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41 Stiftungsreihe Kabelnetze und Multimedia Alcatel SEL Stiftung für Kommunikations- forschung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft Dieter Klumpp Vortragszyklus 1997-2001 in Berlin, Iserlohn, Stuttgart, und München zur Modernisierung der Kabelnetz-Infrastruktur Satelliten Mobilfunk Telefonkabel Koaxial-Kabel 2 km C-Verstärker - POTS - ISDN - HYTAS - xdSL - Koax-Baum - Koax-Stern - Glasfaser ins Haus - Glasfaser in die Wohnung

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41Stiftungsreihe

Kabelnetze undMultimedia

Alcatel SELStiftung fürKommunikations-forschung imStifterverband fürdie DeutscheWissenschaft

Dieter Klumpp

Vortragszyklus 1997-2001in Berlin, Iserlohn, Stuttgart, und München zurModernisierung der Kabelnetz-Infrastruktur

Satelliten

Mobilfunk

Telefonkabel

Koaxial-Kabel

2 km

C-Verstärker

- POTS

- ISDN

- HYTAS

- xdSL

- Koax-Baum

- Koax-Stern

- Glasfaser ins Haus

- Glasfaser in die Wohnung

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Impressum

Stiftungs-Reihe

RedaktionDr. Dieter KlumppPetra Bonnet M.A.Renate Förstner

Druck der BroschüreAlcatel SEL AG

Alle Rechte vorbehaltenAlcatel SEL Stiftung© 2001

PostadresseAlcatel SEL StiftungPostfach 40 07 4970407 StuttgartTelefon (0711) 82145002Telefax (0711) 82142253Email [email protected]

ISSN 0932156x

Kabelnetze und Multimedia

Inhaltsverzeichnis

Seite

Vorwort 3

Wohnwert - Lebenswert:Bürgerinformationssysteme im Wohnumfeld 5Vortrag auf dem Kongress „Wohnwert: Multimedia“der Wohnungswirtschaft Berlin, 14. Oktober 1997

Multimedia-Netze: Kooperation und Partnerschaft 17in der Wertschöpfungskette? Vortrag auf der Jahresversammlung der InteressengemeinschaftMultimedia der Deutschen Wohnungswirtschaft Berlin,27. Januar 1998

Was ist Innovation in der Multimediawelt? 30- Wird der Markt es beizeiten richten?Vortrag auf der Tagung der Evangelischen Akademie Iserlohn„Von der Informations- zur Wissensgesellschaft - NeueKommunikationstechnologien und der gesellschaftlicheFortschritt“ am 18. April 1999 in Iserlohn

Visionen der Breitbandzukunft 40Eröffnungsvortrag auf der Sitzung 1 („Content“) des Kabelforum 21der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württembergam 12.10.2000 im Staatsministerium Stuttgart

Die Modernisierung des Kabelnetzes 45Rede auf dem Multimedia-Kongress derFDP/ DVP-Fraktion des Landtags vonBaden-Württemberg anlässlich„Fünf Jahre Multimedia-Enquête-KommissionBaden-Württemberg“, Plenarsaal Landtag,Stuttgart, 30. November 2000

Holzwege zur Informationsgesellschaft 50Leitvortrag auf dem Bayern Online KongressMünchen, 9. Juli 2001

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Autor

Dr. Dieter Klumpp

• Geschäftsführer Alcatel SEL Stiftung für Kommunikationsforschung

• Sprecher Fachbereich I (Informationsgesellschaft) der Informationstechnischen Gesellschaft

im VDE

• Mitglied der Enquête-Kommission Multimedia des Landtags von Baden-Württemberg

1994/1995

• Mitglied des Beirats der Enquête-Kommission „Neue Medien“ des Deutschen Bundestags

1996/1998

• Mitglied des Kabelforums 21 der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg

• Vorstandsmitglied des Kollegiums des Stiftungsverbundkollegs Berlin zur Informationsge-

sellschaft

• Lehrbeauftragter FU Berlin (Publizistik/Kommunikationswissenschaft) für Medieninfra-

strukturpolitik

Unmittelbar vor Drucklegung dieser Stiftungsreihe Nr. 41 wurde die Entscheidung des Bundes-kartellamts bekannt, die geplante Übernahme von rund 60% der Breitbandkabelnetze der Deut-schen Telekom durch die US-amerikanische Liberty zu untersagen. Damit ist in der Leidensge-schichte dieses TV-Kabels als „verhindertes Multimedianetz“ ein weiteres Kapitel aufgeschlagen.Die Begründung wurde hauptsächlich aus der absehbaren „Machtmonopolbildung“ heraus ge-geben. Einmalig ist aber der Umstand, dass eine Aufsichtsbehörde eine aktive Modernisierungund Innovation dieser Infrastruktur forderte, die der neue Besitzer nicht leisten wollte.

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Vorwort

Die in diesem Band wiedergegebenen Bei-träge stellen Momentaufnahmen der Diskus-sion rund um die Breitbandnetze („Kabelfern-sehnetze“) dar. In Deutschland wurde ab 1982eine spezifische Infrastruktur für die Vertei-lung von TV-Programmen mit einem Investi-tionsaufwand von rund 60 Mrd. DM von derdamaligen Deutschen Bundespost aufgebaut.Diese reinen Verteilnetze waren von Anfangan im Visier der Nachrichtentechniker, weilsie das Potential bieten, auch andere - inter-aktive - Formen der technischen Kommuni-kation zu ermöglichen - bis hin zu einem ve-ritablen „Multimedianetz“. Aber auch dieOrdnungspolitik entdeckte dieses Kabelnetzfrüh als eine Möglichkeit, eine Alternativezum Monopol der Telekom in den Telefon-Ortsnetzen zu schaffen. Allerdings wurden1982 recht unübersichtliche Besitzverhältnis-se dieses Kabelnetzes geschaffen. Die Tele-kom bekam die oberen Netzebenen vollstän-dig, die teilnehmernahe Netzebene (sieheSeite 39) wurden je zu einem Drittel an dieTelekom, an Hunderte von kleinen und mittle-ren Kabelnetzbetreibern sowie an die Woh-nungswirtschaft gegeben. Das Verhältnis derdrei Betreibergruppen untereinander war vonAnfang an mit vielerlei Spannungen verbun-den, die man aus der Rückschau unwiderspro-chen als ein großes Missverständnis über dieProfitabilität des Kabelfernsehens an sich in-terpretieren kann. Peter Glotz sprach damalsschon vom „Goldrausch ohne Goldader“ undselbst die neuen Besitzer sicherten sich miteiner Rückfallklausel gegen allzu große un-erwartete Verluste ab. Sie hatten jedoch poli-tischen Rückenwind, weil - wie EberhardWitte feststellte - vor allem das medienpoliti-sche Ziel der raschen Ablösung des öffent-lich-rechtlichen Meinungsmonopols“ im Vor-dergrund stand und weil zugleich die neuenkleinen Betreiber unterstützt werden sollten.

Unter anderem wurden der Telekom dahervorwiegend „Kabelinseln“ mit relativ weni-gen Teilnehmern (also zum Beispiel Einfami-lienhaussiedlungen) zugeteilt, während die ö-konomisch leichter darstellbareren Anlagen(etwa in Wohnblocks oder Hochhäusern) denanderen Betreibern zufielen. Meinungs-verschiedenheiten gab es auch über die no t-wendigen Qualitätsstandards, bei denen mander Telekom vorwarf, sie verhindere durch ih-re „Goldrandlösungen“ Innovation. Konse-quent vergaben kleinere Betreiber auch preis-wertere Handwerkeraufträge zur Verkabe-lung, die sich ein Jahrzehnt später als defi-zient herausstellten, weil sie - insbesonderehinsichtlich ihrer Abschirmung gegenüberImmission und Emission qualitativ abfielen.

Diese Verteilnetz spielte in der gesamtenDiskussion um Multimedia weiterhin einewichtige Rolle; die Debatte interpretiere ichhier als Teil einer übergelagerten Diskussionüber die Frage, wie man Infrastrukturen undInnovation zusammenbringt.

Die beiden ersten Vortragstationen waren1997 in Berlin beim Kongress „Wohnwert:Multimedia“ der Wohnungswirtschaft und1998 auf der Jahresversammlung der Interes-sengemeinschaft Multimedia der DeutschenWohnungswirtschaft unter der Leitung vonProfessor Volker Riegger. Unter seiner Le i-tung rang die Wohnungswirtschaft um eine„Multimedia-Strategie“, weil die Investitions-zyklen der Wohnungswirtschaft leicht mehre-re Jahrzehnte umfassen. Bei einer Neubau- o-der Modernisierungsmaßnahme muss einWohnungswirtschaftler besonders auf „Zu-kunftssicherheit“ seiner Kabelinfrastrukturachten, weil diese auch die neuen Dienstezehn oder zwanzig Jahre später tragen könnenmüssen.

Auf der Tagung der Evangelischen Aka-demie Iserlohn „Von der Informations- zur

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Wissensgesellschaft - Neue Kommunikati-onstechnologien und der gesellschaftlicheFortschritt“ am 1999 in Iserlohn standen be-sonders die umtriebigen Multimediaakteuredes innovativen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen noch im Mittelpunkt des Interesses.Hatten sie sich doch schon vier Jahre vorherin Programme wie „100.000 ISDN-An-schlüsse“ und eine Vielfalt von „Kabel-Kommunen“ gestürzt. Einer der Diskutantenaus einem dort neu angesiedelten Unterneh-men war sich sicher, dass schon 2000 einkomplettes alternatives Ortnetz aus Breit-bandnetzen und vor allem Breitband-Funkkommunikation („Wireless Local Loop“)bestehen könnte. Ein Jahr später existiertediese Firma schon nicht mehr, Ende 2001 gabsogar die British Telecom den komplettenRückzug aus dem WLL-Sektor bekannt.

Obwohl es eigentlich noch hinreichendDiskussionsstoff über die technische Ausle-gung gegeben hätte, verlagerte sich die Dis-kussion wieder auf die präsumtiven gesell-schaftlichen Folgen von Fernseh- und Multi-mediakonsum. In der Zwischenzeit erfolgteder Verkaufsprozess des Kabelnetzes. DiePolitik wies mehr und mehr die Zuständigkeitfür das weitere Verfahren zurück, Fragennach der neuen Ausgangssituation nach demVerkauf gingen im Tagesgewühl unter. DieSituation (zusammen mit dem desolaten Zu-stand der „Startup-Economy“) habe ich in ei-ner Rede auf der Ringvorlesung der FU Berlinim Juli 2000 skizziert. Der daraus entstandeneBeitrag erschien ein Jahr später in der Fest-schrift für Heribert Schatz.1

In Baden Württemberg richtete die Landes-anstalt für Kommunikation im Herbst 2000inAbstimmung mit dem Staatsministerium einKabelforum ein, das die letzte Phase des Ver-kaufs der Telekom-Anteile an Callahan Asso- 1 Die schwierigen Mittelwege zur Informationsgesellschaft.In: Abromeit, Heidrun/ Nieland, Jörg-Uwe/ Schierl, Thomas(Hrsg.); Politik, Medien, Technik. Festschrift für HeribertSchatz, Wiesbaden 2001, S. 434-452

ciates begleitete. Inzwischen war die Fragenach dem „Content“ an die erste Stelle ge-rückt. Auf Einladung von LfK-PräsidentThomas Hirschle und seiner StellvertreterinAngela Frank konnten die anwesenden Ex-perten wichtige Hinweise zur Behandlung dessensitiven Themas „Content“ geben.

Im Sommer 2001 war ein Leitvortrag aufdem Kongress Bayern Online Gelegenheit,die allseits unzufriedene Stimmung über dieEntwicklung von neuen Kommunikationsinf-rastrukturen anzusprechen. Es gab eine Füllepositiver Reaktionen. Im Herausgeberkreisdes Jahrbuchs Telekommunikation und Ge-sellschaft fassten wir den Beschluss, dasThema "Wie bringt man wieder Innovation indie Infrastrukturen?“ aufzugreifen und wich-tige Akteure um Beiträge zu bitten. 2 DerThemenbereich wurde auch erneut zum Ge-genstand des Hauptseminars am Institut fürPublizistik und Kommunikationsforschungder FU Berlin, für das dieser Band eine Ein-führung in die Problematik darstellte. Für dasJahr 2002 sind im Rahmen des Stiftungsver-bundkollegs Berlin zur Informationsgesell-schaft (siehe letzte Seite in diesem Band)weitere Beiträge geplant.

2 Kubicek, Herbert/ Klumpp, Dieter/ Büllesbach, Alfred(Hrsg.), Innovation@Infrastruktur. Jahrbuch Telekommuni-kation und Gesellschaft 2002, Heidelberg (erscheint im Ap-ril)

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Wohnwert - Lebenswert:Bürgerinformationssysteme im Wohnumfeld

Berlin, 14. Oktober 1997

Bei der Planung einer Wohnungsausstat-tung tun wir uns alle schwer mit der Kommu-nikationstechnik. Dem Häuslesbauer, derviele Steckdosen für elektrische Geräte vor-hält, bescheinigen wir bekanntlich planeri-schen Weitblick. Denn das steigert denWohnwert. Was aber würden wir von jeman-dem halten, der schon beim Neubau in allenRäumen eine Antennensteckdose anbringenlässt? Eben. Wir würden ihn fragen, ob erdenn ein totales Medienleben plant und ob dasdann noch einen Lebenswert hat. WelchesElternpaar brächte es fertig, einem Kleinkindeinen Satellitenanschluss ins Zimmer zu le-gen, obwohl die der kleinkindlichen Mentali-tät am meisten angepassten Filme doch be-kanntlich überwiegend aus dem Orbit kom-men? Oder was wäre, wenn der Häuslesbauerein halbes Dutzend Telefonsteckdosen an-bringen ließe? Wir würden überzeugt sein,dass er einfach zu viel Geld oder noch nichtsvom schnurlosen Telefon gehört hat. Abernun stelle man sich die weitere Steigerungvor: unser Häuslesbauer legt sich einen extraabgesicherten Stromkreis mit „Dauerlauf-steckdosen“ und Notstromversorgung. Erwürde von der Familie oder hilfsbereitenNachbarn zur nächst gelegenen ambulantenTherapiegruppe geleitet werden.

Zu weit hergeholt? Kritisieren so etwasnicht nur weltferne Kulturtheoretiker? Ist dasschon wieder „typisch deutsche Bedenkenträ-gerei“? Nein, solche Probleme sind keinedeutsche Eigenart, sie sind nicht auf Technik-distante beschränkt und sie sind gegenwärtig.Seit drei Jahren hängen meine sensibelstenGeräte, darunter spannungsempfindliche PCs,ein vollgespeichertes Telefaxgerät sowie diediversen Recorder an einer Kabeltrommel, dieden Strom aus dem Schlafzimmer heranführt,

hinter Bücherwänden und unter Teppichenmühsam verdeckt. Das Problem: Über mir inder Stuckdecke des Jugendstil-Altbaus von1911 ist nach absoluter Mehrheitsmeinung derkonsultierten Handwerker ein Kurzschluss imStromkreis, dessen Beseitigung laut Elektrikerwegen noch vorhandener „versiegelter Gas-lichtleitungen“ bis zu „ein paar tausend Markkosten könnte“. Die Hausbesitzerin der Miet-wohnung, die das Problem am liebsten vorGericht brächte, stammt etwa aus derselbenEpoche. Der Gedanke, vor einem deutschenGericht darlegen zu müssen, warum ein heftigberufstätiger Mensch wie ich auch zuhauseeinen PC, ein Faxgerät und mehrere Recorderbraucht, ist mir doch zu peinlich, vor allemauch im Ergebnis zu ungewiss. Also Kabel-trommel. Also lieber ab und an PCs neu kon-figurieren und 100 Faxnummern neu spei-chern. Wie gesagt: Bei der Wohnungsaus-stattung und der Haustechnik tun wir uns alleschwer mit der Informations- und Kommuni-kationstechnik.

Verwirrende Technik-Vielfalt

Die beschriebene Schwierigkeit der „Infra-strukturmodernisierung“ ist kein Einzelfall.Und das Phänomen beschränkt sich nicht aufnaive Nutzer. Wie viele Mieter oder Hausbe-sitzer haben sich ein modernes Komforttele-fon oder ein Schnurloses Telefon zugelegtund dann erst festgestellt, dass keine Strom-steckdose in der Nähe der Anschlussdose ist?Hier fragt sich der Benutzer vorschriftsmäßigzunächst: Ist das vielleicht doch Schuld derTelekom? Denn bekanntlich wird eine Mono-polstellung der Telekom wohl nie fallen, dasPrivileg nämlich, für jedwede Störung als

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erste Instanz verantwortlich gemacht zu wer-den. Dazu passt auch der Anruf eines Freun-des, der eine interne Rivalität der Telekomentdeckt zu haben glaubte: Die „Telefon-Telekom“ sabotiere die „Telefax-Telekom“.Er habe zwar vor seinem Urlaub vorschrifts-mäßig alle elektrischen Sicherungen (außer inder Küche wegen der Tiefkühltruhe) heraus-gedreht, das Faxgerät habe aber trotz neuerPapierrolle im Gegensatz zum Telefon nichtfunktioniert, es seien Faxe an ihn eindeutigverschwunden1.

Irgendjemand wird auch dafür verantwort-lich sein, dass die Steckdosen nie dort sind,wo man sie braucht. Wer kennt nicht das ge-räumige Neubauwohnzimmer, in dem dieAntennensteckdose gemäß Innenausbauplangenau in die Mittelachse der Stellwand plat-ziert wurde, dorthin, wo man ganz früher inKirchen den Hochaltar und in den fünfzigerJahren eben die „Flimmerkiste“ stellte? Undwo, bitteschön, ist denn das Problem, wennder Hobbyhandwerker im Baumarkt die paarMeter abgeschirmtes 75-Ohm-Kabel für einpaar Mark kauft und selbst installiert? EinTrost für den Bastler: Die seltsamen wan-dernden Streifenmuster tauchen schließlichdoch nicht immer und überall auf dem Bild-schirm auf, vielleicht ist einfach die jeweiligeSendeanstalt schuld? Sind auch daran die Öf-fentlichrechtlichen schuld? Oder ist es dochder Nachbar mit seinem neuen Handy? Beider Wohnungsausstattung tun wir uns ebenalle schwer mit der Kommunikationstechnik.

Eines der ganz großen neuen Probleme da-bei ist, dass eine Qualitätssicherung zwischenverschiedenen technischen Systemen prak-tisch nicht mehr stattfindet, obwohl mittler-weile etwa beim Mobiltelefon sogar schon dernaive Benutzer die Wirkungen einer Technikauf eine andere Technik unmittelbarer erlebt

1 Dieses Phänomen ist weiter verbreitet als bekannt: In vielenUnternehmen und Verwaltungen wird nachts der Strom abge-schaltet, was netzgespeiste Faxgeräte natürlich lahm legt.

als die vieldiskutierten Wirkungen der Tech-nik auf den Menschen. Ein wenig ist daran auch schuld, dass die oh-nehin komplizierte Technik immer schnellerüber uns kommt, dass also, um es vornehmauszudrücken, der Wissenstransfer nachhaltiggestört ist. Der Hauptgrund ist, dass der Fern-sehapparat und das Telefon erst seit etwas ü-ber 25 Jahren, das Faxgerät und der PC erstseit fünf Jahren in größeren Stückzahlen mituns in Wohngemeinschaft sind. Wir habenuns einfach noch nicht so recht daran ge-wöhnt. Das dauert wohl noch einmal so lang.Das wiederum kann doch wohl nur an derTechnik liegen, denn in wenigen Jahren wur-den wir problemlos Großmeister bei elektri-schen Pürierstäben, Fusselbürsten und Haus-haltsmüllpressen? Der tiefere Grund ist einanderer. Bei den erwähnten Problemen gehtes allesamt um Infrastrukturen, um gemein-sam benutzte Ressourcen und nicht zuletzt umzeitliche Spannungen zwischen den kurzenProduktzyklen der elektronischen Medien ei-nerseits und den Haltbarkeitszyklen von Sei-dentapeten oder Stuckdecken andererseits.

Im Juli 1996 bat mich nach einem Vortragein Vertreter einer Wohnbaugesellschaft umRat. Er habe jetzt seit über einem Jahr Vorträ-ge von allen denkbaren Firmen und Institutengehört, auch aufmerksam Fachzeitschriftengelesen. Jetzt müsse er aber morgen früh denVerkabelungsauftrag für ein größeres Neu-bauvorhaben unterschreiben. Kein Menschwolle ihm raten, ob er nun als vorausschauen-der Planer „einen Koax-Baum oder einen Ko-ax-Stern, einen Glasfaserhausanschluss, einenGlasfaser-Wohnungsanschluss, einen kleinenBreitband-Sendeturm, Zuleitungen für Satel-litenantennen oder generell nur lauter Leer-rohre bestellen“ solle. Selbst beim Telefon-netz, so hätten ihm Techniker gesagt, machees für künftige Multimediadienste sehr wohleinen Unterschied, ob eine Kupfer-Doppel-ader mit 0,4 mm, mit 0,35 mm oder mit 0,5

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mm Drahtstärke verlegt würde. Jeder habeihm etwas anderes gesagt, er habe vom„Dämpfungsverhalten“ gehört, von „Dipol-funktionen einer BK-Anlage“, von „Streu-strahlungen, Einstrahlungen und Abstrahlun-gen“, von Hyperband und Gigahertz. Man ha-be ihm verschiedene Betreibermodellevorgestellt, er habe diverse Hausübergabe-punkte gesehen und viele bunte Charts übereine „dirty last mile irgendwo in Kalifornien“zu verstehen versucht. Dies sei alles sehr lehr-reich gewesen. Aber jetzt müsse er morgenden Auftrag unterschreiben.

Meinen Ratschlag an ihn habe ich an dieBedingung gekoppelt, niemandem davon zuerzählen. Denn ich will mit allen anderenMeinungsexponenten weiterhin gute Bezie-hungen haben. Das Schlimme an der hochwo-genden Experten und Beraterdiskussion istnämlich, dass jeder langfristig wirkende Vor-schlag mit der Gewissheit oder zumindest mitdem verbalen Anspruch der Unfehlbarkeitvorgetragen wird, jede andere Meinung istverpönt. Man kann das jederzeit ausprobieren,wenn man einen xDSL-Anhänger nach deminteraktiven Breitbandkabelnetz fragt und viceversa, oder wenn man einen ISDN-Fachmannnach Funk-Access fragt bzw. umgekehrt. Eskommt mit hoher Gewissheit dieses bekanntemitleidige Lächeln, das wir seit Urzeiten inunserem nonverbalen Repertoire für die „a r-men Spinner“ bereitzuhalten pflegen.

Wenn wir aus diesem Teufelskreis vonGewissheiten und Nichtgewissheiten für an-stehende Entscheidungen über Infrastrukturenherauskommen wollen, können wir dies nurauf neuartigen Wegen tun. Die alten Wegestehen nicht mehr zur Verfügung, für das In-gangsetzen von Infrastrukturen ist niemandmehr zuständig. Weil allerdings in der Praxisunser Beispiel ist das Wohnumfeld tagtäglichEntscheidungen zu treffen sind, die über denZeithorizont weniger Monate hinausreichen,wird an die Stelle einer Planungssicherheit

zunächst ein Trial-and-Error-Prozess treten.Es gibt für technische Infrastrukturen fürMultimedia rund ein Dutzend technisch unter-schiedlicher Ansätze, die sich zum Teil rivali-sierend gegenüberstehen, zum Teil aber ein-ander auch ausschließen. Ein typischer Fallfür eine Rivalität ist beim TV-Empfang derWeg über die Satellitenparabolantenne oderüber das Kabelfernsehnetz. Wechselseitigausschließen werden sich (ohne Glasfaser-Overlaynetz) der breitbandige flächendecken-de Empfang von Videosignalen und dasgleichzeitige Telefonieren im Telefonnetz, ei-ne Weggabelung, die in den derzeitigenADSL-Seminaren wohlweislich kaum er-wähnt wird.

Einigkeit besteht nur darüber, dass keineeinzelne Institution, keine Firma, keine Regi-

on und kein Massennutzer alle Wege zugleichgehen kann. So viel Geld gibt es gar nicht.Hier wird nicht der Einheitslösung das Wortgesprochen, sondern lediglich darauf hinge-wiesen, dass bei einer derartigen Vielfalt vonZugangstechniken die notwendige Preisde-gression lange auf sich warten lässt. Der me-dienpolitische Blick zurück in die achtzigerJahre und die Frage, warum man es nichtgleich richtig gemacht hat, bringen zwarwichtigen Erkenntnisgewinn, dem Woh-nungsbaupraktiker für morgen früh aber keineHandlungsorientierung.

Also wird man als Planer für das Wohnenund für das Wohnumfeld wohl oder übel denUmweg über die plausibelsten Anwendungenund Dienste gehen müssen, die dann eine Hil-festellung für langfristige technische und or-ganisatorische Entscheidungen sein könnten.

„Es gibt für technischeInfrastrukturen für Multimedia rund

ein Dutzend technisch unterschiedlicher Ansätze.“

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Die recht dringliche Frage ist dann aber, wel-ches Bild man sich von dem Menschenmacht, über dessen Geldbeutel auch dieKommunikationsdienste direkt oder indirektzu gehen haben. In der verwirrenden Vielfaltmöglicher neuer elektronischer Dienste nochVorhersagen machen zu wollen, ist schierunmöglich. Das Benutzermodell, also das ge-dankliche Abbild künftiger Verhaltensweisenvon Menschen in noch unbekannten gesell-schaftlichen Konstellationen, ist notwend i-gerweise lückenhaft, eine „Norm“ zeichnetsich nirgends ab.

Will man sich nicht auch oberhalb desStammtischniveaus der vollständigen Speku-lation darüber anheim geben, was auch inhocherforschten Alltagen des 21. Jahrhundertsdie Norm sein wird, bleibt zunächst nur derRekurs auf beobachtbare Effekte, Verha l-tensweisen und Symptome. Dazu ist vor allemeine gedankliche Distanz zum Hurra-Inno-vatismus erforderlich, die nicht zum derzei-tigen Festredenpathos passt, wofür ich michvorab entschuldige. Um Nachsicht bitte ichauch für die Erwähnung hochtrivialer Er-kenntnisse, die in diesem simplifizierten Ge-dankenmodell unvermeidlich scheinen. So istes erstens trivial, dass Menschen längerfristigfür eine Ware, ob Produkt oder Dienstleis-tung, nur dann bezahlen, wenn diese für sieeinen tatsächlichen oder potentiellen Wert hat.Ebenso trivial ist aber zweitens, dass sie auchdann für eine Ware bezahlen, wenn man siedurch Vorschrift oder Gruppendruck dazuzwingt. Auch ohne direkten Spaß oder Zwangbezahlen sie drittens mehr oder weniger mur-rend, wenn offensichtlich alle dafür bezahlen.Um die Aufzählung zu komplettieren: Amstillsten bezahlen die Menschen, wenn sie dasGefühl haben, dass alle anderen außer ihnenselbst zahlen.

Mit dieser Aufzählung sind wir direkt beimbisherigen Erfolg und den weiteren Er-folgsaussichten des Phänomens „Internet“

gelandet. Die prozentuale Aufteilung der vierZahlergruppen schätze ich derzeit in der Re i-henfolge 10, 20, 30 und 40 Prozent, in ande-ren Worten: Mindestens 70 % der Zahler er-scheinen zunächst längerfristig eher wenigerkalkulierbar. Im globalen Maßstab dämmertallmählich die Erkenntnis, dass es das Internetzwar manchmal gebührenfrei, aber nie kos-tenlos gibt. Stellen wir uns nun vor, dassSteuerzahler oder Finanzpolitiker womöglichihre Beteiligung bemerken oder dass auch in-ternetabstinente Telefonbenutzer beeinträch-tigt werden, könnte das Zahlungsmodell leichtkippen.

Es gehört keine große Expertise zur Aus-sage, dass auch alle künftigen Onlinedienstewie alle Kommunikationsdienste dauerhafttragfähige Zahlungsmodelle brauchen. Werdiese Aussage für allzu trivial hält, sollte sichvor Augen halten, wie zum Beispiel das im-provisierte Zahlungsmodell des Kabelfern-sehnetzes der achtziger Jahre noch auf „Ver-sorgung“ und nicht auf „Nachfrage“ gerichtetwar. Die Lasten wurden nicht marktwir t-schaftskonform dem Netzbetreiber und demBenutzer aufgebürdet, der Einspeiser also derProgrammlieferant war lachender Dritter. DieKorrektur eines medienpolitisch inspiriertenZahlungsmodells hält bekanntlich noch im-mer an und es wirkt deutlich in die zukünftigedigitale Medienwelt hinein. Hier werden dieUnsicherheiten noch eine Weile anhalten,denn eine drastische marktwirtschaftliche Re-form würde die lachenden Dritten in kürzesterZeit ins wirtschaftliche Aus bringen.

Wirtschaften in Infrastrukturen

Unsicherheiten über Zahlungsmodelle ha-ben aber eine unausweichliche Wirkung aufdie Entscheidungen bezüglich der technischenInfrastruktur. Gewiss gilt dies vorweg gesagtdie unerschütterliche Gewissheit, dass die

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Benutzung vorhandener technischer Infra-strukturen wegen der „sunk costs“ immerVorrang vor neuen Infrastrukturen habenwird. So war absehbar, dass zum Beispielneue Betreiber eher den Weg der Mitbenut-zung der Netze dominanter Anbieter suchenwürden als neue Netze zu legen. Aber nochwichtiger als die Betreiberfragen in einemWettbewerbsumfeld sind die prinzipiellenGrundlinien, wie sie der eingangs zitierte ver-zweifelte Wohnungswirtschaftler vergeblichvorauszuahnen versuchte. Denn die absolutenZahlen für Infrastrukturbau bewegen sich inGrößenordnungen, die sorgfältiger Abwägungbedürfen. In einer Studie der KPMG von1995 werden Zahlenangaben über die Größe-nordungen von denkbaren Netzinfrastruktur-investitionen in Europa gemacht, die hier trotzder Schwankungsbreite von ein paar hundertMilliarden ECU hin und her (!) herangezogenwerden können. Demnach wären in Europafür eine Glasfaser-ins-Haus-Lösung 172.333Milliarden ECU, für Koaxnetzausbau und -modernisierung von 1784 Milliarden ECU,für ein flächendeckendes Glasfaser-Overlay67.325 Milliarden ECU und schließlich füreine ADSL-Lösung 143 Milliarden ECU er-forderlich.

Bei solchen Zahlen pflegten vor 15 JahrenF.A.Z.-Korrespondenten den Raum zu verlas-sen und die Politiker aller Couleurs Denkpau-sen einzulegen. Heute erschrecken wir geradein Deutschland nicht mehr so sehr über solcheZahlen, weil dieser Standort in allen erwähn-ten Netzvarianten nachweislich an der Spitzesteht. Wir haben das größte Telefonnetz inEuropa, im Telefonnetz die meisten ISDN-Anschlüsse, hier sind die meisten Glasfasernverlegt und schließlich auch die meistenHaushalte an Breitbandanlagen angeschlos-sen. An dieser infrastrukturell führenden Situ-ation ändert auch die alarmierende1 Urlaubs-

1 Der Handy-Boom in Deutschland setzte erst drei Jahre spä-ter ein.

geschichte nichts, in Helsinki laufe jederZweite bereits mit einem Handy am Ohr her-um. Und auch das Jahr der Liberalisierung1998 wird bei allem Wettbewerb nichts daranändern, dass gerade die Betreiber in Deutsch-land mit guten Chancen Gemeinsamkeiten su-chen und finden werden, wie sich diese gege-benen Netzinfrastrukturen zu aller Nutzenwirtschaftlich ausbeuten lassen.

Aber nicht einmal Deutschland könnte alleNetzinfrastrukturen mit allen Leitungs-, Ka-bel- und Funkvarianten in vernünftiger Zeitweiterentwickeln, solange die darauf wirt-schaftlich zu realisierenden Dienste jeweilsdieselben sind. Wie erwähnt, reklamiert jedeMeinungsgruppe in der Wirtschaftlichkeitsbe-rechnung die gesamten künftigen Multime-diadienste für sich allein. Ob Telelernen, Te-learbeit, Teleadministration oder Service onDemand, ob schmalbandig oder immer breit-bandiger, man wird alle diese Stichworte beiallen Gruppen wiederfinden, ob sie nunISDN-Dienste, Online-Dienste, Breitbandka-beldienste oder das Digitale Radio behandeln.Die Erfordernis einer Weichenstellung wirdimmer deutlicher, wobei dies nicht überdra-matisiert werden darf. Nicht alle diese Ansät-ze stehen sich alternativ gegenüber, sondernes sind in hohem Maße Netzkombinationenmöglich, deren Rückgrat Glasfasersystememit inzwischen unfassbarer Kapazität sind.Diese Glasfasersysteme machen einen Sprungin den Netzarchitekturen möglich, der bei denIndividualkommunikationsdiensten einerseitsvon den „Zentralen“ wegführen kann, der a-ber auch andererseits in Domänen der bisheri-gen Massenkommunikation eine selektiveAnsteuerung einzelner Haushalte erlaubt.Technisch gesehen aber nur technisch! ist dieKonvergenz von Individual- und Massen-kommunikation hin zu einer beiderseitigenSelektivkommunikation unübersehbar.

Aber wie bereits angedeutet, führt dieserWeg aus Finanzgründen nicht über eine un-

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begrenzte Anzahl von Netzen und es wirdauch kein einzelnes selbständiges Universal-netz geben, über das alle elektronische Kom-munikation läuft. Die Zukunft gehört deswe-gen den Diensteplattformen, also Anwendun-gen, die auf verschiedenen Netzstrukturenlaufen können. Und dies wiederum heißt, dassder Auswahlprozess über technische Netzop-tionen von der Nutzung und vom Zahlungs-modell her bestimmt wird. Über den Umwegder ökonomischen Modelle und der darausabgeleiteten organisatorischen wie techni-schen Notwendigkeiten respektive Begren-zungen kommt überraschenderweise eine Ent-scheidungsinstanz zum Zuge, die man in denletzten Jahrzehnten trotz vieler Lippenbe-kenntnisse immer weniger beachtet hat: Der„Benutzer“, auch „der Bürger“ oder „der Ein-zelne“, bei uns in der Industrie gerne „derAnwender“ genannt. Und es kommen diejeni-gen Macher in Vorteil, die Wissen über denBenutzer einbringen können.

Wohnen im Lebensumfeld

Noch immer dominieren die bundesdeut-sche Normfamilie die Überlegungen der ander Multimedia-Wertschöpfungskette Betei-ligten: Papa, Mama und 1,4 Kinder, die Omaim Altersheim. Einzelne Ingenieure und Un-ternehmer haben auch schon aus den USAden soziologischen Typus des DINK doubleincome, no kids gelernt, der übrigens inDeutschland eher DISC heißen müsste doubleincome, some cats. Solche Typisierungenwerden dem differenzierten Bild unserer An-wender aber nicht gerecht. Es wird viel zu oftübersehen, dass es viel plausiblere undbrauchbarere Leitbilder gibt, an denen entlangsich Dienste entwickeln lassen. So brauchtman keinerlei Futurologie, um die sich ve r-schiebende Alterspyramide in den OECD-Ländern als eine planungsverträgliche Ge-

wissheit zu erkennen.Mein Kollege Wolfgang Peters, einer der

großen ISDN-Visionäre, hat diesen Aus-gangspunkt zusammen mit der Telekom unddem Deutschen Roten Kreuz in Ludwigsburgmithilfe einiger sehr plausibler Annahmen zueinem faszinierenden Projektansatz gebracht.Niemand wird widersprechen, dass alle Men-schen lieber zuhause in ihrer Wohnung altwerden wollen als ins Heim verschubt zuwerden. Das Wohnen einer alternden Bevö l-kerung kann man sich in einem großzügigenEigenheim, in einer zurückgebauten kleinenEigentumswohnung oder einer Mietwohnungvorstellen, für alle Fälle gilt aber, dass Erfor-dernisse für Geborgenheit, Sicherheit,Betreuung und Pflege wachsen. Wenn mannun noch hinzunimmt, dass ein hoher Pro-zentsatz dieser alten Menschen hörbehindertist, wird plötzlich die Bildkommunikationnicht mehr zum Luxuswunsch, sondern zu ei-nem Erfordernis. Die bisher einzigen Tele-kommunikationsmittel, nämlich Telefon undspezielle Funkrufdienste, können die neuenAnforderungen nicht erfüllen.

Bildverbindungen eröffnen für auf Hilfeangewiesene Personen tatsächlich eine neueDimension an Lebensqualität und Sicherheit.Aber nicht nur die alten Menschen empfindendies so, es sind gerade auch die Träger derSozialbetreuung und der karitativen Organi-sationen, die sich durch den Einsatz vonBildtechnologien effizientere und kosten-günstigere Dienstleistung versprechen. Umgleich einem möglichen Missverständnis vor-zubeugen: Niemand will den unersetzlichenmenschlichen Kontakt ersetzen, sondern essoll die moderne Technik gerade dafür einge-setzt werden, diese Kontakte zu verlängernund zu ermöglichen. Die Praktiker der Trä-gerorganisationen sind davon überzeugt, dassdie Technik richtig eingesetzt die knappeRessource an Pflegern besser ausnutzt. Dennwir werden kaum so viel Altenpfleger bezah-

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len können, wie wir brauchen. Auch der weitverbreitete Glaube, dies alles würde sich al-lein in organisierten Nachbarschaften abspie-len, trügt. Es gibt immer mehr alte Menschen,die ihr Altenteil nicht im angestammtenWohnviertel, sondern in einer anderen Stadtoder in einem anderen Land verbringen wol-

len oder müssen.In dem erwähnten Projekt soll das heute

verfügbare ISDN-Videofon eingesetzt wer-den. An diesem Beispiel lassen sich die Be-schränkungen von Einzelansätzen und diePotentiale von Plattformen sehr deutlich auf-zeigen. Dieses Videofon kostet ein paar Tau-sendmarkscheine, es hat noch ein kleines Dis-play mit 10cm Diagonale und kann nicht ohneweiteres mit anderen Bildmediennutzungen,zum Beispiel solche mit dem TV-Gerät, ge-koppelt werden. Es bleibt also zunächst eintypisches Nischenprodukt, das auf die Preis-degression wartet. Die Millionenstückzahlenlassen aber noch lange auf sich warten, solan-ge Millionen auf erschwingliche Kosten war-ten. Anders sieht die Betrachtung aus, wennman das Ganze funktional als Teil der ISDN-Diensteplattform betrachtet. Die ISDN-Videofonie als solche kann auch über andereNetze als das Telefonnetz bereitgestellt wer-den, zum Beispiel über Breitbandkabelnetzeoder - theoretisch - über schnurlose DECT-Verbindungen. Und sie kann über das Endge-rät PC genauso laufen wie über den TV-Apparat, genau, wie das inzwischen auch dasInternet kann.

Das Paradigma des nachfrageorientiertenModells bei den Benutzern wandelt sich wie-der in ein angebotsorientiertes Modell für denBenutzer. Dies ist auch und gerade in einerWelt der Vielfalt und des Wettbewerbs mög-lich, und es ist angesichts der realen Kostenauch und gerade in einer Welt der beschränk-ten Sozialbudgets möglich. Nicht ohne Grundhat zum Beispiel die EU für ihr anstehendesfünftes Rahmenprogramm in der technischenKommunikation die „sozialen Erfordernisse“ganz an den Anfang gestellt. Die europäi-schen Fachleute versichern, dass dies nichteine Neuauflage der empirisch glitschigen„sozialen Bedürfnisse“ ist, sondern dass hierwieder infrastrukturelle Entscheidung an dieStelle von einzelwirtschaftlicher Konsument-scheidung treten soll. Überspitzt ausgedrückt,muss man künftig wieder stärker beachten,wie viel eine Technik an den Milliardenlasteneinspart, anstatt nur nach den Technikkostenzu fragen. Allerdings müssen Unternehmenaus der Quick-Follower-Mentalität heraus, die

derzeit noch die hiesige Multimediaentwick-lung lähmt, frei nach dem Motto: Soll dochein anderer den ersten Schritt für ein gemein-sames Vorgehen vorleisten, beim Geldverdie-nen helfe ich dann gerne mit!

Wenn wir ganz praktisch das Wohnen imLebensumfeld betrachten, dann werden es al-so nicht Opa und Oma sein müssen, die sichdas zur Rente passende Kommunikationsgerätim Tele-Shop heraussuchen, sondern es sinddie Verantwortlichen für die Aufrechterha l-

„So braucht man keineFuturologie, um die sich verschie-

bende Alterspyramide in denOECD-Ländern als eine planungs-

verträgliche Gewissheitzu erkennen.“

„Deswegen sollten die an derWertschöpfungskette Beteiligten

auch gemeinsam die Kosten tragenoder eben `auf eigene Façon selig

werden`.“

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tung der sozialen Sicherungssysteme, die sichhier in eine gestalterische Diskussion um län-gerfristig einzusetzende Diensteplattformeneinzubringen haben. Diese Diskussion istnicht nur für Wohnungsträger oder den Sozi-al- und Arbeitssenat neu, sondern auch fürDienstebetreiber und Technikhersteller. Ha-ben sie sich doch bisher höchstens nebenbeimit dem beschäftigt, was hinter dem Haus-übergabepunkt stattfindet. Dies mag für Tele-fon und Fernsehen ausgereicht haben, fürISDN-Anwendungen oder digitale interaktiveMedien reicht das nicht mehr.

Es ist schon deutlich geworden, dass es beidiesen neuen Medien in den wenigsten Fällenum eine einzige Anwendung geht, für die sichder technische Aufwand lohnt. Es gilt, dieseAnwendungen vorauszuahnen, wofür eineganze Menge Optimismus vonnöten ist.Wahrscheinlich (und dies sage ich aus lang-jährigem ehrenamtlichen Bemühen heraus)kann eine solche Gestaltung nur mithilfe pro-fessioneller und kommerzieller Organisatio-nen erfolgen. Die gemeinnützigen Zirkel inVerbänden, Multimediainitiativen oder Ar-beitsgemeinschaften bekommen - so meinEindruck - nicht die notwendige Dynamik,weil oft zu viele am Tisch sitzen, die nur Wis-sen gratis absaugen wollen und dieses erwor-bene Wissen dann auch noch als wertlos de-nunzieren, weil sie eben nichts dafür bezahltoder gegengeleistet haben. Deswegen solltendie an der Wertschöpfungskette Beteiligtenauch gemeinsam die notwendigen Kosten tra-gen oder eben „auf eigene Façon selig wer-den“. In vorbildlich angelegten Projekten wiedem in Berlin laufenden „MultimedialenWohnen“ findet der notwendige Wissensauf-bau statt, der dann auch zur Umsetzung inPlanung und Implementierung führen kann.

Zu diesem praktischen Wissen gehört unteranderem die Erkenntnis, dass für die Siche r-heit der künftigen Wohnmedien zusätzlicherAufwand erforderlich ist. Man kann sich nicht

recht vorstellen, dass funktionierende Zah-lungsmodelle durch nur partiell sichere Netzebegünstigt werden. Weil es spätestens ab1998 nicht mehr alleinige Sache der Telekomsein wird, die Anschlussleitungen zu sichern,wird immer deutlicher werden, dass neueMultimediadienste in der Wohnung auch eineneue gemeinsame Anstrengung für eine siche-re „End-to-end-Kommunikation“ brauchen.Es wird Aufgabe der Betreiber sein, sichereAbrechnungssoftware anzubieten, aber bei ei-ner Mietwohnung, deren Verteilerdose für je-de Krokodilklemme frei zugänglich im Trep-penhaus oder im Keller am „Hausübergabe-punkt“ ist, scheint dies eine recht kurzatmigeAnstrengung. Statt sich nun in eine rück-wärtsgewandte „Datensicherheitslückendis-kussion“ einzulassen, wären die alten undneuen Betreiber gut beraten, zusammen mitden Netzinfrastrukturlieferanten eine nachvorwärts gewandte gemeinsame Aktion ein-

zuleiten: Die Informationsgesellschaft brauchtauf jeden Fall eine höhere infrastrukturelle Si-cherheit für ihre Netze.

Dies gilt nicht nur für die Hard und Soft-ware, dies gilt eben bis in bauliche Gegeben-heiten hinein. Der eingangs zitierte Praktikerder Wohnungswirtschaft hatte nach eigenemBekunden von solchen Erfordernissen nichtsgehört: Es sei doch heute bei Neubauten undganzen Neubaugebieten kein Problem, ent-sprechende sichere Winkel für die Netzüber-gabepunkte, Stromversorgungen etc. zu beto-nieren, hinterher aber würde so etwas horrendteuer.

„Die Informationsgesellschaftbraucht auf jeden Fall eine höhereinfrastrukturelle Sicherheit für ihre

Netze.“

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Der „Wohnwert Multimedia“ bezieht sichin der notwendigen ganzheitlichen Betrach-tung trivialerweise nicht nur auf das Wohnenselbst, auf neue Wohnformen und Wohn-Verhaltensweisen, sondern zunehmend auchauf das Wohnumfeld. Das Leben im Wohn-umfeld ändert sich mit oder durch Multimediavielleicht mehr als das Wohnen.

Leben im Wohnumfeld

Wenn man nicht davon ausgeht, dass dieTendenz zum „Cocooning“, dem Sich-Einigeln in die häusliche Umgebung, die un-ausweichliche Perspektive darstellt, dannkommen unabdingbar weitere zu berücksich-tigende Facetten auch für die Wohnungswir t-schaft hinzu. Auch hier sei wieder ein einzel-nes Beispiel zur Verdeutlichung der Ände-rungen und der Potentiale herausgegriffen. Ichnehme nicht - was naheliegend wäre - dieGroßbaustelle Potsdamer Platz, sondern dasim Planungsstadium befindliche ProjektStuttgart 21, um wenigstens kurz die Tenden-zen anzureißen, die es zu beobachten und zuberücksichtigen gilt.

Stuttgart 21 ist im Ursprung ein Projekt derDeutschen Bahn, das aus Gründen der besse-ren Anbindung Stuttgarts in das europäischeHochgeschwindigkeitsnetz ein ganzes Bahn-hofsareal unter die Erde verlegt und damit insechs Jahren oberirdisch wie es ein StuttgarterStadtplaner ausdrückte „Freiraum für einenganzen neuen Stadtteil schafft“. Insofern ist esein typisches großes Neubauprojekt, wie essie auch in anderen Städten gibt. Das ProjektStuttgart 21 bietet neben den verkehrsbezoge-nen und städtebaulichen Möglichkeiten auchdie neue Chance für ein ganzheitliches urba-nes Kommunikationskonzept, das im umfas-senden Sinn die Perspektive für das 21. Jahr-hundert eröffnet. Zu einem solchen integrie r-ten Kommunikationskonzept gehören unter

anderem aufeinander abgestimmte Teilkon-zepte für Arbeitsplatzkommunikation, Ver-kehrskommunikation, Logistik, Behörden-kommunikation, Sicherheit im öffentlichenRaum, Stadtteilkommunikation und urbaneMedien.

Ein integriertes Kommunikationskonzeptwirkt notwendigerweise in das Nutzungskon-zept zurück, es kann keinesfalls als später zurealisierendes Anhängsel von Verkehrs undNutzungskonzept angesehen werden. Sehrplastisch wird dies am stadtteilbezogenenVerkehrskonzept. Zu einem solchen gehörenim 21. Jahrhundert eine intermodale Ver-kehrskommunikation bis in die Wohnung hin-ein, Fahrgastinformationssysteme, Parkraum-bewirtschaftungskonzepte, Navigationshilfenfür Touristen, Orientierung und Ressourcen-optimierung sowie einfache Bezahlsysteme.Alle diese Elemente sind zwar technischeinsatzreif, jedoch organisatorisch noch defi-zient, sie kommen nicht von alleine. Und siewerden doch einen direkten Zusammenhangmit dem Wohnwert in diesem neuen Stadtteilhaben.

Nehmen wir ein zweites Beispiel aus denheute zu konzipierenden Planungen. Es wirdbei Fertigstellung des Stadtteils nicht ganz ü-berraschend kommen, dass dort vornehmlichMenschen ab Mitte fünfzig in den Häusernwohnen und Menschen bis Mitte zwanzig diePlätze bevölkern. Die absehbaren Spannungenbrauchen wir doch nicht im Detail zu be-trachten, wir kennen sie von heute. Sicherheitim öffentlichen Raum kann sich nicht auf dieklassischen Instrumente des 20. Jahrhunderts,also auf Polizeistreifen und Videoüberwa-chung, beschränken. Vielmehr ist eine Si-cherheitskommunikation darzustellen, diesehr viel mehr auf die Bewohner und Besu-cher setzt. Die von den Stadtsoziologen diag-nostizierten Tendenzen zum „Cocooning“können intelligent gekontert werden. Viel-leicht ist ein differenziertes Notrufsystem er-

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forderlich, damit der Stadtteil auch für Alteund Kinder einen subjektiv sicheren Lebens-raum bietet.

Niemand aus der Wohnungswirtschaftwird bestreiten, dass all dies über die Attrak-tivität von Wohnstätten mitentscheidet, härtergesagt: den Preis der Objekte mitbeeinflusst.Wer nun annimmt, dass darüber eine mei-nungsbildende oder gar zielführende Diskus-sion stattfindet, der irrt gewaltig. Denn es istschlichtweg niemand für das Ingangsetzen ei-ner Planungsdiskussion darüber so recht zu-ständig, die zuständigen Stadtplaner sindschon mit der Bewältigung der klassischenAufgaben gut ausgelastet und kennen die Po-tentiale der Multimediaentwicklung in der

Regel nicht. Das ist - wie zu Anfang am Bei-spiel des Wohnens geschildert - nichts Neues,man kann offensichtlich auch mit tagesaktu-ellen Annahmen Bauten für Jahrzehnte oderJahrhunderte errichten. Was soll denn nun an-ders sein?

Anders wird sein, dass der Einsatz derneuen Multimediasystem seine Kraft nichtmehr allein aus benutzerindividuellen Kon-sumentscheidungen, sondern zunehmend ausübergeordneten Erfordernissen der Aufrecht-erhaltung unstrittiger gesellschaftlicher Auf-gaben der „Daseinsvorsorge” beziehen wird.Die neuen Onlinedienste werden nicht immerein schickes neues Medium für eine Minder-heit von Gutinformierten, von pionierhaften„early adopters” bleiben, sondern wie heutedas Telefon oder das Fernsehen zu einer flä-chendeckenden, alle Mietlagen abdeckenden

Infrastruktur werden müssen. Infrastrukturensind dabei nicht als rein technische Gebildegemeint, sondern als technische Möglichkei-ten, die entsprechend organisiert auch eineGewöhnung der Benutzer mit sich bringenkönnen, mithin das für sich haben, ohne dases nicht geht: Akzeptanz.

Netzwerk oder Auffangnetz?

Für viele Beobachter ist die Multimediaent-wicklung nach meinem Dafürhalten allzu sehrvon individuellen Möglichkeiten überstrahlt,die zum Beispiel das Internet mit sich bringt.Man sieht die unglaubliche Vielfalt vonweltweit verfügbaren Informationen, mansieht die Anstrengungen der Werbung und derProgrammmacher. Man ahnt auch im Breit-bandbereich bei der Diskussion über die d-Box fälschlicherweise die berüchtigten 500Fernsehkanäle voraus. Dabei wird in Wirk-lichkeit immer deutlicher, dass es die wenigspektakulär erscheinenden Dinge sind, dievom Anwendungsdruck her nach flächende-ckenden Lösungen rufen. Nicht den Alten-pfleger ersetzen, sondern ihn effizienter ein-setzen, hatten wir gesagt. Ähnliches gilt auchfür andere öffentliche und private Dienstleis-tungen, die man sich mithilfe eines „Bürger-netzes“ durchaus vorstellen kann. Verschie-dene Kommunen experimentieren bereits -wie etwa die Stadt Mannheim - mit einem„virtuellen Rathaus“, anderswo wollen Frei-zeitvereine testen, ob sich die Mitglieder perInternet besser organisieren und verwaltenlassen, auch die politischen Parteien lotenschon einmal einen „virtuellen Ortsverein“auf seine Tauglichkeit in einer repräsentativenDemokratie aus. Ob man nun auf das Teleler-nen schaut oder auf den Teleeinkauf, fast ü-berall wird schon beim Experimentierendeutlich, dass Multimedia eher ergänzen alsersetzen kann. Und es wird deutlich, dass alle

„Sicherheit im öffentlichen Raumkann sich nicht auf die klassischenInstrumente des 20. Jahrhunderts,also auf Polizeistreifen und Video-

überwachung, beschränken.“

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Beteiligten darin übereinstimmen, dass dieseDienste eigentlich erst dann ihren Charmeentfalten, wenn alle daran teilhaben können.

Hinter diesen Eindrücken steht mehr oderweniger bewusst der Wunsch nach flächende-ckenden Netzinfrastrukturen, womit wir wie-der am Ausgangspunkt unserer Überlegungenangelangt sind. Welche Netzstrukturen undwelche Diensteplattformen werden sich in ab-sehbarer Zeit durchsetzen, für welche Optio-nen sollen wir eintreten?

Das ist das eigentliche Ziel von gemeinsa-men Pilotprojekten wie auch Lernveranstal-tungen, die im Rahmen von vielerlei „Multi-media-Initiativen“ angesetzt werden: SolangeHersteller und Betreiber von Kommunikati-onstechnik nichts vom Anwendungswissender Sozialdienste übernehmen können undsolange soziale Trägerorganisationen oderBeamtenapparate nicht verstehen, dass sieunversehens in die Rolle von „Content Provi-dern“, also Inhaltsanbietern, gekommen sind,solange werden keine Anwendungsplattfor-men entwickelt und implementiert werdenkönnen.

Solange Behörden und Verwaltungen nichtverstehen, dass das Ausfüllen eines Formularsund andere Routinetätigkeiten, die vom Bür-ger vor Ort in der Amtsstube geleistet werdenmüssen, auch ihre Zeit und ihre Budgets kos-ten, solange wird nicht einmal ernsthaft übersolch innovative Dinge wie das Computer-system „Dokumentverstehen“ des diesjähri-gen Preisträgers der Alcatel SEL Stiftung,Andreas Dengel vom DFKI1 diskutiert wer-den können.

So plausibel dieser Gedanke der gemein-samen Plattform-Definition auch erscheinenmag, so häufig sind die Fehlanlagen von Pro-jekten. Hier fehlt es an systematischem Wis-sensaustausch in der gesamten Wertschöp-fungskette. Es kann aus einem solchen Pilot-

1 Deutsches Zentrum für Künstliche Intelligenz, Saarbrü-cken/Kaiserslautern, siehe www.dfki.de

projekt bei unkluger Anlage der Eindruck ent-stehen, man wolle lediglich die Zahlungsbe-reitschaft von Haushalten für zusätzliche Un-terhaltungssendungen per Digital-TV testen.

Es fehlt in der Diskussion nach meinerMeinung das normative Element, der Vor-schlag, über den dann diskutiert und eine Ab-stimmung herbeigeführt werden kann. UnsereGesellschaft tut sich schwer mit Vorschlägen.Kommt ein Vorschlag zur falschen Zeit undvon der falschen Seite, gilt er bekanntlich alsnicht gemacht. Ich werde mich deshalb hüten,jetzt einen Vorschlag folgen zu lassen, dennwer sagt mir, dass jetzt die richtige Zeit istund dass ich zur richtigen Seite gerechnetwerde? Statt dessen will ich mit einer Ver-mutung diese Ausführung beschließen. Ver-mutungen sind nicht angreifbar und dochnicht beliebig. Vermutungen haben den unbe-streitbaren Diskussionsvorteil, dass ein jederfür sich entscheiden kann, für wie gesichert erdiese Vermutungen halten will.

Vermutlich werden wir nicht umhin kom-men, neue Diensteplattformen auf den bereitsvorhandenen, aber weiter ausgebauten undmodernisierten Netzen zu implementieren, umeine Art Auffangnetz für gesellschaftliche In-formation und Dienstleistung zu schaffen.Neben das ISDN-Telefonnetz wird eine Mul-timediaplattform für Abruf und selektiveRundrufdienste über die stufenweise Digitali-sierung der heutigen Kabelfernsehnetze mit-hilfe der Glasfaser treten. Vermutlich wirdsich die technische Netzbezeichnung „Hybrid-Fiber-Coax“ - vollends in der kryptischenAbkürzung „HFC“ - in der Öffentlichkeitschlecht darstellen lassen. Aber vermutlicheinigen sich die drei etwa gleich großen Netz-besitzergruppen2 im Wohnbereich, also Tele-kom, ANGA und Wohnbaufirmen, auf ge-meinsame Vorgehensweisen auch in den dar- 2 Zwei Jahre später stellte dann EU-Kommissar van Miert dieForderung auf, das TV-Kabelnetz der Telekom müsse ausWettbewerbsgründen verkauft werden, was 2001 auch ge-schah.

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über liegenden Netzebenen. Vermutlich wer-den wir dieses entstehende Netzwerk nichtBürgernetz nennen, auch nicht Bürgerinfor-mationssystem. Und wir werden es leiderauch nicht „Volksnetz“ nennen können, ob-wohl mir diese Bezeichnung wegen Volksfestoder Volkswagen am besten gefiele; ich weißaber, dass der unselige Volksempfänger (zuRecht) nicht in Vergessenheit geraten ist.Wahrscheinlich wird es nicht ganz einfachsein, darüber in der angesichts des globalenWettbewerbs sehr kurzen Zeitspanne denzielorientierten Gestaltungsprozess einzulei-ten, aber ich bin da optimistisch, weil nichtnur Gewinne locken, sondern Erfordernissefür Diensteplattformen drücken.

Ich vermute auch, dass unser Häuslesbauervom Beginn, der sich einen extra abgesicher-ten Stromkreis mit „Dauerlaufsteckdosen“und Notstromversorgung legt, nicht in dieambulante Therapiegruppe kommt, sondernmit seiner klugen Investition schon bald Vor-teile hat.

Zusammenfassend: Nicht nur die dynami-schen Entwicklungen auf dem Gebiet derKommunikations- und Informationstechnik,sondern auch neuartige Rahmenbedingungenin Wirtschaft und Gesellschaft machen lang-

fristiges infrastrukturelles Denken und Han-deln immer schwieriger. Gerade in einer Zeitder einsetzenden Multimediadienste, des di-gitalen Rundfunks und neuer Informations-medien können Lösungen nur im Zusam-menwirken der an der Wertschöpfung Betei-ligten erfolgen. Für den in der TagespraxisStehenden nicht genug der Verwirrung: Auchdas Benutzerverhalten ändert sich dramatisch.Zwischen Individual- und Massenkommuni-kation wächst eine zunehmende Selektiv-kommunikation und zwar in beide Richtun-gen. Denn die Benutzerwünsche einerseitsund die Erfordernisse von Verwaltung undDienstleistung andererseits müssen nichtzwangsläufig harmonieren. Für alle Planerund Realisatoren wird es zunehmend wicht i-ger, auch die Beziehungen der technischenSysteme zu verstehen: Nicht mehr allein Bitsund Bytes, sondern auch Stromversorgung,(Daten-) Sicherheit und diverse „Verträglich-keiten“ stellen neuartige Herausforderungenfür effektives Wirtschaften dar. Wenn der„Wohnwert Multimedia” auch ein „Lebens-wert” sein soll, müssen neue Anstrengungenaller Beteiligten erfo lgen.

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Multimedia-Netze: Kooperation und Partnerschaftin der Wertschöpfungskette?

Berlin, 27. Januar 1998

Einleitung: „Dienstleistungsbusiness 1998“

Mit dem Stichtag 1. Januar 1998 wurde eingewaltiger Meilenstein im fast dreißigjährigenProzess der Umgestaltung des Telekommuni-kationssektors erreicht. Konsequenterweisestanden die ersten Tage ganz im Zeichen derDienstleistungsgesellschaft: Es waren Tageder Rechtsanwälte, der Patentanwälte, derSteueranwälte, der Kartellpräsidenten undnicht zuletzt der Regulierungspräsidenten mitBefähigung zum Richteramt. Allesamt sinddies schließlich Dienstleister. Hier werdenbedeutende Umsätze generiert, weshalb essehr bedauerlich ist, dass die neue Regulie-rungsbehörde ihre Leistung nicht wie einUnternehmen in Rechnung stellen darf. EineAktienemission der Regulierungsbehördewürde den Shootup des Jahres bringen. Auchalle Medien entdeckten die Dienstleistung:Von der Süddeutschen Zeitung bis zur „Zeit-schrift für Datenreisende“ des Chaos Com-puter Clubs wurden die Zugangsnummern deshalben Hunderts neuer Telefongesellschaftensamt derer Spezialitäten erläutert. Es wirdnicht lange dauern, und wir werden - wie beiden Aktienkursen - entsprechende eine klein-gedruckte „Tarifseite“ in den Tageszeitungenhaben. Entgegen aller pessimistischen Vor-aussagen stehen auch genügend Consultantsund Servicemenschen bereit, den Telefonbe-nutzer für 28 DM im Monat zu beraten, wie eram besten von den 28 DM Grundgebührenherunterkommen kann.

Auch in meiner Familie war die Skepsisbeim Erhalt der ersten „Callback Servicerech-nung“ verflogen: Statt monatlich 250 DM fürdie Gespräche meiner lieben Frau mit ihrensüdamerikanischen Geschwistern zu bezahlen,

werden jetzt nur noch 125 US-Dollar vonmeiner Kreditkarte abgebucht, eine Ersparnisvon immerhin 25 DM pro Monat. Dafür aberkonnte meine geliebte Frau rund dreimal solange bzw. dreimal so oft sprechen und end-lich auch die vielen Alltagsdetails beschrei-ben, die den Familienzusammenhalt viel en-ger machen, zum Beispiel die Beschaffenheitvon Brötchen unterschiedlicher Bäcker imStuttgarter Westen. Neu hinzugetreten zumfamilieninternen Wettbewerb um die bestenTarife nach Kalifornien ist meine Siebzehn-jährige, die laut Aufstellung der Telefonge-sellschaft in satten 57 Minuten ihrer dortweilenden besten Freundin direkt sagenkonnte, „was hier so abgeht“. Mein Sorgen-kind ist der Neunzehnjährige, der vor lauterLeistungskurs Mathematik, BegabtenkursMathematik und Sonderkurs Informatik imletzten Jahr seine monatlichen e-Mails aufjetzt unter 3 DM abfallen ließ. Es sind nichtnur Sätze wie „ich kenn da keinen“ oder „ichmuss aufs Abi lernen“, die mein Versagen alsMotivator für die Informationsgesellschaftdeutlich machen. Auch Technikfeindlichkeitblitzt auf, wenngleich gut getarnt hinter stun-denlangem Visual-Basic-Programmieren.

Nicht genug, dass er mir mit ein paar Tas-tenhieben zeigt, wie viel Prozent der Zeit ichwartend am Netz verbracht habe, jetzt will ermir morgens auch die Zeitung zerschnipselt ineinzelne Artikel als Päckchen neben die Kaf-feetasse legen. O tempora o mores! Wokommen wir hin, wenn die Jugend nicht ein-mal dann Telekommunikation konsumiert,wenn es die Alten zahlen? Hier versagt derWettbewerb. Wir werden nicht umhin kom-men, für die Gründung von interkontinentalenoder wenigstens europäischen Telefonfreund-

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schaften Hilfestellung zu leisten. Nur mit Ko-operation und Partnerschaft, nur mit Allian-zen globalen Ausmaßes werden wir hier den„Ruck zum Ruck“ erleben. Hinderlich dabeiist lediglich, dass wir speziell in Deutschlandeine Sondersituation haben, die mit dem Wort„absolutes Meinungschaos“ gut beschriebenist. Nun denn: Wenn man ein totales Chaoskräftig umrührt, müsste es eigentlich bere-chenbarer werden, weil dann wenigstenst dieStrömungsgesetze gelten. Der nachfolgende Beitrag richtet sich an dieMitglieder der „Interessengemeinschaft Mul-timedia“ der deutschen Wohnungswirtschaft.Zwei Annahmen sind zugrundegelegt: Erstensmuss nicht jeder an der WertschöpfungsketteBeteiligte Nachrichtentechnik studiert haben,um auch hinreichend die Technik zu verste-hen. Zweitens wird so viel praktische Alltags-vernunft unterstellt, dass ideologische Fixie-rungen wie Sie bei den Hauptakteuren derTelekommunikationsdebatte durchweg vor-handen sind in den Hintergrund treten kön-nen.

Deutsche Sondersituation der Netzinfra-struktur

Nur für den oberflächlichen Beobachterstellt die wogende Diskussion um die vielenneuen Telekommunikationsbetreiber dasgrößte anzunehmende Chaos dar. Gewiss, esist erstaunlich, wenn verbindliche Business-pläne von Marktsubjekten praktisch erst beimBetreten eines neuen Marktfeldes formuliertwerden. Es ist auch bemerkenswert, dass vieleder neuen Wettbewerber jahrelang gehoffthaben, es werde zu einem Stichtag ein radikalneues Benutzerverhalten und eine völlig neu-artige Physik geben. Und in der Kunst, jedenumherschwirrenden Pfeil der öffentlichenKritik monopolartig auf die eigene Brust zulenken, wird nie jemand erfolgreicher sein

wollen als die Telekom, dies wenigstens istunstrittig.

Wo liegt also das größte anzunehmendeChaos in diesen Wochen und Monaten? Esliegt vielleicht in der völligen Unübersicht-lichkeit der Ausgangslagen sowie der Interes-senlagen bei den Infrastrukturen, seien esFestnetze, Mobilnetze oder Satellitennetze.

Die Akteure allesamt neigen aber trotz o-der gerade wegen dieser Unübersichtlichkeitfast täglich zu apodiktischen Aussagen. Diesgilt nicht nur für die Unternehmer und Mana-ger selbst, für die befassten Politiker in Euro-pa, Bund, Länder und Kommunen, sondernvor allem auch für tagessatzheischende Bera-ter.

Die deutsche Sondersituation liegt darinbegründet, dass dieser Standort, der immerhinden zehnten Teil des Telekommunikations-weltmarkts darstellt, nicht nur die beste undmodernste, sondern vor allem auch die ammeisten in der Fläche ausgebaute Netzinfra-struktur aufweist. Vom digitalisierten Tele-fonnetz, das praktisch alle Haushaltungen er-reicht, braucht man kaum noch zu reden, an-dere Länder haben das schon beziehungs-weise ziehen hier nach. Der deutsche Sonder-fall resultiert aus einem Kabelfernsehnetz, dasunter einer medienpolitischen, nicht kommu-nikationspolitischen Randbedingung aufge-baut wurde und mittlerweile über 25 Millio-nen deutscher Haushalte erreicht. Nur inDeutschland ist dieses Netz von Anfang anein von der Medienpolitik okkupiertes Über-tragungsmedium. Nicht umsonst rief Eberhard

„Wenn man ein totales Chaos kräf-tig umrührt, müsste es eigentlichberechenbarer werden, weil dannwenigstens die Strömungsgesetze

gelten.“

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Witte bei seiner Abschiedsrede im MünchnerKreis dem vormaligen Postminister ChristianSchwarz-Schilling in Erinnerung, er sei „inden Jahren 1982-1987 vor allem Medienmi-nister, nicht Postminister“ gewesen. 1982 fielbekanntlich die Entscheidung, ein Kupferko-axialkabelnetz (BK-Netz) aufzubauen, dasdieselbe Funktion hatte wie ein direktstrah-lender Fernsehsatellit, nämlich massenmedi-ale Rundfunkprogramme zu verbreiten. Beidieser „medienpolitischen Investitionslen-kung“ wurde ein Zahlungsmodell kreiert, dasallen Beteiligten außer dem medienpolitischrelevanten „Einspeiser“ erhebliche Lastenauferlegte. Die Hauptlast der Vorleistunghatte die Deutsche Bundespost zu tragen, beiGründung der Deutschen Telekom wurde derBallast von zirka 30 Milliarden DM einfachübertragen. Konsequenterweise musste dieTelekom auch 1997 ein Jahresdefizit von 1,1Milliarden DM für das BK-Netz ausweisen.Aber auch die anderen Netzbesitzer insgesamtüber 6.000 versuchten nach dem Abflauen derersten Euphorie, aus den negativen Zahlen he-rauszukommen. In erster Linie geschah diesdurch auch EU-gestützte Attacken auf die an-geblich teure Telekom, die sich allerdings an-gesichts des Milliardendefizits dieses Netzesnicht gerade in einer „klassischen” Monopo-listensituation sah.

Die Telekom versuchte in diesem Zangen-angriff auf ihr angebliches Leitungs- oder garMeinungsmonopol immer wieder, denSchwarzen Peter auf die Medienpolitik zuschieben, was ein im Ansatz vergeblicherVersuch ist. Denn die deutsche Medienpolitikgründet sich direkt in der föderativen Veran-kerung des Grundgesetzes. Die begründeteSorge der Verfassungsväter war ja, einenzentralistischen Rundfunk à la Goebbels füralle Zeiten auszuschließen. Trotz aller techni-schen Entwicklungen muss man auch in unse-rer gefestigten Demokratie davon ausgehen,dass die Medienpolitik in Deutschland unter

die „Ewigkeitsgarantie“ des Artikels 79.3fällt. Selbst wenn es den Medienpolitikerndämmern würde, dass gerade auf dem Gebietder Informationsfreiheit (und um die ging esden Verfassungsvätern) der technische Fort-schritt segensreich gewirkt hat, müssten Sieeine tief gestaffelte Pöstchenstruktur aufge-ben, die nachweislich selbst Hinterbänklernmindestens einmal in ihrem Politikerdaseineinen 90-Sekundenauftritt in den Landesnach-richten sichert. In anderen Worten: Manbraucht gar nicht zum Grundgesetz zu greifen,um den Hauch der Ewigkeit zu spüren. Ichhalte es für eine der größten Zeitverschwen-dungen der Branche samt des räsonierendenPublikums, auf eine angepasste Modernisie-rung der deutschen Medienpolitik zu dringenoder auch nur darauf zu warten. Ein modusvivendi ist in der Politik derzeit nirgends inSicht.

Die BK-Netze überwiegend ausgebaut bis300 und 450 MHZ, teilweise aber auch schonbis 862 MHz haben zudem für die wegen derSpottpreise für Einspeiser (12,80 DM pro Ka-belnetz und Jahr) heftig nachgefragten Ana-logprogramme nicht ausreichend Kanalkapa-zität. Es wird immer wieder irgendein Spar-tenkanal draußen bleiben. Das Publikumreagiert erwartungsgemäß mit wüsten Be-schimpfungen auf den oder die teuren Netz-betreiber einerseits und mit dem Schwenk zuSatellitenreceivern andererseits.

Für das BK-Netz hat dies wiederum seiteinigen Jahren die fatale Folge, dass be-triebswirtschaftlich niemand richtig Geld indie Hand nehmen kann, weil er über die Ver-wendung und damit die Rentabilität seiner In-vestition nicht alleine verfügen kann. So be-trachtet, ist das BK-Netz aus analytischerSicht derzeit eine Investitionsruine. Aberwelch eine Investition! Nicht einmal die rei-che deutsche Volkswirtschaft könnte es sichleisten, diese erhebliche Vorleistung über dienächsten 50 Jahre hinweg verrotten zu lassen.

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Denn die technische Entwicklung hat ge-genüber 1982 einen Riesensprung in die Di-gitaltechnik gemacht und bietet seit einigenJahren zusammen mit einer Glasfaser-Zufüh-rungstechnik (HFC) die Möglichkeit, diesesKabelnetz für Verteilkommunikation im ge-samten Umfang bis 862 MHZ zu einem voll-gültigen bidirektionalen Kommunikationsnetzauszubauen. Dieser Umstand ist in der ganzenAkteurskette bekannt, wenngleich viele denganzheitlichen Charakter des Netzes nicht se-hen und davon träumen, man könnte einzelneNetzebenen oder gar einzelne Netzinseln he r-auspicken und mithilfe von ein paar ABM-Kräften profitabel machen. Ein Netz kannman aber nur mit ganzheitlichem Willen (wasnicht zwingend einen einzigen Akteur bedeu-ten muss) mit vernünftigen Kosten moderni-sieren. Davon aber ist die potentielle Akteurs-kette weiter entfernt denn je. Denn abgesehenvon der unabänderlich fraktalisierten Medien-politik kommen die „saftigen” Komplikatio-nen erst hinzu.

Bei einem Netz mit 6.000 Besitzern darfder größte Anteilseigner, das ist die Telekommit rund einem Drittel der Netzebenen 3 und4, noch nicht einmal darüber nachdenken, obeine Hochrüstung zum Kommunikationsnetzmöglich wäre, die kleinen Netzmitbesitzerwürden noch am selben Tag mit einer Stimmeaufheulen, der Große wolle die Kleinenplattmachen. Am nächsten Tag würde sich dieEU-Direktion Wettbewerb und das Bundes-kartellamt ähnlich deutlich dagegen äußern.Der überwiegende politische Wille in Europaund speziell in Deutschland hat sich auf eineantimonopolistische Haltung hin stabil ausge-richtet. Demnach darf nichts geschehen, wases einem dominanten Netzbetreiber ermög-licht, mehr als zwei Drittel oder höchstensdrei Viertel des Marktes zu haben. Weil aberdie Deutsche Telekom bereits dominanterOrtsnetzbesitzer beim Telefonnetz ist, gehendie Überlegungen der Wettbewerbshüter ten-

denziell eher in Richtung Enteignung als inRichtung Gestaltung.

Die Blockade sieht also so aus: Der Tele-kom wird ein Schritt in Richtung Breitband-kommunikationsnetz aus Wettbewerbsgrün-den untersagt, Sie kann sich aber andererseitsauf einen entschädigungslosen Verzicht nichteinlassen, weil ein komplett modernisiertesKommunikationsnetz in der Hand eines Mit-bewerbers (auch wenn es sich um ein Kon-sortium handelt) eindeutig die Einnahmen ausdem Telefonnetz erheblich mindern würde.Ein Telekomvorstand, der hier zustimmenwürde, hätte sich nicht nur vor den Aktionä-ren, sondern wohl auch vor Gericht zu ver-antworten.

Um diese simple Sachlage hat sich nun einVerbalinferno gebildet, das selbst bei (unter-stelltem) guten Willen lange Nachschwingun-gen hat. Bis der letzte Handwerksmeister diesverstanden haben kann, wird der weltweiteWettbewerb schon mehrfach um die deut-schen und europäischen Sturköpfe gebraustsein.

Solange diese Blockade anhält, könnensich zum Beispiel die Infrastrukturherstellerund die Wohnungswirtschaft wunderbar überAllianzen und Kooperationen unterhalten, da-bei werden Aktiva aber nur auf das Konto„Erfahrung” gebucht werden können. Vordem zweiten Schritt kommt bekanntlich dererste und der bedeutet in unserem Fall einMemorandum of Understanding über diestrategische Ausgangslage und den beidersei-tigen Aktivitäten, an dieser Ausgangslageschnell und heftig zu rütteln. Ohne die Mög-lichkeit einer Meinungsallianz könnte ich eineZusammenarbeit von Herstellern und Woh-nungswirtschaft an dieser Stelle auf denSankt-Nimmerleinstag verschieben. Statt des-sen will ich Ihnen einen steinigen, aber gang-baren Weg und die Notwendigkeit, ihn zu be-schreiten, in einigen Punkten darstellen.

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Möglichkeiten und Grenzen der Netz-techniken

Es mag im letzten Abschnitt so erschienensein, als ob die Welt der künftigen Kommuni-kationsdienste allein von der Modernisierungdes BK-Netzes abhinge. Dem ist natürlichnicht so. Viele Netzwege führen zur ersehntenInformationsgesellschaft. Bekanntlich gibt esallein bei den Festnetzen die Optionen „Glas-faser ins Haus”, „DSL“, Hybid Fibre Coax“und die entsprechenden Mixturen und Vari-anten davon. Im Vortrag auf dem Kongress„Wohnwert Multimedia” des Medienbauhau-ses und der Wohnungswirtschaft vom letztenOktober habe ich noch nicht gewagt, eine o-der mehrere Optionen zu verwerfen, weil ichnicht die Zuneigung von lieben Kollegen,Partnern und Kunden verlieren wollte. In denletzten Monaten habe ich aber von verant-wortlichen Akteuren Sätze gehört wie „Glas-faser ins (Privat-) Haus machen wir nichtmehr”, „funken ist nur dort sinnvoll, wo weitund breit kein Festnetz ist”, „xDSL ist dieeinzige Option für Breitbanddienste, wennman nicht ins Koaxnetz darf”. „Power-Lineist der gute Weg vom Baby-Ruf zum Oma-Ruf” oder „für die Low-Orbit-Satellitenkom-munikation brauchen wir bei gleicher Band-breite viel kleinere Footprints”. Vielleichtkann nicht jeder diese etwas kryptischen Aus-sagen verstehen, aber für mich heißen sie,dass man in der vollen Breite der technischenEntwicklung wieder in das pragmatischeFahrwasser des Markts einmündet. Natürlichsind alle denkbaren Netze beziehungsweisederen Kombinationen für die meisten künfti-gen Multimediadienste geeignet. Die Frage istnicht mehr, was technisch geht, sondern waswirtschaftlich darstellbar ist.

Und hier wogt derzeit ein Meinungsstreitin den Unternehmen der Hersteller undBetreiber ebenso wie in den politischen Gre-mien und bei den europäischen Experten der

Infrastrukturentwicklung. Bei den anstehen-den Netzausbauten und Netzergänzungenwird je nach Untersuchung eine Mitbenutzunganderer vorhandener Netzinfrastrukturen ein-berechnet. Daraus entspringen ganz unter-schiedliche Volumina. Die Verfechter der je-weiligen Netztechnikfavoriten rechnen sichihre Variante schön und ich kritisiere diesschon seit einiger Zeit nicht mehr. Denn allesandere wäre erneut zentralistische Besserwis-serei in einem Feld des „Trial and Error”, dender Wettbewerb beflügelt. Wenn man dieAuswüchse des „anything goes” wie ich fürunproduktiv hält, muss man eben nicht inzentralistische, gar staatliche Gängelei zu-rückfallen, wo dann doch der jeweilige Mei-nungsführer an einem Tag die Weichen fürJahrzehnte stellen kann. Die Wirtschaftsak-teure müssen eigene Wege finden, zu Wei-chenstellungen zu kommen, die wettbewerbs-konform sind, aber de-facto-Sackgassen ver-meiden.

Bei der Bestimmung von Möglichkeitenund Grenzen von Netzinfrastrukturen müssenso meine ich die bisherigen Erfahrungen vielstärker berücksichtigt werden als bisher. Undsolche Erfahrungen hören sich zwar recht ein-fach und konsensuell an, es wird aber täglichauf irgendeiner Veranstaltung genau das Ge-genteil betrieben.

Möglichkeiten und Grenzen von Netzen

Der Bandbreitenbedarf bei der Übertra-gung in der Telekommunikation ist (wie beimPC-Festplattenspeicher) von stets wachsendenAnsprüchen gekennzeichnet.• Alle telefonähnlichen Dienste sollten so

einfach bedienbar und organisatorischtransparent sein wie das Telefon. Elektro-nische Mail muss sich an den Maßstäbeneines Telefax messen lassen.

• Alle fernsehähnlichen Dienste brauchen

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tendenziell mindestens Videoqualität.• Das weltweite Telefonnetz ist eher für kurze

„bursts” als für längere „streams” geeignet.• Alle Netze brauchen wegen der zunehmen-

den Mehrwertdienste höhere Infrastruktur-qualität in Hard -und Software

• Alle Multimedianetze brauchen End-to-End-Qualität, „Hausübergabequalität” einesDienstes ist nicht mehr hinreichend

• Wegen der unabänderbaren Physik vonFunksystemen bleiben Festnetze nach wievor das Rückgrat der Telekommunikation inden Industrieländern.

Aus diesen Erkenntnissen folgt unter ande-rem, dass der Ausbau der Infrastruktur unse-rer Festnetze noch längst nicht vollendet ist.Annahmen, künftig könne man nur nochsoftwaregetriebene Dienste ins Auge fassen,sind irrig. Auch wird ersichtlich, dass bereitsfunktionierende Diensteplattformen auf Dauerschwer akzeptiert werden. So ist zum Beispieldas gesprochene Wort des Telefondienstes imSinne einer Plattform defizient, wenn ausvöllig unterschiedlichen Gründen massenhaftAnrufbeantworter eingesetzt werden. Mankann Echtzeit-Kommunikationsplattformennur partiell zur zeitversetzten Kommunikationtransformieren.

Eine weitere Grenze der verschiedenenNetzoptionen ist - wenn man nicht viele Jahr-zehnte warten will - durch die notwendigenFinanzvolumina gegeben. Zählt man die Ma-ximalzahlen der in Europa hochgerechnetenNetzinvestitionen zusammen, ist man im Be-reich der Billionen ECU1. Realistischerweisewird man sich hier mit geeigneten Verfahrenund Annahmen etwas einschränken müssen.Keineswegs soll damit gesagt sein, dass eskünftig statt acht oder neun völlig verschiede-nen Netzstrukturen nur noch ein oder zweigeben wird. Aber das Argument der „sunkcosts”, also der Nutzung vorhandener Res- 1 Siehe den vorstehenden Beitrag

sourcen, wird in den nächsten Jahren nochstärker als bisher zählen.

Innovationspolitische HerausforderungBK-Netz

Aus der Sondersituation des BK-Netzeserwächst uns aus allen diesen Gründen geradein Deutschland seit wenigen Jahren eine riesi-ge innovationspolitische Chance, die es zu er-greifen gilt. Niemand wird bestreiten, dassmit der Errichtung des BK-Netzes die ge-wichtigsten Investitionen, nämlich die Netz-anbindung des Teilnehmerbereichs, bereitsgeleistet sind. Die These der Techniker undder Dienstestrategen ist, dass eine Moderni-sierung des BK-Netzes hin zu einem breit-bandigen HFC-Kommunikationsnetz preis-werter sein wird als die entsprechenden Alter-nativen mit reiner Optoelektronik oder dieHochrüstung von Telefon und Funknetzen inRichtung Breitbandigkeit. Ein HFC-Netz wä-re aber kein Wunderding. Um es ganz deut-lich zu sagen: Niemand behauptet, dass manmit einem HFC-Netz zum Beispiel rasch ei-nen flächendeckenden hochqualitativen Vi-deofon-Dienst realisieren kann. Gleicherma-ßen breitbandige Upstreams und Down-streams können nur in Optoelektronik bzw.echten Sternstrukturen dargestellt werden, beieinem HFC-Dienst wäre das „Bildfernspre-chen” zwischen zwei Teilnehmern nicht inderselben Bildqualität zu haben wie derBreitbandservice „on demand”. Aber Breit-band heißt eben nicht nur Bewegtbild. Esheißt auch, dass sich die Wartezeiten beimAufbau einer Internetseite auf 0,09 Sekundenverkürzen können, in anderen Worten: es gä-be keine Verzögerung mehr, die gerade beitelekooperativen Vorgängen so hinderlich ist.

Die Chance für den Standort ist der Zeit-vorsprung, den man bei Benutzung des BK-Netzes für breitbandige Anwendungen aus-

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nutzen kann. Andere Flächenländer Europas,aber auch in der Welt stünden für neues E-quipment und neue Dienste zunächst unter ei-nem Importdruck, den es so bisher in der Te-lekommunikation nicht gegeben hat. Umge-kehrt argumentiert, wäre Deutschland endlichauch einmal auf einem Weltmarktsegment derSysteme in einer hervorragenden Ausgangs-lage, - wenn ja wenn! - die Zeit nicht mit Blo-ckaden verplempert wird.

Als wichtiges Argument erscheint auch dieChance für das überwiegend mittelständischeAusrüstungshandwerk, eine große und kalku-lierbare Netzerneuerung anzugehen. Dennnicht überall wird die vorhandene Qualität deruntersten Netzebenen bis zum Endgerät sobeschaffen sein, dass die Nutzer mit einfa-chem Plug-In alle neuen Dienste nutzen kön-nen.

Die Errichtung eines HFC-Netzes ist auchspitzentechnologisch durchaus eine Heraus-forderung, es geht nicht darum, in Low-Techzu verfallen und lediglich moderne Netzaus-rüstungen aus dem Weltmarkt einzubauen.Vielmehr ist es erforderlich, wegen der inDeutschland schon seit zwei Jahrzehnten„blind verlegten” Glasfasern die getätigtenInvestitionen rentierlich zu machen. Hierzumüssen neue Lasergenerationen in die Mas-senproduktion überführt werden, die es wie-derum gestatten, auch künftig Standardfasernzu verwenden und die Notwendigkeit der umFaktoren teureren Spezialfasern zu minimie-ren.

Die gewaltige Chance aber eröffnet sichfür die alten und neuen Dienstleister, die end-lich ihre Vorstellungen von Diensten in denverschiedenen Netzebenen stabilisieren und inklare Anforderungen an das Netzwerk vonMultimediaproduzenten umsetzen können.

Man muss sich in der ganzen Wertschöp-fungskette die Größe der Chance vor Augenhalten, damit man in der gegebenen Still-standssituation wenigstens weiß, was alles auf

dem Spiel steht. Denn noch ist alles ein Glas-perlenspiel, das wenig Unterhaltungswert hatund schon gar keinen realistischen Weg hin

zu einem umfassenden Business samt der da-mit zu sichernden Arbeitsplätze zeigt. Wiesteinig der Weg ist, zeigt die aktuelle Ent-wicklung um die d-box, ein ohnehin kränkli-ches Kind starker Eltern, das von der Medienund Wettbewerbspolitik schlichtweg aufHungerration in die Regale gesetzt wurde.

Es muss rasch ein Weg gefunden und be-schritten werden, der endlich wieder etwasähnliches wie „Berechenbarkeit” in diesesvom Meinungschaos dominierte Zukunftsfeldbringt. Das nachfolgend vorgestellte Denk-modell hat nicht den Anspruch einer Lösung,zumal es vom Akteur Telekom einschneiden-de Opfer abverlangt. Niemand hat das Recht,einer Aktiengesellschaft von außen vorzu-schreiben, wie „volkswirtschaftlich” sie sichzu verhalten hat. Aber es könnte sein, dassallein die Tatsache, dass die Telekom alsHauptsubjekt in dieser politischen Zangenicht einmal gutgemeinte volkswirtschaftlichund politisch verträgliche Vorschläge machendarf, ohne gleich wieder in Gefahr zu laufen,als „besonders hinterlistig” zu gelten. Wennes eine Lösung geben sollte, dann vermutlichnur durch Einschaltung kundiger und objekti-ver Dritter. Natürlich ist es schwer, objektivzu sein, wenn man zum Beispiel als Infra-strukturhersteller oder als Wohnungswir t-schaft selbst mittelbar betroffen ist. Aber da-durch, dass beide Seiten weit von der ersten

„Ein breitbandiges HFC-Kommunikationsnetz ist preiswerter undschneller als die entsprechenden Alter-nativen mit reiner Optoelektronik oderdie entsprechende Hochrüstung von

Telefon und Funknetzen.“

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Kampflinie entfernt sind, könnte eine „Mei-nungsallianz” vielleicht doch den erwünsch-ten modus vivendi in die verfahrene Diskus-sion bringen.

Denkmodell „Virtuelle Aufspaltung“

Die Telekom hat Ende 1997 angekündigt,sie wolle zum 1. Januar 1998 das BK-Netzausgliedern und in bundesländerbezogeneTeilgesellschaften aufspalten. Dazu lade sieInvestoren ein, die mithelfen könnten, dieLast zu tragen. Die Telekom hätte auch an-kündigen können, ihre Breitbandkabel putzenund polieren zu lassen, die erwartbare Reakti-on des Generalwettbewerbskommissars Karelvan Miert aus Brüssel ist derzeit stets einVeto. Mag EU-Kommissar Martin Bange-mann für die DG XIII auch noch so viel Über-zeugungsarbeit in Richtung Informationsge-sellschaft leisten, daran kommt auch er nichtvorbei. Selbst das europäische Parlament mitseinem umfassenden Budgetrecht wäre hiermachtlos, die DG IV braucht für ihre Arbeitnur eine Briefmarke. Die Telekom ist um soerstaunter über diese heftigen Einsprüche, alssie seit ihrer Umgründung eine sehr Europa-offene Haltung einnimmt. Gerne würde siemit den Struktur und Kohäsionsfonds der DGXVI und Monika Wulf-Mathies infrastruktur-bildend nach Osten und Süden ziehen. Aberihr eigener Nimbus als einer der bedeutendenTelcos dieser Welt wirft sie immer wieder zu-rück. Die DTAG kann Tarife senken es wird„Öl für die Lampen Chinas” gerufen. Siekann ihre Lieferantenpreise brutaler drückenals VW-Lopez dies je konnte, es wird „teureGoldrandtechnik” gerufen. Sie kann übrigensauch nach langjährigem Zögern einen Fünf-jahresvertrag zur Übernahme der Gebührenfür die Telefonseelsorge unterschreiben, diebeiden deutschen Kirchen wechseln dennochohne Wimperzucken zur Konkurrenz. Dem

real existierenden Wettbewerb verdanken wirHersteller immerhin, dass man sie bis vor we-nigen Jahren als „Hoflieferanten” verschrien -solchen Argumenten inzwischen ernst nimmt.

Das schlechte Image der Telekom bei denanderen Akteuren Aktionäre und Bürger sindda bereits ganz positiv eingestellt wird einen

Tribut kosten. Die Telekom muss zähneknir-schend akzeptieren, dass sie aus der politi-schen Altlast „BK-Netz” nicht ungestreift he-rauskommen kann. Selbst der Gerichtswegwäre für sie ein teurer Zeitverlust mit unge-wissem Ausgang.

Vielleicht hilft ein Denkmodell der „virtu-ellen” Aufspaltung des Netzes weiter. Manmuss sich bei einer Aufspaltung zwei Dingein Erinnerung rufen: Einmal ist da das Be i-spiel der vormaligen Richtfunkverbindungzwischen dem Bundesgebiet und West-Berlin,nach Auflösung der DDR längst durch eineGlasfaserverbindung ersetzt. In dem Richt-funkbündel wurden stets alle Kommunikati-onsströme aus allen unterschiedlichen Netzenintegriert, es liefen Telefonverbindungen ge-nauso wie Datendienste und der gesamteRundfunk. Niemand hat auch nur einmalvermutet, dass der damaligen Bundespostdurch den „Besitz” dieser Richtfunkverbin-dung eine meinungs- und monopolbildendeSonderrolle zufiele. Zweitens ist das seit eini-

„Ohne virtuelle Trennung im Sinneeines Entbündelns von

„medienpolitischer” und„kommunikationspolitischer” Re-

gulierung ist keine gedeihlicheEntwicklung im weltweitenWettbewerb zu erwarten.“

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ger Zeit aufkommende europäische Modewortvon der „Konvergenz” nur für oberflächlicheBetrachter ein Passepartout für ein kommen-des Netznirwana: Mögen sich interaktiveBreitbanddienste und interaktives Fernsehenauf dem Bildschirm auch noch so ähneln, dieunterschiedliche Organisation bleibt.

Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, dasFrequenzspektrum der BK-Anlagen zwischenden beiden Bereichen Telekommunikation

(mit Bundesgesetzen) und Medienkommuni-kation (mit Länderzuständigkeit) aufzuspal-ten. Das Netz würde - Techniker bitte weghö-ren; der Länge nach virtuell zersägt. Die zurVerfügung stehende Kanalzahl ist mit rund1.000 Zwei-Megabit-Kanälen mehr als aus-reichend. Gewiss würde die Medienordnungbei einer Halbierung des Frequenzbandes bis862 MHz in den zugeteilten Frequenzbändernnicht 500, sondern vielleicht nur 125 Digital-kanäle vorsehen wollen - die notwendige Fle-xibilität für Verhandlungen über dieses „Me-diennetz” wäre gegeben. Die andere Hälftedes Frequenzspektrums könnte sehr wohl dieTelekom auch als dominanter Betreiber für

Multimediadienste behalten, allerdings unterder Maßgabe des offenen Netzzugangs wiebeim Telefonnetz. Für die Wettbewerbshüterwäre dies genauso, als würde die Telekom die„dirty last mile” des Telefonnetzes mit Milli-meterwellen überbrücken, also ein nicht kriti-sierbarer Vorgang.

Weil nun das Kabel nicht wirklich zersägtwürde, entstünden - aus Kostengründen na-türlich gemeinsam zu installierende - Aus-

rüstungsteile, etwa Server oder Set-Top-Boxen. Diese Teile müssten demnach in einergemeinsamen Arbeitsgemeinschaft definiertund implementiert werden. Deswegen sollteman der Telekom auch beim Besitztitel Me-diennetz eine Sperrminorität einräumen. Aufder Seite des Multimedianetzes wäre alles wiebeim Telefonortsnetz, übrigens einschließlichder neuen Mitbewerber.

Nach einer Verhandlung samt Schieds-spruch durch die Behörden (Regulierungsbe-hörde und Kartellamt) würden sich auch dieMilliardenaltlasten gerecht aufteilen lassen.Wie überall, steht das Unangenehme ganzunten: Sowohl das Mediennetz als auch das

„Dienstenetz” GmbH100% DTAG

„Arbeitsgemeinschaft BK”50% DTAG

„Mediennetz” AG25% DTAG

Dienstekabel als Access für TK-Dienste (ONPkonform)

gemeinsame F&E-AufgabeHFC-Modernisierung10 Mrd./5 Jahre

DVB-Kabel

„Altlastenanteil”Abzug von Telefonverkehr

Budget durch Anteilseigner „Altlastenanteil”Gebührenfinanzierung

Identische Regulierung wie beimTelefonnetz (Ausnahme ggf. Infra-strukturverpflichtung)

Regulierung nur in Einzelfällen beiKonflikt Dienstenetz-Mediennetz

Medienpolitische Regulierung

Diensteequipment Shared Resources (Wandler, Server,Set Top Boxes etc.)

Einspeisepunkte NE 1-3

Höhere Rückflüsse aus Nutzungneuer Breitbanddienste

Abrechnungsmodell,Ausfallkosten,

Höhere Rückflüsse aus bessererAbdeckung Einspeisekosten

Ideenskizze virtuelle Aufspaltung (1998)

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Multimedianetz müssten sich hinfort ausRückflüssen der Dienste finanzieren. Wäh-rend hier die Multimediaseite mit dem noch„unbekannten Guten“ rechnen darf, müsstedie Medienseite mit dem „bekanntenSchlechten“ als Hypothek beginnen. Dennwenn nach 15 Jahren Privatfernsehen erstzwei Sender aus den roten Zahlen heraus sind,dann kann man nicht mehr überzeugend vonAnlaufproblemen reden. Die Multimediaplatt-form würde übrigens keine „Zwangspause”durch die Errichtung bringen. Von Anfang anstünde die bewährte ISDN-Plattform alsMöglichkeit zur Interaktion bereit, die nichtvom Koax-Netz erfassten Haushalte, Betriebe,Schulen und Hochschulen könnten sich aufeine digitalisierte xDSL-Plattform mit min-destens 2 Megabit Kapazität stützen.

Das Modell fordert - wie gesagt - Riesen-opfer bei der Telekom, es eröffnet aber auchschlagartig den Weg zu einer multimedialenTelekommunikation. Hinter dem Modell lau-ern immer noch genügend Fallgruben, es kannkein Königsweg sein. Es versucht einen ba-lancewahrenden Kompromiss, sonst nichts.So wird man heftig darüber nachdenken müs-sen, wie man mit den inzwischen gegründetenMultimedia-Aktivitäten der Öffentlich-Recht-lichen verfährt wahrscheinlich müssen siesich aus dem Bereich des Mediennetzes aus-gründen, um erfolgreiche Service Provider aufder Multimedia-Plattform zu werden. Auchfür die hinreißenden Möglichkeiten des Web-TV und vieler anderer „Zwischenformen”sind Schiedssprüche erforderlich. Aber essind nach einer ersten Prüfung weder neueGesetze noch gar Verfassungsgerichtsurteilenötig. Schon dies wäre eine bessere Zukunfts-perspektive als die heutige.

Die beiden Plattformen auf demselbenphysikalischen Netz - dessen darf man gewisssein - müssen sich aus Rückflüssen aus denjeweiligen Diensten finanzieren. Zur Erfül-lung dieser Forderung reicht Optimismus al-

leine nicht aus. Für die Entwicklung von in-teraktiven Multimediadiensten einerseits undfür das Erschließen zusätzlicher Consumer-Märkte durch neue Formate andererseits istKnow-how und Skill erforderlich, beideskostet Geld. Spätestens an dieser Stelle trans-zendiert das zunächst national angelegteDenkmodell der virtuellen Aufspaltung in denglobalen Maßstab. Man muss und kann damitrechnen, dass eine sehr rasch erfolgendeBreitbandnetzanbindung von über 25 Millio-nen Haushalten durch HFC sowie von weite-ren 15 Millionen Haushalten mit xDSL ein ü-berkritisches Marktpotential darstellen, dasService Provider weltweit auf den Plan ruft.Denn von Anfang an stünde ja die ISDN-Plattform für Interaktivität und Sicherheit zurVerfügung.

Multimediadienste und Mediendienste

Multimediadienste und Mediendienstekönnen über dasselbe Medium laufen unddennoch „virtuell getrennte” Dienste sein.Dazu werfen wir einen Blick auf das Panora-ma der Infrastruktur von „national” über „Re-gion”, „Metropole”, „Häuserblock”, „Etage”bis zum „Schreibtisch” einerseits, auf die In-teressen und Problemlagen der Beteiligtenandererseits.

Unter anderem könnte aus einer detaillier-teren Analyse der Entwicklungsmöglichkeitenim BK-Netz hervorgehen, dass einige vielge-nannte Multimediadienste immer noch als„Wolken” erscheinen. Denn wo ist zum Bei-spiel der anfaßbare Netzebene-4-Dienst? Wowerden Synergien der Dienste gesucht? Wiesollen die Rückflüsse organisiert werden?Wie könnte eine „Teleorganisation” ausse-hen?

Es wäre an dieser Stelle unklug, das Wort„Telefonie” zu vermeiden. Jürgen Schulte-Hillen verweist auf das englische Beispiel, bei

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dem allerdings über ein parallel verlegtes Te-lefonkabel Telefondienste über 10 Telefon-betreiber inzwischen mehr Umsatz bringen alsdie TV-Dienste. Wenn so meine ich ein stillerKonsens der neuen Wettbewerber darin be-steht, dass man unter der Flagge „Multime-dia” lediglich eine neue Variante des Kampfsum den Kuchen der Telefongebühren anstrebt,dann könnte ich mir vorstellen, dass der Still-stand anhält. Dem Wettbewerb eine Chancegeben, kann doch nicht heißen, dass manernsthaft nur um die altbekannten Dienstebro-cken kämpft. Dieser Standort braucht drin-gend die neuen Dienste, um internationalwettbewerbfähig zu bleiben, genannt sei stell-vertretend nur der drängende Bedarf nach ei-ner „Tele-Organisation” E-Government unse-rer öffentlichen Verwaltung.

Auf den ersten Blick könnte für mancheneine Schieflage bei den Rückflüssen vermutetwerden. In der Tat werden es die Medien-dienste schwer haben, das verfehlte Zah-lungsmodell der frühen Achtziger zu korrigie-ren. Solange man für ein „Butterbrot” einProgramm in die Kabelnetze einspeisen kann,wird kein Licht am Ende des Tunnels ersche i-nen. Denn niemand glaubt, dass der Kunde„Fernsehzuschauer” durch die Vermehrungdigitaler TV-Angebote noch beliebig belast-bar ist. Man sollte aber bedenken, dass einevernünftige Gestaltung des Mediendiensteteilsauch die Möglichkeit schafft, für höhere Qua-litäten vom Einspeiser auch höhere Nut-zungsgebühren zu verlangen. Auch könnteman trotz des Preisverfalls bei Satellitenemp-fängern dem Kunden ernsthaft die Alternativebieten, die Heranführung der Satellitenpro-gramme als „shared resource” im direktenWohngebiet (Netzebene 3) über das digitali-sierte BK-Netz zu leisten. Wenn der umfas-sende Satellitenempfang zur Normalausstat-tung einer Wohnung gehört, fällt der Kaufreizfür die Schüssel weg.

Partnerschaften und Allianzen im Multi-media-Netz

Angesichts von Allianzen wie Bertels-mann/Kirch/Telekom wird jeder, der nicht zuden ganz großen Akteuren gehört, zunächstmisstrauisch werden. Misstrauen ist nichtschlecht, wenn es nicht pathologisch wird. A-ber angesichts der notwendigen Vorlaufrisi-ken geht kein Weg daran vorbei, die Schwer-gewichte als Eisbrecher einzusetzen. DieseErkenntnis durfte ich schon 1994 auf einerBMBF-Konferenz ungestraft von den Mit-telstandsfetischisten darlegen. Die bedeuten-den Telekommunikationsunternehmen ein-schließlich der Telekomkonkurrenten sehendies heute im kleinen Kreis genau so. Mankann nicht - wie vor Jahren noch gescheheneinfach hergehen und fröhlich den komplettenAusbau zum Beispiel einer ISDN-Struktur für10.000 Haushalte propagieren und danach erstzum Taschenrechner greifen. Zu viele kleineAkteure mussten erst schmerzhaft erfahren,dass es doch schon einen finanziellen Grö-ßenunterschied ausmacht, wenn man dieMachbarkeit für einen City-Dienst mit Java-Applets demonstriert oder eben in die flä-chendeckenden Infrastrukturen investiert.

Es wäre nun aber verfehlt zu glauben, dassdie Infrastruktur eben doch nur Sache derGroßen sei. Man braucht das Engagement derKleinen. Plastisch ausgedrückt: Auch dieGroßen haben noch nirgends gezeigt, dass sierentable Multimediadienste in der Schubladehaben. Das oben vorgestellte Denkmodellzum „virtual split” ist keine nationale oder gareuropäische Einheitslösung. Denn die Ent-wicklung der Dienste muss in überschaubarenregionalen Einheiten erfolgen, wenngleich ei-ne kritische Größe erforderlich ist.

Dafür sind Partnerschaften nötig, und diesePartnerschaften müssen unter dem laufendenRad entstehen, sie können nicht am Schreib-tisch geschaffen werden. „Partnerschaft” heißt

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im vorliegenden Fall ganz besonders, dassman sich gemeinsam in eine durchaus risiko-behaftete Zukunft bewegt. Dazu muss erstensdie Chemie zwischen den Partnern stimmenund zweitens ein wechselseitiges Vertrauenentstehen können. Beides erreicht man nachaller Erfahrung am besten durch gemeinsameArbeit.

Es reicht keineswegs aus, sich lediglich aufder Ebene des gegenseitigen Zulieferns zubewegen, so wichtig gerade für die Herstellerdie Rückflüsse aus dem Equipment sind. DieZusammenarbeit muss über die Köpfe erfo l-gen, indem gemeinsame Projekte identifiziert,spezifiziert und implementiert werden. Diesist bei aller Verbindlichkeit der Partnerschaftein durchaus transparenter Vorgang für ande-re Projektzusammenhänge. Man sollte beimBau des Marktplatzes - was eine gemeinsameSache ist - nicht so tun, als sei man bereits ineiner heftigen Händlerkonkurrenz. Das alleshat noch Zeit.

Das Ziel einer Gestaltungspartnerschaftkann nur darin bestehen, gemeinsam zu lernenund die nicht unerheblichen Probleme einerinfrastrukturellen Diensteentwicklung anzu-packen. Auch wenn die Entwicklung der Inf-rastruktur wegen des beschriebenen Still-stands noch so unsicher sein mag, die Erar-beitung von geeigneten Diensteplattformen istes nicht. Natürlich muss dafür Sorge getragenwerden, dass die jeweiligen Entwicklungenaktuell verfolgt werden, damit eine Modifika-tion der Plattform wenn notwendig durchge-führt werden kann. Ein umfassender analyti-scher Vorschlag steht noch aus, allzu sehrbestimmen Einzelstudien die Diskussion.

Plattformen generieren kein Geld, sondernSie schützen gemachte und laufende Investiti-onen. Das Geld kommt aus den Diensten undderen Nutzenpotential. Niemand zahlt mehrfür seine Wohnung, wenn sie nur ausreichendMultimediasteckdosen aufweist. Hier ist dieganz wesentliche Aufgabe der privaten Netz-

betreiber und auch der Wohnungswirtschaftzu sehen, denn Sie bringt in das infrastruktu-relle Meinungsgetöse eines der unabdingba-ren Elemente ein: Die Kundenbindung unddie Kundennähe.

Eine der Sorgen der privaten Netzbetreiberim BK-Netz ist ja gerade, durch die domi-nante Netzbetreiberin die Kundenbindung zuverlieren, beispielsweise dadurch, dass dieTelekom die Rechnung erstellt. Diese Sorgeist unbegründet, wie das Verhalten sehr kun-dennaher Wettbewerber im Telefonnetz trotzVerwendung der Telekomrechnung seit eini-gen Wochen zeigt. Die größte Hoffnung aberist - und diesen denkwürdigen Satz habe ichim Oktober auf dem Kongress WohnwertMultimedia in Berlin gehört - dass sich dieWohnungswirtschaft „auf jeden Fall dort po-sitioniert, wo das Geld verdient wird”. DieseHoffnung ist unbegründet, wenn das Businessüberhaupt nicht ins Laufen kommt. Ein weniggemahnt die Einstellung der Wohnungswirt-schaft an die Haltung der Kommunen, dieschon viel zu lange den Alchimistentraumpflegen, man könne aus Kupfer doch Goldmachen.

Die Abschätzung der eigenen Business-chancen wird der Wohnungswirtschaft nurunvollständig gelingen, wenn sie nicht kon-zentriert an der Gestaltung dieser Chancenteilnimmt. Aber auch dann bliebe ein Trost:Schon mancher hat am Eisloch einen großenFisch gefangen, wenn er sich nur genügendZeit genommen hat. Ob diese Zeit zur Verfü-gung steht, scheint mir allerdings fraglich.Die notwendige Expertise auch für die All-tagsaufgaben - in Neu-Ulm haben wir Anfangdes Jahres sogar ganz drängende „tiefbaurele-vante” Fragen beantwortet ist - in der Her-stellerwirtschaft in hohem Maß gegeben wieman allerdings zu verbindlichen Allianzenkommt, wo doch die klassischen Elemente der„Ausschreibung” und des „Angebots” prinzi-piell gar nicht möglich sein können, das wis-

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sen auch große Hersteller noch nicht ganzsicher. Man muss es eben versuchen.

Nächste Schritte Wohnungswirtschaft-Hersteller

Zu Beginn hatte ich gesagt, dass der ersteSchritt einer Partnerschaft eine Meinungsalli-anz begründen müsste. Wenn zwei Partnernicht einmal mit der grundsätzlichen strategi-schen Linie übereinstimmen, kann sich keinVertrauen aufbauen. Sie sollten dann sehen,dass sie in freundliche Kunden-Lieferanten-Verhältnisse kommen. Auch wenn ein Her-steller eine bestimmte Strategie bevorzugt, erist nicht Herr deren Umsetzung. PolitischeRandbedingungen können - wie gezeigt -auch der besten Strategie den Garaus machen.Kein Hersteller kann es sich leisten, nur aufeine Strategie, gar auf einen Partner zu setzen.Letztlich bleibt jedem Kunden die Freiheit,das zu verlangen, was in seine Strategie passt.Wenn die Wohnungswirtschaft trotz aller gu-ten Argumente keinen gemeinsamen Weg mitdem dominanten Netzbetreiber sieht, wenn sievielleicht sogar fürchtet, auch noch den Drit-ten im Bunde die in der ANGA zusammenge-schlossenen Firmen, darunter auch Wettbe-werber der Telekom nicht auf ihre Seite zubekommen, dann sollte sie hierzu einen klarenBeschluss fassen.

Die nächsten Schritte könnten so aussehen:• Bildung eines Ausschusses Infrastruktur-

fragen in der IG Multimedia (ca. 10 Mit-glieder)

• Abstimmung in der Wohnungswirtschaftüber ein Grundsatz-MoU über eine ge-meinsame Plattform-Strategie

• Kontaktgespräche mit Netzbetreibern undanderen Mitgliedern der Wertschöpfungs-kette, Eingrenzung des „Scope”

• Identifikation geeigneter Projekte, Projekt-

organisation unter wechselseitiger Mitar-beiterbeteiligung („Kopf-Transfer”)

• Gemeinsame „Meinungsallianz” in derFachöffentlichkeit

Über die Chancen einer Multimediaplatt-form mit hoher infrastruktureller Trefferquotekönnen wir uns gerne noch in der Diskussionauseinandersetzen. In allen Treffen von Mul-timedianern pflege ich ein hartes Wort zu sa-gen, ich kann es auch Ihnen nicht ersparen:Das ganze Thema Multimedia ist von einerAngst-Lust beherrscht: die Angst, das ersteGeld ausgeben zu müssen, und die Lust, daserste Geld zu verdienen. Auch ohne politischeBlockaden kann man sich so als Unternehmerin der Wertschöpfungskette auf das Treff-lichste selbst paralysieren. Die Tage bringtman auch so herum, aber mit einer baldigenInformationsgesellschaft wird es dann nichts.

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Was ist Innovation in der Multimediawelt?- Wird der Markt es beizeiten richten?

Iserlohn, 18. April 1999

Die Versuchung ist groß, das von der E-vangelischen Akademie gestellte Thema mitseinen zwei Fragezeichen überaus kurz zu be-handeln: Die Multimediawelt ist nach allge-meiner Auffassung gleichbedeutend mit Inno-vation. Und: der Markt wird es zwar unzwei-felhaft richten, aber wohl nicht beizeiten. Ichdanke Ihnen für die Aufmerksamkeit - für dienächste dreiviertel Stunde, in der ich Ihneneinige Aspekte aus der Erfahrung mit derMultimediawelt aufzeigen will, die es mir inder Tat gestatten würde, zu so kurzen Ant-worten zu kommen. Auch wenn ich mir einwenig mehr Zeit nehme, so kann es doch nichtausbleiben, dass einiges schmerzlich kurzwegkommt. Dies ist aber bitteschön nicht a-podiktisch gemeint, denn ich misstraue jedem,der in der großen Multimedia-Welt angeblichletzte Wahrheiten verkündet. Kurze apodikti-sche Antworten zur Multimediawelt habennach meiner Erfahrung nur Leute in Werbe-spots, Politiker in der Tagesschau oder Con-sultants mit überhöhten Tagessätzen.

Innovation, Multimedia und die Diskussion

Die Multimediawelt ist nach allgemeinerAuffassung gleichbedeutend mit Innovation.Insofern ist natürlich alles rund um Multime-dia gleichermaßen neu, modern, erwünscht,kompliziert und - wie die Innovation als Beg-riff selbst - ein Feld, dem man wenig oder ambesten gar keine Kritik zukommen lassensollte. Von Innovation und Multimedia ve r-sprechen sich Fachleute wie Laien vielerleiBesserung von Beschränkungen der Welt des20. Jahrhunderts und eine erstrebenswerte„Welt 21“. Anders als andere Bindestrich-

welten (etwa die Arbeitswelt, die Finanzweltoder die Fußballwelt) ist die Multimediaweltumfassend träumbar. Es kann aber nicht dar-um gehen, diese Träume ständig mit Pragma-tismus zu stören oder gar jäh mit Aktionismuszu beenden, denn gesellschaftliche Verbesse-rungen haben schon immer mit Träumen be-gonnen. Selbst technische Inventionen undwirtschaftliche Innovationen haben immerauch etwas mit Träumen zu tun gehabt. Alsonichts gegen Träume, wir brauchen sie. Ge-meinsames Ziel muss aber sein, Träume inbegreifbare Konzeptionen und diese wieder-um in praktische Umsetzungen zu verwan-deln, nicht: diese drei Kategorien ständig zuvermengen.

Der Begriff „Innovation“ wird nicht nur inder Multimediadiskussion sehr auf das techni-sche und wirtschaftliche Begriffsfeld verengtgebraucht. Die kulturellen und gesellschaftli-chen Innovationen kommen dabei immer et-was zu kurz. Selbst die - wie zu zeigen seinwird - organisatorischen Innovationen werdenvom Publikum kaum als solche gesehen. DieVerflechtungen des Innovationsbegriffs sindvielfältig. Weil heute mit „Multimediawelt“in der Regel nichts anderes gemeint ist als diegute alte Informationsgesellschaft, sollte mannicht mehr allzu technikzentriert argumentie-ren. Denn mittlerweile scheint erwiesen, dassgerade im Multimediagebiet die Technik al-leine keine Informations- oder Wissensgesell-schaft hervorbringt. Weil ich weiß, dass auchnächste Woche wieder jemand in der Repu-blik das 97. Pilotprojekt „zur Auslotung vonChancen und Risiken“ fordern wird, füge ichhinzu: Es scheint auch erwiesen, dass uns dieMultimedia-Technik nicht kulturell den Ga-raus machen wird.

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Es gilt an dieser Stelle zunächst noch, denBegriff „Informationsgesellschaft“ von ande-ren Bezeichnungen abzugrenzen, wobei dieBegriffsklärung als solche recht schwierig ist.Seit einigen Jahren verwenden zum Beispieldas BMBF und andere den Begriff Wissens-gesellschaft als einer Gesellschaft, die das ü-bergroße Informationsangebot der vorherigenInformationsgesellschaft auch zu nutzen ve r-steht. In dieser Nomenklatur könnte man auchden Vorläufer der Informationsgesellschaft alsDatengesellschaft bezeichnen und manmüsste schon bald aus der Wissensgesell-schaft - was nützt schon Wissen im falschenKontext? - die Kontextgesellschaft kreieren.Ich benutze den Begriff als vagen, aber zu-nächst durchaus brauchbaren Sammelbegrifffür diejenige künftige Gesellschaft, in der so-wohl der quantitative Anteil der Informati-onsverarbeitung in Produktion und Diens t-leistung, aber auch der qualitative Anteil dervon den Informationsmedien in den gesell-schaftlichen, kulturellen und organisatori-schen Raum hinein-wirkenden Faktoren denentscheidenden Anteil hat.

Ein ähnlich vager, aber wegen seiner Kür-ze und Prägnanz auch außerhalb der Feuille-tons eigentlich brauchbarer Begriff ist die In-novation. Aber nach wie vor ist das Verwech-seln von technischer Invention mit wirt-schaftlicher Prosperität oder gar gesellschaft-licher Innovation ein Privileg der Multime-diadiskussion. Es ist interessant zu betrachten,dass außer dem noch ziemlich unbestimmtenZiel „Informationsgesellschaft“ nur wenigepräzise gesellschaftliche Einzelziele genanntwerden. Der Konsens besteht derzeit nur inder groben Richtung des Weges. Das hat Ur-sachen und Folgen, von denen einige genauerbetrachtet sein sollen.

Die Multimediawelt hat es immer eilig.Wer kennt nicht Formulierungen wie „siebenInternet-Jahre sind ein Jahr“ bzw. deren Deri-vate. Innovation ist deshalb immer etwas eili-

ges. Falsch. Innovation in der Multimediaweltist Infrastruktur, und Infrastrukturen bestehenerstens aus Technik, die in der Tat innerhalbeines Jahres mehrere Produktgenerationendurchlaufen kann, zweitens aus Organisation,die eher den Rhythmus der Landwirtschaftbeibehalten hat und nicht zuletzt drittens ausGewöhnung bzw. Umgangskompetenz, dienach wie vor eine Menschengeneration dau-ern kann. Bei genauem Hinsehen hat es le-diglich die Berichterstattung über die Diskus-sion über die Innovation eilig, denn es giltimmer mehr „only first news are good news“.

Die Diskussion selbst hat es nicht eilig.Vor vier Jahren habe ich an dieser Stelle unteranderem gesagt, die industrielle Herstellungpassiver optischer Bauelemente sei in Gefahr.Die Gefahr ist seit zwei Jahren gebannt. Esgibt diese Herstellung am Standort nichtmehr. Ich habe unter heftigem Protest eines inNRW ansässigen Betreibers auch gesagt, dasses innerhalb von vier Jahren aus technischenund physikalischen Gründen noch kein alter-natives Ortsnetz auf Funkbasis geben werde.Da hatte ich nur zur Hälfte Recht: Es gibt jetztauch diesen damaligen Betreiber nicht mehr.

Eilig haben es die Hersteller von Chips,Computern und Anwendungssoftware, derenPayback nur noch funktioniert, wenn derKonsument wegen überlaufender Speicher(„disk full“), nicht enden wollender Rechner-Sanduhren („world wide waiting“) oder we-gen verächtlicher Blicke des ICE-Sitznach-barn („kein Windows 98?“) sich wildent-schlossen ins Internet stürzt und per Maus-klick-Bestellung sowohl sein schlechtes Ge-wissen als auch vor allem die Aktionärshüterin den weltweiten Finanzabteilungen beruhigt.

Die Eile schlägt immer wieder aufs Gewis-sen: Habe ich wirklich genug getan für meine„employability“, oder verdient es einer, vo r-ruheständig zum alten Eisen geworfen zuwerden, weil er für seine Gedanken kein pas-sendes Powerpoint-Icon findet? Und erst die

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Brut! Haben wir als Eltern versagt, weil sichdas pädagogisch hochstehende Lehrprogrammauf dem Laptop des Zöglings nur ruckelndbewegt? Und warum hat die sympathischevirtuelle Englisch- und GeographielehrerinLara Croft eigentlich immer eine Maschinen-pistole in der Hand?

Die Eile beruhigt aber auch. Wozu dennjetzt einen Kurs in WORD 7 machen, wodoch zu Weihnachten WORD 8 kommt? Wo-zu jetzt einen Computer für 1700 Mark kau-fen, wenn es den auf der nächsten CeBIT be-stimmt für einen Tausender gibt? Und in zweiJahren wird er doch zusammen mit der Soft-ware bestimmt kostenlos abgegeben?

Der Markt ist toll. Wenn zwei große Com-puterfirmen neueste Rekorde beim Verkaufund beim Jahresgewinn bekannt geben, dannwissen wir: die schließen sich aus Not baldzusammen. Wenn wir in der Familie die An-schaffung eines dritten Handy ernsthaft erwä-gen, dann sorgt der Markt dafür, dass derProvider von einem anderen gekauft wird.Und wenn wir es schaffen, unsere monatlicheTelefonrechnung zu verdoppeln, dann sorgtder Markt für niedrigere Preise oder wenigs-tens für weitere Entlassungen bei der Tele-kom. Der Markt hat uns Organizer beschert,in die wir die handschriftlichen Einträge unse-res Terminkalenders abschreiben können, undgenau so wird er hoffentlich bald dafür sor-gen, dass der neue Personalausweis bürger-freundlich aus dem Faxgerät kommt. Hatnicht Negroponte vorhergesagt, dass wir so-gar bald den Kurs unserer Lieblingsaktiemorgens auf den Toast gebrannt bekommen?Und entstehen nach der Entlassung von 1000Menschen bei einem wegen seiner Größeschon unsympathischen Großunternehmennicht hundert sympathische Kleinunterneh-men mit je drei Mitarbeitern?

Nicht der Markt ist toll, sondern die Dis-kussion. Der Markt ist weder toll nochschrecklich, sondern er existiert einfach. Es

ist keine menschliche Zivilisation ohne Marktdenkbar, aber auch keine unmenschliche. DerMarkt ist Handel und Wandel, man kann ihnstören, bremsen und beflügeln, aber man kannihn nicht außer Kraft setzen. Diese Lektionmüsste im 20. Jahrhundert begriffen wordensein. Aber der Markt ist nicht alles, er brauchtRegeln. Und der Markt braucht Marktplätze,auf denen ebenfalls bestimmte Regeln geltenmüssen, sonst funktioniert er nicht. Und diesgilt nicht nur für die alten gepflastertenMarktplätze in unseren Städten, dies giltselbst für virtuelle Marktplätze. Und wo Re-geln sind, stehen hinter diesen Regeln gesell-schaftliche Verabredungen. Und für die Orga-nisation dieser Verabredungen haben wir diePolitik.

Multimedia, Markt und Politik

Der Markt wird es zwar auch mit der Mul-timediawelt unzweifelhaft richten, aber wohlnicht beizeiten. Derzeit bauen wir einenMarktplatz nach dem anderen - genauer ge-sagt, wir nehmen uns vor, solche Marktplätzezu bauen - und wundern uns, dass der Marktsich nicht so entwickelt, wie wir uns das vor-gestellt haben. Weder der Gütermarkt, nochder Markt für Dienstleistungen und schon garnicht der Arbeitsmarkt. Grund hierfür ist einweiteres Missverständnis, nämlich die Ver-wechslung von Marktfreiheit und gesell-schaftlicher Verbesserung. Markt-Freiheit zuschaffen, ist gewiss eine gesellschaftlicheVerbesserung, aber das war es dann auch.Wenn sich eine Gesellschaft nämlich eineVerbesserung vornimmt, dann bringt sie da-mit zum Ausdruck, dass sie sich vom Marktnicht gut bedient fühlt. Deswegen subventio-nieren Gesellschaften Theater und Oper, weilder Markt für kulturelle Belange kein Senso-rium hat. Deswegen unterstützen wir auch ö-kologische Neuerungen, weil eben der Markt

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durch keinem Treibhauseffekt unterliegt. Wieman darauf kommen kann, dass einen derMarkt in überschaubarer Zeit zu der ge-wünschten Informationsgesellschaft bringt, istein Rätsel der politischen Ideenlehre.

Man kann auf der Plattform des Marktesdie Regeln eng oder weit auslegen, ohne Re-geln geht es nicht, oder wie Milton Friedman- ein eher marktradikaler Ökonom - es nennt:„Rules of the game“. Aber es ist ebenfalls ausder Erfahrung klar, dass derjenige, der denMarktplatz baut bzw. finanziert, über die Re-geln deutlicher mitbestimmt, als einer, derspäter nur einmal einen Tisch mit seinen Wa-ren aufstellen will. In Nordrhein-Westfalenwird - das habe ich als Kind gesehen und ge-lernt - Kohle abgebaut und Stahl erzeugt. Die-ser Markt ist zusammengebrochen. Wennheute in historischen Industriegebäuden inGelsenkirchen Multimedia produziert wird,dann ist das nicht Folge des Marktmechanis-mus, sondern Folge des gewollten normativenEingriffs in das System von Angebot undNachfrage. Solche Eingriffe darf man nur inNordrhein-Westfalen und in Bayern „Indus t-riepolitik“ oder „Innovationspolitik“ nennen,in den anderen Bundesländern heißen sie„Strukturverbesserungen“ oder „Aufbau Ost“.Geschaffen werden nicht Märkte, sondernMarktplätze. Und deswegen gilt: „Der“Marktplatz Multimedia kommt nicht von al-lein, aber „ein“ Marktplatz Multimedia ganzsicher. Über „den“ Marktplatz Multimediakönnen die einzelnen Standorte mitbestim-men, „ein“ Marktplatz Multimedia kommt e-ben auf sie zu.

Es ist Temperamentssache, ob man lieberabwartet oder ob man mitgestaltet. Je heftigerder Mitgestaltungswunsch ist, desto heftigerwird trivialerweise der Eingriff sein müssen.Und jeder Eingriff in den Markt ist a prioribegründungspflichtig. Wenn man Chirurgenum eine Begründung bittet, die in so etwaskompliziertes wie einen Organismus eingrei-

fen, um wie viel mehr gilt das für ein kom-plexes Gebilde wie den Markt. Also mussman die heftigen Wünsche auch heftig be-gründen. Die Multimediawelt ersehnt ja nie-mand wegen Lara Croft oder wegen weitererhundert Fernsehprogramme, sondern wegendrängender Probleme auf dem Arbeitsmarkt,im Verkehrssektor oder bei der Schaffung ei-ner bürgernahen wie effizienten Verwaltung.Wenn alle technische Neuerung der Multime-diawelt denn nicht automatisch und beizeitenzu den gewollten wirtschaftlichen und sozia-len Strukturveränderungen unserer Gesell-schaft des 21. Jahrhunderts führt, und wenndas freie Spiel der Kräfte auf dem globali-sierten Markt zu lange dauert, dann schlägtwieder einmal die Stunde der Innovationspo-litik.

Szenarien für den Marktplatz Multimedia

Innovationspolitik für eine Informationsge-sellschaft ist eine Querschnittspolitik, die sichinsgesamt nicht in einem einzigen Ressortbündeln lässt. Mehr noch: Diese Politik ist ei-ne Aufgabe nicht allein für die Politiker, son-dern für weitere wichtige Akteure in der ge-sellschaftlichen Diskussion. Die Wirtschaft s-unternehmen und Tarifpartner, die Verbändeund Initiativen, der gesamte Verwaltungsap-parat auf der Ebene von Bund, Ländern undGemeinden, aber auch die forschende wie dieexplizierende Wissenschaft sind gleicherma-ßen gefordert. Kein Zweifel ist möglich, dasseine Innovationspolitik ohne die direkten Be-züge zur europäischen Ebene sowie zu denglobal agierenden Institutionen - etwa WTO -ein Unding wäre. Nehmen wir noch den bun-ten Kranz der Medien hinzu, dann wird vo l-lends klar, dass es sich um ein umfassendesBündel von Akteuren mit ganz unterschiedli-chen Interessen, Terminplänen und Kompe-tenzen handelt. Völlig klar muss dabei jedem

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Diskutanten auch sein, dass es derzeit keineeinzelne Institution oder gar einzelne Indivi-duen geben kann, die das komplette Bündel„Innovationspolitik“ im Sinne einer Koordi-nation zu schultern vermögen1.

Die Aufgabe der einzelnen Akteure undInstitutionen für ein bewusstes Beschreitendes Wegs zur Informationsgesellschaft ist ei-ne andere. Ohne Zweifel können einzelneAkteure für Anstöße sorgen, sei es, indem sieZiele und Maßnahmen zur Diskussion stellen,aber auch dadurch, dass sie die Aktiven er-muntern, die Schläfrigen wachrütteln oderauch den Verzagten Hoffnung machen. AlsVorbild gilt hier der amerikanische Vizeprä-sident Al Gore, auch wenn diejenigen, diesich am meisten auf ihn berufen (oder sogarnach einem „deutschen Al Gore“ verlangen),ihn am wenigsten - insbesondere in den Öko-logieteilen - gelesen zu haben scheinen. Ohneaktive Moderation durch solche Politikerscheint es für viele wichtige Akteure nichtmöglich zu sein, den Marsch Richtung Infor-mationsgesellschaft mit erkennbarem Gelän-degewinn zu unternehmen.

In Deutschland sind seit Mitte der neunzi-ger Jahre mehrere wichtige Handlungsstränge- zum Teil mit erheblichem Mitteleinsatz -entwickelt worden. Insbesondere wegen desDrucks der wirtschaftlichen Entwicklung aufdem Arbeitsmarkt wurden verschiedene Akti-onsprogramme der EU-Kommission mit demWortführer Martin Bangemann (1994) zumAnlass genommen, Innovationsoffensivenauszurufen und den Strukturwandel aktiv zubetreiben. Die Bangemann-Initiativen sind si-cherlich als eine hilfreiche aktive Moderationanzusehen, die - liest man die ihr zugrunde-liegenden Papiere nach - auch hinsichtlich derLeitbilder und der Ziele nichts zu wünschenübrig ließen. Wie nicht anders zu erwarten,

1 Selbst Dr. Uwe Thomas hat es nicht geschafft, mehrals zwei Drittel der deutschen Innovationspolitik aufdem Gebiet IuK zu bestimmen.

gelang es Martin Bangemann nicht, eine vonihm im Überschwang des Optimismus ver-kündete „Chance auf Millionen zusätzlicherArbeitsplätze“ in der öffentlichen Diskussionwieder zurückzurufen, zu viele Hoffnungenauf eine „sprungartige“ Verbesserung dieseszentralen Problems der Industrieländer warengeweckt worden. Enttäuschung bremste denSchwung des europäischen Anstoßes rechtrasch.

Die weltweit erste Enquête-Kommission„Multimedia“ in Baden-Württemberg hat sich1995 umfassend mit den möglichen makro-ökonomischen Wirkungen der Multimedia-technik befasst und kam zu mehreren wicht i-gen Feststellungen und Empfehlungen. Sowurde in den Befragungen der Experten deut-lich, dass Arbeitsplatzgewinne vor allem beiden Anwendern liegen könnten und dass dieImplementierung der Multimediatechnik imSinne einer Infrastruktur vor allem auf eineBewahrung und Sicherung von Arbeitsplätzenam Standort hinauslaufen wird. Baden-Württemberg legte in der Folge ein insgesamtüber 500 Millionen DM schweres Förderpro-gramm auf. Es gelang allerdings nicht, diesesProgramm empfehlungsgemäß in einer Hand -etwa bei der Medien- und Filmgesellschaft -zu koordinieren. Auch der Versuch, eine Ko-ordination über ein eingerichtetes „ForumMultimedia-Anwendungen“ unter Beteiligungder gesellschaftlichen Gruppen zu erreichen,wurde von vorne herein zeitlich begrenzt. Erendete im Februar 1999 mit einer schönenAbschlussveranstaltung, die man inhaltlich i-dentisch auch schon drei Jahre vorher gehabthaben könnte.

Ohne eine derartige Einbeziehung desParlaments wie in Baden-Württemberg setz-ten Nordrhein-Westfalen und Bayern ver-gleichbar große Programme auf, die ohneZweifel eine Standortverstärkung bewirkten,ohne aber einen Selbstläufermechanismus zuzünden. Wenn selbst in den großen und rei-

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chen Flächenländern wünschenswerte wirt-schaftliche Entwicklungen in Richtung In-formationsgesellschaft nahezu ausschließlichvon öffentlicher Förderung und Subvention,sowie von dem nimmermüden Einsatz derMinisterpräsidenten Clement und Stoiber ab-hängen, muss man die entsprechenden Aktio-nen kleinerer Bundesländer realistischerweisezurückhaltend bewerten. Auch für Innovati-onspolitik gilt das Erfordernis der hinreichen-den Skalengröße.

Die Enquête-Kommission des DeutschenBundestages unter Leitung von Siegmar Mos-dorf setzte deswegen 1997 auf Bundesebeneeinen erneuten Vorstoß an, eine umfassendeInnovationspolitik aus der Mitte des Parla-ments heraus anzustoßen, um die Exekutivewie die Akteure der Wirtschaft hinter derFahne der Innovationspolitik auf den Weg indie Informationsgesellschaft zu schicken. DieExekutive hatte sich mittlerweile unter denMinistern Rüttgers (BMBF) und eine (BMWi)Forums-Organisation unter der Bezeichnung„INFO2000“ zur Aufgabe gemacht. DieseZiel- und Verfahrensdiskussion wurde (wie inBaden-Württemberg) zeitlich begrenzt undstützte sich vor allem auf die Annahme, dassdie Verbände in Wirtschaft und Gesellschaftprofessionelle Kompetenz sowie ein GutteilLegitimation ihrer Mitglieder würden ein-bringen können. Trotz großen Einsatzes derbeiden Bundesminister gelang dies nicht. DenAbschlußberichten von INFO2000 vom Sep-tember 1998 kann man deswegen nur pau-schal bescheinigen, dass jeder dort aufge-schriebene Satz wahrscheinlich richtig ist.Immerhin gelang es Rüttgers und Rexrodt,den seit den siebziger Jahren verfolgbarentraditionellen Dissens zwischen dem innova-tionsbetonten BMBF und dem marktbetontenBMWi beizulegen, allerdings unter dem Op-fer der Detailtreue bei den möglichen Umset-zungen. Ähnliches gilt für den Abschlußbe-richt der Enquête-Kommission, wo der - vom

Vorsitzenden eindeutig gewollte - überpartei-liche Konsens wohl auch wegen des Wahl-kampfs nicht zustande kam. Die verschiede-nen Minderheitsvoten der Enquête sind beigenauer Betrachtung weniger vom inhaltli-chen Dissens geprägt, sondern eher Ausdrucknichtvorhandener Abstimmungsprozesse ei-nes riesigen Arbeitspensums unter hohemZeitdruck.

In dieser Situation im Sommer 1998 moti-vierte Mosdorf den von ihm bei der Friedrich-Ebert-Stiftung parallel zur Enquête-Kommis-sion eingerichteten Beirat, ein gemeinsamesPolicy-Paper zu unterstützen. Der Beirat mitseiner durchaus unsystematischen, aber in derZusammensetzung glücklichen Besetzung vonAbgeordneten, Ministerialbeamten, Vertreternvon Wirtschafts-Verbänden, Wissenschaft-lern, Unternehmen, Gewerkschaftern, Stiftun-gen und Vertretern der Länder wie der Me-dien bekam in einer Briefaktion Mosdorfsauch noch die Unterstützung zahlreicher Rep-räsentanten des öffentlichen Lebens. Nach ei-ner intensiven Durchsprache, wenngleich oh-ne formale Abstimmung, präsentierte Mos-dorf sein Papier unter dem Titel „Bausteinefür einen Masterplan Informationsgesell-schaft“ im August 1998. Dieser Ergebnisbe-richt der Beratungen sollte - so wird bereitsim Vorwort deutlich - „von einer neuen Bun-desregierung schnellstens angegangen wer-den. Ein „Masterplan“ ist nicht die alte zent-ralistische, allein staatliche „Planung“. Reinbürokratische Planungen tragen den Keim desMisserfolgs untrennbar in sich. In einem sol-chen Masterplan sollen vielmehr die Kräfteeiner sozialen Marktwirtschaft und einer plu-ralistischen Gesellschaft in einem geeintenEuropa und einer globalisierten Weltwirt-schaft für eine schöpferische und professio-nelle Umsetzung freigesetzt werden. Ohne ei-nen solchen Masterplan bliebe die Politik ei-ner Bundesregierung an der Schwelle zum 21.Jahrhundert eine Getriebene“.

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Das Policy-Paper stellt fest, dass die not-wendigen Arbeiten nicht nur auf der politisch-entscheiderischen Seite angegangen werdenkönnten, sie müssten auch fundiert sein in ei-ner allseits anerkannten Aktivität auf Arbeits-ebene, die deswegen von den Akteuren auchgetragen (das heißt finanziert wie legitimiert)werden muss. Eine hinreichend große Zen-tralinstitution, die einmal selbst genügend Ar-beitskapazitäten aufweise und die zum ande-ren auch als Projektträger für das großeNetzwerk der Akteure fungiere, könne Pro-jekte sowohl von den verschiedenen Ministe-rien, von Bund und Ländern sowie von Wirt-schaft und Gesellschaft zunächst wenigstensauf Arbeitsebene bzw. in der Entscheidungs-vorbereitung koordinieren. Mit solchen kon-kreten Handlungsvorschlägen hatte das Papierdie Chance, mehr zu werden als eine neue„Schrankware“.

Es kam nicht nur eine neue Bundesregie-rung, sondern auch eine neue Koalition. Indem Bemühen, die jahrzehntelangen Grenzenzwischen öffentlicher Forschungsförderungund marktorientierter Wirtschaftspolitik auf-zulösen, wurden die Multimediareferate desBMBF zum Wirtschaftsministerium hinzuge-nommen und dort mit den administrativenKräften von INFO 2000 zusammengelegt. DieAbteilungen für Medien und Film des Innen-ministeriums kamen in die Zuständigkeit desKanzleramts. Im Sinne der Überwindung vonorganisatorischen Zuständigkeitshürden wardies gewiss ein richtiger Schritt. Für dieQuerschnittspolitik rund um die Multimedia-welt gibt es aber - wie gesagt - keine primäreRessortzuständigkeit, und es kann sie auchnicht geben. Der neue Bundestag musste je-doch zum Beispiel auch entscheiden, welcherder Ausschüsse zum Beispiel für die Weiter-behandlung des Enquête-Berichts federfüh-rend zuständig werden sollte. Spiegelbildlichzur Exekutive mit dem neuen StaatsministerNaumann bildete die Legislative nunmehr ei-

nen Ausschuss für Kultur und Medien, der in-zwischen die Schlussberichte der Enquête-Kommission ohne eingehendere Ausspracheabschließend behandelt hat. Einige heutigeOppositionsabgeordnete bedauern ganz aus-drücklich, dass es nicht gelungen war, die En-quête-Ergebnisse auf ein breiteres parlamenta-risches Fundament zu stellen. Vor der denk-baren Einberufung einer neuen Enquête-Kommission, worüber verständlicherweisedie heutigen Oppositionsparteien nachdenken,soll allerdings noch geprüft werden, inwie-weit die Instrumente und die Organisation ei-nes solchen Faktenfeststellungs- und Mei-nungsbildungs-Prozesses nach den gemachtenErfahrungen optimiert werden können.

Festzuhalten bleibt, dass unser Parlamentim Falle der Informationsgesellschaft ein ge-treues Abbild der Bürgerschaft ist: Nur eineMinderheit weiß um die Bedeutung des Ge-bietes für Kultur, Politik, Wirtschaft und Ge-sellschaft hinreichend Bescheid. Doch dieseMinderheit läuft immer wieder Gefahr, mitder Betonung dieses Themas in die Schubladeder „Ein-Themen-Menschen“ gesteckt zuwerden, aus der ein Ausweg oft schwer zufinden ist. Wie alle Minderheiten müssenauch die Multimedianer im Parlament aufpas-sen, nicht für sektiererisch gehalten zu wer-den. Es ist bewundernswert, dass einige Ab-geordnete – allen voran Jörg Tauss - mit gro-ßem Einsatz am Thema Informationsge-sellschaft dranbleiben. Aber ohne ständigeund für den einzelnen Abgeordneten nach-vollziehbare und vor allem politisch umsetz-bare Information kann das Parlament von sei-nem „Königsrecht“ - das ist das Budgetrecht -nicht so rational Gebrauch machen, wie dieserforderlich ist. Denn auch in einer Informati-onsgesellschaft gibt es andere drängendeAufgaben, von der Technologie über die Bil-dung bis hin zum Sozialen. Für alle dieseAufgaben werden Mittel benötigt.

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Die Ministerien bemühen sich sichtlich,dem Problem der Querschnittspolitik für Mul-timedia eine gute interministerielle Koopera-tion entgegenzusetzen. Diese Kooperationfunktioniert zwischen Forschung und Wirt-schaft bereits gut, insbesondere auf Arbeits-ebene. Ressort-Besprechungen haben schonstattgefunden, und in den nächsten Wochenwird sich dem Vernehmen nach die Leitungs-ebene damit befassen. Es scheint hier bislangweder übermäßiges Zuständigkeitsgerangelnoch Eifersüchteleinen zu geben, aber es istnatürlich allen klar, dass unser traditionellesadministratives System - ganz besonders inZeiten anstehender Haushaltssicherungsgeset-ze - weniger die Querschnittspolitik, sondernvielmehr die Ressortpolitik unterstützt. Beider Schlacht um Budgets hören selbst Freund-schaften auf, dies zu leugnen wäre Romantikpur.

Das Forschungsministerium und das Wir t-schaftsministerium arbeiten - so Forschungs-ministerin Edelgard Bulmahn auf der CeBIT1999 - bereits an einem Masterplan Internet2005, der ein konzentriertes Wiederaufneh-men der Diskussionen des Spätsommers 1998bedeuten könnte. Allerdings können hier zu-nächst nur bi-ministerielle Vereinbarungengreifen, die Querschnittspolitik der Multime-diawelt hat aber einen Zuständigkeitszu-wachs, der höher ist als der Festplattenspei-cher-Zuwachs beim PC. Medienpolitik res-sortiert beim Kanzler und bei den Mini-sterpräsidenten, aber auch in Bundes- wieLandesbehörden. Die Multimediagesetze unddie Telekommunikations-Gesetze sind gera-dezu in dieser Zuständigkeit gespalten. Dasgesamte Multimediarecht wird jetzt konzent-riert im Wirtschaftsministerium bearbeitet, a-ber das Justizministerium hat ebenfalls guteJuristen. Und im Innenministerium sieht manzum Beispiel die anstehenden Krypto-Regelungen zwangsläufig anders als im Wirt-schaftsministerium. Die Telearbeit - ohne die

Tarifpartner nicht machbar - wird zwangsläu-fig den Arbeitsminister interessieren müssen.Man braucht nur wenig Phantasie und Wissenum die Entwicklung der Multimediawelt auf-zubringen, um klar zu erkennen, dass wahr-scheinlich in allen Ministerien starke Interes-sen an den Multimediaanwendungen beste-hen: In den Sektoren Gesundheit, Land-wirtschaft, Verteidigung, Bauwesen, Verkehr,aber auch Äußeres und nicht zuletzt Kulturliegen für die Ressorts offenkundig Gestal-tungschancen für das 21. Jahrhundert vor.

Kaum eine andere Zukunftstechnik stößtauf derart breites Interesse. Nicht in allenFällen werden sich die Ressorts auf die sichhier entwickelnden Märkte allein vertrauenkönnen: Wer bestimmte Anforderungen hat,der muss auch als starker Marktteilnehmerauftreten können. Also werden alle RessortsInteressen anmelden müssen, manche mit ei-genen Budgets, andere suchen vielleicht nurein Trittbrett. Innovationspolitik ist also - egalaus welchem Blickwinkel betrachtet - das be-schriebene Querschnittsthema mit einer ganz-heitlichen Anforderung.

Unser politisches System wiederum machtes erforderlich, dass die in die Funktionsspit-zen gewählten Politiker zum Zwecke der Le-gitimationsbeschaffung sich in ihrem jeweili-gen Ressort und in ihrer jeweiligen Zustän-digkeit präsentieren. An den wenigen zur Ver-fügung stehenden Sendeminuten der Nach-richtensendungen sollen auch schon Freund-schaften zerbrochen sein, dies zu leugnen, wä-re ebenfalls Romantik pur. Man darf nicht ü-bersehen, dass für gewählte Politiker der Wegzur Informationsgesellschaft an vielen Nach-barschaften vorbeiführt, die angenehm sind:Modernität, Zukunftsoffenheit, LebenslangesLernen, Bildung, Innovation, junge Unter-nehmen, High Tech Arbeitsplätze, neue Jobsgenerell und nicht zuletzt die Medien-Auf-merksamkeit sind nur einige der angenehmenWeggenossen. Die vielleicht nicht ganz so

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angenehmen Begleiter auf dem Weg, als dawären Datenschutz und Datensicherheit, me-dienpolitische Zuständigkeiten im Bund-Län-derverhältnis, die Modernisierungsverliererim Arbeitsmarkt oder auch nationa lsprach-liche Kulturprobleme lassen sich gedanklichund wohl auch organisatorisch sehr viel eherbestimmten Ressorts zuschieben.

Wenn es denn - wie in den USA mit AlGore - dennoch nur eine Persönlichkeit seinsollte, die gleichsam symbolhaft die Anstren-gungen für Innovation, das Abwägen vonChancen und Risiken des Weges zur Infor-mationsgesellschaft auf sich konzentriert,dann müsste dies aus heutiger Sicht auf dieeinzige Institution zeigen, der das Grundge-setz eine klar koordinierende (und nicht nurmoderierende bzw. explizierende) Kompetenz- nämlich die Richtlinienkompetenz - zue r-kennt, und das ist der Bundeskanzler.1 Es gibtalso in der Multimediawelt nicht nur dieVerlockung der modernen Medienöffentlich-keit, auf die kein Politiker ehrlicherweise ver-zichten kann, sondern auch eine ableitbareVerpflichtung zur Richtlinienbestimmung ge-rade in den notabene fluktuierenden Zustän-digkeitsmustern einer Querschnittspolitik.

Wenn gesagt wird, dass sich die Innovati-onsspirale in einem globalisierten Hersteller-markt immer schneller dreht, dann heißt diesfür wirtschaftlich denkende Menschen, dass„time to market“ immer wichtiger wird. Diesbedeutet eben nicht nur Zeitdruck für Pro-duktentwicklung und -herstellung, sondern inviel höherem Maße auch für die Anwendun-gen der Multimedia-Technik. Ob deutscheKrankenhäuser mithilfe amerikanischer Bet-reibergesellschaften effektiver werden oder obumgekehrt amerikanische Krankenhäuser eindeutsches Multimediaorganisationsmuster ü-bernehmen, hat weniger mit den Lieferantenvon Hard- und Software oder gar den Kabeln

1 Vgl. Gründung der Initiative D21 im Frühjahr 1999

oder Antennen zu tun, sondern sehr viel mehrmit der organisatorischen Integrationsleistungin einem auch auf dem Gebiet der Dienst-leistungen globalisierten Markt.

Wenn es stimmt, dass jede Spielart vonPolitik durch Setzen der Rahmenbedingungenin der Multimediawelt den Markt konstituiert,dann gilt das „time to market“ auch für diePolitik. Um es zugespitzt zu sagen: Wenn -wie geschehen - die Ministerpräsidenten fünfStunden über den Finanzausgleich in derARD diskutieren, aber nicht einmal sehen,dass in diesen Monaten zum Beispiel ein me-dienpolitischer Knoten vor der Umwandlungunserer Kabelfernsehnetze in umfassendeMultimedianetze entwirrt werden muss, dannproduzieren sie ungewollt einen Tempover-lust, der selbst durch die besten Landesinno-vationsprogramme nicht wieder aufgeholtwerden kann. Solche Mechanismen, die auchin unserem föderalen System zu raschen unddennoch grundgesetzkonformen Beschlüssenführen, haben wir noch nicht. Man muss des-wegen am Abend eines jeden Mediengipfelsvorsichtshalber erst einmal in Karlsruhe nach-sehen, ob dort im Bundesverfassungsgerichtdas Licht noch brennt. Damit ist auch nochdeutlich gesagt, wer seit Jahrzehnten inDeutschland - ich möchte behaupten: gezwun-genermaßen - die Eckpunkte der Medienpo-litik und damit auch das Verhalten der Markt-teilnehmer bestimmt. Wollen wir, so frageich, nach dem halben Dutzend „Fernseh-urteile“ seit 1961 in den nächsten zwanzigJahren ebenso viele „Multimedia-Urteile“ her-beiführen oder besinnt sich die Politik auf ihreAufgabe?

Ich möchte zum Schluss noch einmaldeutlich machen, worum es eigentlich geht.Lassen wir uns nicht blenden: Der WegDeutschlands in eine Informationsgesellschaftdes 21. Jahrhunderts führt schon in absehbarerZeit - also derzeit - durch eine bedrohlich lan-ge Talsohle. Den meisten in den letzten Jah-

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ren eingeleiteten Projekten, Aktionen undKonzeptionen fehlen für die Umsetzung inder Breite die beiden wichtigsten Ressourcen,nämlich Zeit und Geld, dicht gefolgt von ei-ner konzeptionellen Defizienz. Die gewünsch-ten positiven Effekte in den Feldern Arbeit,Bildung, Verkehr, Umwelt, Verwaltungsmo-dernisierung und Bürgerbeteiligung könntenim globalen Vergleich zu spät eintreten. Es istam Standort gewiss nicht arbeitsplatzför-dernd, wenn die Hersteller unter die Räder desWeltmarkts kommen, wenn die Betreiber imruinösen Wettbewerb keinen Investitions-spielraum mehr haben, wenn immer mehrqualifizierter Nachwuchs fehlt und wenn diedeutsche Contentindustrie ihr Wachstum nurnoch im anglophonen Bereich suchen muss.Hier ist Handlungsbedarf gegeben, der sichvor dem Hintergrund der zunächst als unab-

änderlich gegebenen knappen Ressourcenlagegleichermaßen dem öffentlichen wie dem pri-vaten Sektor stellt. Die wichtigste Folge desUmsetzungsdefizits ist, dass auf zu lange Zeithin weniger als zehn Prozent unserer Bevöl-kerung die Potentiale einer Informatisierungvon Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaftpositiv erfahren können - und selbst diese nurin sehr begrenztem Maße. Das, wovon alleExperten gewarnt haben und heute noch war-nen, ist strukturell bereits eingetreten: DieSpaltung in „information rich and informationpoor“.

Angesichts dieser geringen Breitenwirkungbeschreibt der Begriff „Informationsgesell-schaft“ lediglich weiterhin ein langfristigesZiel, aber gewiss nicht die Wirklichkeit desersten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts.

Einteilung des BK-Netzes in Netzebenen (entnommen: Jenisch, Markus; Rupp, Stephan; Schmoll, Siegfried: Studie zurModernisierung der Kabelnetze in Baden-Württemberg, Stuttgart 2001, S. 3, Kontakt: [email protected])

BK- Verteilstelle

TV- undHörfunk-Sender

TV- und Hörfunk-Studios

Rundfunk-satellit

Fernmelde -satellit

Richtfunk-strecken

Rundfunkempfangsstelle

Netzebene 1

Netzebene 2

Breitbandverteilnetzmit Hausübergabepunkten

benutzerseitigeBK- Verstärkerstelle

Private Hausverteilnetze(hausinternes Kabelnetz)

Netzebene 3

Netzebene 4

übergeordneteBK- Verstärkerstelle

Wohnungsverteilnetze Netzebene 5

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Visionen der BreitbandzukunftStuttgart, 12.10.2000

Die Vision der multimedialen Breitband-kommunikation im digitalisierten TV-Netzgehört eindeutig zu den Visionen, für derenUmsetzung noch viel Arbeit geleistet werdenmuss.. Dies wird einige überraschen, die auf-grund einer hohen Publikationsdichte zumThema Multimedia dachten, das Multimedia-netz sei ein Selbstläufer. In aktuellen Ze i-tungsmeldungen soll die volle breitbandigeMultimediazukunft – von heute an gerechnet– in 14 Monaten zum Regelangebot gehören.Die Zeitungsschwärmereien haben breitenRückhalt in einigen Bundesländern, die sichdaraus viele Vorteile versprechen, vomWachstum bei den Arbeitsplätzen bis hin zuneuen Steuereinnahmen, vor allem aber einenStandortvorteil gegenüber den anderen Bun-desländern.

In der Wertschöpfungskette ist nicht allenAkteuren der Wertschöpfungskette in hinrei-chendem Maße klar, unter welch hohem Zeit-druck die zu lösenden Aufgaben im globalenWettbewerb stehen. Denn die Technik ist beiden Global Players überall gleich reif, dasheißt, sie ist aus dem Laborstadium herausund im Einsatz. Lediglich der Breiteneinsatzmit seinen erwartbaren Konsequenzen wieMengen- und Größenvorteilen ist selbst inden USA noch nicht vollzogen.

Das deutsche Breitbandkabelnetz ist einNetz sui generis und findet deswegen welt-weite Beachtung. Denn nirgends sind aufgeographisch so engem Raum so viele an-schließbare Haushalte vorhanden. Man kannnach den neuesten Erkenntnissen davon aus-gehen, dass wir in Deutschland sogar rund 15-20 % mehr angeschlossene Teilnehmer habenals bisher statistisch bekannt war. Weil fürMultimediadienste – anders als für die reineFernsehverteilung – die „anschließbaren“Haushalte zählen und nicht nur die „ange-

schlossenen“, sieht man im Ausland die Grö-ßenordnung von 25 Millionen Haushalten mitfast doppelt so vielen Teilnehmern als wichti-ge Inputgröße für ehrgeizige Businesspläne.

Gerade Firmen im Mutterland des Födera-lismus – den USA – haben große Schwierig-keiten, diesen Markt gedanklich in neun,bestenfalls drei Segmente aufzuteilen. Diespeziellen Arrangements auf der Netzebene 4sind ohnedies einmalig auf der Welt. Wir ha-ben es bei der Auftaktveranstaltung des Ka-belforum 21 miterlebt: Das Erschrecken dar-über, dass Deutschland kein einig Kabellandsein wird, steht erst am Anfang. Wir haben a-ber diese Situation, weil zum einen die EUgrundsätzlich kleinstmögliche wirtschaftlicheEinheiten anstrebt und Größe nur dann duldenwill, wenn dabei nachhaltig kein Geld ver-dient wird. Zum anderen: Die Bundesländerbräuchten auf dem Mediengebiet die grundge-setzliche Föderalismusgarantie gar nicht, denndies genau ist das Gebiet, auf dem sie niemalsihre Autonomie preisgeben würden. Dennochdarf man die Hoffnung nicht aufgeben, dasssich auch ohne bundesfreundliches Verhaltenein gemeinsames innovationsfreundlichesVerhalten entwickelt.

Am Standort Deutschland hat sich inKenntnis dieser Randbedingungen die für ei-nen Erfolg erforderliche Wertschöpfungskettenicht fest auf das gemeinsame Ziel hin for-miert. Zunächst sucht jeder bei seinem Nach-barn das Trittbrett, und will gerne mitfahren,niemand will und kann jedoch die Lokomoti-ve sein. Folge davon ist risiko-scheues, aberwortreiches Abwarten. Die erforderliche vor-wettbewerbliche Koordinierung und Synchro-nisierung der Wertschöpfungskette ist dieChance des Kabelforum 21. Es stimmt schon:Nach der um Jahre verzögerten Klärung derNetzträgerschaft kann nunmehr aus dem „pas-

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siven“ Kabel-Verteilnetz ein universellesMultimedianetz als nachhaltige Verbesserungdes Standorts geschaffen werden.

Nicht zum ersten Mal hat Baden-Württemberg in einem Zeitfenster die Chanceauf eine Vorreiterrolle bei der Implementie-rung multimedialer Kommunikation. Alcatel-Forscher Dietrich Böttle wird heute Nach-mittag die Erfahrungen aus dem StuttgarterPilotprojekt vor fünf Jahren in Erinnerung ru-fen. Wohl gemerkt: Die Vorreiterrolle Baden-Württembergs kann noch nicht beschlossensein, weil sonst der Finanzminister davonwüsste. Aber Baden-Württemberg ist nichtnur das Land der Tüftler, sondern hat auch ei-ne Tradition des Anpackens. Baden-Württemberg wäre prädestiniert für diese Pio-niertat.

Die Vorreiterrolle Baden-Württembergskann kein Alleingang sein, weil sowohl Tech-nik- als auch Diensteplattformen den Größen-und Verbundvorteil brauchen, der länder- undlandesübergreifenden Charakter hat. Die Er-fahrung aus dem Pilotprojekt 1995 zeigt, dassauch die beste Technik ohne neue attraktiveInhalte keinen Erfolg haben kann. Klar ist be-reits: Es muss in einem neuen Anlauf gelin-gen, den notwendigen Anschub für den Con-tent zu finanzieren und nachhaltige Ge-schäftsmodelle zu schaffen.

Und hier beginnen ernste Schwierigkeitenschon bei der Erläuterung, was eigentlichContent ist. Das Durcheinander von Begriffenwie Programm, Content, Software, Inhalt,Service, Dienst und Dienstleistung selbst inder Fachöffentlichkeit ist fatal. Hinzu kommt,dass matrixartig die entsprechenden Variantenvon Abruf, Broadcast, interaktiv, intelligentetc. vorliegen.

Vielleicht hilft hier zur Klärung ein Blickauf zwei ganz unterschiedlichen Content-kategorien.• Bei der ersten wird der Content von Milli-

onen Benutzern kostenlos erzeugt, wie

Telefonate, Telefaxe, e-Mails und dieShort Messages. Hier sind ungebrocheneWachstumskurven von Netzeffektgüternfestzustellen.

• Die zweite muss für Millionen Benutzerkostenträchtig aufbereitet werden wieFilme, Fernsehnachrichten, Radioreporta-gen, Konzerte und auch Web-Portale oderWAP-Nachrichten. Hier herrschen andereGesetze: Der einzelne Content „Film“ istbepreisbar, der einzelne Content „Telefo-nat“ – abgesehen von den Leitungskosten- nicht.

Was heißt dies für die „Services“ der Mul-timediawelt? Auf der einen Seite wären diebreitbandigen Varianten „Picture-Phone“, Co-lour-Paint-Fax, e-Packets und Long Messa-ges. Die gibt es noch nicht, vor allem nichtdie dazu gehörigen Endgeräte. Die letzten dreihaben Sie alle soeben zum ersten Mal gehört.Wenn es also zunächst keinen breitbandigenContent gibt, den sich die Benutzer selbstschaffen, fällt eine wichtige Basis-Auslastungweg. Es muss also Content produziert, aufbe-reitet oder wenigstens als „Abholmarkt“ zwi-schengespeichert werden. Weil der Contentunzweifelhaft die zentrale Quelle der Wert-schöpfung ist, ist für die gesamte Wertschöp-fungskette ein Blick auf die Preise, die derEinzelne für den Content zu zahlen bereit ist,unabdingbar.

Auch hier aus Zeitgründen eine Zuspit-zung: Für das erste UMTS-Telefonat wirdkein Benutzer mehr zahlen wollen als für dasgewohnte Mobiltelefonat, ebenso wenig fürdas erste empfangene digitale Free-TV, dendigitalen Kabeltext oder die digitalisierteVerkehrsdurchsage. Niemand weiß heute, obdie Millionen Internetnutzer für ein ansonstenunverändertes, lediglich viel schnelleres In-ternet Mehrkosten in Kauf nehmen würden.

Aber ohne Zweifel kosten die Installation(auf Netz- und Benutzerseite) und auch vor

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allem die Aufbereitung des Content Geld.Auch wenn es jeden Visionär stören mag: DieFrage „wer bezahlt eigentlich wofür?“ ist inallen Phasen unvermeidbar.

Das universelle Multimedianetz wird imEndausbau fünf Hauptkomponenten der An-wendung mit den jeweiligen Contents haben:

1. Telefoniedienste im Ortsnetz,2. TV-Verteildienste (free/pay-TV) in digita-ler Technik,3. Schneller Internet-Zugriff mit höchster Ü-bertragungsrate,4. Breitbanddienste mit schmalbandigemRückkanal (asymmetrisch) und5. Breitbanddienste mit breitbandigem Rück-kanal (symmetrisch).

Für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung dergesamten Modernisierungs-Investition kön-nen diese fünf Komponenten technisch undökonomisch nur gemeinsam betrachtet wer-den, es ist ein System und ein Contentbündel.Läge die Entscheidung in der Hand eines ein-zelnen Akteurs, so würde dieser zweifellosein System beschaffen und im gesamtenDienstebündel quersubventionieren. Aberstatt eines Monopols sind jetzt mehrere Besit-zer und Betreiber zwingend vorgeschrieben,zwischen diesen wird eine Quersubventionie-rung weder angestrebt noch polizeilich er-laubt.

Derzeit liegen Business Modelle für diebeiden ersten Dienste, nämlich „Telefonie“und „TV-Digital-Verteilung, vor; sie ermögli-chen aus heutiger Sicht von Investoren denEinstieg in die gesamte Modernisierung sowieersten Payback für die Bezahlung der dreiweiteren Diensteplattformen sowie die Con-tent-Schaffung für die übrigen Dienste.

Die vorgelegten Business Modelle der In-vestoren für das Kabelnetz werden durch ak-tuelle regulatorische und medienpolitischeEntwicklungen belastet.

• Die Preise der Ortsnetztelefonie sind durchjüngste EU-Entscheidungen unter nochhöherem Druck; die EU will, dass imOrtsnetz nichts mehr verdient wird, insbe-sondere nicht von den ehemaligen Mono-polisten. Also wird es auch im „alternati-ven Ortsnetz Breitbandkabel“ keinenGeldregen geben können, zumal hier fürVoice-over-IP ja bekanntlich die Qualitätdes heutigen Telefons noch einmal kos-tenpflichtig entwickelt werden muss.

• die öffentlich-rechtlichen Rundfunkan-stalten fordern sogar gerichtlich anstelleder bisherigen Zahlungen an den bisheri-gen Netzbetreiber nunmehr Einnahmenfür das Einspeisen der Inhalte. Abgesehenvon der fatalen Tendenz, dass im Kon-sens-Deutschland auf dem Rundfunksek-tor alles ausschließlich auf dem höchs t-möglichen Gerichtsweg geklärt wird, istzu erwarten, dass die bislang im Vergleichsehr niedrigen Einspeisegebühren tenden-ziell nicht erhöht werden können.

Ob in der Folge dieser Änderungen die Bu-sinesspläne überhaupt noch haltbar sein wer-den, steht dahin. Optimistisch erwarte ich,dass die beiden ersten Teilplattformen reali-siert werden können, aber realistisch erwarteich keinen Überschuss für die technische undökonomische Entwicklung der drei übrigenPlattformen.

Es wird erforderlich sein, die Implementie-rung interaktiver Dienste kurzfristig anzu-schieben, damit die gesamte Modernisierungdes Kabelnetzes stabil refinanziert werdenkann. Die Ankündigung von Franz Arnold,einen Weg zu suchen, dass wenigstens dieSet-Top-Boxen für Digital-TV als „Infra-strukturvorlauf“ für den Rundfunkteilnehmerkostenneutral installiert werden, ist von derDeutschen Telekom jetzt ganz offiziell für dasKabelgebiet Berlin binnen dreier Jahre vorge-sehen, dem damit eine eindeutige Vorreiter-

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rolle zufällt. Eine standortweite Strategiemüsste allein dafür eine Investition von über 3Mrd. Euro schultern – eine Aufgabe, die wohlnur unter Berücksichtigung übergeordneterFragestellungen wie „Standortverbesserung“und damit aus öffentlichen Mitteln zu leistenwäre. Man kann von einem Investor aus denUSA viel verlangen, aber dass er unserenStandort auf seine Kosten verbessert, wärewohl deutlich zu viel verlangt.

Auch die Interessen der traditionellenContentprovider (Rundfunkanstalten, Verlageetc.) als Marktteilnehmer im Multimedianetzsind noch sehr eng auf die eigenen Be-langehin ausgerichtet. Die potentiellen Dienste-und Inhalteanbieter erkennen jetzt, dass ihr zuerwartender größter relativer Anteil an derWertschöpfung sie in eine sehr verantwortli-che Rolle drängt, weil man erst einen Markt-platz bauen muss, um darauf dauerhaft Ver-kaufstische mit Waren stellen zu können.Neue Marktteilnehmer, darunter auch kleinereUnternehmen sowie der öffentliche Inhalts--anbieterbereich (z.B. Electronic Government),beklagen anhaltende Planungsuns icherheiten.• Die Chancen der Kabelnetzdigitalisierung

insbesondere für die ansässigen kleinenund mittleren Zulieferfirmen sind nochnicht hinreichend erkannt. Auch dieBetreiber von Hausnetzen (Netzebene 4)sowie die Wohnbaugesellschaften könnenden Mehrwert ihrer Anlagen durch neueattraktive Dienste noch nicht abschätzen.

• Absehbare Entwicklungen wie die Einspei-sung von Satellitenprogrammen überKopfstellen in die Hausnetze führen nochzu Unsicherheiten und damit zu Zeitve r-lusten. Handel und Kommunen, Hausbe-sitzer und Benutzer sind unsicher, ob jetztnoch Parabolantennen installiert werdensollen oder ob das Kabel diese ersetzt.

• Ähnliche Unsicherheitspotentiale betreffendie noch zu lösenden Aufgaben in den

Netzebenen 4 und 5, wo teilweise nichtmultimediageeignete Qualitäten (75 Ohmabgeschirmt) installiert sind. Gerade inden Wohnungen („NE 5“) sind nochdiensteadäquate Platzierungen der Steck-dosen zu gestalten.

• Die Aufteilung des bundesweiten Kabel-netzes unter mehrere Besitzer kann imWettbewerb zu einer Situation führen, inder unterschiedliche Standards bei derTV-Signalübertragung oder bei den Set-Top-Boxen für alle Akteure den notwen-digen Mengen- und Verbundeffekt ge-fährden. Das Problem kann sicher mitMultistandardboxen geklärt werden, essollte aber noch einmal durchgerechnetwerden, ob die Wettbewerbsvielfalt dieMehrkosten lohnt.

• Dringend geklärt werden müssen auchFragen einer einheitlichen Kanalbelegungzumindest im regionalen Bereich, weildurch die Reservierung des unteren Fre-quenzspektrums für Rückkanäle sowiedurch frequenz-ökonomische Erfordernis-se ohnehin Neubelegungen erforderlichwerden. Hier ist auch und gerade denNutzerinteressen von Millionen Rund-funkteilnehmern Rechnung zu tragen.Wenn es den Programmanbietern nichtgelingt, sich auf „ihre“ spezifischen Posi-tionen zu einigen, ist eine Versteigerungbzw. eine Verlosung schon vorgezeichnet.Das Kabelforum 21 sollte Katalysator füreine einvernehmliche Lösung sein wollen.

• Auch auf wichtigen Anwenderebenen wirdPlanungssicherheit gefordert. Die Elektro-nisierung der Verwaltung und die Schaf-fung von Bürgernetzen, die in den nächs-ten Monaten in Bund und Ländern in An-griff genommen werden, stellt einenContent dar, der in der Privatwirtschaftseinesgleichen sucht und eine „Killerap-plikation“ auch für das Multimedianetzwerden kann. Entsprechendes gilt für die

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zweite Generation der Telearbeit, wie siebeispielsweise in der gewerkschaftsnahenAnwenderplattform Telearbeit mit Nach-druck unterstützt wird.

Staat und Politik müssen auch in einerWelt der privatisierten Netze weiterhin ihrerVerantwortung für die Schaffung informati-onsgesellschaftlicher Infrastrukturen gerechtwerden. Angesichts der Bedeutung einesMultimedianetzes für Innovation und Ar-beitsplätze sollen verstärkt öffentliche Zu-kunftsinvestitionen in Richtung Informations-gesellschaft eingesetzt werden. Die Akteureder Multimedia-Wertschöpfungskette könnendie notwendigen Vorleistungen, zum Beispielfür Dienste-F&E, nicht in der gebotenen kur-zen Zeit erbringen. Dem Staat und seinen A-genturen wie zum Beispiel der M.F.G. kom-

men spezifische zusätzliche Akteursrollen zu.Hier in Baden-Württemberg wäre es aus mei-ner Sicht mehr als wünschenswert, wenn derKonsens der Multimedia-Enquête-Kommis-sion von 1995, der alle Fraktionen des Land-tags und alle beteiligten gesellschaftlichenGruppen umfasste, als Beispiel dafür dienenkönnte, jetzt von Neuem wieder zu einem ge-bündelten Auftreten aller relevanten Akteurezu kommen.

Wenn Baden-Württemberg einen Vorteilhat, dann diesen: Baden-Württemberg ist un-strittig das Bundesland mit der größten Ges-taltungsexpertise für ein Multimedianetz, eineExpertise, die in Unternehmen, aber auch inHochschulen und Fraunhofer-Instituten sowiein vielen Akteursnetzwerken ihre Exzellenzbeweisen kann und will. Wenn man es lässt.

Architektur des BK 450 (entnommen: Jenisch, Markus; Rupp, Stephan; Schmoll, Siegfried: Studie zur Modernisierungder Kabelnetze in Baden-Württemberg, Stuttgart 2001, S. 5, Kontakt: [email protected])

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....

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HÜP

bBKVrSt

Tap

Netzebene 4

Netzebene 3

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üBKVrSt

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Netzebene 2

C-Verstärker

A-Verstärkerpunkt

B-Verstärkerpunkt

terrestrische Zuführung

Legend:

Hausverstärker

typ. 280 m< 5 km

< 20 km< 30 km

BKVtSt

autarke üBKVrSt

NE 5

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Die Modernisierung des KabelnetzesStuttgart, 30. November 2000

Vor fünf Jahren wurde das große Pilotpro-jekt für „Video on Demand“ in Baden-Würt-temberg kurz vor der technischen Inbetrieb-nahme dieses HFC-Systems zur Digitalisie-rung und Interaktivierung des TV-Kabel-netzes abgebrochen. Um es gleich vorweg zusagen: Nicht wegen der Enquête-KommissionMultimedia. Die parallel zum Versuchsaufbaulaufende Enquête-Kommission hat weder zumScheitern noch zum Gelingen des Projekts ir-gend etwas beitragen können, genau so wenigübrigens wie die Begleitforschung. Es hat fürdas jähe Projektende überhaupt keinen einzel-nen Schuldigen gegeben. Die gesamte Ak-teurskette hatte sich lediglich ein viel zu gro-ßes Ziel vorgenommen – und dies auch nochzu spät. Einige Markierungspunkte aus dieserErfahrung können jedoch heute hilfreich sein.

Die Forscher im Bereich der Breitband-technik hatten Anfang der neunziger Jahre ih-re Hausaufgaben gemacht. Die ganz wesentli-che Leistung der angewandten Forschungwar, der Tatsache Rechnung getragen zu ha-ben, dass auf Beschluss des damaligen Post-ministers seit 1982 ein reines TV-Verteilnetzin Kupferkoaxialtechnik und nicht ein Breit-bandkommunikationsnetz in optischer Tech-nik gebaut worden war. Die Technik stelltenunmehr mit der Mischung aus Glasfaserher-anführung und der Kupferkabelverteilung ei-nen Kompromiss vor, der sich welt-weitschnell sogar als beste Lösung entpuppte, alsonicht etwa eine halbe Sache war. HFC-Netzesind aus Systemsicht effektiver und effizienterals reine Glasfasernetze bis zum Teilnehmer,auch wenn diese Tatsache noch heute viele ü-berrascht. Wäre die Telekommunikationsweltnoch so gewesen wie die Jahrzehnte zuvor,hätte unmittelbar die Entwicklung des Sys-tems und dessen Implementierung als techni-sche Infrastruktur einsetzen können, der erste

Abschnitt einer Datenautobahn wäre gebautworden.

Inzwischen hatte sich aber die Welt derTelekommunikation um 180 Grad gedreht.Nicht mehr der technikinduzierte Infrastruk-turbau nach dem althergebrachten Vorsorge-prinzip, sondern das konsumenten-getriebenemoderne Nachfrageprinzip hatte Platz gegrif-fen. Dies war Ziel und Folge eines Outsour-cing des ganzen Politikfeldes, das eine höhereInnovationsfähigkeit der Wirtschaft zum Zielhatte.

Das große Kollektivrisiko eines Infra-strukturbaus wurde durch die Postreformpoli-tik in viele kleine Risiken von möglichenMarktteilnehmern zerlegt, ohne dass bedachtwurde, dass ein in viele Teilrisiken zerlegtesRisiko arithmetisch nicht kleiner wird. Aberes sieht deutlich überschaubarer aus und ge-hört inzwischen zu den unverzichtbarenGrundsäulen einer „Logik des Misslingens“(Dietrich Dörner).

Die Forscher hatten erkannt, dass das Ma-ximum an infrastruktureller Vorleistung in ei-nem Pilotprojekt liegen könnte, das nur gera-de so groß angelegt sein musste, um die krit i-sche Schwelle zu überwinden. Denn allesunterhalb von kritischen Schwellen lohnt sichin der Telekommunikationswirtschaft nicht:Mikroelektronik und Software in Losgröße 1gibt es nicht, das lässt der Markt von denPreisen her nicht zu. Ausnahme sind Märktemit einem einzigen Auftraggeber, der für dasPayback der gesamten Entwicklungs- undProduktionskosten sorgt. Und den war diePolitik gerade im Begriff abzuschaffen.

Die Forscher waren also zu spät dran, nichtzu früh. Mit großer Überzeugungskraft über-gaben sie die Realisierung des Projekts an dieMischung von Innovationspolitik und Marke-ting. Mit je einem Drittel von erhofften 100

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Millionen Zuschuss sollten Technik, Netzbe-trieb und Content gleichermaßen einenStartimpuls erhalten. Bei der strategischenProjektplanung unterliefen einige grundsätzli-che Fehler. Zwar standen klassische Content-lieferanten von TV-Programmen - wie zumBeispiel die Rundfunkanstalten oder dieKirchgruppe - bereit, aber es existierte prak-tisch überhaupt kein Contentlieferant für in-teraktiven Content.

Weit und breit der einzige war ein Kauf-haus, das sich ein Konzept für das Teleshop-ping von Sportschuhen erarbeitet hatte. Die-ses Konzept erforderte jedoch eine minimaleTeilnehmerzahl des Pilotprojekts von 4000Haushalten. Um nun wiederum diese 4000Haushalte zu gewinnen, waren im Projektweder Kapazitäten noch Geldmittel vorhan-den. Denn aus dem ursprünglichen erstrebtenZuschuss von 100 Millionen war durch EU-Zurückhaltung (weil es denn kein „For-schungsprojekt“ mehr war) über ein Drittelweggefa llen.

Ein nicht zu unterschätzender Fehler warauch, dass die Projektakteure nicht deutlichgenug gemacht hatten, dass „Video on De-mand“ nicht zwingend nur ein „Movie onDemand“ sein muss, sondern eben jede Artvon interaktivem breitbandigen Datenstream.Die Akzeptanz des vermeintlichen Fernseh-vermehrungsangebots hielt sich denn auch inGrenzen, und damit fiel das Pilotprojekt justan dem Tag, an dem der Prototyp eines MediaStream Server erstmals rund lief.

So weit die lehrreiche Vergangenheit derModernisierung des Kabelnetzes in Deutsch-land und speziell in Baden-Württemberg. Ichpersönlich bin der Meinung, dass die Gegen-wart und die nahe Zukunft der Kabelmoderni-sierung noch viel lehrreicher sein wird, aberdies braucht die Politik nicht mehr zu interes-sieren. Anders als etwa beim Verkehr oder derGesundheit ist es der Politik durch Libera-lisierung und Privatisierung auf dem Gebiet

der Informationstechnik nachweislich gelun-gen, sich aus jeglicher Infrastrukturverant-wortung zurück zu ziehen.

• Vor 20 Jahren noch kostete eine Erhö-hung der Telefongebühren den ParteienWählerstimmen, heute bringt eine Absen-kung des Preisniveaus keine einzigeStimme mehr.

• Eine Erhöhung von Kabelgebühren fürdas Fernsehen führt nicht mehr zu an diePolitik gerichtete Proteste, sondern zu ei-nem Wechsel des Providers, falls mankeinen Zwei-Jahres-Vertrag abgeschlos-sen hat.

• Die Telekommunikationspolitik ist outge-sourct, sie ist privatisiert und im gutenSinne säkularisiert. Und Deutschland hathier unstrittig die Vorreiterposition inne.

• Der IT-Markt in Deutschland – 10 Pro-zent des Weltmarkts - gehören der Welt,kein globaler Anbieter braucht zu fürch-ten, dass die IT-Wirtschaft etwas so Un-aussprechliches wie „Reziprozität“ fo r-dert.

• Eine Nachwehe ist noch zu spüren, die a-ber hoffentlich abebben wird. Wenn sogardie Bürger und Aktionäre allmählich be-greifen, dass die Telekom ein ganz nor-males Wirtschafts-Unternehmen ist, kön-nen dies die Politiker endlich auch nach-vollziehen und die Telekom präventiv-regulatorisch in Ruhe lassen wie andereUnternehmen auch.

Die Art von Politik, wie sie noch zu Zeitender Multimedia-Enquête-Kommission überalle Fraktionen und über die Riege der exter-nen Fachleute hinweg herrschte, hat ihreSchuldigkeit getan.

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• In Baden-Württemberg hat sie es immer-hin noch vermocht, mit der Medien- undFilmgesellschaft eine Agentur einzurich-ten, die den Medienstandort Stuttgart mitharten Subventionspflöcken gegen dieständige Erosion absichert. Nur dann undwann wandert noch eine Werbeagentur o-der ein Verlag nach Düsseldorf, Berlin o-der München ab, der sich lediglich vonder in diesen Bundesländern praktiziertenStrukturpolitik blenden lässt.

• Die Politik hat auch mit dem von der En-quête-Kommission geforderten Innovati-onsforum Multimedia-Anwendungen einüberzeugendes Beispiel für die nunmehrvorherrschende Innovationsfolklore gelie-fert. Ich habe in den letzten Tagen rundein Dutzend führender Teilnehmer ge-fragt, worum es in diesem Forum gegan-gen ist – keiner vermochte es zu sagen, a-ber alle hatten eine angenehme Erinne-rung daran. Ich habe eher dieunangenehme Erinnerung an meinen Ar-beitskreis mit Peter Zoche und GünterMüller, in dem wir eine so weltfremdeund – wie die letzte Zeit gezeigt hat: un-nötige - Forderung wie „Sofortige Erhö-hung der Sicherheit und Zuverlässigkeitvon Datennetzen“ folgenlos propagierthaben.

Die ansässige Wirtschaft hat diesen Rück-zug der Politik endlich begriffen und mussnun, was genau so schwierig sein wird, wie-derum der Politik vermitteln, dass sie diesbegriffen hat. Die konstruktive Zusammenar-beit von Politik und Wirtschaft auf dem Ge-biet der Informationstechnik muss sich neuausrichten. Nicht mehr die Moderation vongemeinsamer Infrastruktur-Gestaltung stehtim Vordergrund, sondern das gemeinsameAnpassen von geeigneten Rahmenbedingun-gen.

• In der alten Telekommunikationswelt –ich erinnere an die Monrepos-Runden An-fang der achtziger Jahre – konnte mannoch gemeinsam innovationsverträglicheGesetze und gemeinsame Businessmo-delle gestalten.

• In der neuen Telekommunikationsweltgilt es zum Beispiel, die hiesigen Regulie-rungsmechanismen gemeinsam an die Bu-sinessmodelle amerikanischer Netzbetrei-ber anzupassen. Dies dürfte deswegenkein unüberwindliches Problem sein, weiles ja für den Fall des Misserfolgs auf Sei-ten der Politik nur den Ausfall einesstimmungsmäßig gewünschten Aufwuch-ses als Konsequenz gäbe, die Politik also -wegen nicht gegebener eigener Verant-wortlichkeiten - kein Geld ausgeben muss.

Es ist bei der Modernisierung des Kabel-netzes, das in Baden-Württemberg im Januar2001 beginnen soll, kein Druck auf die Politikzu erwarten, auch kein Erwartungsdruck. Diemittelständischen Netzebene-4-Betreiber, dieöffentlich-rechtlichen sowie die privatenRundfunkanstalten werden sich gegebenen-falls an die Gerichte wenden, die künftig imWettbewerb stehenden Ortsnetzbetreiber andie Regulierungsbehörde und die ansässigen

„Die konstruktive Zusammenarbeitvon Politik und Wirtschaft auf dem

Gebiet der Informationstechnik musssich neu ausrichten. Nicht mehr die

Moderation von gemeinsamerInfrastruktur-Gestaltung steht im

Vordergrund, sondern das gemein-same Anpassen von geeigneten Rah-

menbedingungen.“

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Hersteller und Betreiber eben an den Welt-markt.

Die Politik der Liberalisierung und Globa-lisierung hat vielfach den Leitspruch „no bu-siness is local“ verinnerlicht, so dass sie we-der lokal noch regional, wahrscheinlich nichteinmal mehr national einen Zusammenhangvon den entsprechenden Märkten und den Ar-beitsplätzen beachten muss und wird. Denn essteht keine Wählerstimme auf dem Spiel.

Umgekehrt wird aber auch die Politik –abgesehen von der erwähnten Innovations-folklore – von den Neuerungen im Kabelnetzwenig Aufwuchs verspüren. Denn es wird zu-nächst nur drei Dinge geben, die schon so alt-bekannt sind, dass sie den neuen Fachaus-druck „triple play“ verliehen bekommen ha-ben.• Dies ist zum ersten eine angestrebte wei-

tere Verbilligung des Telefonierens auchim Ortsnetz. Dabei werden neue innovati-ve Techniken wie „Voice-over-IP“ einge-setzt, aber das eigentliche Telefonat – alsodie Konversation von Mensch zu Mensch– bleibt dasselbe.

• Sodann wird es den schnellen Internet-zugriff bis zum nächsten Netzknoten ge-ben, danach bleibt das gute alte Internetmit all seinen kreativitätsförderndenWartezeiten erhalten, weil die Netzarchi-tektur – insbesondere bei den weltweitaufgestellten Servern – eine durchgehendeSchnelligkeit im Megabitbereich schlicht-weg nicht zulässt, sondern eben im zwei-stelligen Kilobitbereich bleiben wird.

• Drittens bringt das „triple play“ eine neueMischung altbekannter TV-Kanäle, diesaber in bestechender digitaler Qualität. Esist nicht damit zu rechnen, dass ganz neueKanäle auftauchen, weil für denkbareSpartenkanäle wie „Lastwagenwerfen“ o-der „Landtag-Live“ alles bereit steht außereinem Publikum, womöglich gar einemzahlungsbereiten.

Wie vor fünf Jahren – und an dieser Stellesei mir wenigstens einmal die Interjektion„déjà vu!“ gestattet – zeigt sich im Markt weitund breit noch niemand, der die vielgerühm-ten interaktiven Breitbanddienste entwickelnwürde. Dies hat mehrere Gründe.

• Zum einen gibt es in der recht ingenieur-orientierten IT-Branche traditionell keineexplizite Diensteentwicklung. Vielmehrwerden auf Seiten der Hersteller so ge-nannte technische Plattformen entwickelt,auf denen die Betreiber im trial-and-error-Verfahren oft recht hemdsärmelig neueMehrwertdienste implementieren. So gibtes keine Stelle, die etwa einen Videokon-ferenz-Dienst oder den Videofondienstsystematisch entwickeln würde, zumal esdafür keinen Auftraggeber gibt.

• Zum anderen sind relevante IT-Betreiberin Deutschland durch die Verhängung ei-ner UMTS-Sondersteuer über den Lizenz-erwerb hinaus nicht mehr in der Lage, fi-nanzielle Spielräume für Innovationen zugenerieren. Die Finanzmärkte in der In-formationstechnik sind ausgereizt, nach-dem sich auch Teile der neuen Interne t-ökonomie als powerpoint- und excelge-stützte Geldvernichtungsmaschinerienentpuppt haben. Die Not der Betreiber,nur noch das preisgünstigste, nicht aberdas innovativste Angebot zu suchen, trifftauch die Hersteller, die jetzt sagen: Ja,liebe Politik, wir nehmen die kollektiveHundertmilliarden-Strafe an. Aber wasgenau haben wir eigentlich verbrochen?

• Die neuen Besitzer des Kabelnetzes kön-nen schon den Kaufpreis für die Kabel-netze (etwa 20 % des Neupreises) nichtselbst bar auf den Tisch legen, sondernwerden ihn über viele Jahre auf den Ka-pitalmärkten abstottern müssen. Sie sinddringend auf Rückflüsse des „triple play“angewiesen. Für Investitionen in neue

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Breitbanddienste ist kein Spielraum vor-handen.

Denkbare interaktive Massendienste fürdas Multimedianetz kommen vom Markt al-leine nicht ins Laufen. Weil zum Beispielnicht zu erwarten ist, dass sich Bürger zu-sammenrotten und lautstark eine elektroni-sche Verwaltung fordern, haben andere Län-der wie Frankreich und Japan jetzt Milliardenfür die Entwicklung eines Electronic Go-vernment eingesetzt. Wir in Deutschland ver-trauen darauf, dass nach der ersten Phase derBereitstellung aller Bürgermeisterfotos imNetz nunmehr die zweite Phase, die Bereit-stellung aller Behördenadressen und Behör-denformulare im Internet zu einem ebensobegeisternden wie kostengünstigen Erfolgwird. Hierbei stehen 14.000 Kommunen, 16Bundesländer plus Mallorca, mehrere Bun-desministerien und sämtliche Bundesbehör-den untereinander in einem äußerst kreativenWettbewerb: Vereinheitlichte Formulare pas-sen nicht zu unserer Verwaltungskultur des21. Jahrhunderts, denn schließlich soll auchdas Auge des Bürgers durch bunte HTML-Vielfalt erfreut werden.

Der Politik bleibt aber neben der für dieStimmung so wichtigen Innovationsfolklore –aktuelles Beispiel ist der Leitantrag zur In-formationsgesellschaft auf dem derzeit lau-fenden virtuellen Parteitag der Grünen, derauch von allen anderen Parteien unterschrie-ben werden könnte - doch noch eine wichtige

Aufgabe. In der Medienpolitik versuchen dieStaatskanzleien und ihre Medienanstalten diealthergebrachten Ordnungs-Prinzipien in rundhalbjährlichem Abstand an die fast wöchent-lich neu hereinbrechenden technischen Mög-lichkeiten anzupassen. Es ist eine schöne Fol-ge dieses Kampfes auf verlorenem Posten,dass nach Jahrzehnten der ideologischenSpaltung eine absolute Einigkeit über alleParteien hinweg entstanden ist, ein Vorgang,der nicht einfach als „Konvergenz der Be-langlosigkeit“ abgetan werden sollte.

Der Gesellschaft, die sich vor zehn Jahrennoch so etwas wie einen „offenen Diskurs“ ü-ber die Informationsgesellschaft vorgenom-men hat, bleiben viele Möglichkeiten derTeilhabe in Arbeitskreisen, Foren und Ge-sprächszirkeln. Pro Großfusion im globalenIT-Markt entstehen in Deutschland im Schnittetwa drei neue Gesprächskreise. Diese sinddank der unermüdlichen Ehrenamtlichen ehervon offensivem Lächeln als von resignativemSchulterzucken geprägt. Es bietet sich denkreativsten Köpfen auch eine ungeahnte Füllevon Chancen, tief schürfende Einsichten ge-druckt in den Schrank oder digital als „pdf“ins Netz zu stellen, was in etwa auf dasselbehinaus läuft.

Dies alles bleibt der Politik und der Gesell-schaft immerhin als tägliches Bemühen undsteter Lohn auf dem Weg in die Informations-gesellschaft. Und dann und wann eine weiseEnquête-Kommission.

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Holzwege zur InformationsgesellschaftMünchen, 9. Juli 2001

Die Informations- und Telekommunikati-onsbranche steckt weltweit in einigen Miss-lichkeiten, die man nicht allein mit dem ame-rikanischen Konjunkturknick erklären kann.Vielmehr gibt es Gründe für die Annahme,dass sich am Ende von veritablen Sackgassenauch noch Klüfte auftun, die sich nicht mitden klassischen Hilfsmitteln überwinden las-sen. Die Amerikaner haben einen satten Er-fahrungs-Vorsprung: In Deutschland solltenwir aus deren Erfahrung mit Holzwegen ler-nen und nicht die gesamte Lernkurve fünfJahre später nachvollziehen. Wo stecken dieAmerikaner (und wir in deren Windschatten)auf dem Weg zur Informationsgesellschaftfest?

Die Praxis hat tatsächlich gezeigt, was manschon seit fünf Jahren vermutete, nämlichdass die PC-Vernetzung alleine noch keingelobtes Land schafft. Ob man nun Schulenvernetzt oder Behörden, ob Bürger oder Be-triebe, überall zeigt es sich, dass dies alleinenicht ausreicht, die Bildung umzukrempeln,die Verwaltungsprozesse zu modernisieren,die Bürger für das Gemeinwesen zu aktivierenund anhaltende Beschäftigung in den neuenDienstleistungs-Betrieben zu garantieren. InUSA hat sich dabei ein „Digital Divide“, einedigitale Spaltung aufgetan, die seit einem Jahrmit millionenschweren Programmen von pri-vaten Stiftungen, engagierten Unternehmenund hie und da auch von weit blickenden Po-litikern bekämpft wird. Die Kluft zwischen„Haves“ und „Havenots“ ist durch das Inter-net noch größer geworden. Ein etwas ver-nachlässigtes Problem bei der Bekämpfungdieses Digital Divide ist darin zu sehen, dassman nicht wie bei Arm und Reich das klassi-sche Instrument der Umverteilung einsetzen

kann. Ein Robin Hood, der den „InformationRich“ ein wenig von den Informationen, demWissen und den Kompetenzen nimmt, umdiese dann gerecht unter die Armen zu ver-teilen, kommt als Hoffnungsgestalt wohl nichtin Frage.

Wir marschieren aber in Deutschland tap-fer nach US-Vorbild auf dem Weg zum „In-ternet für alle“ weiter. Das wahre Problem ei-nes „Internet für alle“ liegt aber nicht nur inder Beseitigung der ungleichen Verteilung derdigitalen Chancen, sondern eher dort, wo sichBenutzer trotz hervorragender PC-Ausstat-tung, gebührenfreiem Zugriff und - nach US-Kriterien - gut ausgebildeter Internetkompe-tenz wieder vom Netz verabschieden. DerSpiegel schreibt von Millionen von jungenNutzern, die sich wieder zurückzogen: „theycame, surfed and went back to the beach“.Dafür gibt es mannigfaltige Gründe. Zum ei-nen scheint ein klassisches Content-Problemvorzuliegen: die „Abruf-Kommunikation“, al-so der „massenmediale“ Anteil des Internetbzw. des WWW, bietet zu wenig nachhaltigNeues gegenüber dem klassischen Broadcast,sei er nun analog oder digital. Die wenigenAusnahmen waren beim „kostenlosen“ Abrufvon MP3-Musikstreams gegeben, bis derBoom des „all for free“ wegen der ungelöstenUrheberrechts- und Copyrightprobleme zu-sammenbrach. Die Konkurrenz des Broadcastnimmt noch zu: In der ersten Ausbaustufewerden die digitalisierten Kabelnetze dasKonsumangebot mit „digitalen Bouquets“ undPay-TV noch erhöhen.

Die erste Lehre, die man aus dem sehr be-grenzten Erfolg der interaktiven Dienste inden USA ziehen kann, zielt auf die erforderli-che Kompetenz im Umgang mit diesem neuen

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Medium. Es drängt sich der Vergleich zumStraßenverkehr auf: Neben Straßen und na-türlich Autos besteht die Infrastruktur ebenauch aus Menschen, die damit umgehen kön-nen. Und das sind organisatorische Kompe-tenzen (Straßenverkehrsordnung) ebenso wiedie Fertigkeiten im Umgang mit den Geräten(Führerschein), das Einüben der Besonder-heiten dieser Netze (Autobahnfahrt zur RushHour) und vieles andere mehr. TÜV, Polizeiund AVD, Rettungsdienste, Unfall-Versiche-rungen und vieles andere mehr.

• Es sollte bei den Akteuren allmählich ein-gestanden werden, dass der Umgang miteinem vernetzten PC einer weitaus be-trächtlicheren Anstrengung zum Lernenund Üben bedarf, als dies die Werbung(„Ich bin drin!“) suggeriert.

• Nach fast 20 Jahren darf man heute prinzi-piell bezweifeln, ob der PC tatsächlichimmer benutzerfreundlicher wird, wie dasdie Werbung nicht nur der Hersteller be-hauptet.

• Das „Einloggen“, das „Suchen“ und das„Surfen“ ist tatsächlich einfacher gewor-den, auch das Senden und Empfangen vone-Mails kann man in einer Schnellbleichelernen, aber viel mehr auch nicht. DieHoffnung, den PC „so einfach bedienenzu können wie ein Telefon“, ist eine Illu-sion.

• Für einen intensiven Umgang mit demMedium braucht es zehnmal mehr Lernenund hundertmal mehr Üben. Es ist keinFall bekannt, wo ein neues Medium soviel „Bedienungswissen“ erfordert - unddies in einer Welt, wo nicht einmal mehrdie Kids über die einfachen Funktioneneines Videorecorders hinaus ohneGebrauchsanweisung zurecht kommen.

Die Annahme, dass der private Benutzerdie PC-Umgangskompetenz genau so freudig

als neue Kulturtechnik angeht wie die altenKulturtechniken Lesen und Schreiben, istschon deswegen ein wenig fragwürdig, weilwir alle die gelobten alten Kulturtechnikenper Schulpflicht verabreicht bekommen ha-ben. In Deutschland zählt man heute 4 Milli-onen „funktionale Analphabeten“, überwie-gend Menschen, die in Deutschland einmaldie Schulpflicht absolviert haben, aber denUmgang - insbesondere mit dem Schreiben,aber auch mit dem konzentrierten Lesen -verlernt haben.

Diese Argumente werden immer noch ge-flissentlich überhört: Wir sind gut beraten,wenn wir das Problem der PC-Kompetenz -und damit des wachsenden Digital Divide -nicht einfach an die Volkshochschulen undden „Nachmittagsmarkt“ wegdelegieren. DasAktivziel muss lauten: Der Umgang mit demPC soll binnen zehn Jahren ein obligatori-scher Leistungsnachweis in jedem Schul-zeugnis sein, von der Sonderschule bis zumAbitur. Ohne diesen soliden Aufbau von un-ten schlägt sonst der Digital Divide nach obendurch, bis zu den Hochschulen und natürlichauch den Betrieben.

Es lässt sich schon in allen Industriestaatenbeobachten, dass im professionellen BereichFortbildung von einer Woche allein für ein E-Mail- und Kalendersystem wie Lotus erfor-derlich ist. Ich wage die Hochrechnung, dasszur Beherrschung eines modernen Laptop einhalbes Jahr intensiven Lernens, für den Um-gang mit der Internet-Informationswelt einweiteres halbes Jahr Lernen hinzu kommt.Dazu braucht es noch mindestens ein Jahrheftigen „Trainings on the job“. Es ist illuso-risch anzunehmen, dass es in diesem Para-digma ein „Internet für alle“ geben wird.

Man kann nicht annehmen, dass alle Ange-stellten so mal nebenbei das Pensum einerhöheren Fachschule absolvieren können, Pri-vatleute erst recht nicht. Es sind deswegennoch Riesenschritte auf softwaretechnischem

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Gebiet erforderlich und es muss allmählichdie Frage erlaubt sein, ob die Hersteller gera-de in den USA aus den diversen Holzwegenheraus finden. Mehr als die grobe Richtung -kontextsensible Software-Agenten, Sprach-Eingabe und Sprach-Ausgabe - ist noch nichtbekannt. Aber wenn nicht einmal erkannt undeingeräumt wird, dass man bisher völlig aufdem Holzweg ist, wird es die notwendigenForschungs- und Entwicklungsanstrengungennicht geben.

Abhängigkeit ist auch Verwundbarkeit

Nun hat andererseits das Internet hinsicht-lich seiner Akzeptanz im professionellen Be-reich seinen Siegeszug fortgesetzt, es gibt inden Bürobereichen und dabei besonders inden Dienstleistungsbereichen keine Alternati-ve dazu. Anders als beim privaten User lassensich Vorteile des Internet für die Pionieran-wender in den Betrieben bereits erkennen.Schreibmaschinen und Karteikästen sind vö l-lig ersetzt.

Um so aufmerksamer muss man verfolgen,wo die Betriebe im praktischen Einsatz nachwie vor große Probleme sehen. Ganz vornesteht der Begriff „Sicherheit“. Dieser Begriffhat im Englischen mehrere Wörter wie „safe-ty“ und „security“, die wir im Deutschen nurmit dem Sammelbegriff „mehrseitige Siche r-heit“ (Günter Müller) umschreiben können.Es geht nämlich nicht nur um die technischeSicherheit, um den Datenschutz und den Per-sönlichkeitsschutz, sondern auch um die„Verfügbarkeit“ oder die „Robustheit“ vonGeräten und Netzen.

Wenn man in den Gesellschaften immermehr von Computernetzen abhängig ist, steigtnatürlich die Verwundbarkeit. Zentrale Sekto-ren sind hart getroffen, wenn Computer- oderKommunikationssysteme ausfallen. In Kali-fornien zeigen die schon regelmäßig erfol-

genden Stromausfälle schmerzhaft auf, dassdie entsprechenden Infrastrukturen alles ande-re als komplett und ausgereift sind. Denn oh-ne Strom läuft nichts beim PC, beim Internetoder dem Datenbankserver. Es sind aus denUSA erste Fälle bekannt, wo man sich in denBüros mithilfe von Autobatterien und Ladege-räten eine Rückfalllösung geschaffen hat.Auch bei uns kann man im ICE beobachten,dass die mitgeführten Kabel, die Netzgeräteund Ersatzakkus der modernsten Laptops die-se an Gewicht und Größe bereits übertreffen -wenn es so weitergeht, auch bald im Preis.

Die Betriebe müssen immer mehr Folge-kosten einkalkulieren. In einer Zeit, wo dieLohnnebenkosten reduziert werden, mussman mit Geräte-Nebenkosten rechnen, die denPreis des eigentlichen Geräts in seiner kürzerwerdenden Betriebszeit bereits übertreffen:Die Faustregel der PC-Hersteller, die von„60 % Folgekosten in drei Jahren“ sprechen,ist sehr überholt. Die Fortschritte beim Ener-gieverbrauch des einzelnen Endgeräts werdenvon deren Masse mehr als nur kompensiert.Auch der Papierverbrauch pro PC steigt nochimmer, wobei das leere Katalogversprechen„What you see is what you get“ deutlich be-teiligt ist. Peripheriegeräte wie Stromversor-gungen häufen sich als Elektroschrott zudemvon Generation zu Generation auf, weil na-türlich jedes Mal neue Stecker und Stromstär-ken fällig sind. Es kann ja schon als Glücks-fall angesehen werden, dass viele HandheldComputer und PDA’s mit genormten Batte-rien funktionieren. Erstmals taucht der Begriff„Nachhaltigkeit“ aus ganz praktischen Ge-brauchsgewohnheiten auf. Schon jetzt lässtsich also sagen, dass uns die Umsetzung desamerikanischen Traums, des Ex-und-Hopp,auch noch einen „Sustainability Divide“ ein-gebracht hat. Jedem, der sich nur ein wenigmit diesen Tendenzen beschäftigt, muss klarwerden, dass wir es hier nicht mit ökolo-gischen Befindlichkeiten von Sandalen-

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trägern, sondern mit überaus harten volkswirt-schaftlichen Kategorien zu tun haben.

So werden zum Beispiel die Serverfarmenimmer mehr in Regionen stehen, die einekontinuierliche und preiswerte Energieversor-gung garantieren. Die Backup-Server des erd-bebengefährdeten Kalifornien stehen bereitsin Utah. Je weiter die Signale per Optoe-lektronik reichen, desto weiter weg könnenauch die Standorte der großen Server sein,und das kann gravierende ökonomischeStandortfolgen haben. Denn wenn der Serverweit weg ist, dann ist natürlich auch die herr-schende Rechtsordnung nicht ganz soverbrauchernah und bürgernah, wie man siesich gerne vorstellen würde. Und auch nichtso marktnah: Deutschland stellt immer nochrund 10 Prozent des Weltmarkts für Elektro-nikprodukte dar. Daran denkt auch die ganzeübrige Welt, nur unser Standort nicht.

Man könnte mit guten Gründen meinen,dass der Zusammenbruch der Info-Startups inden letzten 18 Monaten weltweit eben nur einAusleseprozess war, der die Spreu vom Wei-zen schied. Aber als Erklärung ist dies nichthinreichend, denn es sind eben nicht nur dieewigen Glücksritter, Spekulanten und Abzo-cker aus dem Markt geworfen worden, son-dern auch eine Vielzahl von klugen und tüch-tigen Unternehmern samt ihren Mitarbeitern,an denen es wirklich nicht gelegen habenkann. Hier liegen strukturelle Gründe vor,präziser gesagt: infrastrukturelle. Wenn einUnternehmer erst nach fünf Jahren bemerkthat, dass der Markt sichere elektronische Pro-zesse will und alle Anstrengungen in dieseRichtung an eher prinzipiellen Erwägungenscheitern, dann würde ich ihn deswegen nichtkritisieren wollen. Auch unsere besten Ex-perten sagen erst seit kurzem laut, dass man-che Sicherheiten mit den heutigen Technikenschlichtweg nicht realisierbar sind.

Anfang Juli 2001 hat sich Professor And-reas Pfitzmann vor dem Bundestagsunteraus-

schuss „Neue Medien“ erstmals in aller Öf-fentlichkeit getraut, von völlig neuen Netza r-chitekturen zu sprechen, die für die Informa-tionsgesellschaft erforderlich sind. Solcheneuen Architekturen könnten „schon binnenzehn Jahren entwickelt und anschließendimplementiert“ werden. Für Otto Normaluserheißt dies, dass das Internet, dass das „heutigeInternet“ für professionell sichere Online-Dienste wahrscheinlich unbrauchbar ist.Pfitzmann und andere haben dies schon seitJahren erkannt, aber sie haben es eben in klu-ge Bücher geschrieben oder gar nur „ins Netzgestellt“, nicht ahnend, dass das erstens keinerliest und zweitens keiner glaubt.

Parallel dazu steht auch der Datenschutztief in einem Holzweg. Der deutsche Vor-schlag von Professor Alexander Roßnagel, ei-ne Infrastruktur der digitalen Signatur einzu-führen, mit der man die Unversehrtheit vonDaten fast wie mit einer Originalunterschriftsichern kann, ist von den Europäern und denAmerikanern mit der selben Technik desPublic Key verwässert worden. Nun, wenigs-tens die Japaner scheinen den Wert des deut-schen Modells erkannt zu haben und werdenuns - so machte es im letzten Jahr eine Parla-mentsdelegation deutlich - die entsprechendenDienstleistungen schon noch anbieten.

Das deutsche Datenschutzgesetz der frühenSiebziger Jahre muss derzeit bereits zumzweiten Mal novelliert werden, um dieschlimmsten bürokratischen Hemmnisse füreine innovative Nutzung von personenbezo-genen Daten zu ermöglichen. Aber jede Er-leichterung für die erwünschten Anwendun-gen in Electronic Government und E-Businesserleichtert es auch den unerwünschten An-wendern, im trüben Datenschatten zu fischen.So hat der Bundestags-Begleitausschuss„Moderner Datenschutz“ die konsequenteEinhaltung von Datenschutzerklärungen oder„Safe-Harbor“-Erklärungen schon als einenEckpfeiler eingerammt. Alle Firmen werden

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natürlich einerseits diese Erklärungen schnellabgeben, aber andererseits die im Markt ver-fügbaren Technologien des „Data Mining“natürlich einsetzen. Und Data Mining machtaußer bei Sterneentdeckern oder Wetterfor-schern vor allem in seiner personen-bezogenen Variante bei Epidemiologen undMarktforschern Sinn. Wie beim „wissen-schaftlich erforderlichen Walfang“ gibt esschon immer Ausnahmen bei „BerechtigtemInteresse“, künftig nur „zur Verfolgung eige-ner Rechte oder der Rechte Dritter“. Gewissist dies ein Fortschritt im geschriebenen Da-tenschutzrecht, aber bei genauer Betrachtungist das vergleichsweise wie eine bundesweiteAusdehnung des Verkehrs-Gebotszeichens:Nur für Anwohner. Konsequenz: Die Daten-schutzbeauftragten müssten eigentlich einenDatenschutz-Polizeiauftrag bekommen, selbstwenn es zum „freiwilligen“ Datenschutz-Audit kommt.

Kein Zweifel kann bestehen, dass wir nichtnur der Technik hinterherhinken. Gesetzes-verschlanker aufgepasst: Allein die Tatsache,dass die Scannertechnik inzwischen eine hoheReife erreicht hat, wird uns dazu bringenmüssen, auch das gute alte Papier in noch hö-herem Maße als bisher in den Geltungsbe-reich der Vorschriften für Elektronische Da-tenverarbeitung einzubeziehen. Aber dietechnische Innovation ist bekanntlich nichtsgegen den Erfindergeist von Zeitgenossen, dieinsbesondere bei einem Rahmengesetz schnellihre Nischen finden, wo sie den ahnungslosenVerbraucher über den Tisch ziehen können.Unnötig finde ich die Freiheit, dass jeder seineigenes „Kleingedrucktes“ textet. Stattdessensollte eine einheitliche Erklärung („Gütesie-gel“) erfolgen, die von den Suchmaschinenautomatisch auch als Filter benutzt wird: Oh-ne eine solche Erklärung kommt einDienstleistungs-Betrieb nicht in die Suchma-schine. Ein faszinierender Gedanke. Wie abersollte man dies den Betreibern der Suchma-

schinen vermitteln? Wer würde den Aufwandzahlen wollen, den ein Gütesiegel nun einmalverursacht? Hier müssen noch harte Nüssegeknackt werden.

In diesem Kontext soll auch erwähnt sein,dass die Polizeien Europas und der übrigenWelt im Internet die Chance sehen, große Ü-bel sozusagen vom Schreibtisch aus zu be-kämpfen. Menschenhandel oder Kinderpornoshaben im Netz ebenso ihre Winkel wieRauschgifthändler und anderes organisiertesVerbrechertum - und zu deren Bekämpfungscheint mir auch jedes Mittel recht. Aber mitder Cybercrime Convention, die letzten Mo-nat unterschrieben wurde, hat man offen-sichtlich überzogen. Über das Netz wird jetzteine Saugglocke gestülpt, die Millionen vonNormalbenutzern die Luft entzieht, um Tau-sende von Kriminellen herauszufinden, diesich gegen diese Überwachung mit allen Me-thoden der Verschlüsselung und der Stega-nographie schnellstens erfolgreich schützenwerden. Die Gefahr ist groß, dass im Falle ei-ner verschlüsselten Botschaft zwischen zweiPhantasieadressen nur der ahnungslos unter ccaufgeführte Name eines völlig Unbeteiligtenim Fahndungsnetz hängen bleibt. Nachmehrmaligem Data Mining ist dieser Namedann schnell aus dem Kontext gerissen undnach wenigen Monaten oder Jahren in einenanderen Kontext eingebracht. Irgendwann istder Name Teil polizeilicher Ermittlungen undin der Folge davon wird gespeichert, dass esschon einmal polizeiliche Ermittlungen gab.Den Rest kann sich jeder selbst ausmalen.Das Recht auf informationelle Selbstbestim-mung wird mit dieser unangemessenen Maß-nahme ausgehöhlt. Die Cybercrime Convent i-on ist wie die Telekommunikations-Über-wachungs-Verordnung ein noch unausgego-rener Versuch, die alte Polizeiwelt in die neuezu übertragen. Hier steht noch lange mindes-tens die Frage „wer kontrolliert die Kontrol-leure?“ im Raum. Konsequenterweise müsste

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man nach dem Gleichheitsprinzip jetzt nocheigentlich alle Telefongespräche aufzeichnen,um die Obszön-Anrufer dingfest zu machen.

Dies alles sind schon zu viele Holzwege,die eben immer tiefer in den Wald führen. Eswäre leicht, solche Holzwege auch bei Appli-kationskategorien wie Electronic Govern-ment, Telearbeit und Telelearning, für die ge-samte Mensch-Technik-Interaktion, für dieNanotechnik-Leitbilder und die Medienper-zeption einer Bilderwelt aufzuzählen. Prak-tisch gibt es keines der genannten Gebietemehr, wo man von einem strammen Voran-kommen sprechen könnte. Alles dümpelt.

Paradigmenwechsel sind angesagt

Die Schlussfolgerung aus dem schon bis-her Gesagten kann nur ein völliger Paradig-menwechsel für den Bau, die Organisationund den Betrieb von Geräten und Netzen sein.Aber Paradigmenwechsel kommen nicht ausfeurigen Leitvorträgen, sondern nur aus einemgemeinsam empfundenen Leidensdruck derVerantwortlichen Akteure und einer gemein-sam erarbeiteten Problemlösungsstrategie.Den gemeinsamen Leidensdruck kann manbereits besichtigen, das Stichwort heißt„UMTS-Lizenzinhaber“. Die gemeinsameProblemlösungsstrategie ist noch ein Wunsch-traum, denn zum Teil haben wir die genorm-ten Instrumente weggeworfen, die man fürGemeinsamkeiten braucht. Der erfreulicheKonsens, dass Monopole grundsätzlichschlecht sind, weil sie in ihrer privatwirt-schaftlichen Variante Innovationen am Ent-stehen hindern und in ihrer öffentlichen Vari-ante Innovationen mit Formularen verwaltenwollen, hat leider auch zu der Ansicht geführt,dass alles, was die früheren Monopolistengetan haben, schlecht gewesen sei. Dazu ge-hörten aber eben auch internationale und nati-onale Verabredungen über gemeinsame Stan-

dards bis hin zu einer gemeinsamen techni-schen Infrastruktur.

Nach der Schrecksekunde von einem Jahrist den UMTS-Lizenzerwerbern schmerzhaftdeutlich geworden, auf was sie sich eingelas-sen haben. Die gesamte Fachöffentlichkeit -und wie ich vermute: auch die Akteure derRegulierung - haben vor lauter Milliardenbe-trägen nicht erkannt, auf welch abschüssigerBahn das organisatorische Konstrukt steht.Man stelle sich vor, dass man pro Fernseh-turm nur ein TV-Programm abstrahlen dürfte- völliger Unsinn. Aber bei UMTS braucht es- wie für andere Wettbewerbsdienste - für die„Kohabitation“ schon eine Erlaubnis. Manstelle sich vor, im Turm müssten die einze l-nen Übertragungsgeräte mit Maschendrahtvoneinander abgegrenzt sein - ein Witz. Undwenn jetzt noch der Zuschauer für jedes ein-zelne Programm einen Dauerauftrag bei derBank einrichten müsste, wenn er zudem fürjedes private Programmpaket eine Extra-Rechnung im Briefkasten findet - eine Zu-mutung. Aber das alles bekommen wir imTelekommunikationssektor, weil wir denWert des Wettbewerbs für den Verbraucherum so vieles höher eingeschätzt haben als denWert einer Infrastruktur, auf der ein Wettbe-werb um die besten Produkte stattfindet. Beider Bahn entdeckt die Politik gerade wieder,dass Schienen, Trassen und die dazugehörigeElektronik im Getümmel des Privatmarktsnicht gerade die lauteste Stimme haben. In derTelekommunikation jedoch werden dieBetreiber dazu gezwungen, ihre einzelnenNetze, also etwa das Festnetz, das Mobilnetzoder das Fernsehkabelnetz organisatorischauseinander zu halten bzw. sie zu veräußern.

Ich darf daran erinnern: Wir wollten heuteeigentlich über „Konvergenz“ reden. Das Ge-genteil passiert, die Netze divergieren. DieUMTS-Betreiber haben jetzt das Kleinge-druckte in ihren Lizenzverträgen gelesen,

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teilweise auch schon verstanden und fragensich und die Hersteller, wie denn die teilweisetechnisch nicht darstellbaren Bedingungen -auch noch unter enormem Zeitdruck - reali-siert werden können.

Eine Forderung der Regulierungsbehördelautet - in die Welt der Autos übersetzt -„BMW, Mercedes, Opel und VW dürfen eingemeinsames Automodell bauen, aber müssendafür Sorge tragen, dass jeder Mitfahrer eineigenes Lenkrad, ein eigenes Gas- undBremspedal sowie einen eigenen Benzintankzur Verfügung hat“. Das werden spannendeZeiten, zumal sich die Betreiber schon we-nigstens a priori darin einig sind, dass die Re-alisierungsrisiken dieses Modells per Pönaleauf die Lieferanten abgewälzt werden. Voneinem Industrieforscher stammt der schöneSatz: „Am Anfang des Forschungsprozessesfolge ich dem Verstand, später immer mehrdem Kundenwunsch“.

Ohne den Wert des Wettbewerbs im Sen-ken von ehemaligen Monopolpreisen geringzu schätzen: Der Verbraucher zahlt die Diffe-renz in Zeiträumen, in denen er vor einemTelefonat erst mal telefonisch Tarife abfragtoder vergeblich Tarifmodelle zu verstehensucht. Er zahlt auch für einen individuellenKlingelton, damit er nicht immer sein Handysucht, wenn ein anderes klingelt. Es gilt des-wegen: Der Verbraucher zahlt derzeit für je-den unbestreitbaren Vorteil in der einen Ta-sche mit Geld aus der anderen Tasche. Wennder Verbraucher nach einem Hype wieder zusich kommt, straft er die Branche mit seinerWunderwaffe „Kaufenthaltung“ grausam ab.Genannt seien nur die Millionen abgeschalte-ter Handys in Schubladen und Handschuhfä-chern, die von den Betreibern nur ungern alsRealität bestätigt wurden.

Ein Grund für Verbraucherunzufriedenheitsind auch die erwähnten Verfügbarkeitsmän-gel, sind auch Überlastungen der Infrastruk-tur. Nicht alle neuen Infrastrukturen sind au-

tomatisch auch „innovative Infrastrukturen“.Technische Möglichkeiten werden oft öko-nomisch gebremst: Neuerungen gibt es nurdann, wenn sie sich in Businessplänen dar-stellen lassen. Dazu ein Beispiel. Die SPD-Landesregierung fordert von den künftigenprivaten Besitzern des TV-Kabelnetzes inNiedersachsen dessen technische Aufrüstung.Wichtig sei vor allem die so genannte Rück-kanalfähigkeit, die interaktives Fernsehen er-möglicht, sagte ein Sprecher des Wir t-schaftsministeriums Anfang Juli 2001 inHannover. Hintergrund dieser Forderung sinddie bekannt gewordenen Ausbaupläne derneuen Betreiber. Demnach wollen sie zu-nächst die Möglichkeiten des digitalen Fern-sehens mit großem Nachdruck voranbringenund erst später die neuen interaktiven Breit-banddienste implementieren. Private undkomplett fremdfinanzierte Betreiber haben inihren Businessplänen keinen MillimeterSpielraum, vollends dann nicht, wenn es umteure infrastrukturelle Vorleistungen für nochunbekannte innovative Dienste geht.

Im Prinzip wird die umfassende Moderni-sierung von allen Landesregierungen gefor-dert werden, allerdings haben sie keine Lock-und Machtmittel mehr, diese Geschäftsstrate-gie zu erzwingen. Unser Grundgesetz schütztmit gutem Grund auch die Unternehmerfrei-heit. Dass des Pudels Kern gemäß den neuenInvestoren lediglich Digitalfernsehen oderPay-TV, wahrscheinlich mit systematisch un-auffälliger Verteuerungsstrategie ist,schmeckt den Politikern nicht, weil sie vomZuschauer und Wähler für allen Schmutz undSchund verantwortlich gemacht werden undweil sie lieber nachhaltige F&E statt drei Jah-ren Tiefbau wollen. Die (übrigens bestensaktuell informierten) Präsidenten der Lan-desmedienanstalten haben diese Tendenz zumehr Fernsehen à la USA längst erkannt undes an Deutlichkeit nicht fehlen lassen: Allewären bereit, um der Innovation willen auch

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Kröten zu schlucken, aber ohne Innovation istihre Unterstützung beim Abtragen von me-dienpolitischen Hindernissen begrenzt, vonden wir ja gerade in Deutschland eine Re-kordzahl aufzuweisen haben. In der Konse-quenz bleibt den Politikern nur das Brems-mittel, das mit allerlei Instrumenten bis hinzur Denkpause aufwarten kann. Denkpausenaber beflügeln keine Innovation, das schafftnur Denkarbeit.

Der gesamte Prozess des Verkaufs derBreitbandkabel, der von EU-Kommissar Ka-rel van Miert angestoßen und von allen Bun-des- und Landesregierungen mitgetragenwurde, ist einer von mehreren Kardinalsfeh-lern der „permissiven Telekommunikations-Deregulierungs-Strategie“. Anstelle kreativenWettbewerbs wurde unversehens ein neuesDe-facto-Monopol geschaffen. Und von Mo-nopolen wissen wir bereits aus der Vergan-genheit: Das sind praktisch immer preistreibe-rische Innovationskiller, es sei denn, manwendet die Kartellgesetze auf sie an. Den Po-litikern könnte man jetzt sagen, dass sie, wennsie rasch Innovation im Kabel wollen, dafürdann auch eine Finanzierung finden müssen.Weil die Politiker aber kein Geld mehr haben,bleibt nur die Feststellung: Dumm gelaufen.

Neue, nicht ganz unerwartete Problemetauchen im Infrastrukturbereich des Mobil-funks auf. Die Antennen des Mobilfunks sindzu einem Ärgernis für viele Bürger geworden.Es ist nicht nur die Beeinträchtigung der Aus-sicht oder die vermutete Einwirkung derhochfrequenten Wellen auf das liebe Milch-vieh, sondern die verbreitete Unsicherheit ü-ber Wirkungen beim Menschen, die jetzt einveritables Hemmnis für die neuen Funknetzedarstellen. In der Schweiz wurden bereits dieEmissionswerte der Base Station um denFaktor 10 abgesenkt, was dazu führen kann,dass wohl Genf die erste handyfreie Großstadtwird. Zur Funkabdeckung würde man nichtnur die zehnfache Anzahl von Antennen, son-

dern eher die hundertfache benötigen. Es istfür die Technikgestalter sehr schwer zu ak-zeptieren, dass in dieser Diskussion von An-fang an nicht die Physik und die Messwerteentscheidend waren, sondern die kognitivePerzeption bei „Betroffenen“. Für die derze i-tigen Funkdienste wird es Lösungen geben,bei denen man eben die Zahl der Funkzellenerhöht und die Leistung pro Zelle absenkt.Der Benutzer macht erfahrungsgemäß schwa-che Hochfrequenzemission nicht für alle Zi-vilisationskrankheiten verantwortlich. DasPotential künftiger mobiler Dienste in denimmer höheren Frequenzbereichen wird alsonachhaltig nur mit einer technischen Infra-struktur erschlossen werden können, die aufder Senderseite im Milliwattbereich operiert.

Solche innovativen Infrastrukturtechnikenwaren bereits aus Nachhaltigkeitsüberlegun-gen heraus in Arbeit, als man die Randbedin-gungen für UMTS regulatorisch festlegte. DieDiskussion über Alternativen wurde nicht ge-führt.• Zum einen, weil der „Kleinstzellen-Mo-

bilfunk“ sich aus dem Kontext der nachha l-tigen Energieversorgung heraus entwickelteund nicht aus dem Elektrosmog-Paradigma.

• Zum anderen, weil der „Schwachstrom-Mobilfunk“ für Ballungsgebiete und entlangvon Straßen bestens geeignet scheint, fürdas „flache Land“ jedoch weniger.

• Vor allem aber wurde die Diskussion des-wegen nicht geführt, weil niemand dafürzuständig ist, sie zu führen.

• Der Wettbewerb unter allen Firmen derBranche sorgt für ein deutlich zurückgehen-des Interesse an firmenübergreifendenGremien, die sich mit gemeinsamen Infra-strukturen und deren Auslegung befassen.

Es ist bezeichnend, dass die vier großenTechnikverbände ITG, GI, IfKomm unddmmv in den letzten Jahren nicht einmal ei-nen gut besetzten Arbeitskreis zu dieser The-

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matik zuwege brachten. So bleiben zwei Min-derheiten mit je für sich guten Argumenten inder Diskussion bestimmend: Hier die besorg-ten Bürgerinitiativen gegen Elektrosmog unddort die unbekümmerten Verfechter des„weiter so!“.

Da darf es in unserer neuen Wettbewerbs-ordnung nicht verwundern, dass viele Vertre-ter eines „schwierigen Mittelwegs“ hoffen,dass sich unter den sechs Lizenznehmern fürUMTS ein „primus inter pares“ herausbildet,der mit einer Konsenslösung und einer ge-meinsam zu nutzenden Infrastruktur voran-geht. Diese Hoffnung ist allerdings vergeb-lich, weil die Lizenzverträge dies nicht zulas-sen. Eine Änderung der Lizenzverträge expost würde aber nicht ohne Auswirkung aufdie bezahlten Lizenzpreise bleiben und wirhätten wieder einmal ein „Beschäftigungspro-gramm für Rechtsanwälte“ der allerfeinstenKategorie.

Angesichts dieser ganzen Probleme würdemancher Akteur gerne wieder die gute alteZeit zurück haben, wo noch ein Fernmelde-minister regelmäßig verkünden durfte, welcheInnovation in den nächsten 10 Jahren nicht er-folgen wird. Aber der globale Wettbewerblässt uns diese Möglichkeit einer innovations-gebremsten Insel mit lang laufenden Infra-struktur-Entscheidungen nicht mehr.• Unser Standort ist vielmehr gefordert, in

Sachen Innovation „an der Spitze des Fort-schritts zu marschieren“, um die hoch quali-fizierten Arbeitsplätze hier zu halten.

• Außerdem sind die Regulierungs-Problemenur europäisch lösbar - hier sollte Deutsch-land vielleicht öfters mal den mutigen Vor-reiter spielen statt den braven Musterschü-ler, der alles übererfüllen will.

• Wir haben uns in Deutschland dem Wett-bewerb von draußen weiter geöffnet als je-des andere Land in der Erwartung, dass dieEntfesselung der Marktkräfte uns geradehinsichtlich der neuen technischen Infra-

strukturen an die Spitze katapultieren wür-de. An die Spitze sind wir nur mit der Zahlder über 300 kleinen Betreiber gekommen,die auf der alten Infrastruktur das Bekanntenur immer billiger anbieten wollen undkönnen.Beim anstehenden Paradigmenwechsel zu

verträglichen Infrastrukturen bedarf es mehrals nur eines geänderten Verhaltens der Ak-teure. Das Neu-Arrangement zwischen zu trä-gen quasi-monopolistischen Einheitsstruktu-ren und zu sprunghaften Marktwettbewerbs-strukturen wird eine komplizierte Aufgabe,die aber angesichts des wachsenden Leidens-druck lösbar erscheint. Um es unmissver-ständlich zu sagen: Die anstehende Kurskor-rektur ist keine Kehrtwendung um 180 Gradund auch kein Schwenk um 90 Grad, sondernlediglich ein erkennbare Seitenbewegung wegvom harten Infrastrukturwettbewerb und eineHinwendung zu innovativer Applikations-und Dienstevielfalt.

Das Ziel kann nach Lage der Dinge nichtmehr eine „universelle“ Netzstruktur sein,sondern ein Nebeneinander von verschiede-nen offenen Netzen, für deren Verbindung be-sondere Anstrengungen nötig sind. So ist eszum Beispiel in diesem neuen Paradigma na-heliegend, für die Portabilität von Rufnum-mern eine möglichst neutrale Betreiberfirmazu beauftragen, die diesen Dienst im Sinneund auf Rechnung aller zur Verfügung stellt.Die Missbrauchsmöglichkeit solcher Ge-bietsmonopole ist durch die gemeinsameNachfrage der Betreiber ausbalancierbar.

Zwei wesentliche Punkte müssen im Sinneneuer innovativer Infrastrukturen geändertwerden:

• Zum einen sind marktwirtschaftliche Lö-sungen für die bisherige Infrastruktur-Verpflichtung zu suchen. Man kann nichtzum gleichen Preis das Innenstadthochhausund den Bergbauernhof ans Netz bringen,

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auch wenn die Politik dies am liebsten hä t-te. Ein Infrastrukturfonds mit unternehmeri-scher Führung wäre besser. Auf diesem Ge-biet sind aus Gründen der Besiedlungs-struktur in Europa unterschiedlicheInteressen auf den Plan gerufen. Im dichtbesiedelten Mitteleuropa müssen andereRegeln gelten dürfen als etwa im dünner be-siedelten Nordeuropa.

• Zweitens muss ein verstärkter Dienstewett-bewerb auf den unterschiedlichen Infra-strukturen an die Stelle des in Wegfall kom-menden Technik-Infrastrukturwettbewerbstreten. Jedes Netz hat seine spezifischenVorzüge und Nachteile und sollte seine Ba-sisauslastung in der jeweiligen Kernaufgabesuchen. So werden die Funktechnologien -das ist nicht ganz überraschend - ihren Nut-zen bei der Unterstützung einer zunehmendmobilen Gesellschaft steigern müssen, wo-bei noch genügend Schnittmengen zwischenFestnetz und Funknetz bleiben, wo man umKunden kämpfen kann, bis der Arzt kommt.

Seit Jahren türmen sich immer neue Auf-gaben rund um die Regulierung der neuenTelekommunikations-Techniken auf.

Wenn die Branche nicht aufpasst, wird esbald in strategischer Hinsicht nur noch einenManagementstil geben, der allgemein vor-herrscht: „Management by Jurisdiction“.Schon werden Unternehmerkarrieren gegrün-det rund um die Frage „wie verklage ich wenauf was, damit ich anschließend sorgenfrei le-ben kann?“. Es ist aber aus der Geschichtekein Fall bekannt, wo juristische Prozedurenzu anhaltender Innovationstätigkeit geführthätten. Andererseits sind fast alle Ansätze zueiner Selbstverpflichtung von im Wettbewerbstehenden Akteuren gescheitert oder habendie Wettbewerbsregeln eklatant verletzt.Deswegen kann die Lösung der regulatori-schen Probleme nur in einem Mischmodell er-folgen. Sowohl in der Medienpolitik, die in

Deutschland Ländersache ist und bleibenmuss, als auch in der Telekommunikations-politik, die seit einiger Zeit eher ersatzweisevon der Regulierungsbehörde wahrgenommenwird, herrschen ja von der Aufgabe eher Ü-berwachungs- und Kontrollaufgaben vor,nicht Gestaltungsaufgaben. Wenn man nundiese verflochtenen Zuständigkeiten im Bund-Länder-Verhältnis pragmatisch angeht, wiedas Bayern, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen derzeit in aller Stille zum Wohledes Ganzen tun, ändert das an dieser eher„passiven“ Zielstellung nichts1. Derzeit wer-den die „Gemeinsamkeitslücken“ einigerma-ßen notdürftig von privaten Stiftungen undden politischen Stiftungen überbrückt. Es warwirklich ein Hochgenuss, von StaatsministerHuber (CSU) und Peter Glotz (SPD) nach ei-ner Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung zu hören, dass die gleiche Veran-staltung demnächst bei der Hans-Seidel-Stiftung wiederholt wird, aber mit zwei Ver-anstaltungen pro Jahr können wir einfachnicht das erforderliche Tempo erreichen. Dieeinschlägigen Stiftungen können bei einemsolchen Prozess mitwirken, sie können ihn a-ber nicht tragen. Als Lösung bietet sich an,eine public-private organisierte Agentur auf-zubauen, die das für Innovation erforderlicheMomentum des Marktes und der Technolo-gieentwicklung mit der notwendigen Koordi-nation einer nachhaltigen und verträglichenInfrastrukturentwicklung verbindet. Auch die-ser Vorschlag ist nicht neu, sondern wurdeschon mehrfach - unter anderem aus demKanzleramt - skizziert. Jedes Mal scheitertendie Vorschläge an der Frage „wer zahlt?“. Ineiner Zeit, in der anderswo in der Brancheviel Geld verbrannt wurde und wo man mitder UMTS-Sondersteuer so viele Wohltaten

1 Auch der von Dieter Stammler vorgeschlagene Bund-Län-der-Kommunikationsrat würde wohl nicht „aktivierend“ wir-ken und von daher nur eine Variante des heutigen Zustandsdarstellen.

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in der Republik verteilen konnte, ist dies ei-gentlich ein Armutszeugnis für alle Akteure.

Eine public-private Agentur in hinreichendkritischer Größe ist denkbar, weil weit mehrals nur die Brancheninteressen betroffen sind.Eine der Dysfunktionalitäten ist ja, dass dieTechniklieferanten und die Netzbetreiber gro-ße Eile und großes Engagement hin zu inno-vativen technischen wie organisatorischenInfrastrukturen an den Tag legen, die einenwegen des teuren Vorlaufs an Forschung undEntwicklung, die anderen wegen der Ta-geseinnahmen für ihre Transportdienste. Vielzu wenig wirkten bisher die Diensteanbieter,vor allem die Inhaltsproduzenten und Rech-teinhaber an dieser Aufgabe mit. Denkbar undwünschbar wäre, dass man eine solche A-gentur aus dem Geist der Initiative D21 ent-wickelt, wo die ganze Wertschöpfungskettevertreten ist, wenngleich leider immer nochmit sehr unterschiedlicher Intensität. Wir ver-schwenden zu viele Kräfte mit unterkritischenEinzelinitiativen. Pro Megafusion in der glo-balisierten Branche entstehen in Deutschlandzwei neue Arbeitskreise oder Initiativen, die

mit durchschnittlich 1,5 Festangestellten ineinem Hinterzimmer ein Web-Portal einrich-ten und mit Blick auf die „phantastische Ent-wicklung unserer Zugriffszahlen“ geduldigwarten, bis sich der Vorhang zur gelobten In-formationsgesellschaft auftut.

Dies sind nur einige Holzwege, die der In-formationsgesellschaft weltweit und beson-ders in Deutschland drohen. Die Fragezeichenoder Stolperschwellen haben allesamt ge-meinsam, dass sie sich um einen erweitertenInfrastrukturbegriff drehen, wo Technologie,Ökonomie, Organisation und Kompetenzgleichermaßen berührt sind. Und leider nocheine Gemeinsamkeit: Alles ist nur mit harterArbeit zu lösen. Das neue Paradigma oderLeitbild ist ein gemeinsam gebauter modernerMarktplatz mit einer konsensuellen Markt-ordnung, auf dem sich möglichst viele großeund kleine Verkaufsstände befinden und aufdenen ein intensiver Wettbewerb um die be-nutzergerechte oder auch kundengeeigneteLösung stattfindet. Wir haben fünfzehn Jahregebraucht, um den alten, nicht innovativenZustand im Telekommunikationswesen zu re-formieren. Wir sollten für die – unglaublichhohe Potentiale von Technologie und Dienst-leistung freisetzenden – Korrekturen derRahmenbedingungen am Standort Deutsch-land nicht noch einmal fünfzehn Jahre brau-chen wollen.

Niemand kann in wenigen MinutenLösungswege dafür skizzieren, wasvonVielen in 15 Jahren Umherirren

aufgetürmt wurde.

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Alcatel SEL Stiftung

Alcatel SEL Stiftung

Die gemeinnützige Alcatel SEL Stiftung für Kommunikationsforschung im Stifterverbandfür die Deutsche Wissenschaft fördert seit über zwei Jahrzehnten hervorragende wissen-schaftliche Arbeiten, die zur Verbesserung der Interaktion von Mensch und Technik inKommunikationssystemen beitragen. Die Stiftung verleiht jährlich den mit 20.000 €dotierten „Forschungspreis Technische Kommunikation“, vergibt jährlicheDissertationsauszeichnungen für die besten Ökonomie-Arbeiten zum Themengebiet derKommunikationstechnik und deren Anwendungen. Mit Veranstaltungen - vom Workshopbis zu Kongressen - beteiligt sie sich intensiv an der Gestaltungsdiskussion über NeueMedien. An den Universitäten Darmstadt, Stuttgart und Dresden engagiert sich dieStiftung seit vielen Jahren mit Stiftungskollegs. Mit dem 2001 gegründeten Stiftungs-Verbundkolleg Berlin zum Themenbereich Informationsgesellschaft wird ein weiteresinterdisziplinäres Projekt, aber auch erstmals die hochschulübergreifende Kooperationzum Themenbereich gefördert. Der Vorstand des Stuttgarter Stifterunternehmens AlcatelSEL AG setzte mit der Gründung des Verbundkollegs Berlin ein Signal für seinEngagement für die Wissenschaft am Standort Berlin.

URL: www.alcatel.de/stiftungE-mail: [email protected]

Stiftungs-Verbundkolleg Berlin

Das Alcatel SEL Stiftungs-Verbundkolleg Berlin fördert die Wissenschaft imThemenbereich Informationsgesellschaft, zu dem im interdisziplinären Rahmenhochschulübergreifend Lehrveranstaltungen, Kolloquien, Vorträge, Hearings,Konferenzen und Publikationen angeboten werden. Die Einbeziehung weiterer Partneraus der ganzen Hochschulregion ist vorgesehen. Ein Herzstück des Verbundkollegs sollen die Kollegiaturen von Wissenschaftlern sein,die in der Regel für ein Semester an einer wissenschaftlichen Einrichtung wirken.Aufgrund von Bewerbungen und Vorschlägen wählt der Vorstand die Kollegiatinnen undKollegiaten aus. Diese Wissenschaftler aus dem gesamten Themenspektrum derInformationsgesellschaft bieten spezielle Lehrveranstaltungen an den Berliner Hoch-schulen an. Die Kollegiaten publizieren in der Alcatel SEL Stiftungs-Reihe. Außerdemnehmen sie als kooptierte Mitglieder des Kollegiums aktiv an den regelmäßig statt-findenden Kolloquien des Stiftungs-Verbundkollegs teil. Neben den Kollegiaturen in den Hochschulen sind auch feste Veranstaltungsreihen desKollegiums wie das zweimonatliche „Kolloquium zur Informationsgesellschaft“ geplant. Ineiner Reihe „Zeitzeugen der Informationsgesellschaft“ werden herausragende Persönich-keiten, die in den letzten Jahrzehnten wichtige Beiträge zur Entwicklung von Informations-technik, Ökonomie und Politik einer Informationsgesellschaft geleistet haben, ihre Er-fahrungen weitergeben. Des weiteren sind Vorlesungen und Seminare für die BerlinerHochschulen in Vorbereitung.

URL: www.verbundkolleg-berlin.deE-mail: [email protected]

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