13
Juni 2014 Ausgabe 29 Chefredaktion: Andreas Vogl und Svenja Kremer

Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

Juni 2014

Ausgabe 29

Chefredaktion: Andreas Vogl und Svenja Kremer

Page 2: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

AUSGABE 29

JUNI 2014

INHALT:

02 Editorial

03 Ägyptische Dips

04 Paris. „Der Orient im Okzident“

06 Der Turmbau zu Babel 2.0

11 Saddam Husseins lebende rechte Hand

FOTOS: Lena El-Lamony,

Christina Geißler

LAYOUT: Cem Celik, Karl

Felsecker, Felix Wiedemann

KONTAKT:

[email protected]

CHEFREDAKTION:

Svenja Kremer

Andreas Vogl

Die Herausgeber übernehmen keine Gewähr

für Richtigkeit, Vollständigkeit und

Aktualität bereitgestellter Inhalte. Namentlich

gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung

des jeweiligen Autors oder zitierter Personen

und nicht immer die Meinung der

Herausgeber wieder.

EDITORIAL

Prüfungszeit des SoSe 2014 Andreas Vogl und Svenja Kremer

Das Sommersemester ist nun schon fast wieder vorbei und es kommt noch einmal der AKON als Schmankerl für die Lernpausen. Der AK Orient wünscht Euch viel Erfolg bei anstehenden Prüfungen und Hausarbeiten!

Der AK Orient freute sich über die rege Teilnahme am Sommerfest der

Orientalistik. Danke auch nochmal an alle, die fleißig gekocht haben oder

sonst Essbares mitgebracht haben!

Daneben fand vom 27.-29. Juni das Lernwochenende statt, auf dem zu

einer öffentlichen Sitzung des AK Orients am 01.07.2014 um 20 Uhr im

Orlando (in der Austraße) eingeladen wurde. Wir freuen uns auf Euer

Kommen!

Zu guter Letzt suchen wir, die AKON-Chefredaktion, noch Studenten, die

auch Lust am Schreiben haben. Falls Ihr ein Buch mit Orient-Bezug lest

und das empfehlen möchtet, ein Referat auf 1-2 Seiten schriftlich festhalten

wollt, eine Hausarbeit zusammenfasst oder eine Reise in den Orient

unternommen habt – meldet Euch. Wir freuen uns über Eure Mitarbeit und

werden Euch bestmöglich unterstützen.

In diesem AKON haben wir wieder ein Rezept von Lena El-Lamony, Felix

Wiedemann erläutert den Ablauf seiner Exkursion und das muslimische

Leben in Paris, Christina Özlem Geißler beschreibt die gegenwärtige

Entwicklung der Türkei, besonders Istanbuls, nach den Gezi-Protesten und

Andreas Vogl erklärt die derzeitige Rolle von Saddam Husseins ehemaliger

rechter Hand im Irak. Viel Spaß beim Lesen!

Page 3: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

3

Ägyptische Dips

von Lena El Laymony

Zutaten für Tahina 1 Tasse Sesam 1 TL Salz 1 Spritzer Zitronensaft Sesamöl (oder Olivenöl) Pfeffer Zubereitung 1. Sesam in der Pfanne rösten.

2. Mit Salz, Zitronensaft und etwas Öl vermischen und mit Mörser oder Mixer solange zerkleinern, bis es zur Paste wird.

3. Nach und nach etwas mehr Öl zugeben, bis die Paste eine cremig-körnige Konsistenz hat. Mit Pfeffer abschmecken.

Zutaten für Hummus

1 Dose Kichererbsen (ca. 250g) 1 EL Sesamöl (oder noch 1 EL mehr Olivenöl) 3 EL Olivenöl 4 EL Zitronensaft 2 EL Wasser 1 EL Sesamkörner 2 Knoblauchzehen Salz, Pfeffer, rosenscharfes Paprikapulver, Petersilie

Zubereitung 1. Kichererbsen abtropfen und waschen. 2. Kichererbsen mixen 3. Knoblauchzehen, Öl, Zitronensaft und Sesam dazu und auch mixen.

4. Nach und nach Wasser dazu, bis eine cremige Paste entstanden ist. 5. Mit Salz und Pfeffer würzen, Paprikapulver drüberstreuen und mit Petersilie garnieren.

Zutaten für Baba Ghanoush zur Zubereitung von Baba Ghanoush braucht man auch etwas Tahina

Ca. 700 g Auberginen 3 EL Olivenöl 2 Knoblauchzehen 1 EL Sesamsamen 2 EL Tahina (s.o.) 3 EL Zitronensaft ½ TL gemahlener Kreuzkümmel Salz, Pfeffer Zubereitung 1. Ofen auf etwa 180° vorheizen. 2. Auberginen längs halbieren und in Fruchtfleisch Karos einritzen, dann mit 2 EL Öl bestreichen. 3. Knoblauch würfeln und in die Einschnitte drücken. 4. So vorbereitete Auberginen im Ofen ca. 20 Min. bei ca. 160° backen, bis sie leicht braun sind. 5. Sesam in einer Pfanne rösten. 6. Auberginen mit einem Löffel aushöhlen. Das Fruchtfleisch (mit dem Knoblauch) zusammen mit Tahina, Zitronensaft und Kreuzkümmel mixen. 7. Salzen und pfeffern, letzten EL Öl und Sesam darüber.

Guten Appetit!

Page 4: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

4

Paris. „Der Orient im Okzident“

Exkursion der Friedrich-Alexander Universität Erlangen

von Felix Wiedemann Nachdem die Uni Erlangen bereits muslimisches Leben in Berlin im Rahmen einer Exkursion erkundet hatte, stand nun ein kleiner Einblick in „orientalisches“ Leben in Paris auf dem Programm.

Per Bus machten sich am 9. Juni um 6:00 Uhr morgens 43 Studierende und zwei Professoren auf den Weg nach Paris. Nach langer Fahrt kamen wir am frühen Abend an und hatten diesen zur freien Verfügung.

Natürlich reicht eine Exkursion von insgesamt vier Tagen nicht für eine Stadt, in deren Umkreis über zehn Millionen Menschen leben. Doch gelang es den Organisatoren gut, Schwerpunkte zu setzen.

So bekamen wir hauptsächlich einen Einblick in das Verhältnis des französischen Staates zu muslimischen Einwanderern und islamisch geprägten Staaten. In Paris leben aufgrund der französischen Kolonialgeschichte heute viele Einwohner mit „orientalischen“ Wurzeln, die die Stadt durch ihre Sprachen und Kulturen mitprägen. Sie bemüht sich um gute (Wirtschafts-)Beziehungen zu arabischen Ländern und möchte den Anschein erwecken, „islamisch-kulturelles Leben“ zu fördern. Auch wenn viele Projekte kritisierbar sind, so scheinen doch auch Ansätze vorhanden zu sein, welche Vorbildcharakter haben können.

Der erste Programmpunkt der Exkursion war eine Stadtführung, die durch das Institut du Monde Arabe organisiert wurde. Wir lernten am Startpunkt, dass dieses Institut hälftig durch den französischen Staat

und die Arabische Liga verwaltet wird. Das 1987 in einer Mischung aus „westlicher“ und „orientalischer“ Architektur errichtete Gebäude beinhaltet heute unter anderem eine Bibliothek, Veranstaltungsräume, ein Restaurant auf der Dachterrasse und ein Museum. Wir besuchten dort am zweiten Tag eine sehr interessante und informative Ausstellung über den Ḥaǧ ǧ .

Zurück zur Stadtführung... Nach dem Institut du Monde Arabe mussten wir einen Bus nehmen, um heftigem Regen zu entgehen und zur Grande Mosquée de Paris zu gelangen. Diese im Zentrum der Stadt gelegene Moschee wurde 1926 eröffnet und ist bis heute die größte Moschee intra-muros - im Stadtgebiet Paris'. Unsere Stadtführerin sprach davon, dass die Moschee einerseits gebaut wurde, um muslimischen Einwanderern, von denen viele im ersten Weltkrieg für Frankreich gekämpft hatten und gefallen waren eine würdige Gebetsstätte zu bieten. Andererseits gab es jedoch auch Stimmen, die sich für den Bau aussprachen, um muslimische Migranten besser überwachen zu können. Bis heute wird die Moschee als Gebetsort insbesondere freitags stark genutzt. Sie ist in einem Gebäudekomplex gelegen, der als Begegnungsstätte konzipiert wurde, sodass auch Nichtmuslime und Touristen sich dort in einem Café oder Restaurant verköstigen oder in ein ḥammām gehen können.

Nicht nur im 5. Arrondissement, sondern auch im 18. Arrondissement erhielten wir eine Stadtführung. Dort, in der Nähe von Sacré Cœur im Viertel La Goutte d'Or bekamen wir einen kleinen Einblick in einen Bezirk, der heute hauptsächlich von algerischen und westafrikanischen Migranten bewohnt ist. Es war interessant zu hören, dass der algerische Bürgerkrieg hier zu heftigen Kämpfen geführt hatte und, dass die Stadt Paris seit einigen Monaten in diesem Viertel ein Institut des Cultures d'Islam betreibt. Wir besuchten dort eine sehr gute Ausstellung syrischer moderner Künstler, die den Bürgerkrieg in ihren Werken verarbeiten. Ansonsten wird das Institut für

Page 5: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

5

Sprachkurse und kulturelles Programm genutzt.

Neben Stadtführungen war ein weiterer Höhepunkt der Exkursion ein Besuch im Louvre, welcher über eine Sammlung altorientalischer Kunst und seit 2012 über eine völlig neugestaltete Abteilung für islamische Kunst verfügt. Zu dem Museum lässt sich noch anmerken, dass das Emirat Abū Ẓ abī sich für über eine Milliarde US-Dollar das Recht gekauft hat, ein Museum zu bauen, das den Namen des Pariser Museums trägt und Leihgaben von dort auszustellen.

Unseren letzten Abend konnten wir mit einem Konzert der Band Soulya, welche im Rahmen des Festival des Cultures Juives auftrat, ausklingen lassen. Mit diesem Konzert, einem Besuch des jüdischen Viertels le Marais und des dort gelegenen Musée d'Art et Histoire du Judaïsme bekamen wir auch einen kleinen Einblick in jüdisches Leben in Paris.

Insgesamt war die Exkursion zwar kurz, aber durch eine gute Mischung aus Programmpunkten und freier Zeit eine gelungene Reise. Es lohnt sich also, sich das Erlanger Vorlesungsverzeichnis anzusehen und sowohl Veranstaltungen, als auch geplante Exkursionen zu betrachten.

Page 6: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

6

Der Turmbau zu Babel 2.0

von Christina Özlem Geißler

An verregneten Tagen sind sie das perfekte Ausflugsziel. Oder wenn es so richtig heiß ist und die Hitze sich in den engen Gassen staut. Auch für das Gefühl, wenn man mal raus muss aus dem Großstadtdschungel, an einen Ort, der auch überall anders sein könnte, in Dubai etwa, Shanghai oder New York. Einheitsklima, Wasserspiele, wuchernde Pflanzen, Wellness, Essen, Mode, Freizeit. Kaum ein Wunsch bleibt unerfüllt. Sogar nach deutschem Rezept eingelegte Essiggürkchen bekommt man im XXL-Supermarkt, die passen einfach besser in den Kartoffelsalat als das salzig-saure Turşu der Türken. Wenn man schon die Wahl hat! Außerdem ist irgendwie immer Sale, aber das Gedränge niemals so groß wie auf der İstiklal Caddesi im Zentrum Istanbuls.

Luxusprobleme auf der oberen Schneide der aufgeklappten Gesellschaftsschere. Eine Bestätigung für die Konsumgeilheit? Oder nur eine natürliche Reaktion auf das Überangebot?

Wer Istanbul über einen touristischen Aufenthalt hinaus kennenlernt, der weiß jedenfalls, dass hinter Demirören, Cevahir oder İstinye noch etwas anderes steckt als der Präsident des türkischen Fußballverbandes, ein altes Wort für Juwel1 und eine Zeile romantischer Fischlokale am Nordwestufer des Bosporus. Es geht um Kommerz und Konsum in den größten, schönsten und am höchsten diversifizierten Einkaufszentren 2 der Stadt, des Landes, des Kontinents – nein, im Falle der Cevahir Mall, die im internationalen Ranking zu den Top 10 zählt, sogar

1 arabisch: , persisch:

2 türkisch: Alışveriş Merkezi, kurz: AVM

der ganzen Welt. Sie sprießen allerorts wie über Nacht gesäte Gecekondu 3 und übertünchen mit ihrem nichtssagenden, aber modernen Chic jegliche Zweifel an ihrer Daseinsberechtigung. 299 Malls in 48 aus 81 türkischen Provinzen ist die Bilanz des Berichts über Einkaufszentren in der Türkei 2013-15 des Forschungsinstituts Akademetre. Alleine 114 davon befinden sich in Istanbul. Und darin sind die altehrwürdigen historischen Vorgänger, der Große Basar (Kapalı Çarşı) und der Gewürzbasar (Mısır Çarşı) in der Altstadt, noch gar nicht mal enthalten. Das Vorleben der Fundamente, auf denen die Verbraucherparadiese stehen, interessiert kaum. Es fragen auch nicht viele danach, welche Existenzen und Fragmente der Stadtgeschichte unter ihnen begraben liegen. Peu à peu verdrängen die Fremdkörper die Relikte der Vergangenheit, assimilieren die Steine, in denen der Charme von 2500 Jahren steckt, und lassen alles um sich herum zu Stahl werden. Das ist nun mal die Kehrseite des unaufhaltsamen Gentrifizierungsprozesses, den die Regierung in den vergangenen Jahren in der Millionenstadt in Fahrt gebracht hat. Widerworte haben kein Gewicht, auf Widerstand folgen Wohnraumenteignung und die Problemverlagerung der unmündigen Bürger an den weit entfernten Stadtrand. Ein Jahr ist es nun her, dass die Zivilgesellschaft zunächst im Istanbuler Gezi-Park und in Folge auch in zahlreichen anderen Städten der Türkei, zusammengekommen ist, um diese und andere Entwicklungen öffentlich zu kritisieren. Genau im Gezi-Park, dem Fleckchen Grün am Taksim-Platz, das ebenfalls den Abrissbirnen zum Opfer fallen sollte, um für Mall Nr. 115, diesmal im osmanischen Kasernen-Stil, Platz zu machen. Vieles hat sich seitdem verändert. Der Ton der Regierung ist noch rauer geworden, ein Mitspracherecht der Bürger in Regierungsentscheidungen steht weniger denn je zur Debatte, die ausländischen Medien werden

3 türkischer Begriff für über 'Nacht hingestellte' Gebäude ohne

Baugenehmigung und Sicherheitsstandards

Page 7: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

7

verteufelt, ja sogar der Unterstützung terroristischer Bewegungen und Aufwiegelung des Volkes bezichtigt. Und wo sind die Demonstranten von letztem Jahr abgeblieben?

Als ich am 29. Mai, genau 561 Jahre nach der Eroberung Konstantinopels, das Zorlu Center auf der Anhöhe Ortaköys erkunde, überfällt mich ein kalter Schauer aus Faszination, Fassungslosigkeit und Klimaanlagenluft. Im letzten Oktober eröffnete der Komplex aus drei rundum verglasten Wohntürmen auf einer mehrstöckigen Basis in nur 500m Entfernung zum Kanyon, einer sehr beliebten Mall, die in ihrer Architektur dem Grand Canyon nachempfunden ist. In dem unterirdischen Autopark des Zorlu Center muss man weder farbenblind, noch analphabetisch sein, um seinen Wagen trotz eines bunten Buchstabenordnungssystems nie wieder zu finden. Aber das ist sekundär, schwebt man erst mal auf den Laufbändern empor und durchbricht dabei zu allen Seiten hin verspiegelte Etagen, die von einem Licht durchflutet sind, das man nicht eindeutig der Sonne oder einem Meer aus Scheinwerfern zuordnen kann. Und tatsächlich sind es Außenkameras an den drei Türmen, die die Reflexionen des Himmels und des Bosporus aufnehmen und in ein System natürlicher Beleuchtungstechnologie übersetzen. Das nächste Highlight: Der erste Apple-Store der Türkei – ein überdimensionaler Glaskubus inmitten einer Halle, deren Deckenabschluss unschätzbar weit entfernt liegt. Je näher man ihr kommt, desto

exklusiver und teurer werden die Angebote. Der Gipfel – eine Dachterrassenlandschaft, geräumiger als der Großteil der deutschen Stadtplätze, mit Restaurants, die trotz des sehr vorteilhaften Wechselkurses ihre Waren zu unverschämt hohen Preisen feilbieten. Zu guter Letzt sei das Geschenk der Zorlu Immobiliengruppe an die Menschheit erwähnt, als Ausdruck ihrer gesellschaftlichen Verantwortung – und es wird in der Tat von sosyal sorumluluk anlayışı, also corporate social responsibility gesprochen: Der 50.000m² umfassende Performans Sanatları Merkezi, ein Auditorium mit einer Kapazität von über 2.500 Plätzen, konzipiert für Theateraufführungen, Konzerte, Broadway-Musicals, Weltpremieren.

Vielleicht sorgt nur die weitläufige Konstruktion des Centers für den Eindruck, aber viel los ist eigentlich nicht an diesem Donnerstagmittag. Vielleicht hat sich aber auch noch nicht herumgesprochen, dass das Zorlu Center der neue place to be für Shopping-Queens und Gourmets ist, die sich Sterneküche und Haute Couture leisten können. Vielleicht ist aber

Großbauprojekte Fertigstellung bis

Marmaray, Tunnelbahn auf dem Grund des Bosporus

2013

Verkehrsumleitung im Stadtzentrum 2013

Stadterneuerung durch Abriss historischer Viertel

laufend

Yavuz-Sultan-Selim-Brücke, 3.Bosporus-Brücke mit höchsten Pfeilern der Welt und voraussichtlich der längsten Eisenbahnbrücke der Welt

2015

Größter Flughafen der Welt und dritter der Stadt

2017-18

Moschee auf dem Çamlıca-Hügel mit höchsten Minaretten der Welt

unbekannt

Kanal Istanbul, parallel zum Bosporus 2023

Page 8: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

8

auch das Konkurrenzangebot der übrigen 113 Einkaufszentren zu groß – oder einfach schon groß genug?

Erschlagen von den Superlativen fahre ich wieder ein bisschen Laufband und werde einen knappen halben Kilometer durch die Unterwelt getragen. Das Zorlu Center scheint mir mit all seinen glänzenden Facetten wie das Idealbild der Türkei in der Wunschvorstellung ihrer Regierung. Der kaleidoskopische Effekt der gläsernen Flure, in denen man sich hundertfach wiederfindet, die Vortäuschung einer Welt, die außerhalb des (Spiegel-)Kabinetts gar nicht existiert. Ein Ort, geschaffen für den geringen Prozentsatz der Türken, die Geld im Überfluss haben. Vielleicht auch noch für die obere Mittelschicht, die vom Wirtschaftsaufschwung profitiert, während der blinde Taschentuchverkäufer, die Frau mit den Lavendel-Säckchen und der alte Mann mit der Fidel ihren Mikrokosmos in Beyoğlu noch nie verlassen konnten und es wohl auch niemals tun werden können. Laut OECD-Bericht vom März 2014 gehören sie zu dem Bevölkerungsteil, der sich nicht mal Grundnahrungsmittel leisten kann. Für Touristen, die man mit Komplett-Paketen à la "1 Woche Istanbul, Haartransplantation inklusive" aus den arabischen Ländern anlockt. "Es dreht sich alles um die Wirtschaft", sagt eine Bekannte, die als Konsequenz aus den Gezi-Protesten ein eigenes Unternehmen gegründet hat. "Der Regierung ist es egal, ob du auf der Straße stirbst. Aber wenn du über wirtschaftliche Macht verfügst, dann hören sie dir zu. Das ist die einzige Chance der Intellektuellen hier."

An der Metrostation Gayrettepe endet das Laufband und ich steige in die U-Bahn, die innerhalb des letzten Jahres in beide Richtungen an Strecke hinzugewonnen hat. In Taksim wühle ich mich durch das Schilderchaos, das seit den Umbauarbeiten auf diverse neue Aufgänge zum Platz verweist und lande direkt vor dem Gezi-Park. Hier erinnert wirklich gar nichts mehr an die Szenen von vor einem Jahr. Kein einziger Schriftzug ist den Säuberungsaktionen der

Kommune entkommen. Auf dem Spielplatz toben Kinder, auf den Bänken ruhen Senioren, Studenten im Gras, dazwischen ein paar Köfte- und Simit-Verkäufer. So, wie es in einem türkischen Park sein soll. Und – laut Beschluss des obersten Verwaltungsgerichts – auch vorläufig bleiben wird. Die Baupläne der Regierung auf dem Grund des Gezi-Park sind gescheitert, eine Vielzahl anderer Großprojekte wird aber zweifelsohne realisiert.

Die natürlichen Flächen, die dabei zubetoniert werden, übersteigen die "12 Bäume" des Gezi-Park um ein Vielfaches. Einzig um deren Umpflanzung, nicht einmal Rodung, sei es laut Erdoğan jemals gegangen.

Hinsichtlich des Gedenktags an den gewaltsamen Ausbruch der Gezi-Proteste wusste der Ministerpräsident einer Wiederholung von ausartenden Großdemonstrationen vorzubeugen. Er betonte, es ginge ihm dabei nur um die Sicherheit des Landes. Aber nicht etwa Erdoğans Ankündigung, die Polizei sei dazu angehalten, wegen des allgemeinen Demonstrationsverbots niemanden auf den Taksim-Platz zu lassen, schreckte die breite Masse ab. Auch nicht das Aufgebot an Polizisten und Wasserwerfern. Und bestimmt auch nicht das Einstellen der öffentlichen Verkehrsmittel. Alles Maßnahmen, mit denen man hatte rechnen können. "Mehr als 5.500 Demonstranten wird gerade der Prozess gemacht", erzählt mir ein Bürgerjournalist. "Die Leute von der Taksim Solidarity stehen in ein paar Tagen vor Gericht. Sie werden beschuldigt, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben. Ihnen drohen langjährige Haftstrafen im zweistelligen Bereich." Bei den Angeklagten handelt es sich nicht um Rebellen, die mit Molotow- Cocktails um sich geworfen haben, sondern um gewaltablehnende Aktivisten in gehobenen Positionen bei der türkischen Ärzte- oder Architektenkammer. "Es ist zu riskant...geworden", meint ein anderer, sieht dabei möglicherweise Niedergeprügelte und Menschen, die

Page 9: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

9

ein Auge oder sogar ihr Leben verloren haben, führt seine Gedanken jedoch nicht weiter aus. Und die Freunde, deren unumstößlicher Aktivismus mich letztes Jahr wochenlang in Sorge versetzt hat, ignorieren mein Nachhaken konsequent. Sagen nicht einmal, ob sie vorhätten hinzugehen, wissen nichts von konkreten Treffpunkten. Ich fühle mich in Zeit und Raum zurückversetzt in das Teehaus auf dem Ğabal Qāsiyūn über Damaskus, wo ich im Januar 2010 den syrischen Freunden Fragen über Alawiten und Sunniten in der Regierung Assads stellte. Außerhalb der eigenen vier Wände spricht man nicht über so was, war die Lektion für mich an jenem Abend. Aber ist das Misstrauen auch in der türkischen Bevölkerung schon so weit geschürt worden? #Geziversary hat bewiesen, dass sich keiner mehr sicher sein kann, welche Absichten die Personen um einen herum haben. Sogar CHP-Chef Kılıçdaroğlu hat vor dem Gezi-Jahrestag am 31. Mai vor Provokateuren im Auftrag der AKP gewarnt. Die Zivilpolizisten entlarvte man sofort auf Grund des einheitlichen Rucksacks, des Schlagstocks (trotz kreativem Tarnungsversuch mit darumgewickelter Plastiktüte) und auch an der Gasmaske erkannte man sie, denn jeder Nicht-Polizist mit Schutzausrüstung wurde aus dem Verkehr gezogen, bevor er die Barrikaden um den Taksim-Platz erreichen konnte.

Schutz bieten die Masken aber ohnehin kaum noch nachdem die Zusammensetzung des Tränengases augenscheinlich so verändert worden ist, dass sie

mittlerweile jeden Filter, jede Fensterisolierung und gefühlt auch jede Hautpore mühelos durchbeißt, selbst wenn man vom Epizentrum der Explosion weit entfernt ist. Während am Nachmittag in der İstiklal Caddesi das bekannte Spiel zwischen Demonstranten und zum Durchgreifen angehaltenen Polizisten langsam anfing, saß ich auf dem abgeriegelten Taksim-Platz und fragte mich, weshalb die Demonstranten es nicht geschafft hatten, in gemeinsamer Sache eine tiefer gehende Strategie auf die Beine zu stellen als: Um 19 Uhr in Taksim! "Hast Du die Gezi-Partei gesehen?", fragt mich der Bürgerjournalist. "Die wären gerne die Dachorganisation für alle Splittergruppen der Gezi-Proteste, aber die Gruppen sind in ihren Ideologien viel zu unterschiedlich, um sich auf irgendetwas einigen zu können." Von dem Gefühl der Einheit und grenzenlosen Solidarität, das 2013 aus der Gunst der guten Stunde mit überwältigender Energie gewachsen war, war in diesem Jahr nicht mehr allzu viel übrig. So ernüchternd wie diese Einsicht endete auch der Jahrestag in brutalen Straßenschlachten, Festnahmen und einem Dunst aus Qualm, Blut und Tränen.

Am 10. August wird ein neuer Präsident gewählt – zum ersten Mal im Direktwahl-Verfahren, nicht mehr durch eine Abstimmung im Parlament. Der gemeinsame Anwärter der kemalistischen CHP und der nationalistischen MHP heißt Ekmeleddin İhsanoğlu und ist der ehemalige Generalsekretär der Organisation der Islamischen Konferenz. Der kurze Vorlauf bis August könnte es ihm schwer machen, das Vertrauen der Wahlberechtigten zu gewinnen. Bis Ende Juni hat die AKP noch Zeit, auch ihren Spitzenkandidaten bekanntzugeben. Kaum jemand bezweifelt, dass es sich dabei um Erdoğan handelt und er das Amt des Präsidenten auch im ersten Wahlgang für sich entscheiden wird. Die Chancen dafür stehen gut. Er hat klare Visionen bis zum 100-jährigen Jubiläum der Türkischen Republik im Jahr

Page 10: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

10

2023, seine in ihrer Anzahl nicht zu unterschätzende Anhängerschaft liebt ihn für seinen selbstbewussten Führungsstil. Auf den Teil der Gesellschaft, der Gezi ausmachte und für mehr Demokratie plädiert, kommen womöglich harte Zeiten zu. Das lassen der autoritäre Kurs des letzten Jahres erahnen und auch der immer harscher angeschlagene Ton des Ministerpräsidenten gegenüber denen, die anders denken und denen, die ihre Meinung in Zeiten von Autozensur noch frei zu äußern wagen. Es könnten weitere ausländische Journalisten – so wie Mahir Zeynalov nach seiner Twitter-Berichterstattung über Gezi – des Landes verwiesen oder wie der CNN-Reporter Ivan Watson bei der Arbeit behindert werden. Türkische Intellektuelle könnten sich gezwungen sehen, eine Diaspora im Ausland aufzubauen, um den fragwürdigen Verfahren und haltlosen Urteilssprüchen der Justiz zu entgehen. Die Chance, aus der Gezi-Bewegung eine starke Opposition zu formieren, scheint vertan. Keiner kann Erdoğan stoppen. Und das macht auch die siegessichere AKP deutlich: "Türkiye’de yeni bir dönem başlayacak. 10 Ağustos’tan sonra Türkiye, 2023 hedeflerine çok daha hızlı bir şekilde ulaşacak. – In der Türkei wird eine neue Ära anbrechen. Nach dem 10. August wird die Türkei ihre Ziele für 2023 auf noch schnellere Art und Weise erreichen."

Christina Geißler hat die Fächer interkulturelle Kommunikation, Kommunikationswissenschaften und

Islamischer Orient in Padua und in Bamberg studiert. In Bamberg war sie bis 2011. Momentan macht sie ihren Master in Eichstätt in „Management und Innovation in Journalismus und Medien“. Davor lebte sie einige Zeit in der Türkei. Wer weiterlesen möchte, dem rät sie

http://www.academia.edu/2431330/Eine_Einfuhrung_in_den_stadteplanerischen_Wahnsinn_von_Istanbul und für Türkischversierte http://www.gpotcenter.org/dosyalar/Gezi_Parkinda_Ne_Oldu_May2014.pdf an.

Die Chefredaktion möchte explizit darauf hinweisen, dass

sie nicht unbedingt mit den Inhalten dieses Artikels und

der Meinung der Verfasserin übereinstimmt. Für die

Inhalte ist allein die Autorin verantwortlich. Allerdings

möchten wir durch den AKON auch die Möglichkeit bieten,

kritische Texte oder Kommentare zu veröffentlichen.

Unserer Ansicht nach ist dies für eine Zeitschrift in einer

liberalen Gesellschaft unumgänglich.

Page 11: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

11

Saddam Husseins lebende

rechte Hand

von Andreas Vogl

Am Wochenende brachen östlich von Kirkuk, 140 km nördlich von Bagdad, Kämpfe aus. Jaisch Ridschal al-Tariqa al-Naqschbandi (Armee der Männer des Weges der Naqschbandi), eine Gruppe, die wohl von Issat Ibrahim al-Duri, der ehemaligen rechten Hand Saddam Husseins, geführt wird, und ISIS fingen nach angeblich gemeinsamen Eroberungen an sich gegenseitig zu bekämpfen. Die Naqschbandi sind ein Sufi-Orden, die auf Baha-ud-Din Naqschbandi (1318 – 1389) zurückgehen und für ihr schweigendes Dhikr (Gedenken an Gott) bekannt sind. Es ist allerdings wichtig, den Orden nicht mit Duris Naqschbandi-Armee gleichzusetzen.

Al-Duri (Quelle: Wikipedia)

Al-Duri wurde 1942 in Daur in der Nähe von Tiflis und somit ganz in der Nähe von Saddam Hussein geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, schlug sich anfangs als Eisverkäufer durch, aber entdeckte sehr schnell die gewalttätige revolutionäre Politik für sich. So schloss er sich der Baath-Partei an und arbeitete als Informant für sie, wodurch sich sein Weg mit dem Saddams kreuzte. Der sieben Jahre ältere Saddam fungierte als sein Mentor. 1963 saßen beide kurz im

Gefängnis ein, wonach Hussein für fünf Jahre ins Exil ging. In dieser Zeit war al-Duri seine Augen und Ohren im Irak. 1968 kam die Baath-Partei schließlich an die Macht und beide, Duri und Hussein, blieben unzertrennliche und loyale Partner. Duri wurde für seine Loyalität mit dem Vizeposten des revolutionären irakischen Kommandorates belohnt, ein Organ, das nur der Baath-Partei Rechenschaft schuldig war und das oberste exekutive und legislative Staatsorgan war.

Auch wenn al-Duri immer loyal zu Saddam stand, unterhielt er sich ein eigenes Netzwerk namens „Männer der Naqschbandi“. Michael Knights vom Washington Institute vergleicht dieses Netzwerk mit dem der Freimaurer, da seiner Ansicht nach viele irakische Naqschbandis diese Bewegung als eine politische und wirtschaftliche Organisation sahen, die ihnen helfen sollte, ihren gemeinsamen Interessen nachzugehen. Duri wurde schnell zu einem Naqschbandi-Scheich angehoben und so wurde seine spirituelle Abstammung direkt auf den Propheten Muhammad zurückgeführt. Ab den 1980ern integrierte er mehr und mehr militärische Familien in sein Netzwerk. Bis zum Tod Saddam Husseins am 30.12.2006 agierte dieses Netzwerk im Schatten, doch nach dem Tod Saddams rief Duri die Naqschbandi-Armee aus.

Die Armee bestand vor allem aus hohen Mitgliedern der ehemaligen, republikanischen Garde, die immer noch loyal zu Duri standen. Sie errichteten Militärcamps und hatten eine sehr gute militärische Organisation. Man konnte also schon früh annehmen, dass die meisten Mitglieder größere Ziele hatten. Diese Gruppe hatte am wenigsten Verbindung zum Terrorismus, da sie von Sunniten und sogar von vielen Polizisten als legitime Rebellen angesehen wurden. Falls es doch mal Probleme mit der Bevölkerung gab, beauftragte sie am liebsten al-Qaida mit einer großen Attacke – meist Autobomben.

Duri gab sich meistens bedeckt, da 10 Millionen US-

Page 12: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

12

Dollar auf seinen Kopf ausgeschrieben waren. Viele Gerüchte verbreiteten sich daraufhin. Spekuliert wurde sowohl über seinen Gesundheitszustand als auch über seinen Aufenthaltsort. Trotzdem schaffte er es, Briefe an Bush oder Obama zu schreiben, ein Interview mit dem Time-Magazin zu führen und zuletzt im Januar 2013 von sich reden zu machen. In seiner letzten Botschaft an die Öffentlichkeit rief er zum Kampf gegen die Regierung in Bagdad auf. Im Time-Magazin vom 24.07.2006 sagte Duri, dass 95% der Attacken gegen die US-Armee im Irak von zur Baath-Partei loyalen Kämpfern begangen werden. Die US-Regierung hätte dies stets wissentlich verschwiegen. Angeblich floh er nach der US-Invasion nach Syrien und versuchte mit Unterstützung des syrischen Geheimdienstes die Baath-Partei im Irak wiederherzustellen.

Logo der Naqschbandi-Armee (Quelle: Wikipedia)

Die Naqschbandi-Armee bekräftigte immer wieder, dass sie den Irak nicht aufspalten, sondern ihn – genau wie seine arabische und islamische Identität – erhalten will. Trotzdem bekämpft sie prinzipiell keine jihadistischen Bewegungen, sondern kooperiert sogar mit ihnen, falls sie dieselbe Agenda haben. Fremden steht sie vor allem wegen der Erfahrung durch die US-Besatzung sehr skeptisch bis feindlich gegenüber. Iraker sollen allerdings nicht das Ziel von Attacken

sein, solange sie nicht mit Besatzern kollaborieren.

Ein US-Terrorbericht von 2011 beschrieb die Beziehung zwischen der Naqschbandi-Armee und Al-Qaida im Irak. Er kam zu dem Schluss, dass die Naqschbandi-Armee Al-Qaida bei der Finanzierung von strategischen Attacken hilft. So werde sie die Feinde los und Al-Qaida im Irak könne Verantwortung für Terrorattacken übernehmen.

Mit dem arabischen Frühling und dem Abzug der USA bekam Duri die Chance, von der er träumte: eine Rückkehr der Baath-Partei an die Macht. Im März 2013 wurde ein Protestcamp in Hawija der Naqschbandi-Armee gewaltsam von schiitischen Soldaten geräumt. 53 Sunniten starben. Eine lokal konzentrierte Auflehnung gegen die schiitisch dominierte Regierung war die Folge. Auch ISIS konnte im Juni nur so schnelle Eroberung verbuchen, weil er Unterstützung von sogenannten „Neo-Baathisten“ bekam. Für die letzteren war es die Entfesselung ihres eigenen Aufstandes im Nordirak. ISIS wird somit nur als kurzes notwendiges Mittel angesehen. Schon zuvor bekämpften sich beide Gruppen. Muzhir al-Qaisi, ein Sprecher der Naqschbandi-Armee, beschrieb ISIS vor kurzem als Barbaren. Außerdem sei ISIS viel zu schwach, um solch ein Territorium zu kontrollieren. Konflikte sind bei beiden Gruppen vorprogrammiert, da die Naqschbandi-Armee keine Fremden duldet und die Interpretation des Islams durch ISIS als viel zu radikal ansieht.

Trotzdem scheint es so, als hätte die Naqschbandi-Armee mit ISIS zusammengearbeitet. Darauf lassen mehrere Berichte schließen, u.a. einer der New York Times. Beide Gruppen vereint, dass sie eine Herrschaft der Sunniten wiederherstellen und die Regierung von Nuri al-Maliki – und damit den iranischen Einfluss im Irak – verdrängen wollen. Wie der Twitter-Account @wikibaghdady (bekannt als „ISIS Leaks“) vor kurzem berichtete, haben sich Mitglieder der Naqschbandi-Armee und ISIS vor zwei

Page 13: Juni 2014 Ausgabe 29 · AUSGABE 29 JUNI 2014 INHALT: 02 Editorial 03 Ägyptische Dips 04 Paris. „Der Orient im Okzident“ 06 Der Turmbau zu Babel 2.0 11 Saddam Husseins lebende

13

Wochen getroffen, um ein gemeinsames Vorgehen gegen Maliki zu besprechen.

Außerdem tauchten Berichte auf, dass kurz nach der Einnahme Mossuls Plakate von Saddam Hussein aufgehängt wurden und ISIS befohlen habe, diese innerhalb von 24 Stunden sofort abzuhängen. Desweiteren dankte Saddams Tochter Raghad aus ihrem jordanischen Exil ihrem „Onkel Issat“ al-Duri für die Siege und hofft auf eine baldige Rückkehr ihrerseits in den Irak.

Was Duris Armee noch einflussreicher machen könnte, sind ihre Botschaften. So verleibten sich die Baathisten Sufi-Elemente ein, inklusive der Verehrung von schiitischen Grabmälern im Südirak (z.B. die von Ali Abu Talib und al-Hussein). Der Kampf gelte also nicht den Schiiten im eigenen Land, sondern iranischem Einfluss. In jedem Fall ist es sehr unwahrscheinlich, dass eine angebliche Allianz von ISIS und der Naqschbandi-Armee lange bestehen könnte. Vor allem die radikalen Ansichten von ISIS sprechen dagegen.

Falls Duri also überhaupt noch am Leben ist und er wirklich die Allianz mit ISIS eingegangen ist, scheint es jedoch, als hätte er gute Chancen, wieder eine größere Rolle zu spielen. In letzter Zeit wird viel darüber diskutiert, ob man den Irak in einen sunnitischen, einen schiitischen und einen kurdischen Teil teilen sollte. Falls es zu einer solchen Teilung käme, hätten Duri und seine Naqschbandi-Armee wohl gute Chancen auf eine autonome Region. Außerdem stellt sie laut Michael Knights aufgrund der Uneinigkeit im Irak wohl die einzige Kraft dar, die ISIS langfristig wieder verdrängen könnte. In jedem Fall kann das Problem im Irak auch langfristig nur durch eine bessere Eingliederung aller Gruppen in die Regierung gelöst werden.

Das liegt vor allem daran, dass angeblich 41 verschiedene Gruppen den Kampf gegen Malikis Regierung unterstützen und sowohl ISIS als auch die

Naqschbandi-Armee nur ein Teil davon ist.