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URSULA INGOLD, SAMBIA, 1967-69 EVELYNE THUNER, PHYSIOTHERAPEUTIN UND INTERTEAM-FACHPERSON IN TANSANIA, 2011 – 2014 DIE JUBILÄUMSAUSGABE DER AUSTAUSCH ZUM 50 JÄHRIGEN BESTEHEN DER ORGANISATION INTERTEAM KONNTE MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG FOL- GENDER INSTITUTIONEN UND PERSONEN REALISIERT WERDEN: Katholische Kirche im Kanton Zürich Katholische Kirchgemeinde Luzern Brunner Druck und Medien, Kriens Esther Kiner (Gestaltungskonzept) René Regenass (Redaktion) Allen portraitierten Personen Geschäftsstelle INTERTEAM Herausgeber: INTERTEAM (eine Schweizer Organisation der Perso- nellen Entwicklungszusammenarbeit) Bilder: Archiv INTERTEAM RENÉ REGENASS, REDAKTOR JUBILÄUMSAUSGABE DER AUSTAUSCH Mit viel Freude und Engagement ist der erfahrene Journalist René Rege- nass in die fünfzigjährige Geschichte von INTERTEAM eingetaucht. In sie- ben ausgewählten Portraits schil- dert Regenass faszinierende und packende Erlebnisse ehemaliger Fach- leute und vermittelt so ein lebhaf- tes Bild des Hilfswerks INTERTEAM und der Schweizerischen Personel- len Entwicklungszusammenarbeit während den letzten fünfzig Jahren. Der pensionierte Medienschaffende arbeitete von 1964 bis 1994 als Redaktor und Mitarbeiter in unterschiedlichen Ressorts bei den Luzerner Neusten Nachrichten (LNN). In den 80er-Jahren war Regenass zusätzlich tätig für das Regionaljournal Radio DRS und für die Schweizer Familie. Es folgten wei- tere Aufträge für Schweizer Medien, so auch für die WoZ oder «Luzern Heute». Auch heute noch ist der kompetente Luzerner Journalist regelmässig für lokale Medienprodukte aktiv. AUSTAUSCH DIE ZEITSCHRIFT VON INTERTEAM DER JUBILÄUMSAUSGABE INTERTEAM Unter-Geissenstein 10/12 CH-6005 Luzern T +41 41 360 67 22 F +41 41 361 05 80 [email protected] PC 60-22054-2 www.interteam.ch www.facebook.com/ interteam

Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

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1964 - 2014 50 Jahre INTERTEAM

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Page 1: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

1 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 2 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

− URSULA INGOLD, SAMBIA, 1967-69

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—DIE JUBILÄUMSAUSGABE DER AUSTAUSCH ZUM 50 JÄHRIGEN BESTEHEN DER ORGANISATION INTERTEAM KONNTE MIT FREUNDLICHER UNTERSTÜTZUNG FOL-GENDER INSTITUTIONEN UND PERSONEN REALISIERT WERDEN:

Katholische Kirche im Kanton Zürich

Katholische Kirchgemeinde Luzern

Brunner Druck und Medien, Kriens

Esther Kiner (Gestaltungskonzept)

René Regenass (Redaktion)

Allen portraitierten Personen

Geschäftsstelle INTERTEAM

Herausgeber: INTERTEAM

(eine Schweizer Organisation der Perso-

nellen Entwicklungszusammenarbeit)

Bilder: Archiv INTERTEAM

RENÉ REGENASS, REDAKTOR JUBILÄUMSAUSGABE DER AUSTAUSCH

Mit viel Freude und Engagement ist

der erfahrene Journalist René Rege-

nass in die fünfzigjährige Geschichte

von INTERTEAM eingetaucht. In sie-

ben ausgewählten Portraits schil-

dert Regenass faszinierende und

packende Erlebnisse ehemaliger Fach-

leute und vermittelt so ein lebhaf-

tes Bild des Hilfswerks INTERTEAM

und der Schweizerischen Personel-

len Entwicklungszusammenarbeit

während den letzten fünfzig Jahren.

Der pensionierte Medienschaffende

arbeitete von 1964 bis 1994 als Redaktor

und Mitarbeiter in unterschiedlichen

Ressorts bei den Luzerner Neusten

Nachrichten (LNN). In den 80er-Jahren

war Regenass zusätzlich tätig für das

Regionaljournal Radio DRS und für

die Schweizer Familie. Es folgten wei-

tere Aufträge für Schweizer Medien, so

auch für die WoZ oder «Luzern Heute».

Auch heute noch ist der kompetente

Luzerner Journalist regelmässig für

lokale Medienprodukte aktiv.

AUSTAUSCHDIE ZEITSCHRIFT VON INTERTEAM

DERJUBILÄUMSAUSGABE

INTERTEAM

Unter-Geissenstein 10/12

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Page 2: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

3 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 4 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

− VRENI PFISTER, PAPUA-NEUGUINEA, 1975-80

Die Beweggründe für einen Einsatz haben sich

gewandelt. Doch eines ist gleichgeblieben: Der An-

trieb, sich einzulassen. Dies durften 2’500 Schweizer

Berufsleute in den vergangenen 50 Jahren bei Ein-

sätzen im Süden für INTERTEAM selber erfahren.

50 Jahre INTERTEAM schlagen den

Bogen von der christlichen Mission

zur Entwicklungszusammenarbeit.

Ledige Laienmissionare schöpften in

den Sechzigerjahren aus ihrer Spiritu-

alität Kraft. Der Aufbau einer Schule

oder eines Spitals sollte Bildung und

Gesundheit bringen. Partner waren

lokale Bischöfe und Ordensgemein-

schaften. Den Rechenschaftsbericht

durfte man mit Bleistift verfassen.

Es gab Gegenden, wo es noch keine Coca Cola gab. Die Kolo-

nialgeschichte war greifbar, die weltumspannende Solidarität

begründet im christlichen Ideal.

Die Befreiungstheologie erschien als weitere bewegende

Kraft. Spiritualität wurde revolutionär und ganzheitlich,

es ging um Gewächshäuser und Bildungsprogramme für

Frauen. Später folgte ein eher «technischer» Ansatz. Man

begann umfassend zu planen, zählen, messen und auszuwer-

ten. Die Entwicklungshelfer und -helferinnen plagten sich mit

leintuchgrossen Monitoring-Programmen, Computer sei Dank.

Selbstkritik wurde schon bald ein integraler Teil der Ent-

wicklungshilfe: Partizipation! Gender! Nachhaltigkeit!

5 —MIT DER LAIENHELFER- ORGANISATION FING ALLES ANRose-Marie Füglistaller (81), Gründerin von LAMIS

1950-60er Die Wurzeln

von INTERTEAM

9 —

18 JAHRE AUF ZEHN MISSIONS- STATIONEN IN VIER LÄNDERNCécile Portmann (78), Krankenschwester

1963-1969 Schweizerisches

Katholisches

Laienhelferwerk SKLW

13 —

EIN LEBEN VOLLER ENGAGEMENT FÜR EINE BESSERE WELTPia Hollenstein (64), Pflegefachfrau

1970-1979 Vom Laienhelferwerk

zum eigenständigen

Hilfswerk

17 —

EINE BASISGEMEINDE UND DAS KULTURZENTRUM ALS RESULTATTherese und Paul Vettiger-Meister, Bibliothekarin/Theologe

1980-1989 Von der Entwicklungs-

hilfe zur Entwicklungs-

zusammenarbeit

21 —«WIR STEHEN HEUTE AN EINEM ANDERN ORT»Max Elmiger (57), Theologe,

und Präsident INTERTEAM

1990-1999 Unité /

Konzentration

25 —

«ICH HABE ALLES GEMACHT IN NAMIBIA: MAKLER, CHAUFFEUR, BUCHHALTER, JOURNALIST»Beni Affolter (59), Lehrer

2000-2009 Selbstverantwortung und

Capacity Development

29 —

«MEINE HEUTIGE STELLE HÄTTE ICH OHNE DIE NICARAGUA- ERFAHRUNG NIE BEKOMMEN.»Yvonne Vásquez (46), Marketingfachfrau

Seit 2010 Vernetzung und

strategische Partnerschaften

—«Jede Bewegung verläuft in der Zeit und hat ein Ziel» (Aristoteles)—

—«Nicht ohne

Grund kommt Wasser in

Bewegung» (aus Afrika)

Aus den Helfenden werden Fachleute mit einem 'Logical

Framework' in der Hand als Werkzeug. Die Programme der

Personellen Entwicklungszusammenarbeit (PEZA) fordern

Vermittlung und Austausch von Know-how unter Wissens-

trägern auf Augenhöhe. Was bewegte die Laienhelferin

damals ebenso wie die Fachperson

heute? Es ist die empathische und an-

gepasste Intervention. Der Austausch

von fachlichem Wissen, mit dem Ziel,

die Lebensgrundlagen einer Bevölke-

rungsgruppe zu verbessern; ein Ansatz,

der konstant überzeugt.

Ich bin mir nicht sicher, ob INTERTEAM

«nur» als Organisation so lange Be-

stand gehabt hätte. INTERTEAM

ist und soll immer auch Bewegung

sein. Nicht nur der interessante Job in Tansania oder

Bolivien ist es, welcher immer noch unsere Fachleute

reizt; es ist auch die Nähe zu den Menschen im Süden,

die Herausforderung und die Erfüllung, sich bewegen

zu lassen von Schicksalen in einer fremden Kultur. Und

gleichzeitig etwas zu einer gerechteren Welt beitragen zu

können. Seit 50 Jahren lassen sich INTERTEAM-Fachleute

auf diese Bewegung ein – und dafür bin ich dankbar; für

jeden und jede in dieser grossen Bewegung Nord-Süd-Nord!

Max Elmiger, Präsident INTERTEAM

VORWORT INHALT

Page 3: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

5 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 6 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

—«Am Anfang waren wir mit 33 sich im Einsatz befindenden Frauen und Männern in Kontakt, Ende 1963 bereits mit 115.»—

− BEI DER KOORDINATION DER LAMIS-AKTION HATTE ROSE-MARIE

FÜGLISTALLER ALLE HÄNDE VOLL ZU TUN. NUR BEIM ABENDESSEN MIT KASPAR GÖNNT SIE SICH EINE KLEINE PAUSE.

Hört man Rose-Marie Füglistaller (81) genau zu, wird man mit einem Schlag in die Vergangenheit und die Anfänge von INTERTEAM versetzt. LAMIS, die von Füglistaller gegründete Vorgängerorganisation, hat die Wurzeln von INTERTEAM massgeblich geprägt und der heutigen Organisation in Sachen Solidarität und Unterstützung ihren Stempel aufgedrückt.

Vor dem Gespräch mit Rose-

Marie Füglistaller entdeckte

ich in der Kurzgeschichte von

INTERTEAM den Ausdruck

«Laie» und «Mission» und kam

so dem Begriff LAMIS etwas näher.

LAMIS steht für «Arbeitsgemeinschaft

der Laien-Missionshelfer der Schweiz»

oder auch für «Vereinigung Deutsch-

schweizer Laien-Missionare». So jeden-

falls steht es auf einem A4-Blatt aus

dem Jahr 1961, das mir Rose-Marie

Füglistaller aushändigt.

Diese Vereinigung ging Ende

1959 aus dem Vorbereitungskurs der

Caritas-Auslandhilfe in Zürich hervor,

aus welchem sich Teilnehmer zu einer

aktiven Gruppe zusammenschlossen,

woraus die Gruppe Zürich resultierte.

Zweck war einerseits die vertiefte Vorbe-

reitung auf einen Einsatz im Missions-

gebiet, andererseits sich bereits in der

Schweiz helfend einzusetzen.

«Schon bald wurde uns klar»,

sagt Rose-Marie Füglistaller, «dass

es am besten wäre, sich hinter unsere

eigenen Leute, die Laienhelfer, zu stellen.

Und zwar hinter jene, die schon irgendwo

in einem Einsatz

standen, wie auch

hinter die Zukünf-

tigen und ebenso

die Ehemaligen.»

So wurden die Ad-

ressen von etwa 30

Laienhelfern aus-

findig gemacht,

die sich bereits

im Einsatz befanden. Erste Reaktionen

ergaben ein grosses Interesse an einer

Organisation, die in der Heimat hinter

ihnen stehen würde. Dafür gab es ver-

schiedene Gründe: Die Laien wurden

nicht überall gut aufgenommen. Ältere

Missionare hatten oft Mühe, sich damit

abzufinden, dass nun Laien, welche bloss

für eine befristete Zeit auf ihre Missions-

station kamen, bei ihnen wirken sollten.

«Wenn sie endlich etwas von der Sache verstehen, so gehen sie

wieder!», sei oftmals von den Missionaren zu hören gewesen,

meint Rose-Marie Füglistaller. Zudem waren die Laien viel-

fach vom Leben der Missionare ausgeschlossen und fühlten

sich einsam. «Am Anfang waren wir mit 33 sich im Einsatz

befindenden Frauen und Männern in Kontakt, Ende 1963

bereits mit 115», erläutert Füglistaller. Die Absicht lag somit

auf der Hand: Die Laienhelfer sollten zu einer Gemeinschaft

zusammenwachsen. Es musste ein Austausch entstehen und

damit die Gewissheit, Sorgen und auch Freuden teilen zu

können. Zudem sollte die neue Organisation die Laienhelfer

gegenüber den Missionsgesellschaften und der Caritas vertreten.

DIE WICHTIGE BETREUUNG DER RÜCKKEHRERDurch die zusätzlichen Vorbereitungskurse in Basel,

Luzern und gelegentlich in Olten und St. Gallen entstanden

mehrere Gruppen. Dabei übernahm die Gruppe Basel schon

bald die Betreuung der Rückkehrer. «Für die Rückkehrenden

MIT DER LAIENHELFER- ORGANISATION FING ALLES AN− Rose-Marie Füglistaller, Gründerin von LAMIS

Page 4: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

7 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 8 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

− LAMIS SENDETE WÄHREND DER GROSSEN WINDEL-AKTION 1962 KLEIDCHEN

UND TÜCHER IM GESAMTWERT VON 70'000 FRANKEN NACH ÜBERSEE. ZUERST MUSSTEN DIE GESPENDETEN WAREN ABER FÜR DEN VERSAND ABGEPACKT

WERDEN – MITTEN DRIN IM KLEIDERBERG ROSE-MARIE FÜGLISTALLER.

− DAS EHEMALIGE CHALET AN DER GUGGISTRASSE IN LUZERN WAR DREH- UND ANGELPUNKT VON LAMIS. NICHT NUR DIE GRÜNDUNGSVERSAMMLUNG WURDE HIER ABGEHALTEN; AUCH HANDWERKERKURSE FÜR ANGEHENDE LAIENHELFER ODER HILFSAKTIONEN WURDEN IN DEN RÄUMLICHKEITEN DURCHGEFÜHRT.

war es nicht immer leicht, nach ein paar Jahren im Busch sich

in der Heimat wieder zurechtzufinden. Hilfe bei Wohnungs-

und Arbeitssuche waren angesagt. Aber ebenso wichtig war

es, sie in unsere Gemeinschaft zu integrieren, damit sie über

ihre Eindrücke im Einsatz reden konnten und verständnis-

volle Ohren fanden», meint Füglistaller. Künftige Laienhelfer

seien dabei froh um alles gewesen, was sie von den bestan-

denen Frontleuten zu hören bekamen.

Gelegentlich waren auch Interventionen bei den Mis-

sionsgesellschaften notwendig. Nicht selten wurden Leute, die

für einen Einsatz rekrutiert worden waren und deshalb Stelle

und Wohnung kündigten, mit dem Bescheid konfrontiert, dass

sie erst Monate später ausreisen können. «Das war für diese

Leute mehr als unangenehm. Sie hatten plötzlich weder Ar-

beit noch Unterkunft. Für den Missionar hingegen spielte es

keine Rolle. Er konnte im Kloster leben.»

DIE GRÜNDUNG VON LAMIS 1962Was aus dem Caritas-Ausbildungskurs heraus ent-

stand, war also die Vereinigung der Laienhelfer der Deutsch-

schweiz, oder der Laienmissionare, wie sie später hiessen.

Diese junge Organisation, die sich ab Sommer 1961 LAMIS

nannte, wurde im September 1962 offiziell gegründet. Sowohl

Leitung, Redaktion, wie auch der Kontakt mit den Leuten

im Einsatz, blieb von Ende 1959 bis Ende 1963 bei Rose-

Marie Füglistaller. Das wichtigste Instrument, um die Mit-

glieder zu einer grossen Familie zusammenwachsen zu lassen,

waren die LAMIS-Rundbriefe, die monatlich in der Schweiz

und zweimonatlich nach Übersee versandt wurden. Es waren

Diskussionsforen mit Informationen über die Situation im

Einsatz und über die Bemühungen in der Heimat.

LAMIS war also Anlaufstelle für jene Frauen und

Männer, die sich in den frühen sechziger Jahren für die Ent-

wicklungshilfe entschieden. In Luzern traf man sich jeden

Montag zu Arbeitsabenden im sogenannten Chalet an der

Guggistrasse, ein altes Holzhaus, das längst nicht mehr steht.

Neben vielem anderem wurden in Basel und Luzern Hand-

werkerkurse für Frauen, als Vorbereitung für den Missions-

einsatz, durchgeführt. In Basel und in Zürich gab es auch

Englischkurse.

BERGE VON WINDELN UND KINDERKLEIDERN FÜR 70’000 FRANKEN

Was LAMIS alles zu bewegen

vermochte, zeigt exemplarisch das Bei-

spiel einer Windel-Aktion. Das Flugblatt,

welches im Januar 1962 von Füglistal-

ler erstellt wurde, enthielt folgende

Worte: «Aus Afrika kommt ein SOS-Ruf

nach Windeln zu uns. Eine Kindergärtnerin aus dem Kanton

Luzern (Theresia Lötscher), die seit zwei Jahren als Missions-

helferin in Dar-es-Salaam in Tanganyika (heute Tansania) tätig

ist, braucht dringend Bébéartikel für ihre kleinen schwarzen

Waisenkinder. …Sag es allen Verwandten und Bekannten wei-

ter. Benötigt werden Windeln, Schlüttli, Strampelhosen und

Kleidchen für Kinder bis zu vier Jahren.»

Das Echo auf den Aufruf schien überwältigend. Die

LAMIS-Leute standen plötzlich in Bergen von Windeln und

Kinderkleidern, sortierten und schnürten Pakete für den Ver-

sand nach Afrika. «Unsere gesammelten Kindersachen fanden

den Weg nach Tanganyika, Süd- und Nordrhodesien, Nyasa-

land, Rwanda, Burundi, Ghana, Kamerun, Kongo, Indien und

Haiti. Wir konnten Kleidchen und Tücher in einem Gesamt-

wert von 70’000 Franken nach Übersee spedieren», lautet der

Hinweis im Infoblatt von Füglistaller. In einem Dankesschrei-

ben von Anna aus Haiti heisst es: «Obwohl ihr unsere Station

so reichlich beschenkt habt, bleibt davon schon nicht mehr

viel übrig. Es hat eben kein Bleiben in unseren Händen…

Die Kisten kamen einige Tage nach den Schreckenstagen mit

Überschwemmungen und Verwüstungen.»

NÄCHTELANG MIT UMDRUCK- MATRIZEN AM WERK

Ob LAMIS Bestand gehabt hätte, ohne die immense

Arbeit und das selbstlose Engagement von Rose-Marie

Füglistaller, ist fraglich. Sie ist heute 81 und erzählt fast

anderthalb Stunden pausenlos von ihren Erfahrungen. «Wenn

ich einige Nächte lang mit Umdruckmatrizen unseren LAMIS-

Rundbrief gedruckt hatte, ging ich vor dem Aufstehen meines

Vaters jeweils noch kurz ins Bett, damit dieser nicht merkte,

was ich die Nacht über alles tat», erzählt Füglistaller und nennt

damit eines von unzähligen Beispielen ihres grossen Einsat-

zes. In der Zeit von LAMIS lebte sie im Kanton Zug, wo sie

auch aufgewachsen ist. Während unserem Gespräch fällt mir

immer wieder auf, mit was für einer vielfältigen Frau ich

gerade spreche. Nach der kaufmännischen Ausbildung schob

sie ein Jahr an der Schauspielschule Zürich dazwischen.

Sie schrieb mehrere Schultheater, führte Regie und brachte

diese auf die Bühne. Rose-Marie Füglistaller hatte eine gute

Stimme. Im Theater Arth sang sie in einer Operette die weib-

liche Hauptrolle.

KRITIK AM CARITAS-LAIENHELFER-KURSDer Impuls zur Idee Laienhilfe in der Mission kam

über ein Zeitungsinserat. Die Caritas schrieb 1959 einen Kurs

für Leute aus, die als Laien in die Mission gehen wollten.

Rose-Marie Füglistaller besuchte darauf einmal im Monat

Informationsveranstaltungen in Zürich. «Der Saal war voll»,

erinnert sie sich. An einem Abend fand sie sich mit drei Män-

nern beim Bier. «Man kritisierte den Kurs und fand, man sollte

da selbst etwas anpacken. Aber niemand ergriff die Initiative.

Daraufhin verlangte ich bei der Caritas die Teilnehmerliste,

schrieb an alle Adressen einen Brief und regte eine Zusam-

menkunft an. Das war der Start.» Mit wenigen Helfern schuf

Rose-Marie Füglistaller für die Laienhelfer so ein Auffang-

netz. Aus familiären Gründen war sie selbst jedoch nie in

einem Auslandeinsatz.

In dieser Zeit arbeitete sie noch halbtags im Büro. Als

die Arbeit für die LAMIS immer zeitaufwändiger wird, gibt

sie diese Stelle auf. Nach dem Tod ihrer Mutter besorgt sie

den Haushalt, schaut zum körperlich behinderten Vater und

hilft im Kiosk. Ende Dezember1963 findet das Engagement für

die LAMIS aber ein jähes Ende. «Mein behinderter Vater gab

seinen Kiosk auf und lebte von der damals sehr bescheidenen

AHV-Rente von 75 Franken. Ich nahm deshalb eine Hundert-

prozentstelle an und machte den Haushalt. Für die LAMIS

blieb somit kein Raum mehr», meint Füglistaller mit bedau-

ernder Stimme.

Zurück zu den Laienhelferkursen der Caritas: In den

Vorbereitungssitzungen war das religiöse Element stark

vertreten. Zu einer Sitzung im September 1961 wurden 16

Hochwürden und ehrwürdige Schwestern von Menzingen

und Ingenbohl eingeladen, dazu kamen 15 andere Personen,

doch auch sie meistens mit einem Bezug zu einer katholi-

schen Institution. Bekamen die Kurse dadurch nicht einen zu

gewichtigen kirchlichen Hintergrund? Rose-Marie Füglis-

taller widerspricht: «Viel zu wenig! Man glaubte an diese

Ausrichtung. Und gerade die Kursbesucher wünschten eine

bessere religiöse Vertiefung, die für sie im Missionsgebiet

nötig sein würde.» 1963 wurde das Schweizerische Katholi-

sche Laienhelferwerk gegründet und von der Bischofskon-

ferenz im Juli 1964 anerkannt. Erstmals zahlte der Bund im

Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit einen jährlichen

Beitrag für alle Laienhelfer. 1970 wird das Laienhelferwerk dann in

INTERTEAM umbenannt.

DER ANSATZ VON INTERTEAM STIMMT IMMER NOCHWo kommt die Begeisterung her, mit der sich

Rose-Marie Füglistaller bereits in der Jugendzeit für den Hilfs-

gedanken mit religiösem Hintergrund einsetzte? «Ich bin in

einer sehr religiösen Familie aufgewachsen. Wir haben von der

Not in den Drittweltländern gesprochen. Direkte Hilfe leis-

ten war damals nur über die Missionsgesellschaften möglich.

Diese richteten Schulen und Werkstätten ein. Das Wort ’Ent-

wicklungshilfe’ gab es in den ersten 1960er-Jahren noch nicht.»

Wie sieht Rose-Marie Füglistaller mit ihren 81 Jahren heute

die Entwicklungshilfe? «Sie ist immer noch richtig. Aber

es muss in Zusammenarbeit mit den Menschen geschehen,

denen man helfen will.» Der Ansatz von INTERTEAM erscheint

ihr immer noch richtig und zeitgemäss.

Page 5: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

9 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 10 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

—«Ich habe in Bolivien ein Kind während der Geburt sterben sehen. Das hat mich auf den Gedanken der Hebammen- Ausbildung gebracht.»—

− CÉCILE PORTMANN IN BOLIVIEN

Die Begeisterung ist fast greifbar, wenn Cécile Portmann (78) von ihren Erleb-nissen auf den Missionsstationen in Bolivien, Angola, im Tschad und in Kamerun erzählt. Das Helfen und der missionarische Gedanke waren immer zentral. 18 Jahre war sie im Ausland im Einsatz. In den Bürgerkriegen in Angola und im Tschad stand sie Soldaten gegenüber, die mit dem Gewehr in der Hand Zugang zum Medikamentenschrank forderten. «Die Position als Kranken-schwester hat uns geschützt; sie waren auf uns angewiesen», sagt Cécile Portmann heute.

Am Ende des Gesprächs sagt Cécile Portmann: «Das

Leben auf den Missionsstationen und die Erinne-

rungen an die Kinder, Frauen und Männer in den

fremden Ländern ist mein Reichtum. Das ist viel

mehr als Geld. Das kann mir niemand wegnehmen.»

Cécile Portmann hat die ersten sieben Lebensjahre im Kloster

Baldegg verbracht, wo ihr Vater angestellt war. Nachher lebte

die Familie auf dem Hof Oberhuwil bei Hochdorf. «Ech bin

es Buuremeitschi», sagt sie. Nach den Schuljahren reiste sie

für das Französisch-Jahr nach Antibes in Frankreich. 1956

begann Cécile Portmann die Krankenschwesterschule am

Kantonsspital Luzern. Es folgt Baden. Die Arbeit am Kantons-

spital führte sie mit den Redemtoristenpatres zusammen.

Die Redemtoristen sind ein im 18. Jahrhundert gegründe-

ter männlicher Missionsorden. Ende 1962 weilte ein Bischof

dieses Ordens aus Bolivien im Priesterhaus bei Baden. Ein

Gespräch mit ihm führte bei Cécile Portmann zum Entschluss,

als Krankenschwester in die Mission zu gehen. «Das war mein

Wunsch», meint Portmann. Wo kam denn dieser Impuls her?

«Ich hörte in der Schule Vorträge über die Missionsarbeit.

Dann wusste ich, dass ich so etwas machen wollte.» Die Re-

ligion hat einen festen Platz im Leben von Cécile Portmann.

Eine erste Spur wurde sicher in den Kinderjahren im Kloster

Baldegg gelegt.

MIT DEM SCHIFF NACH BUENOS AIRES 1963 kam der grosse Moment: Die Luzernerin reiste

mit einem Pater, der auf Heimaturlaub war, mit dem Schiff

von Genua nach Buenos Aires. Die Reise dauerte einen Mo-

nat. «Auf der Schifffahrt lehrte mich der Pater die spanische

Sprache», erzählt Cécile Portmann. «Die anschliessende Zug-

fahrt nach La Paz dauerte über eine Woche. Erster Einsatzort

war Fatima im Gebiet des Rio Beni, wo Redemtoristenpatres

eine Missionsstation führten.» Fatima liegt völlig im Urwald,

verfügt aber über einen Flugplatz, wo Flugzeuge landen und

starten konnten. Es gab keinen anderen Verkehrsweg.

Cécile Portmann betreute dort gemeinsam mit einer

anderen Schwester die Krankenstation. Es gab relativ wenig

Arbeit, worauf sie von einem Schweizer Pater auf eine andere

Missionsstation, nach Corendo, geholt wurde, ebenfalls im

Urwald gelegen. Dieser Ort konnte nur auf dem Fluss- und

Landweg zu Fuss erreicht werden. «Als wir dort ankamen,

veranstalteten die Einheimischen ein grosses Fest», erzählt

Cécile Portmann. Es handelte sich um etwa fünfhundert

Leute, die wegen Überschwemmungen aus Trinidad abgezogen

waren und ’das verheissene Land’ suchten. Sie waren

ausnahmslos katholisch.»

ALLEIN SECHS STUNDEN IM URWALD UNTERWEGS

Es war für Cécile Portmann eine bewegte Zeit in

Bolivien. Nach der Zeit in Fatima ging sie nach Colorado,

sechs Stunden zu Fuss durch den Urwald. Die Schweizerin war

Krankenschwester, mitunter auch Lehrerin und gleichzeitig

Kontaktperson für fast alles. Sie lebte wie die Einheimischen

in einer Hütte. Ein Erlebnis wirkt heute noch nach. Cécile

Portmann lief in diesem Hüttendorf barfuss, wie alle andern.

Als sie von einem Kind zu einer Kranken geholt wurde, übersah

sie eine Schlange, die einem Baumstrunk ähnlich am Boden

lag. Doch die Schlange blieb ruhig. «Überhaupt: In der Erin-

nerung überstand ich den Einsatz in Bolivien gesund, auch in

der kühlen Regenzeit, der man relativ schutzlos ausgeliefert

gewesen ist. Ich war allein als weisse Frau in diesem Hütten-

dorf. Kein Raum war abschliessbar. Die Wände und Dächer

bestanden aus Matten von Palmblättern. Angst kannte ich

nicht. Erst beim Abschied sagte man mir, dass ständig jemand

den Auftrag gehabt habe, mich zu beschützen.» Machte die

Ernährung keine Probleme? Cécile Portmann: «Überhaupt

nicht. Es gab Bananen, Papaya, Mango und Yuka, ein kartof-

felähnliches Wurzelgemüse, aus dem auch Schnaps gebrannt

wurde. Viele Feste wurden gefeiert und dabei nicht schlecht

getrunken. Des Weiteren gab es Hühner, Eier oder Fische aus

dem Fluss. Die Männer gingen auf die Jagd.» In Simai, auf ei-

ner weitern Missionsstation, wirkte Cécile Portmann nicht nur

als Krankenschwester sondern auch als Lehrerin.

18 JAHRE AUF ZEHN MISSIONS-

STATIONEN IN VIER LÄNDERN

− Cécile Portmann, Krankenschwester

Page 6: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

11 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 12 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

− DIE FOTOS ZEIGEN CÉCILE PORTMANN WÄHREND IHREN UNERMÜDLICHEN EINSÄTZEN IN ANGOLA

1966 im Herbst folgte die Rückkehr in die Schweiz,

wieder nach Baden ans Kantonsspital, aber bereits mit

dem Vorsatz, erneut in die Mission zu gehen. Vorher noch

absolvierte sie die einjährige Hebammenschule in Luzern,

anschliessend gleich noch die Ausbildung in Intensivpflege. «Ich

habe in Bolivien ein Kind während der Geburt sterben sehen.

Das hat mich auf den Gedanken der Hebammen-Ausbildung

gebracht», erzählt Portmann.

EIN INTERTEAM-EINSATZ IN ANGOLAAuf der Hebammenschule lernte Cécile Portmann eine

Walliser Arzttochter kennen, Mariebet Briner aus Zermatt.

Sie wollte als Hebamme in ein Spital nach Angola, das von

einem Pater aus Zermatt gebaut worden ist. So entstand bei

Cécile Portmann die Idee nach Angola mitzugehen. Das Spital

in Quinjenje wurde von einem Arzt aus Hergiswil bei Willisau

übernommen, der hier ein Spitalteam zusammenstellte. Diese

Delegation entsprach vollumfänglich einem INTERTEAM-

Projekt. Das Team reiste per Schiff von Lissabon nach Lobito.

Das Spital musste aber schon bald als Folge des

Krieges in Angola geschlossen werden. Nach einem kurzen

Abstecher zurück in die Schweiz folgte bereits der nächste Ein-

satz in Angola, diesmal mit den Lasalette-Patres in Gatumbela

in der Nähe der Hafenstadt Lobito. Die Luzernerin führte in

einem Armenviertel mit etwa 20’000 Einwohnern eine Kran-

kenstation und betreute Geburten, alles mit Hilfe der Einhei-

mischen. Unzählige hungernde Kinder, unterernährt, mager,

mit Eiweissmangel, profitierten von ihrer Hilfe. «Wir hatten

Medikamente aus der Schweiz, durch Beziehungen der Patres

zur Basler Pharmaszene», erklärt Cécile Portmann.

Das Portugiesisch, das dort gesprochen wurde, lernte

Cécile Portmann auf einem Kurzaufenthalt in Lissabon. In

Gatumbela erlebte sie dann den Bürgerkrieg hautnah. «Das

war eine Katastrophe. Wir zitterten auf unserem Hügel über

der Stadt. Die Soldaten nahmen uns das Fahrzeug weg. Wir

mussten aus nächster Nähe mit ansehen, wie die Menschen

erschossen wurden. Im hohen Maisfeld richteten sie ein Mas-

sengrab ein. Von INTERTEAM sind wir dann zurückbeordert

worden», erzählt Cécile Portmann.

zeigten sie, was sie wollten. Ich gab es ihnen.» Ende September

– Cécile Portmann war bereits in der nahen Stadt – wurde die

Krankenstation geplündert und in Brand gesetzt. Ihr weniges

Hab und Gut ging dabei verloren.

ENDLICH ZURÜCK IN DIE SCHWEIZ ?Nun endlich die Rückkehr in die Schweiz, folgere ich

aus unserem Gespräch. Cécile Portmann begehrt auf: «Sicher

nicht. Ich ging nach Douvangar ins Nachbarland Kamerun.

Auch dort wirkten Schwestern auf Missionsstationen, Euro-

päerinnen und Nordamerikanerinnen. Ein Schweizer Pater

sagte mir, auf einer Krankenstation fehle eine Krankenschwes-

ter. Dort weilte ich rund ein Jahr, ebenfalls im Auftrag von

INTERTEAM. Der Aufenthalt in dieser Berglandschaft war für

mich einmalig. Häufig war kein Wasser vorhanden. Es musste

über einen vierstündigen Fussmarsch hergeholt werden. Bis dann

italienische Ingenieure im Auftrag des Staates Wasserquellen

fanden. War das ein Fest bei den Menschen in den Dörfern!»

Cécile Portmann hat sich bei ihren Auslandeinsät-

zen Gefahren ausgesetzt und ist grosse gesundheitliche

Risiken eingegangen. War sie sich dessen bewusst? «Ja, sicher.

Aber ich habe nie Angst gehabt. Ich fühlte mich beschützt und

getragen von einem grossen Freundeskreis. Und in den Kriegs-

situationen oder bei Krankheiten hat auch das Gebet geholfen.»

Im September 1986 kehrte Cécile Portmann endgültig

in die Schweiz zurück. Bis ins Jahr 2000 arbeitete sie nun als

Pflegerin im Elisabethenheim in Luzern. «Das war für mich

IM KRIEG AUF EINER KRANKEN- STATION IM TSCHAD

Bereits ein Jahr später, 1977, kam vom Kloster Mon-

torges der Franziskanerinnen bei Fribourg die Anfrage für

einen Einsatz im Tschad. Es ging um den Aufbau einer Mis-

sionsstation. Diesmal stellte Cécile Portmann jedoch eine

Bedingung: Sie wollte den Einsatz zusammen mit ihrer Freun-

din aus Zermatt leisten. Der Wunsch wird ihr erfüllt. «Wir

waren auf einer Krankenstation mit zehn Betten, in Donja,

60 Kilometer von der Stadt entfernt, ohne Arzt wohlgemerkt.

Meine Freundin machte die Geburten.» Die Freundin von

Cécile Portmann ist heute 92 Jahre alt und lebt im Alters-

heim in Zermatt.

Nach einem Jahr ging Cécile Portmann auf Hei-

maturlaub und kehrte dann 1979 in den Tschad zurück.

«Damals herrschte eine schlimme Hungersnot. Und dann

kam der Krieg dazu. Ich war am Ort die einzige Europäerin,

zusammen mit den einheimischen Schwestern. An einem Mor-

gen im September 1984 begann die Schiesserei aus dem Busch in

Richtung unserer Station, weil bei uns Armeeangehörige

weilten. Es gab Verletzte, Tote. Die afrikanischen Schwestern

wurden auf Anordnung des Bischofs in die Stadt gefahren.

Ich blieb alleine dort, um die Kranken und Verletzten zu versor-

gen.» Frage: Sind sie von den Rebellen direkt bedroht worden?

«Sicher. Sie standen mit dem Gewehr vor mir und forder-

ten mich auf, den Medikamentenschrank zu öffnen. Dann

eine gute Lösung, weil ich nach den Jahren der selbständigen

Arbeit in Afrika nicht mehr in ein Akutspital hätte wechseln

können. Ich habe auf den Krankenstationen alles gemacht und

alles selber entschieden, ohne Arzt. Im Elisabethenheim bin

ich dann in eine andere Dritte Welt gekommen.»

—EINIGE STATIONEN VON CÉCILE PORTMANN

Februar 1963Aussendung als Missionshelferin durch die

Redemtoristen in der Kapelle Mariawil bei Baden.

1963 bis 1966Fatima in Bolivien.

1968 bis 1972Quinjenje in Angola im INTERTEAM-Einsatz.

Bürgerkrieg.

1974 bis 1976Wieder in Angola, auf der Krankenstation

in Gatumbela.

1977 bis 1984Tschad. Bürgerkrieg.

1984 bis 1985Douvangar in Nordkamerun.

Page 7: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

13 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 14 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

—«Sie war geprägt von den Dis-kussionen über die Ausbeutung des Südens durch den Norden.»—

− IN DEN DÖRFERN WURDE VERSUCHT, BASISWISSEN ÜBER HYGIENE,

ENTWICKLUNG DES KINDES, IMPFUNG UND KRANKHEIT ZU VERMITTELN. ALS LEITLINIE DIENTE IMMER DIE PRÄVENTION. VIELE KINDER BENÖTIGTEN

BEISPIELSWEISE EINE MALARIATHERAPIE.

Verantwortung, Herausforderung, Gelassenheit, Hilfe leisten. Die Worte wieder-holen sich im Gespräch. Pia Hollenstein (64) hat ein Leben lang das Sinngebende gesucht. Und auch gefunden. In Papua Neuguinea als Pflegefachfrau bei den Menschen im Busch, in der Intensivpflege am Kantonsspital Luzern, als Berufs-schullehrerin in St. Gallen und vor allem auch während 15 Jahren als Nationalrätin der Grünen in Bern.

Den INTERTEAM-Einsatz leistete Pia Hollenstein in

jungen Jahren, unter Dreissig, von 1976 bis 1979,

wo sie auf der Südseeinsel Papua Neuguinea ein

Gesundheitszentrum leitete. Wer sich für Politik

interessiert, kennt Pia Hollenstein als Nationalrä-

tin der Grünen (von 1991 bis 2006). Auf der Homepage lesen

wir von ihrem konsequenten Engagement in sozialer, öko-

logischer, feministischer und friedenspolitischer Hinsicht.

Der Lebenslauf offenbart ein unge-

wöhnlich breites Feld von beruflichen,

nebenberuflichen und gemeinnützigen

Tätigkeiten. Seit vier Jahren ist Pia

Hollenstein Bildungsverantwortliche

im Spital und Pflegeheim in Appenzell.

Und könnte dort in diesem Jahr in Pen-

sion gehen, wenn sie denn will.

Was ist der Sinn hinter diesem engagierten, aufwendigen

Leben? Pia Hollenstein erinnert sich an die Jugendzeit: «Sie

war geprägt von den Diskussionen über die Ausbeutung des

Südens durch den Norden. In Libingen im Toggenburg, wo

ich auf einem Bauernhof mit acht Geschwistern aufgewach-

sen bin, kamen Missionarinnen und Missionare ins Dorf

und berichteten von ihrer Arbeit für die Armen in der Welt.

Solche Berichte faszinierten mich. Dazu kamen Fragen zur

Werthaltung in den 68er-Jahren.»

Sieht Pia Hollen-

stein lediglich

das Nord-Süd-

Ungleichgewicht

als Motiv für ihr le-

benslanges Pflegen

und Umsorgen ih-

rer Mitmenschen?

«Ich bin gerne mit Menschen zusammen, bin schnell bereit zu

helfen», erklärt sie, als wäre dies das Natürlichste der Welt.

«Mein Leben und meine Lebenshaltung sind geprägt von

spannenden Herausforderungen. Es ist ein innerer Antrieb.»

DAS ANSPRUCHSLOSE LEBEN GESUCHT Als Pflegefachfrau allein bei den Ureinwohnern in

Papua Neuguinea – die grösste Herausforderung? «Die Idee

für einen Einsatz in einem Land des Südens war schon in der

Berufsausbildung da», sagt Pia Hollenstein. «Wir haben ver-

sucht, unser Leben einfach zu gestalten und auf die lokalen

Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen. Am Abend gab es wäh-

rend drei Stunden Strom vom Generator, ein Holzkochherd

genügte. Wir lebten abgeschieden in der fremden Welt. Es

gab keine Strasse. Unser Wohnort war nur mit dem Flugzeug

erreichbar, etwa zwanzig Minuten Flugzeit von der Provinz-

Hauptstadt Madang entfernt. Zuerst hatte ich etwas Angst

vor dieser Perspektive, vor Ort erlebte ich die Abgeschieden-

heit aber als positiv und wertvoll». In der ganzen Provinz Ma-

dang waren Missionsstationen der Steyler-Missionare, die

auch in Steinhausen im Kanton Zug und im St. Galler Rheintal

Niederlassungen haben. Die Steyler-Missionare in Papua Neu-

guinea gehörten zu den Ersten, welche den Einsatz von Laien

förderten. Schon zehn Jahre vor dem Einsatz von Pia Hollen-

stein war eine Gruppe von zehn Lehrpersonen aus der Schweiz

mit INTERTEAM in Papua Neuguinea.

Pia Hollenstein erinnert sich auch, wie ihr medizini-

sches Wissen willkommen gewesen sei. Trotzdem habe sie ver-

sucht, auch die Werte der Einheimischen zu beachten: «Wir

liessen zum Beispiel einheimische Zauberer zu, wenn sie zu

Kranken gerufen wurden.» Ein besonderes Erlebnis gibt Aus-

druck für die Nähe zwischen der Schweizer Pflegefachfrau

und der einheimischen Bevölkerung: «Ich musste auf einem

dünnen Baumstamm einen grossen Bergbach überqueren und

sagte, es wäre dann für meine Angehörigen schon nicht gut,

wenn ich hier zu Tode stürzen würde. Worauf ein Einheimi-

scher meinte, ich müsste mich nicht sorgen, sie würden mich

schon hier beerdigen. Das war ein deutliches Zeichen für

meine Zugehörigkeit.»

UNTERERNÄHRTE KINDER, WEIL SIE NICHT ESSEN WOLLTEN

Wie hat die eigentliche pflegerische Arbeit ausgese-

hen? Pia Hollenstein hat mit ihrem Team von Einheimischen

in der Gesundheitsversorgung ein Gebiet entsprechend der

Hälfte des Kantons Zürich abgedeckt, und dies alles ohne

Arzt. Von der Gesundheitsstation aus – dem «Buschspital» –

haben sie auch abgelegene Dörfer besucht. Die Frage nach

den medizinischen Schwerpunkten erübrigt sich sozusagen.

«Es gab einfach alles, ausser Verkehrsverletzte. Es gab keine

Strassen und darum auch keine Unfälle», erzählt Pia Hollenstein.

Grosse Bedeutung hatte die ’under five Clinic’, die monatli-

che Kontrollen aller Kinder bis fünf Jahre in der ganzen Um-

gebung durchführte. Dabei standen Ernährungsfragen der

EIN LEBEN VOLLER ENGAGEMENT FÜR EINE BESSERE WELT− Pia Hollenstein, Pflegefachfrau

Page 8: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

15 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 16 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

—«INTERTEAM hat die Hilfe zur Selbsthilfe verwirklicht. Das ist immer noch richtig. Es ist wichtig, am Einsatz- ort zuerst abzuklären, was die Menschen vor Ort brauchen. Wir sind so auf den Einsatz vorbereitet worden.»—

− MIT DEM EINSATZ VON PIA HOLLENSTEIN VERBESSERTE SICH AUCH DIE GESUNDHEIT VON UNZÄHLIGEN KINDERN. DADURCH SANK DIE KIN-DERSTERBLICHKEIT UND STIEG DAS VERTRAUEN DER BEVÖLKERUNG IN DIE ARBEIT VON INTERTEAM.

− DÖRFER, DIE OFTMALS TAGELANG WÄHREND DER REGENZEIT ÜBER-SCHWEMMT WAREN, KONNTE PIA HOLLENSTEIN UND IHR TEAM NURMITTELS BOOT ERREICHEN. DIE KONSULTATIONEN WURDEN SO JEWEILS VOM KANU AUS GEMACHT.

Kleinkinder im Vordergrund. «Der Grund

lag nicht im Mangel an Nahrungsmit-

teln, sondern der Haltung. Wenn ein Kind

nicht essen wollte, liess man es machen.

Die Kinder wurden oft allzu lange nur

mit Muttermilch ernährt und so von Mo-

nat zu Monat dünner. Wurde eine be-

stimmte Gewichtsgrenze unterschritten,

kamen die Kinder ins Spital. Für die zu-

sätzliche Ernährung stand Milchpulver

zur Verfügung, welches beim Health

Center in der Stadt bestellt werden

konnte. Zum Gesundheitsprogramm

gehörten auch die Betreuung und Be-

handlung von Schwangeren, die

Behandlung von Malaria-Erkrankun-

gen, von Durchfall und die Wundmedizin.

Dazu gab es eigentliche Präventionspro-

gramme mit Impfungen», erklärt Pia

Hollenstein. Man habe auch Druck aus-

geübt, damit in jedem Dorf ein funktio-

nierendes WC eingerichtet wurde. «Wir

haben zu den Müttern gesagt, wir kä-

men erst wieder ins Dorf, wenn ein

WC bestehe, respektive Latrinen, weil

ja kein fliessendes Wasser zur Verfü-

gung stand.» Ist Pia Hollenstein nie

erkrankt während des dreijährigen

Einsatzes? «Die Malaria war schon prä-

sent. Wenn ich am Sonntag das Medi-

kament zur Vorbeugung vergass, hatte

ich am Mittwoch Malaria», meint Pia

Hollenstein schmunzelnd.

Die Lücken in der gesundheit-

lichen Versorgung bestanden in Papua

Neuguinea vor rund vierzig Jahren vor

allem in den abgelegenen Urwaldgebie-

ten. In den bewohnten Teilen verfügte

das Land über gute gesundheitliche Ein-

richtungen und über genügend Spitäler.

Ein kleiner Teil der Spitäler wurde von

Missionen geführt, die anderen vom

Staat. Notwendige Medikamente waren

vorhanden. Sie wurden vorwiegend aus

Indien importiert, weil sie dort im Welt-

marktvergleich am günstigsten waren.

Bestehen heute, nach vierzig

Jahren, noch Kontakte ins Einsatzland?

«Ich habe noch Verbindung zu einem

Steyler-Missionar, ab und zu auch mit

einheimischen Klosterfrauen. Und ich

lese hie und da in den Online-Zeitun-

gen.» Und die Situation jetzt? «Die wirt-

schaftliche Lage hat sich verändert.

Es gibt Jugendarbeitslosigkeit. Es

kommt vor, dass die Regierung die Löhne

für das Gesundheitspersonal nicht zah-

len kann. Dann geht das Pflegepersonal

auf die Strasse. Neu in Papua Neuguinea

ist Aids.» Für Entwicklungszusammen-

arbeit im beschriebenen Sinne bestehe

heute in Papua Neuguinea kein Bedarf

mehr, ist Pia Hollenstein überzeugt. «Es

braucht kein Pflegepersonal und auch

keine Landwirte mehr aus Übersee. Doch

Berufsleute mit sehr spezialisiertem

Fachwissen sind nach wie vor gefragt.»

«PAPUA NEUGUINEA WAR PRÄGEND»

«INTERTEAM hat die Hilfe zur

Selbsthilfe verwirklicht. Das ist immer

noch richtig. Es ist wichtig, am Einsatz-

ort zuerst abzuklären, was die Menschen

vor Ort brauchen. Wir sind so auf den

Einsatz vorbereitet worden. Der drei-

jährige Aufenthalt in Papua Neuguinea

war für mich prägend. Ich bin seither

noch stärker sensibilisiert für die Fra-

gen um reich und arm, um Nord und Süd.

Ich kann jetzt auch glaubwürdiger argu-

mentieren. Meine Aussagen sind heute

mit Erfahrungen unterlegt. Ausserdem

habe ich mit dem Einsatz Verständnis

gewonnen für das Andere. Das heisst:

Menschen aus anderen Kulturen sind

für uns wertvoll, sie sind eine Bereiche-

rung», ist Pia Hollenstein überzeugt.

In St. Gallen besteht noch eine

INTERTEAM-Ortsgruppe. Diese hatte

früher eine grössere Bedeutung, weil

sie sich um die Rückkehrer kümmerte.

Das im Einsatzland Erlebte konnte so

weitererzählt und verarbeitet werden.

Heute sind es vor allem ältere Fachleute,

die sich noch treffen. Jüngere Jahrgänge

scheinen diesen Austausch nicht mehr so

zu brauchen. Ausserdem existiert noch

eine Ländergruppe Papua Neuguinea

mit rund zwanzig Mitgliedern, die sich

regelmässig trifft.

Entwicklungszusammenar-

beit und Politik, früher und heute? Was

hat sich verändert? «Mir scheint, dass

Entwicklungshilfe – das ist ja der

politisch geläufige Ausdruck – früher aus

Unkenntnis der Verhältnisse als nicht so

wichtig erachtet wurde. Und heute, wo

die Fakten längst bekannt sind, scheut

man sich nicht, die eigenen Interessen

so hoch zu gewichten, dass Ausbeu-

tung und ungerechte Verhältnisse oder

auch Menschenrechtsverletzungen in

Kauf genommen werden, so zum Bei-

spiel bei der Waffenausfuhr», meint Pia

Hollenstein. Umso mehr ist sie überzeugt,

dass der partnerschaftliche Ansatz von

INTERTEAM – der Austausch von Wissen

auf Augenhöhe – welcher auf Wertschät-

zung und Respekt basiert, wichtiger sei

als je zuvor.

Page 9: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

17 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 18 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

—«Befreiungstheologie, Engage-ment in Solidaritätsgruppen, Diskussionen mit den Schülern und ein stetes Interesse für Südamerika, das waren die Motivationsbausteine.»—

Es ist eine Mischung aus Freude und Dankbarkeit,

wenn sie heute davon erzählen. Therese und Paul

Vettiger-Meister – in Kolumbien waren sie Pablo und

Teresa, was sonst – haben in einem Armenviertel in

der Küstenstadt Montería unter Mithilfe der ein-

heimischen Jugendlichen eine Bibliothek aufgebaut. Heute

ist daraus ein Kulturzentrum geworden. Da finden Lesun-

gen mit lokalen Autoren, Autorinnen statt, da wird Theater

gespielt, Hausaufgaben gemacht, gesungen und getanzt.

Es gibt Frauengruppen, die Kurse veranstalten oder Kunst-

handwerk verkaufen. «Das Zentrum lebt», sagt Therese

Vettiger. Das ist, neben vielen guten Erinnerungen auf

beiden Seiten, ein Werk, das geblieben ist.

Paul Vettiger ist in Baden aufgewachsen, hat Theo-

logie und Philosophie in Paris studiert und war als Religi-

onslehrer in verschiedenen Aargauer Kantonsschulen tätig.

Die Motivation zur Theologie? Hat es einen Auslöser gege-

ben? «Ich war am Kollegi in Einsiedeln», erklärt Paul Vettiger.

«Und dann kam eine Zeit der Öffnung und des Dialogs, vor

allem in Paris, wo ich den Aufbruch mit dem II. Vatikanischen

Konzil und der 68er-Generation erlebte.» Befreiungstheologie,

Engagement in Solidaritätsgruppen, Diskussionen mit den

Schülern und ein stetes Interesse für Südamerika, das waren

die Motivationsbausteine.

Therese Meister stammt aus Biel und arbeitete in

Luzern als Bibliothekarin auf der Zentralbibliothek. «In

Zürich habe ich in einer Arbeitsgruppe Dritte Welt mitge-

macht. Wir arbeiteten an der Uni an einem Projekt für Peru,

wo damals eine linke Militärdiktatur regierte. Diese Arbeit,

mit viel Drittweltlektüre verbunden, motivierte mich für ei-

nen Einsatz in der Entwicklungszusammenarbeit.»

EIN BISCHOF SUCHTE LEUTE FÜR DEN BASISEINSATZ Die ersten Kontakte von Therese und Paul Vettiger lie-

fen über die Schweizerische Missionsgesellschaft Bethlehem,

Immensee (SMB), welche damals mit INTERTEAM zusammen-

arbeitete. Die Immenseer hatten in Kolumbien Kontakt mit

Carlos José Ruiseco, dem Bischof von Montería. Er reiste 1979

nach Europa, suchte Leute für Basiseinsätze in seinem Bistum

und lernte Paul und Therese Vettiger und die beiden Kinder

Andrea und Michael kennen. «Wir erlebten Carlos Ruiseco als

freundlichen, offenen Menschen, aber nicht befreiungstheo-

logisch orientiert», sagt Paul Vettiger. «Wir hatten ein gutes

Gefühl und willigten schnell ein. Mit INTERTEAM bereiteten

wir uns dann in einem dreimonatigen Kurs vor.»

Im Mai 1980 in Kolumbien angekommen, stand

ein zweimonatiger Sprachkurs in Cali bevor. Dann zog die

Familie Vettiger nach Montería, eine Stadt mit rund 500'000

Einwohnern mit einem feuchtwarmen, fast tropischen Klima.

Ausserhalb des Zentrums hatte die Stadt einen dörflichen

Anstrich. Therese Vettiger: «Wir richteten uns im leer ste-

henden Jugendhaus des Bistums ein. Der Bischof holte uns

am Provinzflugplatz persönlich ab und führte uns gleich zu

unserem neuen Zuhause. Es bestand aus einem grossen Zim-

mer und einem kleinen Bad. Kaum betreten, drehte Paul am

Wasserhahn, aber Wasser floss keines. Mit der Zeit gewöhn-

ten wir uns daran, dass es eigentlich nur in der Nachtzeit,

aber auch dann nicht immer, Wasser gab.»

Von der ersten positiven Überraschung berichtet

Paul Vettiger: «Im gleichen Gebäude wohnte die Familie der

Doña Margarita, die dort als alleinerziehende Mutter mit fünf

Kindern lebte. Wir kamen also an mit Koffern, verschwitzt,

ungewaschen. Doch Doña Margarita organisierte für uns ei-

nen Empfang und brachte Essen und Trinken. Wir erhielten

den einzigen Ventilator im Haus. So fühlten wir uns vom ers-

ten Moment an umsorgt und aufgenommen. Der Kontakt mit

dieser Familie ist heute noch intensiv.»

Und dann? Was haben sie gemacht in Montería? «Das

Projekt war nicht so genau definiert. Mit den heute übli-

chen entwicklungstechnischen Ansätzen wäre es nicht ver-

gleichbar», sagt Paul Vettiger. «Am Rande der Stadt gab es

Armenviertel. Da hatten vertriebene Menschen über Nacht

unbewohntes Terrain besetzt und ihre Hütten aufgestellt.

In einem langen Prozess von 10 bis 15 Jahren sind diese aus

Bambus, Brettern und Palmblättern erstellten Behausungen

dann verbessert worden. In solchen Quartieren, Barrios sagt

man ihnen, hat uns der Bischof eingesetzt, ohne zu sagen,

was er erwartete».

«PABLO EL GRINGO» «Wir sind extrem aufgefallen in diesen Barrios»,

erzählt Therese Vettiger. «Wir waren wie Leute von einem an-

deren Planeten. Klar, wir litten unter der Hitze, waren mit

hochroten Köpfen unterwegs, in Gegenden, wo der Abfall vor

sich hin stank.» Kontakte haben sich leicht ergeben, erzählen

die beiden. Sie trafen bald eine Frau, eine Art Leadertyp, im

Sie waren sechs Jahre in Kolumbien. Und haben dort gemeinsam etwas aufgebaut. Therese und Paul Vettiger-Meister sind auch heute, nach 30 Jahren, noch überzeugt: «Es ist sinnvoll in die Ferne aufzubrechen, um mit den Menschen dort gemeinsam an einer Kultur der Menschenwürde und Menschen-rechte zu arbeiten.»

EINE BASIS-GEMEINDE UND DAS

KULTURZENTRUM ALS RESULTAT

− Therese und Paul Vettiger-Meister,

Bibliothekarin/Theologe

Page 10: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

19 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 20 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

− FRÖHLICHES FAMILIENFOTO MIT PAUL UND THERESE VETTIGER (PAUL VORNE LINKS KNIEND; THERESE DRITTE VON RECHTS STEHEND).

− MARIA CAMPO, PRÄSIDENTIN DES ARMENVIERTELS BARRIO SANTA FÉ, UNTERSTÜTZE VETTIGERS WÄHREND IHREM EINSATZ UND VERMITTELTE KONTAKTE ZU EINHEIMISCHEN.

Barrio Santa Fé: Maria Campo. Sie war

Präsidentin des Armenviertels. Sie öff-

nete den Schweizern die ersten Türen.

Was Therese Vettiger registrierte: «Viele

meinten, wir kämen als Missionare zu

ihnen und waren deshalb skeptisch bis

distanziert. Dazu beigetragen hat ver-

mutlich auch der Bart von Pablo.» Pablo

ergänzt: «Ich sah fast aus wie ein Hippie.

Dazu meinten viele, Suiza (Schweiz) liege

etwas nördlich von Kolumbien, in der

Nähe der USA. Und ‘Gringos’ brauchte

man hier nicht.» Gringo ist in Lateiname-

rika immer noch eine leicht abschätzige

Bezeichnung für Yankees. Pablo zeigt mir

den Beweis, eine Gasrechnung, ausge-

stellt auf den Namen ‘Pablo el Gringo’.

Das Kennenlernen, das Mitfüh-

len, das Dabeisein, gehörten zur ersten

Etappe im Prozess eines Basiseinsatzes.

«Diese Beziehungen auf einer menschli-

chen Ebene waren eigentlich das Zentrale

zu Beginn unseres Auftrages», sagt Paul

Vettiger. Dazu trugen auch unsere bei-

den Kinder bei, zu denen sich 1983 ein

drittes, Manuel-José, gesellte.

Therese Vettiger versucht den

sozialen Rahmen zu beschreiben: «Der

Gegensatz zwischen den Besitzlosen

vom Land und den Grundbesitzern in

der Stadt war rundum spürbar. Die Kir-

che war sehr konservativ, von Befrei-

ungstheologie keine Spur. Einzig in den

Armenvierteln spürte man ab und zu

einen politischen Ansatz. In dieser Situ-

ation versuchten wir, mit den Menschen

einen Schritt in Richtung Gemeinschaft

und solidarisches Handeln zu gehen.»

«An der Basis, bei Ordensleuten,

haben wir Ansätze zum politischen Wi-

derstand gespürt. Es gab auch sehr en-

gagierte Nonnen, die auf einen guten Job

am Gymnasium verzichteten und an der

Basis in Armenvierteln wirkten», präzi-

siert Paul Vettiger. Mit der Zeit sei eine

lebendige Basisgemeinde entstanden, mit

Ansätzen aus der Befreiungstheologie.

SEHEN, URTEILEN, HANDELN

Maria Campo hatte einen Sohn,

der als Guerillaführer wirkte. Vettigers

erlebten auch junge Menschen im Pro-

jekt, die sich mit den Guerillas ange-

freundet hatten. «Wir haben das nur

erahnt, nie richtig durchschaut. Plötz-

lich sind Leute verschwunden. Die

Befreiungstheologie hat versucht, die

Leute zu motivieren, ihr Schicksal, ihr

Leben in die eigenen Hände zu neh-

men und für menschenunwürdige Le-

bensbedingungen zu kämpfen. Sehen,

urteilen, handeln, hiess die Devise.»

Therese Vettiger ergänzt hier: «Wir ha-

ben auf dieser Basis angefangen. Das

grosse Jugendhaus bot sich an, im In-

nenhof grosse Versammlungen abzu-

halten. Dort haben wir mit den Leuten

ihre Situation reflektiert und ver-

bindliche Abmachungen getroffen.

Es wurde aber nicht nur geredet, son-

dern auch gespielt, musiziert, gesungen

und getanzt.

Heute gibt es effiziente, wir-

kungsorientierte Projekte. Davon war

damals noch nicht viel zu hören. Wir

mussten zuerst die Bedürfnisse klären.»

Aus den Begegnungen entstand dann die

Frage nach dem Handeln. Was machen

wir jetzt? Nochmals Therese Vettiger:

«Von den jungen Leuten kam sehr bald

die Idee, in den Armenvierteln etwas

Kulturelles auf die Beine zu stellen. Zu

Hause lief von frühmorgens bis spät

am Abend der Fernseher. Das lenkte die

Menschen von ihrer Realität ab. Als

Gegenkultur spielten wir Strassenthea-

ter, das den Leuten ihre Lebensproblema-

tik bewusst machen sollte. Es entstand

das Bedürfnis nach einer Bibliothek. Viele

Kinder hatten keinen ruhigen Ort in ihren

Hütten, um Schulaufgaben zu machen.»

STATT EINER KAPELLE EIN ZENT-RUM FÜR ALLESchon lange forderte die ener-

gische Maria Campo: «Wir brauchen

eine Kapelle, wir sind niemand, wenn

wir keine Kirche haben.» Doch es

kamen Zweifel auf wegen den Kosten;

und was geschieht mit der leerstehen-

den Kapelle, wenn kein Gottesdienst ist?

Darum konzentrierte man sich auf einen

multifunktionalen Raum, geeignet für

Versammlungen, Kurse, Kindergarten,

Partys und eben Gottesdienste. Dieses

Zentrum wurde dann erstellt, beschei-

den auf einem Betonboden mit einem

Palmdach. Es gab verschiedene Gruppen

Paul Vettiger. Der Reichtum konzentrierte sich auf

wenige Grossgrundbesitzer, Juristen, Ärzte, Politiker.

«Ein handfester Unterschied manifestierte sich in der

Wasserversorgung. Während wir in den Barrios kein Wasser

hatten, wurde in den Vierteln der Reichen der Rasen bewäs-

sert oder es wurden Autos gewaschen.»

Was ist vom Engagement geblieben? Paul Vettiger:

«Es entstand eine Basisgemeinde, eingebettet in den grossen

Strom engagierter Glaubensgemeinschaften in ganz Latein-

amerika. Ähnliches hörten wir auch von anderen Einsatzgrup-

pen, beispielsweise von der SMB oder von den Franziskanern.

Die Leader dieser Gruppen trafen sich in regionalen Treffen

zum Austausch und zur Weiterbildung. Die Franziskaner hat-

ten manchmal einen radikaleren Ansatz. Die an Treffen mitei-

nander skandierte Revolutionsparole klingt mir immer noch

in den Ohren: Un pueblo unido jamás será vencido! (Ein

geeintes Volk wird nie besiegt!). Der Wunsch des einfachen

Volkes nach Befreiung von menschenunwürdigen Bedingun-

gen war in jenen Jahren in Kolumbien breiter und stärker

geworden, wie ganz generell in Südamerika. Wir konnten

dazu kleine Impulse geben, Wege aufzeigen. Aber die Verän-

derung, den sogenannten ’cambio’ realisieren, musste das Volk

selber», meint Paul Vettiger.

Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz haben Paul und

Therese Vettiger von 1985 bis 1996 für INTERTEAM gearbei-

tet. Sie haben die Kursleitung weitergeführt und den neuen An-

sprüchen angepasst. «Wir haben begeisterte Leute rekrutiert

und sie in einem vierwöchigen Ausreisekurs auf ihren Einsatz

vorbereitet.» In der gleichen Zeit wirkten beide als Länder-

verantwortliche. Therese für Nicaragua und El Salvador, Paul

für viele Länder in Lateinamerika und im südlichen Afrika.

Für beide war INTERTEAM ein Teil ihres Lebens; und auch

heute noch fühlen sie sich der Organisation stark verbunden.

mit bestimmten Aufgaben, zum Beispiel

eine Pastoralgruppe oder eine Biblio-

theksgruppe. «Es gab auch viele Frauen,

die sich treffen wollten», sagt Therese

Vettiger. «Sie waren oft alleine für die Fa-

milie verantwortlich und wollten ihrem

Leben noch einen anderen Sinn geben.

Viele Männer verschwanden einfach, gin-

gen zu einer neuen Frau. Das war nichts

Aussergewöhnliches. Die Frauen ver-

richteten derweil in der Stadt schlecht

bezahlte Hausarbeiten.» Es sei schwie-

rig gewesen, mit diesen Frauen irgend-

eine Projektidee zu finden. Schliesslich

hätten sich die Frauen auf gesundheit-

liche Einsätze und Nachbarschaftshilfe

konzentriert.

Wie gross war der An-

teil der armen Bevölkerung?

«Sicher um die neunzig Prozent», erklärt

—«Die Revolutionspa-role klingt mir immer noch in den Ohren: Un pueblo unido jamás será vencido! (Ein geeintes Volk wird nie besiegt!)»—

—«Sehen, urteilen, handeln hiess die Devise.»—

Page 11: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

21 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 22 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

− IN CUSCO KÜMMERTE SICH MAX UND MERCEDES ELMIGER UM DIE LASTEN-TRÄGER UND ORGANISIERTEN WEITERBILDUNGSANGEBOTE. DABEI LAG DIE GROSSE HERAUSFORDERUNG IN DER SPRACHE; MEHRHEITLICH VERSTÄN-DIGTEN SICH DIE LASTENTRÄGER NOCH IMMER MITTELS 'QUECHUA', DER SPRACHE DER INKAS. (AUCH SEITE 26 RECHTS)

Das professionelle Umfeld ist spürbar, wenn Max Elmiger (57) über Entwick-lungszusammenarbeit spricht. Der Theologe war neun Jahre in Peru, ist heute Direktor der Caritas Zürich und Präsident von INTERTEAM. Wenn er erzählt, ergibt sich ein Bild mit Konturen. Und er bemüht sich deutlich, die Unterschiede von heutiger Entwicklungszusammenarbeit zur einstigen Hilfe mit religiös- missionarischer Ausrichtung zu beschreiben.

Ich verkörpere eigentlich die Entwicklung von der

Missionsgeschichte zur Entwicklungszusammenarbeit.

Ich habe 1989 in Peru als Priester missionarische Präsenz

geleistet. Es gab einen Doppelvertrag mit der Schweize-

rischen Missionsgesellschaft Bethlehem (SMB) und mit

INTERTEAM. Die Ablösung von der klassischen Missionsar-

beit war damals schon voll im Gange.»

Der Impuls zur Theologie, wo kam der her? «Ich bin

in einem katholischen Haus aufgewachsen, habe in St. Gallen

eine katholische Sekundarschule besucht. Und ich wollte den

Menschen helfen, hatte eine Vorstellung von Engagement.

Dann kam das Studium in Fribourg; die Befreiungstheologie

hat mich motiviert. Ich wusste, dass ich nach Peru wollte, wo

die Befreiungstheologie ihre Anfänge hatte.» Die ersten fünf

Jahre nach dem Studium wirkte Max Elmiger als Priester in

Flawil. Dann war für ihn kein Halten mehr. Er reiste nach Peru

und erlebte von 1989 bis 1991 aus nächster Nähe Bedrohung

und Gewalt durch die Rebellen des ’Sendero Luminoso’. «Die

kirchlichen Vertretungen waren die einzigen, die in den roten

Zonen geblieben sind. Die Vertreter der Hilfswerke und der

NGO’s reisten ab. Wir hatten, auch dank internationalen Ver-

bindungen, einen gewissen Schutz. Und wir bedeuteten auch

Schutz für die Bevölkerung. Diese Zeit hat mich sehr geprägt.»

EIN GEWISSER RESPEKT VOR DER BEDROHUNG In den ersten drei Jahren leitete Max Elmiger eine

Pfarrei. Die administrative und finanzielle Seite seines Ein-

satzes lief über INTERTEAM, die inhaltliche Ausrichtung

bestimmte die SMB. Gab es nie Zweifel angesichts der bedroh-

lichen Lage? «Eine gewisse Angst, ein Respekt war schon da»,

sagt Max Elmiger heute. «Aber ich hatte nie den Eindruck, am

falschen Ort zu sein. Wir hatten einen anerkannten Auftrag.

Ein Weisser, der damals in Peru weilte, war entweder Ingeni-

eur, selten ein Tourist oder beim kirchlichen Personal.»

In den INTERTEAM-Aufzeichnungen heisst es: «Max

Elmiger mit Frau Mercedes Elmiger-Bernal in Peru». Darum

meine Frage: Ein verheirateter Priester im Missionseinsatz?

«Ja, das kann man so sehen», sagt Max Elmiger. «Meine Frau

Mercedes ist Peruanerin. Ich habe sie im RomeroHaus in

Luzern kennengelernt. Sie betreute hier die Kinder der Leute

im Ausreisekurs und reiste unabhängig von mir ebenfalls

nach Peru.» Nach drei Jahren haben die beiden geheiratet und

erhielten einen neuen Vertrag. Max Elmiger wurde vom Pries-

teramt dispensiert.

IM HAUS DER LASTENTRÄGERMax und Mercedes Elmiger-Bernal leiteten von 1991

bis 1994 zusammen das sogenannte Haus der Lastenträger,

eine Herberge für ’Kulis’ in Cusco, der alten Inka-Hauptstadt

in den Anden von Peru. Ihre Aufgabe war die Organisation von

Weiterbildungsangeboten für die Lastenträger, die als Verdie-

nende für die Unterkunft bezahlten. «Der Nachteil der Lasten-

träger war die Sprache. Sie redeten das ’Quechua’, die Sprache

der Inkas, und in der Stadt sprach man spanisch. Ab und zu

wurde auch ihr Alkoholkonsum zum Problem, ihre Gesund-

heit war nicht optimal. Der Altersunterschied unter diesen

Leuten war enorm: Es gab alles von den sechsjährigen Buben

bis zu den 60jährigen Männern.» Mercedes Bernal hatte ihre

Aufgaben: Schulbildung, Aufgabenbetreuung, Weiterbildung,

Gesundheitsfragen und etwas Lebenshilfe. «Wir sorgten auch

dafür, dass die Kinder in die staatlichen Schulen gingen.»

Nach Cusco leistete das Ehepaar bis 1998 einen

weiteren Einsatz in Puno am Titicacasee. Das war nach der

Gewaltwelle und den Zerstörungen durch die Guerilla. Es

galt zuerst, die dörflichen Strukturen wieder aufzubauen.

Max Elmiger: «Wir waren als Mitglieder der Pfarrei unver-

dächtig, um dieses Engagement zu leisten. Wieder wirkte die

Befreiungstheologie hinein. Es ging um Gesundheit, Erziehung,

Ackerbau, um die Verbesserung der Schafzucht. Mercedes en-

gagierte sich bei Frauengruppen. Das war eine Form des Über-

gangs von der Mission in die Entwicklungszusammenarbeit.»

Max Elmiger skizziert den Unterschied in der Projek-

tarbeit. «Wer im kirchlichen Auftrag pastoral oder im Sinne

der Befreiungstheologie tätig war, hatte einen Doppelvertrag

mit INTERTEAM und der SMB.» Berufsleute ohne pastorale

Aufgaben hingegen hatten für ihren Einsatz lediglich einen

INTERTEAM-Vertrag erhalten.

«WIR STEHEN HEUTE AN EINEM ANDERN ORT»− Max Elmiger, Theologe, und Präsident INTERTEAM

Page 12: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

23 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 24 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

− DER ZWEITE EINSATZ VON MAX ELMIGER LEISTETE ER UND SEINE FRAU NACH DER GEWALTWELLE UND DEN ZERSTÖRUNGEN DURCH DIE GUERILLA IN PUNA

AM TITICACASEE. DAS BILD ZEIGT MAX ELMIGER 1997 AUF 4300 M.Ü.M.

WISSENSTRANSFER STATT FACHARBEITWährend den ersten zwanzig

Jahren waren auch für INTERTEAM

grossmehrheitlich Ortskirchen die

Partnerorganisationen. «Die Schweize-

rische Missionsgesellschaft Bethlehem

war prägend bei der Gründung von

INTERTEAM. Es ging um den Einsatz der

Laienhelfer, den die SMB als wichtig ein-

stufte: Handwerker, Krankenschwestern,

Druckereiarbeiter, Lehrkräfte. Heute ste-

hen wir an einem andern Ort. Die Fach-

kräfte sind in den Entwicklungsländern

grösstenteils vorhanden. Wir können den

Wissensaustausch gestalten. Beispiels-

weise soll heute eine Sozialarbeiterin

nicht mehr operativ in der Sozialarbeit

wirken, aber sie kann Sozialarbeiterinnen

ausbilden. Oder sie macht ein Konzept

für ein Frauenhaus; die Fachleute en-

gagieren sich mehr in der Entwicklung

der Organisationen», meint Max Elmiger.

Wie ist denn heute die Situation

im Gesundheitsbereich? Gibt es zum Bei-

spiel genügend Krankenpflegerinnen in

einem afrikanischen Entwicklungsland?

Max Elmiger: «Ich meine schon. Das Pro-

blem ist häufig die Verteilung, weil die

meisten in Städten arbeiten wollen. Wir

sollten nicht von hier aus solche Lücken

schliessen. Die Aufgabe muss auf der

politischen Ebene im Land angepackt

werden. Das ist Innenpolitik. Wir können

höchstens mithelfen, die Arbeitsbedin-

gungen auf dem Land zu verbessern.»

KURSLEITUNG BEI INTERTEAMWie lief in Ihrer Erinnerung die

Zusammenarbeit zwischen der Missi-

onsgesellschaft Bethlehem und INTER-

TEAM? Max Elmiger: «Für mich war es

immer eine Bereicherung, wenn Know-

how aus verschiedenen Erfahrungen

zusammen kam.» Elmiger erwähnt das

pädagogische und spezialisierte Wis-

sen bei INTERTEAM, die professionelle

Vorbereitung der Einsätze. Von 1998 bis

2005 oblag ihm die Rekrutierung und

Vorbereitung der Fachleute. «Die Infor-

mationsanlässe, die Auswahl der Fach-

leute, die Eignungstests, Gespräche und

Abklärungen. Dazu kamen die Ausreise-

kurse. Diese dauerten damals noch zwei

Monate. Heute müssen vier Wochen

reichen, wobei der Ablauf intensiver,

konzentrierter geworden ist. Schliess-

lich gehörte auch die Begleitung nach der

Rückkehr zu meinen Aufgaben.»

Max Elmiger bezeichnet diese

Zeit im Rückblick als aussergewöhnlich

befriedigend. «Es entstanden gute, lang-

jährige Beziehungen. Und es kommen

veränderte Menschen zurück, mit Erfah-

rungen, die sie nicht missen möchten. Es

entsteht eine Art Netz, das verbindet.»

BMI und INTERTEAM stän-

den in einer Mutter-Tochter-Beziehung,

erklärt Elmiger. Irgendeinmal habe sich

INTERTEAM emanzipiert, ein eigenes

Produkt geschaffen. «Wir haben den

Schritt vom Missionsauftrag zur Ent-

wicklungszusammenarbeit gemacht. Es

war eine Ablösung.» Laut Elmiger steckt

heute die BMI ebenfalls in einem Pro-

zess der Emanzipation von der Kirche.

Viele ihrer heutigen Einsätze glichen

dem INTERTEAM-Engagement. Max

Elmiger betont, dass INTERTEAM-Fach-

leute zur Zeit seines Einsatzes in Peru

noch kein Fundraising betreiben muss-

ten. Die DEZA finanzierte den Aufwand.

«Heute sind diese Beiträge weit gerin-

ger. Schon länger ist auch INTERTEAM

gezwungen, Fundraising zu betreiben.

Irgendwann werden die BMI und

INTERTEAM zusammenspannen»,

glaubt Elmiger. «Es macht wenig Sinn,

für die gleichen Aufgaben zwei Buchhal-

ter und zwei Versicherungsspezialisten

anzustellen.»

ZURÜCK IN DIE SCHWEIZElmigers lebten in Peru auf dem

Land. Die Einschulung der beiden Kin-

der (Gabriela 22, Dominik 19) wäre dort

mit Schwierigkeiten verbunden gewe-

sen. «INTERTEAM bot mir die Stelle als

Kursleiter an. Das war für mich mit den

Peru-Erfahrungen ein Traumjob.» Nach

ein paar Jahren kam dann der Wunsch

nach einer Veränderung. Seit 2005 ist

Max Elmiger Direktor der Caritas

Zürich. Und 2008 hat er auf Anfrage

das Präsidium von INTERTEAM über-

nommen. «Drei Jahre nach dem be-

ruflichen Wechsel war es der richtige

Zeitpunkt. Es wäre nicht optimal ge-

wesen, von der operativen gleich in die

strategische Ebene des Unternehmens

zu wechseln. Ich betrachte mich etwas

als ’Übergangspapst’, ohne romantisie-

renden Rückblick. INTERTEAM ist heute

gut ausgerichtet. Unsere Motivation für

Einsätze ist die Richtige. Und wir kön-

nen die Leute damit animieren und auf

ihren Job vorbereiten. Im Unterschied

zu früher ist dies nicht mehr spirituell-

religiös begründet, sondern fachspezi-

fisch und entwicklungspolitisch. Das ist

weder besser noch schlechter, aber in der

heutigen Realität das Richtige.»

Wie setzen Sie heute die

Gewichte bei INTERTEAM? «Die Fi-

nanzierung wird nicht einfacher. Die

DEZA-Gelder gehen zurück. Und unser

’Produkt’ wirkt auf dem Markt recht kom-

pliziert. Das Gegenbeispiel ist World-

Vision. Es gibt ein armes Kind, ich gebe

zehn Franken, das Kind bekommt das Geld.

INTERTEAM hingegen sucht eine Fach-

frau oder einen Fachmann, die während

drei Jahren eine Partnerorganisation un-

terstützen, die hilfsbedürftigen Men-

schen einen Fortschritt ermöglicht.

Irgendeinmal kommt daraus etwas zu-

rück. Die Vermittlung dieses Ansatzes

ist viel schwieriger. Dazu kommt, dass

viele lieber direkt für ein Drittweltland

spenden als für eine Institution in der

Schweiz. Will ich spenden, damit ein

Schweizer in einem andern Land etwas

aufbauen kann? Das ist die Frage, und

unsere Antwort darauf erscheint auf den

ersten Blick kompliziert. Dafür ist un-

sere Arbeit sehr nachhaltig und wird

Bestand haben, davon bin ich überzeugt.»—«Es entstanden gute, langjährige Beziehungen. Und es kommen veränderte Menschen zurück, mit Erfahrungen, die sie nicht missen möchten.»—

Page 13: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

25 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 26 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

− DANK BENI AFFOLTER UND SEINEN INTERTEAM-FACHLEUTEN KONNTE IN

KATUTURA, EINER VORSTADT VON WINDHOEK, DIE KINDERGARTENBE-TREUUNG MASSIV VERBESSERT WERDEN: DANK SOLARKOCHERN ERHALTEN

DIE KINDER NUN WARME MITTAGSSPEISEN.

Gab es beim Entscheid für

die Entwicklungshilfe einen

besonderen Impuls, frage

ich Beni Affolter zu Beginn

unseres Gesprächs? «Entwick-

lungszusammenarbeit war für mich

immer ein guter Ansatz. Das begann

schon im Studium, als Leute von der

DEZA für Referate in die Uni kamen.»

Eine andere Erinnerung kommt aus der

Jungwachtzeit. «Es gab damals eine

Blauring-Scharleiterin, die für die Ent-

wicklungshilfe nach La Réunion ging.

Nach ihrer Rückkehr erzählte sie von

ihren Erlebnissen. Das machte mir

Eindruck.»

Nach dem Studium – Beni

Affolter war bereits über 30 – wirkte

er während zehn Jahren als Lehrer für

Englisch und Geografie am Wirtschafts-

gymnasium in Biel. «Ich hatte den

Einstieg etwas verpasst. Ich wusste,

dass mir in diesem Alter für die Ent-

wicklungshilfe die Erfahrung fehlte.»

Über das IKRK fand er dann doch noch

den Weg. Als Delegierter macht er seine

ersten Erfahrungen in diesem Bereich

im Ausland. Aus dem humanitären Ein-

satz im Süd-Sudan und in Pakistan ging

es in die Entwicklungszusammenarbeit.

Das alles geschah vor rund 20 Jahren.

DEZA UND INTERTEAM – GROSSE UNTERSCHIEDE Beni Affolter versuchte bei der

DEZA eine Funktion im Ausland zu er-

halten, was aber nicht gelang. «Schliess-

lich sah ich die Ausschreibung von

INTERTEAM für die Stelle als Koordina-

tor in Namibia, fast ein Zufall irgendwie.»

Etwas Überwindung kostete der grosse

Unterschied der finanziellen Aussichten

bei der DEZA und bei INTERTEAM. Die

Gesamtleistungen betragen etwa 5 zu

1. Kostet ein INTERTEAM-Einsatz pro

Jahr und Person etwa 50’000 Franken,

sind dies bei der DEZA wahrscheinlich

mehr als 250’000 Franken.

Zehn Jahre Schule, 15 Jahre Ent-

wicklungshilfe, zehn Jahre Schule – das

ist der berufliche Weg von Beni Affolter

bis heute. Und er möchte ihn rückbli-

ckend nicht anders haben. «Bei der DEZA

hätte ich heute ohnehin nichts mehr

verloren. Was ich da von weither höre,

tönt sehr ernüchternd.» Wie muss ich

dies verstehen? «Es wird kontrolliert,

der konzeptionelle Überbau ist grösser

geworden, und die Rechte im Bun-

desparlament will überall mitreden,

sagen, wohin das Geld fliessen soll. Früher

war unbestritten, dass es in die ärmsten

Regionen der Welt gehört, heute domi-

nieren u.a. die wirtschaftlichen Interes-

sen der Schweiz.»

EINE «AKADEMISIE-RUNG» IST SPÜRBAR

Auch der personelle Einsatz

habe sich gewandelt, meint Affolter:

«Früher wirkten unsere Leute an der

Basis, beim Volk; heute sind in der

Entwicklungszusammenarbeit oft

‘Schreibtischtäter’ am Werk. Von die-

sem Umbau ist auch INTERTEAM nicht

ganz ausgeschlossen. Früher waren mehr

Handwerker, Berufsleute am Werk, die

mit ihrem Know-how an Ort und Stelle

überzeugende Arbeit leisteten. Sie sind

heute kaum mehr gefragt, weil INTER-

TEAM und Partnerorganisationen andere

Anforderungen haben. Diese Entwick-

lung hat ihre Schattenseiten.»

Beni Affolter liefert hierzu

gleich ein Beispiel: «Wir hatten

einen Mechaniker aus der Schweiz

im Einsatz, ohne grosse Zusatzaus-

bildung aber mit einer sehr guten

Arbeitseinstellung. Sein Partner in

− Beni Affolter, Lehrer

«ICH HABE ALLES GEMACHT

IN NAMIBIA: MAKLER, CHAUFFEUR,

BUCHHALTER, JOURNALIST»

Beni Affolter (59), ein Berner, wirkt motivierend. Sein Auftritt, seine Argumente sind überzeugend. Man macht mit, wenn er etwas gut und richtig findet. Der Entwicklungshelfer, wie ich ihn mir vorstelle.

—«Die Leute von INTERTEAM erbringen mit ihrem Einsatz den Tatbeweis für partnerschaftliche Entwicklungszusammenarbeit.»—

Page 14: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

27 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 28 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

− DAS VERTRAUEN DER SCHWARZEN BEVÖLKERUNG IN DIE ARBEIT VON INTERTEAM IST MIT BENI AFFOLTER ALS KOORDINATOR STARK GESTIEGEN. EXEMPLARISCH HIERFÜR IST DIE CHECKÜBERGABE DER NAMDEB DIAMOND CORPORATION AN DAS SOLARPROJEKT MIT DER FACHPERSON ANNETTE OERTIG.

− BENI AFFOLTER BEIM BESUCH DER ’BUNYA COMBINED SCHOOL’ IN DER KAVANGO-REGION IM JAHR 2000.

—«Weisse wie Schwarze haben dort begriffen, was INTERTEAM macht. Es gab eine Vertrauensebene. Die Gesprächskultur war gut.»—

Und der Alltag? Was macht ein Koordinator? «Zentral

war die Unterstützung der Fachkräfte am Einsatzort, persön-

lich, am Telefon oder später via Internet.» Zugenommen hätten

in diesen Jahren die Monitoringsitzungen mit den Partneror-

ganisationen, sagt Affolter, weil INTERTEAM ein Gesamtpro-

gramm für das Land vorgegeben habe. Das eigentliche Ziel,

den Transfer von Know-how zu den Einheimischen herzustel-

len, sei nicht immer einfach gewesen.

Waren auch Frauen in die Projekte eingebunden?

«Sicher», sagt Beni Affolter. Entscheidend waren die Verträge

mit INTERTEAM. In einer Familie leistete die Frau den Ein-

satz als Lehrerin, ihr Mann war Hausmann. Mehrere Frauen

waren Vertragspartner, oder auch ganze Familien, wenn beide

in der Entwicklungszusammenarbeit mitwirkten.

Wie lief generell die Entwicklungszusammenarbeit

in diesem afrikanischen Land, in einem Kontinent, wo poli-

tische Unsicherheit zum Alltag gehört? Beni Affolter erzählt

von Unruhen im Jahre 1999, von einer Art Aufstand einer

Gruppe im Nordosten des Landes gegen die Zentralregierung

von Namibia. Diese Region sei nachher sehr unsicher gewor-

den. «Gleichzeitig gab es Probleme im Nachbarstaat Angola.

Die Namibische Regierung erlaubte den Angolanern, auf na-

mibischem Terrain Truppen zu verschieben, weil dort bessere

Strassenverhältnisse bestanden. Dies führte zu Übergriffen,

Raubzügen von angolanischen Rebellen und schliesslich zum

Abzug von sozusagen allen Entwicklungsorganisationen in

dieser Gegend bis auf INTERTEAM. INTERTEAM entschied

sich zusammen mit den Fachleuten, auf den Missionsstati-

onen in der Region zu bleiben. Noch Jahre später lobte der

Regierungschef der Region Kavango dieses Verhalten», meint

Beni Affolter stolz.

NEUORIENTIERUNG NACH DER RÜCKKEHR2003 beendete Beni Affolter seinen Einsatz in

Namibia. «Leider fand ich keine Anstellung mehr in der DEZA,

sie wollte mich nicht mehr. Ich kann das eigentlich immer

noch nicht verstehen. Meine Erfahrungen wären für die DEZA

wichtig gewesen. Der neue Verantwortliche für NGOs z.B. ging

damals – einmal positiv ausgedrückt – sehr unbelastet ans

Werk.»

So kam Beni Affolter zurück in die Schweiz. Kurze

Zeit gab es Gedanken, als Privatperson nach Namibia zurück-

zukehren, vielleicht dort etwas Eigenes aufzubauen, in Ver-

bindung mit dem Tourismus. «Wer nach Namibia reist, geht

meist wegen der Landschaft, wegen den Tieren und Pflan-

zen. Ich konnte damals kurzfristig eine Studiosus-Reise lei-

ten und führte die Leute auch in unsere Einsatzprojekte. Das

hat den Gästen sehr gefallen. Sie sahen einmal etwas Ande-

res.» Nach fünf Tagen zurück in der Schweiz kam der Anruf

eines Prorektors vom Gymnasium, der Beni Affolter anfragte,

ob er eine Stellvertretung übernehmen könne. Das war dann

der Weg zurück in den Schuldienst.

FÜNF JAHRE SIND GENUGBeni Affolter ist heute überzeugt, dass ein Einsatz von

fünf Jahren an der oberen Grenze liegt. Mehr könne schwie-

rig werden. Auch mit Erinnerungen an Einsatzleistende von

INTERTEAM. «Sie kamen sehr motiviert an ihren Einsatzort,

wollten die Welt verändern. Nach fünf bis sechs Monaten

wollten fast alle wieder nach Hause, weil sie genau auf diese

Welt gekommen sind. Die Zustände können anders sein, als

vorher auf dem Papier beschrieben.»

Affolter betont: «Die Funktion des Koordinators ist

enorm anspruchsvoll. Du bist im Sandwich zwischen den Ein-

satzleistenden und den Ansprüchen von INTERTEAM Luzern.

Und letztlich geht es fast immer ums Geld. Idealismus allein

genügt nicht mehr. Jemand muss sich einen Entwicklungs-

hilfeeinsatz sozusagen leisten können. Trotzdem: der Ansatz

von INTERTEAM ist immer noch richtig. In Zusammenar-

beit mit einheimischen Menschen übergeben wir Know-how,

zum Beispiel auch in der Landwirtschaft. Es ist nicht einfach,

eine von einem Weissen aufgegebene Farm einem Schwar-

zen zu übergeben. Der Schwarze muss zuerst lernen, wie er

diesen Betrieb wirtschaftlich führen soll. Doch der notwen-

dige Know-how-Transfer ist keine Einbahnstrasse, denn alle

Einsatzleistenden sagen immer wieder, dass sie viel mehr

bekommen haben, als sie gegeben hätten!»

Namibia hatte eine wesentlich breitere Ausbildung, studierte in

England und Kanada, hatte akademische Titel und Erfah-

rungen bei Auslandeinsätzen. Die Wochenbilanz ihrer Arbeit

entsprach jedoch in keiner Weise diesen Voraussetzungen.

Der Einheimische erreichte kaum auch nur annähernd so viel

wie die Schweizer Fachperson.»

Beni Affolter formuliert es so: «Meine fünfjährige Pra-

xis als Koordinator in Namibia hat es gezeigt: Die Leute von

INTERTEAM erbringen mit ihrem Einsatz den Tatbeweis für

partnerschaftliche Entwicklungszusammenarbeit.» Affolter

spricht mit Freude von einer guten Zeit, von eindrücklichen

Begegnungen. «Ich hatte Kontakte zum Premierminister bis

hinunter zu den Menschen in den Hilfsprojekten, oder zu von

Aids betroffenen Frauen. Die Aufgabe war polyvalent. Ich

habe alles gemacht. Vom Chauffeur zum Makler, zum Buch-

halter, Journalisten und Fotografen, selbst politische Aufga-

ben nahm ich wahr.»

NAMIBIA WAR SÜDWESTAFRIKA Als Beni Affolter 1998 in Namibia die Arbeit auf-

nahm, unterhielt INTERTEAM zwischen fünf und sieben

Projekte mit rund zwanzig Mitarbeitern und Mitarbeite-

rinnen. Wie hat INTERTEAM in Namibia gewirkt? «Meine

Hauptaufgabe bestand darin, ein Landesprogramm zu

entwickeln und umzusetzen. Nach relativ kurzer Zeit konzen-

trierten wir uns auf vier Bereiche: Auf die Weiterbildung von

Lehrkräften, die Ausbildung von Handwerkern, die adminis-

trative Führung von Gesundheitseinrichtungen wie Spitälern

und Kliniken und parallel dazu die Einführung des Compu-

ters. Und schliesslich engagierten wir uns in HIV-Informati-

onskampagnen. Als wir 1998 in Namibia ankamen, war das

Wort Aids kaum im Sprachgebrauch. Doch die Krankheit war

zu diesem Zeitpunkt am Explodieren. Jedes Mal, wenn ich

Missionsstationen besuchte, war der Friedhof wieder um un-

zählige Gräber grösser geworden. Die ’Catholic Aids-Action’,

am Anfang bestehend aus drei Personen, war eine hilfreiche

Einrichtung. Chefin war eine deutsche Ordensfrau und Ärz-

tin, Projektleiterin eine amerikanische Sozialarbeiterin. Die

Kirche konnte dank ihren Strukturen bis in entlegenste Ge-

genden Informationen und Hilfe bringen.» Fünf Jahre spä-

ter wirkten um die 300 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im

ganzen Land, mehrheitlich einheimische Fachkräfte. Zu die-

sen Fachkräften gehörte auch seine Frau Renate Affolter, die

während drei Jahren in einem 50%-Einsatz mitwirkte. Renate

war froh, ihr Umfeld mit Kindern und Haushalt auf sinnvolle

Weise ergänzen zu können.

Der Bildungsbereich war wichtig, weil die meisten

Lehrer und Lehrerinnen ungenügend ausgebildet waren. Nach

dem Schritt in die Unabhängigkeit im Jahre 1990 wurden die

Schulen sofort für alle zugänglich gemacht. Doch es gab viel

zu wenig ausgebildete einheimische Lehrkräfte. So wurden

Maturanden in die Schulklassen gestellt. INTERTEAM machte

es sich dann zur Aufgabe, diese jungen Leute berufsbeglei-

tend weiterzubilden, vorwiegend in der Region Kavango im

Norden des Landes. «Wir konnten von der Infrastruktur in

den von deutschen Priestern aufgebauten Missionsstationen

profitieren, was die Arbeit für eine Familie aus der Schweiz

etwas vereinfacht hat.»

Wie war der Aufenthalt in Namibia, das Leben, der

Alltag? Im Sommer 1998, zwei Monate vor dem Stellenantritt

als Koordinator in Namibia, wurde Beni Affolter auf einer

Dienstreise mit der damaligen Projektverantwortlichen von

INTERTEAM in Luzern, von Lilian Studer, in seine künftige

Aufgabe eingeführt. Zum Auftrag gehörte dabei auch die Su-

che nach einem Haus als Wirkungs- und Wohnort für die

INTERTEAM-Koordination. Schliesslich wurde ein Haus ge-

kauft. Dort zog die Familie Affolter - Beni, Renate mit den Söh-

nen Christian und Martin - im Oktober 1998 ein.

AUF DIE MISSIONSSTATIONEN KONZENTRIERTWie startete die Arbeit im Team, in den Projekten?

Beni Affolter: «Wir haben uns am Anfang stark auf die Struk-

turen der katholischen Kirche, auf die Missionsstationen

konzentriert. Ich fand das sinnvoll. Weisse wie Schwarze

haben dort begriffen, was INTERTEAM macht. Es gab eine

Vertrauensebene. Die Gesprächskultur war gut.» Ergänzend

hält Affolter hier fest, dass jeder und jede neue INTERTEAM-

Einsatzleistende von den Einheimischen genau beobachtet

worden sei. «Das war immer eine Herausforderung für beide

Seiten.»

Page 15: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

29 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 30 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

− "YVONNE VÁSQUEZ WÄHREND IHREM EINSATZ IN NICARAGUA, 2002 BIS 2008.

—«Das Leben in Nicaragua hat mich verändert, mein Bewusstsein für den Umgang mit dieser Welt geschärft…»—

Wenn Yvonne Vàsques (46) überzeugt ist von einem Plan, wird sie alles daran setzen, ihn zu verwirklichen. Diese Einschätzung beruht auf der Art und Weise, wie sie den Einsatz in Nicaragua, ihr persönliches und berufliches Handeln beschreibt. «Das Leben in Nicaragua hat mich verändert, mein Bewusstsein für den Umgang mit dieser Welt geschärft», ist sie überzeugt.

Das Curriculum mit dem beruflichen Wechsel vom

Marketing zum Fairtrade-Engagement brachte mich

auf die Frage: Was bestimmt Ihr Wirken? Worin liegt

der Sinn des Lebens für Sie? Yvonne Vásquez muss

nicht lange überlegen. «Ich möchte zur Gerechtigkeit

beitragen, auch im kleinen Umfeld.» Das habe schon im Kin-

dergarten angefangen, wo sie auf ihre Gspänli achtgegeben

hat, weiss sie noch. Als weiteren Grund sieht sie die lange

Tätigkeit ihrer Grossmutter in Afrika in Hilfsprojekten. «Sie

hat auf privater Basis Heime unterstützt. Auch ich wollte

mitgehen. Aber man konnte mich dort nicht gebrauchen.»

Yvonne Vásquez – damals hiess sie noch Maltry – arbeitete

nach der kaufmännischen Lehre im Verkauf und war später

Projektleiterin im Zentrum für Unternehmensführung in

Thalwil. In der Entwicklungszusammenarbeit in Nicaragua

wirkte sie als Beraterin und Ausbildnerin in der Organi-

sationsentwicklung. Sie hatte einen Doppelvertrag mit

INTERTEAM und zwei lokalen Unternehmen für Naturmedi-

zin und für Bio-Kaffee. Heute ist sie Geschäftsleitungsmit-

glied und Verantwortliche für den Handel mit Schokolade

und Kakao in der Pronatec AG in Winterthur («Der Profi in

Sachen Bio und Fairtrade», wie sich das Unternehmen selber

beschreibt). Die Pronatec liefert Schokolade in die USA, nach

Kanada, Japan, ganz Europa und in kleineren Mengen in asi-

atische Länder.

DIE BERUFLICHE WENDE Ein eher zufälliges Zusammentreffen mit INTERTEAM-

Geschäftsleiter Erik Keller brachte die Wende vom Marke-

ting zur Entwicklungszusammenarbeit. «Wir sprachen über

einen möglichen Einsatz im Ausland. Zusammen mit meinem

damaligen Partner bewarben wir uns für Nicaragua. Neben

dem Gedanken an Hilfe und Know-how-Vermittlung gab es

auch den Wunsch nach einer Horizon-

terweiterung. Der Aspekt der persönli-

chen Veränderung war also mit dabei.

Und ich wollte weg vom Marketing, von

meiner bisherigen Tätigkeit», erzählt

Yvonne Vásquez.

Was war ihr Auftrag in Nicaragua?

Yvonne Vásquez: «Ich sollte in Esteli das

Marketing von lokalen Organisationen

unterstützen, die naturmedizinische

Produkte herstellten, zum Beispiel Tee,

Hustensäfte, Salben. Weil diese Produkte

aber fehlten oder nur in geringen Mengen vorhanden waren,

konnte ich anfänglich nicht viel ausrichten. In der Folge ver-

lagerte ich meine Arbeit auf die Organisation der Abläufe,

die Beschaffung und den Transport der Produkte. Hinter dem

Projekt, das mehrheitlich von Frauen geführt wird, stand eine

NGO. Auf einer Finca (Bauernbetrieb) wurden die Pflanzen

angebaut, in einem dazugehörigen Labor Tee hergestellt und

in der hauseigenen Druckerei ein Magazin für natürliche Heil-

mittel produziert. Die ganze Organisation mit ausgebildeten

Fachkräften funktioniert ohne externe Gelder und steht auf

eigenen Beinen, was in Nicaragua sehr selten ist.»

«MEINE HEUTIGE STELLE HÄTTE ICH OHNE DIE NICARAGUA-ERFAHRUNG NIE BEKOMMEN.»− Yvonne Vásquez, Marketingfachfrau

Page 16: Jubiläumsausgabe DER AUSTAUSCH

31 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe 32 — DER AUSTAUSCH Jubiläumsausgabe

− DANK DER UNTERSTÜTZUNG UND BERATUNG DURCH INTERTEAM KÖNNEN BÄUERINNEN IHRE BIOPRODUKTE NUN ERFOLGREICHER AUF DEM LOKALEN MARKT VERKAUFEN.

− YVONNE VÁSQUEZ BEI DER ETIKETTIERUNG VON KAFFEE-

VERPACKUNGEN IM NEU ERSTELLTEN PRODUKTIONSWERK SAN PEDRO.

− AUF SPIELERISCHE WEISE VERMITTELT

YVONNE VÁSQUEZ IN WORKSHOPS DAS THEMA VERMARKTUNG UND VERNETZUNG DES

INTERNATIONALEN MARKTES.

—«Die Personelle Zusammenarbeit macht mehr Sinn als die Investition von Mitteln in irgendwelche Projekte. »—

Yvonne Vásquez hat über die ganzen sieben Jahre für

verschiedene Unternehmen und Organisationen gearbeitet,

alles im Bereich der Bioproduktion. «Meine Unterstützung

diente vor allem dem kaufmännischen und organisatorischen

Know-how. Das Marketing selbst fand am Ort statt. Die Leute

wussten, was ihre Kunden wollten. In den letzten vier Jahren

arbeitete ich für eine Kaffee-Kooperative, deren Produktion

eher bescheiden gewesen ist. Doch der Absatz war vorhan-

den: Ein von Frauen hergestelltes Bio-Produkt mit Fairtrade-

Etikett verkauft sich immer gut», schmunzelt Vásquez. Zur

Tätigkeit gehörte auch die Schulung der Leute im Bereich

Fairtrade.

DIE PROJEKTE WIRKEN NACHHALTIGFrage: Diese Kooperative, die ganze Bioproduktion

– geht das in diesem Sinne weiter? Ist da Nachhaltigkeit

erreicht worden? Yvonne Vásquez sieht es auf gutem Wege.

«Ich denke schon. ISNAYA, der Betrieb für Naturmedizin, und

die ’Fundación entre Mujeres’, die Kaffee-Kooperative, laufen

gut. Ich kann das verfolgen, weil ich immer wieder etwa in

Nicaragua auf Familienbesuch bin.»

Hat es Begegnungen mit Menschen gegeben, die nach-

klingen? «Mehrere, doch eine hat eine besondere Bedeutung»,

erzählt Yvonne Vásquez. «Rosamelia Centeno ist eine Kaffee-

bäuerin. Für mich ist sie der Inbegriff einer starken Frau, die

es trotz unzähligen Schwierigkeiten und gesundheitlichen

Problemen zur Präsidentin einer Kaffeekooperative geschafft

hat. Dank der Arbeit mit der ‘Fundación entre Mujeres’ hat sie

Selbstvertrauen gewonnen, nimmt an Kursen und Ausstellun-

gen teil, versteht, wie die Preise gerechnet werden und weiss

was Fairtrade oder Bio ist. Sie repräsentiert ihre Gemeinde

und ist eine wichtige Ansprechpartnerin in ihrem Dorf, das

früher hauptsächlich durch Männer ’bestimmt’ wurde. Sie hat

mit dem Kaffeeanbau nun ihr eigenes Einkommen und setzt

sich für eine gute Aus- und Weiterbildung ihrer Kinder und

Enkel ein.» Wenn es ein Beispiel für Nachhaltigkeit braucht

– hier wäre es!

Yvonne Vásquez befand sich persönlich in einer

guten Position im fremden Land. Sie wohnte mit ihrem Partner

Norvis zusammen, einem Nicaraguaner, und hatte nach rund

zwei Jahren bereits einen relativ grossen Kreis von Freundin-

nen und Bekannten. Sie habe sich ganz bewusst unter Ein-

heimischen bewegt. «Ich lernte aussergewöhnliche Frauen

kennen, von denen viele heute noch zu meinem Freundeskreis

gehören.» Norvis wollte nach dem INTERTEAM-Einsatz

seiner Frau den Lebensort in die Schweiz verlegen. «Ich selbst

wäre vielleicht immer noch dort», sagt Yvonne Vásquez. Nach

der Rückkehr in die Schweiz machte ihr Mann – sie heirate-

ten 2008 – das Masterstudium in Agronomie.

Das stark von den Medien geprägte Nicaragua-

Bild eines benachteiligten Landes in Armut, mit politischen

Querelen und Gewalt, wird von den Fakten, wie sie Yvonne

Vásquez erzählt, überholt. Das Land hat offensichtlich ver-

schiedene Gesichter. «Mein INTERTEAM-Einsatz konzent-

rierte sich ausschliesslich auf den wirtschaftlichen Bereich.

Das war neu in Nicaragua. Ich lebte auch in einem guten

Umfeld. Esteli, die Stadt im Norden, hat etwa die Grösse von

Winterthur. Es gab damals bereits Supermärkte, gute

Geschäfte. Am Abend lag ein Ausgang drin. Esteli ist eine rela-

tiv sichere Stadt. Ich habe mich immer wohl gefühlt. Wir hatten

auch das Glück, in einem schönen Haus wohnen zu können.»

DAS POLITISCHE UMFELD IST SCHWIERIG ZU BEURTEILENStichwort Entwicklung – was braucht Nicaragua

heute? Macht der Austausch von Fachwissen, von Know-how

noch Sinn? «Das Land erlebte sehr schwierige Zeiten, und

ich meine, sie sind nicht vorbei. Die Naturkatastrophen sind

immer wieder da. Und ich zweifle auch etwas am politischen

Umfeld.» Wer die ganze Befreiungsgeschichte durch die San-

dinisten nicht persönlich erlebt habe, könne kaum verste-

hen, warum heute immer noch so viele

Menschen hinter Daniel Ortega stün-

den, ist Yvonne Vásquez überzeugt. «Als

externe Beobachterin frage ich mich, wa-

rum das so ist. Aber das ganze familiäre

Umfeld, das ich jetzt durch die Heirat in

Nicaragua habe, steht voll hinter Ortega.»

Noch einmal die Frage: Was

brauchen die Menschen dort heute?

«Ich weiss es nicht genau», sagt die

Nicaragua-Schweizerin. «Was es sicher

nicht braucht, sind Gelder für irgendwel-

che Millionenprojekte. Die INTERTEAM-

Formel dagegen ist immer noch richtig:

Fachwissen vermitteln und auf Nach-

haltigkeit achten, damit etwas davon

hängen bleibt, wenn wir weg sind.»

Im Rückblick überwiegen die positiven Erlebnisse für

Yvonne Vásquez. «Es war eine tolle Zeit mit vielen guten Men-

schen und Begegnungen.» Und ihr Engagement in Nicaragua

hat Auswirkungen auf das Heute. «Ich hätte die leitende Stelle

hier bei der Pronatec nie bekommen ohne meine Erfahrungen

im Biogeschäft und im Fairtrade in Nicaragua.»

Seit Sommer 2012 ist Yvonne Vásquez Vorstandsmit-

glied bei INTERTEAM. Welche Sicht hat sie auf die fünfzig-

jährige Organisation? «Für mich ist es eine perfekte Organi-

sation in der Entwicklungszusammen-

arbeit. INTERTEAM macht es genau so,

wie ich mich auch heute wieder in die-

sem Sektor engagieren möchte. Die Per-

sonelle Zusammenarbeit macht mehr

Sinn als die Investition von Mitteln in

irgendwelche Projekte. Und die Vorteile

sind beidseitig. Von den INTERTEAM-

Einsätzen kommen Menschen zurück, die

die Welt etwas anders sehen als vorher.

Und die meisten von ihnen werden hier

ihr Leben etwas bewusster einrichten

und gestalten.»