14
ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick- lung der elektronischen Infobahn zeichnen sich die Umrisse einer neuen Medienwelt ab, in der die Grenzen zwischen Print, Funk und Fernsehen eingeebnet sind. Die ganze Publizistik-Branche - Jour- nalisten, Verleger, Werber - wird die Gutenberg-Galaxis weit hinter sich lassen. Jede Woche, sagen Experten, nimmt die Zahl der an das universelle Com- puternetzwerk Internet angeschlosse- nen Maschinen um Tausende zu. Das Wachstum verläuft exponentiell, und es ist zu erwarten, dass schon in zwei, drei Jahren der grössere Teil der betriebsbereiten Rechner mit dem In- fo-Highway verbunden ist. Dritte Revolution Bereits verkauft IBM einen Teil seiner Personal-Computer mit einem direk- ten Zugang zum eigenen Online-Sys- tem. Und ab Herbst 1995 erhält jeder Käufer des Betriebssystems Windows 95 direkt Verbindung zum Netzwerk MSN des Herstellers Microsoft. Die Anwender, so die Überlegung, sollen ans Fahren auf der Infobahn gewöhnt werden. Je mehr es schnell lernen, desto besser fürs Geschäft. Die dritte Kommunikations-Revoluti- on (nach der Erfindung der Schrift und des Buchdrucks samt allen Ver- besserungen in den letzten 500 Jah- ren) hat für das publizistische Gewer- be unabsehbare Folgen. Der Hyper- space-Prophet Nicholas Negroponte, Leiter des Medialab am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, sagt noch weit radikalere Veränderungen vo- raus, als sie heute auch interessierten Laien mit etwas Phantasie auf der Hand liegend erscheinen. Wohl mög- lich, dass er recht hat. Hat nicht der Kommunikations-Philosoph Marshall McLuhan schon 1962 das "Ende der Gutenberg-Galaxis" und den Über- gang in die "Marconi-Galaxis" avi- siert? Ohne allerdings zu ahnen, dass damit seine Grundeinsicht, das Medi- um sei die Nachricht, obsolet würde. Gleichwohl mögen Skeptiker nicht da- ran glauben, dass sich die Telekom- munikations-Technik und die zu ihrer Bedienung nötigen Fertigkeiten auf Historischer Text Die nebenstehenden, nie veröffent- lichten Überlegungen habe ich in den Sommerferien 1995 in erster Linie aufgeschrieben, um mir Klarheit über die Perspektiven des neuen Mediums Internet zu verschaffen. Abgeschnit- ten von allen Informationsquellen resümierte ich aus dem Gedächtnis Gelesenes und Gehörtes und ver- suchte mir, darauf einen Reim zu ma- chen. Vieles stellt sich im Rückblick als falsch oder naiv heraus, manches war auch zehn Jahre später noch in Entwicklung begriffen. Interessant ist ex post die Suche nach deutschen Begriffen für das neue Medium. Die «Infobahn», die damals oft benutzt wurde, konnte sich leider nicht durchsetzen. ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick- lung der elektronischen Infobahn zeichnen sich die Umrisse einer neuen Medienwelt ab, in der die Grenzen zwischen Print, Funk und Fernsehen eingeebnet sind. Die ganze Publizistik-Branche - Jour- nalisten, Verleger, Werber - wird die Gutenberg-Galaxis weit hinter sich lassen. Jede Woche, sagen Experten, nimmt die Zahl der an das universelle Com- puternetzwerk Internet angeschlosse- nen Maschinen um Tausende zu. Das Wachstum verläuft exponentiell, und es ist zu erwarten, dass schon in zwei, drei Jahren der grössere Teil der betriebsbereiten Rechner mit dem In- fo-Highway verbunden ist. Dritte Revolution Bereits verkauft IBM einen Teil seiner Personal-Computer mit einem direk- ten Zugang zum eigenen Online-Sys- tem. Und ab Herbst 1995 erhält jeder Käufer des Betriebssystems Windows 95 direkt Verbindung zum Netzwerk MSN des Herstellers Microsoft. Die Anwender, so die Überlegung, sollen ans Fahren auf der Infobahn gewöhnt werden. Je mehr es schnell lernen, desto besser fürs Geschäft. Die dritte Kommunikations-Revoluti- on (nach der Erfindung der Schrift und des Buchdrucks samt alien Ver- besserungen in den letzten 500 Jah- Historischer Text Die nebenstehenden, nie veröffent- lichten Überlegungen habe ich in den Sommerferien 1995 in erster Linie aufgeschrieben, um mir Klarheit Ober die Perspektiven des neuen Mediums Internet zu verschaffen. Abgeschnit- ten von alien Informationsquellen resümierte ich aus dem Gedächtnis Gelesenes und Gehörtes und ver- suchte mir, darauf einen Reim zu ma- chen. Vieles stellt sich im Rückblick als falsch oder naiv heraus, manches war auch zehn Jahre später noch in Entwicklung begriffen. Interessant ist ex post die Suche nach deutschen Begriffen für das neue Medium. Die ,,Infobahn», die damals oft benutzt wurde, konnte sich leider nicht durchsetzen. ren) hat für das publizistische Gewer- be unabsehbare Folgen. Der Hyper- space-Prophet Nicholas Negroponte, Leiter des Medialab am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, sagt noch weit radikalere Veränderungen vo- raus, als sie heute auch interessierten Laien mit etwas Phantasie auf der Hand liegend erscheinen. Wohl mög- lich, dass er recht hat. Hat nicht der Kommunikations-Philosoph Marshall McLuhan schon 1962 das "Ende der Gutenberg-Galaxis" und den Über- gang in die "Marconi-Galaxis" avi- siert? Ohne allerdings zu ahnen, dass damit seine Grundeinsicht, das Medi- um sei die Nachricht, obsolet würde. Gleichwohl mögen Skeptiker nicht da- ran glauben, dass sich die Telekom- munikations-Technik und die zu ihrer Bedienung nötigen Fertigkeiten auf

Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

ONLINE PUBLISHING

Jenseits derGutenberg-Galaxis

Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn zeichnen sich die Umrisse einer neuen Medienwelt ab, in der die Grenzen zwischen Print, Funk und Fernsehen eingeebnet sind. Die ganze Publizistik-Branche - Jour-nalisten, Verleger, Werber - wird die Gutenberg-Galaxis weit hinter sich lassen.

Jede Woche, sagen Experten, nimmt die Zahl der an das universelle Com-puternetzwerk Internet angeschlosse-nen Maschinen um Tausende zu. Das Wachstum verläuft exponentiell, und es ist zu erwarten, dass schon in zwei, drei Jahren der grössere Teil der betriebsbereiten Rechner mit dem In-fo-Highway verbunden ist.

Dritte Revolution

Bereits verkauft IBM einen Teil seiner Personal-Computer mit einem direk-ten Zugang zum eigenen Online-Sys-tem. Und ab Herbst 1995 erhält jeder Käufer des Betriebssystems Windows 95 direkt Verbindung zum Netzwerk MSN des Herstellers Microsoft. Die Anwender, so die Überlegung, sollen ans Fahren auf der Infobahn gewöhnt werden. Je mehr es schnell lernen, desto besser fürs Geschäft.

Die dritte Kommunikations-Revoluti-on (nach der Erfindung der Schrift und des Buchdrucks samt allen Ver-besserungen in den letzten 500 Jah-

ren) hat für das publizistische Gewer-be unabsehbare Folgen. Der Hyper-space-Prophet Nicholas Negroponte, Leiter des Medialab am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, sagt noch

weit radikalere Veränderungen vo-raus, als sie heute auch interessierten Laien mit etwas Phantasie auf der Hand liegend erscheinen. Wohl mög-lich, dass er recht hat. Hat nicht der Kommunikations-Philosoph Marshall McLuhan schon 1962 das "Ende der Gutenberg-Galaxis" und den Über-gang in die "Marconi-Galaxis" avi-siert? Ohne allerdings zu ahnen, dass damit seine Grundeinsicht, das Medi-um sei die Nachricht, obsolet würde.

Gleichwohl mögen Skeptiker nicht da-ran glauben, dass sich die Telekom-munikations-Technik und die zu ihrer Bedienung nötigen Fertigkeiten auf

Historischer Text

Die nebenstehenden, nie veröffent-lichten Überlegungen habe ich in den Sommerferien 1995 in erster Linie aufgeschrieben, um mir Klarheit über die Perspektiven des neuen Mediums Internet zu verschaffen. Abgeschnit-ten von allen Informationsquellen resümierte ich aus dem Gedächtnis Gelesenes und Gehörtes und ver-suchte mir, darauf einen Reim zu ma-chen. Vieles stellt sich im Rückblick als falsch oder naiv heraus, manches war auch zehn Jahre später noch in Entwicklung begriffen. Interessant ist ex post die Suche nach deutschen Begriffen für das neue Medium. Die «Infobahn», die damals oft benutzt wurde, konnte sich leider nicht durchsetzen.

ONLINE PUBLISHING

Jenseits derGutenberg-GalaxisMit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahnzeichnen sich die Umrisse einerneuen Medienwelt ab, in der dieGrenzen zwischen Print, Funk undFernsehen eingeebnet sind. Dieganze Publizistik-Branche - Jour-nalisten, Verleger, Werber - wirddie Gutenberg-Galaxis weit hintersich lassen.

Jede Woche, sagen Experten, nimmtdie Zahl der an das universelle Com-puternetzwerk Internet angeschlosse-nen Maschinen um Tausende zu. DasWachstum verläuft exponentiell, undes ist zu erwarten, dass schon inzwei, drei Jahren der grössere Teil derbetriebsbereiten Rechner mit dem In-fo-Highway verbunden ist.

Dritte Revolution

Bereits verkauft IBM einen Teil seinerPersonal-Computer mit einem direk-ten Zugang zum eigenen Online-Sys-tem. Und ab Herbst 1995 erhält jederKäufer des Betriebssystems Windows95 direkt Verbindung zum NetzwerkMSN des Herstellers Microsoft. DieAnwender, so die Überlegung, sollenans Fahren auf der Infobahn gewöhntwerden. Je mehr es schnell lernen,desto besser fürs Geschäft.

Die dritte Kommunikations-Revoluti-on (nach der Erfindung der Schriftund des Buchdrucks samt alien Ver-besserungen in den letzten 500 Jah-

Historischer TextDie nebenstehenden, nie veröffent-lichten Überlegungen habe ich in denSommerferien 1995 in erster Linieaufgeschrieben, um mir Klarheit Oberdie Perspektiven des neuen MediumsInternet zu verschaffen. Abgeschnit-ten von alien Informationsquellenresümierte ich aus dem GedächtnisGelesenes und Gehörtes und ver-suchte mir, darauf einen Reim zu ma-chen. Vieles stellt sich im Rückblickals falsch oder naiv heraus, mancheswar auch zehn Jahre später noch inEntwicklung begriffen. Interessant istex post die Suche nach deutschenBegriffen für das neue Medium. Die,,Infobahn», die damals oft benutztwurde, konnte sich leider nichtdurchsetzen.

ren) hat für das publizistische Gewer-be unabsehbare Folgen. Der Hyper-space-Prophet Nicholas Negroponte,Leiter des Medialab am berühmtenMassachusetts Institute of Technology(MIT) in Boston, sagt noch

weit radikalere Veränderungen vo-raus, als sie heute auch interessiertenLaien mit etwas Phantasie auf derHand liegend erscheinen. Wohl mög-lich, dass er recht hat. Hat nicht derKommunikations-Philosoph MarshallMcLuhan schon 1962 das "Ende derGutenberg-Galaxis" und den Über-gang in die "Marconi-Galaxis" avi-siert? Ohne allerdings zu ahnen, dassdamit seine Grundeinsicht, das Medi-um sei die Nachricht, obsolet würde.

Gleichwohl mögen Skeptiker nicht da-ran glauben, dass sich die Telekom-munikations-Technik und die zu ihrerBedienung nötigen Fertigkeiten auf

Page 2: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

breiter Front durchsetzen werden. Sie warnen davor, sich vom rapiden Wachstum der Online-Dienste und vom Begleitlärm der Medien ins Bockshorn jagen zu lassen. Tatsäch-lich bedeutet es wenig, wenn das In-ternet weltweit über 40 Millionen An-schlüsse verfügt - auch die Baptisten-kirche gibt an, weltweit 40 Millionen Mitglieder zu haben. Doch die Ver-breitung einer Neuerung sagt wenig über ihre Zukunft. Zu Beginn hatten auch nur wenige Leute Telefon oder Fernsehen! Es wäre gefährlich, vor den unerhörten Veränderungen im Kommunikationsmarkt die Augen zu verschliessen und einfach weiterzu-machen wie bisher. In der Telekom-munikations-Technik ist bereits heute derart viel Kapital gebunden, dass ü-ber ihr allmähliches Hineinwachsen in industrielle Dimensionen keinerlei Zweifel bestehen kann. Schon vor Jahren kündigten Zukunftsforscher an, dass der Technologie-Schub im Fernmeldebereich einen Industrie-zweig hervorbringen würde, der die Grösse der (schrumpfenden) Automo-bilindustrie schnell übertre!en könn-te.

Gewisse Skepsis

Angebracht ist eine gewisse Skepsis immerhin inbezug auf die Geschwin-digkeit der Durchsetzung. Denn of-fensichtlich ist für die grosse Mehr-heit der Konsumenten - selbst wenn man nur auf die Industrieländer sieht - der Zugang zum Informations-Highway noch schwierig. Dies wird, allen technischen und apparativen In-novationen zum Trotz, noch einige Zeit so bleiben. Ja, es ist zu befürch-ten, dass weite Teile der Bevölkerung

- vorab die schwächsten Käuferklas-sen - sehr lange oder gar dauernd ausgeschlossen bleiben. Wenn es nicht gelingt, den Bildungspolitikern klarzumachen, dass künftig neben Schreiben, Lesen, Rechnen auch die (kritische und selbstbewusste) Bedie-nung eines Telekommunikationsge-räts zu den Grundfertigkeiten gehört, wird unweigerlich auch bildungsmäs-sig jene Zweidrittelgesellschaft ent-stehen, die uns bisher erst als soziale Bedrohung bewusst ist.

Im Folgenden versuchen wir, die mögliche Entwicklung aus den bereits sichtbaren Tendenzen herzuleiten. Dabei vernachlässigen wir das zeitli-che Element weitgehend und wagen auch keine quantitativen Prognosen. Unberücksichtigt bleibt auch, dass der Fortschritt bestimmt nicht gerad-linig verlaufen wird. Schon aus tech-nischen Gründen wird es schnelle und langsamere Phasen geben, von politi-schen und wirtschaftlichen Gegeben-heiten ganz zu schweigen. Dem all-gemeinen Trend, der uns hier vor al-lem andern interessiert, tut dies aber keinen Abbruch.

Unser Hauptaugenmerk richten wir auf die Veränderungen, die dem Pub-lizistik-Gewerbe blühen - verlege-risch, journalistisch - und auf die Fol-gen für die Ö!entlichkeit. Der Ver-such der Vorausschau, skizzenhaft und ganz gewiss nicht widerspruchs-frei, ist weit davon entfernt, eine um-fassende Darstellung aller Probleme anzustreben.

Noch eine Vorbemerkung: Wer über revolutionäre Entwicklungen nach-denkt, hat unweigerlich mit begri"i-

2

breiter Front durchsetzen werden. Siewarnen davor, sich vom rapidenWachstum der Online-Dienste undvom Begleitlärm der Medien insBockshorn jagen zu lassen. Tatsäch-lich bedeutet es wenig, wenn das In-ternet weltweit Ober 40 Millionen An-schlüsse verfügt - auch die Baptisten-kirche gibt an, weltweit 40 MillionenMitglieder zu haben. Doch die Ver-breitung einer Neuerung sagt wenigOber ihre Zukunft. Zu Beginn hattenauch nur wenige Leute Telefon oderFernsehen! Es wäre gefährlich, vorden unerhörten Veränderungen imKommunikationsmarkt die Augen zuverschliessen und einfach weiterzu-machen wie bisher. In der Telekom-munikations-Technik ist bereits heutederart viel Kapital gebunden, dass O-ber ihr allmähliches Hineinwachsen inindustrielle Dimensionen keinerleiZweifel bestehen kann. Schon vorJahren kündigten Zukunftsforscheran, dass der Technologie-Schub imFernmeldebereich einen Industrie-zweig hervorbringen würde, der dieGrösse der (schrumpfenden) Automo-bilindustrie schnell übertreffen könn-te.

Gewisse Skepsis

Angebracht ist eine gewisse Skepsisimmerhin inbezug auf die Geschwin-digkeit der Durchsetzung. Denn of-fensichtlich ist für die grosse Mehr-heit der Konsumenten - selbst wennman nur auf die Industrieländer sieht- der Zugang zum Informations-Highway noch schwierig. Dies wird,alien technischen und apparativen In-novationen zum Trotz, noch einigeZeit so bleiben. Ja, es ist zu befürch-ten, dass weite Teile der Bevölkerung

2

- vorab die schwächsten Käuferklas-sen - sehr lange oder gar dauerndausgeschlossen bleiben. Wenn esnicht gelingt, den Bildungspolitikernklarzumachen, dass künftig nebenSchreiben, Lesen, Rechnen auch die(kritische und selbstbewusste) Bedie-nung eines Telekommunikationsge-räts zu den Grundfertigkeiten gehört,wird unweigerlich auch bildungsmds-sig jene Zweldrittelgesellschaft ent-stehen, die uns bisher erst als sozialeBedrohung bewusst ist.

Im Folgenden versuchen wir, diemögliche Entwicklung aus den bereitssichtbaren Tendenzen herzuleiten.Dabei vernachlässigen wir das zeitli-che Element weitgehend und wagenauch keine quantitativen Prognosen.Unberücksichtigt bleibt auch, dassder Fortschritt bestimmt nicht gerad-linig verlaufen wird. Schon aus tech-nischen Gründen wird es schnelle undlangsamere Phasen geben, von politi-schen und wirtschaftlichen Gegeben-heiten ganz zu schweigen. Dem all-gemeinen Trend, der uns hier vor al-lem andern interessiert, tut dies aberkeinen Abbruch.

Unser Hauptaugenmerk richten wirauf die Veränderungen, die dem Pub-lizistik-Gewerbe blühen - verlege-risch, journalistisch - und auf die Fol-gen für die Öffentlichkeit. Der Ver-such der Vorausschau, skizzenhaftund ganz gewiss nicht widerspruchs-frei, ist weit davon entfernt, eine um-fassende Darstellung aller Problemeanzustreben.

Noch eine Vorbemerkung: Wer Oberrevolutionäre Entwicklungen nach-denkt, hat unweigerlich mit begriffli-

Page 3: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

chen Problemen zu kämpfen. Das Wörterbuch der Nach-Gutenberg-Zeit ist noch nicht geschrieben, schon gar nicht das deutsche. Wir verwenden im Folgenden die Begri!e Infobahn, In-formations-Highway und Super-Highway für die digitale Welt der Te-lekommunikation. Um klar zu ma-chen, dass elektronische Publikatio-nen anders sind als Zeitungen, ver-meiden wir nach Möglichkeit Begri!e aus der gewohnten Welt der Printme-dien und behelfen uns mit allgemei-neren Ausdrücken. Es ist sehr zu hof-fen, dass die weitere Debatte auch ein sachgerechtes Vokabular hervorbrin-gen wird.

Internet und Online-Dienste

Die unerhörte Entwicklung begann vor zwei Jahren, als Wissenschafter des Genfer Kernforschungszentrums CERN das World Wide Web (WWW) er-fanden. Dank HTML, der Hypertext Markup Language, ermöglicht das WWW (oft auch W3 genannt) den Aus-tausch von Text, Bild, Ton und Film-sequenzen ohne Rücksicht auf Typ und Funktionsweise der angeschlos-senen Computer. Dank HTML können Verbindungen zu anderen Informatio-nen auf demselben oder auch auf ei-nem weit entfernten Rechner herge-stellt werden. Zusammen mit dem freien Zugang, der die Grundlage des Internet-Systems bildet, entstand ein weltweit anerkannter Standard, der jetzt auch kommerzielle Nutzer auf den Plan ruft. Sie sind daran, aus dem WWW den grössten denkbaren Su-permarkt zu machen. Das höchste Hindernis auf diesem Weg, die Prob-leme des einfachen und sicheren e-lektronischen Zahlungsverkehrs, wird

spätestens 1996 beseitigt sein.

Schon weiter gediehen als die mas-senweise Vermittlung von Waren und Dienstleistungen ist die Entwicklung des weltumspannenden Netzwerks zu einer allgemein zugänglichen Kom-munikationsplattform. Einziger Nach-teil ist die sagenhafte Unübersicht-lichkeit. Technisch tritt nämlich jeder mit dem Netz verbundene Computer nicht nur als Sender und Empfänger einzelner Mitteilungen auf, sondern auch als informationsanbietender Server - als ob jeder Telefonapparat gleichzeitig Radiostation, jede Fax-maschine gleichzeitig Verlag und Ar-chiv wäre. Dass sich damit auch der Begri! der Ö!entlichkeit tiefgreifend verändert, liegt auf der Hand.

Nicht zu Unrecht befürchten kritische Beobachter, dass der freie und tech-nisch unaufwendige Zugang zum künftigen digitalen Supermarkt des Internet zu einer unstrukturierten, babylonischen Kakophonie führen könnte, in der jede seriöse Publikati-on unweigerlich im allgemeinen Marktgeschrei unterginge. Als Alter-native empfehlen sie die kommerziel-len Online-Dienste (zum Beispiel CompuServe, America Online oder die neuen Dienste MSN von Microsoft und IBM sowie neue europäische Netze), die den Anbietern von Informationen (Neudeutsch: content providers) und ihren Rezipienten klar abgesteckte Reviere zur Verfügung stellen. Den Nachteil, dass damit der Zugang auf zahlende Abonnenten beschränkt bleibt, würde durch den Vorteil der Übersichtlichkeit aufgewogen.

3

chen Problemen zu kämpfen. DasWörterbuch der Nach-Gutenberg-Zeitist noch nicht geschrieben, schon garnicht das deutsche. Wir verwenden imFolgenden die Begriffe Infobahn, In-formations-Highway und Super-Highway für die digitale Welt der Te-lekommunikation. Um klar zu ma-chen, dass elektronische Publikatio-nen anders sind als Zeitungen, ver-meiden wir nach Möglichkeit Begriffeaus der gewohnten Welt der Printme-dien und behelfen uns mit allgemei-neren Ausdrücken. Es ist sehr zu hof-fen, dass die weitere Debatte auch einsachgerechtes Vokabular hervorbrin-gen wird.

Internet und Online-Dienste

Die unerhörte Entwicklung begannvor zwei Jahren, als Wissenschafterdes Genfer KernforschungszentrumsCERN das World Wide Web (WWW) er-fanden. Dank HTML, der HypertextMarkup Language, ermöglicht dasWWW (oft auch W3 genannt) den Aus-tausch von Text, Bild, Ton und Film-sequenzen ohne Rücksicht auf Typund Funktionsweise der angeschlos-senen Computer. Dank HTML könnenVerbindungen zu anderen Informatio-nen auf demselben oder auch auf ei-nem weit entfernten Rechner herge-stellt werden. Zusammen mit demfreien Zugang, der die Grundlage desInternet-Systems bildet, entstand einweltweit anerkannter Standard, derjetzt auch kommerzielle Nutzer aufden Plan ruft. Sie sind daran, aus demWWW den grössten denkbaren Su-permarkt zu machen. Das höchsteHindernis auf diesem Weg, die Prob-leme des einfachen und sicheren e-lektronischen Zahlungsverkehrs, wird

3

spätestens 1996 beseitigt sein.

Schon weiter gediehen als die mas-senweise Vermittlung von Waren undDienstleistungen ist die Entwicklungdes weltumspannenden Netzwerks zueiner allgemein zugänglichen Kom-munikationsplattform. Einziger Nach-teil ist die sagenhafte Unübersicht-lichkeit. Technisch tritt nämlich jedermit dem Netz verbundene Computernicht nur als Sender und Empfängereinzelner Mitteilungen auf, sondernauch als informationsanbietenderServer - als ob jeder Telefonapparatgleichzeitig Radiostation, jede Fax-maschine gleichzeitig Verlag und Ar-chiv wäre. Dass sich damit auch derBegriff der Öffentlichkeit tiefgreifendverändert, liegt auf der Hand.

Nicht zu Unrecht befürchten kritischeBeobachter, dass der freie und tech-nisch unaufwendige Zugang zumkünftigen digitalen Supermarkt desInternet zu einer unstrukturierten,babylonischen Kakophonie führenkönnte, in der jede seriöse Publikati-on unweigerlich im allgemeinenMarktgeschrei unterginge. Als Alter-native empfehlen sie die kommerziel-len Online-Dienste (zum BeispielCompuServe, America Online oder dieneuen Dienste MSN von Microsoft undIBM sowie neue europäische Netze),die den Anbietern von Informationen(Neudeutsch: content providers) undihren Rezipienten klar abgesteckteReviere zur Verfügung stellen. DenNachteil, dass damit der Zugang aufzahlende Abonnenten beschränktbleibt, würde durch den Vorteil derÜbersichtlichkeit aufgewogen.

Page 4: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

Bereits entstehen im Hinblick auf den neuen Markt solche Dienste auch auf lokaler Ebene. Denn gerade auf dem universellen Daten-Highway müsse es vertraute, übersichtliche, "heimatli-che" Strukturen geben, begründen die Promotoren ihr Angebot. Neben dem Austausch elektronischer Post (mit selbstverständlichem Zugang zum In-ternet) wollen diese Anbieter ihren Service durch Veranstaltungskalender, Diskussionsforen und Warenangebote attraktiv machen. Die eingesetzte Software, versprechen sie, biete be-sonders bequeme Verbindungen.

So einleuchtend die Notwendigkeit einer lokalen Verankerung auch sein mag, so wenig befriedigend erscheint das Konzept der Online-Dienste aus Sicht der Kunden, solange nicht gleichzeitig der volle Zugang zum in-ternationalen Daten- und Informati-onsangebot gewährleistet wird. Es ist absehbar, dass die rasante Entwick-lung des WWW zum anerkannten und am weitesten verbreiteten Internet-Standard das Argument der Online-Dienste, sie böten leichtere und un-kompliziertere Verbindungen, bald obsolet macht. Zum Angebot wird beides - der Zugang zum weltweit vernetzten Internet und zu einem lo-kalen oder regionalen Mailbox-Sys-tem - gehören. Diesen Trend nehmen die grossen kommerziellen Dienste bereits vorweg, allen voran America Online und - weniger komfortabel - CompuServe.

Über den Preis, den ein breites Publi-kum für elektronische Dienstleistun-gen zu zahlen bereit ist, kann derzeit nur spekuliert werden. Die dauernden Tarifsenkungen der kommerziellen

Anbieter bei gleichzeitiger Auswei-tung der Leistungen und die Tatsa-che, dass der Internet-Zugang kos-tenlos oder mindestens sehr kosten-günstig ist, können aber als wichtige Hinweise dienen. Ebenso die Ge-schichte des Fernsehens, das sich in den letzten 20 Jahren, von der reinen Gebühren-Finanzierung zur teilwei-sen oder ausschliesslichen Werbe-Fi-nanzierung weiterentwickelte. Dass lokale Telephonverbindungen in den USA wegen des harten Konkurrenz-kampfes unter den Fernmelde-Unter-nehmen inzwischen gratis sind, ist ein zusätzlicher Fingerzeig. Die Ent-wicklung wird also sehr stark von der Angebotssseite und ihrer Finanzkraft bestimmt: Die Preise des Zugangs zum Daten-Highway müssen eher tiefer sein als heute, um jene kritische Masse von Kunden anzuziehen, die für die Anbieter einträgliche Geschäf-te verspricht. Das heisst: Die Erträge der neuen Industrie fallen weniger durch Verbindungs-Abonnements und -gebühren an als durch diejeni-gen, die das Netz nutzen wollen, um ihre Angebote zu verbreiten - durch Reklame also.

Online publizieren

Zu den Produkten, die künftig elekt-ronisch angeboten werden, gehören auch Publikationen aller Art – Zeitun-gen, Magazine, Nachrichtendienste, Informations-Datenbanken, Spiele. Bereits heute sind auf dem Internet, soweit dies überhaupt zu übersehen ist, rund 1000 Zeitungen, Zeitschrif-ten und Magazine zu finden, die New York Times ebenso wie der Daily Te-legraph, Der Spiegel und die Berliner Tageszeitung ebenso wie der Zürcher

4

Bereits entstehen im Hinblick auf denneuen Markt solche Dienste auch auflokaler Ebene. Denn gerade auf demuniversellen Daten-Highway müsse esvertraute, übersichtliche, "heimatli-che" Strukturen geben, begründen diePromotoren ihr Angebot. Neben demAustausch elektronischer Post (mitselbstverständlichem Zugang zum In-ternet) wollen diese Anbieter ihrenService durch Veranstaltungskalender,Diskussionsforen und Warenangeboteattraktiv machen. Die eingesetzteSoftware, versprechen sie, biete be-sonders bequeme Verbindungen.

So einleuchtend die Notwendigkeiteiner lokalen Verankerung auch seinmag, so wenig befriedigend erscheintdas Konzept der Online-Dienste ausSicht der Kunden, solange nichtgleichzeitig der volle Zugang zum in-ternationalen Daten- und Informati-onsangebot gewährleistet wird. Es istabsehbar, dass die rasante Entwick-lung des WWW zum anerkannten undam weitesten verbreiteten Internet-Standard das Argument der Online-Dienste, sie böten leichtere und un-kompliziertere Verbindungen, baldobsolet macht. Zum Angebot wirdbeides - der Zugang zum weltweitvernetzten Internet und zu einem lo-kalen oder regionalen Mailbox-Sys-tem - gehören. Diesen Trend nehmendie grossen kommerziellen Dienstebereits vorweg, allen voran AmericaOnline und - weniger komfortabel -CompuServe.

Ober den Preis, den ein breites Publ i-kum für elektronische Dienstleistun-gen zu zahlen bereit ist, kann derzeitnur spekuliert werden. Die dauerndenTarifsenkungen der kommerziellen

4

Anbieter bei gleichzeitiger Auswei-tung der Leistungen und die Tatsa-che, dass der Internet-Zugang kos-tenlos oder mindestens sehr kosten-günstig ist, können aber als wichtigeHinweise dienen. Ebenso die Ge-schichte des Fernsehens, das sich inden letzten 20 jahren, von der reinenGebühren-Finanzierung zur teilwei-sen oder ausschliesslichen Werbe-Fi-nanzierung weiterentwickelte. Dasslokale Telephonverbindungen in denUSA wegen des harten Konkurrenz-kampfes unter den Fernmelde-Unter-nehmen inzwischen gratis sind, istein zusätzlicher Fingerzeig. Die Ent-wicklung wird also sehr stark von derAngebotssseite und ihrer Finanzkraftbestimmt: Die Preise des Zugangszum Daten-Highway müssen ehertiefer sein als heute, um jene kritischeMasse von Kunden anzuziehen, diefür die Anbieter einträgliche Geschäf-te verspricht. Das heisst: Die Erträgeder neuen Industrie fallen wenigerdurch Verbindungs-Abonnementsund -gebühren an als durch diejeni-gen, die das Netz nutzen wollen, umihre Angebote zu verbreiten - durchReklame also.

Online publizieren

Zu den Produkten, die künftig elekt-ronisch angeboten werden, gehörenauch Publikationen aller Art - Zeitun-gen, Magazine, Nachrichtendienste,Informations-Datenbanken, Spiele.Bereits heute sind auf dem Internet,soweit dies überhaupt zu übersehenist, rund 1000 Zeitungen, Zeitschrif-ten und Magazine zu finden, die NewYork Times ebenso wie der Daily Te-legraph, Der Spiegel und die BerlinerTageszeitung ebenso wie der Zürcher

Page 5: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

Tages-Anzeiger. Allerdings bieten die meisten dieser Publikationen erst ei-nen kleinen Teil ihrer normalen ge-druckten Ausgaben an, bei einigen immerhin ergänzt durch Dokumente, die zum Drucken zu umfangreich er-schienen.

Es ist klar, dass dies nur erste Schritte auf dem Weg zu elektronischen An-geboten sind. In den USA haben vor allem Fachblätter einen Anfang ge-wagt. Das bekannteste Beispiel ist Hotwired, die elektronische Ergän-zung zum Telekommunikations-Ma-gazin Wired.

In der Welt der Online-Publikationen gilt Hotwired als Vorreiter, weil es alle verfügbaren Möglichkeiten des elekt-ronischen Publizierens nutzt. Es ist aber längst nicht mehr allein. Eben-falls sehr innovativ ist das Intellektu-ellen-Magazin Feed, das systematisch die Möglichkeiten der Zweiweg-Kommunikation erprobt. Besonders erstaunlich: Die Feed-Macher planen, später vom frei zugänglichen WWW in ein geschlossenes E-Mail-System umzusteigen.

Wer von den Erfahrungen der Online-Pioniere profitieren will, braucht viel Zeit fürs Schmökern: Eine einzige spezialisierte Publikationenliste ent-hielt schon im Sommer 1995 Verbin-dungen zu 430 Zeitungen, 465 Maga-zinen und 347 Rundfunkstationen.

Was die Online-Publizistik bisher bie-tet, ist erst ein Anfang. Doch schon wird sichtbar, welche Konsequenzen die Entwicklung auf die gewohnten gedruckten Publikationen haben könnte: In Umkehrung der heutigen

Situation, wo Tageszeitungen und Zeitschriften elektronisch nur Appe-tit-Happen publizieren und die ge-druckte Form als "Hauptausgabe" gilt, könnte in Zukunft das Printprodukt nur Zusammenfassungen und Hin-weise zur schnellen Orientierung ent-halten - ähnlich wie die heutigen Pro-grammzeitschriften. Um den Erfolg zu sichern, werden in diesen Zeitschrif-ten die Adressen wichtiger weiterer elektronischer Publikationen und Dienstleistungen enthalten sein.

News-on-demand

Parallel wird die Individualisierung der Rezeption, die schon seit Jahren den Erfolg der Special-interest-Magazine bestimmt, zunehmen. Die ungeheu-ren Informationsmengen, die dem Einzelnen auf der Infobahn zur Verfü-gung stehen, müssen in Datenbanken erschlossen und entmischt werden. Was Video-on-demand für die Unter-haltungsindustrie, wird News-on-demand fürs Nachrichtengeschäft. Nicholas Negroponte ebenso wie Praktiker des Verlagsgeschäfts in den USA sind überzeugt, dass man sich schon in naher Zukunft individuelle Zeitungen zusammenstellen lassen kann. Die Kunden bestimmen dabei nicht nur die Themenmischung, die Informationsdichte und die Aktualität, sondern auch das Mass der Reklame-durchseuchung von hoch (billig) bis gleich null (teuer).

Dass eine solche Entwicklung sowohl das Verlagsgeschäft als auch den Journalismus grundlegend verändert, liegt auf der Hand. Der Zug kommt schon ins Rollen:

5

Tages-Anzeiger. Allerdings bieten diemeisten dieser Publikationen erst ei-nen kleinen Teil ihrer normalen ge-druckten Ausgaben an, bei einigenimmerhin ergänzt durch Dokumente,die zum Drucken zu umfangreich er-schienen.

Es ist klar, dass dies nur erste Schritteauf dem Weg zu elektronischen An-geboten sind. In den USA haben vorallem Fachblätter einen Anfang ge-wagt. Das bekannteste Beispiel istHotwired, die elektronische Ergän-zung zum Telekommunikations-Ma-gazin Wired.

In der Welt der Online-Publikationengilt Hotwired als Vorreiter, weil es alleverfügbaren Möglichkeiten des elekt-ronischen Publizierens nutzt. Es istaber längst nicht mehr allein. Eben-falls sehr innovativ ist das Intellektu-ellen-Magazin Feed, das systematischdie Möglichkeiten der Zweiweg-Kommunikation erprobt. Besonderserstaunlich: Die Feed-Macher planen,später vom frei zugänglichen WWW inein geschlossenes E-Mail-Systemumzusteigen.

Wer von den Erfahrungen der Online-Pioniere profitieren will, braucht vielZeit fürs Schmökern: Eine einzigespezialisierte Publikationenliste ent-hielt schon im Sommer 1995 Verbin-dungen zu 430 Zeitungen, 465 Maga-zinen und 347 Rundfunkstationen.

Was die Online-Publizistik bisher bie-tet, ist erst ein Anfang. Doch schonwird sichtbar, welche Konsequenzendie Entwicklung auf die gewohntengedruckten Publikationen habenkönnte: In Umkehrung der heutigen

5

Situation, wo Tageszeitungen undZeitschriften elektronisch nur Appe-tit-Happen publizieren und die ge-druckte Form als "Hauptausgabe" gilt,könnte in Zukunft das Printproduktnur Zusammenfassungen und Hin-weise zur schnellen Orientierung ent-halten - ähnlich wie die heutigen Pro-grammzeitschriften. Um den Erfolg zusichern, werden in diesen Zeitschrif-ten die Adressen wichtiger weitererelektronischer Publikationen undDienstleistungen enthalten sein.

News-on-demand

Parallel wird die Individualisierung derRezeption, die schon seit Jahren denErfolg der Special-interest-Magazinebestimmt, zunehmen. Die ungeheu-ren Informationsmengen, die demEinzelnen auf der Infobahn zur Verfü-gung stehen, müssen in Datenbankenerschlossen und entmischt werden.Was Video-on-demand für die Unter-haltungsindustrie, wird News-on-demand fürs Nachrichtengeschäft.Nicholas Negroponte ebenso wiePraktiker des Verlagsgeschäfts in denUSA sind überzeugt, dass man sichschon in naher Zukunft individuelleZeitungen zusammenstellen lassenkann. Die Kunden bestimmen dabeinicht nur die Themenmischung, dieInformationsdichte und die Aktualität,sondern auch das Mass der Reklame-durchseuchung von hoch (billig) bisgleich null (teuer).

Dass eine solche Entwicklung sowohldas Verlagsgeschäft als auch denJournalismus grundlegend verändert,liegt auf der Hand. Der Zug kommtschon ins Rollen:

Page 6: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

Der Rückgang der Anzeigenerlöse wird sich weiter fortsetzen und die redaktionellen Teile von Zeitungen und Zeitschriften werden - bei stei-genden Papierpreisen - weiter schrumpfen. Diese Entwicklung, die durch die fortschreitende Ausweitung der TV-Werbung und die wirtschaftli-che Rezession ausgelöst wurde, wird ein Ausweichen auf den Informations-Highway kurzfristig begünstigen. A-ber erst das Zusammenwachsen der TV-, Video- und Computer-Technik, die dazu führt, dass eine wachsende Zahl von Haushalten über neuartige "Fernseh-Video-Telefon-Computer" mit Online-Diensten verbunden ist, wird das Angebot elektronischer Pub-likationen richtig anschwellen lassen.

Die Manager des Print- und TV-Ge-werbes haben mit dem Umbau ihrer Unternehmen in Multimedia-Konzer-ne schon begonnen. Der Schritt zum Online Publishing (OP) wird für sie nur sehr klein sein. Aufgrund ihrer Grösse werden sie auch eine längere, von Unsicherheiten geprägte Einfüh-rungsphase im OP-Bereich ohne wei-teres in Kauf nehmen. Danach können sie ihre Investitionen allerdings auf sehr feine Marketinganalysen ab-stimmen. Denn die Zugri!e auf jedes einzelne ihrer digitalen Angebote können nicht nur zahlenmässig, son-dern auch in ihrer Dauer erfasst wer-den. Man kann sogar feststellen, aus welchem elektronischen Postamt (Domain) das Login erfolgt.

So fällt es leicht, die Kundschaft mit einer Vielzahl von Aktionen auf die neuen Möglichkeiten einzustimmen. In ihren Zeitschriften werden die Ver-leger die schöne neue Super-

Highway-Welt propagieren und für die eigenen Online-Dienste kinder-leicht zu handhabende Software be-reitstellen. Die Preise für diese Diens-te, auf denen neben Texten auch Ton- und Bild-Dokumente sowie Vi-deofilme verfügbar sind, werden sehr tief sein.

Die Tiefpreis-Politik wird eine weitere Konzentration der Anbieter bewirken. Denn mindestens in der Anlaufphase wird das breite Publikum für die neu-en Dienste nur wenig zu zahlen bereit sein. Auch die Werbewirtschaft und ihre Auftraggeber zögern. Anzeigen wie in der gedruckten Zeitung oder Reklamefilme wie im Fernsehen er-scheinen ihnen auf der Infobahn we-nig attraktiv. Die Umrisse möglicher Neuerungen sind aber schon erkenn-bar: Statt blosser Inserate bieten die Werber kleine Dienstleistungen an - von der Wetterprognose bis zu Bör-senkursen und interaktiven Aus-kunftsdiensten. Die angepriesenen Produkte können sofort bestellt wer-den; auch Beratung oder technische Hilfe ist online verfügbar. Es ist nicht auszuschliessen, dass die Werbung auf dem Daten-Highway sachlicher und intelligenter daherkommen muss als in den bisher gewohnten Formen.

Tiefgreifende Veränderungen

Kein Zweifel, dies alles wird nicht von heute auf morgen geschehen, aber doch schneller, als es sich manche Skeptiker vorstellen. Wer in den letz-ten 20 Jahren die vier Revolutionen der Druckindustrie erlebt hat - vom Blei- über den Fotosatz zum Desk-top-Publishing und jüngst zur Über-nahme der gesamten Druck-Vorstufe

6

Der Rückgang der Anzeigenerlösewird sich weiter fortsetzen und dieredaktionellen Teile von Zeitungenund Zeitschriften werden - bei stei-genden Papierpreisen - weiterschrumpfen. Diese Entwicklung, diedurch die fortschreitende Ausweitungder TV-Werbung und die wirtschaftli-che Rezession ausgelöst wurde, wirdein Ausweichen auf den Informations-Highway kurzfristig begünstigen. A-ber erst das Zusammenwachsen derTV-, Video- und Computer-Technik,die dazu führt, dass eine wachsendeZahl von Haushalten Ober neuartige"Fernseh-Video-Telefon-Computer"mit Online-Diensten verbunden ist,wird das Angebot elektronischer Pub-likationen richtig anschwellen lassen.

Die Manager des Print- und TV-Ge-werbes haben mit dem Umbau ihrerUnternehmen in Multimedia-Konzer-ne schon begonnen. Der Schritt zumOnline Publishing (OP) wird für sie nursehr klein sein. Aufgrund ihrer Grössewerden sie auch eine längere, vonUnsicherheiten geprägte Einfüh-rungsphase im OP-Bereich ohne wei-teres in Kauf nehmen. Danach könnensie ihre Investitionen allerdings aufsehr feine Marketinganalysen ab-stimmen. Denn die Zugriffe auf jedeseinzelne ihrer digitalen Angebotekönnen nicht nur zahlenmässig, son-dern auch in ihrer Dauer erfasst wer-den. Man kann sogar feststellen, auswelchem elektronischen Postamt(Domain) das Login erfolgt.

So fällt es leicht, die Kundschaft miteiner Vielzahl von Aktionen auf dieneuen Möglichkeiten einzustimmen.In ihren Zeitschriften werden die Ver-leger die schöne neue Super-

6

Highway-Welt propagieren und fürdie eigenen Online-Dienste kinder-leicht zu handhabende Software be-reitstellen. Die Preise für diese Diens-te, auf denen neben Texten auchTon- und Bild-Dokumente sowie Vi-deofilme verfügbar sind, werden sehrtief sein.

Die Tiefpreis-Politik wird eine weitereKonzentration der Anbieter bewirken.Denn mindestens in der Anlaufphasewird das breite Publikum für die neu-en Dienste nur wenig zu zahlen bereitsein. Auch die Werbewirtschaft undihre Auftraggeber zögern. Anzeigenwie in der gedruckten Zeitung oderReklamefilme wie im Fernsehen er-scheinen ihnen auf der Infobahn we-nig attraktiv. Die Umrisse möglicherNeuerungen sind aber schon erkenn-bar: Statt blosser Inserate bieten dieWerber kleine Dienstleistungen an -von der Wetterprognose bis zu Bör-senkursen und interaktiven Aus-kunftsdiensten. Die angepriesenenProdukte können sofort bestellt wer-den; auch Beratung oder technischeHilfe ist online verfügbar. Es ist nichtauszuschliessen, dass die Werbungauf dem Daten-Highway sachlicherund intelligenter daherkommen mussals in den bisher gewohnten Formen.

Tiefgreifende Veränderungen

Kein Zweifel, dies alles wird nicht vonheute auf morgen geschehen, aberdoch schneller, als es sich mancheSkeptiker vorstellen. Wer in den letz-ten 20 jahren die vier Revolutionender Druckindustrie erlebt hat - vomBlei- Ober den Fotosatz zum Desk-top-Publishing und jüngst zur Über-nahme der gesamten Druck-Vorstufe

Page 7: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

auf leistungsfähige Personal-Compu-ter - kann sich die Rasanz der Ent-wicklung ausmalen.

Viele Druckereien werden dichtma-chen müssen; wieder werden Berufs-leute der graphischen Industrie ihre Stelle verlieren. Auf der andern Seite wird die Nachfrage nach Grafikde-sign- und Telekommunikations-Di-enstleistungen zunehmen. Schon kurzfristig wird das Know-how in diesen Bereichen über Erfolg oder Misserfolg eines Anbieters entschei-den.

Es liegt auf der Hand, dass die Pro-dukte, die als erste auf der Infobahn verfügbar sind, mit einem besonders hoch qualifizierten, kaufkräftigen, jungen Publikum rechnen können. Das begünstigt die Implementierung von Publikationen und Diensten für die obersten Kaufkraftklassen und die aufgeschlossensten Segmente der Öf-fentlichkeit. Die weite Verbreitung von Internet-Anschlüssen in Grossbe-trieben und ö!entlichen Verwaltun-gen, die sich bereits abzeichnet, wird aber schnell für eine Ausweitung des möglichen Kundenkreises sorgen, so-dass sich auch populäre und schliess-lich populistische Produkte breitma-chen können. Beide Entwicklungsstu-fen - die Pionierstufe mit relativ klei-nem, aber für die Neuerung hochmo-tiviertem Publikum und die Populari-sierungsstufe, die auf die Neugier der Massen baut - gleichen sich, wie o-ben angetönt, in einem entscheiden-den Punkt: Sie lassen kaum Erträge aus direkten "Abonnements"-Gebüh-ren erwarten. Geld wird mit Werbung und Sponsoring sowie mit speziellen Dienstleistungen zu verdienen sein,

wie sie die kommerziellen Online-Di-enste bereits anbieten: Datenbanken, Börsen-Services, individuelle Wirt-schaftsauskünfte und andere. Auch viele Homepages auf dem WWW schmücken schon farbige Bälkchen und Icons mit den Emblemen von Sponsoren und Inserenten. Obwohl auf dem Internet o#ziell immer noch ein Kommerzverbot gilt, bieten ein-zelne Unternehmen, zum Beispiel das Computer-Zeitschriften publizierende Verlagshaus Zi!-Davis, schon ausge-feilte Service-Pakete für Anzeigen-kunden an. Auch der Online-Ver-sandhandel steht schon in voller Blü-te.

Eine wichtige Einnahmequelle ergibt sich auch aus der Möglichkeit der Vernetzung. Es ist logisch, dass die Verleger von elektronischen Publika-tionen die Verbreitung ihrer Produkte am einfachsten dadurch erhöhen, dass sie an möglichst vielen Punkten der Infobahn Verbindungen, soge-nannte Links, plazieren. Dafür werden sie auch bereit sein, einen angemes-senen Preis zu zahlen - und dafür werden sie sich im Gegenzug auch von andern bezahlen lassen.

(Die Zeitschriften-Datenbank News-Link, zum Beispiel, weist in einem Nachsatz auf ihrer WWW-Homepage darauf hin, dass es nach amerikani-schem Recht unlauterer Wettbewerb wäre, wenn unautorisiert Verbindun-gen zu NewsLink-Seiten hergestellt würden.)

Chancen für kleine Anbieter

Auf dem künftigen Markt - das zeigt die bisherige Erfahrung - werden ne-

7

auf leistungsfähige Personal-Compu-ter - kann sich die Rasanz der Ent-wicklung ausmalen.

Viele Druckereien werden dichtma-chen müssen; wieder werden Berufs-leute der graphischen Industrie ihreStelle verlieren. Auf der andern Seitewird die Nachfrage nach Grafikde-sign- und Telekommunikations-Di-enstleistungen zunehmen. Schonkurzfristig wird das Know-how indiesen Bereichen Ober Erfolg oderMisserfolg eines Anbieters entschei-den.

Es liegt auf der Hand, dass die Pro-dukte, die als erste auf der Infobahnverfügbar sind, mit einem besondershoch qualifizierten, kaufkräftigen,jungen Publikum rechnen können.Das begünstigt die Implementierungvon Publikationen und Diensten furdie obersten Kaufkraftklassen und dieaufgeschlossensten Segmente der Öf-fentlichkeit. Die weite Verbreitungvon Internet-Anschlüssen in Grossbe-trieben und öffentlichen Verwaltun-gen, die sich bereits abzeichnet, wirdaber schnell fur eine Ausweitung desmöglichen Kundenkreises sorgen, so-dass sich auch populäre und schliess-lich populistische Produkte breitma-chen können. Beide Entwicklungsstu-fen - die Pionierstufe mit relativ klei-nem, aber fur die Neuerung hochmo-tiviertem Publikum und die Populari-sierungsstufe, die auf die Neugier derMassen baut - gleichen sich, wie o-ben angetönt, in einem entscheiden-den Punkt: Sie lassen kaum Erträgeaus direkten "Abonnements"-Gebüh-ren erwarten. Geld wird mit Werbungund Sponsoring sowie mit speziellenDienstleistungen zu verdienen sein,

7

wie sie die kommerziellen Online-Di-enste bereits anbieten: Datenbanken,Börsen-Services, individuelle Wirt-schaftsauskünfte und andere. Auchviele Homepages auf dem WWWschmücken schon farbige Bälkchenund Icons mit den Emblemen vonSponsoren und Inserenten. Obwohlauf dem Internet offiziell immer nochein Kommerzverbot gilt, bieten ein-zelne Unternehmen, zum Beispiel dasComputer-Zeitschriften publizierendeVerlagshaus Ziff-Davis, schon ausge-feilte Service-Pakete fur Anzeigen-kunden an. Auch der Online-Ver-sandhandel steht schon in voller Blü-te.

Eine wichtige Einnahmequelle ergibtsich auch aus der Möglichkeit derVernetzung. Es ist logisch, dass dieVerleger von elektronischen Publika-tionen die Verbreitung ihrer Produkteam einfachsten dadurch erhöhen,dass sie an möglichst vielen Punktender Infobahn Verbindungen, soge-nannte Links, plazieren. Dafür werdensie auch bereit sein, einen angemes-senen Preis zu zahlen - und dafürwerden sie sich im Gegenzug auchvon andern bezahlen lassen.

(Die Zeitschriften-Datenbank News-Link, zum Beispiel, weist in einemNachsatz auf ihrer WWW-Homepagedarauf hin, dass es nach amerikani-schem Recht unlauterer Wettbewerbwäre, wenn unautorisiert Verbindun-gen zu NewsLink-Seiten hergestelltwürden.)

Chancen für kleine Anbieter

Auf dem künftigen Markt - das zeigtdie bisherige Erfahrung - werden ne-

Page 8: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

ben den grossen auch viele kleine Anbieter bestehen können. Auf der einen Seite erlauben die kommerziel-len Online-Dienste gegen eine Abo-Gebühr besonders leichten Zugang zu einer klar strukturierten aber be-schränkten Zahl von Dienstleistungen und Publikationen. Grossverlage wer-den solche Dienste selbst betreiben oder sich an ihnen beteiligen. Ander-seits hält das Internet den freien Zu-gang zur elektronischen Welt auch kleinsten Anbietern o!en. Noch nie in der Geschichte der Publizistik war es so leicht und so billig, eine unüber-sehbar grosse Masse von Menschen anzusprechen und mit ihnen zu kommunizieren. Diese unerhörte Chance sollten kritische Geister bei aller Skepsis, die sie der Technik und ihren Trompetern gegenüber hegen, nicht den Versandhändlern und den Regierungen überlassen.

Angesichts der grossen Zahl von An-bietern wird es sich herausstellen, dass der Erfolg elektronischer Publi-kationen mehr als bislang üblich von der eingesetzten brainpower abhängt. Zum Gelingen gehört auch, den Rezi-pienten besondere Attraktionen zu bieten. Zum Beispiel - banal - indem Nachrichten dauernd aufdatiert wer-den. Redaktionsschlüsse fallen dahin, publiziert wird sofort. Noch besser ist die weitgefächerte Vertiefung der In-formation, wie sie der Einsatz von Links ermöglicht. Und schliesslich werden - in der ausgereiften Form dieser Vernetzungstechnik - in einem einzigen publizistischen Gefäss Tex-te, Bilder, Töne und Filme gleichzeitig angeboten.

Entsprechend tiefgreifend sind die Auswirkungen auf den Journalismus.Das Handwerk wird sich weit über das hinaus verändern, was als "Ganzsei-ten-Umbruch" derzeit in vielen Re-daktionen noch Angst und Schrecken verbreitet. Diese Diskussionen, so verständlich sie im Einzelfall sein mö-gen, sind eigentlich schon von ges-tern. Wo sie noch geführt werden, droht Wirklichkeitsverlust und Nie-dergang. Nicht die Gefahr, dass Re-dakteure die Arbeit von Typographen machen, ist das Problem, zu diskutie-ren ist jetzt vielmehr die Frage, wie sich künftig die Teamarbeit beim On-line Publishing organisieren lässt.

Online-Journalismus

Denn wer elektronisch publiziert, ist wieder, wie früher im Zeitungsgewer-be, auf Teamwork angewiesen. Das Verschmelzen von Text, Bild, Ton und Video in einem einzigen digitalen Produkt kann nicht mehr Sache von eitlen Einzelkämpfern sein. Dass die publizistische Multimedia-Welt aus technischen Gründen derzeit noch weitgehend Zukunftsmusik ist, sollte niemanden beruhigen. Schon für ein-fache publizistische Angebote werden auf dem Daten-Highway neue Fertig-keiten gefordert.

Die Computer-Technik erlaubt zwar ohne weiteres, dass elektronische Publikationen als blosse Texte oder auch "wie gedruckt" mit derselben Typographie, in demselben Layout, mit denselben Illustrationen wie die Papierversion dargeboten werden. Die dafür entwickelte Software (zum Bei-spiel Acrobat), die es allen, ohne Rücksicht auf verwendete Schriften

8

ben den grossen auch viele kleineAnbieter bestehen können. Auf dereinen Seite erlauben die kommerziel-len Online-Dienste gegen eine Abo-Gebühr besonders leichten Zugang zueiner klar strukturierten aber be-schränkten Zahl von Dienstleistungenund Publikationen. Grossverlage wer-den solche Dienste selbst betreibenoder sich an ihnen beteiligen. Ander-seits hält das Internet den freien Zu-gang zur elektronischen Welt auchkleinsten Anbietern offen. Noch nie inder Geschichte der Publizistik war esso leicht und so billig, eine unüber-sehbar grosse Masse von Menschenanzusprechen und mit ihnen zukommunizieren. Diese unerhörteChance sollten kritische Geister beialler Skepsis, die sie der Technik undihren Trompetern gegenüber hegen,nicht den Versandhändlern und denRegierungen überlassen.

Angesichts der grossen Zahl von An-bietern wird es sich herausstellen,dass der Erfolg elektronischer Publi-kationen mehr als bislang Cinch vonder eingesetzten brainpower abhängt.Zum Gelingen gehört auch, den Rezi-pienten besondere Attraktionen zubieten. Zum Beispiel - banal - indemNachrichten dauernd aufdatiert wer-den. Redaktionsschlüsse fallen dahin,publiziert wird sofort. Noch besser istdie weitgefächerte Vertiefung der In-formation, wie sie der Einsatz vonLinks ermöglicht. Und schliesslichwerden - in der ausgereiften Formdieser Vernetzungstechnik - in einemeinzigen publizistischen Gefäss Tex-te, Bilder, Töne und Filme gleichzeitigangeboten.

8

Entsprechend tiefgreifend sind dieAuswirkungen auf den Journalismus.Das Handwerk wird sich weit Ober dashinaus verändern, was als "Ganzsei-ten-Umbruch" derzeit in vielen Re-daktionen noch Angst und Schreckenverbreitet. Diese Diskussionen, soverständlich sie im Einzelfall sein mö-gen, sind eigentlich schon von ges-tern. Wo sie noch geführt werden,droht Wirklichkeitsverlust und Nie-dergang. Nicht die Gefahr, dass Re-dakteure die Arbeit von Typographenmachen, ist das Problem, zu diskutie-ren ist jetzt vielmehr die Frage, wiesich künftig die Teamarbeit beim On-line Publishing organisieren lässt.

Online-Journalismus

Denn wer elektronisch publiziert, istwieder, wie früher im Zeitungsgewer-be, auf Teamwork angewiesen. DasVerschmelzen von Text, Bild, Ton undVideo in einem einzigen digitalenProdukt kann nicht mehr Sache voneitlen Einzelkämpfern sein. Dass diepublizistische Multimedia-Welt austechnischen Gründen derzeit nochweitgehend Zukunftsmusik ist, sollteniemanden beruhigen. Schon für ein-fache publizistische Angebote werdenauf dem Daten-Highway neue Fertig-keiten gefordert.

Die Computer-Technik erlaubt zwarohne weiteres, dass elektronischePublikationen als blosse Texte oderauch "wie gedruckt" mit derselbenTypographie, in demselben Layout,mit denselben Illustrationen wie diePapierversion dargeboten werden. Diedafür entwickelte Software (zum Bei-spiel Acrobat), die es alien, ohneRücksicht auf verwendete Schriften

Page 9: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

oder vorhandene Programme erlaubt, traditionell gelayoutete Seiten zu le-sen, ist sogar unentgeltlich oder sehr preiswert überall zu haben. Doch die digitale Umsetzung des gewohnten Print-Produkts macht höchstens Sinn, um Druck und Papier zu sparen, die Verbreitung von Nachrichten zu be-schleunigen oder um Leser zu binden, die über keinen Zugang zur Infobahn verfügen. (Fachleute schlagen vor, e-lektronische Publikationen in einer Einführungszeit auch auf Disketten anzubieten.) Auf jeden Fall blieben so die zusätzlichen Möglichkeiten der digitalen Technik weitgehend unge-nutzt. Deshalb ist es unwahrschein-lich, dass die blosse Übertragung von Printmedien in elektronische Form ein grösseres Publikum auf Dauer befrie-digen kann.

Von Journalisten, die für elektronische Publikationen arbeiten, wird nicht nur Teamfähigkeit verlangt, sie müssen auch in der Lage sein, ihre Sto!e spe-ziell zu gliedern. Die Texte von elekt-ronischen Publikationen folgen näm-lich nicht mehr einer bloss linearen Dramaturgie, vielmehr müssen sie, gleichsam dreidimensional, die Mög-lichkeiten der Vernetzung nutzen. Was in wissenschaftlichen Aufsätzen in Fussnoten, Anmerkungen oder Marginalien aufgehoben wird - Zu-satzinformationen, Erklärungen, Hin-weise, Exkurse - wird nun auch in journalistischen Arbeiten eingebun-den.

Die Erfahrungen mit einer elaborier-ten Vernetzung sind noch sehr be-scheiden. Als Studienobjekte können aber die besonders phantasievoll, auf-fällig und gleichwohl übersichtlich

gestalteten "Homepages" im WWW dienen. Sie sind schon jetzt oft mehr als attraktive Inhaltsverzeichnisse, die das aktuelle Informationsangebot ü-bersichtlich gliedern.

Multimediale Vernetzung

Auch elektronische Zeitschriften wer-den ihr Programm in derartigen Ho-mepages darstellen und ihr Publikum dann zu den einzelnen "Artikeln" wei-terleiten. Statt zu blättern, klickt man auf eine Überschrift oder auf ein Bild-symbol und wird sofort mit dem An-fang des damit verknüpften Angebots bedient. In der gleichen Weise können beliebige Schlüsselwörter, Bilder oder andere Informationselemente inner-halb eines Textes mit beliebigen wei-teren Inhalten verbunden werden. Und diese wiederum mit anderen. Es entsteht so eine Vernetzung und Ver-nestung von Informationsteilen, die weit über das hinausgeht, was An-merkungen oder Fussnoten leisten können. (Die Unterstreichungen im vorliegenden Text sollen einige einfa-che Links markieren.)

Selbst die am weitesten gediehenen Experimente wie Hotwired bedienen sich bisher der traditionellen journa-listischen Formensprache. Immerhin kann als Grundregel gelten, dass zu viele Links und vor allem eine zu tiefe Vernestung vermieden werden soll-ten, sonst wird die Rezeption unüber-sichtlich. Kommt hinzu, dass die meisten Infobahn-Reisenden die sie interessierenden Sto!e nicht online konsumieren, sondern sie vom Netz-werk auf ihren eigenen Computer la-den, um sie dort anzusehen. Bei die-sem Vorgang müssen derzeit noch

9

oder vorhandene Programme erlaubt,traditionell gelayoutete Seiten zu le-sen, ist sogar unentgeltlich oder sehrpreiswert überall zu haben. Doch diedigitale Umsetzung des gewohntenPrint-Produkts macht höchstens Sinn,um Druck und Papier zu sparen, dieVerbreitung von Nachrichten zu be-schleunigen oder um Leser zu binden,die Ober keinen Zugang zur Infobahnverfügen. (Fachleute schlagen vor, e-lektronische Publikationen in einerEinführungszeit auch auf Diskettenanzubieten.) Auf jeden Fall blieben sodie zusätzlichen Möglichkeiten derdigitalen Technik weitgehend unge-nutzt. Deshalb ist es unwahrschein-lich, dass die blosse Übertragung vonPrintmedien in elektronische Form eingrösseres Publikum auf Dauer befrie-digen kann.

Von Journalisten, die für elektronischePublikationen arbeiten, wird nicht nurTeamfähigkeit verlangt, sie müssenauch in der Lage sein, ihre Stoffe spe-ziell zu gliedern. Die Texte von elekt-ronischen Publikationen folgen näm-lich nicht mehr einer bloss linearenDramaturgie, vielmehr müssen sie,gleichsam dreidimensional, die Mög-lichkeiten der Vernetzung nutzen.Was in wissenschaftlichen Aufsätzenin Fussnoten, Anmerkungen oderMarginalien aufgehoben wird - Zu-satzinformationen, Erklärungen, Hin-weise, Exkurse - wird nun auch injournalistischen Arbeiten eingebun-den.

Die Erfahrungen mit einer elaborier-ten Vernetzung sind noch sehr be-scheiden. Als Studienobjekte könnenaber die besonders phantasievoll, auf-fällig und gleichwohl übersichtlich

9

gestalteten "Homepages" im WWWdienen. Sie sind schon jetzt oft mehrals attraktive Inhaltsverzeichnisse, diedas aktuelle Informationsangebot ü-bersichtlich gliedern.

Multimediale Vernetzung

Auch elektronische Zeitschriften wer-den ihr Programm in derartigen Ho-mepages darstellen und ihr Publikumdann zu den einzelnen "Artikeln" wei-terleiten. Statt zu blättern, klickt manauf eine Überschrift oder auf ein Bild-symbol und wird sofort mit dem An-fang des damit verknüpften Angebotsbedient. In der gleichen Weise könnenbeliebige Schlüsselwörter, Bilder oderandere Informationselemente inner-halb eines Textes mit beliebigen wei-teren Inhalten verbunden werden.Und diese wiederum mit anderen. Esentsteht so eine Vernetzung und Ver-nestung von Informationstellen, dieweit Ober das hinausgeht, was An-merkungen oder Fussnoten leistenkönnen. (Die Unterstreichungen imvorliegenden Text sollen einige einfa-che Links markieren.)

Selbst die am weitesten gediehenenExperimente wie Hotwired bedienensich bisher der traditionellen journa-listischen Formensprache. Immerhinkann als Grundregel gelten, dass zuviele Links und vor allem eine zu tiefeVernestung vermieden werden soll-ten, sonst wird die Rezeption unüber-sichtlich. Kommt hinzu, dass diemeisten Infobahn-Reisenden die sieinteressierenden Stoffe nicht onlinekonsumieren, sondern sie vom Netz-werk auf ihren eigenen Computer la-den, um sie dort anzusehen. Bei die-sem Vorgang müssen derzeit noch

Page 10: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

alle Informationsteile einzeln herun-tergeladen werden. Das ist oft verwir-rend und zeitraubend. Das Problem sollte schmerzlos durch entsprechen-de Software lösbar sein.

Das Vermeiden von allzu tiefer Ver-nestung und die Beschränkung auf eine übersichtliche Zahl von Links läßt immer noch genügend Raum, die neuen publizistischen Möglichkeiten auszunützen. So können in einem reinen Nachrichtentext Links zu den wichtigsten Informationen der Vorge-schichte implementiert werden. Und auf einer zweiten Ebene könnten die-se mit einer Archiv-Datenbank ver-bunden sein. Namen von Personen werden mit kurzen Lebensläufen und ihrem Porträt verknüpft. (Wie das aussehen kann, führen viele multime-diale Lexikon-CD-Roms vor.)

Die Möglichkeiten nehmen noch zu, wenn man sich die Verwendung von Videos und Filmsequenzen hinzu-denkt. So könnten einerseits Texte mit Bildmaterial anderseits aber auch Filme bis hin zu vollständigen News-Shows mit Text-Ergänzungen ange-reichert werden.

Die multimediale Vernetzung kann durchaus bewirken, dass die journa-listische Arbeit für die Rezipienten transparenter wird. Enthüllungsge-schichten werden ihre Brisanz weni-ger aus der suggestiven Argumentati-on der Rechercheure, als aus den of-fengelegten Belegen für die Beweis-führung schöpfen. Wo diese Belege fehlen, wird - weit mehr als bisher - die ganze Geschichte unglaubwürdig. Allerdings heisst dies nicht, dass die neuen Möglichkeiten per se mehr

Vertrauen scha!en. Denn die neue Technik bietet auch Manipulations-möglichkeiten, die weit über das hi-nausgehen, was die Regenbogen-Presse bisher schon vorführt.

Neuer Ö!entlichkeitsbegri!

Allerdings ist auch zu vermuten, dass Manipulationen schneller als bislang entdeckt werden. Denn parallel zur Enstehung einer elektronischen Publi-zistik verändert sich auch der Ö!ent-lichkeitsbegri! grundlegend: Der of-fene Zugang zum elektronischen Kommunikationsnetz raubt Verlegern und Journalisten ihre exklusive Gate-keeper-Funktion bei der Informati-onsvermittlung. Wenn er will, kann jeder Beamte von sich aus heisse Do-kumente ins Netz einspeisen; jeder Politiker, jede Interessengruppe oder NGO kann sich ohne weiteres und je-derzeit Gehör verscha!en. Drucker-pressen, Vertriebssysteme und andere aufwendige und deshalb Privilegien scha!ende Strukturen sind dafür nicht mehr nötig. Das führt zum Bei-spiel dazu, dass Regierungsdoku-mente, die bisher ausschliesslich ak-kreditierten Hauptstadt-Journalisten zur Verfügung standen, künftig für jedermann greifbar sind. Auch der Nachrichtenfluss von Agenturen, Zei-tungen und Zeitschriften aus weit entfernten Ländern, die bisher aus-schliesslich den Auslandkorrespon-denten vor Ort als Quelle dienen, wird allgemein zugänglich.

Der Einwand, dies sei theoretisch richtig, falle aber wegen der Unüber-sichtlichkeit der Infobahn in der Pra-xis kaum ins Gewicht, hält einer nä-heren Prüfung nicht stand. Erstens

10

alle Informationsteile einzeln herun-tergeladen werden. Das ist oft verwir-rend und zeitraubend. Das Problemsollte schmerzlos durch entsprechen-de Software lösbar sein.

Das Vermeiden von allzu tiefer Ver-nestung und die Beschränkung aufeine übersichtliche Zahl von Links läßtimmer noch genügend Raum, dieneuen publizistischen Möglichkeitenauszunützen. So können in einemreinen Nach richtentext Links zu denwichtigsten Informationen der Vorge-schichte implementiert werden. Undauf einer zweiten Ebene könnten die-se mit einer Archiv-Datenbank ver-bunden sein. Namen von Personenwerden mit kurzen Lebensläufen undihrem Porträt verknüpft. (Wie dasaussehen kann, führen viele multime-diale Lexikon-CD-Roms vor.)

Die Möglichkeiten nehmen noch zu,wenn man sich die Verwendung vonVideos und Filmsequenzen hinzu-denkt. So könnten einerseits Textemit Bildmaterial anderseits aber auchFilme bis hin zu vollständigen News-Shows mit Text-Ergänzungen ange-reichert werden.

Die multimediale Vernetzung kanndurchaus bewirken, dass die journa-listische Arbeit für die Rezipiententransparenter wird. Enthüllungsge-schichten werden ihre Brisanz weni-ger aus der suggestiven Argumentati-on der Rechercheure, als aus den of-fengelegten Belegen für die Beweis-führung schöpfen. Wo diese Belegefehlen, wird - weit mehr als bisher -die ganze Geschichte unglaubwürdig.Allerdings heisst dies nicht, dass dieneuen Möglichkeiten per se mehr

10

Vertrauen schaffen. Denn die neueTechnik bietet auch Manipulations-möglichkeiten, die weit Ober das hi-nausgehen, was die Regenbogen-Presse bisher schon vorführt.

Neuer Offentlichkeitsbegriff

Allerdings ist auch zu vermuten, dassManipulationen schneller als bislangentdeckt werden. Denn parallel zurEnstehung einer elektronischen Publi-zistik verändert sich auch der (Went-lichkeitsbegriff grundlegend: Der of-fene Zugang zum elektronischenKommunikationsnetz raubt Verlegernund Journalisten ihre exklusive Gate-keeper-Funktion bei der Informati-onsvermittlung. Wenn er will, kannjeder Beamte von sich aus heisse Do-kumente ins Netz einspeisen; jederPolitiker, jede Interessengruppe oderNGO kann sich ohne weiteres und je-derzeit Gehör verschaffen. Drucker-pressen, Vertriebssysteme und andereaufwendige und deshalb Privilegienschaffende Strukturen sind dafürnicht mehr nötig. Das führt zum Bei-spiel dazu, dass Regierungsdoku-mente, die bisher ausschliesslich ak-kreditierten Hauptstadt-Journalistenzur Verfügung standen, künftig fürjedermann greifbar sind. Auch derNach richtenfluss von Agenturen, Zei-tungen und Zeitschriften aus weitentfernten Ländern, die bisher aus-schliesslich den Auslandkorrespon-denten vor Ort als Quelle dienen, wirdallgemein zugänglich.

Der Einwand, dies sei theoretischrichtig, falle aber wegen der Unüber-sichtlichkeit der Infobahn in der Pra-xis kaum ins Gewicht, hält einer nä-heren Prüfung nicht stand. Erstens

Page 11: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

gibt es schon heute spezielle Daten-bank-Publikationen die nichts ande-res tun, als Links zu den relevanten Informationsquellen herstellen. Zwei-tens gehörten Regierungsstellen, Ver-bände und Parteien zu den ersten, die die neue Technik zur Verbreitung ih-res Originaltons nutzen. Sie haben erkannt, welche zusätzlichen Mög-lichkeiten zur Rechtfertigung ihrer Tätigkeiten und zur Erläuterung ihrer Handlungen sich hier bieten. Ohne Zweifel werden ihnen sehr schnell auch Grosskonzerne, Banken und an-dere Dienstleister folgen. Sie alle werden aber nicht ohne die Unter-stützung von Vermittlern auskom-men. Da es niemandem einfällt, von Geschäftsbericht zu Geschäftsbericht, von Staatskanzlei zu Staatskanzlei zu infosurfen, erö!nen sich hier neue journalistische und werbliche Akti-onsfelder. Die Vermischung von re-daktionellen Sto!en und Public Rela-tions kann durch die Vernetzungs-technik viel weiter getrieben werden als es in den heutigen Printmedien geschieht - vorausgesetzt die Links zu den Anzeigenkunden sind attraktiv genug.

Es ist sicher, dass sich aus den tech-nischen Möglichkeiten, die die kom-merziellen Anbieter so stark zu be-günstigen scheinen, auch Chancen für eine unabhängige und kritische Onli-ne-Publizistik ableiten lassen. Ihre O!erte ans Publikum umfasst Schnel-ligkeit, Transparenz, sorgfältige Sto!- und Nachrichtenauswahl und tiefschürfende Kommentierung und Erläuterung von Zusammenhängen sowie eine feinmaschige Gliederung des Angebots nach Interessenberei-chen. Die feine Aufteilung der Sto!e

ergibt sich aus der vertikalen Ver-nestung und aus der Quantität des Angebots. Denn anders als Printmedi-en, deren Umfang durch Anzeigen-aufkommen, Druckkapazität und an-dere äussere Faktoren definiert wird, haben elektronische Publikationen weder Anfang noch Ende. In einem Gedankenexperiment lässt sich eine elektronische Zeitschrift denken, die schon bei ihrer Gründung so viele Links zu Datenbanken und Archiven enthält, dass sie weit in die Vergan-genheit reichende Informationen ent-hält. Aus eigener Kraft wuchert sie - es gibt keinen Redaktionsschluss! - ungehemmt in der Gegenwart, indem sie den aktuellen, von eigenen Jour-nalisten-Teams kreierten Sto!en in die Breite und in die Tiefe führende Links anhängt.

Eine solche ungeheure Anhäufung von Informationen wäre weniger ab-surd als es tönt. Künftige elektroni-sche Publikationen werden nur reüs-sieren, wenn sie die indivduellen In-formationsbedürfnisse einer mög-lichst grossen Zahl ihrer Kunden be-friedigen können. Kunden sind dabei erst in zweiter Linie die zufällig vor-beischauenden Highway-Surfer, die mit einem attraktiven Design und al-lerlei Verlockungen zum Bleiben und Tieferschürfen verführt werden sollen, sondern die Stammgäste, die bei je-dem Besuch von neuem von der Nützlichkeit ihres Einloggens über-zeugt werden müssen. Der Erfolg hängt weniger als bei den bisher ge-wohnten Printmedien von der schie-ren Grösse des treuen Rezipienten-kreises ab, vielmehr ist die Intensität der Teilnahme für allfällige Werbe-kunden ausschlaggebend. Schon heu-

11

gibt es schon heute spezielle Daten-bank-Publikationen die nichts ande-res tun, als Links zu den relevantenInformationsquellen herstellen. Zwei-tens gehörten Regierungsstellen, Ver-bände und Parteien zu den ersten, diedie neue Technik zur Verbreitung ih-res Originaltons nutzen. Sie habenerkannt, welche zusätzlichen Mög-lichkeiten zur Rechtfertigung ihrerTätigkeiten und zur Erläuterung ihrerHandlungen sich hier bieten. OhneZweifel werden ihnen sehr schnellauch Grosskonzerne, Banken und an-dere Dienstleister folgen. Sie allewerden aber nicht ohne die Unter-stützung von Vermittlern auskom-men. Da es niemandem einfällt, vonGeschäftsbericht zu Geschäftsbericht,von Staatskanzlei zu Staatskanzlei zuinfosurfen, eröffnen sich hier neuejournalistische und werbliche Akti-onsfelder. Die Vermischung von re-daktionellen Stoffen und Public Rela-tions kann durch die Vernetzungs-technik viel weiter getrieben werdenals es in den heutigen Printmediengeschieht - vorausgesetzt die Linkszu den Anzeigenkunden sind attraktivgenug.

Es ist sicher, dass sich aus den tech-nischen Möglichkeiten, die die kom-merziellen Anbieter so stark zu be-günstigen scheinen, auch Chancen füreine unabhängige und kritische Onl i -ne-Publizistik ableiten lassen. IhreOfferte ans Publikum umfasst Schnel-ligkeit, Transparenz, sorgfältigeStoff- und Nachrichtenauswahl undtiefschürfende Kommentierung undErläuterung von Zusammenhängensowie eine feinmaschige Gliederungdes Angebots nach Interessenberei-chen. Die feine Aufteilung der Stoffe

11

ergibt sich aus der vertikalen Ver-nestung und aus der Quantität desAngebots. Denn anders als Printmedi-en, deren Umfang durch Anzeigen-aufkommen, Druckkapazität und an-dere dussere Faktoren definiert wird,haben elektronische Publikationenweder Anfang noch Ende. In einemGedankenexperiment lässt sich eineelektronische Zeitschrift denken, dieschon bei ihrer Gründung so vieleLinks zu Datenbanken und Archivenenthält, dass sie weit in die Vergan-genheit reichende Informationen ent-hält. Aus eigener Kraft wuchert sie -es gibt keinen Redaktionsschluss! -ungehemmt in der Gegenwart, indemsie den aktuellen, von eigenen jour-nalisten-Teams kreierten Stoffen indie Breite und in die Tiefe führendeLinks anhängt.

Eine solche ungeheure Anhäufungvon Informationen wäre weniger ab-surd als es tönt. Künftige elektroni-sche Publikationen werden nur reüs-sieren, wenn sie die indivduellen In-formationsbedürfnisse einer mög-lichst grossen Zahl ihrer Kunden be-friedigen können. Kunden sind dabeierst in zweiter Linie die zufällig vor-beischauenden Highway-Surfer, diemit einem attraktiven Design und al-lerlei Verlockungen zum Bleiben undTieferschürfen verführt werden sollen,sondern die Stammgäste, die bei je-dem Besuch von neuem von derNützlichkeit ihres Einloggens Ober-zeugt werden müssen. Der Erfolghängt weniger als bei den bisher ge-wohnten Printmedien von der schie-ren Grösse des treuen Rezipienten-kreises ab, vielmehr ist die Intensitätder Teilnahme für allfällige Werbe-kunden ausschlaggebend. Schon heu-

Page 12: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

te wird bei Medienuntersuchungen nicht mehr bloss nach der Kontakt-wahrscheinlichkeit, sondern auch nach der Kontakt-Intensität ("Wie lan-ge lesen sie im SPIEGEL?") gefragt.

Nachrichten-Datenbanken mit Hun-derttausenden allgemein Interessier-ter werden neben Spezialpublikatio-nen mit wenigen Tausend Kunden stehen. Gerade Angebote für ein an-spruchsvolles Publikum, die bislang aus finanziellen Gründen kaum zu re-alisieren waren, erhalten auf der Info-bahn neue Chancen. Sie können per-manente Diskussionsforen einrichten, die den redaktionellen Inhalt ergän-zen und erweitern. Wenn ihr Angebot einem Bedürfnis entspricht, werden sie schneller und dauerhafter Erfolg haben, als es bisher möglich ist, da der teure Druck und die Ausgaben für Vertrieb und Administration ganz o-der weitgehend entfallen. Das oben erwähnte Magazin Feed kann als Be-leg für diesen Hinweis dienen.

Es ist anzunehmen, dass als erste wissenschaftliche Zeitschriften ganz auf eine Printversion verzichten wer-den. Doch sehr bald werden auch Verbraucherverbände, Umweltorgani-sationen und andere Interessenge-meinschaften die neuen Möglichkei-ten nutzen und ihre Mitglieder- und Sympathisanten-Publikationen online anbieten. Denn auch für sie ist die dauernde enge Kommunikationsmög-lichkeit mit ihrem Publikum beson-ders attraktiv.

Die Zweiweg-Kommunikation wird auch die allgemein interessierte Öf-fentlichkeit schnell schätzen lernen. Die Redaktionen kommerzieller Pro-

dukte werden Instrumente entwi-ckeln, um die neuen Möglichkeiten der Sofort-Reaktion ihrer Rezipienten in ihr Angebot einzubauen. Es ist zu befürchten, dass neben den positiven Aspekten dieser Entwicklung auch unerwünschte E!ekte entstehen, wie sie aus den anbiedernd und suggestiv gestalteten Leserbriefteilen der Bou-levard- und Regenbogenpresse be-kannt sind. Grundsätzlich wird aber gelten, dass elektronische Publikatio-nen und ihre Redaktionen mit der dauernden Präsenz und den Artikula-tionen ihres Publikums unmittelbar rechnen müssen.

Wir erwähnten bereits, dass grosse Zeitschriften und Zeitungen begon-nen haben, einen Teil ihrer Informati-onen parallel elektronisch verfügbar zu machen und sie mit zusätzlichem Material zu ergänzen. In einem weite-ren Schritt werden die elektronischen Parallel-Produkte sich verselbständi-gen. Wahrscheinlich werden sie wei-terhin den Inhalt des gedruckten Pro-dukts spiegeln, dazu aber die Mög-lichkeiten der digitalen Technik kon-sequent nutzen. Sie werden schneller sein, da sie an keinen Erscheinungs-termin gebunden sind. Ihr Sto!ange-bot wird grösser sein, da die um-fangmässigen Beschränkungen der Drucktechnik wegfallen. Und sie wer-den Spezialwünschen ihrer Kunden umgehend entsprechen und ihr jour-nalistisches Angebot mit allerlei Dienstleistungen anreichern können.

Zusammenfassung

Mit der technischen Entwicklung und der Verbreitung der Infobahn-An-schlüsse wird sich das Gewicht von

12

te wird bei Medienuntersuchungennicht mehr bloss nach der Kontakt-wahrscheinlichkeit, sondern auchnach der Kontakt-Intensität ("Wie Ian-ge lesen sie im SPIEGE12") gefragt.

Nachrichten-Datenbanken mit Hun-derttausenden allgemein Interessier-ter werden neben Spezialpublikatio-nen mit wenigen Tausend Kundenstehen. Gerade Angebote für ein an-spruchsvolles Publikum, die bislangaus finanziellen Gründen kaum zu re-alisieren waren, erhalten auf der Info-bahn neue Chancen. Sie können per-manente Diskussionsforen einrichten,die den redaktionellen Inhalt ergän-zen und erweitern. Wenn ihr Angeboteinem Bedürfnis entspricht, werdensie schneller und dauerhafter Erfolghaben, als es bisher möglich ist, dader teure Druck und die Ausgaben fürVertrieb und Administration ganz o-der weitgehend entfallen. Das obenerwähnte Magazin Feed kann als Be-leg für diesen Hinweis dienen.

Es ist anzunehmen, dass als erstewissenschaftliche Zeitschriften ganzauf eine Printversion verzichten wer-den. Doch sehr bald werden auchVerbraucherverbände, Umweltorgani-sationen und andere Interessenge-meinschaften die neuen Möglichkei-ten nutzen und ihre Mitglieder- undSympathisanten-Publikationen onlineanbieten. Denn auch für sie ist diedauernde enge Kommunikationsmög-lichkeit mit ihrem Publikum beson-ders attraktiv.

Die Zweiweg-Kommunikation wirdauch die allgemein interessierte Öf-fentlichkeit schnell schätzen lernen.Die Redaktionen kommerzieller Pro-

12

dukte werden Instrumente entwi-ckeln, um die neuen Möglichkeitender Sofort-Reaktion ihrer Rezipientenin ihr Angebot einzubauen. Es ist zubefürchten, dass neben den positivenAspekten dieser Entwicklung auchunerwünschte Effekte entstehen, wiesie aus den anbiedernd und suggestivgestalteten Leserbriefteilen der Bou-levard- und Regenbogenpresse be-kannt sind. Grundsätzlich wird abergelten, dass elektronische Publikatio-nen und ihre Redaktionen mit derdauernden Präsenz und den Artikula-tionen ihres Publikums unmittelbarrechnen müssen.

Wir erwähnten bereits, dass grosseZeitschriften und Zeitungen begon-nen haben, einen Teil ihrer Informati-onen parallel elektronisch verfügbarzu machen und sie mit zusätzlichemMaterial zu ergänzen. In einem weite-ren Schritt werden die elektronischenParallel-Produkte sich verselbständi-gen. Wahrscheinlich werden sie wei-terhin den Inhalt des gedruckten Pro-dukts spiegeln, dazu aber die Mög-lichkeiten der digitalen Technik kon-sequent nutzen. Sie werden schnellersein, da sie an keinen Erscheinungs-termin gebunden sind. Ihr Stoffange-bot wird grösser sein, da die um-fangmässigen Beschränkungen derDrucktechnik wegfallen. Und sie wer-den Spezialwünschen ihrer Kundenumgehend entsprechen und ihr jour-nalistisches Angebot mit allerleiDienstleistungen anreichern können.

Zusammenfassung

Mit der technischen Entwicklung undder Verbreitung der Infobahn-An-schlüsse wird sich das Gewicht von

Page 13: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

den gedruckten zu den elektroni-schen Publikationen verschieben. Der Trend könnte dazu führen, dass ge-druckte Zeitungen und Zeitschriften nur noch als Ergänzungen zu den e-lektronischen Publikationen weiter-bestehen oder sich zu exklusiven Ni-schenprodukten entwickeln. Noch ist kaum vorstellbar, dass der Gri! zur druckfrischen Tageszeitung von auf-geregtem Mausklicken durch eine Reihe elektronischer Nachrichtenblät-ter ersetzt wird. Es könnte aber sein, dass Tageszeitungen künftig auf eine Art Inhaltsverzeichnis zusammen-schrumpfen und sich auf die Wieder-gabe eines blossen News-Gerüsts be-schränken - eine Art Programmblatt für die Infobahn.

Überholt ist dann auch die Vorstel-lung, dass eine Zeitung eine Einheit bildet. So wie das physische Printpro-dukt aus drucktechnischen Gründen in Bünde oder Teile zerfällt, so kön-nen auch elektronische Publikationen aufgeteilt präsentiert werden. Aller-dings wird diese Aufteilung nicht von der Produktionstechnik diktiert, son-dern durch Marketingüberlegungen geleitet. Was spricht zum Beispiel da-gegen, dass eine Lokalzeitung ihren Verantstaltungskalender ausser an ihrer angestammten WWW-Adresse auch noch in einer Spezialpublikation für Event-Marketing anbietet? Es ge-nügt ja, ein Link zu implementieren, um die Verbindung sicherzustellen. Oder sie könnte ihre Theaterkritiken - mit gefilmtem Szenenausschnitten, die das Urteil des Kritikers untermau-ern - in einer speziellen Theaterpub-likation verfügbar machen. So werden nicht nur die Grenzen zwischen den einzelnen Darstellungsarten ver-

schwimmen, sondern auch die Gren-zen der einzelnen Publikationen selbst. Es wird nichts Ungewöhnliches sein, in der Lieblingszeitschrift auch fremdsprachige Sto!e zu finden, teils weil sie die Redaktion als Ergänzung oder Kontrast zu ihrer eigenen Arbeit implementierte, teils weil es dem Wunsch von Kunden entspricht, die es mühsam finden, im Internet selbst nach Interessantem zu graben. So wird auch noch die Trennung zwi-schen Redakteuren und Rezipienten aufgehoben.

Dass unter solchen Umständen Urhe-berrechte im bisher bekannten Sinn nur noch schemenhaft existieren, liegt auf der Hand. Zwar wird man sich selbstverständlich mit Copyright-Vermerken und pauschalen Abgaben auf Modems oder Computer behelfen - ohne zu wissen, wie Missbräuche zu kontrollieren wären. Es ist unwahr-scheinlich, dass sich elektronische Publikationen deswegen hinter Soft-ware-Brandmauern oder auf nur ge-gen Eintrittsgebühren zugängliche Online-Dienste zurückziehen wollen. Denn so würden sie die vielfältigen Möglichkeiten der Vernetzung unge-nutzt lassen.Wichtiger als die Aufrechterhaltung eines technisch überholten Urheber-rechtsbegri!s scheint uns der Schutz der journalistischen Sto!e. Nicht aus-zudenken, wenn Kommentare oder Recherchen in veränderter, verfälsch-ter Form verbreitet würden. Deshalb stellt der Schutz der Server gegen Zu-gri!e von aussen eine entscheidende Herausforderung dar. Zusätzlich könnten Multimedia-Sto!e so gestal-tet werden, dass sie nicht ohne weite-res heruntergeladen und in veränder-

13

den gedruckten zu den elektroni-schen Publikationen verschieben. DerTrend könnte dazu führen, dass ge-druckte Zeitungen und Zeitschriftennur noch als Ergänzungen zu den e-lektronischen Publikationen weiter-bestehen oder sich zu exklusiven Ni-schenprodukten entwickeln. Noch istkaum vorstellbar, dass der Griff zurdruckfrischen Tageszeitung von auf-geregtem Mausklicken durch eineReihe elektronischer Nachrichtenblät-ter ersetzt wird. Es könnte aber sein,dass Tageszeitungen künftig auf eineArt Inhaltsverzeichnis zusammen-schrumpfen und sich auf die Wieder-gabe eines blossen News-Gerüsts be-schränken - eine Art Programmblattfür die Infobahn.

Überholt ist dann auch die Vorstel-lung, dass eine Zeitung eine Einheitbildet. So wie das physische Printpro-dukt aus drucktechnischen Gründenin Bünde oder Teile zerfällt, so kön-nen auch elektronische Publikationenaufgeteilt präsentiert werden. Aller-dings wird diese Aufteilung nicht vonder Produktionstechnik diktiert, son-dern durch Marketingüberlegungengeleitet. Was spricht zum Beispiel da-gegen, dass eine Lokalzeitung ihrenVerantstaltungskalender ausser anihrer angestammten WWW-Adresseauch noch in einer Spezialpublikationfür Event-Marketing anbietet? Es ge-nügt ja, ein Link zu implementieren,um die Verbindung sicherzustellen.Oder sie könnte ihre Theaterkritiken- mit gefilmtem Szenenausschnitten,die das Urteil des Kritikers untermau-ern - in einer speziellen Theaterpub-likation verfügbar machen. So werdennicht nur die Grenzen zwischen deneinzelnen Darstellungsarten ver-

13

schwimmen, sondern auch die Gren-zen der einzelnen Publikationenselbst. Es wird nichts Ungewöhnlichessein, in der Lieblingszeitschrift auchfremdsprachige Stoffe zu finden, teilsweil sie die Redaktion als Ergänzungoder Kontrast zu ihrer eigenen Arbeitimplementierte, teils weil es demWunsch von Kunden entspricht, die esmühsam finden, im Internet selbstnach Interessantem zu graben. Sowird auch noch die Trennung zwi-schen Redakteuren und Rezipientenaufgehoben.

Dass unter solchen Umständen Urhe-berrechte im bisher bekannten Sinnnur noch schemenhaft existieren,liegt auf der Hand. Zwar wird mansich selbstverständlich mit Copyright-Vermerken und pauschalen Abgabenauf Modems oder Computer behelfen- ohne zu wissen, wie Missbräuche zukontrollieren wären. Es ist unwahr-scheinlich, dass sich elektronischePublikationen deswegen hinter Soft-ware-Brandmauern oder auf nur ge-gen Eintrittsgebühren zugänglicheOnline-Dienste zurückziehen wollen.Denn so würden sie die vielfältigenMöglichkeiten der Vernetzung unge-nutzt lassen.Wichtiger als die Aufrechterhaltungeines technisch überholten Urheber-rechtsbegriffs scheint uns der Schutzder journalistischen Stoffe. Nicht aus-zudenken, wenn Kommentare oderRecherchen in veränderter, verfälsch-ter Form verbreitet würden. Deshalbstellt der Schutz der Server gegen Zu-griffe von aussen eine entscheidendeHerausforderung dar. Zusätzlichkönnten Multimedia-Stoffe so gestal-tet werden, dass sie nicht ohne weite-res heruntergeladen und in veränder-

Page 14: Jenseits der Gutenberg-Galaxis - juerg-buergi.ch · 2018-04-01 · ONLINE PUBLISHING Jenseits der Gutenberg-Galaxis Mit der explosionsartigen Entwick-lung der elektronischen Infobahn

ter Form auf einem fremden Server neu ins Spiel gebracht werden könn-ten.

Ein zweites ungelöstes Problem ist die Ausbildung der Journalistinnen und Journalisten, die in der Lage sind, e-lektronische Publikationen zu entwi-ckeln und zu gestalten. Es ist abseh-bar, dass sich das Berufsbild weit ü-ber die erwähnte Teamfähigkeit hi-naus verändern wird. Die Anforde-rungen werden nicht nur in Richtung O!enheit für technische Entwicklun-gen wachsen, sie werden sich auch im Bereich der Allgemeinbildung, der Spachkenntnisse und der konzeptio-nellen Fähigkeiten ausweiten. Da sich spezifische Fertigkeiten wie Recher-chieren, Formulieren, Illustrieren oder Filmschnitt kaum in einem einzigen Idealtypus herausbilden, werden im Bereich des elektronischen Publikati-onsgeschäfts auch neue Berufe ent-stehen. In den letzten Jahren im Be-liebigkeitsrausch teilweise vernach-lässigte Journalisten-Lehrgänge und verwandte Ausbildungsangebote wer-den eine starke Aufwertung erfahren. Angesichts der neuen Herausforde-rungen werden Grossverlage ihre Journalistenschulen reorganisieren und das Lehrangebot verbreitern. Ähnliches gilt auch für die einschlägi-gen Ausbildungsangebote der Hoch-schulen.

Verleger, Journalistenfunktionäre und Politiker sollten sich klar sein, dass die Vierte Gewalt durch den Daten-Superhighway in ihrer Existenz be-droht wird, dass ihr aber gleichzeitig auch neue Möglichkeiten erö!net werden, ihre Aufgabe noch besser und noch umfassender wahrzuneh-

men. Die Ö!nung des Meinungs- und Nachrichtenmarktes für jedermann bedeutet zwar Verlust der Gatekee-per-Funktion, sie erö!net aber auch die Chance, journalistische Arbeit auf einer breiteren Grundlage seriöser und transparenter zu leisten. Dies wird um so wichtiger sein, als die Zahl der Online-Angebote unüber-sehbar gross sein wird. Wer sich als Journalist oder Verleger in dem all-gemeinen unverbindlichen Unterhal-tungs-Rauschen durchsetzen will, muss auf Qualität bauen. Angesichts der neuen digitalen Möglichkeiten bedeuten Seriosität und Qualität nicht Langeweile, vielmehr bieten sie eine grandiose professionelle Herausfor-derung.

© Jürg Bürgi, Sommer 1995

14

ter Form auf einem fremden Serverneu ins Spiel gebracht werden könn-ten.

Ein zweites ungelöstes Problem ist dieAusbildung der Journalistinnen undJournalisten, die in der Lage sind, e-lektronische Publikationen zu entwi-ckeln und zu gestalten. Es ist abseh-bar, dass sich das Berufsbild weit O-ber die erwähnte Teamfähigkeit hi-naus verändern wird. Die Anforde-rungen werden nicht nur in RichtungOffenheit für technische Entwicklun-gen wachsen, sie werden sich auch imBereich der Allgemeinbildung, derSpachkenntnisse und der konzeptio-nellen Fähigkeiten ausweiten. Da sichspezifische Fertigkeiten wie Recher-chieren, Formulieren, Illustrieren oderFilmschnitt kaum in einem einzigenIdealtypus herausbilden, werden imBereich des elektronischen Publikati-onsgeschäfts auch neue Berufe ent-stehen. In den letzten Jahren im Be-liebigkeitsrausch teilweise vernach-lässigte Journalisten-Lehrgänge undverwandte Ausbildungsangebote wer-den eine starke Aufwertung erfahren.Angesichts der neuen Herausforde-rungen werden Grossverlage ihreJournalistenschulen reorganisierenund das Lehrangebot verbreitern.Ähnliches gilt auch für die einschlägi-gen Ausbildungsangebote der Hoch-schulen.

Verleger, Journalistenfunktiondre undPolitiker sollten sich klar sein, dassdie Vierte Gewalt durch den Daten-Superhighway in ihrer Existenz be-droht wird, dass ihr aber gleichzeitigauch neue Möglichkeiten eröffnetwerden, ihre Aufgabe noch besserund noch umfassender wahrzuneh-

14

men. Die Öffnung des Meinungs- undNach richtenmarktes für jedermannbedeutet zwar Verlust der Gatekee-per-Funktion, sie eröffnet aber auchdie Chance, journalistische Arbeit aufeiner breiteren Grundlage seriöserund transparenter zu leisten. Dieswird um so wichtiger sein, als dieZahl der Online-Angebote unüber-sehbar gross sein wird. Wer sich alsJournalist oder Verleger in dem all-gemeinen unverbindlichen Unterhal-tungs-Rauschen durchsetzen will,muss auf Qualität bauen. Angesichtsder neuen digitalen Möglichkeitenbedeuten Seriosität und Qualität nichtLangeweile, vielmehr bieten sie einegrandiose professionelle Herausfor-derung.

Jürg Bürgi, Sommer 1995