17
___________________________________________________________________________ KAPITEL 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS ___________________________________________________________________________ In diesem Kapitel werden bruchstückhaft Aspekte des unterrichtlichen Einsatzes von Experimenten aufgezeigt, um so zu einer verstärkten Reflexion des Lehrers über sein Tun und zu einer Beurteilung der Vielzahl von Schulexperimenten auf ihre Eignung für den eigenen Unterricht anzuregen. Die im Folgenden erwogene Einteilung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch schließen sich die Aspekte nicht gegenseitig aus, sondern bauen aufeinander auf. Daher wiederholt sich Vieles – unter neuer Perspektive. Als übergeordnetes Richtziel für den Einsatz eines Experiments soll vorweg genannt werden, dass es in die Erarbeitung eines Unterrichtsthemas münden oder darin integriert werden sollte: Das Experiment ist nicht unterrichtsbegleitend, es ist unterrichtstragend. Pointiert man anders und den Lehrer stärker fordernd, dann meint dieses Ziel: Der Lehrer sollte Experimente auswählen, die in das geplante Unterrichtsgeschehen passen, und sie nicht einfach nur einsetzen, weil sie in der Schulbuchliteratur genannt werden. So sind „Schauversuche“ vor allem in Vertretungsstunden oder in den Stunden vor den Ferien beliebt. Einen didaktischen Wert kann man ihnen jedoch kaum zuordnen, wenn sie für die Schüler momentan nicht erklärbar sind.

K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

___________________________________________________________________________

KAPITEL 3

EINSATZ EINES EXPERIMENTS

___________________________________________________________________________

In diesem Kapitel werden bruchstückhaft Aspekte des unterrichtlichen Einsatzes von Experimenten aufgezeigt, um so zu einer verstärkten Reflexion des Lehrers über sein Tun und zu einer Beurteilung der Vielzahl von Schulexperimenten auf ihre Eignung für den eigenen Unterricht anzuregen. Die im Folgenden erwogene Einteilung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch schließen sich die Aspekte nicht gegenseitig aus, sondern bauen aufeinander auf. Daher wiederholt sich Vieles – unter neuer Perspektive. Als übergeordnetes Richtziel für den Einsatz eines Experiments soll vorweg genannt werden, dass es in die Erarbeitung eines Unterrichtsthemas münden oder darin integriert werden sollte:

Das Experiment ist nicht unterrichtsbegleitend, es ist unterrichtstragend. Pointiert man anders und den Lehrer stärker fordernd, dann meint dieses Ziel: Der Lehrer sollte Experimente auswählen, die in das geplante Unterrichtsgeschehen passen, und sie nicht einfach nur einsetzen, weil sie in der Schulbuchliteratur genannt werden. So sind „Schauversuche“ vor allem in Vertretungsstunden oder in den Stunden vor den Ferien beliebt. Einen didaktischen Wert kann man ihnen jedoch kaum zuordnen, wenn sie für die Schüler momentan nicht erklärbar sind.

Page 2: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/2

3.1 Zielorientierung und Planung eines Experiments „Theorie und Experiment, sie gehören zusammen, eines ohne das andere bleibt

unfruchtbar. Theorien ohne Experimente sind leer, Experimente ohne Theorie sind blind.“ (MAX PLANCK)

Zielorientierung Sollen Schüler etwas lernen, weil sie es lernen müssen bzw. weil es ihnen der Lehrer sagt? Eine der wichtigsten Aufgaben des Lehrers in der ersten Phase einer Unterrichtsstunde besteht darin, dem Schüler die Zielvorstellungen, z. B. auf der Grundlage einer Fragehaltung, deutlich zu machen. Es soll klar werden, was mit der Unterrichtsstunde bzw. dem Experiment beabsichtigt wird, was erreicht werden soll. So wird Unterricht auch für den Schüler durchsichtiger, ihm wird eine Grundlage für die Planung seiner eigenen Anstrengungen geboten. Gelingt dies nicht, wird dem Lehrer – oft auch nur nonverbal durch Blicke – die Frage entgegen geworfen: „Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?“ - oder noch fundamentaler: „Wozu mache ich das überhaupt?“ Mit klarem Ziel vor Augen ist es für den Schüler nicht mehr notwendig, durch „psychologische Studien“ die Absichten des Lehrers zu erkunden. Der Unterrichtseinsteig soll also über den geplanten Unterrichtsverlauf informieren, das Interesse und die Aufmerksamkeit auf das neue Thema lenken. Es ist allerdings ebenso wenig sinnvoll, wenn wegen eines kurzfristigen Motivationseffektes der Einstieg an ein zwar interessantes, aber doch nebensächlich bleibendes Detail geheftet wird. Ein gut gemachter Einstieg führt ins Zentrum; er ist so etwas wie eine Schlüsselszene, von der aus das ganze neue Lerngebiet erschlossen werden kann.

Beispiel 1 - keine seltene Situation:

Stellen Sie sich vor, der Lehrer würde das folgende Experiment durchführen, ohne auf die Anwendung - nämlich die Fotografie - vorab einzugehen. Wie Blinde würde er die Schüler durch die einzelnen Schritte führen. Und erst im Nachhinein würde er die Schüler befragen, ob sie sich eine Anwendung des Experiments kennen.

Wie ließe sich der Unterrichtsaufbau anders gestalten?

Page 3: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/3

1. Möglichkeit: Alltags- und Anwendungsbezug Dieser Aspekt spricht für sich und wird in vielen weiteren Beispielen des Skripts deutlich, vor allem in Kapitel 3.2 (Problemorientierung) und Kapitel 6 (Schülerexperimente).

2. Möglichkeit: „Reflektiertes Vordenken“ - Erstellen von Prognosen Experimentieren ist mit einer bestimmten Erwartung verknüpft. Damit kommen den Vorerfahrungen und Vorstellungen der Schüler zentrale Bedeutung zu. Für das Erreichen der Zielorientierung kann es hilfreich sein, dieses Vorverständnis vor der Durchführung des Experiments abzurufen. Dadurch werden die Schüler veranlasst, ihre Vorstellungen, die oft noch recht verschwommen sind, zu konkretisieren. Diese Phase könnte man mit „reflektiertem Vordenken“ bezeichnen. Sie wird geleitet durch Lehrerfragen, wie sie nebenstehend abgebildet sind. Es ist darauf zu achten, dass der Lehrer selbst auf diese Weise die Beobachtungen und Ergebnisse nicht vorwegnimmt. 3. Möglichkeit: Planung eines Experiments Das Experiment gibt in den Naturwissenschaften Antwort auf vielerlei Fragen. Je nach Fragestellung muss der Naturwissenschaftler ein entsprechendes Experiment planen, welches ihm Aufschluss gibt. Führt man diese Überlegungen gemeinsam im Unterricht (im Unterrichtsgespräch, aber auch als Gruppenarbeit) durch, erfahren die Schüler als denkende und handelnde Wesen ihre aktive Beteiligung am Prozess der Erkenntnisgewinnung. Der Prozess erfordert von Seiten der Schüler Fantasie, die Aktivierung vorhandenen Wissens und die Fähigkeit planmäßigen Arbeitens. Die Schüler sind sich anschließend bei der Versuchsdurchführung vollkommen über die Funktion des Experiments im Klaren und die Zielorientierung ist gelungen. Sie wissen außerdem, was sie untersuchen und worauf sie im Experiment besonders achten wollen, so dass sie nicht blind oder gar jede unwichtige Kleinigkeit beobachten (zielgerichtetes Beobachten). Keinesfalls sollte der Lehrer jedoch das Unterrichtsgespräch so lange in die von ihm beabsichtigte Richtung lenken, bis das gewünschte Experiment mit dem gewünschten Effekt geplant ist. Vielmehr lohnt es sich, auch falschen Prognosen nachgehen. Dies erfordert ein „situatives“ und flexibles Experimentieren.

zu den Einstiegsbeispielen (Fotografie und Iod in Kochsalz):

Die Einstiegsbeispiele verdeutlichen, wie eine Anwendung die Phase der Zielorientierung bestimmen kann, anstatt die Anwendung erst im Anschluss an das Experiment zu erwähnen, wie dies häufig im Unterricht geschieht. Gleichzeitig ergibt sich aus dieser Anwendung heraus jeweils die Planung der Experimente.

Insbesondere Analysen (wie etwa im Beispiel Iod) eignen sich in besonderer Weise für die Einbindung der Schüler in der Planung des Experiments. Hier einige Beispiele:

„Was könnte passieren?“ „Was denkt ihr?“ „Wie könnt ihr das im

Experiment überprüfen?“

Page 4: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/4 Beispiel 2 - Planung einer Analyse a) Eine Versuchsvorschrift zur Bestimmung einer Säurekonzentration (z. B. in Haushalts-

chemikalien) soll mit Hilfe der zur Verfügung gestellten Geräte (wie Bürette, Peleusball, Messpipette, Erlenmeyerkolben) geplant und ausgewertet werden. Anstatt eine Versuchs-vorschrift auszugeben, entwickeln sie die Schüler selbst. Dabei gehen wir davon aus, dass ihnen Neutralisationsreaktionen und Konzentrationsangaben aus dem bisherigen Unterricht bekannt seien.

b) Der Lehrer behauptet, er habe angeblich einen unbekannten Stoff in der Chemie-

sammlung gefunden. Er strebt eine Analyse an (Beispiel eines geeigneten Stoffes: Cola).

Die folgende Grafik findet man in vielen gängigen Schulbüchern. Wie ließe sich hierzu eine Zielorientierung mit anschließender Versuchsplanung schaffen?

4. Möglichkeit: Umkehrbarkeit

Die Umkehrbarkeit einer Fragestellung oder eines experimentellen Effekts wird gerne zur Schaffung einer Zielorientierung verwendet. Beispiele:

� Übergänge der Aggregatzustände: Lassen sich aus sublimiertem Iod wieder die Iodkristalle gewinnen? Bleibt Wasser beim Verdampfen Wasser? (8. Klasse) � Trennung von Stoffgemischen: Wie können wir zwei Stoffe, die gemischt wurden, wieder zurückgewinnen? (8. Klasse) � Umkehrbarkeit einer Reaktion: Bleiben die „kleinsten Teilchen“ bei der Entstehung eines neuen Stoffes wirklich erhalten

oder werden sie zerstört? (8. Klasse)

Page 5: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/5 � Reduktion: Ist die Oxidation eines Stoffe umkehrbar? Oder wird ein Stoff durch Oxidation zerstört? � Elektrolyse: Lässt sich die Bildung von Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff umkehren? Kann man die Energie, die man zur Elektrolyse eines Stoffes benötigt, umgekehrt in einer

Batterie zum Antrieb elektrischer Geräte nutzen? (9. Klasse) � Säuren-Basen: Lässt sich die Wirkung einer Säure kompensieren? (9. Klasse) � Gleichgewicht: In der Oberstufe werden stärker Einflussfaktoren auf die Umkehrbarkeit von physikalischen

und chemischen Prozessen sowie damit verbundene quantitative Untersuchungen betrachtet.

Page 6: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/6

3.2 Problemorientierung

„Wer einem Kind die Antwort sagt, betrügt es um seine eigenen Erfahrungen.“

Problemlösen im naturwissenschaftlichen Unterricht Die Reihenfolge der Lernschritte in einer Unterrichtsstunde entspricht nicht der Systematik eines wissenschaftlichen Lehrbuchs, also einer nachträglich erstellten Ordnung, in die ein erforschtes Wissensgebiet gebracht wurde. Die Unterrichtsstunde ist eher, wenn sie zur Eigen-tätigkeit der Schüler führen soll, dem Forschungsprozess selbst verwandt. Die Konfrontation mit einem komplexen Problem motiviert für die Aneignung der einzelnen „Elemente“, die zur Lösung des Problems erforderlich sind (Zielorientierung durch Problemorientierung). Fachsystematik ist auf diese Weise Resultat, nicht aber Struktur des Lernprozesses. Auch im Fach Chemie hat es sich seit Jahrzehnten bewährt, den Unterrichtsverlauf zu einem Problemerkennungsprozess und einem anschließenden Problemlöseprozess zu gestalten. Man achte auf die strikte Trennung zwischen Problemgewinnung und Problemlösung. Der Schüler empfindet einen Sachverhalt etwa dann als Problemsituation, wenn er mit seinem Vorwissen und seinen Erfahrungen nicht erklärbar ist. Von solchen Problemsituationen geht erfahrungsgemäß eine besonders starke Motivation aus, da das Versagen der bisherigen Erklärungspraxis ein intensives Erklärungsbedürfnis hervorruft und verstärkt zur aktiven Suche nach Lösungen des Problems anregt. Die Forderung nach einer Begründung des Phänomens muss damit nicht mehr allein vom Lehrer aufgeworfen werden. In diesem Zusammenhang soll nicht geleugnet werden, dass auch die von äußeren Bekräftigungen und Kontrollen abhängigen „extrinsischen“ Motivationen bei Schülern eine hohe Rolle spielen (z. B. Noten oder die Person des Lehrers). Dennoch sollte es das Anliegen des Lehrers sein, die Möglichkeiten einer sachbezogenen „intrinsischen“ Motivation zu kennen und zu nutzen. Problemsituationen stehen meist am Beginn einer Unterrichtsstunde. Spannung und gewecktes Interesse müssen allerdings durch eine geschickte Weiterführung des Unterrichts aufrechterhalten werden. In einem die Selbsttätigkeit des Schülers betonenden, entdeckenden Chemieunterricht tauchen Problemsituationen sicher häufig von selbst auf. Dennoch scheint es möglich und wertvoll, sie bewusst herbeizuführen. In diesem Fall wird die Problemerkennung vom Lehrer eingeleitet und der Schüler für ein „Problem“ sensibilisiert. Das Schaffen von Problemsituationen ist eine wichtige Voraussetzung, um problemlösenden Unterricht zu gestalten. Doch wie erreicht man solche Situationen? Es folgen einige Möglichkeiten hierzu.

a) Problemgewinnung mittels „Problemexperiment“ im Unterrichtseinstieg Das „Problemexperiment“ zeichnet sich durch einen Überraschungseffekt aus, wodurch der Lehrer das Problemempfinden bei den Schülern wecken kann. In den meisten Fällen dient das Problemexperiment dem Schüler zunächst nicht zur Klärung einer bestimmten Fragestellung - sie ergibt sich vielmehr erst dadurch. Der Lehrer möchte auf ein Phänomen aufmerksam machen, mit dem der Schüler in keiner Weise rechnet und auf das er niemals geachtet hätte. Beispiele: � Natrium reagiert mit Wasser.

Page 7: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/7 � In eine Flasche mit breiter Öffnung (z. B. Milchflasche) wirft man einen brennenden

Holzspan. Sofort setzt man ein gekochtes, geschältes Ei auf die Öffnung, das dann ins Innere der Flasche „gesaugt“ wird.

� Der Boden einer Petrischale wird mit dest. Wasser bedeckt. Am Rand der Petrischale gibt

man etwas festes Bleinitrat (weiß) und an der gegenüberliegenden Seite Kaliumiodid (weiß) ins Wasser, ohne umzurühren.3

� Einführung in die Kinetik anhand des in der Literatur als „Landolt-Uhr“ geführten

Versuchs: Nach dem Mischen zweier farbloser Lösungen (Kaliumiodatlösung und Natriumhydrogensulfitlösung mit Stärke) zeigt sich ein plötzlicher Farbumschlag nach blau erst nach einer gewissen, regulierbaren Zeit – so, als ob der Versuch zunächst nicht zu funktionieren scheint.

b) Problemgewinnung mittels Inkongruenzen Bei dieser Problemsituation ist das Ergebnis eines Experiments genau konträr zu den aufgrund des Vorwissens definierten Erwartungen. Es entsteht eine Diskrepanz zwischen erwartetem und tatsächlich feststellbarem experimentellen Befund. In der Theoriehierarchie höher stehende und daher umfassendere Theorien können schließlich die zunächst widersprüchlichen experimentellen Befunde in Einklang bringen. Bestenfalls artikulieren die Schüler ihre Erwartungen vor der Versuchsdurchführung. Es kann angebracht sein, die Schüler zunächst in ihrer falschen Erwartungshaltung zu belassen. Diese muss allerdings mit der gleichen Deutlichkeit nach Aufklärung des kognitiven Konflikts - in einer Rückschau - als falsch herausgestellt werden, damit keine Verwirrungen bestehen bleiben. Die Möglichkeit der bewusst erzeugten Inkongruenz kann nicht zu häufig und auch nicht wiederholt in der gleichen Weise eingesetzt werden, da sich ansonsten - wie auch bei anderen methodischen Maßnahmen - bestimmte „Immunisierungen“ einstellen.

Wie lässt sich bei folgenden Unterrichtsthemen eine Problemsituation bzw. eine Inkongruenz erzeugen?

� Ammoniak als Protonenakzeptor: ∆EN = 0,9 wie bei HCl. � Antrieb einer Reaktion: Zunahme der Entropie bei freiwillig ablaufenden endothermen Reaktionen. � 50 mL Alkohol und 50 mL Wasser ergeben bei ihrer Mischung 97 mL.

� Na → Na+ + e− und Cl + e− → Cl− : Ionisierungsenergie und Elektronenaffinität liefern ∆H = +133 kJ/mol. Fallen Ihnen weitere Beispiele ein?

3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode

nach WAGENSCHEIN in: P. BUCK, Verstehen lernen statt Begriffe einprägen – Chem. Sch. 40 (1993) 4, S. 134 - 139

Page 8: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/8 c) Problemgewinnung mittels verschiedener Materialien Auch mit Hilfe verschiedener Materialien kann man eine Problematisierung erreichen. Dies zeigen exemplarisch die folgenden Abbildungen. Meist ist die Fragestellung nicht notiert, sie erschließt sich vielmehr aus dem Zusammenhang. Methodische Hilfsmittel sind dabei:

� auch hier Inkongruenzen

� Ausblendungen (entscheidend Teile der Abbildung werden überdeckt oder abgeschnitten. Einen analogen Effekt erreicht man mit Hilfe mehrteiliger Überlegfolien oder mit Hilfe von Filmen, wenn man sie an einer entscheidenden Stelle, die eine Frage aufwirft, stoppt.)

� Fragestellungen aus der Lebenswirklichkeit (z. B. durch die Wahl eines Zeitungsartikels). Beispiele: 1 ein Zeitungsartikel

2 ein fiktiver Hörerbrief

Liebe Redaktion, die Tipps Ihrer Sendung, die ich nie verpasse, probiere ich sehr oft aus und hatte bisher fast immer Erfolg damit. Darum wende ich mich mit meinem Problem an Sie: In meinem Haushalt lassen sich mit Essig die Kalkablagerungen prima beseitigen. Nur bei unseren dunkelblauen Fliesen in der Dusche, die mein Mann letzten Monat mühsam erneuert hat, bleiben schreckliche Kalkflecken zurück. Die Fliesen sind mehr grau als blau. Meine Arbeitskollegin Marianne hatte vorgeschlagen, einen Kalkentferner im Fachhandel zu kaufen. Ich möchte aber keine Chemikalien verwenden, und erst recht nicht so aggressive Stoffe. Auch mein Mann sagt, dass meine Hände vom vielen Putzen schon genug geschädigt sind. Wie im Fernsehen immer empfohlen wird, sucht man ja doch möglichst nach ökologischen und biologischen Mittelchen. Daher kam mein Gedanke auf Essigessenz - nach dem Motto “viel hilft viel“. Wie ist Ihre Meinung dazu: Kann ich Essigessenz einsetzen statt des üblichen dünnen Essigs? Über eine Behandlung der Frage in Ihrer Sendung würde ich mich sehr freuen. Mit freundlichen Grüßen

Ihre Gisela

Beim Reinigen

Tod im Mostfass

Oberteuringen (dpa). Ein 40 Jahre alter Landwirt ist beim Mostfass-Reinigen auf einem Hof in Oberteuringen (Bodenseekreis) ums Leben gekommen. Er war in das 4000 Liter fassende Holzfass gestiegen, in dem noch vergo-rener Most einige Zentimeter hoch stand. Plötzlich wurde der Bauer bewusstlos. Der 20 jährige Sohn bemerkte dies und stieg in das Fass, um seinen Vater zu ret- tehhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh

ten. Doch auch ihm schwanden die Sinne. Ein Verwandter behielt einen kühlen Kopf, schnitt mit einer Motorsäge ein Loch in das Fass und zog beide heraus. Für den Vater kam jedoch jede Hilfe zu spät. In dem Fass war es offenbar zu einer Nachgärung gekommen .klkllllllklllllklklklllll..

Page 9: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/9 � ein Comic für Kinder

Page 10: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/10

� eine Streitfrage Kritisches Man kann nicht erwarten, dass ein Widerspruch, ein Überraschungseffekt, ein optischer Blickfang als Problemgrund für alle Schüler zugleich wirken. Je komplexer die Thematik ist, umso schwieriger gestaltet sich die einheitliche Problemerkenntnis, da Schüler – selbst wenn sie den gleichen Kenntnisstand aufweisen würden – aufgrund ihrer unterschiedlich vernetzten Denkstrukturen zu verschiedenen Problemerkenntnissen kommen. Eigentlich müssten sie dann einen eigenen Problemlöseprozess durchlaufen. Außerdem darf das gestellte Problem den Schüler nicht überfordern: Er wird sich ansonsten aus der Situation zurückziehen und nicht an der Problemlösung arbeiten. Vor allem schwächere Schüler haben Schwierigkeiten, die neuen Herausforderungen in ihre kognitiven Strukturen zu integrieren. (Vereinfacht: „Wenn ich nichts weiß, entsteht für mich keine Problemsituation.“)

Page 11: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/11

3.3 Induktion und Deduktion

Zwei grundlegende Methoden der Erkenntnisgewinnung, die induktive und deduktive Methode, legen in besonderem Maße den Aufbau einer Unterrichtsstunde und die damit verbundene Eingliederung des Experiments fest. Da das methodische Vorgehen in den empi-rischen Wissenschaften durch die Abfolge von induktiven und deduktiven Denkprozessen bestimmt ist, müssen im Chemieunterricht auch beide Schlussverfahren zum Tragen kommen.

Die Induktion und der „Erarbeitungsversuch“ Das Ziel der induktiven Methode ist es, Einzelbeobachtungen durch Abstraktion zu verallgemeinern. Um nämlich in den Naturwissenschaften grundlegende Zusammenhänge (Prinzipien, Gesetze) formulieren zu können, muss deren Gültigkeit erst exemplarisch entdeckt werden. Diesen auf Beobachtung und Experiment begründeten Prozess der Erkenntnisgewinnung, der zunächst zu speziellen Aussagen, dann zu Gesetzen und Prinzipien und letztlich zu Theorien führt, nennt man Induktion. Experimente, mit denen man auf diese Weise im Unterricht Erkenntnisse gewinnt, nennt man „Erarbeitungsversuche“.

Die Deduktion und das „Bestätigungsexperiment“ Im Rahmen der deduktiven Methode leiten die Schüler bei einer neuen Fragestellung aufgrund bisher kennen gelernter Theorien ihre Folgerungen ab, die erst im Anschluss daran durch das Experiment verifiziert oder falsifiziert werden. Im Schulalltag handelt es sich im Prinzip um Transferprobleme. Zwar steht sowohl bei induktiver als auch bei deduktiver Vorgehensweise eine Problemstellung im Vordergrund, die gelöst werden soll. Allerdings reichen bei der induktiven Methode zur Beantwortung der Frage die bisher zur Verfügung gestellten theoretischen Modelle nicht aus. Experimente zur Überprüfung der auf deduktivem Wege gewonnenen Aussagen werden als „Bestätigungsexperimente“ bezeichnet und bilden den Abschluss einer Gedankenreihe. Das Bestätigungsexperiment hat den Vorteil, dass man keine künstliche Beobachtungssituation für die Versuchsdurchführung schaffen muss. Vielmehr ist die Beobachtung nicht willkürlich, sondern theoriegeleitet und zielgerichtet, da die Schüler wissen, was sie beobachten wollen oder nicht beobachten wollen. Mit dem Bestätigungsexperiment ist seine Planung im Unterricht verbunden (siehe hierzu auch Kapitel 3.1).

Einwände gegen die ausschließliche Anwendung der induktiven Methode

Sehr leicht gibt man der induktiven Methode den Vorzug, wenn man davon ausgeht, dass die Deduktion höhere kognitive Fähigkeiten der Schüler erfordert. Es gibt fachdidaktische Argumente, die ebenso für die Einsatz der deduktiven Methode sprechen: � Wenn Schüler eigenständig Erkenntnisse aus bereits gewonnenen Theorien erwerben, wird

ihnen verdeutlicht, wie mächtig und sinnvoll Theorien sein können. � wissenschaftliche Betrachtungsweise: Induktiv verallgemeinerte Sätze können sich im Rahmen von zukünftigen Experimenten

und Erfahrungen immer wieder als falsch erweisen. Ein radikaler, wissenschaftstheoretisch begründbarer Standpunkt besagt: Eine Induktion ist gar nicht möglich, denn ein einzelnes Gegenbeispiel bringt eine Gesetzmäßigkeit zu Fall.

Page 12: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/12

Andererseits gilt für die schulische Praxis: - Wir können aufgrund der kognitiven Voraussetzungen nur selten im Chemieunterricht

von Anfang an ein vollständiges Bild der Fülle an Erscheinungen erarbeiten. - Es gibt wichtige Gesetzmäßigkeiten, zu deren Herleitung sich in der Praxis des

Schulunterrichts nur ein einziges experimentelles System bewährt hat. - Die schulische Praxis verleitet aus zeitlichen und organisatorischen Gründen zu einer

induktiven Generalisierung aus nur einem festgestellten Zusammenhang. � Wird im Chemieunterricht zu häufig mit der induktiven Methode zum Auffinden von

Theorien und Modellen gearbeitet, so weckt man bei den Schülern die falsche Vorstellung, kritiklos verallgemeinern zu können. Vielfach unterstützt wird diese Vorstellung noch durch die Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit der Schüler zu Verallgemeinerungen neigen. Meist bugsiert der Lehrer die Schüler durch ausgewählte Beispiele und durch das Formulieren entsprechender Fragen in Richtung der zu erarbeitenden Theorie („Mausefalleinduktion“):

„Wer weit kommen muss, ist froh, auf gebahnter Straße flott fahren zu können und nicht durch alle Winkel des Geländes kurven zu müssen. Damit die Schüler gar nicht auf den Gedanken kommen, mal links oder rechts ins Gelände zu gehen – sie könnten ja abgelenkt werden – wird die Straße sogar mit seitlichen Mauern oder Böschungen versehen.“4

Zu folgenden Themenbereichen soll andiskutiert werden, inwieweit die deduktive

gegenüber der induktiven Methode im Unterricht umsetzbar ist. Zu berücksichtigen ist dabei jeweils, was der vorhergehende Unterricht geleistet hat.

� Reaktion von Calcium mit Wasser � Reaktion unedler Metalle mit sauren Lösungen � Verdrängungsreaktion einer Säure aus ihrem Salz (z. B. bei Kalkentfernung) � Esterkondensation � Oxidation von Alkanolen mit relativ milden Oxidationsmitteln (z. B. CuO)

Hypothesenbildung Hypothesen, die die Schüler hinsichtlich einer Fragestellung formulieren, sind das Musterbeispiel des fließenden Übergangs zwischen Induktion und Deduktion. Denkabläufe sind nämlich ohne das Wechselspiel von Induktion und Deduktion gar nicht vorstellbar: Das „induktive“ Einsteigen löst sogleich „deduktives“ Denken aus, also den Versuch, das Beobachtete geistig einzuordnen, nach Analogien zu suchen, eine Erklärung aus dem bisher Gelernten abzuleiten. Aber auch andere in diesem Kapitel angesprochene Aspekt entdeckt man bei der Hypothesenbildung wieder, wie der im Folgenden dargestellte typische Verlauf zeigt:

4 R. FLADT, Strukturwandel im Chemieunterricht – liegen wir richtig? - MNU 32 (1979) 327

Page 13: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/13

Wozu überhaupt Hypothesen? Vorläufige Vermutungen und Hypothesen werden im Vorhinein nicht aus dem Grund auf-gestellt, um sie anschließend gänzlich zu verwerfen. Die Schüler sollen sich vielmehr die Prämissen ihrer Vorhersagen bewusst machen. Außerdem wird bei den Schülern eine Einstellungsänderung von einer vorwiegend logischen zu einer empirischen Betrachtungs-weise angestrebt, wenn auch noch so klar erscheinende Aussagen stets empirisch überprüft werden müssen. Gelegentlich lohnt sich die bewusste Aufforderung an die Schüler, Hypothesen aufzustellen, da dadurch mögliche Fehlvorstellungen, die es dann zu revidieren gilt, besonders hervortreten – wie die folgenden Beispiele zeigen:

ungeklärtes Phänomen

Durchführung der Experimente

Problemstellung

Falsifizierung

Verifizierung

Bildung einer veränderten oder neuen Hypothese

Planung von Experimenten

zur Überprüfung

Aufstellen von Hypothesen

Bewertung hinsichtlich

der Hypothesen

Ausweitung der Hypothese

zur Theorie

Modell zur Veranschau-lichung und

Interpretation

deduktiver Zweig: Transferproblem

Modell zur Veranschau-lichung und

Interpretation

Zielorientierung

Page 14: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/14

Beispiele: � Auf einer Balkenwaage wird eine Porzellanschale mit Magnesiumspänen

austariert. Vor der Zündung der Späne bitte man die Klasse um eine Spontanabstimmung, ob der Inhalt in der Porzellanschale nach der Reaktion leichter, gleich schwer oder schwerer wird. Indem man zu diesen drei verschiedenen Vorhersagen auch die Argumente der Schüler noch vor der Versuchsdurchführung sammelt, kann man deutliche Fehlvorstellungen aufgreifen und scheinbar logische Argumente für alle Positionen gegenüberstellen.

Welche Argumente werden wohl Schüler für die drei Optionen nennen? � Ein Kupferblech wird schwarz, wenn man es in die Bunsenbrennerflamme hält. Welche Hypothesen bzw. Vermutungen könnten Schüler hierzu aufstellen? Und

welche (möglichst einfachen) Experimente könnte man mit der Klasse planen, die die Hypothesen bestätigen oder widerlegen?

In einer besonderen und noch detaillierteren Ausformung zeigt sich die Entwicklung einer Theorie, ausgehend von einem Problem, im sogenannten „forschend-entwickelnden Unterrichtsverfahren“ nach SCHMIDKUNZ und LINDEMANN (siehe Kapitel 7).

Page 15: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/15

3.4 Modellexperimente

Simulation eines technischen Verfahrens Bei diesen Modellversuchen werden industrielle und großtechnische chemische Verfahren im kleinen Maßstab nachvollzogen. Ausgangspunkt ist das ausgereifte Verfahren der chemischen Industrie. Daraus wird der Modellversuch abgeleitet, der die Grundprinzipien des Verfahrens entsprechend den Anforderungen des Chemieunterrichts aufzeigt. Bei der theoretischen Betrachtung der Verfahren im Unterricht genügt es nicht, nur die Umsetzung der Ausgangsstoffe zu betrachten; sie ist einzubetten in einen weit umfassenderen Prozess, der insgesamt mehrere, aufeinander abgestimmte und miteinander verklammerte Schritte umfasst. Traditionellerweise werden mit der chemischen Industrie Produkte wie Natronlauge, Schwefelsäure, Eisen (im Hochofenprozess), Düngemittel, Farbstoffe, Kunststoffe und Kosmetika in Verbindung gebracht, samt des Stoffverbundes und der Entsorgung (z. B. Entschwefelung von Abgasen). Daneben gibt es auch eine stattliche Reihe von Werkstoffen, die auf vielen Gebieten des täglichen Lebens Verwendung finden (z. B. Hochleistungs-keramiken, Speziallegierungen, besondere Kunststoffe).

Beispiel: Ein beliebtes Beispiel ist die Schwefelsäure-Produktion. Wie könnte sie im

Modellexperiment nachgestellt werden?

Veranschaulichung der submikroskopischen Ebene Neben Modellen als Abbildungen der Realität werden im Chemieunterricht am häufigsten Modelle eingesetzt, um in die submikroskopische Struktur der Materie (also in die Ebene der kleinsten Teilchen) und in die dort herrschenden bzw. angenommenen Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Einblicke zu gewinnen bzw. Vorstellungen zu veranschaulichen. Aus prinzipiellen Gründen sind Originalbetrachtungen der Vorgänge im atomaren und molekularen Bereich nicht möglich. Methodisch dienen die Modelle der Visualisierung komplexer Systeme und der Impulsgebung durch den Lehrer bei der Interpretation von Beobachtungen. Sie dürfen nicht zum Selbstzweck werden, sondern sollen das Verständnis im Chemieunterricht fördern. Modellversuche, die (beispielsweise in der Durchführung) für die Adressaten selbst schwieriger zu verstehen sind als das Original, sollten vermieden werden. Eine Weiterentwicklung liefert die Simulation mit Hilfe von Computern. Dabei muss der Lehrer stets überlegen, welche Vorteile das einzusetzende Computerprogramm gegenüber einer feststehenden Abbildung (Buch, Arbeitsblatt, Folie) oder gegenüber einem Molekülbaukasten tatsächlich aufweist. Zwei entscheidende Fragestellungen können dem Lehrer bei der Beurteilung des Unterrichtseinsatzes von Modelldarstellungen am Computer helfen: 1. Sind mit Hilfe des Computerprogramms dynamische Darstellungen möglich (Bewegung

von Molekülen, ...), die zum größeren Verständnis der Prozesse beitragen und die die Visualisierung mit einem Molekülbaukasten nicht leistet?

2. Ermöglicht das Programm einen Methodenwechsel vom Lehrer-Schüler-Gespräch zu Einzel- oder Partnerarbeit, was Schülern eine individuelle zeitliche Gestaltung ihrer Lernprozesse gestattet?

Page 16: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in:

Einsatz eines Experiments 3/16

Diskussionspunkte: � In den Kistenversuchen beschäftigt sich die 3. Versuchsgruppe mit Modell-

versuchen zum Themenbereich „Kinetik und chemisches Gleichgewicht“. Bewerten Sie diese Experimente.

� 50 mL Alkohol und 50 mL Wasser ergeben bei ihrer Mischung 97 mL (siehe

auch 3.2). Dieses Experiment wird in den Schulbüchern häufig zur Einführung des

„Kugel-Teilchen-Modells“ (Atommodell nach DALTON) verwendet. Fachdidaktisch ist dies umstritten. 5

Welche Einwände könnte es geben a) hinsichtlich des „Billardkugel-Teilchenmodells“? b) hinsichtlich des genannten Experiments zur Einführung des Modells? � Welche Versuche, die auf den Aufbau der Materie aus Teilchen (gemäß dem

Kugel-Teilchenmodell) schließen lassen, fallen Ihnen noch ein?

5 � P. BUCK, Die Teilchenvorstellung – ein „Unmodell“ - Chem. Sch. 41 (1994) 11, S. 412-416 � K. KULLMANN, Was erklärt der „Modellversuch zur Volumenkontraktion“ wirklich? − Chem. Sch. 41 (1994) 12, S. 470 f. � M. MÜLLER, Der „Modellversuch zur Volumenkontraktion“ – ein untaugliches Hilfsmittel – Chem. Sch. 42 (1995) 3, S. 115 f. � R. HÜTTNER, Sind Versuche zur Volumenkontraktion geeignete Stationen auf dem Weg zur Teilchen-

vorstellung? – Chem. Sch. 43 (1996) 11, S. 398 - 403

Page 17: K 3 EINSATZ EINES EXPERIMENTS - chemie.uni-mainz.de · 3 Beschreibung eines problemorientierten Zugangs nach der genetisch-sokratisch-exemplarischen Methode nach W AGENSCHEIN in: