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14 15 Die aus heutiger Sicht unfassbaren Handlungen Vonbuns entsprangen der NS-Ideologie und der Vorstellung, es gebe „lebensunwertes Leben“. Die Wurzeln der „Euthanasie“ aber gehen weit zurück ins 19. Jahrhundert. Während es ursprüng- lich darum ging, unheilbar und unter Schmerzen leidenden Kranken auf deren Wunsch einen schnellen und schmerz- losen Tod zu ermöglichen, ging die Diskussion zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich weiter. In der Weimarer Republik gaben der Psychiater Alfred Hoche und der Jurist Karl Binding eine Broschüre mit dem Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ heraus, mit der die Verbrechen des Nationalsozialismus entscheidend vorbereitet wurden. Zu- mindest, was Zwangssterilisierungen anbelangt, gab es die Diskussion und praktische Durchführung auch in anderen Ländern sogar noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg – beispielsweise in den USA, der Schweiz oder den skandina- vischen Ländern. In den USA wurden bis 1964 mindestens 64.000 Menschen sterilisiert. In der Schweiz dauerte diese Praxis sogar bis in die Achtzigerjahre. Die geplante und syste- matisch durchgeführte Ermordung von kranken und behin- Als die Frau des Psychiaters Dr. Josef Vonbun (1902–1984) – er war damals Leiter der „Gau-Landes-Heil- und Pflegeanstalt Valduna“ – im April 1941 nach einem gesunden auch ein ge- hirngeschädigtes Mädchen zur Welt gebracht hatte, diagnosti- zierte der Vater eine „vererbte Gehirnkrankheit und angebore- ne Minderwertigkeit“. Darauin ließ er seine kleine Waltraud nach München bringen, wo sie mit einer Luminal-Spritze ge- tötet wurde. Seine Schwiegermutter Eleonore Stückler war mit der Diagnose Schizophrenie Patientin der Valduna. Sie wurde von Dr. Vonbun schon vier Monate vor seiner Tochter mit dem dritten Transport in den sicheren Tod in der Gaskammer ge- schickt. 1 In der Person Vonbuns zeigt sich die menschenverachten- de Brutalität und der Fanatismus, mit dem die mörderische Euthanasie im nationalsozialistischen Staat umgesetzt wurde. Er ließ als Hauptverantwortlicher in Vorarlberg nicht nur hun- derte Patienten ermorden, sondern schreckte auch vor der eigenen Familie nicht zurück. Der Psychiater trennte sich von seiner Frau und kontaktierte im Juni 1944 einen „in erbbiolo- gischen Fragen besonders gut bewanderten Arzt“, der seiner Gattin psychische Defekte attestierte. Er wollte sich scheiden lassen und brachte auch seine Frau mit dieser Vorgangsweise in höchste Lebensgefahr, zumindest drohte ihr die Sterilisie- rung. Das Kriegsende rettete sie vor dem Tod oder der Ver- stümmelung. 2 „Jetzt werden wir euch verbrennen!“ – Zur Geschichte der Euthanasie in der Region Kummenberg Harald Walser Der Feldkircher Psychiater Dr. Josef Vonbun (1902 –1984) war fanatischer Nationalsozialist und Leiter der „Lan- des Heil- und Pflegeanstalt Valduna“. Er war nicht nur für die Ermordung der Valduna-Patient*innen verant- wortlich, sondern ließ auch die eigene geistig behinderte Tochter töten und wollte noch kurz vor Kriegsende seine Frau vergasen lassen.

Jetzt werden wir euch verbrennen!“ – Zur Geschichte der ...Berchtold_Das+Vorarlberger...cher hatte in Innsbruck Medizin studiert und anschließend unter anderem in der niederösterreichischen

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Die aus heutiger Sicht unfassbaren Handlungen Vonbuns entsprangen der NS-Ideologie und der Vorstellung, es gebe „lebensunwertes Leben“. Die Wurzeln der „Euthanasie“ aber gehen weit zurück ins 19. Jahrhundert. Während es ursprüng-lich darum ging, unheilbar und unter Schmerzen leidenden Kranken auf deren Wunsch einen schnellen und schmerz-losen Tod zu ermöglichen, ging die Diskussion zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich weiter. In der Weimarer Republik gaben der Psychiater Alfred Hoche und der Jurist Karl Binding eine Broschüre mit dem Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ heraus, mit der die Verbrechen des Nationalsozialismus entscheidend vorbereitet wurden. Zu-mindest, was Zwangssterilisierungen anbelangt, gab es die Diskussion und praktische Durchführung auch in anderen Ländern sogar noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg – beispielsweise in den USA, der Schweiz oder den skandina-vischen Ländern. In den USA wurden bis 1964 mindestens 64.000 Menschen sterilisiert. In der Schweiz dauerte diese Praxis sogar bis in die Achtzigerjahre. Die geplante und syste-matisch durchgeführte Ermordung von kranken und behin-

Als die Frau des Psychiaters Dr. Josef Vonbun (1902–1984) – er war damals Leiter der „Gau-Landes-Heil- und Pflegeanstalt Valduna“ – im April 1941 nach einem gesunden auch ein ge-hirngeschädigtes Mädchen zur Welt gebracht hatte, diagnosti-zierte der Vater eine „vererbte Gehirnkrankheit und angebore-ne Minderwertigkeit“. Daraufhin ließ er seine kleine Waltraud nach München bringen, wo sie mit einer Luminal-Spritze ge-tötet wurde. Seine Schwiegermutter Eleonore Stückler war mit der Diagnose Schizophrenie Patientin der Valduna. Sie wurde von Dr. Vonbun schon vier Monate vor seiner Tochter mit dem dritten Transport in den sicheren Tod in der Gaskammer ge-schickt.1

In der Person Vonbuns zeigt sich die menschenverachten -de Brutalität und der Fanatismus, mit dem die mörderische Eutha nasie im nationalsozialistischen Staat umgesetzt wurde. Er ließ als Hauptverantwortlicher in Vorarlberg nicht nur hun-derte Patienten ermorden, sondern schreckte auch vor der eigenen Familie nicht zurück. Der Psychiater trennte sich von seiner Frau und kontaktierte im Juni 1944 einen „in erbbiolo-gischen Fragen besonders gut bewanderten Arzt“, der seiner Gattin psychische Defekte attestierte. Er wollte sich scheiden lassen und brachte auch seine Frau mit dieser Vorgangsweise in höchste Lebensgefahr, zumindest drohte ihr die Sterilisie-rung. Das Kriegsende rettete sie vor dem Tod oder der Ver-stümmelung.2

„Jetzt werden wir euch verbrennen!“ – Zur Geschichte der Euthanasie in der Region Kummenberg Harald Walser

Der Feldkircher Psychiater Dr. Josef Vonbun (1902–1984) war fanatischer Nationalsozialist und Leiter der „Lan-des Heil- und Pflegeanstalt Valduna“. Er war nicht nur für die Ermordung der Valduna-Patient*innen verant-wortlich, sondern ließ auch die eigene geistig behinderte Tochter töten und wollte noch kurz vor Kriegsende seine Frau vergasen lassen.

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und Pflegeanstalt Hall in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim und in die Anstalt Niedernhart in Linz verbracht und ermor-det worden waren, stand der Verdacht im Raum, dass die Toten des Friedhofs Opfer systematischer Tötungen in der Haller Anstalt selbst waren, zumal die Sterblichkeit in der Anstalt gegen Kriegsende massiv angestiegen war.

Oliver Seifert kam kürzlich in einer Untersuchung zum Er-gebnis, dass die strukturellen Bedingungen in Hall – Hunger, Kälte, Platz-, Medikamenten- und Personalmangel, medizini-sche sowie pflegerische Unterversorgung und Vernachlässi-gung – den Tod vieler Patient*innen zur Folge hatte. Belege für systematischen und gezielten Krankenmord ließen sich nicht finden, können im Einzelfall aber auch nicht ausgeschlossen werden.5

Zu den Opfern dieser Umstände in Hall zählt beispielsweise die Altacherin Rosa Wieser. Die am 1. April 1863 geborene Frau wurde aus der Valduna in die „Heil- und Pflegeanstalt Hall“ eingeliefert und ist dort am 14. April 1944 gestorben. Sie wurde auf dem dortigen Anstaltsfriedhof bestattet.6 Auch der am 22. Jänner 1872 in Koblach geborene Heinrich Ender wurde am 8. März 1941 nach Hall überstellt, wo kurz vor Kriegsende am 23. Februar 1945 sein Tod beurkundet wurde.7

Vorarlberger als Organisatoren des MassenmordesVorarlberg stellte mit dem Bregenzer Arzt Dr. Irmfried Eberl

(1910–1948) einen der größten Massenmörder der NS-Zeit. Eberl war von Anfang an in die Euthanasie eingebunden und von 1940 bis 1942 medizinischer Leiter der Tötungsanstalten Brandenburg und Bernburg. Ab Sommer 1942 erlangte er als erster Kommandant des NS-Vernichtungslagers Treblinka traurige Berühmtheit. Er entstammte einer fanatischen natio-nalsozialistischen Familie. Sein Vater Ing. Franz Eberl wurde wegen seiner NS-Einstellung als Gewerbe-Inspektor für Vorarl-berg aus dem Staatsdienst entlassen. Sein Bruder Harald wurde im März 1938 Landesrat in der Vorarlberger Landesregierung.

Aber auch der Silbertaler Bauernknecht Josef Vallaster (1910–1943) machte nach dem „Anschluss“ Karriere und sah sich als „Brenner“ im Schloss Hartheim plötzlich als Herr über

derten Menschen gab es aber ausschließlich im nationalsozia-listischen Deutschland. Eine gesetzliche Grundlage dafür hat es allerdings auch im NS-Staat nicht gegeben. Das Strafgesetz-buch verbot aktive Sterbehilfe sogar.3

Vonbuns unfassbare Taten sind somit zwar konsequenter Ausdruck der NS-Weltanschauung und ihrer Vorstellung, es gebe „lebensunwertes Leben“, nicht aber der Gesetzeslage.

Aber auch im NS-Staat gab es – für die Machthaber uner-wartet heftigen – Widerstand gegen die Euthanasie. Als Cle mens August von Galen, Bischof von Münster in Westfalen, im Herbst 1941 in Predigten offen gegen die NS-Mordaktion auftrat, schreckten die Nationalsozialisten zurück und stopp-ten die Deportationen. Aus Vorarlberg waren zu diesem Zeit-punkt etwa 330 der inzwischen deportierten 550 Menschen er-mordet worden. Opfer der sogenannten „wilden Euthanasie“ sind nicht belegt.4

Anfang 2011 gab es auch international große Aufmerksam-keit, als auf dem Gelände des Psychiatrischen Krankenhauses in Hall in Tirol ein aufgelassener Anstaltsfriedhof entdeckt wurde. Es stellte sich heraus, dass dort von November 1942 bis April 1945 228 Menschen bestattet worden waren. Da in der ersten Kriegshälfte 360 Patient*innen aus der damaligen Heil-

Bis zum Beginn der Deporta-tion von Kranken im Jahr 1941 waren in der „Heil- und Pflegeanstalt Valduna“ bis zu 500 Menschen unterge-bracht. Mindestens 263 wur-den im Zuge der Eutha nasie ermordet.

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Leben und Tod. Zudem erhielten die Täter eine überdurch-schnittliche Entlohnung: Jeden Monat 170 RM (Reichsmark) Nettolohn, dazu 50 RM Trennungszulage, freie Unterkunft und Verpflegung, 35 RM Erschwernis-Zulage und 35 RM als Schwei-geprämie. Zusätzlich gab es täglich einen Viertelliter Schnaps. Es waren nicht zuletzt die Erfahrungen bei Vergasungen in Hartheim, die ihn ab 1942 im Vernichtungslager Sobibór zu einem gefürchteten KZ-Aufseher werden ließen.8

Doch auch in Vorarlberg gab es Organisatoren und willige Vollstrecker des Massenmordes. Schrecken und mörderische Gewalt waren in der Valduna offenkundig allgegenwärtig. Sogar die NS-Behörden mussten einschreiten, als ab 1939 Fälle schwerer Misshandlungen von Patient*innen – zumindest in einem Fall sogar mit Todesfolge – durch das Personal akten-kundig geworden waren. Kurz vor Beginn der Deportationen kam es Anfang 1941 auch zu sexuellen Übergriffen auf Patien-tinnen durch zwei Pfleger. Ein langwieriges Verfahren endete mehr als zwei Jahre später mit einer Verurteilung.9

Das in der NS-Zeit meist schlecht qualifizierte Personal machte vielen Kranken und Behinderten das Leben auch durch Drohungen zur Hölle: „Es ist richtig, dass (…) ein Wärter

der Anstalt Valduna in betrunkenem Zustand einem reniten-ten Geisteskranken gegenüber geäussert haben soll: Wartet nur, jetzt werden wir euch verbrennen!“ Das gab am 14. März 1963 Dr. Alfons Schweiger vor der Staatsanwaltschaft Kon-stanz zu Protokoll. Damals wurde dort das Verfahren gegen Josef Vonbun „wegen Beihilfe zum Mord“ durchgeführt. Die Folgen solcher Aussagen sind im Protokoll ebenfalls doku-mentiert: Daraufhin seien „die Kranken schon ganz verängs-tigt aus der Anstalt Valduna nach Hall gekommen, weshalb sich dann auch bei ihrem Weitertransport in Hall diese er-schreckenden Szenen abgespielt hätten“.10

Schweiger war nur einer von vielen Zeugen. Bis es über-haupt zu diesem Verfahren in Konstanz kam, hatten die Jus-tizbehörden fast 20 Jahre gebraucht. Vonbun wurde von Amts-ärzten, Pflegern, Bürgermeistern und Heimleitern schwer belastet. Das zuständige Gericht stellte das Verfahren 1966 schließlich dennoch ein. Es kann nur spekuliert werden, ob das aufgrund vieler notwendiger Folgeprozesse wegen der großen Anzahl involvierter Verdächtiger erfolgte oder aus anderen Gründen.11

Der Bregenzer Arzt Dr. Irmfried Eberl (1910–1948) entstammte einer fanati-schen NS-Familie. Er war von Beginn an in die Euthanasie eingebunden und von 1940 bis 1942 medizinischer Leiter der Tötungsanstalten Brandenburg und Bernburg. Im Sommer 1942 wurde er erster Kommandant des NS-Vernich-tungslagers Treblinka.

Der Silbertaler Josef Vallaster (1910–1943) war ab April 1940 in der Tötungs-anstalt Schloss Hartheim im Rahmen der Aktion T4 bei der Herstellung und Bedienung eines Vergasungsraumes tätig. Anschlie ßend tat er Dienst im Vernichtungs lager Sobibór, wo er bei einem Häftlings aufstand im Oktober 1943 erschlagen wurde.

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Vonbun war Sohn eines Zollbeamten. Der gebürtige Feldkir-cher hatte in Innsbruck Medizin studiert und anschließend unter anderem in der niederösterreichischen „Landesirren-anstalt“ Mauer-Öhling gearbeitet. 1935 ließ er sich in Feldkirch als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie nieder. Er war schon in der „illegalen Zeit“ Mitglied der NSDAP und mehrerer Unterorganisationen. Am 1. Dezember 1938 wurde der über-zeugte Nationalsozialist von den NS-Machthabern zum Direk-tor der „Gau-Landes-Heil- und Pflegeanstalt Valduna“ ernannt. Bis zum Beginn der Deportation von Kranken waren in der Valduna bis zu 500 Menschen untergebracht.

Hierarchisch über Vonbun stand im „Gau Tirol-Vorarlberg“ Dr. Hans Czermak (1892–1975). Er entstammte einer hochgebil-deten Akademikerfamilie und wurde in der NS-Zeit zuständig für die Euthanasie-Transporte aus dem Gau Tirol-Vorarlberg in die Tötungsanstalt Hartheim, die von Dr. Rudolf Lonauer (1907–1945) geleitet wurde.12

Die „Aktion T4“ in VorarlbergIm Juni 1940 erhielten die Bürgermeister der Kummenberg-

region Post aus Berlin: Sie sollten „umgehend“ Fragebögen über die Insassen ihrer Versorgungsheime ausfüllen und diese an das Reichsinnenministerium zurücksenden. Es ging „um die planwirtschaftliche Erfassung der Heil- und Pflegeanstalten“ und war in Vorarlberg der Beginn des organisierten Massen-mordes im ganzen Reich.13

Dieser Briefverkehr und die angesprochenen Deportatio-nen aus der Valduna nach Hall und Niedernhart beziehungs-weise Schloss Hartheim fanden im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ statt. In die Wege geleitet wurde sie außerhalb Preußens, wo die Aktion bereits früher begann, mit „Führer-erlass“ vom 21. September 1939. Der Begriff „T4“ wurde erst nach 1945 üblich und bezeichnet die systematische Ermor-dung von mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geisti-gen und seelischen Behinderungen im ehemaligen Deutschen Reich von 1940 bis 1945. „T4“ ist die Abkürzung für die Adresse der damaligen Zentraldienststelle in der Berliner Tiergarten-straße 4.14

Die Aktion hatte auch für die Patienten der „Gauanstalt Val-duna“ verheerende Folgen. Schon zuvor war es dort zu schwe-ren Misshandlungen bis hin zur Todesfolge gekommen, zudem wurden noch in der NS-Zeit zwei Pfleger am Landgericht Feld-kirch verurteilt, weil sie in den ersten Monaten des Jahres 1941, also kurz vor dem Beginn der Deportationen, Patientin-nen zu sexuellen Kontakten gezwungen hatten.15

Ab diesem Zeitpunkt begann die NS-Todesmaschinerie systematisch zu arbeiten. Die Erfassung der Opfer erfolgte über Meldebögen, die im ganzen Deutschen Reich von allen „Heil- und Pflegeanstalten“, Sanatorien usw. an das Reichs-innenministerium geschickt werden mussten. Darin waren die „Schwachsinnigen“, Epileptiker, Geisteskranken usw. ver-zeichnet. Per Sonderkurier wurden diese Listen dann an die „T4“ weitergeleitet und dort „bearbeitet“ und als Deportations-listen zurückgeschickt. Um sicherzugehen, dass auch wirklich alle entsprechenden Personen erfasst werden und die Aktion nicht in der einen oder anderen Anstalt hintertrieben werden kann, wurden Kommissionen und Gutachter ausgeschickt. In Vorarlberg wurden von der Valduna und der Pflegeanstalt Oberlochau, wahrscheinlich aber auch von anderen Einrich-tungen solche Listen angefertigt.16

In Schloss Hartheim wur-den rund 30.000 Menschen mit körper licher und geis-tiger Behinderung sowie psychisch kranke Men-schen ermordet, darunter auch ein Großteil der etwa 400 Euthanasie-Opfer aus Vorarlberg. Auch Häftlinge aus Mauthausen und Kriegsgefangene wurden hier getötet.

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Im April 1940 begannen die Deportationen im Gebiet des ehemaligen Österreich. Auch aus der Valduna wurden Patien-tinnen und Patienten über Hall und Mils nach Niedernhart und Schloss Hartheim transportiert und dort getötet. Sie sind in Niedernhart nicht offiziell aufgenommen worden.17 Zwischen 1940 und 1944 wurden im Schloss Hartheim rund 30.000 Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung, psychisch kranke Menschen, KZ-Häftlinge aus Mauthausen, Gusen und Dachau sowie Zwangsarbeiterinnen und Zwangs-arbeiter ermordet.

Aus Hall ging der erste Transport am 10. Dezember 1940 ab. Czermak ersuchte schriftlich, „die Transporte so rasch doch sobald als irgend möglich durchzuführen“, denn durch die Vorbereitungsarbeiten sei „eine außerordentliche Unruhe in die Bevölkerung getragen worden“.18

Eine besondere Perfidie im Zusammenhang mit der NS- Euthanasie ist die Geldmacherei durch den sogenannten „Aktentausch“. Er wurde zwischen den T4-Tötungsanstalten vollzogen und diente dazu, Angehörige und die Öffentlichkeit über den tatsächlichen Todesort zu täuschen und damit durch den wirklichen Todeszeitpunkt und die angeblich längeren Fahrten der Opfer auch noch Geld zu verdienen. Die ersten Opfer, die aus Linz (Niedernhart) nach Hartheim gebracht wurden, starben beispielsweise offiziell in Brandenburg an der Havel. Umgekehrt starben viele Berliner Opfer, die in Brandenburg ermordet wurden, offiziell in Hartheim. Diese

Transporte von Niedernhart, Hartheim oder anderen österrei-chischen Einrichtungen nach Brandenburg oder Hadamar haben jedoch nie stattgefunden. Sowohl für den nicht durch-geführten Transport als auch für die angebliche Verpflegung der längst Getöteten wurde aber von deren Angehörigen und öffentlichen Stellen weiterhin Geld kassiert. Die „Aktion T4“ war in Wirklichkeit sehr „ökonomisch organsiert“, die Opfer kamen in der Regel in die geographisch nächstgelegene Tötungseinrichtung.19

Aus diesen Gründen sind die exakten Todesdaten der Opfer oft nicht mehr zu ermitteln. Der Patient*innenmord fand ent-weder – falls der Transport direkt nach Hartheim ging – am selben Tag statt, oder – falls die Transporte über die Zwischen-anstalt Niedernhart in Linz geführt wurden – etwa drei bis

Dieses Foto wurde von Karl Schuh-mann aufgenommen. Er entstammt einer Hartheimer Familie, die in un-mittelbarer Nachbarschaft des Schlos-ses wohnte und in einer Widerstands-gruppe aktiv war. Im Hintergrund sieht man den Rauch aus dem Kamin des Krematoriums.

Das ist einer jener zwei Busse, welche die Opfer abholten und nach Schloss Hartheim brachten. Dort wurden sie unmittelbar nach der Ankunft in der Gaskammer ermordet. Dieser „Fahr-meister“ war der SS-Mann Franz Hödl aus Linz, der später im KZ Sobibór einen Motor bediente, mit dessen Abgasen Menschen getötet wurden.

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fünf Tage (das geben die Täter im Schnitt bei Aufenthalten in Linz an) später. Erreichte ein Transport Hartheim, wurden die Patienten unmittelbar ermordet, da es vor Ort keine Unter-bringungsmöglichkeiten gab.20

Sand im Getriebe der MordmaschinerieAnfang 1941 begann Dr. Vonbun damit, in den drei Kreisen

Bregenz, Feldkirch und Bludenz die „in den Versorgungshäu-sern untergebrachten Pfleglinge in die Anstalt Valduna zu ver-legen“.21 Sie wurden anschließend nach Hall transportiert. Nur wenige kleine Orte in Vorarlberg – die der Kummenbergregion nächstgelegenen waren Klaus, Viktorsberg oder Göfis – hatten kein Versorgungsheim für die Armen der Gemeinde.

Der damalige Landrat des Kreises Feldkirch, Dr. Hans-Wer-ner Otto, erhielt bereits im Frühjahr 1941 vom Altacher Bür-germeister Oskar Kopf Informationen „über Nachrichten oder Gerüchte“, nachdem „Insassen des Altersheimes oder Versor-gungshauses seiner Gemeinde gegen ihren Willen nach der Anstalt Valduna gebracht werden sollten“. Auch der Frastan-zer Bürgermeister habe ihn deutlich darauf hingewiesen, „in welcher Gefahr (sich) Insassen des Frastanzer Versorgungs-heimes nach ihrer Einlieferung in die Valduna befänden“. Otto soll damals die Exekutive angewiesen haben, „mit poli-zeilichen Mitteln zu verhindern“, dass Insassen der Armen- und Versorgungshäuser „weggeholt würden“.22

Auslöser für diesen Konflikt dürften die Transporte aus der Valduna vom 10. Februar 1941 mit 57 männlichen und 75 weiblichen Patienten sowie eine weitere Deportation von 38 Männern und 50 Frauen am 17. März 1941 gewesen sein. Sie dürften zu den vom Altacher Bürgermeister Kopf geschilder-ten „Nachrichten und Gerüchten“ und dem schriftlichen Pro-test des Feldkircher Amtsarztes Dr. Ludwig Müller (1897–1962) geführt haben.23 Die Angst vieler Betroffener scheint dramati-sche Formen angenommen zu haben, wie Müller am 1. März 1946 zu Protokoll gab: „Ich wusste aus verschiedenen Mittei-lungen, dass die Bevölkerung damals von einer grossen Angst ergriffen war und dass alte Leute aus den Armenhäusern da-vonliefen.“24

Das sorgte naturgemäß auch bei den Verantwortlichen in Innsbruck für große Aufregung, denn „Vorarlberg war damals sowieso ein Gebiet, das wegen seiner Bevölkerung in politi-scher Hinsicht mit Vorsicht zu behandeln war“.25

Daraufhin wurde Gauleiter Franz Hofer aktiv und befahl Dr. Otto, den Besuch von Dr. Czermak abzuwarten. Dieser fand am 13. März 1941 statt. Bei der Besprechung waren neben Dr. Otto auch Amtsarzt Dr. Ludwig Müller und Dr. Vonbun an-wesend. Offiziell wurde im Protokoll festgehalten, dass die „Diagnosen Dr. Vonbuns den Richtlinien der Aktion nicht ent-sprechen“, wie sogar Czermak in einem Schreiben an Otto zugeben musste: „Ich erklärte mich daher im Namen und Auf-trage des Gauleiters mit der von Ihnen getroffenen Maßnahme der Zurückstellung sowohl aus ärztlichen wie politischen Er-wägungen im Sinne der Richtlinien der Aktion unter besonde-rer Beachtung der Verhältnisse im Grenzland Vorarlberg für einverstanden.“26

Das war ein erstaunlicher Sieg von Amtsarzt Dr. Müller und Landrat Dr. Otto gegen den Leiter der Valduna und hatte zur Folge, dass aus dem Kreis Feldkirch weniger Menschen aus den Armen- und Versorgungshäusern der Euthanasie zum

Oft war familiärer oder lokaler Wider -stand gegen die Deportation von Men-schen mit einer Beeinträchtigung aus den Armen- und Versorgungs häusern lebensrettend: Der Feld kircher Amts-arzt Dr. Ludwig Müller (1897–1962) trat der NS-Mordmaschinerie der Nazis mutig entgegen und rettete so vielen Menschen das Leben.

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Opfer fielen. Der Arzt Dr. Hans Steiner, der im Auftrag über Ver-anlassung Vonbuns und auf Weisung Müllers „Insassen mit geistigen Defekten“ in den entsprechenden Einrichtungen der Gemeinden im Kreis Feldkirch melden sollte, erstattete sehr zum Missfallen Vonbuns eine Leermeldung. Belegt sind Über-prüfungen in Altach und Nofels. Mit der Besprechung in Feld-kirch am 13. März 1941 wurde die Aktion dann zumindest im Kreis Feldkirch endgültig gestoppt.27 Otto resümierte: „Mich befriedigte das Ergebnis dieser Besprechung, durch das der Abtransport der Leute endgültig verhindert werden konnte.“

Vonbun wollte sich allerdings noch nicht geschlagen geben und erhob schwere Vorwürfe gegen Otto und Müller. Die An-schuldigungen hatten es in sich: „Preisgabe eines Staatsge-heimnisses“, nämlich der Aktion T4, und dadurch hervorge-rufen „Mißstimmung der Bevölkerung über diese Aktion“. Die Vorwürfe wurden „an oberster zuständiger Stelle“ bei einer Besprechung thematisiert, woraufhin eine offizielle Unter-suchung von Dr. Czermak nur mit Mühe verhindert werden konnte.28 Offiziell wurde kein Verfahren gegen Otto und Mül-ler eingeleitet, der Landrat allerdings wurde ein halbes Jahr später, am 19. November 1941, seines Amtes enthoben.29

In der Folge gingen die Behörden jedenfalls etwas vorsich-tiger zu Werke. Als Dr. Czermak trotz Benzinknappheit einen „Transport von 60 Geisteskranken“ nach Niedernhart in zwei Fahrzeugen durchführen ließ, begründete er das in einem Schreiben am 29. September 1942 an das „Landeswirtschafts-amt XVIII“ in Salzburg30: „Um Aufsehen zu vermeiden, musste der Transport mittels 2 Omnibussen durchgeführt werden.“ (Unterstrichen im Original)

Der Leiter der Valduna engagierte sich persönlich ganz massiv, um die Zahl der Euthanasie-Opfer zu steigern. Er wis-se, „dass Dr. Vonbun persönlich nach verschiedenen Orten im Lande Vorarlberg mit seinem Auto herumgefahren ist, in den verschiedenen Orten in den Armenhäusern die schwach-sinnigen und gebrechlichen Personen bestimmt hat, die in die Anstalt Valduna abzugeben sind. Vereinzelt habe ich selbst gesehen, dass Dr. Vonbun solche Leute aus dem Bregenzer-wald in seinem Auto persönlich mitgebracht hat.“ Das gab

Dr. Leonhard Gassner am 5. Juni 1946 der Kriminalpoli zei zu Protokoll.31 Dies sei in der Valduna „scherzhalber als ‚Reichs-straßensammlung‘“ bezeichnet worden.

Insgesamt jedenfalls dürften vor allem die Insassen der Ar-men- und Versorgungshäuser in der Kummenbergregion und des ganzen Kreises Feldkirch großes Glück gehabt haben. Im Gegensatz zu seinen Kollegen in den Kreisen Bregenz und Blu-denz leistete Amtsarzt Dr. Müller nämlich erfolgreichen Wider-stand gegen ihren Abtransport in die Valduna und sicherte so das Leben vieler Menschen. Müller war seit dem 1. Juni 1938

Der Abtransport der Pfleglinge in die Tö tungsanstalten ermöglichte es den Behörden, die „Heil- und Pflege anstalt Valduna“ ab Sommer 1941 als Reserve-lazarett für ver wundete Soldaten der Wehrmacht zu benutzen. Die Aufnah-me unten wurde vom Nafla-Tal aus gemacht.

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portkosten, vor allem der Kraftstoffaufwand einsparen lie-ße“.35 Für die Transporte der Patientinnen und Patienten von Hall nach Niedernhart musste jeweils um die Zuteilung von „150 Liter Benzin“ beim „Landeswirtschaftsamt XVIII“ in Salz-burg angesucht werden. Die wollte man sich offensichtlich künftig ersparen. Zudem führten die Transporte zur Beun-ruhigung in der Bevölkerung beziehungsweise bei den Opfern, wie die bereits zitierte Begründung, dass der Transport des-halb mit Omnibussen durchgeführt wurde, „um Aufsehen zu vermeiden“.36

Am skrupellosen Fanatismus von Vonbun allerdings be-steht kein Zweifel. Wie erwähnt scheute er nicht einmal davor zurück, Familienmitglieder in den sicheren Tod zu schicken. Andere verschonte er, wenn es finanziell opportun erschien. Einen „geisteskranken Amerikaner namens Coues (hatte er) in (der) Valduna zurückgelassen, nur weil die Angehörigen desselben hohe Verpflegungskosten bezahlten“.37

Diese mörderische Energie hielt sich bei allen drei Haupt-beteiligten an der NS-Euthanasie im Gau Tirol-Vorarlberg bis zum Ende der NS-Herrschaft. Noch am 17. April 1945 schrieb Czermak an Lonauer: „Treten Sie inkognito vorübergehend als Oberarzt in unsere Heilanstalt Solbad Hall ein und organisie-ren Sie dort die Reduzierung des Krankenbestandes, denn die Anstalt ist zum Bersten voll.“38

Über die juristische Aufarbeitung der Taten von Josef Von-bun wurde schon berichtet: Das Verfahren wurde eingestellt. Czermak wurde am 1. Dezember 1949 zu einer achtjährigen schweren Kerkerstrafe verurteilt, aber schon ein halbes Jahr später aus der Männerhaftanstalt Garsten entlassen. Lonauer erschoss 1945 eine Stunde vor dem Eintreffen amerikanischer Soldaten zuerst seine Frau, dann seine zwei- und siebenjähri-gen Töchter und schließlich sich selbst.39

Es dauerte in Vorarlberg 40 Jahre, bis sich die historische Forschung erstmals intensiver mit dem Schicksal jener Men-schen befasste, die im NS-Jargon als „unwertes Leben“ bezeich-net wurden.40 Seither hat sich einiges getan.41

NSDAP-Parteimitglied, das dürfte ihm dabei geholfen haben.32 Nur aus Frastanz wurden drei Personen nach Rankweil ge-bracht, weil sie von Vonbun persönlich ausgesucht worden waren, aber auch sie konnten nach Intervention Müllers nach Frastanz zurückkehren. Vonbun beschwerte sich zwar sogar schriftlich über die „Sabotage“ durch Müller, das Schreiben blieb aber ohne weitere Folgen. Kiermayr-Egger merkt zu Mül-ler aber dennoch kritisch an: „Daß er selbst offenbar wenigs-tens einen Schwachsinnigen im Februar 1941 nach Valduna bringen und viele andere sterilisieren lassen hat, darf aber nicht verschwiegen werden.“33

Willige VollstreckerEines ist sicher: Der Feldkircher Amtsarzt unterschied sich

gewaltig von seinen Berufskollegen. Lonauer, Czermak und Vonbun waren fanatische und skrupellose Täter und weit mehr als nur willige Erfüllungsgehilfen und Rädchen in der NS-Mordmaschinerie. Sie waren aktiv daran beteiligt, mög-lichst viele Menschen zu ermorden. So hatte Czermak ange-boten, in Hall eine ähnliche Tötungsanstalt wie in Schloss Hartheim einzurichten, da man dadurch auftretende Trans-portkosten einsparen könne. Ein Jahr nach der angeblichen Beendigung der „Euthanasieprogramme“ wählte er nochmals eine Gruppe von 60 Patienten aus Hall und der Valduna aus, die am 31. August 1942 für den Transport nach Niedernhart zusammengestellt und anschließend ermordet wurden. Zwei Monate später zeigte er sich „sehr befriedigt“ darüber, dass die Tötungen von „Kranken“ aus dem Gau Tirol-Vorarlberg durch Todesspritzen an Effizienz gewonnen hatten. In Hall wollte er Tötungen mittels Medikamentenüberdosierung bzw. durch die Installierung einer Vergasungsanlage durchführen und betonte gegenüber einer Mitarbeiterin mehrfach, dass „Geis-teskranke (...) ins Feuer gehörten“.34

Am 12. November 1942 bedankte sich Dr. Hans Czermak schriftlich beim „lieben Kameraden Dr. Lonauer“. Er zeigte sich erfreut darüber, „dass Ihre Behandlungsmethode so er-folgreich ist“. Er hoffe, dass sie bald in der Lage sein werden, „diese Methode in Hall einzuführen, wodurch sich die Trans-

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Nach Kriegsende aber war offenkundig kaum jemand daran interessiert, dieses gewaltige Verbrechen aufzuarbeiten und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Obwohl Dr. Müller die Landeshauptmannschaft bereits im März 1946 auf die aktive Rolle Vonbuns bei der „Aktion T4“ und somit der Er-mordung vieler Menschen aufmerksam gemacht hatte, verlief die Untersuchung im Sande, angeblich weil Vonbun die deut-sche Staatsbürgerschaft angenommen hatte.

Weitere Ermittlungen gegen die anderen Beteiligten in Vor-arlberg unterblieben. Erst 1961 wurde von der Staatsanwalt-schaft in Konstanz ein Ermittlungsverfahren gegen Josef Von-bun und weitere am Massenmord Beteiligte eingeleitet. Alle Akten gelangten im Zuge eines Rechtshilfeverfahrens nach Deutschland. Vonbun wurde schwer belastet, vor allem seine Rolle bei den Deportationen und die Fahrten mit seinem Pri-vatauto in diverse Armenhäuser zur Ausfindigmachung weite-rer potentieller Opfer – von seinen Mitarbeitern in der Valduna sarkastisch „Reichsstraßensammlung“ bezeichnet – kommt in den Zeugenaussagen immer wieder vor. Die Insassen dieser Häuser waren nicht geisteskrank, sondern „nur behindert, taubstumm, blind oder einfach nur zurückgeblieben“. All das wurde vom zuständigen Gericht ignoriert und das Verfahren schließlich 1966 eingestellt. Vonbun war somit quasi rehabi-

Aufarbeitung nach 1945Die verharmlosend als „Euthanasie“ bezeichnete Ermor-

dung von körperlich und geistig Behinderten oder psychisch Kranken der Nazis wurde nach 1945 lange Zeit nicht thema-tisiert. Erst der Historiker Gernot Kiermayr-Egger und in der Folge die Psychiater und Primarii an der Valduna Peter König und Gerhard Barolin brachen dieses Schweigen. Es folgte eine ernsthafte und intensive Auseinandersetzung mit den in die-sem Haus begangenen Verbrechen. Die Ursachen für dieses lange Schweigen waren eine Mixtur aus „heimlicher Zustim-mung, Desinteresse und Scham“ in der Nachkriegsgesellschaft, wie Meinrad Pichler in seiner „Geschichte Vorarlbergs“ tref-fend feststellt.42

Insgesamt fielen der Euthanasie in Vorarlberg etwa 400 Per-sonen zum Opfer. Mindestens 17 von ihnen stammten aus den Gemeinden der Kummenbergregion. 263 der getöteten Frauen und Männer waren zuvor Insassen der Valduna, die schluss-endlich größtenteils in Schloss Hartheim ermordet wurden. Aber auch viele der weiteren 228 aus der Valduna deportierten Patientinnen und Patienten haben das Ende der NS-Zeit nicht erlebt, sie kamen meist in Hall ums Leben – wie etwa Heinrich Ender (1872–1945) aus Koblach oder Rosa Wieser (1863–1944) aus Altach. Ob sie eines natürlichen Todes starben oder im Zuge der „wilden Euthanasie“, lässt sich nicht mehr klären. Laut Gernot Kiermayr-Egger ist die Opferzahl aus der Valduna jedenfalls höher: Es „sind 330 Patienten der Anstalt Valduna im Rahmen der Deportationen zu Tode gekommen, 262 davon vergast worden. 87 von ihnen sind unmittelbar nach den Ver-legungen aus Vorarlberger Armen- und Versorgungshäusern nach Valduna gebracht worden.“ Fast die Hälfte der etwa 300 Überlebenden verdankt das der Schweizer Staatsbürger-schaft.43

Wie bereits dargestellt, war es vor allem dem Wirken des Feldkircher Amtsarztes Dr. Ludwig Müller zu verdanken, dass im „Kreis Feldkirch“ und somit in der Kummenbergregion die Deportationen aus den Armen- und Versorgungshäusern nicht einen ähnlich großen Umfang annahmen wie jene im übrigen Vorarlberg.

Es hat lange gedauert, bis in Vorarlberg die grausame Ermordung von Men-schen im Zuge der „Euthanasie“ ein Thema wurde. Der Historiker Gernot Kiermayr-Egger hat 1985 mit der wis-senschaftlichen Aufarbeitung begon-nen. 1988 ließ die Vorarlberger Landes-regierung am Eingang zur Kapelle diese Gedenktafel anbringen.

Page 10: Jetzt werden wir euch verbrennen!“ – Zur Geschichte der ...Berchtold_Das+Vorarlberger...cher hatte in Innsbruck Medizin studiert und anschließend unter anderem in der niederösterreichischen

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litiert. Diesen Einstellungsbeschluss nennt Gernot Kiermayr- Egger „eine Farce“ und in krassem Widerspruch zu den zutage geförderten Recherche-Ergebnissen.44

Der als „Euthanasie“ getarnte Massenmord ist nicht nur eines der großen Verbrechen der Nationalsozialisten, son dern auch ein dunkles Kapitel von Nachkriegsjustiz und Nach-kriegs gesellschaft.

34 Siehe Schreiber 2008, S. 205–22435 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“,

Abschrift eines Schreibens von Dr. Hans Czermak an Dr. Rudolf Lonauer in Linz vom 12. November 1942

36 Siehe etwa VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“, Abschrift eines entsprechen-den Ansuchens vom 29. September 1942

37 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“, Bericht der „Kriminal beamtenabteilung“ im Amt der Vorarlberger Landesregierung an die Staats anwaltschaft in Feldkirch vom 28. Dezember 1947

38 Zitiert nach „Austria-Forum – das Wissensnetz aus Österreich“, https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Hans_Czermak_%28Gauamtsleiter%29; siehe auch Schreiber 2008, S. 205–224

39 Schreiber 2008 und Leininger 2006, S. 125

40 Egger 1985, S. 207–21341 Siehe dazu Böhler 200842 Pichler 2015, S. 261; siehe zu diesem Thema ausführlicher auch Pichler 2012, S. 197–22643 Egger 1990, S. 222 f.44 Siehe dazu Egger 1990, S. 238–242 und 244–247

25 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“; Dr. Czermak im Vernehmungsprotokoll vor Staatsanwalt von Rinck am 11. September 1963

26 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“, Kopie eines Schreibens von Dr. Czermak an Dr. Otto vom 1. März 1941

27 Vernehmungsprotokoll mit Dr. Hans Steiner vom 27. Mai 1963; VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“

28 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“, Kopie eines Schreibens von Dr. Czermak an Dr. Otto vom 1. März 1941

29 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“, Schreiben von Dr. Hans-Werner Otto, er war in der NS-Zeit Landrat des Kreises Feldkirch, an die Staatsanwaltschaft in Konstanz vom 26. Februar 1963

30 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“, Schreiben von Dr. Czermak vom 29. September 1942 an das „Landeswirt-schaftsamt XVIII“ in Salzburg

31 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“, Abschrift der Vernehmungsniederschrift mit Dr. Leonhard Gassner im Lager Brederis am 5. Juni 1946

32 VLA, AVLReg II PrsP Personalakt Müller Ludwig

33 Egger 1990, S. 213

1 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“, Bericht der „Kriminalbeamtenabteilung“ im Amt der Vorarlberger Landesregierung an die Staatsanwaltschaft in Feldkirch vom 28. Dezember 1947

2 Egger 1990, S. 246 f.3 Siehe dazu Klee 20104 Siehe dazu Egger 1990, S. 218 ff. und

Pichler 2015, S. 2635 Siehe zum Thema der „wilden Euthanasie“

in Hall Seifert 20166 Siehe dazu Perz u. a. 2014, S. 332;

zu Rosa Wieser siehe den Beitrag von Harald Walser über die Opfer aus Altach und Mäder

7 Siehe dazu den Beitrag von Werner Gächter

8 Pichler 2015, S. 261 f.9 Egger 1990, S. 194

10 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“, Vernehmung Dr. Alfons Schweiger am 14. März 1963 vor der StA Konstanz, 2 Js 524/61

11 Siehe Egger 1990, S. 19312 Zur Biographie von Hans Czermak

siehe Schreiber 2008, S. 205–22413 GAA, Mappe 56/614 Hücker 2016, S. 259–27615 Egger 1990, S. 194 f.

16 Egger 1990, S. 196 f.17 Schriftliche Mitteilung von

Mag. Peter Eigelsberger, Dokumentations-stelle Hartheim, vom 26. November 2018 an den Verfasser

18 Zit. nach Egger 1990, S. 19819 Schriftliche Mitteilung von Mag. Peter

Eigelsberger, Doku mentationsstelle Hartheim, vom 16. November 2018; siehe auch Egger 1990, S. 214 f.

20 Schriftliche Mitteilung von Mag. Peter Eigelsberger, Dokumentations-stelle Hartheim, vom 4. März 2019

21 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“, Kopie eines Schreibens von Staatsanwalt von Rinck an Dr. Theodor Leubner (in der NS-Zeit Amtsarzt des Kreises Bregenz) vom 26. Juli 1963

22 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“, Schreiben von Dr. Hans-Werner Otto an die Staatsanwaltschaft in Konstanz vom 26. Februar 1963

23 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“; Dr. Czermak im Vernehmungsprotokoll vor Staatsanwalt von Rinck am 11. September 1963

24 VLA, DMG, Schachtel XIV „Euthanasie“; Bericht von Dr. Ludwig Müller an die Landeshauptmannschaft Vorarlberg vom 1. März 1946, Zl. II G 160