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31 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (11) PflegePraxis Journal Club JOURNAL CLUB FÜR SIE GELESEN VON Prof. Dr. Jens Papke Markus Hieber D ie „Pflegenoten“ beruhen auf jährlich durchgeführten Qualitätsprüfungen durch den MDK. Hierbei werden 82 Kriterien aus folgenden Bereichen geprüft und nach „Schulnoten“ von 1–6 beurteilt: Pflege und medizinische Versorgung, Umgang mit demenzkranken Bewohnern, soziale Betreuung und Altersgestaltung, Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene sowie Befragung einer Be- wohnerstichprobe. M. Simon et al. verglichen die Pflegeno- ten mit der Einschätzung der Pflegenden der jeweiligen Einrichtung sowie den im Rahmen der 3Q-Studien erhobenen be- wohnerbezogenen Qualitätsindikatoren. 83 bundesweite Einrichtungen eines Trä- gers nahmen an der Studie teil. Die Pfle- gemitarbeiter beantworteten insgesamt sechs Fragen – beispielsweise: Wie zufrie- den sind Sie mit den Möglichkeiten, den Bewohnern die Pflege zu geben, die sie benötigen? Wie schätzen Sie die gesamte Pflegequalität in Ihrer Einrichtung ein? Oder: Wie schätzen Sie die pflegerische Versorgung im körperlichen Bereich und im seelisch/geistigen Bereich ein? Geantwortet werden konnte mit „sehr zufrieden“ bis „sehr unzufrieden“. Bewoh- nerbezogene Indikatoren waren u.a. der Anteil der Bewohner mit Dekubitus, Stür- zen, Kontrakturen und ungewolltem Ge- wichtsverlust. Die Bewertung durch die Mitarbeiter sowie einzelne bewohnerbe- zogene Indikatoren deckten deutliche Qualitätsunterschiede auf, die sich in den Pflegenoten nicht widerspiegelten. Zwar zeigte sich zwischen der Mitarbeiterbe- wertung und der PTVS ein schwach si- gnifikanter Zusammenhang – es bestan- den aber auch erhebliche Unterschiede. So hatten die drei von den Pflegenden am schlechtesten beurteilten Einrichtungen im PTVS sehr gute Noten. Bei den be- wohnerbezogenen Indikatoren ergaben sich keine signifikanten Zusammenhänge. So hatten die drei Einrichtungen mit den höchsten Sturzraten in sieben von neun Fällen die Bestnote 1,0 im Bereich Sturz- risikoerfassung, -dokumentation und -prophylaxe erhalten. Eine umfassende Überarbeitung der PTVS erscheint drin- gend geboten. (MW) M. Simon et al. Messung der Pflegequali- tät in der Langzeitpflege. Bundesgesund- heitsbl 2013; 56:1088–1097 Kommentar: Die Studie bestätigt: Die MDK- Bewertungen sind weder gerecht noch zeigen sie umfassend Qualität auf. Selbst durchschnittliche Heime erhalten Bestnoten. Die MDK-Prüfungen konzentrieren sich auf Strukturen und Prozesse und stützen sich vorwiegend auf die Dokumentation, so dass nur ein kleiner Ausschnitt an Qualität ge- testet wird. Dabei sind die Kriterien nicht ausreichend pflegewissenschaftlich fun- diert, so dass die Prüfungsergebnisse kaum objektiv und reliabel sind. Für ein gutes Abschneiden braucht ein Heim also auch Glück bei der Auslegung der Transparenz- kriterien oder der Auswahl der Stichprobe. Fünf Jahre konnten die Einrichtungen Erfah- rungen mit der PTVS sammeln und sich den Transparenzkriterien anpassen. Sie verwen- den viel Energie darauf, den Kriterien gerecht zu werden, doch: Nur rund die Hälfte der befragten Pflegenden war mit der seelisch- geistigen Versorgung der Bewohner zufrie- den. Längst liegt ein neues Bewertungssy- stem vor, das von Wingenfeld u.a. erarbeitet wurde. Dieses sieht Vollerhebungen und nicht nur Stichproben vor. Das Erleben des Bewohners steht im Vordergrund, weil nicht nur Gesundheitsindikatoren, sondern auch die Lebensqualität gemessen werden. Aber auch dieses Bewertungssystem wird Druck auf die Pflegenden ausüben. Ihr Problem – zu viel Arbeit für viel zu wenig Pflegende – wird nicht angegangen. Weder bei der PTVS noch bei dem alternativen Bewertungssy- stem wird über die „Befähiger“ reflektiert, also wie die völlig überlasteten Pflegenden die gut gemeinten Qualitätsanforderungen umsetzen können, ohne ihre eigene Gesund- heit aufs Spiel zu setzen. Beunruhigend ist, dass die Pflegenden die MDK-Bewertungen trotz der inhaltlichen, methodischen und rechtlichen Problematik fast widerstandslos hinnehmen. Dabei liefert nicht nur diese Studie die argumentative Grundlage zur Infragestellung der Pflegetransparenzkrite- rien. Markus Hieber Luitpoldstr. 15 a,10781 Berlin Mitarbeiterbeurteilung besser als Pflegenoten? Für künftige Bewohner und ihre Angehörigen ist es nicht leicht, die Qualität von Pflegeheimen zu vergleichen. Reicht die vorgeschriebene Messung und Veröffentlichung der Pflegequalität als Maßstab aus? Ein Vergleich der Pflege- noten der „Pflegetransparenzvereinbarung stationär“ (PTVS) mit dem Urteil der Pflegenden und bewohnerbezogenen Daten lässt Zweifel aufkommen.

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31Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (11)

PflegePraxis Journal Club

JOURNAL CLUB FÜR SIE GELESEN VON

Prof. Dr. Jens Papke

Markus Hieber

Die „Pflegenoten“ beruhen auf jährlich durchgeführten Qualitätsprüfungen

durch den MDK. Hierbei werden 82 Kriterien aus folgenden Bereichen geprüft und nach „Schulnoten“ von 1–6 beurteilt: Pflege und medizinische Versorgung, Umgang mit demenzkranken Bewohnern, soziale Betreuung und Altersgestaltung, Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene sowie Befragung einer Be-wohnerstichprobe.

M. Simon et al. verglichen die Pflegeno-ten mit der Einschätzung der Pflegenden der jeweiligen Einrichtung sowie den im Rahmen der 3Q-Studien erhobenen be-wohnerbezogenen Qualitätsindikatoren. 83 bundesweite Einrichtungen eines Trä-gers nahmen an der Studie teil. Die Pfle-gemitarbeiter beantworteten insgesamt sechs Fragen – beispielsweise: Wie zufrie-den sind Sie mit den Möglichkeiten, den Bewohnern die Pflege zu geben, die sie benötigen? Wie schätzen Sie die gesamte Pflegequalität in Ihrer Einrichtung ein? Oder: Wie schätzen Sie die pflegerische Ver sorgung im körperlichen Bereich und im seelisch/geistigen Bereich ein?

Geantwortet werden konnte mit „sehr zufrieden“ bis „sehr unzufrieden“. Bewoh-nerbezogene Indikatoren waren u.a. der Anteil der Bewohner mit Dekubitus, Stür-zen, Kontrakturen und ungewolltem Ge-wichtsverlust. Die Bewertung durch die

Mitarbeiter sowie einzelne bewohnerbe-zogene Indikatoren deckten deutliche Qualitätsunterschiede auf, die sich in den Pflegenoten nicht widerspiegelten. Zwar zeigte sich zwischen der Mitarbeiterbe-wertung und der PTVS ein schwach si-gnifikanter Zusam menhang – es bestan-den aber auch erhebliche Unterschiede. So hatten die drei von den Pflegenden am schlechtesten beurteilten Einrichtungen im PTVS sehr gute Noten. Bei den be-wohnerbezogenen Indikatoren ergaben sich keine signifikanten Zusammenhänge. So hatten die drei Einrichtungen mit den höchsten Sturzraten in sieben von neun Fällen die Bestnote 1,0 im Bereich Sturz-risikoerfassung, -dokumentation und -prophylaxe erhalten. Eine umfassende Überarbeitung der PTVS erscheint drin-gend geboten. (MW)

M. Simon et al. Messung der Pflegequali-tät in der Langzeitpflege. Bundesgesund-heitsbl 2013; 56:1088–1097

Kommentar: Die Studie bestätigt: Die MDK-Bewertungen sind weder gerecht noch zeigen sie umfassend Qualität auf. Selbst durchschnittliche Heime erhalten Bestnoten. Die MDK-Prüfungen konzentrieren sich auf Strukturen und Prozesse und stützen sich vorwiegend auf die Dokumentation, so dass nur ein kleiner Ausschnitt an Qualität ge-

testet wird. Dabei sind die Kriterien nicht ausreichend pflegewissenschaftlich fun-diert, so dass die Prüfungsergebnisse kaum objektiv und reliabel sind. Für ein gutes Abschneiden braucht ein Heim also auch Glück bei der Auslegung der Transparenz-kriterien oder der Auswahl der Stichprobe. Fünf Jahre konnten die Einrichtungen Erfah-rungen mit der PTVS sammeln und sich den Transparenzkriterien anpassen. Sie verwen-den viel Energie darauf, den Kriterien gerecht zu werden, doch: Nur rund die Hälfte der befragten Pflegenden war mit der seelisch-geistigen Versorgung der Bewohner zufrie-den. Längst liegt ein neues Bewertungssy-stem vor, das von Wingenfeld u.a. erarbeitet wurde. Dieses sieht Vollerhebungen und nicht nur Stichproben vor. Das Erleben des Bewohners steht im Vordergrund, weil nicht nur Gesundheitsindikatoren, sondern auch die Lebensqualität gemessen werden. Aber auch dieses Bewertungssystem wird Druck auf die Pflegenden ausüben. Ihr Problem – zu viel Arbeit für viel zu wenig Pflegende – wird nicht angegangen. Weder bei der PTVS noch bei dem alternativen Bewertungssy-stem wird über die „Befähiger“ reflektiert, also wie die völlig überlasteten Pflegenden die gut gemeinten Qualitätsanforderungen umsetzen können, ohne ihre eigene Gesund-heit aufs Spiel zu setzen. Beunruhigend ist, dass die Pflegenden die MDK-Bewertungen trotz der inhaltlichen, methodischen und rechtlichen Problematik fast widerstandslos hinnehmen. Dabei liefert nicht nur diese Studie die argumentative Grundlage zur Infragestellung der Pflegetransparenzkrite-rien.

Markus HieberLuitpoldstr. 15 a,10781 Berlin

Mitarbeiterbeurteilung besser als Pflegenoten? Für künftige Bewohner und ihre Angehörigen ist es nicht leicht, die Qualität von Pflegeheimen zu vergleichen. Reicht die vorgeschriebene Messung und Veröffentlichung der Pflegequalität als Maßstab aus? Ein Vergleich der Pflege-noten der „Pflegetransparenzvereinbarung stationär“ (PTVS) mit dem Urteil der Pflegenden und bewohnerbezogenen Daten lässt Zweifel aufkommen.

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PflegePraxis Journal Club

Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (11)

Seit Jahren werden medizinische Thromboseprophylaxe-strümpfe (MTPS) zur Vorbeugung venöser Thromboembo-

lien (VTE) genutzt. Allerdings steht der Nachweis der Effektivi-tät dieser Maßnahme noch aus. In den aktuellen deutschen Leitlinien zur Prophylaxe von VTE äußern sich die Autoren daher nur vage zur MTPS-Anwendung.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie überprüften Wissen-schaftler die biomechanischen Eigenschaften von MTPS unter-schiedlicher Hersteller, die in vielen Aspekten wie Länge, Druck-gradienten oder Sitz erheblich differieren können. Mithilfe des Hohensteinsystems (HOSY) bestimmten die Autoren die Druck-profile von je zehn MTPS mittlerer Größe von vier Herstellern: Comprinet® pro (BSN medical), T.E.D.™ (Covidien), Cambren® C (Hartmann) und mediven® thrombexin® 18 (medi). Dabei zeigten sich erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Produkten.

Gemessen an den Forderungen der ENV 12719:2001 „Medi-zinische prophylaktische Antithrombosestrümpfe“, die die Au-toren zugrunde legten, ergaben sich für die einzelnen MTPS unterschiedliche Profile, wobei keiner alle Forderungen erfüllte. Am besten schnitt ein MTPS ab (mediven® thrombexin® 18), bei dem sich eine kontinuierliche Druckabnahme von der Fessel bis zum Oberschenkel feststellen ließ. Vergleichbare Eigenschaften wies ein weiterer Strumpf auf (Comprinet® pro), wobei der Druck-verlust im Unterschenkelbereich nicht ganz gleichmäßig war. Bei den beiden noch verbleibenden MTPS fielen die Druckpro-file weniger optimal aus. So waren bei einem Strumpf die Drücke im Fesselbereich zu gering (Cambren® C) und bei dem anderen die Drücke am Oberschenkel genauso hoch wie an den Fesseln (T.E.D.™).

Demnach habe die weit verbreitete Vorstellung, alle MTPS seien ähnlich effektiv, keinen Bestand, so die Autoren. Allerdings sollten weitere Studien erfolgen , um die hämodynamische Wir-kung der verschiedenen MTPS genau zu bestimmen. Hier könnten etwa In-vivo-Messungen an Probanden weiterhelfen.

(aks)

Wegener U et al.: Biomechanische Charakterisierung von medizinisch-en Thromboseprophylaxestrümpfen (MTPS). Gefässchirurgie 2013; 18: 278–286

Thromboseprophylaxe – Strumpf ist nicht gleich StrumpfAbhängig vom Hersteller weisen medizinische Throm-boseprophylaxestrümpfe (MTPS) unterschiedliche Druck- bzw. kompressive Eigenschaften auf, wie in einer aktuellen Untersuchung festgestellt wurde. Damit scheint auch die prophylaktische Wirkung nicht bei allen Strümpfen gleich zu sein.

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Umfrage: Wie pflegt Europa?Mit einer standardisierten Umfrage in sechs europä-ischen Ländern wurden Pflegekräfte und Patienten nach ihrer Einschätzung der pflegerischen Fürsorge befragt und Unterschiede beider Personengruppen im Ländervergleich analysiert.

Ökonomische Einschränkungen im Gesundheitswesen und eine verbesserungswürdige Pflegequalität haben die Frage

aufgeworfen, wie es um den fürsorglichen Umgang der Pflege-kräfte mit ihren Patienten bestellt ist. In einer standardisierten Umfrage wurde daher untersucht, wie sich in ausgewählten europäischen Ländern die Einschätzung von Patienten und Pflegekräften in Bezug auf die Qualität der pflegerischen Für-sorge unterscheidet. Hierzu wurden 1.659 Patienten (17 bis 94 Jahre) und deren überwiegend weibliche Pflegekräfte (n=1195) aus 88 chirurgischen Abteilungen von 34 Krankenhäusern in sechs europäischen Ländern (Zypern, Tschechien, Finnland, Griechenland, Ungarn und Italien) befragt. Angewandt wurde ein bewährter Fragebogen zur Pflege mit 24 Fragen (CBI – Caring Behaviors Inventory), der von beiden Teilnehmergruppen be-antwortet werden kann.

Die höchsten Noten vergaben Patienten und Pflegekräfte glei-chermaßen in der Kategorie „Wissen und Fähigkeiten“ (5,1 und 5,3 von 6 möglichen Punkten). Signifikante Unterschiede in der Einschätzung zwischen beiden Gruppen zeigten sich dagegen in den Bereichen „Gewissheit der menschlichen Präsenz“ und „Re-spektvoller Umgang mit anderen“ – beide Bereiche wurden von den Pflegenden deutlich höher eingeschätzt als von den Patienten. „Gewissheit der menschlichen Präsenz“ umfasst Dinge wie Pa-tientenvisiten, Kommunikation und die Reaktion auf Notrufe der Patienten. Beim „respektvollen Umgang mit anderen“ gehen Dinge ein wie Unterstützung des Patienten, Respekt vor der In-dividualität, Empathie und die Möglichkeit, Gefühle auszudrü-cken. Am größten war der Unterschied zwischen der Einschät-zung der Patienten und des Pflegepersonals in Zypern, gefolgt von Tschechien. Insgesamt die wenigsten Punkte wurden in Griechenland vergeben – von Patienten und Pflegekräften glei-chermaßen. In Finnland schätzen die Patienten Wissen und Fähigkeiten ihres Pflegepersonals höher ein als die Pflegenden selbst.

Die Autoren glauben, dass ihre Ergebnisse eine gute Grund-lage für weitere Forschungen auf diesem Gebiet und für die Ent-wicklung einheitlicher Pflegestandards in Europa sind.

(MW)

Evridiki Papastavrou et al. A cross-cultural study of the concept of caring through behaviours: patients‘ and nurses‘ perspectives in six different EU countries. J Adv Nurs. 2012; 68(5):1026–37

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Bei den meisten Patienten mit Krebser-krankungen in der Terminalphase ist

die peroral aufgenommene Flüssigkeits-menge aufgrund von Anorexie, Übelkeit, Schluckstörungen oder Delir ohnehin reduziert. Eine zunehmende Dehydrie-rung kann Probleme wie Fatigue, Myo-klonien und Delir begünstigen. Auch der Opioidstoffwechsel kann verzögert sein. Mögliche Folge: Durch Akkumulation von Metaboliten resultieren eine tiefere Sedierung, Agitation oder generalisierte Myoklonien. Bislang existieren keine etablierten Standards zur parenteralen Hydrierung am Lebensende.

Über vier Jahre rekrutierten Eduardo Bruera und Kollegen in der Region Houston, USA, in fünf Hospizen Pati-enten mit fortgeschrittenen Krebserkran-kungen für diese Untersuchung. Die Pa-tienten wiesen eine reduzierte orale Flüs-sigkeitsaufnahme und Zeichen einer milden oder moderaten Dehydrierung auf. Diese war definiert als reduzierter Hautturgor in der Supraklavikularregion und mehr als zwei Punkte auf einer kli-nischen Skala zum Dehydrierungsassess-ment sowie klinische Hinweise auf Fatigue wie auch zwei von drei neurologischen Symptomen (Myoklonien, Sedierung bzw. Halluzinationen) und eine Lebenserwar-tung von mindestens einer Woche. Pati-enten mit klinischen Zeichen einer schwe-ren Dehydrierung wurden nicht einge-schlossen. Die Patienten erhielten pro-spektiv randomisiert im häuslichen Set-ting über jeweils vier Stunden entweder 1.000 ml (Infusionsarm) oder 100 ml (Plazeboarm) Kochsalzlösung subkutan infundiert. Die Infusion wurde beendet, wenn der Patient nicht mehr ansprechbar war, komatös wurde oder verstarb. Als primärer Endpunkt war eine Veränderung in der Summe der vier Dehydrierungs-symptome Fatigue, Myoklonien, Sedie-rung und Halluzination definiert.

129 Patienten wurden für die Studie randomisiert; in den Plazeboarm wurden

66, in den Infusionsarm 63 Patienten auf-genommen. Ausgewertet wurden schließ-lich die Daten von 49 bzw. 53 Patienten. Nach vier Tagen Hydrierungstherapie gaben beide Patientengruppen eine signi-fikante Verbesserung der Dehydrierungs-symptome im Vergleich zum Ausgangs-zustand an.

Während sich bei Patienten in der In-fusionsgruppe Halluzinationen und Myo-klonien verbesserten, gaben Patienten im Plazeboarm eine Abnahme von Schmerz, Depression, Angst und Myoklonien an. Am siebten Tag dagegen waren für beide Gruppen keine signifikanten Besserungen der Dehydrierungssymptome gegenüber den Ausgangswerten mehr zu erfassen. Weder am vierten noch am siebten Tag unterschied sich die Summe der Dehydrie-rungssymptome zwischen den Gruppen.

Beide Gruppen beschrieben aber Bes-serungen von Übelkeit, Depression und Myoklonien im Vergleich zum Ausgangs-status. Die globale Symptomevaluierung ergab für die Mehrzahl der Patienten bei-der Gruppen eine Besserung ihrer Sym-ptome gegenüber den Ausgangsbefunden. Auch hierbei unterschieden sich die Gruppen nicht. Das mediane Gesamt-überleben der ausgewerteten Patienten lag bei 17 Tagen, zwischen beiden Armen bestand kein Unterschied im Überleben.

Es fand sich kein Unterschied zwischen Infusions- und Plazeboarm hinsichtlich der Verbesserung der mit Dehydrierung assoziierten Symptome. Beide Gruppen gaben eine vergleichbare Besserung ihrer Beschwerden an. Die Autoren benennen einige Studienlimitationen wie den Aus-schluss von Patienten mit schwerer De-hydrierung. Sie empfehlen weitere Unter-suchungen, ob Subgruppen von einer parenteralen Hydrierung profitieren.

Bruera E et al. Parenteral hydration in pa-tients with advanced cancer: A multicenter, doubleblind, placebo-controlled randomized trial. J Clin Oncol. 2013; 31(1):111–8

Kommentar: Es gehört zu den klinisch-in-ternistischen Reflexen, exsikkierte Patienten parenteral zu hydrieren. Die vorgestellte Studie zeigt uns, dass diese Gewohnheit in der Palliativsituation nicht sinnvoll erscheint. Obschon keine signifikanten Unterschiede im primären Outcome zwischen beiden Gruppen zu verzeichnen waren, demons-trierten beide Gruppen signifikante Verbes-serungen gegenüber dem Ausgangsstatus und ihres Gesamtnutzens.Aus dem klinischen Alltag ist uns geläufig, dass eine parenterale Hydrierung Beschwer-den in der Terminalphase – wie Einlagerung von Ödemen, Luftnot durch pulmonale Stauung und finales Rasseln – verschlim-mern kann. Dies gilt freilich nicht für Pati-enten mit Zeichen der manifesten Dehydrie-rung. Dennoch ist – wie gezeigt – auch bei exsikkierten Patienten mit unkontrollierter Hydrierung Zurückhaltung geboten. Es lässt sich aus den Ergebnissen ableiten, dass ein höheres Infusionsvolumen nicht zu einem verlängerten Überleben führt.Unabhängig von der infundierten Flüssig-keitsmenge scheinen häufigere Besuche und Assessments durch Palliativschwestern zu einer Besserung des allgemeinen Wohlbe-findens zu führen, so dass die vermehrte Aufmerksamkeit den biologischen Effekt der Hydrierung überlagert. Eine weitere Ursache des besseren Befindens mag sein, dass pfle-gende Familienmitglieder zur Applikation der subkutanen Infusion qualifiziert wurden.Die schwer kranken Patienten erfahren in-tensivere menschliche Zuwendung dankbar und erleben damit eine Linderung ihrer Symptomlast. Ein deutliches Limit dieser Studie ist der Ausschluss einer erheblichen Zahl von Patienten mit schwerer Dehydrie-rung – der Zugewinn durch eine Hydrierung war für die nur mild oder moderat dehyd-rierten Patienten sicher nur gering spürbar.

Prof. Dr. Jens PapkePraxis und Tagesklinik für Innere Medizin und Palliativmedizin in Neustadt/Sachsen

Wie viel Hydrierung in der letzten Lebensphase?Seit Jahren wird diskutiert, ob Patienten mit fortgeschrittener Krebserkran-kung unter hospizlicher Versorgung eine parenterale Hydrierung erhalten sollten, wenn sie peroral nicht mehr in der Lage sind, hinreichend Flüssigkeit aufzunehmen. In einer aktuellen Studie konnten US–Forscher keinen eindeu-tigen Vorteil für eine Infusionstherapie nachweisen.