.63) findet sich eine solche "menschliche" Hasenfigur.

Standardwerk Flash of The Spirit von 1983 zeigt er, wie die afrikanischen Kulturen der Yoruba, desKongogebietes, der Ejagham, der Mande und des Cross River Gebietes die ästhetischen, sozialen undreligiösen Traditionen der Afro-Amerikaner in den amerikanischen Südstaaten beeinflußt haben. Hol-loway, ix - xii.358 Blue Ribbon, o.S..359 Holloway, 16; Roberts, 30-44.360 Siehe dazu das Kapitel 2.6.1 Der Ursprung des "Signifying": Bildlektüre "Moses and the Egypti-ans".

89

4.4 Amerika vs. Afrika

Negro

I am a Negro:Black as the night is black,Black like the depths of my Africa.

I've been a slave:Caesar told me to keep his door-steps clean.I brushed the boots of Washington.

I've been a worker:Under my hand the pyramids arose.I made mortar for the Woolworth Building.

I've been a singer:All the way from Africa to GeorgiaI carried my sorrow songs.I made ragtime.

I've been a victim:The Belgians cut off my hands in the Congo.They lynch me still in Mississippi.

I am a Negro:Black as the night is black,Black like the depths of my Africa. (Langston Hughes)361

Basquiat konfrontiert in seinen Arbeiten fast durchgängig die Lage der Afro-Amerikaner

in den Vereinigten Staaten mit der afrikanischen Geschichte. Seine Vorgehensweise erin-

nert an die des afro-amerikanischen Dichters Langston Hughes, der in seinem Gedicht

Negro die afrikanische Vergangenheit der amerikanischen Realität gegenüberstellt.

Basquiats "Historiengemälde" Untitled (History of Black People) von 1983

(Abb. 4.64) mit dem bitter-ironischen Untertitel EL GRAN ESPECTACULO erzählt die

Geschichte der Afro-Amerikaner von ihrem Ursprung als Nubier (NUBA.) und Ägypter

(AMENO HANIS) in Afrika hin zum Beginn ihrer ersten afro-amerikanischen Identität

als Sklaven (SLAVE).

361 In: Rampersad, 24. Langston Hughes (1902-1967) war der bekannteste Dichter der Harlem Renais-sance.

90

Die Nubier sind dem senegalesischen Historiker Cheik Anta Diop zufolge die Vorfahren

fast aller Afrikaner; die nubische Kultur gilt als Anfang der afrikanischen Zivilisation.

Unternubien war einer der ersten entwickelten Staaten überhaupt und existierte bereits

vor dem antiken Ägypten.362 Basquiat plaziert die mit NUBA. beschrifteten Maskenge-

sichter folglich an den Anfang der Bilderzählung von Untitled (History of Black

People). Die Worte SALT, SICKLE, MEMPHIS und DOG sind doppelt lesbar, zum

einen als Statthalter einer noblen afrikanischen Vergangenheit, zum anderen aber auch

als Referenzen an eine leidvolle amerikanische Geschichte. SALT bezeichnet einerseits

Salz als das wichtigste afrikanische Handelsmittel, das wertvoller als Gold war;363 ande-

rerseit ist es eine Anspielung auf die als grinsende "Negerköche" geformten Salz- und

Pfefferstreuer (Abb. 6.28). SICKLE bezieht sich zum einen auf die sichelförmige Form

des Bootes in der unteren Bildmitte, das ein typisches ägyptisches Nilboot ist.364 Zum

anderen aber referiert SICKLE auf die Sickle Cell Disease, eine genetisch bedingte un-

heilbare Krankheit, die in den Vereinigten Staaten nur Afro-Amerikaner befällt.365

MEMPHIS und THEBES waren die beiden Hauptstädte des alten Ägyptens.

MEMPHIS, TENNESEE. hingegen war zuerst eines der Zentren des Sklavenhandels,

dann durch den Blues das kulturelle Zentrum Afro-Amerikas und 1968 Ort der Erschie-

ßung Martin Luther Kings.366 Die Worte A DOG GUARDING THE PHAROH verwei-

sen auf Anubis, den ägyptischen Hundegott der Toten.367 Der von dem (schwarzen)

Totengott bewachte (schwarze) Pharao jedoch trägt auf seinem Körper eingeschrieben

die Worte SLAVE, SLAVE. Das Wort DOG in der Nähe von SLAVE konnotiert

362 Diop, 150. Das archäologische Wissen über das antike Nubien ist immer noch sehr gering. Die Nu-bier hatten eine entwickelte Hochkultur mit Pyramiden, Tempeln und einer alphabetischen Schrift, diebis heute nicht entziffert ist. Mit Aufkommen der Ersten Dynastie in Ägypten (2950 v. Ch.) wurde dienubische "A-Gruppe" und damit Nubiens Unabhängigkeit ausgelöscht. In der ersten Zwischenperiodehaben viele Nubier als Söldner in Ägypten gearbeitet. Unter Amenhotep I. (1514-1493 v.Ch.) wurdeNubien von Ägypten kolonialisiert. Aber ca 750 v.Ch. haben die nubischen Kushiten Oberägypten be-setzt und 715 v.Ch. Ägypten besiegt. Die Hauptstadt wurde von Theben nach Memphis verlegt und die25ste Dynastie der "Kushiten" gegründet (Davidson, 38). Von 300 ägyptischen Pharaonen waren 18Nubier (Diop, 150)! Bereits in Nubien wurde Amon angebetet, der noch heute der Hauptgott Schwar-zafrikas ist (Diop, 147). Das nubische Insignium ist der Jackal, der später zum ägyptischen HundegottAnubis wird (Diop, 78).363 Bergier, 19.364 Basquiat hat diese Zeichnung direkt aus Brentjes' African Rock Art zitiert (ibid., 61, Abb. 30), wasbereits Thompson konstatiert (In: Haenlein 1986, 20). Felsmalereien von ägyptischen Booten wurden inder Sahara gefunden und zeugen vom Kontakt Ägyptens mit den Saharastaaten (Davidson, 35).365 (Marshall, 23).366 Encyclopedia, Stichwort Memphis.367 Hart, George: A Dictionary of Egyptian Gods and Godesses. London 1986. So erklärt sich auch dierekurrente Umkehrung von DOG zu GOD in Basquiats Arbeiten, wie z.B. in der Zeichnung Dog LegStudy von 1982/83 (Abb. 4.64): der Hundegott der Toten ist auch in den westafrikanischen Kulturender Jackal, der aus Ägypten übernommen wurde (Diop, 141). Basquiat unterstreicht in seinen Tierlistendas Wort JACKAL und referiert damit auf dessen Bedeutung als Totengott und Held afrikanischer Ge-schichten (siehe die Zeichnung Untitled , 1985, Abb. 4.66).

91

gleichzeitig die die flüchtenden Sklaven verfolgenden Hunde der amerikanischen Süd-

staaten.368

4.5 Ägypten als Ursprung afro-amerikanischer Kultur: eine afrozentrische Lesart

afrikanischer Geschichte

Die Geschichte der Afro-Amerikaner beginnt für Basquiat also nicht in Amerika, sondern

in Afrika, genauer: in Nubien und Ägypten. Auch die meisten afrozentrischen Historiker

suchen ihre afrikanischen Vorfahren nicht in Westafrika, sondern in Ägypten, da Ägyp-

ten die einzige afrikanische Kultur ist, die vom Westen als Hochkultur anerkannt ist und

die europäische Kultur in vielem beeinflußt hat. Ein erstes Ziel der Afrozentriker ist es

daher, die Abstammung der Westafrikaner und damit der Afro-Amerikaner von den

Ägyptern zu beweisen, ein zweites, zu zeigen, daß die ägyptische Kultur zu einem

Großteil "schwarz", d.h. negroid war.369 Grund für diese Fokussierung auf die ägypti-

sche Hochkultur ist der Versuch eines Gegenbeweises zu der von weißer Seite postu-

lierten Inferiorität Afrikas und damit der Schwarzen. Sind alle Schwarzen tatsächlich die

Nachfahren von Nubiern und Ägyptern, so dreht sich das Mächteverhältnis zwischen

weiß und schwarz, europäischer Hegemonie und afrikanischer Inferiorität um!

Bereits Anfang des Jahrhunderts hat DuBois daher die europäische Ägyptologie aus ei-

ner schwarzen Perspektive gegengelesen und gezeigt, daß die meisten Ägyptologen die

Rolle der negroiden Schwarzen bei der Entwicklung der ägyptischen Kultur nicht beach-

ten.370 Der Jamaicaner J. A. Rodgers hat in seinen populärwissenschaftlichen 100 Ama-

zing Facts about the Negro with Complete Proof (1957) und der Portraitreihe World's

Great Men of Color (1946/47) die negroiden ägyptischen Pharaonen als Vorfahren der

Afro-Amerikaner reklamiert.371 Der Senegalese Cheik Anta Diop setzt 1955 in seinem

Standardwerk The African Origins of Civilization. Myth or Reality DuBois' amerikani-

sche Anfänge in ein pan-afrikanisches Unternehmen um. 1969 schließlich hat Yosef Ben-

Jochanan die negroide Geschichte Ägyptens und Karthagos behandelt. Seine Untersu-

chungen fielen auf den fruchtbaren Boden der Black Power Bewegung, die die afrozen-

trische Geschichte zum kollektiven afro-amerikanischen Allgemeingut werden ließ. Als

Folge dieses schwarzen Nationalismus wurden an den amerikanischen Universitäten Fa-

368 Siehe dazu auch Kapitel 5.4 Die Flucht aus der Sklaverei.369 Diese Beweise basieren auf den von den westafrikanischen Griots erzählten mündlichen Stammes-geschichten die den Ursprung ihrer Völker in Ägypten situieren (Diop, Samba, 137, 139; Diop, 22).370 Drake, 315.371 Drake, 317.

92

kultäten für Black Studies eingerichtet, an denen in den Siebziger und Achtziger Jahren

Geisteswissenschaftler wie Molefi Kete Asante die Grundlagen für eine afrozentrische

Kritik des "Eurozentrismus" gelegt haben. Asante prägte den Begriff des "Afrozentris-

mus" als Bezeichnung für eine spezifisch afro-amerikanische Denkrichtung, die Afrika

und im besonderen die ägyptische Hochkultur als kulturellen Bezugspunkt der Afro-

Amerikaner verwendet, so wie die Kulturen Griechenlands und Roms als Bezugspunkt

der westlichen Welt dienen.372 Das Spektrum afrozentrischer Positionen reicht heute von

den simplizistischen "Feel Good"-Einstellungen mit dem Motto "Africa creates, Europe

imitates", wie es von George M. James oder Yosef Ben-Jochannan vertreten wird, bis zu

den moderaten Positionen von Diop und Martin Bernal, die lediglich aufzeigen, daß

Afrikaner einen wichtigen Beitrag zur Weltkultur geleistet haben, dies jedoch seit dem

18. Jahrhundert von der europäischen Geschichtsschreibung und Ägyptologie systema-

tisch verschleiert wird. Die durch die Thesen des Afrozentrismus aufgeworfen Fragen

haben heute eine politische Tragweite, die bis in die Lehrpläne der amerikanischen

Schulen reicht. Die Diskussion um die Lehrpläne wird von der Frage um das Lehren von

wessen und welcher Geschichte (His- oder Our-Story), um eurozentrische oder afrozen-

trische Geschichtsauffassung bestimmt.

Die afrozentrische These, daß die Geschichte der Afro-Amerikaner nicht mit der ent-

würdigenden Sklaverei, sondern mit den Hochkulturen Nubiens und Ägyptens beginnt,

wurde von den Künstlern und Intellektuellen der Harlem Renaissance thematisiert. In

den Sechziger Jahren bildeten die Wandmalereien ägyptischer Pyramiden und Pharaonen

ganz neue Wege zum Erziehen eines starken schwarzen Selbstbewußtseins in den "black

communities". Der Afrozentrismus hat schließlich eine ganze kommerzielle Industrie

hervorgebracht, die "Kente"-Kleidung, Ketten mit Afrika-, Kaurimuscheln- und Ankh-

Zeichen-Anhängern sowie Schlangen-Wanderstäbe produziert, um eine positive Identifi-

kation mit Afrika zu propagieren. In den späten Achtziger Jahren fand der Afrozentris-

mus durch seine Adaption von HipHop-Gruppen wie X-Clan, Brand Nubian und KRS-

One schließlich eine große popkulturelle Verbreitung. Gleichzeitig haben Schulreformen

die Lehrpläne zugunsten der Einführung von "black history" geändert. Basquiats Werk

ist zeitlich zwischen dem Aufblühen des Afrozentrismus in den Sechziger Jahren und der

Afrozentrismusflut in der HipHop-Musik der späten Achtziger Jahre angesiedelt. Mit

seiner rekurrenten Farbpalette von rot-grün-gelb (Afrika) und rot-schwarz-grün (Gar-

vey) referiert Basquiat auf die populäre Seite des Afrozentrismus. Mit Zitaten aus der

afrikanischen Geschichte geht er auf die wissenschaftliche Diskussion der afrikanischen

Geschichtsproblematik ein. Mit der Frage ARE NOT PRINCES KINGS? ANCIENT + 372 Asante, 6f.

93

HONORABLE, .... DISPERSED INTO THE FOUR CORNERS OF THE EARTH? in

der Zeichnung Undiscovered Genius von 1982/83 (Abb. 4.26) referiert Basquiat auf

den Kerntopos des Afrozentrismus: die afrikanischen Vorfahren waren keine "primitiven

Buschmänner", sondern Könige. Die rekurrenten Kronen, die zum "Trademarkzeichen"

Basquiats geworden sind, lassen sich so nicht nur als Vertreter des Autors im Bild, son-

dern vor allem als Evokation einer noblen afrikanischen Vergangenheit lesen.373

In Basquiats Werk finden sich viele offene und versteckte Anspielungen auf die Hoch-

kultur Ägyptens. In der Zeichnung Liberty von 1982/83 (Abb. 4.67) wird die Landkarte

Ägyptens zu einem roten Körper, dessen Mitte das Niltal bildet und dessen Becken Nu-

bien ist. In der Zeichnung Untitled von 1985 (Abb. 4.68) nennt Basquiat das ägyptische

Götterpaar ISIS/OSIRIS und den ägyptischen SCARAB, SACRED,374 in Untitled (Per

Capita) von 1983 (Abb. 4.69) den ägyptischen Totengott ANUBIS. In Untitled von

1984 (Abb. 6.34) collagiert er Pyramidenpläne und in Untitled (MP) von 1984/85

(Abb. 4.70) referiert er auf ägyptische Wandzeichnungen (INNER WALL).

In Mitchell Crew von 1983 (Abb. 4.71) bezieht sich Baquiat mit AMENOPHIS IV auf

den von Afrozentrikern als eindeutig negroid reklamierten Pharaonen Echnaton, dessen

ganze Familie mit negroiden Gesichtszügen dargestellt worden ist (Abb. 4.72).375 Die

Tatsache, daß Echnaton negroid war, wurde von der Forschung lange "verschleiert"

oder ignoriert. Erst die 1973 im Brooklyn Museum in New York ausgerichtete Ausstel-

lung Akhenaton and Neferiti. Art from the Age of the Sun King zeigt erstmals eindeutig

die negroiden Gesichtszüge Echnatons und seiner Familie.376 Diese Ausstellung wurde

zu einem großen identitätsbestätigenden Erfolg bei den schwarzen Schulkindern New

Yorks.377 Basquiat war damals dreizehn Jahre alt, und es ist anzunehmen, daß auch er

die Ausstellung gesehen hat. In seinem Bildvokabular verwendet er AMENOPHIS IV

und SUN KING als Zeichen eines afrikanischen Herrschers, der großen Einfluß auf die

373 Siehe dazu auch Sirmans In: Acme Journal, 97.374 Der in Untitled von 1985 (Abb. 4.68) unter SCARAB, SACRED aufgeführte "SCHMIDT,WILHELM"© ist ein deutscher Ethnologe, der die monotheistische Gottesidee bei den sogenannten"primiven Völkern" nachgewiesen hat (Brockhaus, Bd. 10, 434). Basquiats verbindet hier das ägypti-sche Auferstehungssymbol des Skarabeus mit einem europäischen Ethnologen, der auch bei den "primi-tiven Völkern", deren Hauptunterscheidungskriterium von den "zivilisierten Hochkulturen" neben demFehlen einer Schrift der Polytheismus ist, das Existieren einer Gottesidee nachweist. Damit aber setztWilhelm Schmidt eine der europäischen "Diskriminierungsargumente" gegenüber afrikanischen Kultu-ren außer Kraft.375 Ben-Jochannan, 2; Williams, 116.376 Diop, Tafeln 15, 18, 19.377 Drake, 210.

94

westliche Kultur hatte:378 In Untitled (History of Black People) von 1983 (Abb. 4.64)

ist das Schiff in der Bildmitte mit AMEN OPHIS beschrifet, in Untitled von 1984

(Abb. 4.61) kombiniert er den ägyptischen Sonnengott SUN GOD mit dem westafrikani-

schen TRICKSTER-Hasen, einer positiven Reklamation Westafrikas.

In weiteren Arbeiten kontrastiert Basquiat die Zeichen ägyptischer Hochkultur mit denen

amerikanischer Kultur und Geschichte. In Portrait of the Artists as a Young Derelict

von 1982 (Abb. 4.44) referiert er mit ANK auf das ägyptische Ankh-Zeichen für Leben,

mit THE ANKLE© jedoch auf die Fußfesseln, die im afro-amerikanischen Sprachge-

brauch ein Synomym für die Fesseln der Sklaverei sind. In Melting Point of Ice von

1984 (Abb. 4.73) stellt er das Heilauge des Horus (EYE OF HORUS) dem amerikani-

schen Zeichen für Apotheke (RX) gegenüber; in Future Science Versus the Man von

1982 (Abb. 3.4) konfrontiert er die Pyramide als Synekdoche der Zivilisation Ägyptens

mit den Errungenschaften westlicher Technologie. In der Zeichnung Untitled von 1987

(Abb 4.33) kontrastiert er die Nennung ägyptischer und westafrikanischer mit denen

griechischer Kultur: EGYPTAN CA. 900 B.C.; GOLD STATUE; BENIN HEAD;

BRONE Z, WARRIOR NIGERIA; OWO J; IJEBU AREA (YORUBA) versus RED

FIGURED P....S GREEEK 470 B.C., GREEEK. In Tuxedo von 1983 (Abb. 4.32), wird

die Pyramide mit der Unterschrift THE GREAT SEAL (ein Zitat der Dollarnote) der

neo-griechischen Architektur Monticellos (ein Zitat der Fünf-Cent-Münze) gegenüberge-

stellt. Basquiat konfrontiert damit zum einen ägyptische und griechische Kultur, referiert

aber vor allem auf Thomas Jeffersons ambivalente Haltung zur Sklaverei.379

In der afrozentrischen Beweisführung, daß die Ägypter ein negroides Volk waren, nimmt

die Sphinx von Gizeh eine zentrale Stellung ein. Die Sphinx war das Portrait des Pha-

raonen Khafre (Chephren), dem Erbauer der zweitgrößten Pyramide Ägyptens. Die

Afrozentriker glauben, daß die Sphinx eine negroide Nase hatte und Khafre folglich ein

schwarzer Pharao war. Diese Beobachtung hat bereits der französische Gelehrte C.

F. Volney (1757-1820), der Ägypten 1783-85 zur Blütezeit der amerikanischen Sklave-

rei besuchte, in seinen Reiseberichten notiert:380

When I visited the Sphinx, its appearance gave me the key to the riddle. Behol-ding that head typically Negro in all its features ... The Egyptians were true Ne-

378 Echnaton gilt durch seine Einführung des Sonnengottes Aton als der Begründer des Monotheismus,den die Juden zur Zeit ihrer Versklavung in Ägypten adaptiert haben und der letztendlich zur Gotte-sidee des Christentum geführt hat.379 Siehe Kapitel 5.3 Liberty?.380 Diop, 27; Tarharka, 85-87. Die These Volneys, daß die alten Ägypter negroid waren, wurde von denamerikanischen Abolitionisten im Kampf gegen die Sklaverei verwendet (Bernal, 173ff, 294ff).

95

groes of the same race as all native-born Africans. [...] To think that this race ofblack men who are today our slaves and object of our contempt is the same oneto whom we owe our arts, sciences and even the very use of speech ....381

Während Volney in seinen Schriften die kulturellen Errungenschaften Ägyptens der ne-

groiden Rasse zuschreibt, eliminieren nachfolgende Ägyptologen diese Beobachtungen

und lassen die "Negro Question", d.h. die Frage, ob die Ägypter negroid-schwarz oder

aber europäid mit dunkler Hautfarbe waren, zumeist offen. Oft heißt es bei der Beschrei-

bung der Hautfarbe einfach "dark complexion", was vielseitig auslegbar ist. Seit Ende

des 19. Jahrhunderts verschweigt die Ägyptologie zunehmend, daß es sich bei einigen

Pharaonen um negroide Schwarze handelt.382 Die wichtigsten afrozentrischen Kulturge-

schichten jedoch erwähnen alle Volneys Reisebericht an zentraler Stelle und bilden als

Illustration eine Zeichnung des 18. Jahrhunderts der Sphinx mit negroider Nase ab

(Abb. 4.74).383 Die Nase der Sphinx wurde laut Encyclopedia Brittanica jedoch bereits

1380 von den Moslems zerstört und diente danach als Schießziel der Mameluken. Ex-

tremistische Afrozentriker hingegen halten dies für Geschichtsverfälschung und glauben,

daß die ehemals negroide Nase der Sphinx von Weißen weggesprengt wurde, was für sie

der Beginn der eurozentrischen Zerstörung afrikanischer Kunst ist.384

In Basquiats Zeichnung Untitled von 1984 (Abb. 4.75), die ein Gesichtsprofil zeigt,

verweisen "BROKEN NOSE©, "NOSE BROKEN©, FIG. 27 NOSE BROKEN OFF

(STATUE) BY ENGLISH ANTROPOLOGIS, "SENSE OF SMELL" und "NOSE

RESTORED' auf die afrozentrische These, daß die Nase der Sphinx von Europäern ab-

geschlagen wurde, um zu verbergen, daß ihr Profil ein eindeutig negroides war. Die "re-

staurierte Nase" in Untitled hat denn auch ein eindeutig europäisch-"cäsarisches" Profil,

ein bitter-ironischer Kommentar auf das eurozentrische "Weißwaschen" ägyptischer Ge-

schichte. Die Fünfundzwanzig-Cent-Münze im Auge des Profils mit der Unterschrift

"VISION" konnotiert die Statue der vier amerikanischen Präsidenten in Mount Rushmo-

re - die "amerozentrische" Version der Sphinx.

4.6 Karthago vs. Rom: afrikanische oder europäische Hegemonie?

381 Ben-Jochannan, 109; Diop, 27.382 Zu dieser "weißwaschenden" Entwicklung der Ägyptologie siehe Diop, "Modern Falsification ofHistory", 45ff.383 So Diop,1; Drake, Tafel 1 und 2; Ben-Jochannan, 201; Rodgers 1961, 10ff; Text Diop, 43ff; Ben-Jochannan, 109 ff; DuBois (1915), 34.384 Suzar, o.S..

96

In Jawbone of an Ass von 1982 (Abb. 4.76) thematisiert Basquiat die kriegerische und

intellektuelle Konfrontation des (schwarzen) Afrika mit dem antiken Westen (Rom,

Griechenland). Die die Bildmitte überflutenden Namen aus der europäisch-afrikanischen

Geschichte nennen mit PHARAO, EGYPT, RAMESES 2, HANNIBAL, PUNIC WARS

und ALEXANDRIA einige der wichtigsten Fokuspunkte des afrozentrischen Gegenle-

sens afrikanisch-europäischer Geschichte.

GUELPHS AND GHIBELLINES, der Kampf der adligen Familien Italiens im

13. Jahrhundert, geben als "interne Bildüberschrift" das Thema an: der Kampf zweier

verfeindeter Parteien, hier jedoch Afrika vs. Rom, schwarz gegen weiß. Der Boxkampf

einer schwarzen und einer weißen Comicfigur im rechten unteren Bildteil kommentiert

diesen antiken "Kampf der Rassen" ironisch.

Die Punischen Kriege (PUNIC WARS) waren die wohl wichtigste Auseinandersetzung

zwischen Afrika und Europa in der Geschichte, Karthago (CARTHAGE) der größte

Feind des römischen Imperiums. Hannibal (HANNIBAL), der laut Diop ebenso wie die

Bevölkerung Karthagos und des antiken Nordafrikas negroid war, stellte eine ersthafte

Bedrohung Roms dar und wird daher von afrozentrischen Historikern gerne zu einer

heldenhaften Figur stilisiert, die den weißen Westen fast besiegt hätte.385 Virgils Aeneis

(VIRGIL AENOID) kann als die "literarische Aufarbeitung" der Punischen Kriege gele-

sen werden. Der Fluch der karthagischen Königin Dido (DIDO) über Aeneas - "jemand

wird mich rächen" - wird gemeinhin auf Hannibal als dem Rächer interpretiert.386 Didos

Selbstmord aber bedeutet den Fall Karthagos, der laut Diop das Ende der antiken Su-

prematie Afrikas bedeutet.387

Basquiat verleiht Hannibal als dem afrikanischen Herausforderer des weißen Europas

schlechthin eine Krone und plaziert die Worte PUNIC WARS prominent in der Bildmit-

te. Mit DARIUS, MIHTRIDATES und CLEOPATRA nennt Basquiat drei weitere au-

ßereuropäische Herausforderer des antiken Westens. Darius I. war König von Persien

(522-482) und versuchte mehrmals Griechenland zu erobern, die Athener haben ihn

schließlich 490 v.Ch. in der Schlacht von Marathon geschlagen. Mithridates d. Große

385 Eine antike Münze mit einem negroiden Kopf auf der einen und einem Elephanten auf der anderenSeite dient diesen als Beweis der Negroität Hannibals (Ben-Jochannan, 302; Rodgers, 42ff, 302).386 Fitzgerald, 406.387 Diop, 65, 118ff. Der Vater von Dido war König von TYRE (Ben-Jochannan, 298). Tyre war einwichtiger phönizischer Hafen im Südlibanon, der 1400 v.Ch. zu Ägypten gehört hat. Kolonialisten vonTyre haben 900 v.Ch. Karthago gegründet. Tyre bot Alexander dem Großen sieben Monate lang großenWiderstand, bevor es erobert wurde und kann daher als Symbol des Widerstandes gegen Griechenlandund im fortgestezten Sinn auch gegen Rom gelesen werden.

97

(gest. 63 v.Ch.) war ein berühmter Feind Roms, der für kurze Zeit Roms Hegemonie in

Asia Minor gebrochen hat. Die Liaison von Kleopatra und Julius Caesar bedeutete hun-

dert Jahre nach der Zerstörung Karthagos eine weitere Bedrohung des römischen Impe-

riums, denn Kleopatra wollte nicht nur Herrscherin über Ägypten, sondern auch über

Rom sein.

Durch die Worte ALEXANDRIA, ALEXANDER THE GREAT, HYPATIA,

ANAXAGORAS, ARISTOPHANES, SOCRATES und SOPHOCLES wird die kul-

turelle Begegnung zwischen Ägypten und Griechenland evoziert. Für Afrozentriker ist

das antike Alexandria der Ort genuin schwarzen Wissens schlechthin, das sich die dort

studierenden Griechen angeeignet, oder, im extremen Fall, sogar gestohlen haben. Der

populäre Afrozentriker George E. James stellt in seinem Buch Stolen Legacy (1954) die

These auf, daß Aristoteles in Alexandria studiert, dort alle Bücher gestohlen, die für ihn

brauchbaren als sein eigenes Wissen ausgegeben und den Rest kurzerhand vernichtet

habe. Somit sei der Korpus von Aristoteles' Denken in Wahrheit schwarzes Gedanken-

gut! So absurd dies für europäische Ohren klingen mag, so hat diese These einen enor-

men Einfluß auf afrozentrische Denker, ist noch heute ein Bestseller an afrozentrischen

Straßenverkaufsständen in New York und wird auf dem Internet heiß diskutiert.388 Bas-

quiat hatte von diesem Buch sicher Kenntnis und verwendet ALEXANDRIA in seinem

Bildvokabular in diesem Sinn.

Die Ermordung von Hypatia (HYPATIA) (370-415 n.Ch.), der Direktorin der Neupla-

tonischen Schule und letztem intellektuellen "Star" Alexandrias, durch fanatische christ-

liche Mönche bedeutete das Ende von Alexandria als antikem Gelehrtenzentrum.389 Die

bildinterne Nähe von HYPATIA zu SAVONAROLA legt einen Vergleich zwischen der

Ermordung Hypatias in Alexandria und der Verbrennung der "Eitelkeiten" durch Savo-

narola im antikenbegeisterten Medici-Florenz nahe.390 Beide können als westliche christ-

388 Andere Afrozentriker haben allerdings eingeräumt, daß diese These historisch nicht aufrechtzuer-halten ist, da die Bibliothek von Alexandria erst dreißig Jahre nach Aristoteles' Tod gegründet wurde.389 Basquiats rekurrente Referenzen auf den Neuplatonismus kann man auf dessen Bedeutung als wich-tigsten Einfluß ägyptischer Philosophie auf das westliche Denksystem zurückführen (Renaissance undBarock-Ägyptenbegeisterung, im 18. Jhd. Freimaurer). In der Zeichnung Ascent von 1982/83(Abb. 2.12) referiert Basquiat mit den Worten [PLOTINUS.] und MONTSALVAT auf den Neuplato-nismus.390 Im größeren Bildzusammenhang sind die Worte BORGIA und MACHIAVELLI als Synekdochenskrupelloser politischer Macht zu lesen. Es ist aber darauf hinzuweisen, daß die Familie der Borgiadurch den Neuplatoniker Pico della Mirandorla in ihren Kunstankäufen stark beeinflußt worden ist: sieerwarben vornehmlich ägyptische Kunst und machten den Apis-Stier zu ihrem Symbol (Bernal, 154)! Indiesem Zusammenhang - der Wiederentdeckung Ägyptens im Italien der Renaissance - ist auch dieantike Verehrung ägyptischer Götter in Italien zu nennen. So waren die wichtigsten Heiligtümer in

98

liche Attacken auf neuplatonisches Gedankengut interpretiert werden. Sowohl

ALEXANDRIA als auch SAVONAROLA gehören zum rekurrenten Bildvokabular Bas-

quiats und stehen für die Konfrontation von in Afrika gründendem (schwarzem) Wissen

und dessen fanatischer Ablehnung (bspw. Toussaint L'Overture Versus Savonarola,

1983, Abb. 5.25).

Mit den Worten PHARAO, JOSEPH, EGYPT, PYRAMIDS, RAMESES 2 und JESUS

CHRIST, JERUSALEM, JEWS, JOSEPHUS nennt Basquiat die "biblische Begegnung"

zwischen Israel und Ägypten. Ramses II. wird von den Afrozentrikern neben Amenophis

IV. als ein eindeutig negroider Pharao reklamiert.391 Ramses II. hat das von Joseph

(JOSEPHUS) nach Ägypten geführte jüdische Volk versklavt. In der afro-ameri-

kanischen Kultur gibt es zwei sich konträr gegenüberstehende Auffassungen zum histo-

rischen Verhältnis der Afro-Amerikaner zu diesem biblischen Geschehen: Während der

Sklaverei wurde die Idee entwickelt, daß die Vorfahren der Afro-Amerikaner die "wah-

ren Juden" seien; die Sklaven identifizierten sich mit dem Volk Israel und nannten ihre

Führer aus der Sklaverei "Moses". Seit der Harlem Renaissance und im besonderen dem

Afrozentrismus der Sechziger Jahre aber glauben viele Afro-Amerikaner jedoch, daß sie

selbst von den Ägyptern abstammen. Mit LINCOLN, A; EMANCIPATION PROC392

und SLAVES zieht Basquiat eine Verbindung von dem versklavten Volk der Juden zu

der Befreiung der versklavten Afrikaner in Amerika.

Pompei, das Basquiat mit POMPEII zitiert, ägyptisch, da Tiberius die ägyptischen und jüdischen Kulteaus Rom verbannt hatte (Bernal, 116).391 Diop, Abb. 11; African Heritage Bible, 87. In Kings of Egypt (Links) von 1982 (Navarra, 80, Nr.4)nennt Basquiat ebenfalls Ramses II (RAMESES 2, RAMESES II) an prominenter Stelle.392 Den Beginn eines weiteren Bürgerkrieges nennt Basquiat mit JULIUS CAESAR, IL REPUBLICO,RUBICON.

99

5. Afro-amerikanische Geschichte im Werk Basquiats

5.1 "Prelude to Our Age. A Negro History Poem"

History's long pageRecords the whole vastPrelude to our age.

Across the chaptersOf recorded timeShadows of so many handsHave fallen,Among them mine:Negro.

At first onlyThe spoken word of bard or chiefAnd the beaten drumThat carried instant historyAcross the night,Or linked man with the mysteryOf powers beyond sight.Pictures on stone, hieroglyphics,Parchment, illuminated scrolls.

Homer's"Blameless Ethiopians."

On all these rolls landmarking man,The shadow of my hand:Negro.

Aesop, Antar, Terence,Various Pharaos,Sheba, too.Ethiopia, Ghana, Songhay.Arab and African; the MoorsGave Spain her sastagnetsAnd senegal her prayers.....Yet Boston's Philllis Wheatley, slave, wrote her poems,And Washington, the general, praised -Washington who righted wrong -But those of us who had no rightsmade an unwritten song:

Go down, Moses,Way down in Egypt land,

100

And tell old PharaoTo let my people go ...

Black Crispus Attucks diedThat our land might be free.His deathDid not free me.When Banneker made his almanacI was not free.When Toussaint freed the blacks of Haiti,I was not free.

In other lands Dumas and Pushkin wrote -But we,Who could not write, made songs:

Swing low, sweet chariot,Coming for carry me home ...Oh, I looked over JordanAnd what did I see -

Phillis, Crispus, Toussaint,Banneker, Dumas, Pushkin,All of these were me -Not free:

As long as oneMan is in chains,No man is free.

Yet Ira Aldrigde played Shakespeare in London.Frederick Douglass ran away to freedom,Wrote books, made speeches, edited "The North Star".Sojourner Truth made speeches, too.Harriet Tubman led her marches."Uncle Tom's Cabin " swept the nation -While we, who were not free and could not write a word,Gave freedom a song the whole earth heard:...Lincoln:1863.Once slaves -"Henceforth and forever free."...

Booker T. -A school, Tuskegee.Paul Lawrence Dunbar -

101

A poem, a song, a "Lindy Lou".Fisk University and its Jubilees.Black Congressmen and Reconstruction days.Black comics with their minstrel ways,Then Williams & Walker, "In Dahomey," "Bandana Land"Ragtime sets the pattern for a nation's songsAnd Handy writes the bluesFor me -Now free.

[...]

All thisA prelude to our age:Today.

TommorowIs another

Page. (Langston Hughes)393

Basquiat nennt in seinen Arbeiten, ebenso wie der afro-amerikanische Dichter Langston

Hughes, den er mit der Zeichnung Untitled (Langston Hughes) von 1983 (Abb. 5.1)

ehrt, fast alle wichtigen Abschnitte afro-amerikanischer, karibischer und afrikanischer

Geschichte. Basquiats Werk ist, wie vielleicht keines in der afro-amerikanischen Kunst

vor ihm, eine Enzyklopädie afro-amerikanischer Geschichte. "Visuelle Geschichtsschrei-

bung" ist jedoch ein Grundthema der afro-amerikanischen Kunst, das mit der Harlem

Renaissance beginnt und mit zeitgenössischen Künstlern wie Glenn Ligon endet. In der

Harlem Renaissance hat Aaron Douglas mit seinem Wandmalereizyklus "Aspects of Ne-

gro Life" (Abb. 2.17) die Geschichte der Schwarzen von Afrika bis hin zu den nordame-

rikanischen Großststädten geschildert. Während der Depression schufen Aaron Douglas,

Charles White und Hale Woodruff im Auftrag der WPA weitere Murals mit Themen aus

der afro-amerikanischen Geschichte. Ihr Ziel war es, der schwarzen Unter- und Mittel-

schicht an öffentlichen Orten wie Bibliotheken die bis dahin noch immer ungeschriebene

Geschichte der Afro-Amerikaner zu vermitteln.394 Jacob Lawrence gilt als der afro-

amerikanische Historienmaler schlechthin. In seinen kleinformatigen narrativen Serien

"Tousaint L'Overture" (1937-38, Abb. 5.27), "Frederick Douglass" (1938-39), "Hariet

Tubman" (1939-40) und der "Migration Series" (1940-41) erzählt er afro-amerikanische

Geschichte und kommentiert die sozialen Bedingungen der Afro-Amerikaner in den Ver-

393 In: Rampersad, 383ff.394 Fine, 92; Lewis 124.

102

einigten Staaten.395 In den Sechziger Jahren betrieb die Kunst des Black Arts Movement

eine Art öffentliche Historienmalerei und damit Geschichtsunterricht für die in den

Schulen nicht gelehrte afro-amerikanische Geschichte.396

Im Gegensatz zum Anliegen der afro-amerikanischen Kunst vor ihm, die eigene Ge-

schichte so explizit wie möglich zu vermitteln, wählt Basquiat eine weniger offene Dar-

stellungsmethode. Zwar sprechen einige wenige Arbeiten auch für den weißen Betrach-

ter verständlich von dem Trauma schwarzer amerikanischer Geschichte, die meisten Ar-

beiten jedoch erinnnern nur durch die in die Bildtexte eingewebten einzelnen Worte dar-

an. Basquiat hat kein erzieherisches Anliegen an die "black community", sondern ver-

sucht vielmehr durch die Methode des "Trojanischen Pferdes" seine Bildinhalte in die

Heime weißer Sammler zu schleusen.

5.2 Sklavenhandel und Sklaverei

Die Anfänge des Sklavenhandels in Afrika nennt Basquiat mit der Zeichnung King Al-

phonso von 1982/83 (Abb. 5.2).397 Der in den Farben von Marcus Garveys Back to

Africa Movement gezeichnete KING ALPHONSO ist mit einer schwarzen Krone ge-

krönt, sein Blick auf ein Kongo-Kosmogramm nach rechts gerichtet. König Alphonso I.

(1507-1543), der zum Christentum konvertierte (vorher Nsinga Mbemba), war Herr-

scher über das Reich Mbaza (Kongo), dessen Struktur der europäischer Staaten der Zeit

entsprach. Kongo war das erste afrikanische Land, das von den Portugiesen "ver-

westlicht" wurde.398 Die Beziehung zwischen den beiden Ländern war zunächst wech-

selseitig: die Portugiesen machten durch Handel ökonomischen Profit, die Kongolesen

hatten Zugang zu europäischen Gütern, Technologie und Religion. Die aristokratische

Jugend des Kongo wurde in Portugal erzogen, Kongo im Gegenzug christianisiert. Da

Kongo aber keine wertvollen Mineralien zu exportieren hatte, begannen die portugiesi-

schen Händler bald mit dem Export von Sklaven. Die Kongolesen verkauften die Skla-

ven, zumeist Kriegsgefangene anderer ethnischer Gruppen, gegen europäische Güter.

König Alphonso beschwerte sich bald in mehreren Briefen an die Portugiesische Krone

395 Bearden, 293-314.396 Siehe das Kapitel 4.2 Basquiats Bildvokabular im Kontext der afro-amerikanischen Kunst des 20.Jahrhunderts.397 KING ALPHONSO wird 1983 durch eine Farbkopie zum rekurrenten Bildvokabular Basquiats.Siehe bspw. EL KING ALPHONSO in Toussaint L'Overture Versus Savonarola von 1983 (Abb.5.25).398 Williams, 265, 267.

103

über den ausufernden Sklavenhandel und verbot die Ausfuhr von Sklaven, allerdings mit

wenig Erfolg.399

Während die englischen Pilgerväter 1620 mit der Mayflower in Plymouth Rock landeten,

kamen die ersten zwanzig afrikanischen Siedler bereist ein Jahr vorher in Jamestown,

Virginia an.400 Die Landung auf Plymouth Rock wird als amerikanischer Gründungsmy-

thos gefeiert, der die afro-amerikanische Geschichte jedoch völlig ausschließt. Die mei-

sten afro-amerikanischen Intellektuellen stellen daher das amerikanische Nationalsymbol

der Geschichte der Sklaverei gegenüber, konfrontieren Plymouth Rock mit Jamestown.

So fragt DuBois in seinem für die afro-amerikanische Erfahrung paradigmatischen Buch

The Souls of Black Folk (1903): "Your country? How came it yours? Before the Pil-

grims landed we were there". Und Malcolm X spitzt das Verhältnis der Afro-Amerikaner

zu einer "weißgewaschenen" amerikanischen Geschichte polemisch zu: "We didn't land

on Plymouth Rock - Plymouth Rock landed on us!"401 In Thesis von 1983 (Abb. 5.3)

nennt Basquiat mit PLYMOUTH ROCK© diesen rein weißen amerikanischen Grün-

dungsmythos und ironisiert durch die Worte IMPORTED MEAT und IMPORTED

SAUSAGES die Ankunft der weißen Pilgerväter.

Ein ähnlich ambivalentes Gefühl haben die Afro-Amerikaner auch zur New Yorker Frei-

heitsstatue, die als Symbol der Emigranten ebenfalls für die als Sklaven nach Amerika

gekommenen Afro-Amerikaner keine Bedeutung hat. Die Ironie der Freiheitsstatue, die

für alle ethnischen Gruppen Amerikas außer den Indianern und den Afro-Amerikanern

steht, thematisiert Basquiat in der Zeichnung Undiscovered Genius von 1982/83

(Abb. 4.26): Das SLAVE SHIP© fährt auf die Freiheitsstatue (LIBERTY™) zu! Undis-

covered Genius stellt paradigmatisch Afrika der Situation der Afro-Amerikaner in Ame-

rika gegenüber: S,402 AFRICA, THE DARK CONTINENT™, und die Frage Q: ARE

NOT PRINCES KINGS? ANCIENT AND HONORABLE, NEITHER SWORD NOR

SPAR, DISPERSED INTO THE FOUR CORNERS OF THE EARTH? werden mit

dem MISSISSIPPI, dem BLUESMAN, der Freiheitsstatue und den Arbeitsgeräten der

Sklaven (SICKLES, FORKS, AXES) konfrontiert. Die Verbindung zwischen diesen

beiden Welten stellt das SLAVE SHIP© her, das die ehemaligen Könige und Prinzen in

399 Martin 1988, 93ff; Williams, "The Kongo-Agola Story", 261-289; July, 187-191; Oliver, Ro-land/Crowder, Michael (Hrsg.), 143; Diop, 23.400 Die Afrikaner waren gestohlene Fracht eines spanischen Sklavenschiffes (Bennett, 29).401 Sollors In: Fabre, 110f.402 Das Superman "S" fungiert in Basquiats Bildvokabular als Symbol der Schlange, dem wichtigstengöttlichen Tier Afrikas und seines Nachfolgers in der Neuen Welt, den haitianischen SchlangengottDambala. Superman/snake/Dambala kann somit als eine Art stolze Signatur des eigenen kulturellenErbes gelesen werden.

104

die "black diaspora" verteilt hat. Basquiats Wiederholung der Zahl NUMBER TWENTY

SEVEN "E"© referiert auf die genaue Anzahl an Sklavenschiffen, die in Louisiana zwi-

schen 1719 und 1731 aus dem Senegal ankamen.403 Das SLAVE SHIP© überlagert sich

mit dem Mississippidampfer, auf dem die Sklaven der Nordstaaten in den Süden trans-

portiert wurden.

In der Papiercollage Untitled von 1982/83 (Abb. 4.95, 5.4) taucht der Begriff SLAVE

TRADE in Verbindung mit der Zeichnung einiger kleiner Schiffe auf. In Slaveships

(Tobacco) von 1984 (Abb. 5.5) betitelt Basquiat das grimmige "Portrait" eines Schwar-

zen vor dem Hintergrund zweier Segelschiffe mit "Slaveships (Tobacco)"; in Logo von

1984 (Abb. 5.6) wird dieses Motiv zu einem bitteren Markenzeichen (TRADE MARK) -

der lächelnde Schwarze wirbt vor dem Hintergrund der "Sklavenschiffe" für den von

den Sklaven in Amerika angebauten Tabak. Basquiat wandelt hier das Logo der ameri-

kanischen Zigarettenmarke Player's ab, das einen weißen Seemann vor einem Segelschiff

und einem Mississippidampfer zeigt (Abb. 5.7). Er tauscht den weißen Seemann mit ei-

nem schwarzen Gesicht aus, so daß die Schiffe im Hintergrund nun als ein transatlanti-

sches Sklavenschiff und einen Sklaven transportierenden Mississippidampfer gelesen

werden können. Tatsächlich hat Player's in der Zigarettenwerbung des 19. Jahrhunderts

mit dem Mythos der "old-time-plantation" geworben: glückliche Sklaven singen "planta-

tion songs" und bauen dabei Tabak an.404 In Water Worshipper von 1984 (Abb. 5.8)

schließlich stellt Basquiat einen afrikanischen "Wasseranbeter" dem Slaveship/Tabak-

Logo gegenüber und konfrontiert damit Afrika und Amerika, positive und negative Re-

präsentation.

In Slave Auction von 1982 (Abb. 5.9) wird das "Sklavenschiff" mit einem weißen Skla-

venverkäufer kontrastiert. Auf den collagierten Papierfragmenten finden sich sowohl

stereotyp weiße als auch negroide Gesichter wieder - Käufer und Verkaufte. In

Obnoxious Liberals von 1982 (Abb. 5.10) tritt an die Stelle des Sklavenschiffs ein an

zwei Säulen gefesselter schwarzer Körper mit den Überschriften ASBESTOS und

SAMSON. Der biblische Samson ist eine wichtige Identifikationsfigur der Sklaven ge-

wesen. So trug Gabriel Prosser, der Führer eines Sklavenaufstandes, langes Haar, um

seinem biblischen Idol Samson zu ähneln.405 Extremistische Afrozentriker wie Suzar

glauben, daß Samson "dreadlocks" hatte und daher schwarz gewesen sei. Der Zylinder

403 Encyclopedia, Stichwort Louisiana.404 Pieterse, 190.405 Bennett, 125.

105

und Anzug des Sklavenverkäufers in beiden Arbeiten lehnt sich an die zeitgenössischen

Darstellungen des Sklavenverkaufs an (Abb. 5.11).

Die Figur in Next Loin and/or von 1982 (Abb. 5.12) konnotiert durch die erhobenen

Arme einen gefesselten und aufgehängten Sklaven. Die expressive Zeichnungsweise lässt

den Körper zerrissen und "geschunden" aussehen. Der in den Farben Afrikas und der

UNIA-Flagge gezeichnete Kopf hat eine Art Mundschutz, der unterdrücktes Schreien

konnotiert. In der Körpermitte der Figur ist ein Kongo-Kosmogramm situiert, das zu-

sammen mit der Farbigkeit der Figur als Zeichen der afrikanischen Herkunft des Sklaven

zu lesen ist. Thema und Expressivität erinnern an die Darstellungen angeketteter Sklaven

in der afro-amerikanischen Kunst wie bspw. Jacob Landaus "Nat Turner" (Abb. 5.13).

In der monumentalen Arbeit Undiscovered Genius of the Mississippi Delta von 1983

(Abb. 5.14) bezieht sich Basquiat mit den Alliterationen von MISSISSIPPI und MARK

TWAIN, mit NEGROES und COTTON, ORIGIN auf die Sklaverei in Mississippi, dem

Staat mit dem brutalsten Sklavensystem. IN THE DEEP SOUTH 1912-1936-1951©

verweist auf die Geschichte Mississippis im 20. Jahrhundert. Mississippi war der rassi-

stischste Südstaat, im dem sowohl der Ku Klux Klan enstanden ist als auch bis in die

Fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein noch Lynchmorde stattfanden. Basquiat

nennt Mark Twain in Verbindung mit einem Missisippidampfer auch in der Zeichnung

Untitled von 1983 (Abb. 5.15). In seinem Roman Huckleberry Finns Abenteuer erzählt

Mark Twain die Freundschaft des weißen "outlaws" Huckleberry mit dem schwarzen

Sklaven Jim, der der einzig wirklich "noble" Charakter des Romans ist. Dennoch ver-

wendet Twain aus historischen Gründen das Wort "nigger" mehr als zweihundert Mal -

Grund genug für die politisch Korrekten, zu verlangen, das Lesen des Buches vom

Lehrplan der amerikanischen Schulen zu streichen.406

5.3 Liberty?

Monticello von 1986 (Abb. 5.16) verweist mit MONTICELLO©™ und FIVE

CENTS® auf die Rückseite der amerikanischen Fünf-Cent-Münze. Das übermalte

UNUM von E PLURIBUS UNUM läßt jedoch fragen, warum dieses amerikanische Na-

tionalmotto für Basquiat nicht zu gelten scheint. "E Pluribus Unum" steht für die Idee, 406 Siehe dazu Wieland, Leo: "Korrekt sind nur die Zaghaften. Ungenügend: Warum 'Huckleberry Finn'von amerikanischen Lehrplänen verschwinden soll." Frankfurter Allgemeine Zeitung. 19. April 1995,33. Leonard, James S./Tenney, Thomas A./Davis, Thadious M.: Satire Or Evasion? Black Perspectiveson Huckleberry Finn. Durham/London: Duke University Press 1992.

106

aus den vielen verschiedenen Emigrantenidentitäten der Vereinigten Staaten eine einheit-

liche amerikanische Identität zu schaffen.407 Dieses Konzept des "Melting Pots" gilt

heute als gescheitert; die meisten ethnischen Minoritäten lehnen das Konzept ab, weil sie

nicht in einem großen "amerikanischen Eintopf" aufgehen, sondern ihre ethnische Diffe-

renz bewahren wollen. Auch Basquiat betont mit dem Ausstreichen von UNUM die

Differenz der ethnischen Gruppen in den Vereinigten Staaten, nicht ihre Gleichheit. In

der Zeichnung Untitled von 1986 (Abb. 5.17) nimmt er das Konzept des "Melting Pots"

wörtlich. In einer Pfanne werden die Gesichter eines Indianers (Feder), eines Afro-

Amerikaners (Nase) und eines weißen Amerikaners (Texashut) buchstäblich zu einem

"amerikanischen Gesicht" verschmolzen.

Basquiat zitiert in seinen Arbeiten immer wieder die amerikanischen Motti, die sich auf

den Centmünzen und Dollarnoten finden: E PLURIBUS UNUM, LIBERTY© und IN

GOD WE TRUST (Abb. 5.5). Durch die Wiederholungen und das Durchstreichen von

UNUM und LIBERTY© jedoch verweist er auf die gespaltene amerikanische Gesell-

schaft; weder vereinen sich alle ethnischen Gruppen in einer amerikanischen Identität,

noch gilt für alle die gleiche Freiheit und Gleichheit, die in der Unabängigkeitserklärung

garantiert wurde.

MONTICELLO© (Abb. 5.16) war der Wohnsitz Thomas Jeffersons, dem Hauptverfas-

ser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Doch das "We hold these truth to be

self-evident, that all men are created equal, that they ..... certain Rights, that among these

are Life, Liberty and the pursuit of Happiness" der Unabhängigkeitserklärung galt ledig-

lich für weiße Menschen - den schwarzen Sklaven wurde im 18. Jahrhundert der Status

von Tieren zugeschrieben. Thomas Jefferson selbst hielt Schwarze für schmutzig, stin-

kend und "mental inferior", was er in seinem Buch Notes on the State of Virginia (1785)

ausführte. Dieses Buch über die Sklaverei war in den Vereinigten Staaten das meistgele-

sene Buch des 19. Jahrhunderts und hatte einen enormen Einfluß auf das amerikanische

Bewußtsein. Thomas Jefferson, der selbst Sklaven besaß, haßte die Sklaverei zwar einer-

seits, war andererseits jedoch fest von der Inferiorität der Schwarzen überzeugt.408 Das

hinderte ihn allerdings nicht daran, eine seiner Sklavinnen als langjährige Geliebte zu

407 "E Pluribus Unum" ist der wohl meistzitierteste Spruch in der amerikanischen Multikulturalismus-debatte. "E Pluribus Unum" bedeutet eines aus vielen, eine Nation aus vielen Rassen, Sprachen, Grup-pen, Religionen etc. Das Motto war ursprünglich Teil des amerikanischen Staatssiegels, das von Jeffer-son, Franklin u.a. 1776 vorgeschlagen wurde. Das "Unum" sollte den neuen Bund darstellen, das "Plu-ribus" die dreizehn Kolonien (Sellers, Werner: "DE PLURIBUS UNA/E PLURIBUS UNUS. MatthewArnold, George Orwell, Holocaust und Assimilation. Bemerkungen zur amerikanischen Multikultura-lismusdebatte." In: Ostendorf, 65).408 Jordan: "Thomas Jefferson. Self and Society", 429-482.

107

haben: Sally Hemings, die mulattische Halbschwester seiner verstorbenen Frau Martha.

Nach deren Tod wurde Sally Hemings zuerst das Kindermädchen und danach die Le-

bensgefährtin von Thomas Jefferson. Sie lebte vierzig Jahre lang zusammen mit ihm in

Monticello und gebar ihm sechs Kinder. Diese Geschichte drang 1802 an die Öffentlich-

keit und sorgte für einen internationalen politischen Skandal, der Thomas Jefferson der

Heuchlerei, Immoralität und vor allem der strafbaren "miscegenation" anklagte. Die mei-

sten weißen Anhänger Thomas Jeffersons bestreiten diese Geschichte allerdings bis heu-

te.409 In den letzten Jahren ist die Debatte um Thomas Jeffersons Verhältnis zu Sally

Hemings neu aufgeflammt, steht es doch paradigmatisch für die amerikanische Bigotte-

rie.410 Basquiat verwendet die in seinem Werk rekurrenten Anspielungen auf Monticello

in diesem Zusammenhang.

In der großen Papiercollage Untitled von 1982/83 (Abb. 5.19) spielt Basquiat mit der

Nennung von Personen und Ereignissen auf die Weltgeschichte des 18. Jahrhunderts an.

Es ist unmöglich, aus der Informationsflut der Arbeit eine kohärente Aussage herauszu-

lesen. Anhand einzelner Zitate soll jedoch eine Konnotationslinie aufgezeigt werden, die

auf den transatlantischen Sklavenhandel, den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, die

Französische Revolution und die Repräsentation der Afrikaner im 18. Jahrhundert hin-

weist.

Die auf die fünfte aufcollagierte Zeichnung der oberen Reihe geschriebenen Worte

HOGARTH'S ETCHING OF JOHN WILKES VERSUS GEORGE III AS LORD

NORTH© und das durchgestrichene BRITISH SHADY BUISNESS VENTURES

SOURCES OF CRISIS verweisen auf Englands Rolle im transatlantischen Sklavenhan-

del und die Vorgeschichte des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. William

Hogarths Kupferstich von John Wilkes zeigt diesen mit einer mit dem Wort "Liberty"

beschrifteten Mütze. Diese "Freiheitsmütze" wurde im antiken Rom Galeerensklaven

anläßlich ihrer offiziellen Freilassung aus der Sklaverei überreicht! Die Engländer über-

nahmen im 18. Jahrhundert dieses Symbol der Befreiung von der Sklaverei: Britannia,

die Allegorie Englands, trug auf den englischen Münzen eine solche Mütze. In der Fran-

zösischen Revolution wurde die "phrygische Mütze" schließlich zum Symbol der Ideen

von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.411 Basquiats erstes Interesse beim Zitieren

409 Encyclopedia, Stichwort Jefferson. Brodie, Fawn F.: Jefferson. An Intimate Biography. New York1974. Dabney, Virginius: The Jefferson Scandals. A Rebutal. New York 1981. Gordon-Reed, Annette:Thomas Jefferson And Sally Hemings. An American Controversy. Virginia 1997.410Alexander, Daryl Royster: "Looking Beyond Jefferson the Icon To a Man and His Slave Mistress".The New York Times. 29. Juni 1997, E7.411 Paulson, 183.

108

von Hogarths Kupferstich von John Wilkes galt daher wahrscheinlich der Bedeutung des

Wortes "Liberty" und der Geschichte der "Freiheitsmütze". Wie bereits oben erwähnt,

wiederholt Basquiat das auf die amerikanischen Münzen geschriebene Wort LIBERTY

permanent in seinen Arbeiten und "signifyt" so auf dessen Bedeutung im weißen ameri-

kanischen Kontext - die Wiederholungen lassen den Betrachter erst fragen, wessen Frei-

heit damit eigentlich gemeint ist.

Mit der Nennung von Hogarths Kupferstich spielt Basquiat auf die Rolle Englands im

transatlantischen Sklavenhandel und im weiteren auf den amerikanischen Unabhängig-

keitskrieg an. Denn der Revolutionär John Wilkes (1725-1797) trat in England für eine

parlamentarische Reform, Pressefreiheit, Beachtung der Menschenrechte und die kolo-

nialen Rechte Amerikas ein und war somit ein entschiedener Gegner des englischen Kö-

nigs George III. (reg. 1760-1820), den Basquiat mit GEORGE III nennt, und der für den

Sklavenhandel Englands und seiner Kolonien verantwortlich war.412 England dominierte

im 18. Jahrhundert den transatlantischen Sklavenhandel: so brachten während des Sie-

benjährigen Krieges englische Schiffe alleine 10.000 Sklaven nach Kuba und mehr als

40.000 nach Guadeloupe! England versorgte neben seinen eigenen Kolonien auch die

seiner Konkurrenten mit Sklaven - das englische Wirtschaftsystem des 18. Jahrhundert

basierte auf dem Sklavenhandel und dem ökonomischen Erfolg seiner Kolonien.413 Die in

Untitled unter HOGARTH'S ETCHING OF JOHN WILKES VERSUS GEORGE III

AS LORD NORTH© geschriebenen durchgestrichenen Worten BRITISH SHADY

BUISNESS VENTURES SOURCES OF CRISIS verweisen somit auf Englands Vor-

machtstellung im Sklavenhandel. Auch das in der vierten Zeichnung der unteren Reihe

geschriebene SLAVE TRADE nennt den Sklavenhandel des 18. Jahrhundert.

In der fünften Zeichnung der dritten Reihe nennt Basquiat mit SEVEN YEARS WAR

den Siebenjährigen Krieg (1755-1763) zwischen England und Frankreich, der um die

Kolonialbesitzungen der beiden Länder geführt wurde. England eroberte von Frankreich

Kanada, Louisiana, Florida sowie die karibischen Inseln St. Vincent, Dominica und To-

bago; auch in Indien siegte England über Frankreich. Durch Englands Sieg über den

dortigen Bundesgenossen Frankreichs, den Nawab von Bengalen, den Basquiat in der

fünften Zeichnung der oberen Reihe neben HOGARTH'S ETCHING OF JOHN

WILKES VERSUS GEORGE III AS LORD NORTH© mit NAWAB OF BENGAL

nennt, geriet ein großer Teil Indiens unter englischen Einfluß. Durch den Siebenjährigen

412 So greift Thomas Jefferson in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung auch George III. alsden Hauptschuldigen des Sklavenhandels an (Franklin, 102).413 Franklin, 50.

109

Krieg war das französische Kolonialreich fast völlig zerstört und die englische Vor-

machtstellung als Kolonialmacht gesichert worden. Eine weitere Folge dieses Krieges

war der Abfall der amerikanischen Kolonien von England durch den Unabhängigkeits-

krieg, denn die amerikanischen Kolonisten hielten nach dem Verschwinden der französi-

schen Rivalen in Amerika den Schutz Englands für nicht mehr notwendig, ja, sie siegten

schließlich mit Frankreichs Hilfe über England.414 Auf den amerikanischen Unabhängig-

keitskrieg verweisen weitere Wörter und Phrasen des Bildtextes in Untitled . Mit

BOSTON RIOTS OVER STAMP ACT© in der ersten Zeichnung der dritten Reihe

nennt Basquiat den Beginn des Unabhängigkeitskrieges. Die Engländer wollten durch die

Einführung der "Stempelakte", eine in Gebührenmarken zu entrichtende Stempelgebühr

für fast alle amerikanischen Papiererzeugnisse, Steuern von den amerikanischen Kolo-

nialisten einnehmen. Die Reaktion der Kolonien auf diese Gebühr war ein Aufstand, der

schließlich 1767 zum Rückzug der englischen Besteuerungsidee führte.415

Das in der fünften Zeichnung der dritten Reihe unter SEVEN YEARS WAR geschrie-

bene CRISPUS ATTUCKS HIGH SCHOOL, das Basquiat auch in der großen Papier-

collage Jesse von 1983 (Abb. 3.1) wiederholt, nennt den ersten gefallenen Amerikaner

im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Crispus Attucks (1723?-1770) war ein Ex-

Sklave, der 1770 beim "Massaker von Boston", dem ersten bewaffneten Aufstand gegen

die Engländer, getötet wurde. Die große Bedeutung seines Todes für die Afro-

Amerikaner liegt im Zusammenhang zwischen dem Kampf der amerikanischen Kolonien

gegen England und dem Status der Schwarzen im Amerika des 18. Jahrhunderts.416

Denn daß der Kampf um die Freiheit und Unabhängigkeit der amerikanischen Kolonien

ausgerechtet von einem entlaufenen Sklaven angeführt wurde, fanden die Kolonisten

bemerkenswert und wandten sich im folgenden daher gleichzeitig gegen England und die

Sklaverei.417

Um die englischen Truppen besiegen zu können, verbündeten sich die amerikanischen

Kolonien 1778 mit Frankreich, dem Erzfeind Englands. Mit Hilfe der französischen

Truppen unter Jean-Baptiste-Donatien Rochambeau konnte George Washington

414 Propyläen, Bd. 7, 444.415 Propyläen, Bd.7, 526. George Mason (1725-1792), den Basquiat in der fünften Zeichnung der unte-ren Reihe mit GEORGE MASON nennt, hat beim "Stamp Act" von 1765 einen offenen Brief an dieLondoner Händler geschrieben, in dem er die Position der amerikanischen Kolonisten erklärt und damitversuchte, ihre Unterstützung zu gewinnen. Zudem schrieb George Mason Virginias "Declaration ofRights", die eine Vorlage für Thomas Jeffersons Unabhängigkeitserklärung wurde. George Mason giltals die amerikanische Verkörperung der Aufklärung.416 Franklin, 101.417 Franklin, 101.

110

schließlich den britischen General Lord Cornwallis 1781 in Yorktown, Virginia zur

Übergabe zwingen und damit den Krieg zugunsten Amerikas entscheiden. Basquiat

nennt den Abschluß des Unabhängigkeitskrieges in der fünften Zeichnung der unteren

Reihe mit THE FRENCH COMMADER ROCHAMBEAU AND WASHINGTON

PREPARE THE ATTACK ON WE PEOPL YORKTOWN. Im Frieden von Versailles

(1783), den Basquiat mit dem links darüber geschriebenen VERSAILLES nennt, gewan-

nen die dreizehn Kolonien Englands ihre Unabhängigkeit. Nach Englands Niederlage in

Yorktown mußte Lord North 1782 zurücktreten und George III. ein friedensfreundliches

Kabinett einberufen. Die Teilnahme Frankreichs am amerikanischen Unabhängigkeits-

krieg hingegen führte zum Bankrott der Bourbonenmonarchie und löste die Französische

Revolution aus.418

Mit dem über THE FRENCH COMMADER ROCHAMBEAU AND WASHINGTON

PREPARE THE ATTACK ON WE PEOPL YORKTOWN stehenden ARTICLE ONE

verweist Basquiat auf den ersten Artikel der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung

von 1776: "We hold these truth to be self-evident, that all men are created equal, that

they ..... certain Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness".

Die Idee der Gleichheit aller Menschen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung

wurde auch zum Grundgedanken der Französischen Revolution, auf die Basquiat auf der

siebten Zeichnung der dritten Reihe mit der Nennung von ROBESSPIERRE und THE

ROYAL FAMILY FLED FROM PARIS IN JUNE 1791 verweist. Auf der fünften

Zeichnung der unteren Reihe konnotieren MARIE ANTOINETTE und LOUIS XVI die

Revolution.419 Die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, von den Jacobinern

durch die den in die Freiheit entlassenen römischen Sklaven gegebenen "phrygischen

Mütze" symbolisiert, führte letztendlich zum einzigen erfolgreichen Sklavenaufstand des

18. Jahrhunderts - der Revolution in Haiti. Haitianische Haussklaven hörten bei ihren

weißen Vorgesetzen von der Französischen Revolution und ihren Ideen und starteten

eine Revolte, die in der Unabhängigkeit Haitis endete. Es ist eine Ironie der Geschichte,

daß der von einem entlaufenen Sklaven initiierte amerikanische Unabhängigkeitskrieg

erst über einen sehr langen Umweg zur Sklavenbefreiung in den Vereinigten Staaten

führte.420

418 Propyläen, Bd. 8, 32.419 Die amerikanische Revolution wurde zum Vorbild der europäischen. So stand im Arbeitszimmer despolnischen Königs Stanislaus II (reg. 1764-95), den Basquiat in der dritten Zeichnung der oberen Reihemit STANISLAS PONITOWSKI -> KING OF POLAND nennt, eine Büste von George Washington(Propyläen, Bd. 8, 33). Die amerikanische Verfassung wurde zum Vorläufer der Französischen Verfas-sung, Thomas Jefferson selbst half in Paris 1789 bei der Formulierung der Erklärung der Menschen-rechte von 1789 (Propyläen, Bd. 8, 48, 53).420 Siehe das Kapitel 5.5 Die haitianische Revolution.

111

Basquiat spielt in Untitled aber auch ganz allgemein auf die Rolle der Schwarzen im

Europa des 18. Jahrhunderts an. So verweisen die Worte LEROSY -> LEPROSEY,

PEELING SKIN PEELING SKIN in der ersten Zeichnung der zweiten Reihe auf die

wissenschaftliche Meinung des 18. Jahrhunderts, daß die schwarze Haut eine angebo-

rene, aber heilbare Lepraerkrankung sei. Das darunter geschriebene SYPHLLISS hinge-

gen verweist auf die These des 19. Jahrhunderts, daß die Afrikaner nicht nur eine ange-

borene Lepraerkrankung haben, sondern durch ihr ausgeprägtes Sexualleben zudem

noch der Ursprung der Syphilis sind.

Mit dem eingekreisten PETRBRG. in der dritten Zeichnung der oberen Reihe sowie dem

unter dem aufgemalten Gesicht geschriebenen RUSSIA UNDER PETER THE GREAT

(Abb. 5.18) verweist Basquiat auf die Rolle Peters des Großen für die Einordnung des

Schwarzen im 18. Jahrhundert. Peter der Große wurde durch sein aufklärerisches Erzie-

hungsexperiment an dem Afrikaner Ibrahim Hannibal bekannt, der so gebildet war, daß

er von einem Frankreichbesuch mit einer Kiste von vierhundert Büchern zurückkehrte,

worauf das unter RUSSIA UNDER PETER THE GREAT stehende BOOKS OF

MEDICINE verweisen könnte.421

5.4. Die Flucht aus der Sklaverei

Die nächtliche Flucht in den freien Norden war für die Schwarzen die einzige Möglich-

keit, aus der Sklaverei zu entkommen. Diese Flucht führte durch die Wälder der Süd-

staaten und endete mit der Überquerung des Ohio, der die Grenze zwischen den Süd-

und Nordstaaten bildete. Auf diese nächtliche Flucht verweist Basquiat, wie bereits ge-

zeigt, in der Zeichnung Ascent von 1982/83 (Abb. 3.40). Auch in der Zeichnung Repli-

cas von 1982/83 (Abb. 5.21) spielen COTTON SLAVES© und NEGRO SPIRITUALS

zusammen mit der Sternenkonstellation auf die Flucht aus der Sklaverei an. Untitled von

1982 (Abb. 5.22) hingegen evoziert weniger codiert Bilder dieser nächtlichen Flucht.

Das Bild eines zähnefletschenden Hundes in Kombination mit einem nächtlichen Ster-

nenhimmel und der schematischen Zeichnung eines Flußes konnotiert die Bluthunde der

Sklavenhalter, die die Sklaven bis an den Fluß verfolgt haben (Abb. 5.23).422

421 Martin, 153.422 Martin 1988, 72f.

112

5.5 Die haitianische Revolution

Für die Geschichte der amerikanischen Sklaverei hat der von Toussaint L'Overture (ca.

1744-1803) angeführte Sklavenaufstand in Haiti eine entscheidende Rolle gespielt. Die

freien Schwarzen und Mulattoes Haitis waren von dem Gedankengut der Französischen

Revolution beeinflußt und begannen einen Aufstand, an dem sich im August 1791 auch

die Sklaven beteiligten, in dem sie die gleichen bürgerliche Rechte wie die französischen

Revolutionäre forderten.423 Zu dieser Zeit war Haiti die reichste Kolonie Frankreichs, die

Zucker, Kaffee, Baumwolle und Indigo produzierte; die Konditionen der Sklaven jedoch

waren die schlimmsten im ganzen Westen.

Toussaint L'Overture wurde als Sklave geboren, bekam eine Ausbildung durch seinen

Besitzer und übernahm danach die Verantwortung auf der Plantage. Er nahm 1791 an

dem durch den jamaikanischen Voodoo-Priester Boukman initierten Sklavenaufstand teil

und wurde zu dessen militärischem Organisierer. L'Overture besiegte die Franzosen,

Spanier und Briten und galt wegen seines großen militärischen Geschicks als der "haitia-

nische Napoleon".424 Er vereitelte Napoleons Pläne einer Ausweitung des französischen

Imperiums nach Amerika, denn Napoleon brauchte die billige Sklavenarbeit Haitis, um

seine Pläne für Louisiana zu realisieren. So kämpften die Franzosen gegen Touissant und

seine Truppen, besiegten ihn 1802 und brachten ihn nach Frankreich, wo er 1803 starb.

Napoleon konnte Haiti dennoch nicht erobern, denn nach L'Overture übernahm Jean-

Jaques Dessalines (1758-1806) das Kommando und besiegte schließlich die Franzosen.

1804 wurde die unabhängige Republik Haiti ausgerufen, die die einzige schwarze unab-

hängige Republik im Westen war.425 Napoleon verlor mit Haiti eine reiche Kolonie, gab

seine Pläne einer Erweiterung des Reiches auf und verkaufte im gleichen Jahr das Loui-

siana-Territorium an die Vereinigten Staaten.426 Diese dehnten ihren Baumwoll- und

Zuckeranbau und damit die Sklaverei auf Louisana aus, wo bereits 1810 die Afro-

Amerikaner den größten Bevölkerungsanteil stellten. Die haitianische Revolution (1791-

1804) war die einzige Rebellion in der Geschichte, die eine ganze Sklavenbevölkerung

befreite. Sie beeinflußte zwei große Sklavenaufstände in den amerikanischen Südstaaten,

intensivierte die Anti-Sklaverei-Bewegung und führte letztendlich 1807 zum Verbot des

Sklavenhandels in den Vereinigten Staaten.

423 Ihde, 33.424 Franklin, 64, 93, 121ff; Bennett, 120ff, 117ff.425 Hunt, Alfred: Haiti's Influence on Antebellum America. Baton Rouge 1988. James, C.L.R.: TheBlack Jacobines. Toussaint L'Overture and the San Domingo Revolution. O. Ort 1938.426 Bennett, 124.

113

In Untitled von 1982 (Abb. 5.24) thematisiert Basquiat mit dem gekrönten schwarzen

Gesicht und der Unterschrift HAITI. sowie mit NAPOLEON BONAPARTE VERSUS

L'OVERTURE die haitianische Revolution. In dem "Historiengemälde" Toussaint L'O-

verture Versus Savonarola von 1983 (Abb. 5.25) "portraitiert" Basquiat L'Overture

mit Schwert und einem schwarzen Napoleonhut als dem "haitianischen Napoleon" -

angelehnt an die Darstellungskonvention der haitianischen und afro-amerikanischen

Malerei (Abb. 5.26a). Auch für andere afro-amerikanische Künstler ist Toussaint L'O-

verture ein wichtiges Bildthema. So erzählt Jacob Lawrence in der Serie "Tousaint L'O-

verture" (Abb. 5.27) die Geschichte der haitianischen Revolution.427 In jüngster Zeit hat

Lyle Ashton Harris mit "Toussaint L'Ouverture" (Abb. 5.28) ein "zeitgemäßes Portrait"

L'Overtures geschaffen.

In Toussaint L'Overture Versus Savonarola (Abb. 5.26) ist dem Portrait L'Overtures

eine Papiercollage schwarzer Geschichte und Kultur gegenübergestellt. Die zwei linken

Bildtafeln sind mit Farbkopien beklebt, die Basquiat auch in anderen Bildzusammenhän-

gen verwendet. Die Geschichtszitate (HISTORY PART THREE) beginnen mit Ägypten

(BIRD OF GOD), setzen sich mit dem arabischen Helden A(n)TAR (unter einer Mond-

sichel)428 fort und zeigen den kongolesischen Herrscher EL KING ALPHONSO. Sie

erinnern mit ACTUAL SIZE NEGRO, NEGRO SPIRITUALS, dem schwarzen Träger

und COTTON an die Sklaverei und mit der Konstellation von ASCENT und POLE

STAR an die Flucht in den freien Norden.429 In der Nähe eines Kampfes zwischen einer

weißen und einer schwarzen Figur und der Unterschrift THE FINAL BATTLE findet

sich das Wort JUSTICE und eine Waage. Mit MALCOM X. VERSUS AL JOLSON

konfrontiert Basquiat einen weiteren schwarzen Helden mit dem durch die Filme Al Jol-

sons gefestigten Stereotyp des Blackfaceentertainers.

Die weiß/braune Bildfläche der dritten und die weiß/schwarze der sechsten Tafel gibt das

Grundthema dieser Arbeit an: die Konfrontation von schwarz und weiß. OHIO© ver-

weist auf den Fluß, der die Nord- und Südstaaten unterteilte, und dessen nächtliche

Überquerung die Sklaven in den freien Norden führte (Abb. 5.25).430 Mit

427 Siehe Driskell, David C.: The Toussaint L'Overture Series by Jacob Lawrence. Nashville 1968.428 Antar ist der bekannteste arabische Schwarze, ein legendärer Poet, Kämpfer und Liebhaber, der"Achilles der arabischen Illias" (Bennett, 12). Er war der Sohn einer schwarzen Sklavin und eines ara-bischen Aristokraten. In Antar von 1985 (Abb. 5.29) zeigt Basquiat den Helden auf einem "fliegendenTeppich".429 Dieselbe Anordnung der Worte findet sich in der Zeichnung Ascent von 1982/83 (Abb. 2.12), in derdie Flucht der Sklaven in den freien Norden thematisiert wird, wieder.430 Rampersad, 347.

114

SAVONAROLA 1452-1498© bezieht sich Basquiat auf dessen Rolle als Wissens-,

Kultur-, Antiken- und im weiteren Sinne Ägyptenfeind.

5.6 Der amerikanische Bürgerkrieg

Der amerikanische Bürgerkrieg (1861-1865) führte für die Sklaven durch Abraham Lin-

colns "Emancipation Proclamation" vom 1. Januar 1863 letztendlich zur Unabhängkeit.

Die Wortliste in Untitled von 1983 (Abb. 5.30) nennt mit CIVIL WAR© den Bürger-

krieg. In der Zeichnung Untitled von 1987 (Abb. 4.33) referieren die Worte VICTORY

1902 AUGUSTUS SAINT GARDENS, AMERICAN 1848 1907 auf die Beteiligung

der Schwarzen am amerikanischen Bürgerkrieg. Der weiße Augustus Saint Gardens

(1848-1907) ist als der Bildhauer des Monumentalfries "Robert Gould Shaw and the

Men of the Fifty-Fourth Massachussetts Infantry" von 1901 (Abb. 5.31) in die afro-

amerikanischen Geschichte eingegangen.431 Der Fries erinnert an die von dem weißen

General Shaw geführte rein schwarze Armeeeinheit des 54ten Massachussett Regiments,

die im amerikanischen Bürgerkrieg auf der Seite des Nordens kämpfte. In der Geschichte

der Teilnahme der freien Schwarzen am Bürgerkrieg nimmt der Angriff des 54th Massa-

chussetts Bataillons auf Fort Wagner, einem Symbol des konföderierten Widerstandes,

einen Höhepunkt ein. Die Courage der Truppe, die das als unbesiegbar geltende Fort

kurz eingenommen hatte, bewies den weißen Nordstaatlern den Kampfmut der Afro-

Amerikaner.432 In Untitled von 1987 (Abb. 4.33) referieren die Siegesgöttin und

VICTORY 1902 auf den Sieg der Nord- über die Südstaaten. In Jawbone of an Ass

von 1982 (Abb. 4.76) schließlich konnotieren LINCOLN, A., SLAVES und

EMANCIPATION PROC die "Emancipation Proclamation" Lincolns. LOUSIANA

PURCHASE erinnert noch einmal über einen Umweg an die haitianische Revolution.

431 Für diesen Hinweis danke ich Sigrid Ruby.432 Stewart, 200.

115

5.7 Die Reconstruction Era

Jim Crow von 1986 (Abb. 5.32) thematisiert die Rassentrennung in den Südstaaten.

"Jim Crow" war eine Namensübernahme des weißen Minstrelperformers Thomas Rice,

der in den 1830er Jahren schwarze Arten des Gehens, Redens und Kleidens parodierte

und dessen Jim Crow-Songs amerikanische Klassiker wurden (Abb. 5.33). "Jim Crow"

wurde zum Stereotyp urbanen schwarzen Verhaltens und ab 1838 zu einem Synonym für

"Negro".433 Erst im späten 19. Jahrhundert bezeichnet "Jim Crow" das System der ge-

setzlichen Rassentrennung, die 1896 mit dem Urteil Plessy vs. Ferguson und der Doktrin

"seperate but equal" begann.434 Die Jim Crow-Gesetze wurden erst durch die Proteste

des Civil Right Movements (Rosa Parks) in den Sechziger Jahren abgeschafft.

Die Wiederholung des Wortes MISSISSIPPI in Jim Crow verweist auf den Ort der

Rassentrennung, die interne Bildüberschrift JIM CROW läßt die "afrikanische" Figur zur

Personifikation Jim Crows werden und überlagert so stereotype afro-amerikanische und

positive afrikanische Repräsentation. Die Wiederholungen von MISSISSIPPI und ande-

ren Flüssen konnotiert Langston HUGHES berühmtes erstes Gedicht The Negro Speaks

of Rivers.435

Zur Zeit der Entstehung der Jim Crow Gesetze wurde Booker T. Washington (1856-

1915) mit seinem Erziehungskonzept des Tuskegee Institutes populär, das die Afro-

Amerikaner zu Handwerkern und Industriearbeitern, nicht aber zu Akademikern ausbil-

dete. Washingtons pragmatisches Konzept war es, Segregation und Diskriminierung

temporär zu akzeptieren, um später durch wirtschaftlichen Erfolg die Rassenbeziehungen

zu ändern. In Jesse von 1983 (Abb. 3.1) erinnert Basquiat mit BOOKER T. HOTEL an

den kontroversen Erzieher, der von DuBois als ein angepasster "Uncle Tom" scharf kri-

tisiert wurde.

5.8 "Back to Africa": Marcus Garvey

In den Zwanziger Jahren baute Marcus Garvey (1887-1940) die erste afro-amerikanische

Massenbewegung auf. Garvey hatte bereits 1914 in Jamaica eine Vereinigung gegründet,

433 Bennett, 256.434 Bennett, 509.435 Rampersad, 23.

116

die die Repatriierung der Schwarzen nach Afrika zum Ziel hatte und wanderte 1916 in

die Vereinigten Staaten ein (Abb. 5.34). 1920 hatte seine Bewegung, die U.N.I.A. (Uni-

versal Negro Improvement Association), dort bereits eine halbe Million Mitglieder.436 Im

Gegensatz zu den schwarzen Führern des 19. Jahrhunderts favorisierte Marcus Garvey

eine Rückkehr nach Afrika, weil er glaubte, daß die Afro-Amerikaner ohne einen eigen-

ständigen Staat niemals respektiert werden würden. Zu diesem Zweck gründete er die

Black Star Steamship Corporation, eine "black-owned" Schiffsgesellschaft, die seinen

Traum einer schwarzen Nation verwirklichen helfen sollte (Abb. 5.35). Er kaufte drei

Schiffe und verkaufte Aktienanteile an seiner Gesellschaft, die jedoch wegen Mißmana-

gements 1920 bankrott ging und somit keinen einzigen Afro-Amerikaner nach Afrika

transportierte. Die Masseneuphorie, die Marcus Garvey unter der schwarzen Bevölke-

rung Amerikas auslöste, gründete vor allem in seinem frühen Appell an den Rassenstolz,

den er durch Paraden, Uniformen, Titelvergabe und Zeremonien zu festigen suchte.437

Daß ihm heute trotz seines gescheiterten Unternehmens vor allem im Bereich der

schwarzen Populärkultur immer noch eine große Bedeutung beigemessen wird, hat zwei

Gründe: durch seine Gleichsetzung von afro-amerikanischer und afrikanischer Identität

wurde er neben DuBois zum Vater des Afrozentrismus, durch die Gründung rein

schwarzer Wirtschaftsunternehmen avancierte er zum Vorbild schwarzer Unterneh-

mer.438

Zeitgenössische afro-amerikanische Künstler wie David Hammons und Renée Cox ver-

wenden den Topos "Garvey" in ihren von schwarzer Identität handelnden Arbeiten

(Abb. 5.36, 5.37). Afrozentristische Rapgruppen wie Brand Nubian, X-Clan und die

Jungle Brothers zitieren in ihren Texten Marcus Garvey, die Black Star Line und die

schwarz-rot-grüne Flagge der U.N.I.A., deren Farben die Plattencover dieser Gruppen

dominieren. Auch in der Kunst der jamaicanischen Rastafaris nimmt Marcus Garvey und

seine Black Star Line eine zentrale Stellung ein.439 Basquiat selbst besaß ein Portrait

Marcus Garveys, das über das Bild eines Sklavendecks auf einem Sklavenschiff gedruckt

ist.440 In der Zeichnung 50 Cent Piece von 1982/83 (Abb. 6.133) thematisiert er Marcus

Garveys Vision einer Rückkehr in die "Heimat" durch die Alliterationen seines Mottos

BACK TO AFRICA, die von Garveys linkem Auge in die Richtung des Kongo-

436 Franklin, 402.437 Berry, 410.438 Berry, 410.439 Bender, 16.440 Dieses Portrait gehört zu der Sammlung Basquiats, die nun im Besitz des Basquiat-Estates ist (In-ventarnr. GARV-0001). Einige Werke davon sind katalogisiert, die meisten jedoch nicht. All dieseArbeiten sind bislang der Öffentlichkeit nur in einem sehr beschränkten Maße zugänglich.

117

Kosmogramms führen. Der BLUE RIBBON weist auf Garveys Vorliebe für Uniformen

und Paraden hin: mit seiner pseudomilitärischen Truppe, der African Legion, paradierte

er in roten und blauen Uniformen durch Harlem.441 Wenn auch Basquiat Marcus Garvey

nicht in einer blau-roten Uniform, sondern inmitten eines gelben Farbfeldes zeichnet, so

konnotiert das Blau und der BLUE RIBBON zusammen mit der roten Schrift die Farben

der Uniformen. Die Farbkombination gelb-rot-grün symbolisiert Afrika, die Farbkombi-

nation des verbalen (schwarz, rotbraun) und nonverbalen Registers (grün) die schwarz-

rot-grüne Flagge der U.N.I.A.

Basquiat verbindet in 50 Cent Piece die Repatriierungsbewegung Marcus Garveys mit

der alttestamentarischen Figur Noahs. Da Noah mit der Arche der untergehenden Welt

in eine bessere neue Welt entfliehen konnte, wurde er zu einer wichtigen Identifikations-

figur der Sklaven.442 In dieser Tradition stehend, halten die heutigen Afrozentriker Noah

für negroid: der African Heritage Bible zufolge sind sowohl Noah und seine Frau als

auch deren drei Söhne Shem, Ham und Japheth schwarz gewesen, folglich waren auch

die Menschen, die nach der großen Flut auf der Erde lebten, afrikanischen Ursprungs.443

Während Noah selbst in 50 Cent Piece nicht erwähnt wird, erscheint das Wort ARK in

unzähligen Variationen und Dekonstruktionen im verbalen Register. Den reduzierten

Darstellungen der vier Archen sind die "lexikalischen Bezeichnungen" WOOD und

PITCH zugeordnet, die zusammen mit THE ARK WAS THREE HUNDRED CUBITS

LONG/ MADE MOSTLY OF WOOD AND PITCH die Beschreibung der Arche in Ex-

odus 6, 14-15 stichwortartig referieren. Durch das Ausstreichen der Buchstaben H und

R wird aus THE ARK an zwei Stellen TEAK, was auf die spezifisch afrikanische Provi-

nienz der Arche verweist!444 Die Archen werden mit DIAGRAM OF THE NAVAL

STRUCTURE als Schiffsflotte bezeichnet. In Verbindung mit CZARS OF RUSSIA

verweist Basquiat damit auf die Ostseeflotte Peter des Großen, der im afro-

amerikanischen Kontext für sein aufklärerisches Erziehungsexperiment des "exemplari-

schen Wilden" Ibrahim Hannibal zu einem "europäischen Bürger" bekannt ist.445 Die

Reihung der Archen in Verbindung mit der Ostseeflotte Peter des Großen und dessen

441 Bennett, 355.442 Spalding, 336; Levine, 50.443 African Heritage Bible, 10.444 Teak ist ein tropisches Holz, das im Schiffbau verwendet wird. Es handelt sich nicht um das inGenesis 6, 14 erwähnte "Tannenholz" (das in der englischsprachigen Bibel mit "cypress" oder "gopherwood" übersetzt wird), aus dem Noah die Arche baute.445 Martin, 303 f; siehe auch Abb. 5.32.

118

Verbindung zu Afrika via Hannibal verweisen schließlich zurück auf das zentrale Bild-

thema: die Black Star Line Marcus Garveys.

5.9 Afro-amerikanische Sportler als Volkshelden

Die Siege der afro-amerikanischen Boxer Jack Johnson und Joe Louis, die Errungen-

schaften des Baseballspielers Jackie Robinson, der Olympiasieg des Leichathleten Jesse

Owens und die Instrumentalisierung des Sportes für politische Gesten durch Muhammad

Ali, Tomie Smith und John Carlos zählen zu den Meilensteinen afro-amerikanischer Ge-

schichte.

Der Boxkampf zwischen schwarzen und weißen Boxern fungierte zu Beginn des

20. Jahrhunderts als ein Stellvertreterkampf der Rassen. Zu einer Zeit, in der ein schwar-

zer Amerikaner noch gelyncht wurde, wenn er einen weißen Mann verprügelte, war der

physische Sieg eines Schwarzen über einen Weißen eine das afro-amerikanische Selbst-

bewußtsein ungemein stärkende Sache. Im Bildvokabular Basquiats funktioniert der

Boxkampf daher als ein Synonym für den Rassenkampf zwischen schwarz und weiß.446

In dem "Historienbild" Jawbone of An Ass (Abb. 4.76) dient der im Comicstil gezeich-

nete Boxkampf zwischen einer schwarzen und einer weißen Figur als parallele Metapher

für die Auseinandersetzungen zwischen dem antiken schwarzen Afrika und dem weißen

Europa. Die schwarze Comicfigur schlägt die weiße, so wie Hannibal Rom ernsthaft

herausgefordert hat. Die Zeichnung Boxer Rebellion (Abb. 5.38) verbindet den Kampf

der schwarzen Boxer gegen das weiße rassistische Amerika (SUGAR RAY

ROBINSON) mit dem antiimperialistischen chinesischen Boxeraufstand von 1900/1901

(CHINESE (BOXER) REBELLION©).

Basquiat hat einigen der wichtigsten afro-amerikanischen Boxern eine eigene "Portrait-

reihe" gewidmet. Jack Johnson, Untitled (Sugar Ray Robinson), Cassius und Jersey

Joe von 1982 bilden eine Serie einzelner comicartig gezeichneter "Boxerportraits". Jack

Johnson, Sugar Ray Robinson und Jersey Joe Walcott tragen als "kings" eine Krone,

während Cassius Clay einen betont großen Mund hat (Abb. 5.39, 5.41, 5.42, 5.43).

Die beiden Schwergewichtsboxweltmeister Jack Johnson und Joe Louis waren zu An-

fang des Jahrhunderts Volkshelden der Schwarzen, die stellvertretend für alle Afro-

Amerikaner siegten. Beide Boxer feierten ihren "racial triumph" auf weißem Terrain 446 Siehe dazu auch hooks In: Art in America, 73.

119

nach weißen Regeln und standen ebenso wie Basquiat als "einsame schwarze Männer"

inmitten einer weißen Gesellschaft, die sie mit ihren eigenen Waffen schlugen. Jack John-

son wurde 1915 durch seinen Sieg über Jim Jeffries der erste schwarze Schwergewichts-

Weltmeister in der bis dahin von Weißen dominierten Boxwelt, Joe Louis 1937 mit sei-

nem Sieg über James J. Braddock der zweite. Jack Johnson provozierte den Haß der

Weißen nicht nur durch seine körperliche Überlegenheit, sondern vor allem durch seinen

Lebensstil: er hatte eine weiße Frau, weiße Geliebte, fuhr schnelle Sportwagen und trug

teure Kleider, ein typischer schwarzer Hipster, wie er heute durch den Typus des glatz-

köpfigen Rappers verkörpert wird. Sein Sieg über den weißen Jim Jeffries hatte in den

Vereinigten Staaten zu schweren Rassenunruhen geführt, bei denen der weiße Mob in

New York, Ohio und Missouri Schwarze angriff und tötete.447 Basquiat zeichnet John-

son in Jack Johnson von 1982 (Abb. 5.39) mit schwarzem Gesicht und erhobenem

Arm, der sowohl seinen Sieg als auch den Black Panther-Gruß konnotiert. Das "rolemo-

del" Jack Johnson wird von vielen afro-amerikanischen Künstlern der Sechziger Jahre

dargestellt (Abb. 5.40).

Die Siege von Joe Louis waren in den späten Dreißiger Jahren Anlaß zu Straßenfeiern in

den schwarzen Vierteln der amerikanischen Großstädte. Sein Sieg galt als kollektiver

Sieg seiner Rasse und gab den Afro-Amerikanern zusammen mit Jesse Owens Sieg bei

der Berliner Olympiade von 1936 das wohl größte Maß an Selbstvertrauen nach Marcus

Garveys Straßenparaden der Zwanziger Jahre.448 1935 besiegte Joe Louis den Italiener

Primo Carnera, was als Triumph über das faschistische Italien gefeiert wurde, das sich

den Zorn der Afro-Amerikaner zuzog, da es das schwarze Äthiopien erobert hatte. Lou-

is' Sieg über den Deutschen Max Schmeling 1938 wurde als Schlag gegen die nazisti-

schen Rassentheorien der Deutschen gefeiert.449 St. Joe Louis Surrounded by Snakes

von 1982 (Abb. 5.44) zeigt den in der "black community" "heiligen" Joe Lewis in der

Ecke des Boxrings sitzend umgeben von weißen Gesichtern. Die Zeichnung Napoleonic

Stereotype Circa von 1983 (Abb. 6.54) referiert mit BOXEO, SCHMELLING, MAX,

JOE LOUIS, ©1936 KING HECTORS SYNDICAT auf Joe Louis' Niederlage gegen

Max Schmeling in ihrem ersten Kampf 1936.

Cassius Clay, der sich nach seiner Konvertierung zum Islam Muhammad Ali nannte, hat

sich in der Tradition von Jack Johnson und Joe Louis als Sprachrohr und Leitbild der

Afro-Amerikaner gesehen. Die Ankündigungen seiner Boxkämpfe dienten der Promoti-

447 Levine, 432.448 Levine, 434; Bennett, 364.449 Levine, 436.

120

on afro-amerikanischen Stolzes. Der extrem groß gezeichnete Mund in Cassius von

1982 (Abb. 5.42) referiert auf ihn als einen der ersten Rapper, der seine Gegner mit sei-

nem angeberischen Motto "I am the greatest" vor allem verbal besiegt.450

Jackie Robinson war als Star der Brooklyn Dodgers 1947 der erste Schwarze in der bis

dahin rein weißen Baseball-Liga und wurde damit zu einem weiteren schwarzen Volks-

helden. Die Zeichnung Untitled von 1982 (Abb. 6.66) nennt die BROOKLYN

DODGERS und JACKIE ROBINSON und führt mit JOE LOUIS VS. BILLY LONN©

1941, JOE FRAZER VS. MUHAMMAD ALI, ROCKY MARCIANO VS. JERSEY

JOE WALCOTT etc. eine Liste wichtiger Boxkämpfe auf.

Zur gleichen Zeit wie Joe Louis wurde auch Jesse Owens zu einem Symbol des

"Rassenstolzes" und des Sieges über Nazi-Deutschland. Jesse Owens gewann in ver-

schiedenen leichtathletischen Disziplinen Goldmedaillen und wurde damit zum Star der

Berliner Olympiade von 1936. Hitler gratulierte Jesse Owens jedoch nicht bei der Me-

daillenverleihung, sondern verließ vorzeitig das Stadion.451 Jesse Owens verweigerte

seinerseits den Hitlergruß und provozierte dadurch einen Skandal.452 Dark Race Hor-

se/Jesse Owens 1936 von 1983 (Abb. 5.45) nennt mit JESSE OWENS, 1936

OLYMPICS, BERLIN die Teilnahme von Jesse Owens an den Olympischen Spielen

1936. Die an den Knöcheln angebrachten "Hermesflügel" verweisen auf die pseudowis-

senschaftlichen Erklärungsversuche der Nazis, die Jesse Owens Siege in die Bahnen ihrer

Rassenideologie lenken wollten. Schwarze hätten eine abnormale Muskelbildung, die

sich von der der Weißen grundsätzlich unterscheide. Zudem hätten sie eine verlängerte

Ferse, die ihnen besondere Sprungkraft und somit einen unfairen Vorteil gebe.453 Es

wurde daher gefordert, künftige Olympiaden in zwei Sektionen für Weiße und Schwarze

zu teilen! Die körperliche Überlegenheit der Schwarzen im Bereich des Sports wurde

von der nazistischen Rassentheorie zum Anlaß genommen, eine Differenz zwischen den

Rassen zu konstituieren, die die Schwarzen, wie bereits im wissenschaftlichen Diskurs

des 18. Jahrhunderts, wiederum außerhalb des Bereiches des Menschlichen situierte.454

In Jesse von 1983 (siehe Abb. 3.1) referiert Basquiat durch die Dekonstruktionen des

Kopfes und des Körpers sowie den Hinweisen auf geistige Unterlegenheit (MULE,

450 Jones, 34.451 Schmeling, 375.452 Pieterse, 150.453 Pieterse, 149. Siehe auch Big Snow von 1984 (Navarra, 176).454 Hoberman, 166.

121

DONKEY), Animalität (LEFT PAW, RIGHT PAW)455 und evolutionäre Rückständig-

keit (FOSSIL) auf die pseudowissenschaftlichen Untersuchungen der Nazis. Die Nen-

nung von KRYPTONITE, dem "Gestein", mit dem der Comicheld Superman seiner

übernatürlichen Fähigkeiten beraubt werden kann, und von POPEYE VERSUS THE

NAZIS sowie BRUN BELIEV SPINAC IS POIS (Spinat ist die Kraftnahrung der Co-

micfigur Popeye) in der rechten oberen Bildhälfte ist zudem ein ironischer Kommentar

auf die angeblichen Wunderwaffen der schwarzen Sportler.

5.10 Die Sechziger Jahre

Basquiats Zitieren afro-amerikanischer Geschichte endet mit den Sechziger Jahren. Wir

finden wiederholte Referenzen an Malcolm X, den Sprecher der schwarzen nationalisti-

schen Nation of Islam. Basquiat konfrontiert in seinen Arbeiten diesen wohl militantesten

Sprecher eines schwarzen Nationalismus im 20. Jahrhundert durchgängig mit AL

JOLSON, dem jüdischen Blackfaceentertainer der Dreißiger Jahre.456

Die Zeichnung eines mit BLACK POWDER beschrifteten "Pulverfaßes" in Untitled von

1984 (Abb. 4.34) spielt auf die "Explosivkraft" der Black Power Bewegung der Sechzi-

ger Jahre an. Dieses Motiv findet sich durchgängig in Basquiats Arbeiten collagiert wie-

der (Abb. 4.71, 4.72, 4.73).

Die geballte Faust des Black Power Grußes ist in der politischen Kunst des Black Arts

Movement zu einem festen Bestandteil der Ikonographie geworden (Abb. 5.62, 5.63). In

Jesse von 1983 (Abb. 3.1) referiert Basquiat mit der im Comiccode gezeichneten Faust

(DYNAMIC, COLORED PEOPLE, zweiter erhobener Arm) in der Nähe von Haken-

kreuz und JESSE OWENS auf den provokanten Black Panther Gruß der Leichtathleten

Tommie Smith und John Carlos bei der Siegerehrung der Olympischen Spiele 1968 in

Mexiko (Abb. 5.64). Denn war die Verweigerung des Hitlergrußes durch Jesse Owens

ein Skandal, so führte die politische Geste der beiden Sportler zu derem Ausschluß aus

dem olympischen Team.457

455 PAW verweist in einer ironischen Umkehr auf das Zeichen der schwarzen Pfote für die Black Pan-ther Bewegung. Die schwarze Pfote und die geballte Faust (in schwarzen Lederhandschuhen) wurde zurdie schwarze Emanzipation symbolisierenden Geste.456 Siehe Tuxedo, Abb. 4.32a; Toussaint L'Overture Versus Savonarola, Abb. 5.38a.457 Pieterse, 49.

122

Die Zeichnung Untitled von 1985 (Abb. 5.65) zeigt, gegen was sich der Black Panther

Gruß in den Sechziger Jahren gerichtet hat: gegen die rassistische Identitätszuschreibung

als "Heel". In Catharsis von 1982 (Abb. 5.66) stellt Basquiat die geballte Black Panther

Faust in der linken Bildhälfte einer Faust mit der Beschriftung SUICIDE ATTEMPT. in

der rechten Bildhälfte gegenüber. Die Strichlinie am Handgelenk würde im "echten Le-

ben" zum Tod führen und erinnert Greg Tate daher an das tödliche Risiko der Flucht aus

der Sklaverei.458 Bei einer Durchtrennung "auf dem Papier" jedoch wird auch diese ge-

ballte Hand zu einer Black Panther Faust und damit zu einem Symbol, das sich gegen die

seit der Sklaverei andauernde Unterdrückung der Afro-Amerikaner richtet. Auch hier

vereint Basquiat also zwei sich konträr gegenüberstehende Konzepte.

458 Tate, 240.

123

6. Die Repräsentation des "Schwarzen" im Werk Basquiats

Basquiat thematisiert in seinem Werk die komplexe Problematik der Repräsentation der

Afro-Amerikaner in der amerikanischen Populärkultur und der europäischen Kunst und

Wissenschaft. Sein Umgang mit der rassistischen Repräsentation der Schwarzen situiert

sich zwischen der "Wiedergutmachungs-Repräsentation" eines Großteils der afro-ameri-

kanischen Kunst vor ihm und dem durch ein "Re-Präsentieren" der rassistischen Stereo-

typen betriebenen Dekonstruktionen durch zeitgenössische Künstler wie Glenn Ligon,

Carrie Mae Weems oder Michael Ray Charles.459 Basquiat bezieht sich in seinen Arbei-

ten in einer zumeist codierten Form auf eine Tradition der fast ausschließlich negativen

Repräsentation des Schwarzen von der europäischen Kunst des 16. Jahrhunderts bis zur

amerikanischen Werbung des 20. Jahrhunderts. 460

6.1 Die Parallelität von Identitäts- und Signaturproblematik

In den meisten Arbeiten Basquiats sucht man die Signatur vergeblich; sie suggerieren

den Platz einer heterogenen Öffentlichkeit, transponieren die bemalte Graffitiwand ins

Bild. Dadurch setzt Basquiat eine wichtige historische Konvention des Tafelbildes außer

Kraft: das semantische Feld der Signatur im rechten oder linken unteren Bildwinkel ist

nicht mehr mit einer Künstlersignatur im herkömmlichen Sinn versehen. Stattdessen si-

gniert Basquiat seine Arbeiten seit 1982/83 auf der Rückseite mit "Jean-Michel-

Basquiat".461 Die Vorderseite bleibt frei für eine Bildgestaltung, die das Problem der

Signatur und damit der Anwesenheit des Künstlers im Bild auf andere Weise löst.

Um dieses Vorgehen zu verstehen, muß man an die Anfänge von Basquiats künstleri-

scher Arbeit zurückgehen. Wie bereits erwähnt, hat Basquiat sich als Graffitischreiber

ein Pseudonym zugelegt, sich eine neue Signatur konstruiert: SAMO©. Die Ambivalenz

dieses Wortes zwischen der rassistischen Projektion "Sambo" und der Ablehnung eben

dieses Rassismus durch den Ausdruck "same old shit" kann als Grundkategorisierung

seiner Identität als afro-amerikanischer Künstler gelten.

459 Der Begriff der "Wiedergutmachungs-Repräsentation" ist von Solomon-Godeau übernommen (In:Mistaken, 27).460 Zur Repräsentation des Schwarzen in der westlichen Kunst sind bislang nur vier Bücher erschienen.Bugner, Ladislas (Hrsg.): The Image of the Black in Western Art. 4 Bde. Cambridge u.a.: Harvard Uni-versity Press 1976-1989. Kunst, Hans-Joachim: The African in European Art. Bad Godesberg 1967.Mark, Peter: Africans in European Eye. New York 1976. Locke, Alain: The Negro in Art. Washington1940.461 Kertess In: Marshall, 52.

124

Jede Art von Graffiti ist untrennbar mit der Signatur verbunden, ihre Substanz ist die

Unterschrift, die Spur des Selbst im öffentlichen Raum. In der Graffiti der afro-ameri-

kanischen und puertoricanischen Jugendlichen in New York ist der "tag" (ein slang-Wort

für "Signatur") zumeist ein frei gewähltes Pseudonym, das laut Kohl die neugeschaffene

Identität seines Schreibers publik machen soll.462 Kohl stellt die Bedeutung dieser Na-

mensgebung und seiner öffentlichen Proklamation an den Hauswänden New Yorks in

den Kontext der Namensproblematik der Afro-Amerikaner. Diese betrachten ihre bür-

gerlichen Namen als die ihnen von den weißen Sklavenhaltern gegebenen.463 Die Sub-

stitution dieser Namen bedeutet für sie somit das Ablegen einer fremdbestimmten und

die Konstruktion einer neuen, selbstgeschaffenen Identität. Die wohl bekannteste dieser

Namensumwandlungen hat Malcolm X, der Sprecher der nationalistischen Nation of

Islam in den Sechziger Jahren, vorgenommen. Malcolm X hat seinen bürgerlichen Nach-

namen "Little" durch ein "X" ersetzt. Das "X" steht bei den Mitgliedern der Nation of

Islam als Zeichen für den Übergang von einer repressiven weißen Identitätszuweisung

hin zu der Schaffung einer selbstbestimmten Namensgebung. Die Leerstelle des "X" hat

Malcolm X nach seiner Konversion zum islamischen Glauben durch seinen neuen Namen

El Hadji Malik El Shabbaz gefüllt. Kohl spricht bei der Wahl von Graffiti-Pseudonymen

ebenfalls von einer Art religiöser Konvertierung der afro-amerikanischen und puertorica-

nischen Jugendlichen.464 Diese in der afro-amerikanischen Kultur seit den Sechziger Jah-

ren bestehende Tradition einer positiven Neudefinition über die Namensgebung setzen

die Pseudonyme der Graffitikünstler in den Achtziger Jahren fort: Ramm-El-Zee, Futura

2000, Taki 183, Seen, Krash. Auch die Künstlernamen von HipHop-DJs und Rappern

wie Grandmaster Flash, KRS-One, Mad Scientist, Professor X etc. stehen in der Traditi-

on dieser Neubenennung. Basquiats Pseudonym SAMO© tut dies jedoch gerade nicht.

In dem Namen SAMO© ist sowohl die repressive Identitätszuweisung der Sklavenhalter

- "Sambo" - als auch die Ablehnung des weißen Rassismus - "same old shit" - integriert.

Basquiat markiert sein Ende als Graffitischreiber mit dem Slogan SAMO© IS DEAD.

Doch wer lebt? In den Arbeiten von 1981 läßt sich eine intensive Auseinandersetzung

Basquiats mit dem Problem des Signierens beobachten. Die untere Bildhälfte wird zum

Testfeld einer Reihe von möglichen Signaturen: SAMO©, SSSS, S, ©, JEAN MICHEL,

JEAN MICHEL BASQUIAT, die die verschiedenen Identitäten des Künstlers verkör-

pern. So verschwindet in Basquiats Arbeiten die Signatur als das konventionelle Zeichen

462 Kohl In: Kochman, 117.463 Kohl In: Kochman, 120.464 Kohl In: Kochman, 120.

125

des Autors im Bild zugunsten einer Autorschaft, die sich nur noch an den immer wie-

derkehrenden disparaten Bildelementen ablesen läßt. Als Spuren des Autors ziehen sich

Einzelzeichen wie der Buchstabe "S", die Krone, das Trademark-Zeichen und vor allem

das Copyright-Zeichen durch sein Werk.

In ganz wenigen Bildern nur versucht sich Basquiat in der Unterschrift seines vollen bür-

gerlichen Namens, der die französische Amtsprache und ehemalige Kolonialherrschaft

Haitis konnotiert. In Cadillac Moon von 1981 (Abb. 6.1) und der Zeichnung Untitled

von 1981 (Abb. 6.2) kontrastiert er die Identitäten von Graffiti-Pseudonym und gegebe-

nen Namen. Bei Cadillac Moon ist in der unteren Bildzeile von links nach rechts

SAMO© (durchgestrichen!) - AARON - JEAN.MICHEL BASQUIAT 1981 in roten

Großbuchstaben zu lesen: Der Graffitischreiber SAMO© ist tot, der Maler JEAN-

MICHEL BASQUIAT lebt. Die Kontinuität des Übergangs von der Identität des Graffi-

tischreibers zu der des "etablierten" Künstlers wird durch die gleiche Schriftart gewähr-

leistet: Basquiat schreibt seinen bürgerlichen Namen nicht etwa in einer persönlichen

Schreibschrift, sondern in derselben anoynymen Großdruckbuchstabenschrift wie sein

Graffiti-Pseudonym.

Die gleiche Abfolge von Graffiti-Pseudonym und bürgerlichem Namen findet sich auch

in der Zeichnung Untitled (Abb. 6.2). Doch anstellte von SAMO© lesen wir nun in vier

aneinandergereihten Kästchen nur noch SSSS, eine Reduzierung des Wortes auf seine

Anfangsbuchstaben, die von Respa Crespa (Abb. 6.4; SAMO in vier einzelnen Kronen)

übernommen ist. Basquiats Graffiti-Pseudonym beginnt sich zu fragmentarisieren: In-

itiale und Vierzahl sind nur noch die Spur SAMOs. In der Zeichnung Untitled ist die

Schrift vager und unbestimmter geworden, eine selbstbewußte Künstlersignatur im Sinne

von "feci" kann man das schwache, Buchstabe für Buchstabe geschriebene JEAN

MICHEL BASQUIAT kaum nennen. Die Brüchigkeit der Schrift zeugt nicht von einer

Identifizierung Basquiats mit seinem französischen Namen. Eine Fortsetzung der Frag-

mentarisierung von SAMO über SSSS hin zu einer Vielzahl von in Kästchen verteilten

Initialen findet sich in Six Crimee von 1982 (Abb. 6.3). Dieses Bild markiert den Über-

gang vom Wort zum Einzelbuchstaben, danach findet sich das Graffiti-Pseudonym

SAMO in Basquiats Arbeiten nur noch als der Buchstabe "S", dessen Kennzeichnung das

Setzen in ein Häuschen (eine übliche Form des Graffiti-"taggings") und in ein Dreieck

(Überlagerung mit dem Zeichen der Comicfigur Superman) sowie alle an eine Schlange

erinnernden S-Formen sind.

126

In Respa Crespa von 1982 (Abb. 6.4) schließlich besetzt das Copyright-Zeichen als

äußerste Verdichtung der Künstlersignatur deren semantisches Feld, die rechte untere

Bildecke. Mitten in den Bildtext eingebettet findet sich im linken Bildbereich ein vertikal

geschriebenes SAMO, dessen vier einzelne Buchstaben je eine kleine Krone ausfüllen:

eine Fusion der "tags" von SAMO und Krone.465 Respa Crespa markiert das Ende von

Basquiats Testphase: zwar wird die Abfolge von Graffiti-Pseudonym und Künstlersi-

gnatur noch beibehalten, gleichzeitig aber der bürgerliche Name durch das Copyright-

Zeichen ersetzt.466

Basquiat setzt das Copyright-Zeichen in seinen Arbeiten hinter bestimmte rekurrente

Worte und Phrasen, was als Deklaration eines imaginären Eigentums zu lesen ist. Worte,

die so gekennzeichnet sind, haben eine bestimmte Bedeutung für den Autor, sind als sein

"Werk" markiert. Nun ist Basquiat zwar der Produzent dieser Worte als Signifikanten

des Bildes, nicht aber der Produzent ihrer Signifikate. Diese eignet er sich vielmehr sym-

bolisch an, reklamiert ihre Bedeutung und ihre Konnotationen für sich. Das Copyright-

Zeichen markiert die "appropriation",467 die "monopolizing personal usurpation" Bas-

quiats.468 Basquiats Methode des Signierens als dem Aneignen von etwas bereits Exi-

stentem wird so zu einem performativen Akt, gewinnt erst durch die Differenz zum übli-

chen Signierschema an Bedeutung. Doch was eignet sich Basquiat an? Eine Auflistung

der am häufigsten und am markantesten mit "©" bezeichneten Worte ergibt eine auf-

schlußreiche Gliederung: Es handelt sich fast ausschließlich um Substantive, um Namen,

Dinge und Orte. Was bezeichnet ein Name und wer vergibt Namen? Der Name soll ein

Äquivalent des Bezeichneten sein, eine größtmögliche Ähnlichkeit mit ihm haben, iden-

tisch mit ihm sein. Namen werden durch ein diskursproduzierendes Subjekt vergeben,

das sich die Welt aneignet, indem es sie in Sprache faßt. Benennung bedeutet also Klas-

sifizierung, Klassifizierung die Zuweisung von festgelegten Identitäten durch die Spra-

che. Basquiat erinnert mit der Niederschrift von den Schwarzen zugewiesenen Namen an

diese Macht des Bezeichnens, der Differenzierung von Subjekt und Objekt durch den

Akt der Namensgebung. Seine ihm zugewiesenen Objektbezeichnungen sind europä-

isch/amerikanische Konstruktionen des "Anderen". 465 Die Krone ist im Graffiticode das Zeichen für "King of the Line", für den anerkanntesten Graffiti-künstler.466 Die Rekurrenz des Copyright-Zeichens wurde von verschiedenen Autoren (Kertess In: Marshall, 50;Ricard In: Artforum, 37; Thompson In: Haenlein 1986, 14; Pellizzi, o. S.) beschrieben und interpretiert,den interessantesten Zugang bietet Pellizzi. Die Autoren sind sich in der Bedeutung des Zeichens alsSignifikant von "Urheberschaft" und "ownership" einig, eine Untersuchung der Verbindung der Wortemit dem Copyright-Zeichen sowie ein In-Bezugsetzten zu dem Problem der Signatur ist jedoch bishernicht erfolgt.467 Pellizzi, o.S..468 Ricard In: Artforum, 37.

127

Basquiat präsentiert sein "Ich" als ein vorwiegend aus weißen Projektionen bestehendes

historisches Produkt: DETAIL OF MAID FROM "OLYMPIA"©, NAPOLEON

STEREOTYPE AS PORTRAYED CA. 1940-45 HOLLYWOOD©, SAPPHIRE©,

HOLLYWOOD AFRICANS©, AL JOLSON©, MONOPOLY HAT©, NERO©,

EIGHTBALL©, FOOL©, MONKEY©, BABOON©, THE DEVIL©, WALKING

EGGSHELLS©. Aber auch Orte, Personen und Attribute afrikanischer und afro-ameri-

kanischer Geschichte sind mit dem Copyright-Zeichen markiert: THE DARK

CONTINENT© SLAVE SHIPS©, OHIO©, MISSISSIPPI RIVER©, BROOKLYN©,

OBNOXIOUS LIBERALS©, MARCUS GARVEY©, MALCOM X©, LANGSTON

HUGHES©, AARON©, LESTER YOUNG©, MUTED TRUMPET©, JAZZ

EMBRYO©, EARLY SOUND FILM©, SUGAR©, SUGAR CANE INC.©,

COTTON©, TOBACCO©, TAR©.

Basquiats Signatur in seinen Arbeiten seit 1982 ist also nicht die einheitliche selbstbe-

wußte Künstlersignatur des "feci", sondern die des "das bin ich", "das alles sind meine

Namen". In einer Fortsetzung der Ambivalenz seines Graffiti-Pseudonyms SAMO© hat

Basquiat sein "Ich" im Bild in einzelne disparate Fragmente zersplittert, die erst durch

die synthetische Lektüre des Rezipienten zu einer neuen, komplexen Identität re-

konstruiert werden müssen.

6.2 Basquiats Selbstportraits: "Invisible Men"

The black person is the protagonist in most of my paintings. I realized that I didn'tsee many paintings with black people in them.469

I am here since 350 years, but you haven't seen me. (James Baldwin)

I am an invisible man. No, I am not a spook like those haunted Edgar Allan Poe, noram I one of your Hollywood-movie ectoplasms. I am a man of substance, of fleshand bone, fiber and liquids - and I might even be said to possess a mind. I am invi-sible, understand, simply because people refuse to see me. Like the bodiless headsyou see sometimes in circus sideshows, it is as though I have been surrounded bymirrors of hard, distorting glass. When they approach me they see only my sur-roundings, themselves, or figments of their imaginiation - indeed, everything andanything ecxept me.470

469 Basquiat in einem Interview mit McGuigan In: The New York Times Magazine, 35.470 Ellison, 3.

128

Die ersten Sätze von Ralph Ellisons Roman Invisible Man (1953) beschreiben paradig-

matisch die Problematik der afro-amerikanischen Identität. Sich selbst unsichtbar fühlend

und im Roman nur als eine Stimme agierend, ist der namenlose Protagonist des Romans

auf der Suche nach seiner Identität. Invisible Man erzählt die Geschichte der Afro-

Amerikaner vom Süden der "Reconstruction Era" bis hin zum Harlem der Vierziger Jah-

re. Die kafkaeske Reise von Ellisons Protagonisten berichtet von den verschiedensten

Rollen, die ihm von schwarzer und weißer Seite zugewiesen werden. Mit keiner dieser

Rollen kann er jedoch sein "Ich" identifizieren. Invisible Man erzählt in einer Metage-

schichte die Geschichte der Afro-Amerikaner und ihre Suche nach einer einheitlichen

Identität. Ellison hat diesen Roman, der ein Erklären der schwarzen Befindlichkeit der

Identitätslosigkeit ist, explizit für weiße Leser geschrieben.

In seinen Selbstportraits ist Basquiats Ausloten seiner eigenen Rolle als einem "Invisible

Man" ablesbar.471 In der Zeichnung Untitled von 1982 (Abb. 6.5) identifiziert sich Bas-

quiat durch das neben der mit INVISIBLE MEN beschrifteten Silhouette stehende Wort

EYE mit Ellisons Romanfigur. Der Plural INVISIBLE MEN macht aus dem "Invisible

Man" Ellisons ein ganzes Volk unsichtbarer Männer - die Afro-Amerikaner. In der

Zeichnung Untitled von 1986 (Abb. 6.6) zeigt Basquiat einen weiteren "Invisible Man",

der aus einem leeren schwarzen Gesicht und einem anatomisierten Torso besteht. Größer

könnte die Reduktion einer Selbstdarstellung zu einem reinen Signifikanten von black-

ness und Körperlichkeit kaum sein.

In dem Selbstportrait Untitled (1960) von 1983 (Abb. 6.7) portraitiert Basquiat seine

trademarkartige Silhouette unter seinem Geburtsjahr 1960 als eine Figur, deren

Hauptcharakteristikum ihre Schwärze ist. In Selfportrait von 1984 (Abb. 6.8) setzt er

diese Selbstdarstellung als "Schwarzer" fort, "afrikanisiert" jedoch seine Gesichtszüge

mit der für das Jahr 1984 typischen "primitivistischen" Zeichnungsweise. In den beiden

Zeichnungen Untitled von 1984 (Abb. 6.9) und Untitled (Black) von 1984 (Abb. 6.10)

ist das "Ich" im Bild zu einer Visualisierung des Schwarzen als dem Inbegriff der Dun-

kelheit, aus dem lediglich die mit EYE beschrifteten weißen Augen starren, geworden.

Während diese Darstellungsweise die weiße Imagination Afrikas als dem unbekannten,

barbarischen und unheimlichen "Dark Continent" konnotiert, identifiziert sich Basquiat in

Brown Face von 1981 (Abb. 4.27) positiv mit Afrika, kombiniert das EYE mit einem in

den Farben Afrikas gemalten Gesicht.

471 Als "Selbstportraits" bezeichne ich die Arbeiten Basquiats, die entweder durch ihre Betitelung oderaber durch das als Stellvertreter des "Ichs" fungierende Wort EYE gekennzeichnet sind.

129

In diesen Selbstportraits entwirft Basquiat ein Bild seiner selbst als Verkörperung von

Schwärze und Unsichtbarkeit. Sie sind keine Selbstportraits im Sinne eines individuellen

"Portraits", sondern Repräsentanten von blackness. Auf diesen Topos der blackness

bezieht sich Basquiat in seinem Bildvokabular auch durch die rekurrente Verwendung

der Worte TAR, CARBON und ASBESTOS. Das Wort "tar" konnotiert im amerikani-

schen Sprachgebrauch eine klebrige und nicht mehr von der Haut wegzubekommende

Schwärze. So hatten die Sklaven laut Houston A. Baker Angst, Teer zu berühren, weil

sie die mit ihm verbundenen negativen Konnotationen einer schwarzen Haut in einer Art

doppelter Aberglauben auf sich selbst übertrugen.472 Bereits in seinen Grafitti-tags be-

nutzt Basquiats das Wort TAR als Bezeichnung für seine Identität: so krönt er die Allite-

rationen von TAR TAR TAR (COAL) in einem Graffiti von 1978/79 mit der Krone des

"King of the Line" (Abb. 6.11). In Untitled (Black Tar and Feathers) von 1982

(Abb. 6.12) "teert" Basquiat den Bilduntergrund mit schwarzer Acrylfarbe, so daß die

Bildfläche zusammen mit dem Zeichen einer afrikanischen Skarifikation in der linken

Bildhälfte zur buchstäblich schwarzen geteerten Haut wird. In der Zeichnung Untitled

von 1981 (Abb. 6.13) nennt er mit TAR TOWN© die afro-amerikanische slang-

Bezeichnung für schwarze Stadtviertel, in Untitled von 1982 (Abb. 6.14) schließlich

werden die Wiederholungen des Wortes TAR zusammen mit ASBESTOS zum Vertreter

der blackness im Bild. Auch das Wort CARBON verwendet Basquiat in seinen Arbeiten

in Wortlisten, wie z. B. in Untitled von 1984 (Abb. 6.15). Basquiat kommentierte seine

alliterative Verwendung von CARBON mit den Worten: "Ich möchte wirklich wissen,

für wie schwarz die Leute dieses Bild halten".473

Das Fazit der negativen Identitätszuschreibungen an den "Invisible Man", der für Weiße

lediglich der Signifikant von blackness ist, ist seine Verletzlichkeit, sein daraus resultie-

rendes permanentes Tragen einer Maske und schließlich seine Suche nach einer positi-

ven, in Afrika wurzelnden Identität. Diese Verletzlichkeit der Afro-Amerikaner thema-

tisiert Basquiat in Untitled von 1984 (Abb. 6.16). Unter sechs schwarzen Flecken, die

"unsichtbare" schwarze Gesichter signifizieren, ist die Phrase WALKING

EGGSHELLS© zu lesen: die Afro-Amerikaner als laufende zerbrechliche Eierschalen!

Das "afrikanisierte" schwarze Gesicht in der unteren Bildecke zeigt ebenfalls keinerlei

Individualität, sondern ist lediglich die Repräsentation des schwarzen Gesichts als Mas-

ke. Solche "Maskengesichter" gehören zum rekurrenten Bildvokabular Basquiats.474 Sie

472 Baker, 33.473 Thompson In: Haenlein 1986, 23.474 Basquiats "Maskengesichter" lassen sich schwer spezifisch afrikanischen Masken zuordnen. Bis aufeinige direkte Übernahmen konnotieren sie zwar "Afrika" und "Primitivität", referieren aber auf keinebestimmte Kultur. Nur in der Zeichnung Untitled von 1988 (Kawachi, 146) kopiert Basquiat die Abbil-

130

haben Andy Warhol dazu geführt sich zu fragen "And how many screaming negroes can

you do?" und ihm dem Vorwurf der Wiederholung und der Ausbeutung des Primitivis-

mus eingebracht.475 Tatsächlich aber ist der Grund für Basquiats offensichtliches Pro-

blem einer wie auch immer "realistischen" Darstellung des Schwarzen das Problem der

Suche nach einer afro-amerikanischen Identität schlechthin. Denn der Blick des Schwar-

zen auf seinen Körper ist in der westlichen Gesellschaft immer durch den des Weißen

bestimmt, eine Selbstdefinition kann nicht unabhängig von den von außen zugeschriebe-

nen, meist stereotypen Identitäten erfolgen. Dubois formulierte diese Befindlichkeit der

"double consciousness" der Afro-Amerikaner 1903 paradigmatisch in seinem Buch The

Souls of Black Folk:

... the Negro is a sort of seventh son, born with a veil, and gifted with second-sightin this American world, - a world which yields him no true self-consciousness, butonly lets him see himself through the revelation of the other world. It is a peculiarsensation, this double-consciousness, this sense of always looking at one's selfthrough the eyes of others, measuring one's soul by the tape of a world that looks onin amused contempt and pity. One ever feels his twoness, an American, a Negro;two souls, two thoughts, two unreconciled strivings; two warring ideals in one darkbody, .... The history of the American Negro is the history of this strife, - this lon-ging to attain self-conscious manhood, to merge his double self into a better and tru-er self. In this merging he wishes neither of the older selves to be lost.476

DuBois' Metapher des Schleiers ("veil"), mit dem die Afro-Amerikaner geboren seien,

visualisiert das Tragen einer permanenten Maske, das die Afro-Amerikaner unsichtbar

für die weißen Amerikaner macht. Tatsächlich haben die meisten Afro-Amerikaner das

Gefühl, während ihres Alltags in der weißen Welt eine (zumeist freundliche) Maske tra-

gen zu müssen, um sich an diese anzupassen und erfolgreich sein zu können. Sie prakti-

zieren damit eine ständige kulturelle Schizophrenie und offenbaren nicht ihr "wahres

Ich", sondern schlüpfen permanent in die von weißer Seite zugeschriebenen Rollen,

identifizieren sich mit dem identitätslosen Schicksal von Ellisons "Invisible Man". Die

Maske wird so zu einem Bestandteil der afro-amerikanischen Identität, verschmilzt mit

ihr. Doch Basquiats "Maskengesichter" sind keine freundlich angepassten Masken, son-

dern afrikanisierte "Maskengesichter", die dem weißen Betrachter Primitivität und Ag-

gressivität suggerieren. Sie stehen für das Bild des Weißen vom Schwarzen als dem "bö-

sen Mann", für eine fehlende einheitliche positive Identität der Afro-Amerikaner und

zugleich für deren Suche nach einer positiven, in Afrika wurzelnden Identität.

dung eines prähistorischen Felsbildes aus Melikane, Maluti-Berge, Lesotho, dessen Figuren als Men-schenfiguren mit Tiermasken interpretiert werden (Hahner-Herzog, 12f).475 Warhol In: Hackett, 611.476 DuBois, 3.

131

Die Utopie DuBois', das "double self" der Afro-Amerikaner als "Negro" und "American"

in ein besseres, positiveres und einheitlicheres Selbst zu transformieren, kann als das

große Projekt der afro-amerikanischen Kunst vor Basquiat beschrieben werden. Was bei

dieser Suche nach einer neuen positiven Identität jedoch ausgeblendet wurde, nämlich in

dieses "merging" auch die "older selves" zu integrieren, das wird zum postmodernen

Programm Basquiats. In seinem Werk sind sowohl die amerikanischen stereotypen Re-

präsentationen des Afro-Amerikaners als "nigger", die europäischen Ursprünge dieser

Konstruktion des Schwarzen als dem "verachtenswerten Anderen" als auch die afro-

amerikanische Reklamation des afrikanischen Erbes als dem einzig verbleibenden positi-

ven Identifikationsmodell integriert.

6.3 Stereotype Repräsentationsformen der Afro-Amerikaner

6.3.1 Das "nigger"-Image: Sambo, "blackface minstrels "& Co.

Negative stereotype Darstellungen der Afro-Amerikaner in der Populärkultur waren ei-

nes der wichtigsten Mittel, um den Mythos der schwarzen Inferiorität im amerikanischen

Bewußtsein zu festigen. In Werbung, Unterhaltung, Comics, Filmen, Haushaltsgegen-

ständen, Souvenirs und Postkarten wurden Afro-Amerikaner als langsam, faul, dumm,

kriminell, schmutzig und tiergleich dargestellt und damit am untersten Ende der sozialen

Hierarchie situiert. Diese stereotype Darstellung der Afro-Amerikaner begann nach der

Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert und endete erst mit dem Ende der gesetz-

lichen Rassentrennung Anfang der Sechziger Jahre. Die amerikanische Populärkultur

etablierte damit hundert Jahre lang parallel zu der tatsächlichen Segregation der Afro-

Amerikaner deren kulturelle Marginalisierung und hat somit eine immense politische

Rolle in der Ausgrenzung der Afro-Amerikaner in den Vereinigten Staaten gespielt.477

Die Schaffung des "nigger"-Images ist ein spezifisch amerikanisches Phänomen. Der

afro-amerikanische Filmhistoriker Donald Bogle kategorisiert dieses Bild in fünf Unter-

gruppen:

... toms (they served their master well); coons (the funny men who assured whiteyall blacks were harmless and stupid); mulattoes (their 'tragedy' was they weren't bornwhite); mammies (sexless earth mothers who devoted theit lives to their white char-ges), and bucks (bestial superstuds after the pure white flesh of virgins).478

477 Barnett, Marguerite Ross: "Negative Styereotypes of African-Americans in American Popular Cultu-re." In: Distorted Images, o.S..478 Bogle, 43.

132

Der Inbegriff all dieser rassistischen Stereotypen ist Sambo (Abb. 6.17), der als Oberbe-

griff für alle anderen Stereotypen wie Jim Crow, Tambo, Rastus, den "watermeloneater",

den "Cream of Wheat Man" und Uncle Ben benutzt wurde.479 Sambo war kindisch und

komisch, Sklave und Diener von Natur aus, freundlich, unterwürfig und zudem ein gebo-

rener Entertainer. Basquiats Graffiti-Pseudonym SAMO©, sein erster ihm selbst gegebe-

ner Name, bezieht sich auf diesen als Synonym für "Negro" stehenden Stereotypen.

Gleichzeitig aber lehnt das Wort SAMO© durch die Konnontation der Phrase "same old

shit" als Ausdruck für die sich nicht ändernden rassistischen Verhältnisse diese rassisti-

sche Zuschreibung ab. SAMO© fungiert somit als ein Vexierbild, das zwischen dem ras-

sistischem Stereotyp Sambo und dessen Ablehnung von afro-amerikanischer Seite wech-

selt.

Basquiat nennt in seinem Werk fast alle wichtigen Stereotypen des "nigger"-Images,

kontrastiert sie aber entweder mit Metonymien eines "black empowerments", das gegen

diese entwürdigenden Rollenzuschreibungen ankämpft, oder wertet sie positiv um. Zu-

gleich schafft er immer wieder solche Vexierbilder, die zwischen rassistischen Stereoty-

pen und positiver afrikanischer Identität changieren. In der großformatigen Assemblage

Brain von 1985 (Abb. 6.18) steht ein mit dem durchgestrichenen Wort BRAIN© be-

schriftetes Schuhputzgerät auf einem Kistenstapel, der mit Referenzen an die große Zeit

des New Yorker Jazz versehen ist. Basquiat kontrastiert hier auch für jeden Weißen ein-

deutig lesbar die dienende Rolle der Afro-Amerikaner als Schuhputzer mit den großen

Errungenschaften der New Yorker Jazzmusiker. 480

In der 1982 entstandenen Selbstportraitreihe Self Portrait as a Heel (Abb. 6.20), Self

Portrait as a Heel, Part Two (Abb. 6.21) und Hollywood Africans (Abb. 1.3) greift

Basquiat die Rolle des Schwarzen als dem "Fußabstreifer" der Gesellschaft auf und be-

zeichnet sich selbst als HEEL. "Heel" ist ein Schimpfwort für Schwarze, das genauso

schlimm wie das Wort "nigger" ist. Im "Black English" und in den Texten des HipHop

wird "heel" jedoch - ebenso wie die Schimpfworte "nigger", "coon", "Sambo", "Asbe-

stos" und "Eightball" - als eine positive Bezeichnung für Afro-Amerikaner verwendet.

Durch die Wiederholung und Umkehrung dieser von Weißen verwendeten Schimpfworte

wird diesen eine neue Bedeutung gegeben, die nur für Eingeweihte verständlich ist.481

Die repressive Struktur des weißen "Standard English" wird so durch die rhetorische

479 Boskin, Joseph: " Sambo and Other Male Images in Popular Culture." In: Smith, 257-270.480 Bereits in der politischen Kunst der Sechziger Jahre hat John Outterbridge mit "Shoeshine Box" von1968 die allgegenwärtige Rolle des Schwarzen als unterwürfigen Schuhputzer kritisiert (Abb. 6.19,Lewis, 175).481 Holt In: Kochman, 156.

133

Strategie des "Signifying" durchbrochen. Basquiats Wiederholungen des Wortes HEEL

und seine unmittelbare Identifikation mit dem Schimpfwort ist in diesem Kontext zu ver-

stehen.

In der Zeichnung Untitled von 1982 (Abb. 6.22) serviert ein grinsender schmollmundi-

ger "drolliger Neger" eine Schale mit Früchten, eine Anspielung auf den Topos des Moh-

ren als Diener in europäischen Gemälden und auf die Rolle des Schwarzen als "house

slave". Porter von 1984 (Abb. 6.23) zeigt einen schwarzen Kellner, dessen Aufgabe es

ist, Wasser nachzufüllen; ein Job, der in der Hierachie der amerikanischen Restaurants

gleich nach dem untersten des Tischeabräumens angesiedelt ist. Eyes and Eggs von

1983 (Abb. 6.24) und Farina von 1984 (Abb. 6.25) erinnern an die historische Rolle der

Afro-Amerikaner als Hausangestellte von den "house slaves" bis zum heutigen Küchen-

personal. In der amerikanischen Werbung wurden schwarze Köche und Köchinnen dazu

benutzt, für Produkte wie Pfannkuchen (Aunt Jemina), Cream of Wheat (Rastus) oder

Reis (Uncle Ben) zu werben. In Farina spielt Basquiat auf das stereotype Bild des im-

mer grinsenden gutmütigen Rastus an, der für CREAM OF WHEAT© wirbt

(Abb. 6.26).482 Das aggressive schwarze "Maskengesicht" des Kochs in Farina ist je-

doch ein eindeutiger Gegenentwurf zu den Darstellungen des "guten Schwarzen" in der

Werbung.483 Auch als Salz- und Pfefferstreuer durften die schwarzen Köche auf keinem

weißen Eßtisch fehlen (Abb. 6.28). Auf diese Repräsentationen der Afro-Amerikaner,

die sogenannten "black americana", die noch heute auf den Flohmärkten ihre Sammler

finden, bezieht sich Basquiats rekurrente Verwendung des Wortes SALT.

Eine andere dienende Rolle des Schwarzen war die des Eisenbahnporters, auf die Bas-

quiat in To Be Titled von 1987 (Abb. 6.29) anspielt. Unter den Worten FREE FOR A

LIMITED TIME ONLY ist ein stereotyper schwarzer Porter zu sehen (vgl. Abb. 6.47).

Zusammen mit dem grünen LONE RANGER und dem rosafarbigen HAWKMAN bildet

er eine Repräsentation der drei amerikanischen Stereotypen von schwarzem Diener,

weißem Ranger und rotem Indianerhäuptling. Eines der bekanntesten Stereotypen der

Afro-Amerikaner der Südstaaten ist der "watermeloneater". In unzähligen Postkarten

und Haushaltsgegenständen ist das rassistische Bild des Schwarzen als grinsender dum-

482 Der Bildtitel "Farina" bezieht sich jedoch auf eine weitere sehr bekannte schwarze stereotype Rolle:Farina war der schwarze Junge in der Kinderserie Our Gang von Hal Roach. Farina war als der "Fool"der Serie einer der populärsten und beliebtesten Charaktere in den Vereinigten Staaten (Abb. 6.27).483 Die beiden hartgekochten Eihälften sind in Basquiats Arbeiten Statthalter der stereotypen heraus-quellenden weißen Augen des "eye-popping coon". Basquiat kontrastiert diese zumeist mit Maskenge-sichtern, stellt also die zu überwindende negative Repräsentation der amerikanischen Populärkultureiner aggressiven afro-amerikanischen bzw. einer in Afrika wurzelnden positiven Selbstdefinition ge-genüber.

134

mer Wassermelonenesser im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreitet gewesen

(Abb. 6.30, 6.31). Basquiat rekurriert auf dieses Bild des "watermeloneaters" in Piscine

Versus the Best Hotels von 1982.484 Die schwarze Figur bewegt sich wie ein Vexierbild

zwischen dem Stereotyp des "watermeloneaters" mit großen weißen Augen und Bas-

quiats typischem schwarzen "unsichtbaren" Maskengesicht. Die unter die Figur geschrie-

benen Worte SALT. SALT weisen ebenfalls einerseits auf die amerikanischen Salzstreu-

er hin, die als "drollige Neger" geformt waren, andererseits aber auch auf die antike afri-

kanische Währung des Salzes.

Ein weiteres Schimpfwort für Afro-Amerikaner war "Coon", was sowohl "cluck" als

auch "fool" konnotiert und eine Abkürzung von "racoon" ist.485 Der rassistische Ver-

gleich mit dem Waschbär beruht auf dessen großen weißen Augen in einem fast schwar-

zen Gesicht (Abb. 6.33). In Untitled von 1984 (Abb. 6.34) wird durch den Wortklang

von MOON und die Reihung der großen Os von MOON, den "Spiegeleiergesichtern"

und dem großen schwarzen gekrönten Kopf mit einem weißen Querbalken über dem

Mundbereich das Wort "Coon" sowie das dazugehörige sterotype Bild eines Schwarzen

mit großen Lippen und heraustretenden weißen Augen evoziert. Die Substitution der

Augen durch die zwei "Os" war in rassistischen Darstellungen populär, führte sie doch

das Wort auf seinen etymologischen Ursprung zurück, wie die Titelseite eines Coon-

Liederbuches zeigt (Abb. 6.35). Solche Coon-Liederbücher waren Teil der Minstrel-

Performances des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, aus denen das Publikum die beliebten

Coon-Songs nach der Aufführung selbst singen konnte (Abb. 6.36). Das Minstrel war

die weiße Imitation einer konstruierten schwarzen Kultur, die vornehmlich aus fröhlichen

tanzenden und singenden Sklaven bestand. Es entwickelte sich im Norden als ein Ersatz

für den "slave entertainer" des Südens, weiße Schauspieler traten mit geschwärzten Ge-

sichtern und weiß geschminkten Lippen als Karikatur des Schwarzen auf. Die Minstrels

wurden zu Beginn der Diskussion über die Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert

populär und sollten es bis in die Mitte des 20. Jahrhundert hinein bleiben.

In Untitled von 1982 (Abb. 6.37 unten) nennt Basquiat mit VIRGINIA MINSTRELS

die Gruppe von vier weißen Schauspielern, deren Auftritt 1843 in New York den Beginn

sämtlicher Minstrel Shows markierte.486 Die Tradition des Auftretens in "blackface"

setzte sich bis zu den Musicals und Filmen des frühen 20. Jahrhunderts fort. Ironischer-

484 Marshall, 127. Darauf wies mich die Besitzerin des Bildes, Leonore Schorr, in einem Interview am25. Oktober 1995 in New York hin.485 Pieterse, 138.486 Ihde, 49.

135

weise begann der frühe Tonfilm, der förmlich nach den Jazzsängern und -musikern der

Harlem Renaissance verlangte hätte, 1927 mit dem großen Erfolg von The Jazz Singer,

in dem der jüdische Entertainer Al Jolson in bester Minstreltradition schwarz geschminkt

im "negro dialect" sang (Abb. 6.38). In Tuxedo von 1983 (Abb. 6.39) und Toussaint

L'Overture Versus Savonarola von 1983 (Abb. 6.40) bildet AL JOLSON© ein wichti-

ges Element des Subtextes. In beiden Arbeiten konfrontiert Basquiat dessen Verkörpe-

rung eines falschen Bildes afro-amerikanischer Kultur mit MALCOM X, der Gallionsfi-

gur des Kampfes für eine Identität, deren Wurzeln nicht im "slave entertainment", son-

dern in den Hochkulturen Westafrikas und Ägyptens liegen. Nicht zufällig weisen in Tu-

xedo die von AL JOLSON© ausgehenden Pfeile neben den Errungenschaften westlicher

Zivilisation auf BRONZE HEAD OF BENIN und (COPPER)--- >IVORY MASK hin

(Abb. 6.39).

Die klassischen Minstrelfiguren lassen sich laut Pieterse in zwei Typen unterteilen: den

ländlichen "Plantagenneger" (Sambo, Bones) und den städtischen Dandy (Tambo), der

durch seine "would-be classy clothes" und seine "pompous language" eine Karikatur des

neuen freien Schwarzen war. Dieser Angriff auf die schwarze Aneignung von weißer

Kleidung und Benehmen spiegeln die Zeitungskarikaturen der Zeit wieder, in denen der

Zylinder zum Attribut des freien Schwarzen wird (Abb. 6.41). Der Zylinder setzt sich als

ein "key signifier" der stereotypen Repräsentation des afro-amerikanischen Entertainers

bis in die heutige Zeit fort (Abb. 6.42, 6.43) und wurde erst durch die politische Rap-

gruppe Public Enemy Anfang der Neunziger Jahre positiv umgewertet (Abb. 6.44). Bas-

quiat verwendet in zwei Zeichnungen den MONOPOLY HAT© als Symbol dieses alten,

verhaßten Stereotyps: In Untitled von 1985 (Abb. 4.13) wird er mit den Errungen-

schaften des Jazz konfrontiert, in Untitled von 1985 (Abb. 6.46) zählt er zusammen mit

dem Affen, der (Spiegeleier)-bratpfanne487 und der Ku Klux Klan-Kapuze zu den immer

wiederkehrenden SATELLITE IMAGE©(s), die die Figur durch GET OUT zu vertrei-

ben versucht.

Die Comics zu Beginn des 20. Jahrhunderts benutzten den Afro-Amerikaner parallel zu

den blackface-Minstrels als die komische Figur schlechthin, sie liefern ein Bild des

Schwarzen, das von der rassistischen weißen Imagination bestimmt ist. Die extremste

dieser blackface-Darstellungen war die Comicfigur Eightball, eines runden schwarzen

Kopfes mit großen weißen Augen und einem Schmollmund. Eightball war sowohl die

487 Die ein Zitat aus Leonardo da Vincis Bilderrätseln ist: Es handelt sich um das Blatt Windsor, RLfolio 12692 recto, auf dem die Pfanne als "padella" in den Text "colpa della fortuna" integriert ist (Abb.In: Marinoni, 85).

136

stereotype Comicfigur eines schwarzen Eisenbahnporters in dem Comicstrip Moon Mul-

lins der Zwanziger Jahre (Abb. 6.47) als auch die Hauptfigur Lil' Eightball der

Zeichentrickserie New Funnies (1942) von Walter Lanz.488 Die schwarze Billiardkugel

mit der Nummer Acht und EIGHTBALL© in Televison and Cruelty to Animals von

1983 (Abb. 6.48) verweisen auf diese entwürdigende Bezeichnung für Afro-Amerikaner.

Weniger extrem war die Darstellung des Stalljungen Asbestos aus der Comicserie Joe

and Asbestos (Abb. 6.49).489 Diese Serie, deren Thema das Pferderennen war, erschien

fünfunddreißig Jahre lang täglich im New York Daily Mirror (1934-1969) und wurde in

den Vierziger Jahren in ganz Amerika populär.490 Der weiße Joe wettet auf Pferde und

gewinnt, der schwarze Stalljunge Asbestos war sein komischer Counterpart, der eine

schwarze Melone, einen karierten Anzug und zerlöcherte Schuhe trug und - dank seiner

Tiergleichheit! - mit den Pferden sprechen konnte.491 Das Wort ASBESTOS gehört zum

rekurrenten Bildvokabular Basquiats. Es bezieht sich zum einem auf die Farbe schwarz

und signifiziert damit den Topos der blackness, zum anderen aber auf die Comicfigur

Asbestos. In Asbestos von 1981 (Abb. 6.50) wird die Figur des Asbestos zu einer Art

Märtyrer, deren Haltung an einen Gekreuzigten erinnert. In Four Big von 1982

(Abb. 6.51) ersetzt das dekonstruierte Wort ASSBESTO die gekreuzigte Figur. In bei-

den Arbeiten identifiziert sich Basquiat durch die Krönung mit Asbestos, stellt ihn jedoch

als eine gestorbene, geopferte, überwundene Figur dar. In anderen Arbeiten dient das

Wort ASBESTOS dann, oft in der Kombination mit dem Wort TAR, als Signifikant von

blackness, so in Liberty , 1982/83 (Abb. 4.67); Frogman, 1983 (Abb. 6.52); Untitled ,

1987 (Abb. 6.14) und Untitled , 1982 (Abb. 6.66).

Die schwarzen Comicfiguren sprachen, wenn überhaupt, "black dialect". Afro-

Amerikaner wurden in diesen Comics bis in die Vierziger Jahre entweder als "Fools"

oder als Diener und Träger dargestellt. DuBois und Marcus Garvey klagten zwar seit

den Zwanziger Jahren gerichtlich gegen diese rassistischen Darstellungen, aber erst der

Druck der schwarzen Presse beendete in den Vierziger Jahren diese stereotypen Reprä-

sentationen.492 In den Dreißiger und Vierziger Jahren wurden jedoch viele der Stereoty-

pen der Comics in den Tonfilm übernommen. Neben Sambo, Cäsar und Eightball war

488 Gifford, 220.489 Robinson, Jerry: "Integration in the Comics." In: Prisoners, 18.490 Waugh, 34ff.491 Boskin, 145.492 Jones, Steven Loring: "From 'Under Cork' to Overcoming. Black Images in the Comics." In: EthnicImages, 21-30.

137

Napoleon einer der populärsten Namen für einen schwarzen Filmcharakter.493 Basquiat

bezieht sich darauf mit einem Motiv seines rekurrenten Bildvokabulars: NAPOLEON

STEREOTYPE AS PORTRAYED CIRCA 1940-1945©. In der Zeichnung Napoleon

Stereotype as portrayed von 1982/93 (Abb. 6.53) ist eine vogelartige Comicfigur mit

einem Napoleonhut mit diesen Worten bezeichnet. In Napoleonic Stereotype von 1983

(Abb. 6.54) kontrastiert Basquiat die stereotype Assoziation des Titels mit dem afro-

amerikanischen Volkshelden der Dreißiger und Vierziger Jahre mit dem Boxer Joe Le-

wis.494

In den Fünfziger Jahren wurde der stereotype Afro-Amerikaner schlechthin durch die

"Amos 'n' Andy Show" verkörpert (Abb. 6.55). Die "Amos 'n' Andy Show" bildet den

Endpunkt der im 19. Jahrhundert beginnenden Tradition der blackface-Performances in

den amerikanischen Medien. Sie war eine Übernahme des bereits seit den Zwanziger

Jahren äußerst populären Radiohörspiels "Amos n' Andy", das besonders wegen des

"black dialects", der ausschließlich von weißen Sprechern gesprochen wurde, beliebt

war, verankerte es doch das Bild vom ungebildeten und "drolligen Neger" (Abb. 6.55).

Die Rollen der Fersehserie sollten ursprünglich von weißen Schauspielern in "blackface"

gespielt werden, man entschloß sich dann jedoch, "echte Schwarze" für die Rollen zu

verpflichten. Das Casting wurde zu einer Staatsangelegenheit, zu der selbst Truman und

Eisenhower ihre Vorschläge machten. Der Produzent der "Amos 'n` Andy Show" war

Hal Roach, dessen Name Basquiat in der Zeichnung Untitled von 1985 (Abb. 4.56) un-

auffällig zwischen der Nennung von Jazzmusikern listet: TOMMY POTTER/HAL

ROACH/ DUKE JORDAN/MAX ROACH.495 In Untitled (Rinso) von 1982 (Abb. 3.6)

nennt Basquiat die beiden Hauptdarsteller der : KINGFISH und SAPPHIRE©. Beide

entsprachen den klassischen Minstrelfiguren: George "Kingfish" Stevens repräsentierte

den "stereotyped scheeming 'coon' character", Sapphire Stevens die "domineering mo-

ther-in-law".496 Die Worte NOH SUH NOH SUH verweisen auf den Gebrauch des

"black dialects" in "Amos 'n' Andy", kehren aber zugleich die stereotype unterwürfige

Antwort des schwarzen Dieners "Yes, Suh" - "Yes, Sir!" um.

Das eingerahmte Wort FOOL in Untitled (Rinso) (Abb. 3.6) verweist auf die Rolle des

Schwarzen als immer komischen Entertainer. Diese Konzeption des Afro-Amerikaners

als Verkörperung des Humors war, so Boskin, zugleich die Antithese zur Rationalität

493 Boskin, 152.494 Siehe dazu das Kapitel 5.9 Afro-amerikanische Sportler als Volkshelden.495 Ely, 306.496 McDonald, 28.

138

und damit zu einem Anspruch der Schwarzen auf intellektuelle und politische Mündig-

keit.497 Mit IL FOOL nennt Basquiat somit vom "slave entertainer" über die Minstrel

Shows und "Amos n' Andy" bis hin zu Eddie Murphy die Rolle des schwarzen Komödi-

anten. In seinem eigenen Debüt im Bereich des schwarzen musikalischen Entertainments

bezieht sich Basquiat an zentraler Stelle auf die Rolle des schwarzen Musikers als "fool".

Auf dem Plattenetikett von Beat Bop von 1983 zeigt er ein negroides Gesicht mit einem

"dunce-hat" (Abb. 6.57). Einen solchen Hut mußten die Kinder in den amerikanischen

Schulen zur Strafe tragen, wenn sie sich "foolish" verhalten haben.498 Basquiat verwen-

det diesen Hut in seinem Bildvokabular als Signifikant des schwarzen "fools". Bereits in

Equals Pl von 1982 (Abb. 6.58) bezieht sich Basquiat mit der Wiederholung des Wortes

DUNCE neben dem dreieckigen Hut auf diese Kindheitserinnerung. In den Hinter-

grundtexten großer Bildcollagen wie King of the Zulus von 1984/85 (Abb. 2.1) und

Tenor von 1985 (Abb. 2.24) bezeichnet Basquiat die diesen "dunce-hat" tragende Figur

als FOOL©. Auf dem Plattenetikett von Beat Bop (Abb. 6.57) aber vereint er in einem

Vexierbild das stereotype Bild des Schwarzen als lustigem Entertainer mit Malcolm X,

dem nationalistischen Kämpfer gegen solche Stereotypen und für eine Verwurzelung der

afro-amerikanischen Identität in Afrika, denn wie auf den Baseballmützen zu Spike Lees

Film Malcolm X ist auf dem "dunce-hat" ein großes X zu lesen.

In der Zeichnung Untitled von 1986 (Abb. 6.60) bezieht sich Basquiat mit der Über-

nahme eines Zeichens aus Dreyfuss`Symbol Sourcebook, das einen Pinguin in schwarzem

Frack und schwarzer Fliege zeigt (Abb. 6.61), auf die "aesthetic of the cool" des Jazz.499

In dieser Kleidung spielten viele schwarze Jazzmusiker und wurden analog dazu als Pin-

guine dargestellt (Abb. 6.62). Der Imperativ der Vorlage von Dreyfuss` Symbol Source-

book - KEEP FROZEN - ersetzt Basquiat durch den des ICE ME. Er verweist damit auf

die spezifisch schwarze Attitüde der "coolness", die sich bis zu der Namensgebung von

Rappern wie Ice-T und Ice Cube fortgesetzt hat. Diese betonte Lässigkeit der Afro-

Amerikaner entwickelte sich David Hammons zufolge als eine explizite Gegenreaktion

auf die stereotype Rolle des "fools", als eine die Lächerlichkeit negierende betonte

Ernsthaftigkeit des "black male".500 Der Zylinder des Pinguins in Untitled jedoch fun-

giert als Synekdoche des die "foolishness" verkörpernden Minstrelentertainers, der durch

EPITAPH© wohl endgültig zu Grabe getragen worden ist.

497 Boskin, 55, 63.498 Diesen Hinweis verdanke ich Mark Wimberly.499Das "Pinguin-Zitat" ist ein rekurrentes Motiv und steht, wie bereits Thompson (In: Marshall, 38)ausgeführt hat, alternierend mit "Kältezitaten" wie ICE, KEEP FROZEN, Eiswürfeln oder Kühlschrän-ken als Metonymie für die schwarze "coolness".500 Lippard, 66.

139

Daß davon leider immer noch keine Rede sein kann, zeigt Basquiats Integration einer

1985 aktuellen Diskussion in zwei weiteren Zeichnungen. In Untitled von 1985

(Abb. 6.63) und Untitled (ARS* GRATIA* ARTIS) von 1985 (Abb. 6.64) rekurriert

er durch das blau geschriebene COLGATE und das eingerahmte TOOTHPASTE auf

einen Skandal, der für Schlagzeilen sorgte.501 Ein Amerikaner entdeckte in Thailand die

Zahnpastenmarke Darkie, deren Logo ein seit sechzig Jahren unverändertes Minstrelge-

sicht mit gebleckten weißen Zähnen und Zylinder war und deswegen in den Vereinigten

Staaten schon lange nicht mehr verkauft werden durfte, und schickte ein Exemplar an

das Interfaith Center for Corporate Responsibility in New York.502 Der Skandal weitete

sich aus, als bekannt wurde, daß der amerikanische Konzern Colgate im gleichen Jahr

einen 50%-Anteil an seinem die Darkie-Zahnpaste in Asien vermarktenden großen Kon-

kurrenten Hawley & Hazel erworben hatte, um so an dem lukrativen asiatischen Ge-

schäft beteiligt zu sein. Die New Yorker Vereinigung verlangte nun von Colgate, Namen

und Logo zu ändern, mit dem Ergebnis, das Darkie nun zwar Darlie heißt, das rassisti-

sche Logo aber unverändert beibehalten wurde (Abb. 6.65)!

In der Zeichnung Untitled von 1985 (Abb. 6.63) bezieht sich nicht nur das groß ge-

schriebene COLGATE, sondern auch weitere kommentierende Subtexte auf diesen

Skandal. Rechts oben verweist 50/50 auf die Übernahme des Anteils, in der Bildmitte

unten DAILY MIRROR OR NEWS BAND auf die Thematisierung durch die Medien.

THE DISPOSAL OF A BONANZA (links oben) spielt auf die durch die Diskussion

enstandenen finanziellen Verluste von Colgate an, REFRESHMENT AND ETHICS auf

die Forderungen des Interfaith Center for Corporate Responsibility.

6.3.2 "Whitewashing Action": Das Leitmotiv Seife

Bei all diesen rassistischen Stereoypen wollten die Afro-Amerikaner nur noch eines, so

die weiße Imagination und teilweise auch die schwarze: aus ihrer Haut schlüpfen. In der

Zeichnung Untitled von 1982 (Abb. 6.66 rechts oben) nennt Basquiat die Kosmetikpro-

dukte, die zu einer "De-Nigrifizierung" der Afro-Amerikaner und damit zu der er-

wünschten Assimilierung an den weißen amerikanischen Mainstream benutzt wurden.

Durch SKIN LIGHTENER und HAIR STRAIGHTENER sollte das Negativimage des 501 Siehe Hagedorn, Ann: "Colgate Still Seeking To Placate Critics Of an Asian Product." Wall StreetJournal. 16.April 1988, o. S.; Pieterse, 205; Boskin, 77.502 In den späten Sechziger Jahren verwendete Betje Saar im Zuge der Dekonstruktion von durch dieWerbung verankerten Stereotypen das Logo von "Darkie" in ihren Arbeiten (Lewis, 173).

140

Schwarzen als "darkie" getilgt werden: ASBESTOS© im linken oberen Bildteil ist

durchgestrichen! Solche kosmetischen Produkte wurden in den Fünfziger Jahren in den

Vereinigten Staaten erfolgreich verkauft und erst von der Black Power Bewegung der

Sechziger Jahre als völlig falsche Mittel zur Assimilierung erkannt. Paradigmatisch für

diesen Wandel ist Malcolm X' Biographie. Dieser hat sein Haar jahrelang in einer wö-

chentlichen schmerzvollen Prozedur geglättet: erst der Eintritt in die Nation of Islam ließ

ihn zu seinem natürlich krausen Haar und damit zu einem positiveren Bild des Schwarz-

seins "bekennen". Höhepunkt der Zuwendung zu einer natürlichen afro-amerikanischen

Frisur war der "Afro" der Sechziger Jahre, auf den Basquiat sich mit den Alliterationen

von AFRO SHEEN im linken Bildteil bezieht.503

Afro-Amerikaner, die sich an die weißen Werte anpassen und ihr Schwarzsein auf diese

Weise verleugnen, werden von nationalistischen Schwarzen abfällig "Oreo" genannt.

Oreo ist eine amerikanische Keksmarke, die außen aus einer schwarzen und innen aus

einer weißen Schicht besteht. "Oreos" sind also im Inneren weiß, können aber ihre

Hautfarbe dennoch nicht ändern. In Oreo von 1988 (Abb. 6.67) stellt Basquiat diese

Bezeichnung eines assimilierten Afro-Amerikaners den schwarz-rot-grünen Farben von

Marcus Garveys nationalistischem Back to Africa-Movement gegenüber.504

In Untitled von 1982 (Abb. 6.68) wird der Versuch einer Aufhellung der schwarzen

Haut durch die Kontrastierung der SOAP BOX© im dunklen und der Venusstatue im

hellen Bereich verdeutlicht. Basquiat verwendet die Venusstatue in seinem Bildvokabu-

lar nicht als "just a famous art object thrown in",505 wie er Thompson deren Rekurrenz

abschwächend erklärt, sondern als die Ikone des europäischen Schönheitsideals

schlechthin, das Schwarze lange Zeit durch die Aufhellung ihrer Haut mit Bleichungs-

mitteln zu erreichen versucht haben. Thompson erwähnt in seiner Interpretation von

503 Das Tragen der Haare ist auch heute noch stark mit der persönlichen Einstellung zu der jeweiligenafro-amerikanischen Identität verbunden. So symbolisieren Basquiats antennenartige Dreadlocks ein-deutig eine afrozentrische Einstellung, die mit den Ideen der jamaikanischen Rastafaris, die ihreDreadlocks in Anlehnung an die alttestamentarische Figur Samsons als Träger von Kraft und Antennenzum Göttlichen tragen, symphatisierte. Thompson bemerkt die Wichtigkeit von Basquiats Frisur fürdessen Selbstverständnis: "Merkwürdig, daß noch niemand die geheimnisvoll-mystische Qualität vonBasquiats Haaren bedacht hat. Hochspannungdrähte, die ihrem Träger erlauben, mit Gott in Verbin-dung zu treten. Aber es tut nichts zur Sache, wenn Kritiker und Kunsthändler seine Haare ignorieren.Tatsache ist, wann immer Basquiat ein Selbstportrait andeutet seine Locken augenblicklich in Acryl inKreide kreolisiert ..." (In: Haenlein 1986, 18). Zur politischen Bedeutung der Frisuren siehe MercerKobena: "Black Hair/Style Politics." In: Ferguson, 247-266.504 Das Wort OREO selbst ist in das Zeichen für den haitianischen Loa der Kommunikation, Papa Leg-ba, eingeschrieben. Die drei schwarzen Punkte im grünen Bildfeld kann man als Zeichen der BlackPanther Pfote lesen.505 In: Marshall, 33.

141

Horn Players von 1983 (Abb. 6.69), daß "Tarver, an art historian, suggests that the

legend SOAP, at lower left, alludes to being 'clean' in black argot, being, in other words,

aesthetically impeccable".506 Was von Thompson als Verweis auf die "ästhetische Rein-

heit" des Jazz gelesen wird, offenbart sich in einem Bildvergleich mit Untitled , das Horn

Players vom Bildaufbau und der Farbigkeit gleicht, jedoch als "ästhetisch rein" im Sinn

der zweiten Wortbedeutung von "impeccable": sündenlos sein!

Denn das ästhetisch-moralische Reinheitsideal wurde, so Peter Martin, im europäischen

Klassizismus des 18. Jahrhunderts in der Mediceischen Venus verkörpert.507 Der afri-

kanische Hottentotte hingegen konnte weder ästhetisch noch moralisch rein sein, denn

seine Hautfarbe war das Zeichen eines biblischen Fluches, das Stigma des Bösen. Die

Säkularisierung dieser Idee der kollektiven Erbsünde fand ihren Ausdruck in der populä-

ren Theorie des amerikanischen Arztes Benjamin Rush (1745-1813), der die schwarze

Hautfarbe und deren begleitende Physiognomie für die Folge einer angeborenen Lepra-

erkrankung, für die pathologische Veränderung einer ehemals weißen Haut hielt. Zahl-

reiche wissenschaftliche Versuche, die Haut des Schwarzen durch chemische Mittel wie

Salzsäure zu bleichen, folgten, das Weißwerden wurde zur profanen Erlösung von der

Sünde.508 Die Seifenwerbung der Kolonialzeit führte diesen Gegensatz von weiß und

schwarz, von Aufklärung und Barbarentum fort. Die Seife wurde, so Pieterse, zum

"symbol and ... yardstick of civilization".509 Was in Aesops Fabeln510 (Abb. 6.70) und

506 In: Marshall, 38.507 Martin, 246.508 Jordan: "The Disease of Color", 517-521; Gilman, 250.509 Pieterse, 196.510 Die Fabel von Aesop berichtet von einem Mann, der sich einen äthiopischen Sklaven in den An-nahme kaufte, daß dessen schwarze Farbe nur durch die Nachlässigkeit seines vorherigen Herrn erzeugtwurde. Er wusch daher das Gesicht des Sklaven so heftig, daß dieser erkrankte. Seine Farbe blieb jedochimmer noch dieselbe. Die Moral der Fabel ist, daß Menschen nur schwer zu ändern sind (Massing In:Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 183). Die Worte AESOP'S FABLES gehören zumrekurrenten Bildvokabular Basquiats. Er verwendet zwei Vorlagen, die er in verschiedene Kontextecollagiert. Auf der einen kontrastiert er A SCENE FROM AESOP'S FABLES mit BLACK POWDER(Red Joy, 1984, Abb. 6.71), auf der anderen stellt er AESOP'S FABLES dem stereotypen schwarzenTV-Komikerpaar der Fünfziger Jahre, AMOS 'N' ANDY gegenüber (Pink Amos or Andy", 1983,Abb. 6.72). Die erste Gruppierung kontrastiert die Konnotation des "Weißwaschens" mit der BlackPower Bewegung, die zweite mit der Tradition der "blackface performance". Aesop wird aber auch vonden Afrozentrikern als ein weiterer antiker schwarzer Held reklamiert. Denn Aesop war ein Sklave,dessen Name laut Diop von "Ethiop" abgeleitet ist und der daher ein ägyptischer Schwarzer war (ibid.,233). Der Encyclopedia Britannica zufolge wurde Aesop im 7. Jhd. v.Ch. als Sklave in Phrygien gebo-ren, aber befreit. König Krösus aus Lydien beauftragte ihn als Diplomat, um Frieden zwischen dengriechischen Republiken zu schließen. Aesop schlichtete die Streitigkeiten durch das Erzählen vonFabeln, die die griechischen Denker beeinflußt haben. Sokrates verbrachte die Zeit bis zu seiner Hin-richtung damit, Aesops Fabeln und Verse umzusetzen - nicht umsonst plaziert Basquiat in "2 1/2 Hoursof Chinese Food", 1984 (Abb. 6.73) HEMLOCK, den Schierlingsbecher mit dem Todestrank des So-krates, direkt unter AESOP'S. In diesem afrozentrischen Kontext ist AESOP somit als Statthalter einerpositiven Identität zu lesen.

142

später in den Emblembüchern von Alciatus und Whitney als Visualisierung der "Unmög-

lichkeit" fungierte, wurde nun möglich: Die Werbung versprach, den Moor weißzuwa-

schen.511 Der Werbetext für Dreydoppel Soap (Abb. 6.74) projeziert exemplarisch die

weißen Wertvorstellungen auf den Schwarzen, unterstellt ihm ein stetes Bemühen, weiß

zu werden:

A mite of queer humanity, As dark as a cloudy night, Was displeased with hiscomplexion, And wished to change from black to white.

He built an air-tight sweat box with the Hope that he would bleach; The sweatpoured down in rivers, but the Black stuck like a leech.

One trial was all he needed; Realized was his fondest hope; His face was as whiteas white could be; There's nothing like Dreydoppel Soap.512

Basquiat bezieht sich in mehreren Arbeiten auf die hier geschilderten Versuche einer

"denigrification". Mit der Skulptur Head of a Fryrer von 1982 (Abb. 6.78) baut er eine

solche Schwitzbox nach, deren Aufschrift SARCGPUGUS OF A PHYSICIAN sich auf

die nicht selten zum Tode führenden wissenschaftlichen Versuche des Aufhellens ("to

fry" bedeutet im amerikanischen Slang auch "jemanden auf dem elektrischen Stuhl hin-

richten") bezieht.513

In der Zeichnung Untitled von 1985 (Abb. 4.56) ist DRANK SOAP neben zwei Sägen,

zerlegten Körperteilen und anatomischen Termini als "Tagebucheintrag" einer Ver-

suchsanordnung zu lesen: "Trank Seife!" Das durch ANTERIOR/POSTERIOR konno-

tierte Vorher-Nachher-Schema, mit dem die Seifenwerbung arbeitet, unterteilt Basquiat

in Untitled (Soap) von 1983/84 (Abb. 6.80) in zwei parallele Register. Im Vordergrund

wird durch zwei schwarze "Maskengesichter" ein Kreislauf evoziert: vorher schwarz,

nachher sind zumindest Augen, Nase und Zähne weiß. Das große Seifenstück gibt, ana-

log zur Rhetorik der Werbung, den Grund für diese Umwandlung an. In die Textur der

collagierten Farbkopien des Hintergrundes ist nun eine zweite temporale Relation ein-

gewebt: neben dem linken Kopf sehen wir ein kleines Rechteck mit der Beschriftung

BEFORE, rechts unten neben dem Seifenstück und in der rechten oberen Bildecke ist ein

weiteres Rechteck mit SOFTEN THE ERASER bezeichnet. Unmittelbar daneben wird

durch AFTER KNEADING ein zerkneteter Radiergummi denotiert. Das buchstäbliche

"Abradieren" der schwarzen Hautfarbe durch die Seife wird so durch die Formverände-

511 Pieterse, 195; Massing, 185.512 Pieterse, 198.513 Siehe Jordan, 512-541.

143

rung des Radiergummis kommentiert. Am Ende des Bildtextes steht das Verschwinden

des schwarzen Körpers: VANISHING PT. ersetzt die Signatur, das "Andere" geht durch

das Weißwaschen im "Gleichen" auf.

Auch in der Zeichnung Untitled von 1982 (Abb. 6.81) verweist Basquiat subtil auf die

Ambivalenz von Möglichkeit und Unmöglichkeit des "Ausradierens" der schwarzen

Hautfarbe. Während die Rekurrenz von ERASABLE© im weißen Bildfeld die Möglich-

keit des "Ausradierens" der Hautfarbe betont, konnotiert der Leopard in der Bildmitte

eine alttestamentarische Bibelstelle, die laut Pieterse den Referenztext für die Darstellung

der Unmöglichkeit in den niederländischen Emblembüchern des 17. Jahrhunderts bildet:

"Kann etwa ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Panther seine Flecken? So wenig

könnt ihr Gutes tun, die ihr ans Böse gewöhnt seid".514 Mit dem auf den Körper des

Leoparden geschriebenen Wort LIGHT aber scheint das Unmögliche möglich geworden

zu sein: Der Leopard kann seine Flecken aufhellen, der Schwarze seine Haut. Auch die

Seifenwerbung griff diesen Bibelspruch auf und versprach, mit ihrer Seife den Leoparden

weißzuwaschen (Abb. 6.82).

Untitled (Rinso) von 1982 (Abb. 3.6) schließlich handelt als ein Schlüsselwerk von den

weißen Projektionen auf die schwarze Haut. In ihm vereinen sich zwei thematische

Stränge von Basquiats Arbeiten: das Motiv der stereotypen Darstellung des afro-ameri-

kanischen Entertainers als "Fool" und der Versuch einer "denigrification" durch das Wa-

schen der schwarzen Haut mit Seife. Denn 1950 RINSO: THE GREATEST

DEVELOPMENT IN SOAP HISTORY rekurriert auf die Waschmittelmarke Rinso, die

mit dem laut Marshall als rassistisch empfundenen Slogan WHITEWASHING ACTION

für strahlend weiße Wäsche warb.515 Der Topos des Weißwaschens wird hier mit dem

durch die "Amos n' Andy Show" verkörperten des Schwarzschminkens verbunden. Bas-

quiat weist zudem noch auf einen direkten Zusammenhang zwischen der Waschmittel-

marke und der Fernsehserie hin: die "Amos 'n' Andy" Radiohörspiele wurden nämlich in

den Vierziger Jahren von "Rinso Laundry Detergent" gesponsort.516

514 Jeremia 13, 23; Pieterse, 195.515 Pieterse, 21.516 Ely, 198.

144

6.4 Basquiats Gegenlesen der amerikanischen Populärkultur

..., we shouldn't overlook the fact that Basquiat, like Rauschenberg and Warhol, hisbrothers in canvas-bound iconoclasm, made paintings that were unrepentantly aboutAmerican culture.517

Whereas Warhol made facsimile sculptures of Brillo soap-pad boxes, Basquiat'sbrand of soap, RINSO, had pointed racial implications, being noted for itsWHITEWASHING ACTION.518

Basquiats Bildvokabular ist keine direkte Fortsetzung der Pop Art von Andy Warhol und

Robert Rauschenberg, sondern, vor dem Hintergrund der oben geschilderten Auswir-

kungen der amerikanischen Populärkultur auf das Bild des Afro-Amerikaners, ein kriti-

sches Gegenlesen derselben. Diese Kritik der amerikanischen "Consumerculture" steht in

der Tradition der Kunst des Black Arts Movements der Sechziger Jahre, das parallel zu

Andy Warhols apolitischer Kunst eine äußerst politische afro-amerikanische Pop Art

produzierte. So sammelte Betye Saar Stereotypen der Werbung wie "Aunt Jemina",

"Darkie Toothpaste", "Black Crow Licorice" und "Old Black Joe Butter Beans" und

dekonstruierte sie in ihren Arbeiten. In "The Liberation of Aunt Jemima" von 1972

(Abb. 6.83) wandelt sie "Aunt Jemima", den Stereotyp der amerikanischen Pfannku-

chenwerbung, in eine bewaffnete Kämpferin der Black Liberation um.

Basquiats Aufzeigen des impliziten Rassismus in der amerikanischen Werbung anhand

von "Rinso" und "Darkie" wurde bereits ausführlich beschrieben. Sein kritisches künst-

lerisches Verhältnis zu seinem "Mentor" Andy Warhol läßt sich an seiner Verwendung

von Elementen der "Consumerculture" ablesen. In vielen Arbeiten spielt Basquiat direkt

auf die frühen Arbeiten Warhols an, die Produkte der Kosmetikindustrie zeigen. Wäh-

rend Warhols obsessive Beschäftigung mit Mitteln zur Verschönerung in den Sechziger

Jahren gemeinhin seinem Häßlichkeitskomplex zugeschrieben wird, ist Basquiats Auf-

greifen dieser Produkte im Kontext der "denigrification" der Afro-Amerikaner zu lesen.

Untitled (Soap) von 1983/84 (Abb 6.80) bezieht sich auf Warhols frühe Arbeiten zum

Thema "Before-After". In dem Cover einer Werbebroschüre für "The Upjohn Company"

von 1952 wirbt er mit "... before surgery and after ..." für deren Schönheitsoperationen

(Abb. 6.85); in "Before and After 3" (Abb. 6.86) von 1962 übernimmt er das Thema der

Schönheitsoperation und zeigt eine "cäsarische" Nase vor und nach der Operation zu

einer kleinen Stupsnase.519 Mit den in Untitled (Soap) von 1983/84 (Abb. 6.80) im

517 Tate, 238.518 Marshall, 21.519 Siehe dazu auch das Kapitel 6.7 Anatomische Profilvergleiche: "Cäsar" vs. "The Negro".

145

Hintergrundstext versteckten Worten BEFORE und AFTER KNEADING neben der

Zeichnung eines Radiergummies (SOFTEN THE ERASER) spielt Basquiat auf diese

Arbeiten Warhols an. Während der Radiergummi BEFORE ein Reckteck ist, ist er

AFTER KNEADING ein unförmiger Klumpen. BEFORE und AFTER KNEADING

verweisen aber, wie bereits oben gezeigt, auf die Rhetorik der Seifenwerbung: vor dem

Waschen schwarz, danach (fast) weiß, worauf der Kreislauf der beiden schwarzen Ge-

sichter anspielt. Basquiat übernimmt hier Warhols Thematisierung der Schönheitsopera-

tionen und verwendet diese im Kontext der "Schönheitsbestrebungen" der Afro-

Amerikaner.

In der Zeichnung Untitled von 1986 (Abb. 6.87) bezieht sich Basquiat auf zwei Ebenen

auf Andy Warhols frühe Zeichnungen. Die Strichführung in Untitled zitiert die von

Zeichnungen Warhols wie "Strong Arms and Broads" von 1960 (Abb. 6.88) oder "Bald"

von 1960 (Abb. 6.89). Basquiats Übernahme von TRICKBLACK SOAP, einer rassisti-

schen Werbung aus Comicheften, spielt jedoch direkt auf Warhols frühe Vorlagen an

(Abb. 6.87a). Der durchgestrichene Text ORDINARY LOOKING PIECE OF SOAP.

VICTIM WASHES FACES AND GETS BLACKER AND BLACKER WHEN HE

GETS A LOOK IN THE MIRROR HE'LL BE SHOCKED HARMLESS© verweist auf

die rassistische Konditionierung der Jugendlichen beim Lesen von Comicheften. Andy

Warhol hat für seine Zeichnungen der Sechziger Jahre, wie bspw. "Wigs" von 1960,

solche Anzeigen in Comicheften als Vorlagen verwendet (Abb. 6.90).

Auch die von Andy Warhol heroisierten Comicfiguren Superman und Popeye situiert

Basquiat in seinem eigenen kulturellen Kontext (Abb. 6.91, 6.92). So wird bei Basquiat

in der Zeichnung Ascent von 1982/83 (Abb. 2.12) aus Superman der westafrikani-

sche/haitianische Schlangengott Da/Dambala, während Popeye und seine Spinatdose in

Jesse von 1982/83 (Abb. 3.1) zu einem Synomym von Jesse Owens und seiner angebli-

chen Wunderwaffe werden.520 Aus dem Comichelden Flash macht Basquiat in Flash in

Naples von 1983 (Abb. 4.48) den westafrikanischen/ karibischen Donnergott Shango

und aus der Zeichentrickfigur Bugs Bunny in Untitled von 1984 (Abb. 4.60) den west-

afrikanischen/ amerikanischen Tricksterhasen Brer' Rabbit. Die Künstler des Black Arts

Movement kritisierten in den Sechziger Jahren jedoch nicht nur die amerikanische Po-

pulärkultur, die das Bild eines minderwertigen Schwarzen im Bewußtsein der Amerika-

ner etabliert, sondern auch den Staat, der Schuld an dem institutionalisierten Rassismus

der Vereinigten Staaten hat. So wird die amerikanische Flagge, die für Jasper Johns in

den Fünfziger Jahren ein "neutrales" ästhetisches Objekt war, in den Sechziger Jahren für 520 Siehe dazu auch das Kapitel 5.9 Afro-amerikanische Sportler als Volkshelden.

146

afro-amerikanische Künstler wie David Hammons, Dana Chandler oder Faith Ringold

zum Ausgangspunkt einer politischen Kritik (Abb. 6.93).521 In einer Fortsetzung dieser

Kritik dekonstruiert Basquiat das auf die amerikanischen Fünf-Cent-Münzen gedruckte

E PLURIBUS UNUM, das heute zum Motto des amerikanischen Multikulturalismus

geworden ist (Abb. 4.67, 5.16). Dieselbe Dekonstruktion betreibt er mit der Wiederho-

lung des auf die Fünfundzwanzig-Cent-Münze gedruckten Wortes LIBERTY©, das den

Leser fragen läßt, wessen Freiheit damit eigentlich gemeint ist (Abb. 4.67).522 Während

Andy Warhol Anfang der Sechziger Jahre Dollarscheine als das zeichnet, was sie sind

(Abb. 6.94), löst Basquiat in seinen Arbeiten die einzelnen Elemente des Dollarscheins

auf, verstreut sie als Leitmotive über sein Werk und unterzieht sie durch die Wiederho-

lungen einer kritischen Lesart. In Tuxedo von 1983 (Abb. 4.32a) verwendet Basquiat im

oberen Bildfeld einzelne Elemente einer Dollarnote (Pyramide, THE GREAT SEAL)

und der Fünf-Cent-Münze (MONTICELLO).523 Viele Afro-Amerikaner fragen sich,

warum auf der Dollarnote eine ägyptische Pyramide abgebildet ist. Die Antwort extre-

mer Afrozentriker wie Suzar besagt, daß die Vereinigten Staaten auf schwarzem ägypti-

schen freimaurerischem Wissen aufgebaut sind. So seien nicht nur die Dollarnoten mit

freimaurerischen Symbolen versehen, sondern waren auch die ersten Präsidenten Frei-

mauer und ist das Symbol Washington ein ägyptischer Obelisk.524 Basquiat spielt durch

seine Wiederholungen einzelner Fragmente von Dollarnote und Centmünzen in Tuxedo

(Abb. 4.32a), Liberty (Abb. 4.67) und Monticello (Abb. 5.16) auf diese populäre afro-

zentrische Lesart an, ohne dazu jedoch explizit Stellung zu nehmen.

6.5 Der Topos der Anatomie und die Geschichte des wissenschaftlichen Rassismus

Die Präsenz der anatomischen Zeichnungen des menschlichen Körpers in Basquiats Ar-

beiten hat die Literatur bislang zu Erklärungsversuchen genötigt, die fast alle auf der

Rückführung auf ein traumatisches Kindheitserlebnis Basquiats basieren:

He had received a copy of Gray's Anatomy from his mother in 1968 while in thehospital recuperating from surgery, and it seems to have triggered a lifelong in-terest in anatomy.525

521 Fine, 200f; Lewis, 148-153.522 Siehe dazu das Kapitel 5.3 Liberty?.523 Zur Bedeutung von Thomas Jeffersons Wohnsitz Monticello in Basquiats Arbeiten siehe das Kapitel5.3 Liberty?.524 Suzar, o.S.525 Marshall, 23.

147

Selbst Thompson, der so viel zur Klärung der afro-atlantischen Thematik in Basquiats

Werk beigetragen hat, ist einer Art weißem Verdrängungsmechanismus verfallen, wenn

er schreibt:

In march 1987 I asked Jean-Michel if he thought Gray's text helped heal, im-mersing his consciousness in drawings and names of the working parts of thehuman body. He answered: sounds true.[...] Basquiat knew that the surgeon'sknowledge of the totality of his body lay behind the sucessful completion of theoperation. Out of trauma, ... emerged an artist's connection to texts and drawingsof anatomy. [...] Basquiat's essays in anatomy, in their jazz-riff manner of ex-position, are style and content in service to healing and heroic scale.526

Die Uneindeutigkeit von Basquiats Antwort und Thompsons darauf basierende Inter-

pretation steht exemplarisch für Basquiats Methode, nicht explizit "anzuprangern", son-

dern erst durch den Subtext, durch die versteckten Referenzen über seine Erfahrung als

Afro-Amerikaner in Amerika zu sprechen.527 Der Hinweis auf die Repräsentationspro-

blematik der Afro-Amerikaner wird in Basquiats Arbeiten immer erst durch den Bild-

kontext oder die auffällige Rekurrenz eines Motivs innerhalb des Werks gegeben. Diese

Strategie des Auslassens, der "empty intervalls between the articulated forms", sieht

Dick Hebdige in der "unspeakability of the African-American experiences" begründet.528

Daß die fragmentarisierten anatomisierten Körper in Basquiats Werk eine Bedeutung

haben, die jenseits der biographischen Erklärung und dem lapidaren Hinweis darauf, daß

sich schließlich alle Künstler mit Anatomie beschäftigen liegt, das betonen bislang nur die

Afro-Amerikaner Greg Tate und bell hooks sowie der Engländer Hebdige.529 Für sie ist

der unvollständige, deformierte schwarze Körper in Basquiats Arbeiten das Resultat und

Zeichen der "Black male body's history as property, pulverized meat, and popular enter-

tainment", das den Betrachter daran erinnert, daß "lynchings and minstrelsy still vie in

the white suprematistic imagination for the Black male body's proper place".530

Die Unaussprechlichkeit der "black experience" führt jedoch bei den genannten Autoren

dazu, daß sie zwar die thematische Richtung weisen, sie aber nicht anhand einzelner Bil-

dinterpretationen aufzeigen. Im folgenden wird daher zu zeigen sein, daß neben dem

526 Thompson In: Marshall, 29.527 Basquiat war nicht daran gelegen, die Inhalte seiner Arbeiten zu erklären. In den wenigen Selbst-aussagen trägt er vielmehr zu den "Fehlinterpretationen" seiner Arbeit bei. So antwortet er in einem1983 auf Video aufgezeichneten Interview auf die Frage, warum er anatomische Zeichnungen verwen-den würde, lapidar: "Cause I felt like it" und auf die Frage, warum er Leonardo da Vinci zitiere: "Causehe's my favourite artist" (Tschinkel).528 Hebdige In: Marshall, 66.529 So die Erklärung im Beiheft An introduction for students zu Marshall.530 Tate, 238.

148

deformierten schwarzen auch der anatomisierte weiße Körper, wie er von der Literatur

bislang als einfache Übernahme aus Anatomiebüchern verstanden wurde, als ein ver-

steckter Hinweis auf die rassistischen "De-Konstruktionen" des Schwarzen fungiert. Ein

kurzer Überblick über die Geschichte der europäischen Anatomisierung des schwarzen

Körpers und ihren fatalen Folgen soll das Verständnis der Bildlektüren erleichtern und

Basquiats Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Ursprüngen der heutigen ras-

sistischen Vorurteile gegenüber Schwarzen aufzeigen. Frantz Fanon beschreibt ex-

emplarisch das Gefühl, sich als Schwarzer permanent durch den Filter eines weißen

Blicks sehen zu müssen:

I discovered my blackness, ... and made myself an object. What else could it befor me but an amputation, an excision, a hemorrhage that spattered my wholebody with black blood? [...] My body was given back to me sprawled out, dis-torted, recolored [...] The Negro is an animal, the Negro is bad, the Negro is me-an, the Negro is ugly [...]. The Negro is in every sense a victim of white civili-zation.531

Diese von Fanon aufgezählten Attribute des Schwarzen sind jedoch nicht nur rassistische

Vorurteile, sondern wurzeln sowohl tief im christlichen Denken, als auch in den äs-

thetischen und wissenschaftlichen Postulaten des 18. Jahrhunderts. Der europäische

Blick auf den Schwarzen ist seitdem ein primär wissenschaftlicher, der laut Peter Martin

die in der klassizistischen Ästhetik entworfene Typologie des Häßlichen und Schönen

bestätigte.532

Durch die wissenschaftliche Untersuchung der physiognomischen und anatomischen Be-

sonderheiten des Schwarzen suchte man im 18. Jahrhundert Aufschlüsse über dessen

Stellung innerhalb der Gattung Mensch. Dieser wissenschaftliche Diskurs basierte auf

den Theorien des Mono- und Polygenismus, die beide die Inferiorität der schwarzen

Rasse als gegeben voraussetzten.533 Für die Monogenisten war die schwarze Hautfarbe

eine pathologische Veränderung einer ehemals weißen Haut, die auf einem biblischen

Fluch basierte und somit zum Zeichen einer Art kollektiven Erbsünde der Schwarzen

wurde.534 Die Polygenisten hingegen waren von dem Tierstatus der Schwarzen über-

531 Fanon, 122, 192.532 Martin, 18.533 Zu den Theorien des Poly- und Monogenismus im 18. Jahrhundert und deren Instrumentalisierungfür und wider die Sklaverei siehe Jordan, 234-259; Frederickson, 71-96; Pieterse, 34-51; Bitterli, 327-342; Martin, 195-231, Diedrich, 86-100.534 Zum einen der Fluch Noahs über seinen Sohn Ham "Du sollst Knecht aller Knechte sein", wobei dieHamiten mit den Afrikanern gleichgesetzt wurden; zum anderen das Kainsmal, das als schwarze Hautinterpretiert wurde.

149

zeugt, die Gott vor Adam und Eva (Präadamiten) am sechsten Schöpfungstag zusammen

mit den Tieren geschaffen hätte. Während die Polygenisten die Schwarzen also auf der

Stufe der Tiere fixierten, war im monogenistischen Konzept zumindest die Möglichkeit

einer Entwicklung zu einer höheren Zivilisationsform und damit einer Befreiung von der

Sünde gegeben.535 Beide Theorien wurden in den Vereinigten Staaten als Legitimation

der Sklaverei benutzt, wobei sich die These der Polygenisten natürlich als brauchbarer

erwies.

Die vergleichende Anthropologie und klassifizierende Rassenkunde Europas, die mit ei-

ner Flut von Publikationen über anatomische Untersuchungen von Schwarzen den wis-

senschaftlichen Diskurs gegen Ende des 18. Jahrhunderts bestimmte, übernahm die von

Carl Linnée in dessen Systema Naturae gelegten Grundlagen einer horizontalen Klassifi-

zierung und funktionierte sie in die hierarchische Gliederung der "Großen Lebenskette"

um. Innerhalb dieser stufenartigen Gliederung der Welt von den Mineralien bis hin zu

den Menschen wurde die Suche nach den Zwischengliedern von Pflanze und Tier und

von Tier und Mensch zum zentralen Thema, ihre Beantwortung zur wissenschaftlichen

Bestätigung der angenommenen Inferiorität der Afrikaner. Carl Linée nimmt innerhalb

seiner Klassifikation der Natur eine Einteilung der verschiedenen Arten des "Homo sa-

piens" vor. Exemplarisch ist bei diesem Begründer der wissenschaflichen Systematisie-

rung die Vermischung von mythischem und wissenschaftlichen Denken, die die ganze

anthropologische Diskussion über die Natur des Schwarzen im 18. und 19. Jahrhundert

prägte und letztendlich zu den bis heute vorherrschenden rassistischen Vorstellungen

führt. Unter die menschliche Gattung der "monstrae" reiht Linée die afrikanischen Hot-

tentotten ein. In Antike und Mittelalter im Wald lebende mythische Mischwesen wie

Satyr, Faun, Zentaurus und der Wilde Mann werden nun zu echten Menschen, die im

Dschungel Afrikas leben. Die in den wissenschaflichen Publikationen dieser Zeit alternie-

rend für Affen oder Afrikaner verwandte Bezeichnung des "Homo Sylvestris" zeugt von

dieser Überlagerung der Vorstellungen, der Waldmensch avancierte zum "missing link"

der "Großen Seinskette".536

Durch die vergleichende Anatomie zwischen Affe und Mensch und zwischen den ver-

schiedenen Menschenrassen, namentlich der Afrikaner und der Europäer, wurde die ge-

naue Reihenfolge der Rassen in der "Stufenleiter des Lebens" konstruiert. Man verstän-

digte sich darauf, im Hottentotten, dem in Südafrika als ersten entdeckten Eingeborenen, 535 In diesem Kontext sind die im 18. Jahrhundert populären Erklärungen der schwarzen Haut als einerLepraerkrankung sowie die zahlreichen wissenschaftlichen Versuche einer "Denigrification" der Hautzu verstehen (siehe Fanon, 111f; Martin, 277-290, Mann, 169-188).536 Pieterse, 41.

150

der im ästhetischen Diskurs schon lange das Sinnbild des Häßlichen war, das fehlende

Glied zu sehen.537 Für Jordan steht Charles White (1728-1813) stellvertretend für diese

vergleichenden anatomischen Untersuchungen und ihre fatalen Folgen.538 Der über-

zeugte Polygenist White schrieb eine besonders in den Vereinigten Staaten sehr populäre

Abhandlung, in der er die Affenähnlichkeit der Schwarzen neben einer Reihe eher sekun-

därer Merkmale vor allem anhand ihrer besonders langen Arme sowie ihres übergroßen

Penis bewiesen haben will. White greift den alten Mythos der "Geilheit" der Paviane auf,

der sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts zu dem wissenschaftlichen Credo entwickelte,

daß Großaffen mit Afrikanerinnen sexuell verkehrten und daraus die als "missing link"

betrachteten Mischwesen - die Afrikaner - entstünden. Die Übertragung dieser Hyperse-

xualität des Affen auf den Afrikaner und deren anatomische Beweise durch die in jedem

anatomischen Institut Europas aufbewahrten präparierten Penise konstruierten den

Schwarzen als Gegenbild der europäischen Bürgertugenden. Seine animalische Sexuali-

tät mußte folglich kontrolliert und eingeschränkt werden. Die Folgen dieser Gleichset-

zung sind in Europa an den physiognomischen Rückschlüssen der Kriminalanthropologie

Cesare Lombrosos (dicke Lippen, große Zähne wie die des Gorillas, flache Füße wie die

des Negers lassen auf einen Vergewaltiger oder Mörder schließen) und in den Verglei-

chen der Hottentottenvenus mit der Physiognomie von Prostituierten abzulesen.539

Entsprach in Europa das Bild des Schwarzen also der untersten moralischen Stufe der

weißen Menschheit, so wurden in den Vereinigten Staaten während der "Reconstruction

Era" solche physiognomischen Erkenntnisse als Beweis der naturellen Kriminalität der

freien Schwarzen benutzt. Das Gegenbild des lächelnden, glücklichen desexualisierten

Sklaven "Sambo" war der "brute nigger". Der Zwillingsmythos vom "black beast" und

der "white goddess" legitimierte ein ganzes System rassischer Unterdrückung, das in den

Lynchmorden Ende des 19. Jahrhunderts gipfelte. Die Angst, daß der freie Schwarze

nach der Erlangung der politischen Rechte nun auch das Recht auf die weiße Frau for-

dern könnte, wurde, so George M. Frederickson, zum Feindbild aufgebaut.540 In Dixons

Roman The Klansman (1905) und dessen Verfilmung durch Griffiths Birth of a Nation

(1915) bildet die Vergewaltigung einer weißen Frau durch einen freien Schwarzen den

Ausgangspunkt für die Entstehung des Ku Klux Klans und dessen Forderung nach Ent-

zug der Bürgerrechte der Afro-Amerikaner und Rassentrennung. Diese letztendlich auf 537 Pieterse, 41.538 Jordan, 238, 298-502. Jordans 1968 publiziertes Buch White over Black. American Attitudes Towardthe Negro, 1550-1812 ist das Standardwerk zu der historischen Konstruktion des Schwarzen als dem"Anderen". Es ist anzunehmen, daß Basquiat seine Kenntnis über die anatomischen Dekonstruktionendes Schwarzen zum Teil aus diesem Buch bezog.539 Pieterse, 180f; siehe dazu das Kapitel 6.6.2 Die Hottentottenvenus.540 Frederickson: "The Negro as Beast. Southern Negrophobia at the Turn of the Century", 256-282.

151

dem Vergleich mit der Sexualität des Affen basierende Legitimation des Ausgrenzens

und Mordens der Afro-Amerikaner wird in dem Film King Kong und die weiße Frau

(1933) wieder an den Ursprung des Mythos zurückgeführt. Das Monster King Kong,

das zusammen mit den Dinosauriern und den Eingeborenen ein Leben auf der frühesten

Evolutionsstufe repräsentiert, fordert ein Frauenopfer. Mit der Zivilisation konfrontiert,

zieht es die "Schönheit" (so der O-Ton) der schwarzen Jungfrau vor und wird für seine

sexuelle Begierde nach der weißen Frau mit dem Tod bestraft!

An den folgenden Bildbeispielen kann Basquiats Thematisierung der Ursprünge und Fol-

gen der vergleichenden Anatomie, die Pieterse die "prehistory of racial thinking in na-

tural history" nennt, abgelesen werden.541

6.5.1 Bildlektüre: "Leonardo da Vinci's Greatest Hits"

Marshall zufolge hat Basquiat als Quellen für seine anatomischen Zitate neben Paul

Richters Artistic Anatomy und Gray's Anatomy auch einen Prachtband über Leonardo

Da Vinci von 1966 verwendet.542 Direkte Leonardo-Zitate finden sich, so Marshall, in

den Arbeiten Leonardo da Vinci's Greatest Hits, 1983 (Abb. 6.97); Untitled , 1983

(Abb. 6.126); Untitled , 1987 und Riding with Death, 1988.543 Die Frage, in welchem

Zusammenhang die Übernahmen der Zeichnungen Leonardo da Vincis stehen könnten,

wurde von der Literatur bislang nicht gestellt, obwohl bereits Enrique Hauser weitere

Bezugnahmen Basquiats durch vergleichendes Bildmaterial geklärt, aber nicht interpre-

tiert hat.544 Basquiat hat die Arbeiten Leonardo Da Vincis jedoch nicht aus einer reinen

Bewunderung an dessen obsessiven Zeichnungen - wie es Marshall vermutet - zitiert,

sondern rekurriert mit ihnen auf die Wirkungsgeschichte von Leonardo da Vincis ver-

gleichenden anatomischen und physiognomischen Studien, in deren Verlauf der Schwar-

ze als Gegenbild des Ideals des Schönen, Guten und Wahren konstruiert wurde. 541 Pieterse, 43.542 Marshall, 23. Diese Angabe Marshalls bezieht sich auf Hauser 1990, der als primäre Quelle fürBasquiats Zitate Leonardo da Vinci, publiziert von Reynold & Company, New York 1957 (Nachdruck1967) nachgewiesen hat. Dieser Band ist die amerikanische Ausgabe der großen Leonardo-Monographie, die anläßlich einer Ausstellung 1939 in Mailand verfaßt, aber erst nach dem Krieg ge-druckt wurde. Diese Ausgabe ist mit der hier im folgenden verwendeten deutschen Ausgabe Leonardo1955 identisch. Beide Ausgaben sind laut Hauser 1990, 96, FN 13 wissenschaftlich jedoch längst über-holt.543 Abb. siehe Marshall, 220, 231. Die Marshall jedoch nur für Untitled und Riding with Death mitBildvergleichen belegt. Bei Leonardo da Vinci's Greatest Hits und Untitled folgert er nur durch dieAngabe des Bildtitels (bei letzterem des bildinternen Titels) auf Leonardo-Zitate.544 Hauser weist Übernahmen aus Leonardos Trattato della pittura, von technischen Zeichnungen undder "Madonna Litta" nach.

152

Die in Leonardo da Vinci's Greatest Hits von 1983 (Abb. 6.97) aufcollagierte rötlich

gefärbte Farbkopie mit der Darstellung des Hinterbeins eines unbestimmbaren Tieres mit

Schwanz und der eines männlichen Rückenaktes mit der denotativen Beschriftung

STUDIES OF HUMAN LEG PLUS THE BONE OF THE LEG IN MAN AND

DOG©, STUDYS OF HUMAN LEG PLUS BONE OF LEG HUMAN AND DOG. und

BAD FOOT ist ein Zitat einer Zeichnung Leonardo da Vincis von ca. 1506 (Abb. 6.98),

auf der dieser die Anatomie eines Pferdebeins mit dem eines menschlichen Beins ver-

gleicht. Basquiat hält sich in der rötlichen Farbgebung an die Vorlage, wählt jedoch nur

zwei der insgesamt sechs Bildelemente der Zeichnung Leonardo da Vincis aus. Seine

Beschriftung ....MAN AND DOG© anstelle von "man and horse" lenkt zudem von der

ursprünglichen Quelle ab.

Leonardo Da Vinci gilt durch seine Anatomiestudien von Pferd und Mensch als der

Vorläufer der vergleichenden Anatomie.545 Während Leonardo da Vinci lediglich an der

Untersuchung der Funktion des Bewegungsapparates von Mensch und Tier interessiert

war, wollte die vergleichende Anatomie des 18. Jahrhunderts durch solche Vergleiche

die gattungsdifferenzierenden bzw. übergreifenden Merkmale feststellen. Leonardo da

Vinci kommentiert seinen anatomischen Vergleich von Pferde- und Menschenbein auf

der Zeichnung wie folgt: "Die Ähnlichkeit, die die Gestalt der Knochen und Muskeln der

Tiere mit denen der Menschen haben".546 Eben diese frappierende Ähnlichkeit findet sich

in einem von Basquiat nicht zitierten Bildelement eines Mensch/Pferdebeins derselben

Zeichnung (Abb. 6.99). Die eigentümliche anatomische Darstellungsart des Beines gab

der Forschung dazu Anlaß, von einer "Phantasiefusion" zwischen Mensch und Tier zu

sprechen.547 In der vergleichenden Anatomie des 18. Jahrhunderts hat diese von Leonar-

do da Vinci erstmals aufgezeigte Ähnlichkeit von menschlicher und tierischer Anatomie

jedoch enorme Folgen für die Einordnung des Afrikaners in die "große Stufenleiter des

Lebens" gehabt, denn die jeweilige Forschungsmeinung über den Grad der Ähnlichkeit

machte den Schwarzen alternierend zum Tier oder zum Mensch, legitimierte die Sklave-

rei oder nahm ihn als ebenbürtiges Mitglied in die Gattung Mensch auf. Dieses auf die

Folgen der vergleichenden Anatomie verweisende Bildelement der Leonardo-Zeichnung

ist in dem Prachtband über Leonardo da Vinci, aus dem Basquiat nachweislich zitiert

hat, prominent dargestellt (Abb. 6.99); der von Basquiat zitierte männliche Rückenakt

545 Leonardo 1955, 389; Keele In: Baur, 30.546 Leonardo 1955, 393.547 Als eine solche wird das Bein in Baur, 274 kommentarlos bezeichnet. Das Standardwerk zu denZeichnungen in Windsor von Clark, Nr. 12625 (allerdings von 1969) führt dieses jedoch als menschli-ches Bein auf.

153

fehlt jedoch auf dieser Darstellung. Neben dieser Zeichung ist eine Zeichnung Leonardo

da Vincis mit einem Vergleich zwischen dem Unterarm eines Menschen und eines Affen

abgebildet (Abb. 6.99). Basquiat spielt in Leonardo da Vinci's Greatest Hits durch

eine komplexe Verschiebung des Zitierten also weder auf den Vergleich zwischen MAN

AND DOG©, noch auf den Vergleich zwischen Mensch und Pferd an, sondern auf den

zwischen Mensch und Affe!548 Denn dieser von Leonardo da Vinci gemachte Vergleich

war für die Einordnung des Schwarzen im 18. Jahrhundert äußerst folgenreich: der ame-

rikanische Polygenist Charles White sah nämlich, wie bereits oben gezeigt, im Längen-

verhältnis von Unter- und Oberarm des Schwarzen dessen Affenähnlichkeit und damit

auch seine daraus resultierende biologische Inferiorität und ausufernde Sexualität bewie-

sen.549

Die obere schwarz-blaue Figur in Leonardo da Vinci's Greatest Hits ist ein weiteres

Leonardo-Zitat. Sie bezieht sich auf eine Zeichnung Leonardo da Vincis, die die Vorder-

ansicht eines breitbeinig stehenden Mannes zeigt (Abb. 6.100). Basquiat ergänzt die

"Vorlage" Leonardo da Vincis jedoch um einen schwarzen Kopf, eine blaue schwert-

artige Verlängerung des ausgestreckten Armes sowie um ein blaues "Pferdebein". Die

schwarz-blaue Figur in Leonardo da Vinci's Greatest Hits wird so zu einem Mischwe-

sen zwischen Mensch und Pferd, das auf die verschiedensten Zuschreibungen des

Schwarzen als einem tiergleichen Wesen bezieht. Basquiat verweist durch die beiden

Leonardo-Zitate nicht nur auf Leonardo da Vinci als Vater der vergleichenden Anato-

mie, sondern auch als Vorläufer der Vermischung von wissenschaftlichem Diskurs und

mythologischem Denken. Denn Leonardo da Vinci gibt in seinem Trattato della pittura

in einem "Wie man ein Phantasietier wie ein natürliches Wesen darstellen kann" betitel-

ten Kapitel bereits eine Anleitung zur Konstruktion von Mischwesen zwischen Mensch

und Tier.550 Diese mit Leonardo da Vinci beginnende Überlagerung von wissenschaftli-

cher Forschung und mythologischen Vorstellungen wurde dem Afrikaner im

18. Jahrhundert jedoch zum Verhängnis, denn die vergleichende Anthropologie sah in

ihm, wie bereits oben ausgeführt, den lebenden Beweis der antiken und mittelalterlichen

Fabelwesen. Vor allem aber hat die Übertragung der sexuellen Hyperaktivität des Affen

548 Enrique Hauser hat in seinen beiden Aufsätzen zu Basquiats Beschäftigung mit Leonardo da Vinciein ähnlich kompliziertes Zitierverfahren Basquiats nachgewiesen. Er zeigt auf, daß Basquiat nicht nurElemente aus verschiedenen Blättern Leonardo da Vincis in einem Bild überlagert, sondern auch Bild-unterschriften vertauscht oder Textfragmente aus dem laufenden Text und den Fußnoten der Leonardo-Bücher integriert. Die Zuordnung der so codierten Zitate in Basquiats Arbeiten kann damit allein durchdie meist unmittelbare Nähe der zitierten Zeichnungen (entweder auf einer Seite oder in einem Kapitel)in der Vorlage erfolgen (Hauser 1990, 96)!549 Bitterli, 355.550 Keele In: Baur, 22f.

154

auf den Afrikaner ihren Ursprung in der Konstruktion der Mischwesen von Satyr, Faun

und Teufel als Verkörperungen von Sexualität und Sünde. Mit dem angesetzen blauen

"Pferdefuß" der oberen Figur in Leonardo da Vinci's Greatest Hits spielt Basquiat auf

all diese Konnotationen an.

Die um einiges größer und markanter als in der Zeichnung Leonardo da Vincis gezeich-

neten Genitalien der Figur verweisen auf die Zuschreibungen der weißen Imagination an

die angeblichen sexuellen Fähigkeiten der Schwarzen. Zwei weitere im Bildtext ge-

machte Referenzen an die Sexualität des schwarzen Mannes bestätigen diese Lesart. Der

gekrönte TORSO ist auf seine vergrößerten männlichen Geschlechtsteile reduziert.551

Diese Reduktion des männlichen Körpers auf seine Genitalien bezieht sich auf den ste-

reotypen Mythos des schwarzen Mannes als einem "walking phallus", einem "animalistic

satyr".552

Das zwischen der schwarz-blauen oberen Figur und dem männlichen Torso situierte

PROMETHEUS BOUND verweist auf den griechischen Mythos und die gleichnamige

Tragödie des Aischylos. Prometheus wurde von Hephaistos, der durch sein lahmes Bein

und sein rußverschmiertes schwarzes Gesicht die Verkörperung des Häßlichen schlecht-

hin ist, an einen Felsen des Kaukasus geschmiedet. Das schwarzverschmierte Gesicht der

oberen Figur, die Bezeichnung BAD FOOT im Blatt nebenan, das angesetzte Bein sowie

der Gestus des Armes, der die Hammerbewegung der unteren weißen Figur wiederholt,

lassen die obere Figur somit als Hephaistos lesen. Durch seine Schwärze und seine ver-

meintliche Häßlichkeit kann Hephaistos als eine Repräsentation des Schwarzen interpre-

tiert werden.

In einer in der rechten oberen Bildecke durch die Worte RETURN OF THE

PRODIGAL evozierten christlichen Referenzebene wird durch das schwarze Gesicht

und den Pferdefuß der blau-schwarzen Figur gleichzeitig auch der schwarze Teufel kon-

notiert, denn die Sexualität des schwarzen Mannes war in der weißen Imagination von

Beginn an mit der Sündenhaftigkeit des Teufels verbunden.553 Aber bereits in Aphrodites

Ablehnung ihres häßlichen rußverschmierten schwarzen Gatten Hephaistos ist die Kon-

stellation des "black beasts" und der "white godess" - der komplizierten Beziehung von

schwarzem Mann und weißer Frau in den Vereinigten Staaten - präfiguriert.

551 Auch er ist ein Kunstzitat und bezieht sich sowohl auf Andy Warhols "Torsos" von 1977(Abb. 6.101) als auch auf Robert Motherwells Collage "Pancho Villa Dear and Alive" von 1943 aus derSammlung des Museums of Modern Art in New York (Abb. 6.101a).552 Pieterse, 175.553 Fanon, 180-188.

155

Basquiat hat also mit dem Bildtitel "Leonardo da Vinci's Greatest Hits" und den beiden

Leonardo-Zitaten die wissenschaftlichen Ursprünge des europäischen Rassismus ge-

nannt. Mit der Rekurrenz des "Fußmotivs" (HEEL, BAD FOOT, LEFT FOOT,

[STUDY OF FEET], der Eisenbahnarbeiterfigur, PROMETHEUS BOUND und den

Anagrammen von SLAVE© (SEVLAC/CALVES/SEVLAC/CALVES)554 verweist er

auf das durch den wissenschaftlichen Rassismus des 18. Jahrhunderts legitimierte "An-

gekettetsein" der Schwarzen in der Sklaverei.

Die Figur des weißen Eisenbahnarbeiters im linken unteren Bildteil von Leonardo da

Vinci's Greatest Hits konnotiert sowohl die Schmiedearbeit des Hephaistos als auch die

Beteiligung der Afro-Amerikaner am Verlegen der amerikanischen Eisenbahnen in der

Sklaverei und der anschließenden "Reconstruction Era". Der weiße Eisenbahnarbeiter

verweist auf den schwarzen Sklaven John Henry, einen der bekanntesten afro-amerika-

nischen Volkshelden.555 John Henrys Legende wurzelt im Bau der Chesapeake & Ohio

Railroad in West Virginia in den 1870er Jahren, für die der längste Tunnel in den Verei-

nigten Staaten gegraben wurde. Während der zweijährigen Bauzeit arbeiteten die fast

ausschließlich schwarzen Arbeiter unter infernogleichen Bedingungen; "steel-driver" wie

John Henry hämmerten mit großen Vorschlaghammern Stahl in den Felsen um Löcher zu

schaffen, in die Sprengstoff gelegt wurde.556 Der Legende nach schlägt John Henry im

Wettlauf mit einer Maschine mit eigener Kraft einen Tunnel durch den Berg, kommt

schneller als die Maschine am anderen Ende des Berges an und stirbt vor Erschöp-

fung.557 John Henry ist somit der gute schwarze Held, der durch harte körperliche Arbeit

nicht nur die Weißen, sondern auch deren Maschinen besiegt.558 Er ist Levine zufolge

ebenso wie der Boxer Joe Louis ein schwarzer Volksheld, der die weiße Gesellschaft auf

ihrem eigenen Terrain unter ihren eigenen Regeln besiegt hat. Seit dem Ende des

19. Jahrhunderts bildet er daher ein wichtiges "role model" für die schwarzen Arbeiter,

die ihn in über sechzig bekannten Versionen von "work songs" verehren. John Henry ist

auch ein fester Bestandteil des Bildpersonals der afro-amerikanischen Kunst, so widmet

ihm beispielsweise Palmer Hayden mit "His Hammer in His Hand" (1944-1954) eine

ganze Serie (Abb. 6.102).

554 Auf rötlichem Papier, was ein weiteres, mir jedoch unbekanntes Leonardo-Zitat konnotiert!555 Darauf wies mich die Besitzerin des Bildes, Lenore Schorr, in einem Interview am 26. Oktober 1995in New York hin.556 Levine, 421.557 Williams, Brett, 111.558 Asante, 106.

156

In der Nachfolge von John Henry mußten die Afro-Amerikaner nach der Abschaffung

der Sklaverei als willkürlich Verhaftete in den "chain gangs" der "Reconstruction Era"

und des 20. Jahrhunderts weiter am Bau der Eisenbahnen und später der Straßen mitar-

beiten.559 Auch diese Fortsetzung der Ausbeutung der schwarzen Arbeitskraft ist ein

rekurrentes Motiv in der afro-amerikanischen Kunst. So stellt William H. Johnson in

"Chain Gang" (1939/40) eine Gruppe schwarzer Arbeiter mit Äxten und Schaufeln dar

(Abb 6.103). Auch in der 1986 entstandenen Zeichnung Untitled (Abb. 6.105) und ei-

ner Einladungskarte der Düsseldorfer Galerie Hans Meyer von 1988 (Abb. 6.106) be-

zieht sich Basquiat auf die Ausbeutung der Afro-Amerikaner als (Eisenbahn)-arbeiter in

der Sklaverei und in den "chain gangs". Beide Arbeiterfiguren sind durch ihre dunkle

Hautfarbe nun eindeutig als Afro-Amerikaner gekennzeichnet.

Die Eisenbahnlinie in Leonardo da Vinci's Greatest Hits führt von der weißen Arbei-

terfigur vorbei an dem männlichen Torso, dem "angeketteten" Prometheus und endet in

der Wortreihung LATISSIMUS BORSI, LATISSIMUS, HUESO, HUESO. Das spani-

sche Wort HUESO bringt die in der Sklavenarbeit erfolgte zwangsläufige Anatomisie-

rung des schwarzen Körpers auf den Punkt, denn "hueso" heißt sowohl Knochen als

auch schwere Arbeit und konnotiert den spanischen Ausdruck "darse en los huesos", nur

noch Haut und Knochen sein.560

Die entlang der Schienen aufgereihten drei Figuren von Eisenbahnarbeiter, männlichem

Torso und der oberen blau-schwarzen Figur bilden eine Art geschichtliche Abfolge der

Repräsentation des Schwarzen. Die Figur des oberen Mischwesens/Hephaistos/Teufel

verkörpert die wissenschaftlichen und mythologischen Ursprünge der Konstruktion des

Schwarzen als einem sexualisierten tiergleichem Wesen. Der auf seine Genitalien redu-

zierte Torso bekräfigt diese seit dem 18. Jahrhundert bestehende Repräsentation des

Schwarzen als einem "walking phallus". Der weiße Eisenbahnarbeiter schließlich zeigt,

wohin die Erklärungen des wissenschaftlichen Rassismus geführt haben: zu der Ausbeu-

tung der Arbeitskraft der Schwarzen in der Sklaverei und den "chain gangs". Diese Rei-

hung wird von der Abfolge der drei den Autor im Bild vertretenden Kronen gekreuzt.

Die Kronen reklamieren die darunter stehenden Worte und den schwarzen Fleck in der

rechten unteren Bildecke als Stellvertreter des "Ichs" im Bild. Während die Worte HEEL 559 Wilson/Ferris, 1501.560Auch der durch PROMETHEUS BOUND evozierte Prometheusmythos handelt von Haut und Kno-chen (dem Opferbetrug) und dem Aushungern der Menschen. In der Tragödie des Aischylos wird Zeusals ein despotischer Herrscher, dessen Weltherrschaft allein auf Gewaltausübung basiert, charakterisiert.Eine von Basquiat intentierte Identifizierung der Schwarzen mit dem ersten, von Prometheus geschaffe-nen gebrechlichen Menschengeschlecht, das Zeus durch Aushungern vernichten und durch ein neues,idealeres ersetzten wollte, ist durchaus denkbar.

157

HEEL die bereits oben aufgezeigte Negatividentität des Afro-Amerikaners als dem

"Fußabstreifer" der Gesellschaft konnotieren, verweist TORSO auf die Sexualisierung

des schwarzen Mannes in der amerikanischen Gesellschaft. Der als eine Art Signaturer-

satz funktionierende schwarze Fleck im rechten unteren Bildfeld verkörpert abschlie-

ßend, worum es in Leonardo da Vinci's Greatest Hits eigentlich geht: um die ver-

schiedenen Repräsentationen und geschichtlichen Implikationen der blackness.

6.6 Basquiats Kritik der weißen Repräsentation schwarzer Sexualität

Mit dem auf die männlichen Genitialen reduzierten TORSO und der Überlagerung der

blau-schwarzen Figur mit Hephaistos hat Basquiat in Leonardo da Vinci's Greatest

Hits bereits codiert auf die komplizierte sexuelle Beziehung zwischen schwarzen Män-

nern und weißen Frauen in den Vereinigten Staaten hingewiesen. Der schwarze Mann

wird in dieser Beziehung im extremen Fall zu einem Vergewaltiger, die weiße Frau zu

einer unantastbaren Göttin.

6.6.1 "King Kong und die weiße Frau"

In Untitled (Venus/The Great Circle) von 1983 (Abb. 6.107) verweist die Gegenüber-

stellung eines Gorillas mit der Beschriftung HONG KONG© und einem strahlend wei-

ßen weiblichen Torso mit dem Titel VENUS auf den Film King Kong und die weiße

Frau und dessen bereits oben beschriebener Bedeutung für die Konstruktion des

schwarzen Mannes als einer übersexualisierten Bestie. King Kong steht im (rassistischen)

amerikanischen Bewußtsein für die Verkörperung des schwarzen Mannes schlechthin.

Das Copyright-Zeichen hinter HONG KONG markiert den Affen als ein Alter ego Bas-

quiats, BAD FOOT© verweist wie schon in Leonardo da Vinci's Greatest Hits auf

den lahmen Fuß als Zeichen von Hinken, Häßlichkeit und Sexualität und damit als Hin-

weis auf Hephaistos und den Teufel.561 Der durch THE GREAT CIRCLE"© denotierte

große Steinkreis von Stonehenge, die Seitenansichten zweier menschlicher Skelette mit

der Darstellung des Steißbeins,562 der JAVAMAN und schließlich der DINOSAUR©

561 Schwarze haben angeblich auch größere und flachere Füße (Fanon, 116), ein weiteres Indiz ihrerAnimalität, was auch die Rekurrenz der Füße (SIZE NINE!) auf Bildern wie Early Moses von 1983erklärt.562 Das ja ein anatomischer "tierischer" Rest im menschlichen Skelett ist! Das rechte collagierte Blattist zudem ebenfalls eine Übernahme von Leonardo da Vincis Mensch-Pferd-Vergleich.

158

werden zusammen mit den beiden King Kong-Gorillas als Zeichen evolutionärer Rück-

ständigkeit mit dem Schönheitsideal westlicher Zivilisation, dem Torso einer Venuss-

kulptur konfrontiert, deren Makellosigkeit Basquiat jedoch ironisch durch die Ansicht

auf ihre Eingeweide demontiert.

Diese in Untitled (Venus/The Great Circle) gemachte Kontrastierung von europäi-

scher Schönheit und schwarzer Häßlichkeit und Sexualität wird von einem faschistischen

italienischen Propagandaplakat illustriert (Abb. 6.108): der unzivilisierte "brute nigger"

raubt die Venus von Milo! Der afro-amerikanische Künstler Bob Thompson hat bereits

1959 in "Beauty and the Beast" (Abb. 6.109) in einer sehr viel offeneren Form als Bas-

quiat auf die komplexe Problematik der interrassischen Beziehungen zwischen schwarz

und weiß in Amerika hingewiesen. In Thompsons Darstellung wird der schwarze Mann

ganz offen zum aggressiven Monster und Vergewaltiger, die weiße Frau zur regungslo-

sen Puppe.563

Bereits in Rape of Roman Torso von 1982 (Abb. 6.110) betont Basquiat durch den

Bildtitel den Zusammenhang von (schwarzem) Vergewaltiger und (weißem) westlichem

Kunstobjekt/Schönheitsideal. Die große rote Hand im unteren Bildteil verschmilzt mit

der schwarzen Farbfläche, die die weiße Venus übermalt, die buchstäbliche blackness

"vergewaltigt" die weiße Frau.

6.6.2 Die "Hottentottenvenus"

Während der anatomisierte und fragmentierte "black male" den Großteil von Basquiats

Bildpersonal bildet, finden sich in seinen Arbeiten nur sehr wenige Darstellungen von

schwarzen Frauen. Basquiat hat jedoch all die Frauen dargestellt, die zu einer Geschichte

der weißen Phantasie einer exzessiven schwarzen weiblichen Sexualität gehören: die

"Hottentottenvenus" des 19. Jahrhunderts, die Magd von Edouard Manets "Olympia"

und Pablo Picassos "afrikanisierte" Demoiselles.

Basquiats Zeichnung Untitled von 1988 (Abb. 6.111) handelt von den anatomischen

Untersuchungen der Hottentottenvenus. Hatte die klassizistische Ästhetik den Schwar-

563 Zu einer Interpretation des Gemäldes siehe Wilson, Judith: "Optical Illusions. Images of Misce-genation in Nineteenth- and Twentieth-Century American Art." American Art. Sommer 1991. Bd. 5.Nr. 3, 99.

159

zen als das häßliche Gegenbild des griechischen Idealkörpers entworfen, so führte man

von der Mitte des 17. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts der interessierten Bevölke-

rung Beispiele solcher die Norm durch ihre Abnormalität bestätigenden häßlichen "Hot-

tentotten" vor. Die öffentliche Zurschaustellung der Hottentottenvenus Saartje Baartman

zu Beginn des 19. Jahrhunderts kann als die Kulmination des Vergleichs zwischen dem

klassizistischen Schönheitsideal des 18. Jahrhunderts und seinem in der negrioden Phy-

siognomie gefundenen Gegenentwurf gelten.

Die Hottentottenvenus wurde von dem französischen Forscher George Cuvier eingehend

vermessen, andere Anatomen wie die Deutschen Hubert Luschka und Johannes Müller

schlossen sich seinen Untersuchungen an (Abb. 6.112, 6.113). Nach Baartmans Tod

1815 wurde ihr Leichnam von Cuvier in Wachs abgedrückt und anschließend seziert, das

Skelett und die in Wachs gegossenen Teile waren noch bis vor kurzen im Pariser Musée

de L`Homme ausgestellt.564 Die Hottentottenvenus ist, so Sander Gilman, die Repräsen-

tation der schwarzen Frau im 19. Jahrhundert schlechthin, ihre physische Erscheinung

markierte exemplarisch die sexuelle Differenz von Europäerinnen und Afrikanerinnen,

ein Unterschied, der nicht nur angenommen, sondern auch "wissenschaftlich" bewiesen

wurde.565 Eine Untersuchung der übergroßen Schamlippen der Hottentottenvenus, die

der französischen Akademie nach ihrem Tod präpariert präsentiert wurden, sollte ihre

primitive Sexualität anatomisch bestätigen. Was in Wirklichkeit eine künstlich erzeugte

Verlängerung der Schamlippen war, die bei dem Stämmen im Basutoland und in Daho-

mey als Schönheitsmerkmal galt, wurde als natürliche Mißbildung, die mit dem Fachter-

minus "Hottentottenschürze" belegt wurde, betrachtet. Ziel dieser Untersuchungen war

es letztendlich, einen so großen Unterschied der Genitalien von Europäerinnen und Afri-

kanerinnen zu beweisen, der die rassistische These der Polygenisten bestätigen konnte,

daß die Schwarzen eine niedrigere, tiergleiche Rasse seien. Aber auch das sekundäre

Merkmal einer animalischen Sexualität, das übergroße Gesäß der Hottentottenvenus, die

sogenannte Steatopygie, wurde als ein primäres interpretiert, die Größe des weiblichen

Beckenknochens zum Maßstab des Vergleiches von höheren und niederen Rassen ge-

macht. So benutzten R. Verneau, Charles Darwin und 1905 noch Havelock Ellis die

großen Beckenknochen der Hottentottin zum Beweis ihrer primitiven Natur.566

564 Martin, 259, 467.565 Gilman, Sander L. "Black Bodies, White Bodies. Toward an Iconography of Female Sexuality inLate Nineteenth-Century Art, Medicine, and Literature In: Gates 1987, 223-261.566 Gilman In: Gates 1987, 235-238. Zu einer "Ikonographie" der Steatopygie im 20. Jahrhundert siehehooks, 61-77.

160

Der große schwarze Fleck in Untitled (Abb. 6.111) ist der Signifikant der blackness, der

Platzhalter des Fremden, das es durch die weißen denotativen wissenschaftlichen Be-

zeichnungen anzueignen gilt. Diese Konstruktion des absolut "Anderen" ist die Hotten-

tottenvenus. Ohne daß sie direkt bezeichnet wäre, enthüllt erst ihr Umfeld den Kontext,

in dem der medizinische Diskurs situiert war. Die Skelette verweisen auf die anatomi-

schen Untersuchungen, die unmittelbare Nähe verschiedener Ansichten eines Becken-

knochens (VISTA DI FIANCO, VISTA DALL` ALTO, VISTA POSTERIOR MENTE)

sowie deren rotfarbige Abstraktionen auf die Instrumentalisierung des Beckens als ein

primäres Merkmal rassischer Inferiorität. Auch auf einem Blatt der Portfolioserie "Ana-

tomy" von 1982 (Untitled (Female Pelvis), Abb. 6.114) findet sich die Ansicht und

Bezeichnung eines Beckenknochens wieder: FEMALE PELVIS BACK VIEW!567

Auf die Untersuchung der Schamlippen der Hottentottenvenus deutet die rechts neben

der Figur situierte Zeichnung einer Blüte mit der Beschriftung TWO LIPPED und zwei

Pfeilen hin.568 Basquiat meidet hier nicht nur einmal wieder das allzu Offensichtliche, er

kommentiert damit auch den Ursprung der klassifizierenden Rassenkunde, das Klassifi-

kationssystem Linées. Im Vordergrund der Linéeschen Systematisierung stand die Be-

schaffenheit der Fortpflanzungsmerkmale. Zahl und Aussehen von Blütenstempeln und

Staubblättern entschieden über die Einordung der jeweiligen Pflanze.569 Obwohl diese

Kriterien nicht unmittelbar auf die rassenvergleichende Anatomie appliziert wurden, war

der Diskurs doch von Anfang an von den Rückschlüssen der anatomischen Merkmale

auf die angebliche Abnormalität der Sexualität der Schwarzen geprägt, was das Beispiel

des Polygenisten White für die männlichen Genitalien gezeigt hat. Die das ganze Blatt

dominierenden Zeichnungen von Pflanzen und niederen Tierarten mit ihren jeweiligen

botanischen und biologischen Termini rekurrieren ebenfalls auf das Klassifikationssystem

Linées als Exemplum europäischer denotatativer Wissensformen und führen es gleich-

zeitig mit der eingeschlichenen Ölsardinenbüchse im rechten unteren Bildfeld ad absur-

dum.

In der zeitgenössischen afro-amerikanischen Kunst haben Renée Green mit "Permitted"

von 1987 (Abb. 6.116) und Lyle Ashton Harris/Renee Cox mit "Venus Hottentot 2000"

567 Diese Serie besteht aus achtzehn Siebdrucken, die in der ursprünglichen Auflage weiß auf schwarzgedruckt sind. In Cheim ( ibid., 89-94) sind acht dieser Drucke in der umgekehrten Farbgebung repro-duziert.568 Die Zeichnung der Blüte ist ein weiteres Kunstzitat und konnotiert Robert Rauschenbergs Collageeiner Blüte in "Hays" von 1973 (Abb. 6.115a).569 Bitterli, 213.

161

von 1994 (Abb. 6.117) die Problematik der Hottentottenvenus für die Geschichte der

weißen Repräsentation schwarzer Sexualität thematisiert.

6.7 Anatomische Profilvergleiche: "Cäsar" vs. "The Negro"

Die Abweichung der negroiden Physiognomie vom westlichen Schönheitskanon wurde

in der Ästhetik und Wissenschaft des 18. Jahrhunderts vor allem in einem Vergleich der

Gesichtszüge zwischen Schwarzen und Weißen verdeutlicht. So schreibt Johann Joachim

Winckelmann:

Die geplätschte Nase ... ist eine Abweichung, denn sie unterbricht die Einheit derFormen (...) Der aufgeworfene schwülstige Mund, welchen die Mohren mit demAffen in ihrem Land gemein haben, ist ein überflüssiges Gewächs.570

Die Physiognomik des 18. Jahrhunderts sah in der Umkehr des ästhetischen Credos vom

Wahren, Schönen und Guten im Häßlichen das moralisch Verwerfliche verkörpert, so

daß der Schwarze nicht allein wegen seiner Hautfarbe, sondern vor allem durch sein

Profil zum Sinnbild des Bösen wurde. Die Grundlagen dieser Gleichsetzung des Häßli-

chen mit der negroiden Physiognomie bilden die grotesken Kopfskizzen Leonardo da

Vincis, die Basquiat in Untitled von 1983 (Abb. 6.126) zitiert.571

Durch die bildinternen Titel LEONARDO'S FIVE UGLY HEADS, LEONARDO'S

FIVE GROTESQUE HEADS© und LEONARDO AND HIS FIVE GROTESQUE

HEAD wird Leonardo da Vincis Zeichnung der "Fünf grotesken Köpfe" (Abb. 6.127)

explizit als Bildvorlage genannt.572 Die fünf Köpfe der Zeichnung Leonardo da Vincis

sind von Basquiat in Untitled zu sieben erweitert worden. Der hintere Kopf der "Fünf

grotesken Köpfe" mit weit aufgerissenem Mund wird in Untitled durch eine lückenhaf-

ten Zahnreihe (PLAGUE TEETH.) und Nasenlöchern (MOSTLY NOSTRILS) zitiert.

Die Zeichnung auf dem türkisfarbenen Hintergrund verdoppelt dieses Gesicht und setzt

570 Martin, 258.571 Bereits in der Zeichnung Wolf Sausage, 1982/83 (Abb. 6.128) zitiert Basquiat die FIVEGROTESQE HEADS/LEONARDO DA VINCI© wörtlich.572 Die wie aufcollagiert wirkenden Farbfelder beziehen sich auf den Kontext, in dem die "Fünf grotes-ken Köpfe" stehen. Sie zählen als das einzig vollständige Blatt zu den fragmentarischen Kopfskizzen,die Leonardo in seine Schriften eher beiläufig hineinkritzelte, und die erst von einem Sammler in einerArt Briefsammlerinstinkt aus den einzelnen Codices herausgeschnitten und neu zusammengestellt wur-den (Clark, Bd.1, xlii). Diese grotesken Köpfe wurden als die ersten Leonardozeichnungen in mehrerenStichfolgen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert reproduziert, das Ziel dieser Publikationen war es lautBaur, einen Kanon des Ideal-Häßlichen vorzulegen (ibid., 79)!

162

es in die Bildmitte. Die prominente Stellung dieses "schreienden" Mundes in Untitled ist

ein Hinweis auf eine weitere Zeichnung Leonardo da Vincis, die in dem Prachtband über

Leonardo da Vinci auf der gegenüberliegenden Seite der "Fünf grotesken Köpfen" abge-

bildet ist. Sie stellt einen Schwarzen mit weit geöffnetem Mund dar (Abb. 6.129). Da die

Reduktion auf die Zähne und die nüsternartigen Nasenlöcher zu den Merkmalen einer

stereotypen animalischen negroiden Physiognomie zählt, kann der "schreiende" Mund in

Untitled als eine negative Repräsentation des Schwarzen gelesen werden.

Die linke Profilansicht von Leonardo da Vincis Zeichnung der "Fünf grotesken Köpfe"

wird in Untitled ebenfalls verdoppelt, die obere rechte frontale Kopfstudie eines alten

Mannes verdreifacht. Wir finden sie an ihrer ursprünglichen Stelle als einen von einem

blauen Farbfeld verdeckten rotbrauen Kopf, als eine auf die Angabe von Augen, Nase

und Mund verkürzte Abbreviatur links daneben und als Frontalansicht im linken unteren

Bildfeld. Von der rechten Profilansicht, die wegen ihrer dicken vorgeschobenen Unter-

lippe in der Literatur meist als "Zigeunerin" bezeichnet wird, übernimmt Basquiat die

Betonung der Unterlippe und fügt eine doppelte Zahnreihe hinzu.573 Der Platz des mit

Lorbeer bekränzten Profilkopfes von Leonardos "Fünf grotesken Köpfen" in dem die

Forschung wahlweise einen Idealtypus oder aber ein Selbstportrait Leonardos sieht, wird

in Untitled von den internen Bildtiteln LEONARDO'S FIVE UGLY HEADS,

LEONARDO'S FIVE GROTESQUE HEADS© und LEONARDO AND HIS FIVE

GROTESQUE HEAD besetzt. Das darunter auf blauem Grund gezeichnete weiße Profil

ist auf das wichtigste Merkmal für die Rezeption dieses Typus in der Wirkunsgge-

schichte von Leonardo da Vincis Zeichnungen reduziert: auf die "Cäsar-Nase".

Zu fragen ist nun, durch welche Profilart das im rechten unteren Bildfeld mit dem Si-

gnaturersatz ALTER EGO beschriftete rosa Farbstück substituiert werden soll. Die dik-

ke vorgeschobene affengleiche Unterlippe des darüberliegenden Profils verweist auf

Leonardos Zeichnungen eines ähnlichen weiblichen Profiltypus. In dem Prachtband über

Leonardo da Vinci ist in einer direkt neben den "Fünf grotesken Köpfen" abgebildeten

Zeichnung das Profil einer häßlichen alten Frau mit fliehender Stirn, platter Nase, großen

Nasenlöchern, dicker Unterlippe und fliehendem Kinn einer Profilreihe von Männern mit

besonders großen "cäsarischen" Hakennasen gegenübergestellt (Abb. 6.129). Diese Ka-

rikaturen Leonardo da Vincis stellen alle ein "affengleiches" Profil einem "römisch-cä-

sarischem" gegenüber. In Leonardos Vergleichen werden beide Profilarten als häßlich

dargestellt; in einer Tradition solcher Gegenüberstellungen vom Klassizismus des

18. Jahrhunderts bis hinein ins 20. Jahrhundert fungieren sie jedoch als Kontrastierung 573 Clark, Bd. 1, 86.

163

des "Idealschönen" mit dem "Idealhäßlichen", des Guten mit dem Bösen. So übernimmt

eine Abbildung in Shuffeldts rassistischen Buch America's Greatest Problem: The Negro

von 1915 genau diese Gegenüberstellung und beschriftet die Profile zusätzlich mit "Ne-

gro Of Congo" und "Cäsar" (Abb. 6.130). Ersetzen wir nun also in Untitled das "Alter

ego" Basquiats mit einem negroiden Profil, sind wir zugleich an die Ursprünge und an

die Folgen des Vergleiches von "cäsarischem" und negroidem Profil zurückgeführt. Bas-

quiat rekurriert durch das Zitieren von Leonardo da Vincis Zeichnung der "Fünf grotes-

ken Köpfe" auf die seit dem 18. Jahrhundert äußerst vorbelastete Darstellung des

Schwarzen im Profil, die im Verlauf der europäischen Konstruktion des "Anderen" nicht

nur als Beweis der ästhetischen, sondern auch der biologischen Minderwertigkeit der

Schwarzen benutzt wurde. Für Johann Kaspar Lavater, der in seinen Physiognomischen

Fragmenten (1775-78) in einer Fortsetzung der antiken Physiognomik von der Anatomie

eines Schädels auf die Charaktereigenschaften des Menschen schloß, sind eine große

Nase das Kennzeichen von Intelligenz, eine kleine hingegen das Merkmal von Dumm-

heit!

Eine weitere Gegenüberstellung von europäiden und negroiden Profil, von Hakennase

und platter Nase findet sich auch in Basquiats ein Jahr früher entstandenen Siebdruckse-

rie "Anatomy". In dem Blatt Untitled (Hyoid Bone) (Abb. 6.131) ist die Seitenansicht

eines Schädels um die charakteristische Cäsar-Nase erweitert, das Kennzeichen der

anatomischen Superiorität kann selbst der Tod nicht tilgen! Umsomehr wird in Untitled

(Styloid Process) (Abb. 6.132) durch die Alliterationen von NASAL NASAL NOTCH

NASAL auf das Fehlen einer großen Nase aufmerksam gemacht und somit eine negroide

Physiognomie evoziert.

In der Zeichnung 50 Cent Piece von 1982/83 (Abb. 6.133) erprobt Basquiat die Fusion

von negroidem und cäsarischem Profil. Der Bildtitel verweist auf die jamaikanische

Fünfzig-Cent-Münze, auf der der Nationalheld Marcus Garvey im 3/4 Profil abgebildet

ist (Abb. 6.134). Das Portrait Garveys und die darüber situierte Beschriftung RT EXC

LL N E sind direkte Übernahmen dieser Münze. Mit der SIDE VIEW OF A FIFTY

CENT PIECE, SIDE VIEW OF MARCUS GARVEY, MARCUS GARVEY© bezeich-

neten Profildarstellung im linken unteren Bildfeld scheint Basquiat zu fragen, was ge-

schieht, wenn man die 3/4 Darstellung der jamaikanischen Münze in ein Profil umwan-

delt. Denn während die braune Hautfarbe, die wulstigen Lippen, die betonten Nasenlö-

cher (NOSTRIL) und der betonte Kiefer (THE JAW©) eine rassistische Repräsentation

des Schwarzen denotieren, erinnern die große Hakennase (die sich in dem Francois Du-

valier zugeordneten Profil in der linken oberen Bildecke wiederholt) zusammen mit der

164

geraden hohen Stirn (FORE HEAD) an ein römisches Profil. Diese Fusion von negro-

iden und "cäsarischen" Gesichtszügen ist als ein Verweis auf die römischen Münzpor-

traits als dem Ursprung des "cäsarischen" Profils zu lesen. Denn während sich die euro-

päische Tradition der Profildarstellungen auf den U.S.-amerikanischen Münzen fortge-

setzt hat, sind sämtliche jamaikanischen Münzportraits im 3/4 Profil gehalten!

Der von der Superiorität der weißen Rasse überzeugte Joseph Virey erweiterte seinen

Thesen über die Nasengröße auch auf Stirn und Kiefer. Zu einer in seiner Histoire natu-

relle du genre humain (1801) abgebildeten Profilreihe (Abb. 6.135) schreibt er:

The more an organ extends, the more powerful and active it becomes; in likemanner, the more it contracts, the more it looses its activity and power (...) Inour white species, the forehead is projecting, and the mouth retreating, as if wewere rather designed to think than to eat; in the negro species, the forehead isretreating, and the mouth is projecting, as if he were made rather to eat than tothink. Such a particularity is much more remarkable in inferior animals .... 574

Diese Annahme Vireys fand durch Petrus Campers (1770-1850) Entdeckung des Ge-

sichtswinkels ihre wissenschaftliche Bestätigung. Camper glaubte durch den Grad des

Gesichtswinkels eine stufenweise Reihung von den Tieren bis hinauf zum schönsten

Menschen aufstellen zu können (Abb. 6.136).575 Der Grad dieses Winkels, der durch

eine Linie von der Stirn zu den Lippen und eine Linie vom Nasenansatz zum Ohr gebil-

det wurde, wurde zum Grad der ästhetischen Vollkommenheit. Campers Entdeckung

war 1850 zu dem am häufigsten benutzen Mittel des "wissenschaftlichen" Beweises der

Superiorität des Europäers geworden.576 Während Camper selbst betonte, daß Schwarze

und Affen nur eine oberflächliche Ähnlichkeit im Hervorstehen ihrer Kiefer hätten, in-

strumentalisierten besonders der amerikanische Polygenist White und der französische

Anatom Cuvier den Gesichtswinkel für ihre rassistischen Thesen.577

Die Rekurrenz des Kiefermotivs in Basquiats Werk und seine Aneignung durch das Co-

pyright-Zeichen beziehen sich auf diese rassistischen Verallgemeinerungen des

19. Jahrhunderts.578 Die Zeichnung Untitled (External Capsule) von 1983

(Abb. 6.137) zeigt, wo den rassistischen Wissenschaftlern des 19. Jahrhunderts zufolge

das Hirn des "Negers" sitzt. Unter der Subüberschrift - CEREBRUM - weist die Dupli- 574 Bugner, 6.1, 18.575 Martin, 269.576 Visser In: Mann, 332.577 Visser In: Mann, 330, 332.578 So z.B. in Untitled (Sea Monster), 1983 (Cheim, Nr. 68), Rose Thorn, 1983 (Marseille, 102), SideView of an Oxens Jaw, 1983 (Haenlein 1986, 68) und Brown Jaw, 1986 (Haenlein 1986, 78).

165

zierung der Worte SUBSTANTIA NIGRA auf einen Unterkiefer hin. Das Wesen des

"Negers" offenbart sich also eben nicht in dem unter einer edel gewölbten Stirn liegenden

denkenden Hirn (CEREBRUM), sondern im Anfang des Verdauungsapparates - das

vegetative Nervensystem wird vom HYPOTHALAMUS gesteuert. Basquiat bezieht sich

hier also auf die von Virey aufgestellte rassistische Behauptung über den Zusammenhang

von Schädelform und Denkvermögen. Vireys populäre These über die kausale Relation

der Größe eines Organs zu seiner Aktivität wurde auf die Relation von Hirn- zu Schä-

delgröße und dem damit verbundenen intellektuellem Leistungsvermögen ausgeweitet.

Für den deutschen Anatom Sömmering war die Schönheit eines Kopfes folglich abhängig

von seinem Gehirnvolumen, und auch Herder sah in der griechischen Form des Kopfes

das Indiz eines freien Gehirns.579 Hinter der fliehenden Stirn und dem kleinen Hinterkopf

des Schwarzen konnte sich, so die allgemeine Annahme, folglich nur ein kleines Hirn

verbergen.580

Die in der Zeichnung 50 Cent Piece (Abb. 6.133) erfolgte Substitution der Kopfteile des

linken unteren Profils durch ihre Bezeichnungen (BRAIN) BRAIN, NOSTRIL und THE

JAW© verweisen nochmals exemplarisch auf dieses angenommene Entweder-Oder-

Schema des 19. Jahrhunderts. Das Hirn wird zwar durch die Methode zur Visualisierung

der Anatomie im 20. Jahrhundert, dem X-RAY-PHOTO, sichtbar gemacht, bleibt jedoch

beschränkt, in Klammern gesetzt (wobei das Interesse an seiner wissenschaftlichen Un-

tersuchung durch CEREBRUM und MEDULLA betont wird). Der Kiefer wird jedoch

durch das Copyright-Zeichen als Teil der historischen Konstruktion des schwarzen

"Ichs" markiert.

579 Martin, 269.580 Jordan, 506.

166

7. Ausblick

His [Basquiat's] attempt to link his work to black jazz musicians was not an as-sertion of his own musical or artistic ability. It was a declaration of respect forthe creative genius of jazz. ..... Celebrating this sense of connection in his work,Basquiat creates a black artistic community that can include him. In reality, hedid not live long enough to search out such a community and claim a space ofbelonging. The only space he could claim was that of shared fame.581

Basquiat reiht sein Werk durch den Prozess des Niederschreibens, Nennens und Erin-

nerns von Personen, Ereignissen und Orten "schwarzer" Kultur und Geschichte in eine

kulturelle Genealogie der Afro-Amerikaner ein. Durch dieses "naming" hat Basquiat ein

visuelles Archiv der Problematik des "Schwarzseins" in der westlichen Welt geschaffen.

Über das vor 1980 von der afro-amerikanischen Kunst und Literatur Geleistete hinaus

hat Basquiat in seinen Arbeiten die europäische und amerikanische Kunst, Geschichte

und Populärkultur auf ihre impliziten Rassismen hin untersucht. Er hat damit in sein

Werk Themen integriert, die bislang nur von der afro-amerikanischen Soziologie, Poli-

tikwissenschaft, Geschichte, Literatur- und Kunstwissenschaft behandelt wurden und die

erst in der politischen Kunst der Neunziger Jahre zu expliziten Themen von Künstlern

wie Renée Green, Glenn Ligon, Lyle Ashton Harris, Carrie Mae Weems oder Lorna

Simpson geworden sind. Basquiats Arbeiten könnten daher heute durchaus als didakti-

sches Anschauungsmaterial für einen Einführungskurs in "black studies" dienen, der sich

mit so weit gefächerten Gebieten wie Pan-Afrikanismus, Afrozentrismus, Primitivismus,

afrikanischer und afro-amerikanischer Geschichte, Rassismus in der amerikanischen Po-

pulärkultur und der Repräsentation von Schwarzen beschäftigt.

Die vorliegende Arbeit hatte das Ziel, anhand einzelner Bildlektüren und ihrer Kontex-

tualisierung innerhalb der afro-amerikanischen Kultur und Geschichte die bis auf wenige

Ausnahmen noch unbearbeitete afro-amerikanische Ikonographie im Werk Basquiats zu

erschließen. Sie hat den kunsthistorischen Forschungsstand und die Ausstellungsge-

schichte Basquiats diskutiert, zeigte das "Phänomen Basquiat" anhand seiner Biographie

und Julian Schnabels Film Basquiat auf und erläuterte seine Rezeption innerhalb der

"black community". Sie hat Basquiats Collage-, Zitat- und Codierverfahren innerhalb

einer Geschichte der Collage situiert und sein Collageverfahren als eine visuelle Fortset-

zung der musikalischen Technik des "Sampling" interpretiert. Basquiats Zitatverfahren

wurde innerhalb dieser musikalischen Strategie kontextualisiert, sein Codierverfahren als

eine Anwendung der afro-amerikanischen Rhetorik des "Signifying" diskutiert. Basquiat

581 hooks In: Art in America, 74.

167

wurde als ein Erforscher, Archivar und Vermittler afro-amerikanischer Kultur und Ge-

schichte dargestellt; seine Thematisierung des Topos "Wissen" wurde innerhalb des

Kontextes der afro-amerikanischen Bildungsproblematik situiert. Basquiats intensive

Beschäftigung mit afrikanischer Kultur und Geschichte wurde anhand der Thematik des

"Primitivismus" in seinem Werk diskutiert; sein Bildvokabular innerhalb einer Geschichte

der afro-amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts kontextualisiert. Es wurde aufge-

zeigt, daß der Topos "Afrika" im Zentrum von Basquiats kultureller Definition als einem

afro-amerikanischen Künstler steht. Basquiats Behandlung von Geschichte wurde inner-

halb einer afro-amerikanischen intellektuellen Tradition der Auseinandersetzung mit der

eigenen Geschichte situiert. Einen großen Stellenwert legte die Arbeit schließlich auf die

Diskussion der Problematik der Repräsentation des "Schwarzen" in Basquiats Werk.

Basquiats Selbstportraits wurden als eine visuelle Fortsetzung von Ralph Ellisons Ro-

manfigur des "Invisible Man" gelesen und Basquiats Beschäftigung mit den rassistischen

Repräsentationsformen der Afro-Amerikaner in der amerikanischen Populärkultur aufge-

zeigt. Abschließend wurde Basquiats Kenntnis der Geschichte des wissenschaftlichen

Rassismus in Europa; seine Kritik der weißen Repräsentation schwarzer Sexualität sowie

seine Thematisierung der rassistischen Anatomie des 18. und 19. Jahrhunderts diskutiert.

Basquiats Werk wurde durch die vorliegende Arbeit in einem bislang von der Literatur

kaum bearbeiteten Zusammenhang diskutiert. Basquiat wurde als ein kontextuell arbei-

tender Künstler dargestellt, der seine extensiven Recherchen zu afrikanischer, karibi-

scher, afro-amerikanischer und europäischer Kultur und Geschichte in seine Arbeiten auf

Leinwand, Zeichnungen und Skulpturen umgesetzt hat. Im Gegensatz zu den meisten

bislang erfolgten kunstkritischen/kunsthistorischen Einordnungsversuchen wurde in die-

ser Arbeit darauf Wert gelegt, Basquiat nicht als einen Graffitischreiber oder neo-ex-

pressionistischen Maler zu kategorisieren, sondern seine inhaltliche Nähe zur Kontext-

Kunst der Neunziger Jahre deutlich zu machen. Dieses Anliegen hat die Arbeit in weiten

Bereichen zu einer "Decodierung" von Basquiats Bildinhalten werden lassen. Dies war

notwendig, um eine Grundlage für weitere Forschungen zu legen, da von der Literatur

bislang kaum wirklich auf Basquiats Arbeiten "geschaut" wurde.

Die vorliegende Arbeit hat einen inhaltlich zentralen Aspekt von Basquiats Werk be-

handelt. Seine Kontextualisierung innerhalb der afro-amerikanischen Kultur hatte jedoch

nicht die Absicht, Basquiat zu einem ausschließlich "schwarzen" Künstler werden zu

lassen. Es gibt neben der in dieser Arbeit vorgenommenen Lesart noch andere Lesarten,

die seinem Werk ebenfalls angemessen sind. Dazu zählt eine ernsthafte Beschäftigung

mit Basquiat als einem Zeichner, Maler und Collagisten innerhalb des Kontextes "west-

168

licher Kunst" von den Dadaisten über Mattisse hin zu Pollock, DeKooning, Rauschen-

berg, Kiefer, Holzer und Kruger. Aber auch andere Aspekte von Basquiats Werk wären

eine weitere kunsthistorische Auseinandersetzung wert. Dazu zählen seine frühen Graffi-

tiarbeiten unter dem Pseudonym "Samo", das "Phänomen Basquiat" und seine Ver-

marktung, die Rezeption Basquiats in der weißen Presse und die Rezeptionsbarrieren der

schwarzen Intelligenzija, sowie sein kritisches Verhältnis zur amerikanischen Malerei seit

Jackson Pollock. Es wäre erfreulich, wenn in den nächsten Jahren die bisher relativ ein-

seitige Beschäftigung mit Basquiat sich zugunsten einer vorurteilsfreien und differen-

zierten Sichtweise auf sein Werk öffnen würde. Ich würde mich freuen, wenn meine Ar-

beit zu einer Veränderung der Sichtweise auf Basquiats Arbeiten ein Stück beigetragen

hätte.

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