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1 Jersey im Ärmelkanal wird 1940 durch die 319. ID besetzt mit Anhang: 16.07.2021 von Karl-Wilhelm Maurer Jersey im 2. Weltkrieg Am 1. Juli 1940 wurde die englische Kanal- Insel Jersey von deutschen Truppen besetzt. Das gleiche Schicksal hatten tags zuvor die anderen Kanal-Inseln Guernsey, Alderney und Sark ereilt. Von den 100.000 Inselbe- wohnern waren zuvor ca. 25% geflüchtet.- Hitler maß dieser Einnahme besondere Bedeutung bei, war dies doch das einzige englische Territorium in deutscher Hand. Und von hier aus sollte England angegriffen werden. Deshalb waren die Kanalinseln ein wichtiges Glied in Hitlers Atlantikwall, einer Küstenbefestigung von Dänemark bis Spanien. Die Kosten für die Kanalinseln betrugen ca. 10% der Gesamtausgaben. Bedauernswerte Zwangsarbeiter aus den von den Deutschen besetzten Gebieten mussten auf diesen Inseln die Bunker und Geschütz-Stellungen bauen. Viele dieser Kriegsbauten stehen heute noch; teilweise sind sie Museum. Truppen der 319. Inf.-Div., kommandiert von Gen-Lt Graf v. Schmettow*, waren auf alle Kanalinseln verteilt, auf Jersey u.a. die Schnelle (Pz-Jäger-) Abteilung 319 mit zwei Kompanien. Die 2. Kompanie wurde ab dem 16.9.43 von meinem Vater, OLt R. Mau- rer, geführt, der zuvor mit der 251.ID an der Ostfront gekämpft hatte und wegen seiner Front-Erfahrung diese Abt. im Angriffsfall kommandieren sollte. Bis Kriegsende wohnte er im Haus Windsor Crescent Nr. 1 in der Hauptstadt St. Helier. Seine Kompanie war im ca. 3 Gehminuten entfernten Jesuiten- Colleg, Maison St. Louis, untergebracht. * ) Gen-Lt v. Schmettow war ein umsichtiger Kommandeur und bei seinen Truppen und der Bevölkerung beliebt. Jersey am 26. Juni 2007 Meine Frau Elke und ich hatten an diesem Tag im Rahmen einer Normandie-/Bretagne- Reise einen Ausflug von St. Malo zur Insel Jersey gemacht und dort durch eine geführte Rundfahrt einen groben Überblick bekom- men. Der Norden ist überwiegend Steilküste, während in den drei anderen Himmelsrich- tungen Sandstrände zum Baden einladen. Hier fällt der Unterschied zwischen Flut und Ebbe besonders stark auf. Nach dem Mittagessen machten wir einen Stadtbummel und suchten nach Vaters Wohn- und Wirkungsstätten aus der Besat- zungszeit. Dabei trafen wir auf freundliche, auskunftsfreudige Inselbewohner. Ein Hass wegen der damaligen Besetzung auf Deut- sche war nicht zu spüren.

Jersey im Ärmelkanal wird 1940 durch die 319. ID besetzt ......Während der Feldwebel R. Maurer 1940 im Westfeldzug als Angehöriger der 251. Inf.-Division (am 30. Juni war seine

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Jersey – im Ärmelkanal – wird 1940 durch die 319. ID besetzt mit Anhang: 16.07.2021

von Karl-Wilhelm Maurer

Jersey im 2. Weltkrieg Am 1. Juli 1940 wurde die englische Kanal-Insel Jersey von deutschen Truppen besetzt. Das gleiche Schicksal hatten tags zuvor die anderen Kanal-Inseln Guernsey, Alderney und Sark ereilt. Von den 100.000 Inselbe-wohnern waren zuvor ca. 25% geflüchtet.- Hitler maß dieser Einnahme besondere Bedeutung bei, war dies doch das einzige englische Territorium in deutscher Hand. Und von hier aus sollte England angegriffen werden. Deshalb waren die Kanalinseln ein wichtiges Glied in Hitlers Atlantikwall, einer Küstenbefestigung von Dänemark bis Spanien. Die Kosten für die Kanalinseln betrugen ca. 10% der Gesamtausgaben. Bedauernswerte Zwangsarbeiter aus den von den Deutschen besetzten Gebieten mussten auf diesen Inseln die Bunker und Geschütz-Stellungen bauen. Viele dieser Kriegsbauten stehen heute noch; teilweise sind sie Museum. Truppen der 319. Inf.-Div., kommandiert von Gen-Lt Graf v. Schmettow*, waren auf alle Kanalinseln verteilt, auf Jersey u.a. die Schnelle (Pz-Jäger-) Abteilung 319 mit zwei Kompanien. Die 2. Kompanie wurde ab dem 16.9.43 von meinem Vater, OLt R. Mau-rer, geführt, der zuvor mit der 251.ID an der Ostfront gekämpft hatte und wegen seiner Front-Erfahrung diese Abt. im Angriffsfall kommandieren sollte. Bis Kriegsende wohnte er im Haus Windsor Crescent Nr. 1 in der Hauptstadt St. Helier. Seine Kompanie war im ca. 3 Gehminuten entfernten Jesuiten-

Colleg, Maison St. Louis, untergebracht. *) „Gen-Lt v. Schmettow war ein umsichtiger

Kommandeur und bei seinen Truppen und der Bevölkerung beliebt“.

Jersey am 26. Juni 2007

Meine Frau Elke und ich hatten an diesem Tag im Rahmen einer Normandie-/Bretagne-Reise einen Ausflug von St. Malo zur Insel Jersey gemacht und dort durch eine geführte Rundfahrt einen groben Überblick bekom-men. Der Norden ist überwiegend Steilküste, während in den drei anderen Himmelsrich-tungen Sandstrände zum Baden einladen. Hier fällt der Unterschied zwischen Flut und Ebbe besonders stark auf. Nach dem Mittagessen machten wir einen Stadtbummel und suchten nach Vaters Wohn- und Wirkungsstätten aus der Besat-zungszeit. Dabei trafen wir auf freundliche, auskunftsfreudige Inselbewohner. Ein Hass wegen der damaligen Besetzung auf Deut-sche war nicht zu spüren.

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Mai 1944 – Jesuiten-Colleg Maison St. Louis Im 2. und 3. Stock des Jesuiten-Collegs war die 2. Kompanie der Schnellen Abt. 319 untergebracht. Im 1. Stock – durch eine Holzwand abgetrennt – wohnte Pater Rey mit seinen ca. 11 Patres. Im Garten des Collegs standen die Fahrzeuge und Geschütze der Kompanie. Während der Besat-zungszeit lebten beide Parteien friedlich neben-einander. Nach der Kapitulation wurde dem Kom-paniechef leider Diebstahl unterstellt. Dies führte dann zu einer unliebsamen Auseinandersetzung. Juni 2007

An Hand mitgebrachter Fotos baten wir Einhei-mische um Auskunft zum Jesuiten-Colleg. Bereit-willig zeigten sie uns den Weg, vorbei an einem Neubau, zum renovierten Colleg-Gebäude, das jetzt zum Hotel de France gehört. Im Neubau entdeckten wir einen kirchlichen Saal. „Die Jesu-iten leben heute an einer anderen Stelle auf Jer-sey“ – so die Aussage der Befragten und mit älteren Einheimischen aus der Nachbarschaft des Hotels unterhielten wir uns angeregt über die da-malige Zeit, in der alle unter Hunger litten. Mai 1944 – Windsor Crescent Nr. 1 Mein Vater war am 1. Februar 1944 zum Haupt-mann befördert worden. Ende Mai 44 erhielten wir einen Brief von ihm mit 3 Fotos: das nebenste-hende Foto zeigt ihn in seiner neuen Uniform am Eingang von Windsor Crescent Nr. 1. Dieses Haus bewohnte er alleine (nur wenige Wochen war der

OGfr Döring einquartierter Mitbewohner) mit seinem tüch-tigen Burschen namens Schuck, Mädchen für alles. Schuck konnte kochen, backen und den Garten bestellen. – War dieses Haus von den Deutschen beschlagnahmt worden oder hatte es sein Besitzer verlassen? Juni 2007

Durch die Notizen meines Vaters auf zwei Fotos 1.) „Windsor Crescent Nr. 1“ und 2.) „mein Haus ca. 150 m rechts von der St. Mark’s Kirche“ war Vaters Domizil auf dem Stadtplan schnell gefun-den. So gingen wir von Maison St. Louis die St. Marks Road hinunter und standen bald vor Wind-sor Crescent Nr. 1. Hier hat mein Vater also 20 Monate lang gewohnt. Der Eingangsbereich des Hauses hatte sich nur wenig verändert. In der Byron Road sprachen wir einen älteren Jer-seyianer an. Schnell holte er aus seinem Haus in der Oxford Road seine Brille, zeigte uns auf unse-rem Stadtplan, wo er als Kind gewohnt hatte und sprach von den „guten deutschen Soldaten“, die ihm „sweets and food“ geschenkt hatten. Über diese Begegnung haben wir uns gefreut.

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Mai 1944 – Windsor Crescent Nr.1 Das 3. Foto (li.) zeigt Vaters Garten und seinen Burschen Schuck. Auch eines der Hühner ist mit auf dem Foto, das die Frühstückseier lieferte. Der Garten war „Gold wert“, gab es nicht nur Tomaten und, wie aus Briefen hervorgeht, blühten die Rosen bis in den Dezember hinein. Juni 2007 Windsor Crescent ist eine kleine Stra-ße mit schönen älteren Kettenhäusern. Das Haus Nr. 1 steht auf einem Eck-grundstück, von einer Mauer umgeben, die bereits im Mai 1944 da war. Auch jetzt schauten Rosen über die Garten-mauer. Mai 1944 – St. Marks Road

Dieser Blick auf die Stadt St. Helier, vom Maison St. Louis aus fotografiert, zeigt die St. Marks Road mit der St. Mark‘s Kirche im Hintergrund. Juni 2007 Wie oft mag Vater diese St. Marks Road hinaufgegangen sein zum weit-hin sichtbaren Maison St. Louis? Auch am 9. Nov. 1944 nahm er diesen Weg, als ihm um 17.30 Uhr ein Feuer im Kompanie-Quartier gemeldet wur-de. Deutsche und Engländer löschten gemeinsam. Der Schaden war aber nicht groß. Mai 1944 – 2. Kompanie

Das ist die Führungsmannschaft der 2. Kompanie der Schnellen Abt. 319. In Bildmitte der Kompanie-Chef, Haupt-mann R. Maurer. Rechts neben ihm wahrscheinlich Olt. Peters, der Kompa-nie-Führer. Er lag längere Zeit krank im Lazarett. So mußte Vater seine Arbeit mitmachen. Wie er schreibt, hat er sich jedoch dabei nicht überarbeitet. Hauptfeldwebel Köckel war sehr zuver-lässig und sorgte für Ordnung im Mannschafts-Quartier Maison St. Louis.

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Das Ende der 2.Kompanie/Schnelle Abt./319. ID des Kompanie-Chefs Rudolf Maurer

„Der Krieg hat uns vergessen!“, war der Satz der Deutschen. Das war allerdings ein Segen, auch wenn Langeweile, Kälte und vor allem Hunger 11 Monate lang – seit der Landung der Alliierten in der Normandie – den Alltag auf den Kanalinseln bestimmten. Am 19. Mai 1945 sammelte sich die Kompanie des Hauptmanns R. Maurer und weitere Truppen im Insel-Zentrum bei Les Trois Bois, ca. eine Meile nordöstlich des deutschen Kriegstunnels. Von dort rückten ca. 1.000 Sol-daten mit ihren ca. 80 Offizieren ab zum Elisabeth-Hafen von St. Helier, um von dort nach England in die Gefangenenlager gebracht zu werden. Im Sept. 1947 wurde der POW R. Maurer aus der Gefangenschaft entlassen.

Mai 1944 – nach getaner Arbeit

Dieses Foto entstand nach einer Schieß-übung mit den Unteroffizieren der 2. Komp-anie der Schnellen Abt. 319. Den Gesich-tern nach zu urteilen verlief sie gut. Ort der Schießübungen könnte das Gelände süd-lich des deutschen Kriegstunnels gewesen sein, das zur St. Aubin’s Bay offen ist. – Auch könnte dort der Hauptmann R. Mau-rer seine Übung mit der Schnellen Abt. 319 am 18. Februar 1944 durchgeführt haben, von der er in einem Brief berichtete, denn noch immer wurde auf der Insel mit einer Invasion gerechnet. Mai 1944 – das Offiziersheim Blick auf das Offiziersheim vom Geschäfts-zimmer der Schnellen Abt. 319 aus. Im Hin-tergrund die Kirchturmspitze von St. Mark’s Church. Nach diesem Foto zu urteilen la-gen Mannschafts-Quartiere, Geschäftszim-mer und Offiziersheim nahe beieinander. Aus Zeitmangel haben wir am 26. Juni 2007 dieses Haus nicht gesucht. .

Mai 1944 – im Offiziersheim

Das Offiziersheim brachte Vater Abwechslung im langweiligen Alltag. Hitler schaute ständig von der Wand auf seine Offi-ziere herab. Gab es bis zur Invasion in der Normandie am 6. Juni 1944 dort „guten Kaffee und wohlschmek-kenden Kuchen“, so wurde das Angebot immer dünner und en-dete 1945 mit Tee „ohne ‘was“.

Sommer 1943: OLt. R. Maurer

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Die 319. Inf.-Division besetzt Ende Juni 1940 die britischen Kanal-Inseln Während der Feldwebel R. Maurer 1940 im Westfeldzug als Angehöriger der 251. Inf.-Division (am 30. Juni war

seine Einheit im 90 km von Jersey entfernten St.-Brieuc) zum Einsatz-Gebiet Brest marschierte, besetzen Truppen der 319. ID die Kanalinseln Jersey, Guernsey, Alderney und Sark. Knapp drei Jahre später wurde mein Vater als Kompanie-Chef von der Ostfront zu dieser Division auf Guernsey und dann Jersey versetzt. Ein Teil der Inselbewohner war in Frühjahr 1940 nach England geflohen. Churchill wollte die Inseln nicht ver-teidigen und zog seine Truppen ab, so dass nach einer Bombardierung von Häfen alle Inseln kampflos der Wehrmacht in die Hände fielen. Es fanden im Laufe der Zeit nur wenige Angriffe auf deutsche Kriegseinrich-tungen statt. Mit Verhaftung mussten allerdings jüdische Inselbewohner und Personen, die sich nicht an die ausgehandelten Vereinbarungen mit der Zivil-Verwaltung hielten, rechnen. Die Inselbewohner und die Deut-schen kamen – abgesehen von Einzelfällen – relativ gut miteinander aus, denn alle „saßen im gleichen Boot“ und fürchteten mögliche Fliegerangriffe, egal ob durch deutsche oder englische Flugzeuge der R.A.F.. Die Invasion der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 Die Invasion traf das LXXXIV. Armee-Korps, zu dem die 319. ID auf den Kanalinseln gehörte, besonders hart, denn alle Landungsstellen in der Seine-Bucht lagen im Bereich dieses Korps. Eine Verlegung der 319. ID dort hin aufs Festland lehnte der OB West, Gen-Feldm. v. Rundstedt ab, da er Hitlers Einstellung zu den Kanalinseln kannte. Hitler träumte noch immer von der Einnahme Englands. Dazu sollten die Kanalinseln als Brückenkopf dienen und nach dem gewonnenen Krieg von Deutschland annektiert werden, um sie dann der Organisation „Kraft durch Freude“ für Erholungsstätten zur Verfügung zu stellen. Am 15.6.44 – 9 Tage nach der Invasion – bat der OB West um die Entsendung des Chefs des WFStab zu einer Besprechung über die weitere Kampfführung. Jetzt entschloss sich der Führer, am 17. Juni selbst nach Frankreich ins Führerhaupt-Quartier „Wolfsschanze II“ bei Margival zu fliegen (in der Nähe von Soissons. Dies war übrigens der einzige Besuch Hitlers in diesem FHQ). ‚Er befahl beschleunigten Einsatz aller Minen-arten, insbesondere der Druckdosenminen, und das Zurückklappen der Front auf der Halbinsel Cotentin, da sich die Lage mit den vorhandenen Reserven nicht bereinigen ließ‘ – aus Kriegstagebuch des OKW, 1944-1945,

Teilband I. Kaum hatte Hitler sein FHQ verlassen, gelang den Alliierten am 18.6. der erwartete Durchbruch zur Westküste der Halbinsel Cotentin. Anfang Oktober 1944 hatten die ersten US-Truppen den Raum Aachen erreicht; das Kriegsgeschehen begann jetzt auf westdeutschem Boden, besonders heftig im Hürtgenwald südwestlich von Düren. Es begann „ein Krieg“ um die Versorgungsgüter für die Inselbewohner und für die Besatzung Die Alliierten sparten im Zug der Invasion die Eroberung der Kanal-Inseln aus, da sie für den Vormarsch auf Deutschland bedeutungslos waren, und Winston Churchill prahlte damit, dass er auf den Kanalinseln bereits die ersten 35.000 deutschen Kriegsgefangenen habe, obwohl seine Regierung in London mit dem Schicksal der besetzten Inseln nichts zu tun haben wollte und Hilfen für die Bevölkerung sogar ausblieben. Bis Kriegs-ende fiel auf Jersey kein feindlicher Schuss und kein Flugzeug störte die Nachtruhe. Jetzt fehlten Güter des täglichen Bedarfs wie Hygieneartikel, Energie und Proviant. Es wurde sogar mit dem Hungertod gerechnet! Alle Nahrungsmittel musste auf den Inseln erwirtschaftet werden. Das bedeutete tägliche Vereinbarungen

Foto vom März 1947: P.O.W. Rudolf Maurer

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mit den Bailiffs (übersetzt: Gerichtsdiener) der Insel-Regierungen und den Versorgungsoffizieren der Besatzungs-truppen nach den Regeln der Genfer Konventionen. Deshalb war Diplomatie gefragt. Und die beherrschte der von deutscher Seite eingesetzte oberste Verwaltungs- und Völkerjurist Baron v. Aufseß ausgezeichnet. Viele Danksagungen erreichten ihn bei Kriegsende - aus „Hans Max von Aufseß TAGEBUCH aus der Okkupationszeit der britischen Kanalinseln 1943-1945 … ISBN 978-3-95510-217-3 Osburg Verlag“. Kommando-Wechsel auf den Kanal-Inseln

Die 319. ID unter Führung des Gen.-Lt v. Schmittow gehörte im Mai 1944 zum LXXXIV. AK, 7. Armee, H-Gr B. Nach der Invasion im Juni 1944 wurde die Division der Heeresgruppe B direkt unterstellt und im Novem-ber 1944 dem Marine-Oberkommando West. Für die Kanalinseln wurde der bei der Marine unbeliebte Vize-Admiral Hüffmeier – ein fanatischer Nazi – zum Marinebefehlshaber eingesetzt, allerdings Gen. v. Schmittow unterstellt. Der Vice-Admiral versuchte nun ständig die Autorität des Generals zu untergraben – bis der Ge-neral letztendlich zum 1. März 1945 „aus Gesundheitsgründen“ von seinem Posten enthoben wurde. Die Be-fehlsgewalt ging jetzt auf den zweitklassigen Marine-Mann über, der bereit war, wie er selbst erklärte, „eher ins Gras zu beißen, als zu kapitulieren“ *). Das bedeutete für die Deutschen auf den Inseln als auch für die Insel-Bevölkerung nichts Gutes. Am 20. April 1945 feierte der unbeliebte Befehlshaber Hitlers Geburtstag mit einer großen Rede zum „Endsieg“. 10 Tage später beging aber Adolf Hitler, der oberste Befehlshaber der deutschen Truppen, im Führerbunker in Berlin Selbstmord und am 7. Mai befahl Hitlers Nachfolger, Groß-admiral Dönitz, allen deutschen Streitkräften, die Kämpfe einzustellen. Diesen Befehl befolgte auch der Vice-Admiral Hüffmeier, ohne seine geplanten Sprengungen auf den Kanalinseln auszulösen. Am 8. Mai 1945 er-klärte Baron v. Aufseß, Chief civil adminstrator, im Regierungsgebäude auf Guernsey im besten englisch:

„Der Krieg ist zu Ende. Hiermit geben wir Ihnen die Inseln zurück“ *). *) aus dem Buch „Hitlers Inselwahn“, von John Nettles, Osburg Verlag – IBSN 978-3-95510-094-0

Die formelle Kapitulation fand dann am 9. Mai 1945 an Bord des Schiffes HMS Beagle bei Jersey statt. - Die Besetzer der Kanal-Inseln sahen nun ihrer Kriegsgefangenschaft in England entgegen, und die Bewohner der Inseln begannen, die vergangenen fünf Jahre aufzuarbeiten – bis heute noch!? Fotos: Internet

© 07/2007 Karl-Wilhelm Maurer, Mayr-Nusser-Weg 6, D 91058 Erlangen

Hitlers FHQ „Wolfsschlucht II“, das an das Bahnnetz mit einem bombensicheren Tunnel angeschlossen war.

Die Kanal-Inseln waren für Hitler ein Boll-werk im Zug des Atlantikwalls. Riesige Men-gen an Beton wurden ab 1943 auf den Inseln in Abwehr-Stellungen verbaut – aber auch in bombersicheren Lazaretten. Foto (links) zeigt den Lazaretteingang auf der Insel Jersey.

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Anhang: Tagebuch des POW R. Maurer von Mai bis 5. August bzw. 30.9.1945 im Lager 18

22. Juli 1945: Heute vor 4 Jahren waren die Kämpfe am Borowno-See. Wer hätte geglaubt, daß ich 4 Jahre später im Kriegsgefangenen-Lager Nr. 18 in England sein würde. Und man kann nun sagen: das alles verdanken wir dem Führer. Rückblende: Am Pfingstsonnabend, dem 19. Mai, gingen wir in Jersey an Bord. Zuletzt lag die Abteilung an der Nord-küste. Ich lag im Quartier des Ost-Bataillons in einer schönen Villa des Kommandeurs. Es waren noch einmal ein paar schöne Tage. Wir wurden von den Tommies gar nicht behelligt; die Bewachung entfiel ganz. Die Verpflegung war gut. Die letzten Vorräte wurden vertilgt. Der Zusammenhang in der Kompanie blieb im Allgemeinen gewahrt. Leicht fiel mir der Abschied am Sonnabend vor Pfingsten nicht. Es waren doch viele anständige Jungen in der Kompanie. Mit den Herren der Abteilung gab es einige Differenzen. Sie wollten den N.S. (National-Sozialismus) immer noch restaurieren. Ein wahnsinniger Gedanke. Am letzten Abend machte ich noch einmal in Freiheit einen Gang ans Meer. Es war ein herrlicher Sonn-abend. Ich schaute nach Osten. Dort liegt die arme, verführte, mißhandelte Heimat. Wann werde ich sie wiedersehen, wie wird sie aussehen? Als ich zurückkehrte, traf ich einen älteren Herrn, der mich an-sprach und mir sagte, ich möchte Jersey in guter Erinnerung bewahren. Das versprach ich gerne und fügte meinerseits den gleichen Wunsch (er meinte die Besatzungszeit) hinzu. Das „ja“ kam genau so spontan wie bei mir. Sein Wunsch in der Form einer so bestimmten Aussage vorgetragen, es würde mir in England gut gehen, wurde gern gehört von mir. Er ist bis jetzt leider nicht in Erfüllung gegangen. Wir sammelten (uns) in Trois Bois. Dort lag, als ich nach J. kam, mein S F Zug und ich war gern mit dem Krad dorthin gefahren. (Jetzt) kam dort das Ende. Wir wurden dort vorläufig durchsucht und dann ging‘s in langem Zug zum Strand. Etwa 80 Offiziere und ca. 1000 Mannschaften. Die Bevölkerung war zurück-haltend, nur unmittelbar beim Besteigen des Transportschiffes am Elisabeth-Castle machte sich der Unwillen der Bevölkerungsteile bemerkbar, die uns Soldaten auf die Hungerperiode auf der Insel anspra-chen. Wir wurden in einem amerikanischen Panzer-Landungsschiff aufgenommen. Ein fabelhaftes Schiff, das etwa eine Panzerkompanie aufnehmen konnte. Der Tiefgang war so gering, daß das Schiff überall an Land anlegen konnte. Die Überfahrt war ruhig. Gegen 23 Uhr fuhren wir ab und waren gegen Mittag – 20.5. – in Southampton. Überrascht waren alle, die die Goebbels-Nachrichten kritiklos geglaubt hatten, daß Southampton noch stand. Nach unserer Information müßte ja diese Stadt restlos zerstört sein. Aber nichts von alle dem. In Southampton war Trennung von den Mannschaften. Wir Offiziere fuhren nach kurzem Aufenthalt weiter in das Durchgangslager Hampton bei London. In der ehemaligen Rennbahn wurde uns zum ersten Mal ganz deutlich, was es heißt, Gefangener zu sein. Mich nahmen die ersten 24 Stunden so mit, daß ich kaum essen konnte. Und das am Heiligen Pfingstfest. Am Dienstag (22.5.) nach Pfingsten (war) Weiterfahrt nach Norden. Wir kamen in das Lager 17 bei Shef-field, ein Mannschaftslager. Wir tauten auf, als wir uns wieder einmal satt essen konnten. Ich traf einige Marburger, die aber von Marburg auch nicht mehr wußten als ich. Leider blieben wir aber nur kurz in Sheffield. Am Freitag (25.5.) vor Trinitatis kommen wir in das Lager 18, das in der Umwandlung vom Mannschafts- zum Offiziers-Lager war. Bei der Ankunft: Begrüßung. Durchsuchung der Sachen. Ich verlor alle Uniformstücke, die ich nicht am Leibe trug. Ende Juli: In diesem Lager bin ich nun über 8 Wochen. Manches hat sich gebessert. Die Latrinen = Kü-bel sind fortgefallen, der Zwangsbummel am Nachmittag besteht nicht mehr. Aber es bleibt noch genug, was zu tragen schwer ist. Der Stacheldraht ist für mich, der ich die Freiheit immer geliebt habe, schwer. Aber noch viel drückender ist die vollständige Ungewißheit über das Ergehen der Angehörigen. Das lastet schon auf mir. Hier im Lager 18 traf ich zwar einen Theologen, Oblt. Wallmann, dessen Schwester in Marburg wohnt, und der auf Umwegen erfahren hat, daß nur das Bahnhofsviertel zerstört ist. Aber erstens ist nicht sicher, ob diese Nachricht stimmt und zum anderen sind vielleicht doch bei den Kämpfen um Marburg Zerstörungen eingetreten. Alle Nachrichten aus Deutschland sind so niederdrückend. Der Einfluß der Russen ist viel größer als angenommen worden ist. Er steht wahrscheinlich an den Grenzen Hessens, wenn auch genaue Karten nicht bekannt sind. Die Nachrichten aus der russ. Zone sind furcht-bar. In den von den Westmächten besetzten Zonen ist zwar überall der Wille zum Helfen zu spüren, aber die Wahnsinnspolitik in den letzten Wochen hat Deutschland so gründlich zerstört, daß alle Vorausset-zungen für eine jetzt schon fühlbare Hilfe fehlen. Wie werden Irene mit den Kindern und die Eltern mit allen Schwierigkeiten fertig? Erwin (Schwager) ist wohl in russ. Gefangenschaft, denn es besteht wenig Hoffnung, daß er noch aus Kurland herausgekommen ist. Über Willi (Bruder) mache ich mir viel Sorgen. Ist er auch in russ. Gefan-genschaft? Eine Rückkehr aus russ. Gefangenschaft ist so gut wie ausgeschlossen. Es kommt darauf an, daß wir uns an die Westmächte anschließen und ein Bewusstsein gemeinsamen abendländischen Erbes

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wieder aufbauen und uns innerlich und äußerlich absetzen von dem Bolschewismus, der doch immer noch trotz aller Trennungen das Ende Europas bedeutet. 26. Juli: Es erscheint müßig, überhaupt solche Gedanken sich zu machen. Wir sind ja vollständig ausgeschaltet, nicht bloß wir Kriegsgefangenen, sondern auch als gesamtes Volk. Gestern wurde das englische Wahlergebnis bekannt gegeben, das einen vollständigen Sieg der Labour Partei bedeutet. Mancherlei Kombinationen wurden von den Kameraden daran geknüpft. Die einen sehen die Heimkehr der Kriegsgefangenen vor der Tür, die anderen die Auslieferung Deutschlands an Rußland bevorstehen. Ich versuche, so schwer es mir auch fällt, mich von solchen Kombinationen, die von Wünschen diktiert werden, fern zu halten. Die Rückkehr auf die innere Linie ist die einzige Möglichkeit der Existenz. Gott führte in diese Abgeschlossenheit der Gefangenschaft, die mir so schwerfällt, weil ich in meinem Frei-heitsgefühl so beengt bin. Und es kommt nun darauf an, still zu werden und sich für ein neues Leben vorzubereiten. Olim proderit semper. So beschäftige ich mich mit dem griech. Neuen Testament und meinem Elert, den ich glücklich bis hierher gerettet habe. Ich bin froh, daß ich eine Reihe von Theologen hier getroffen (habe), die unter der Führung von Major Bosse, Superindendenten in Stolzenau an der Weser zu einer Arbeitsgemeinschaft sich zusammengeschlossen haben. 27.7.: Heute, am Sonntag, habe ich abends im Radio Brahms gehört. Es war, als ob die Zäune fielen! Anschließend wurde ein Teil des Hirtenbriefes des Freiburger Bischofs verlesen. Er enthielt eine Reihe beachtlicher Anklagen gegen das 3. Reich. Die Wirkung selbst auf einigermaßen vernünftige Herren war nur negativ. Es mag sein, daß die eine oder andere Redewendung nicht ganz glücklich war, aber in der Sache hat der Hirtenbrief recht. Es ist nach Prinzipien regiert worden, in Deutschland und außerhalb Deutschlands, die jeder Sittlichkeit und Menschlichkeit entbehrten. Aber das Gift der Goebbels‘schen Propaganda ist so stark gewesen, daß es viele gibt, die das Wort Schuld nicht hören wollen. Hier zeigt sich deutlich die Frucht des verbreiteten Atheismus: es ist ein ethischer Nihilismus übriggeblieben. Dieser hat in manchen Kreisen schon vor 1933 bestanden, aber seit 1933 ist er ein Allgemeingut des Volkes geworden, der das Gewissen so vieler in 12 Jahren hat nicht schlagen lassen und der auch jetzt noch die Gewissen sich nicht regen läßt. Wie soll mit solchen Menschen der Aufbau möglich sein? Für die Kirche ein Feld, das nur ganz schwer zu bearbeiten ist, das aber unbedingt bestellt werden muß. 31. Juli: Heute besichtigte ein englischer General das Lager. Die Herren Bleul und v. Aufsess waren von unserer Baracke beauftragt worden, wegen der zu geringen Verpflegung vorstellig zu werden. Ich habe noch nie so viel Hunger gehabt wie in den letzten 3 Wochen. Das Essen ist nicht schlecht, aber mengen-mäßig um 50% zu wenig. Der General hat wenig Hoffnung gemacht. Die Sätze könnte er nicht erhöhen, er wolle aber nachprüfen, ob wir alles erhielten, was uns zustünde. 2. August: Zum 7. Mal verlebte ich meinen Geburtstag im feldgrauen Rock. Die besten Jahre sind ver-gangen, ohne daß ich arbeiten konnte auf dem Ackerboden, der eigentlich mein Feld ist. So erlebt der einzelne, wie stark sein quot. = tägl. Leben verknüpft ist mit dieser Politik der Demagogie. – Der Geburts-tag verlief traurig. Wie könnte es anders sein. Morgens nach dem Kaffee holte mich Major Bosse ab zur Morgenwache und überreichte mir ein Stück Kuchen, das er sich ebenso wie die Zigaretten abgespart hatte (wobei der Kuchen bei der bestehenden Ernährungslage noch ein größeres Opfer war als die Ziga-retten). Am Nachmittag war eine Zusammenkunft der Theologen. Ich mußte dort aus meinem Leben erzählen. Auch ein Zeichen dafür, daß ich 40 Jahre alt geworden bin. Es legt sich wie eine Last auf mich, daß das Leben so dahin geht, ohne die Arbeit, an der mein Herz hängt. Gott alleine weiß, weshalb das alles geschehen ist. Und nur im Hinblick auf ihn gilt: Hoc olim proderit. Ich kann nur dankbar sein für die Lebensführung, daß ich diese 5 ½ Jahre Krieg gesund überstanden habe. Am 2. 8.41 hat der Tod mich bei Weliki Luki gestreift. Es ist der Tag, an dem Martin Dietrich bei Kiew gefallen ist. 3. August: Ich habe gestern an das Rote Kreuz nach London schreiben und mich nach dem Verbleib von Willi erkundigen können. Ich habe ja immer noch die Angst, daß er in russ. Gefangenschaft gekommen ist. (Willi, sein 5 Jahre älterer Bruder, war im jugoslawischen Partisanenkrieg in Marburg a. d. Drau eingesetzt. Dort erlebte er das

Kriegsende, jetzt im britisch besetzten Gebiet. - Bereits im Sommer 1945 wurde er Propst für Oberhessen und Schmalkalden). Gestern besuchte mich Vikar Knodt aus Nauheim. Aber er wußte über Marburg/L auch nichts Neues. 5. August: In der Nacht habe ich von Irene geträumt; ich habe sie deutlich im Traum gesehen. Ich stand in einem fremden Haus am Fenster. Da ging Irene vorbei. Ich konnte nicht zu ihr, rief sie aber. Mit ganz traurigen Augen sah sie zu mir hinauf; sie sah schlecht, blaß und verhärmt aus. Aber ganz fremd ging sie weiter. Sie erkannte mich nicht mehr. …. 22. Sept.: Heute ist endlich die erste Karte nach Hause abgesandt worden. Sie sollte eigentlich schon am 5. ausgegeben werden. Aber die Organisation klappte nicht. Die Angehörigen sollten schon am 19.9. eine Suchkarte absenden, wenn bis dahin keine Nachricht von einem ehemaligen Angehörigen der Wehr-macht da ist. So werden jetzt die Angehörigen in großer Sorge sein. Leider waren auch nicht genügend Karten da. Ich habe aber an Irene schreiben können. Sonntag, den 30.9.1945, Erntedankfest: Nach dem Gottesdienst rief mich ein Melder zum Intelligence Service. Morgen fahre ich zum Lager 167 als Lagerpfarrer. So endete die Kriegsgefangenschaft des POW R. Maurer im „Umerziehungs-Lager 18“.