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Kapitel 1 Grundlagen Hier wollen wir kurz zurückblicken auf einige grundlegende Aspekte der linearen Algebra und der Analysis und wollen diese dann zusammenführen um erste Schritte zu einem neuen Verständnis tiefliegender Zusammenhänge zu gehen. Inhaltsangabe 1.1 Algebra und Topologie .................. 1 1.1.1 Lineare Räume ...................... 1 1.1.2 Metrische Räume ..................... 5 1.1.3 Kategoriensatz ...................... 16 1.1.4 Topologische Gruppen .................. 18 1.2 Lineare metrische Strukturen .............. 20 1.2.1 Lineare metrische Räume und Vervollständigung ... 20 1.2.2 Stetige Lineare Abbildungen .............. 25 1.1 Algebra und Topologie - ein starkes Duo 1.1.1 Lineare Räume Im Folgenden sei ein Körper und zwar vereinbaren wir, dass immer für einen der beiden Körper oder steht. Es wird Beispiele von Aussagen geben, die nur für einen der beiden Körper wahr sind, dann werden wir darauf hinweisen. Alle Aussagen, die mit formuliert werden, gelten für beide Körper. V sei im Folgenden ein linearer Raum über . Da die lineare Algebra sich oft auf endlich dimensionale Räume beschränkt, wollen wir hier ein paar Begriffe speziell für den unendlich dimensionalen Kontext wiederholen. Definition 1.1.1.1. Es sei V ein linearer Raum über . 1

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Kapitel 1

Grundlagen

Hier wollen wir kurz zurückblicken auf einige grundlegende Aspekte der linearenAlgebra und der Analysis und wollen diese dann zusammenführen um ersteSchritte zu einem neuen Verständnis tiefliegender Zusammenhänge zu gehen.

Inhaltsangabe1.1 Algebra und Topologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.1.1 Lineare Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Metrische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.1.3 Kategoriensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161.1.4 Topologische Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

1.2 Lineare metrische Strukturen . . . . . . . . . . . . . . 201.2.1 Lineare metrische Räume und Vervollständigung . . . 201.2.2 Stetige Lineare Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . 25

1.1 Algebra und Topologie - ein starkes Duo1.1.1 Lineare RäumeIm Folgenden seiK ein Körper und zwar vereinbaren wir, dassK immer für einender beiden Körper R oder C steht. Es wird Beispiele von Aussagen geben, dienur für einen der beiden Körper wahr sind, dann werden wir darauf hinweisen.Alle Aussagen, die mit K formuliert werden, gelten für beide Körper. V sei imFolgenden ein linearer Raum über K. Da die lineare Algebra sich oft auf endlichdimensionale Räume beschränkt, wollen wir hier ein paar Begriffe speziell für denunendlich dimensionalen Kontext wiederholen.

Definition 1.1.1.1. Es sei V ein linearer Raum über K.

1

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2 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

1. Ein Element x ∈ V heißt Linearkombination der Familie von Vektorenxαα∈A, wobei A eine beliebige Indexmenge ist, falls es eine zugehörigeFamilie von Skalaren λα ∈ K gibt, von denen höchstens endlich viele vonNull verschieden sind mit

x =∑

α∈Aλαxα.

2. Eine Linearkombination ∑

α∈Aλαxα

mit höchstens endlich vielen von null verschiedenen Koeffizienten heißt nicht-trivial, wenn mindestens einer der Koeffizienten von null verschieden ist.

3. Eine Familie xαα∈A heißt linear unabhängig, falls für jede Linearkombi-nation von Elementen der Familie mit

α∈Aλαxα = 0

folgt, dass alle λα = 0 sind.

4. Eine Familie xαα∈A erzeugt V , wenn jedes Element x ∈ V sich als Line-arkombination der Familie xαα∈A darstellen lässt.

5. Eine linear unabhängige Menge xαα∈A heißt Basis von V , falls xαα∈Aden Raum V erzeugt.

Wir erinnern an die folgenden elementaren Aussagen der Linearen Algebra.

Proposition 1.1.1.2. 1. λx = 0 gilt genau dann, wenn λ = 0 oder x = 0.

2. Eine Familie xαα∈A ist nicht linear unabhängig, falls es ein β ∈ A gibtmit xβ ist Linearkombination der Familie xαα∈A.

3. Eine Familie xαα∈A ist linear unabhängig, falls zu x ∈ V höchstens eineDarstellung von x als Linearkombination der Familie xαα∈A existiert.

4. Jeder Vektorraum hat eine Basis.

5. Je zwei Basen eines Vektorraumes haben die gleiche Mächtigkeit.

Beweis. Wir wollen nur darin erinnern, dass der Beweis der vierten Aussage aufdem Zornschen1 Lemma beruht. Da dieses noch an anderen Stellen eine wichtigeRolle spielen wird, wollen wir es nun formulieren.

1Max August Zorn (6.6.1906–9.3.1993) studierte und promovierte an unserer Hochschule. Erwurde von den Nazis verfolgt und emigrierte in die USA. Sein mathematisches Werk umfasstGruppentheorie, Mengenlehre, aber auch reelle und komplexe Analysis, wie auch Funktional-analysis. Am bekanntesten ist das nach ihm benannte Lemma, das äquivalent zum Auswahl-axiom und dem Wohlordnungssatz ist. Eine überraschende Konsequenz ist die Existenz nichtmessbarer Mengen.

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1.1. ALGEBRA UND TOPOLOGIE 3

Abbildung 5: Max August Zorn (6.6.1906–9.3.1993)

Satz 1.1.1.3 (Zornsches Lemma). Sei (M,≤) eine nichtleere geordnete Menge,so dass jede total geordnete Menge ein obere Schranke besitzt. Dann besitzt Mein maximales Element.

Dabei ist eine geordnete Menge eine MengeX, auf der eine RelationR ⊂ X×Xdurch x, y ∈ R genau dann wenn x ≤ y definiert ist, so dass gilt

1. x ≤ x für jedes x ∈ X,

2. x ≤ y, y ≤ z implizieren x ≤ z und

3. aus x ≤ y und y ≤ x folgt x = y.

Eine Menge N ⊂ X heißt total geordnet, falls für jedes Paar x, y ∈ X entwederx ≤ y oder y ≤ x gilt. Eine obere Schranke einer total geordneten Teilmenge Nist ein Element s ∈ X, so dass für jedes x ∈ N gilt, x ≤ s. Ein maximales Elementin X ist ein Element x∗ ∈ X, so dass für alle x ∈ X gilt, x∗ ≤ x impliziert x = x∗.

Definition 1.1.1.4. Nach Proposition 1.1.1.2 sind je zwei Basen gleichmächtig.Daher sind die hier zu definierenden Begriffe nicht abhängig von der Auswahl derBasis. Ein Raum mit einer endlichen Basis heißt endlich dimensional. In einemendlich dimensionalen Raum heißt die Anzahl der Basiselemente die Dimensiondes Vektorraumes.

Beispiel 1.1.1.5. 1. Ein erstes Beispiel eines linearen Raumes über K ist derRaum Kn. Dieser Raum ist die Menge aller n-Tupel

k1k2...kn

, ki ∈ K.

Die Addition zweier solcher Elemente ist komponentenweise zu verstehen,also

k11k1

2...k1n

+

k21k2

2...k2n

=

k11 + k2

1k1

2 + k22

...k1n + k2

n

.

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4 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

Die Multiplikation mit Skalaren ist ebenfalls komponentenweise zu verste-hen, also

λ

k1k2...kn

=

λk1λk2...

λkn

.

Es ist einfach nachzuprüfen, dass alle Bedingungen eines Vektorraumes er-füllt sind. Die Menge

10...0

,

01...0

, . . . ,

00...1

ist offensichtlich linear unabhängig und erzeugend, also eine Basis.

2. Wichtiger sind für uns in dieser Vorlesung Funktionenräume, d. h. gegebensei eine Menge Ω, wir betrachten als Vektorraum V alle Funktionen f :Ω → K. Die Addition in V ist punktweise erklärt, nämlich für f1, f2 ∈ Vdurch

(f1 + f2)(ω) = f1(ω) + f2(ω) für alle ω ∈ Ω.Die skalare Multiplikation durch

(λf)(ω) = λf(ω).

Man erkennt unschwer, dass durch die Wahl Ω = 1, 2, . . . , n das ersteBeispiel in dieser Klasse von Beispielen bis auf Isomorphie integriert wird.

3. Aus dem eben gezeigten Beispiel werden durch Zusatzforderungen an dieFunktionen bzw. Einschränkungen an Ω viele wichtige Beispiele gewonnen.Als konkretes Beispiel für diese Konstruktion betrachten wir z. B. den RaumV = C([0, 1];R), d. h. die Menge aller reellwertigen, stetigen Funktionen aufdem Intervall [0, 1]. Für diesen Raum geben wir keine Basis an (warum?).Wir werden sehen, dass andere Konzepte uns erlauben werden, solche Räu-me hinreichend gut zu verstehen.

Wir erinnern an den Begriff der linearen Abbildung zwischen zwei Vektorräu-men und fassen die relevanten Aussagen wieder als Satz zusammen.

Satz 1.1.1.6. Es seien V1, V2 Vektorräume über K und L : V1 → V2 eine K-lineare Abbildung. Dann gilt:

1. kerL ist ein linearer Unterraum von V1.

2. BILD(L) ist ein linearer Unterraum von V2.

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1.1. ALGEBRA UND TOPOLOGIE 5

3. L ist genau dann injektiv, wenn kerL = 0 ist.

4. Ist L injektiv, so gibt es eine lineare Abbildung L# : BILD(L) → V1 mitL# L = 1l|V1

.

5. L# ist injektiv und L L# = 1l|BILD(L).

Beweis. Alle Aussagen sind aus der linearen Algebra bekannt.

Lemma 1.1.1.7. Die Menge der linearen Abbildungen L : V1 → V2 | L ist linearbildet bezüglich der natürlichen Operationen

(L1 + L2)x = L1x+ L2x

(λL)x = λ(Lx)

einen linearen Raum.

Beweis. Bekannt!

Spezielle lineare Abbildungen sind lineare Abbildungen von V in den zu-grundeliegenden Körper K, die nach dem oben stehenden Lemma 1.1.1.7 einenlinearen Raum bilden.

Definition 1.1.1.8. Der lineare Raum f : V → K | f ist linear heißt der al-gebraische Dualraum von V und wird mit V ∗ bezeichnet.

Definition 1.1.1.9. Ist L : V → W linear, so ist die duale Abbildung L∗ :W ∗ → V ∗ definiert durch

(L∗w∗)(v) = w∗(Lv).

1.1.2 Metrische RäumeIn dem zuletzt genannten Beispiel 1.1.1.5 (3) haben wir neben der linearen Struk-tur ein weiteres Konzept, wir kennen nämlich einen Konvergenzbegriff. Was stecktdahinter? Wir betrachten Folgen von Funktionen und können entscheiden, ob die-se Folgen konvergent sind. Diese Konstruktion ist wichtig genug, um erst einmaldie formalen Grundlagen zu diskutieren. Wir definieren erst den Begriff einestopologischen Raumes und sprechen dann über den Spezialfall eines metrischenRaumes. Wir beginnen mit einer Menge X, P(X) sei die Potenzmenge von X,also die Menge aller Teilmengen.

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6 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

Topologische Räume

Definition 1.1.2.1. Eine Teilmenge T ⊂ P(X) heißt Topologie auf X, wennfolgende Bedingungen erfüllt sind

1. ∅ ∈ T;

2. X ∈ T;

3. ist A1, . . . , An eine endliche Teilmenge von T, so ist A1 ∩ · · · ∩ An ∈ T;

4. für eine beliebige Familie F ⊂ T gilt⋃

A∈FA ∈ T.

Das Paar (X,T) nennt man einen topologischen Raum. Die Elemente von Twerden als offene Mengen bezeichnet. Jede offene Menge heißt auch Umgebungvon jedem ihrer Punkte. Allgemeiner nennt man eine Menge K eine Umgebungeines Punktes x ∈ K, wenn es eine offene Umgebung U von x gibt mit x ∈ U ⊂K. Eine Menge C heißt abgeschlossen, falls das Komplement X \ C offen ist.Definition 1.1.2.2. 1. Ein topologischer Raum (X,T) heißt hausdorffsch2,

falls es zu je zwei Punkten x1, x2 ∈ X offene Mengen U1, U2 ∈ T gibt mit

Abbildung 6: Felix Hausdorff (8.11.1868–26.1.1942)

x1 ∈ U1, x2 ∈ U2 und U1 ∩ U2 = ∅ (Trennungseigenschaft).2. Ist A ⊂ X eine Teilmenge eines topologischen Raumes (X,T), so nennt

man die kleinste abgeschlossene Menge, welche A enthält, den Abschlussvon A. Wir schreiben dafür A. In anderen Worten, wir haben

A =⋂

C⊃A,Cist abgeschlossen

C.

2nach Felix Hausdorff (8.11.1868–26.1.1942). Von ihm stammen wesentliche Beiträge zurMengenlehre und Topologie. Er entging einer Deportation im Jahre 1942 nur, indem er zusam-men mit seiner Frau aus dem Leben schied.

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1.1. ALGEBRA UND TOPOLOGIE 7

3. Ist A ⊂ X eine Teilmenge eines topologischen Raumes (X,T), so nenntman die größte darin enthaltene offene Menge das Innere von A, als Symbolschreiben wir

A. Formal sieht dies so aus:

A =

U⊂A,U ist offenU

4. Es sei K ⊂ X eine Teilmenge. Wir definieren eine Relativtopologie auf Kdurch

TK = A ⊂ K | A = K ∩ T, T ∈ T .

5. Ist (X,T) ein topologischer Raum, so nennt man eine Familie F ⊂ T eineÜberdeckung von X, falls

X ⊂⋃

A∈FA.

6. Ein topologischer Hausdorffraum heißt kompakt (überdeckungskompakt),wenn aus jeder Überdeckung F von X eine endliche Teilmenge F1 ⊂ Fausgewählt werden kann, so dass bereits F1 eine Überdeckung von X ist.

7. Eine Folge xnn∈N in einem topologischen Hausdorffraum X heißt konver-gent gegen y ∈ X, wenn jede offene Umgebung von y bis auf endlich vielealle Folgenglieder enthält, wir nennen y den Grenzwert dieser Folge.

8. Ein Raum wird als folgenkompakt bezeichnet, wenn jede Folge eine konver-gente Teilfolge besitzt.

Aufgabe 1.1.2.3. Sei (X,T) ein topologischer Hausdorffraum. Zeigen Sie:

1. Der Grenzwert einer konvergenten Folge ist eindeutig bestimmt.

2. In (X,T) gelten die folgenden Trennungseigenschaften:

TR1 Zu jedem x ∈ X und jeder kompakten Menge C ⊂ X, x /∈ C gibt esoffene Mengen U, V mit x ∈ U,C ⊂ V und U ∩ V = ∅.

TR2 Zu zwei disjunkten kompakten Mengen C1, C2 gibt es offene MengenU1, U2 mit Ci ⊂ Ui, i = 1, 2 und U1 ∩ U2 = ∅.

Lemma 1.1.2.4. Elementare Eigenschaften kompakter Räume sind:

1. Abgeschlossene Teilmengen kompakter Räume sind kompakt.

2. Kompakte Unterräume eines topologischen Hausdorffraumes sind abgeschlos-sen.

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8 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

Beweis. 1. Sei A ⊂ X abgeschlossen, dann ist X \ A offen und jede offeneÜberdeckung von A lässt sich durch Hinzunahme von X \ A auf ganz Xfortsetzen. Die Kompaktheit von X erlaubt eine endliche Teilüberdeckungauszuwählen. Diese überdeckt dann auch A und daran ändert auch die(eventuelle) Wegnahme von X \ A nichts.

2. Sei C ⊂ X kompakt. Sei x0 /∈ C. Dann gibt es (nach [TR1]) offene MengenUx0 mit x0 ∈ Ux0 und V mit C ⊂ V und V ∩ Ux0 = ∅. Dann ist x0 /∈ C,also C ⊂ C.

Aufgabe 1.1.2.5. Man zeige, ein topologischer Raum ist genau dann kompakt,wenn er die endliche Durchschnittseigenschaft (engl.:finite intersection pro-perty) besitzt, d. h. wenn für eine beliebige Familie von abgeschlossenen Mengengilt, dass, falls je endlich viele nichtleeren Schnitt haben, der Schnitt aller Mengennicht leer ist.

Definition 1.1.2.6. Es sei (X,T) ein topologischer Raum, eine Teilmenge Z ⊂X heißt dicht, wenn für jede nichtleere offene Menge U ∈ T gilt, dass

Z ∩ U 6= ∅.

Definition 1.1.2.7. Ein topologischer Raum heißt separabel, falls es eine ab-zählbare dichte Teilmenge Z ⊂ X gibt.

Definition 1.1.2.8. Es sei (X,T) ein topologischer Raum.

1. Eine Teilmenge U ⊂ T heißt Basis der Topologie3, wenn jede offene Teil-menge als Vereinigung von Elementen aus U geschrieben werden kann.

2. Gibt es eine abzählbare Basis für T, so sagt man die Topologie erfülle daszweite Abzählbarkeitsaxiom.

3. Gibt es zu einem Punkt x ∈ X ein abzählbare Familie Unn∈N offenerUmgebungen, so dass jede Umgebung N von x mindestens ein Element Unumfasst, so sagen wir, x habe eine abzählbare Umgebungsbasis.

4. Hat jeder Punkt x ∈ X eine abzählbare Umgebungsbasis, so erfüllt die To-pologie das erste Abzählbarkeitsaxiom.

Aufgabe 1.1.2.9. Ein kompakter Hausdorffraum in dem die Topologie dem ers-ten Abzählbarkeitsaxiom genügt, ist folgenkompakt.

Beispiel 1.1.2.10. Beispiele topologischer Räume sind:3Wir beachten den doppelten Gebrauch des Wortes Basis, einmal als Basis eines linearen

Raumes, dann als Basis der Topologie. Beide Begriffe sind gebräuchlich, eine Vermeidung dieserDoppeldeutigkeit ist fast unmöglich. Aus dem Kontext sollte immer klar werden, welche derbeiden Begriffe gemeint ist.

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1.1. ALGEBRA UND TOPOLOGIE 9

1. (X,P(X)). In dieser Topologie sind (natürlich) auch alle Mengen der Formx offen. Man spricht von der diskreten Topologie. Diese Topologie isthausdorffsch und X ist genau dann kompakt, wenn X endlich ist.

2. (X, ∅, X). Diese Topologie trennt keine Mengen.

3. Bezeichnet man eine Menge U in R als offen, wenn mit jedem Punkt nocheine ε-Umgebung in U liegt, so ist (R,U) ein topologischer Raum, wenn Ufür die Menge aller offenen Mengen steht.

Die ersten beiden Beispiele legen es nahe, zwei Topologien auf der gleichenMenge vergleichen zu wollen.

Definition 1.1.2.11. Seien T1,T2 zwei Topologien auf X. Wir nennen T1 grö-ber als T2, wenn T1 ⊂ T2 ist. Anders ausgedrückt: T1 ist gröber, wenn jedeoffene Menge in der T1-Topologie auch offen in der T2-Topologie ist. Wir sagenin diesem Fall auch, dass T2 feiner als T1 ist.

Im nächsten Satz fassen wir wichtige Eigenschaften topologischer Räume zu-sammen. Ein Beweis der Mehrzahl der Aussagen erfolgt in den Übungen.

Satz 1.1.2.12. Sei (X,T) ein topologischer Hausdorffraum. Dann gelten die fol-genden Aussagen.

1. Ist (X,T1) hausdorffsch und gröber als (X,T2) und ist (X,T2) kompakt, soist T1 = T2.

2. (Satz von Tychonov4) Produkte kompakter Mengen sind kompakt.

Beweis. 1. Sei also (X,T1) hausdorffsch und (X,T2) kompakt und T1 ⊂ T2.Zu zeigen ist T1 = T2. Sei A ∈ T2, dann ist X \A abgeschlossen (bzgl. T2),also kompakt. Dann ist X \ A aber auch kompakt (Warum ist dies sofortklar?) in T1, also abgeschlossen und damit A ∈ T1.

2. Für diese Aussage verweisen wir auf die Literatur [19].

Definition 1.1.2.13. 1. Es seien (X,TX) und (Y,TY ) topologische Räume,eine Abbildung f : X → Y heißt stetig, falls für jede offene Menge V ∈ TYgiltf−1(V ) ∈ TX , oder in Worten: Urbilder offener Mengen sind offen.

2. Eine Abbildung f : X → Y heißt offen, falls Bilder offener Mengen in Xoffen in Y sind.

4Andrej Nikolajewitsch Tychonov (30.10.1906–7.10.1993) studierte und lehrte an der Uni-versität Moskau. Seine Schwerpunkte sind die Topologie und die Funktionalanalysis. In seinenwissenschaftlichen Arbeiten hat er sich aber auch mit Differentialgleichungen und Anwendungender Mathematik beschäftigt.

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10 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

Abbildung 7: Andrej Nikolajewitsch Tychonov (30.10.1906–7.10.1993)

3. Ist f : X → Y bijektiv, so nennt man f einen Homöomorphismus, falls fund f−1 beide stetig sind.

Aufgabe 1.1.2.14. 1. Man zeige, f : X → Y ist genau dann stetig, falls dieUrbilder abgeschlossener Mengen abgeschlossen sind.

2. Ist f bijektiv, stetig und offen, so ist f ein Homöomorphismus.

3. Bilder kompakter Mengen unter stetigen Abbildungen sind kompakt. Giltdie Umkehrung dieser Aussage?

4. f ist genau dann stetig, wenn für jede Teilmenge gilt f(A) ⊂ f(A).

Eine wichtige Konstruktion ist die sogenannte Quotientenbildung. Gegebensei ein topologischer Raum (X,T) und eine Äquivalenzrelation auf X, die wirals x ∼ y schreiben. Mit [x] bezeichnen wir die Äquivalenzklasse und mit X/∼den Quotientenraum oder auch die Menge der Äquivalenzklassen. Es gibt eineAbbildung Π : X → X/∼ : x 7→ [x]. Die Verknüpfung von Äquivalenzrelationenund Topologie wird durch folgende Definition hergestellt.

Definition 1.1.2.15. Eine Äquivalenzrelation heißt abgeschlossen, wenn für je-des x ∈ X die Klasse [x] abgeschlossen ist.

Definition 1.1.2.16. Wir definieren eine Topologie TQ auf X = X/∼ als diefeinste Topologie, so dass Π stetig ist. Diese Topologie wird als Quotiententopo-logie bezeichnet.

Es ist leicht nachzuprüfen, dass (X/∼,TQ) ein topologischer Raum ist.

Satz 1.1.2.17. Sei (X,T) ein topologischer Raum und ∼ eine abgeschlosseneÄquivalenzrelation auf X und Y ein topologischer Raum. Dann ist f : X/∼ → Ygenau dann stetig, wenn f Π stetig ist.

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1.1. ALGEBRA UND TOPOLOGIE 11

Beweis. Klar!

Beispiel 1.1.2.18. Wir betrachten R, x ∼ y ⇐⇒ x− y ∈ Z. Die Quotienten-bildung identifiziert Punkte.

Man beachte, dass die Frage ob Quotiententopologien hausdorffsch sind, fallsder ursprüngliche Raum hausdorffsch ist, nicht leicht zu beantworten ist. Not-wendig dafür ist offensichtlich, dass die Relation abgeschlossen ist. Dies ist aberim allgemeinen nicht hinreichend.

Metrische Räume

Wir wollen nun eine Spezialisierung betrachten und metrische Räume betrachten.

Definition 1.1.2.19. Es sei X eine Menge, eine Abbildung d : X ×X → R+ =x ∈ R

∣∣∣∣ x ≥ 0heißt Metrik, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

M1 d(x, y) = 0 dann und nur dann, wenn x = y.

M2 d(x, y) = d(y, x) für alle x, y ∈ X.

M3 d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) für alle x, y, z ∈ X.

Das Paar (X, d) wird dann als metrischer Raum bezeichnet. Die Eigenschaft (M3)wird als Dreiecksungleichung bezeichnet.

In einem metrischen Raum hat man auf eine natürliche Weise eine Topologie.

Definition 1.1.2.20. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge U ⊂ Xnennen wir metrisch offen, wenn zu jedem Punkt x ∈ U ein positive Zahl ε > 0existiert, so dass die ε-Kugel Bε(x), definiert durch

Bε(x) = y ∈ X | d(x, y) < ε ,

in U enthalten ist.

Lemma 1.1.2.21. Sei (X, d) ein metrischer Raum, dann bildet die Menge dermetrisch offenen Mengen Td eine Topologie auf X. Wir nennen Td auch einemetrische Topologie.

Beweis. Leicht nachzuprüfen!

Satz 1.1.2.22. Ein metrischer Raum ist genau dann kompakt, wenn er folgen-kompakt ist.

Beweis. Da ein metrischer Raum dem ersten Abzählbarkeitsaxiom genügt, ist dieerste Richtung schon in Aufgabe 1.1.2.9 gezeigt. Für die Umkehrung sei auf dieLiteratur (z. B. Werner [31] Satz B.1.7) verwiesen.

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12 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

Man beachte, dass in allgemeinen Hausdorffräumen weder die Kompaktheitdie Folgenkompaktheit impliziert noch umgekehrt die Folgenkompaktheit dieKompaktheit. Ein Gegenbeispiel für die erste Behauptung ist das überabzähl-bare Produkt II (I = [0, 1]). Der Satz von Tychonov 1.1.2.12 gewährleistet dieKompaktheit. Dieser Raum ist nicht folgenkompakt, man betrachte die Folge vonAbbildungen αn : I → I mit αn(x) ist der n-te Term in der Binärdarstellung vonx. Diese Folge hat keine Häufungspunkte, siehe auch Steen & Seebach [29].Ein Gegenbeispiel für die zweite Behauptung ist die „lange Gerade“ [29].Für metrische Topologien gibt es ein weiteres Kriterium für Stetigkeit, das soge-nannte ε− δ-Kriterium:

Lemma 1.1.2.23 (Stetigkeit in metrischen Topologien). Seien (X, dX) und (Y, dY )metrische Räume und f : X → Y eine Abbildung. f ist bezüglich der jeweiligenTopologien TdX bzw. TdY genau dann stetig, wenn zu jedem ε > 0 ein δ > 0existiert, so dass dX(x, y) < δ impliziert, dass dY (f(x), f(y)) < ε.

Beweis. Sei f(x) = y und Bε(y) eine offene Kugel mit Radius ε > 0 um y. Nunist f−1(Bε(y)) nach Definition der Stetigkeit offen, also gibt es ein δ > 0, so dassBδ(x) ⊂ f−1(Bε(y)). Damit ist f(Bδ(x)) ⊂ Bε(y).Für die andere Richtung, sei das ε − δ-Kriterium erfüllt und U ⊂ Y offen. Zuf(x) = y ∈ U . Sei ε > 0 gegeben, so dass Bε(y) ⊂ U und δ > 0 wie im ε − δ-Kriterium. Dann ist Bδ(x) ⊂ f−1(Bε(y)) ⊂ f−1(U).

Bemerkung 1.1.2.24. In einem metrischen Raum (X, d) ist eine Folge xnn∈Nkonvergent, wenn es ein x0 ∈ X und zu jedem ε > 0 eine Zahl N ∈ N gibt mit

n > N ⇒ d(xn, x0) < ε.

Definition 1.1.2.25. 1. Eine Folge xnn∈N heißt Cauchy-Folge5, wenn eszu jedem ε > 0 eine Zahl N ∈ N gibt, so dass

n, k > N ⇒ d(xn, xk) < ε.

2. Schließlich heißt der metrische Raum vollständig, wenn jede Cauchy-Folgekonvergent ist.

3. Mit C(X) werde die Menge aller Cauchy-Folgen auf (X, d) bezeichnet.5Augustin-Louis Cauchy (21.8.1789–22.5.1857) war Sohn eines hohen Beamten und genoss

demzufolge eine gute Privatausbildung. Nach einem ingenieurwissenschaftlichen Studium eig-nete er sich nebenbei Werke von Lagrange an. Im Jahr 1811 löste er ein Problem, das Lagran-ge formuliert hatte. Er arbeitete über Integrale, Strömungsmechanik und Elastizitätstheorie.Speziell die Arbeiten zum letztgenannten Bereich machten ihn zu einem der bekanntesten Ma-thematiker seiner Zeit. Im Weiteren arbeitete er auf vielen Gebieten, sein Hauptarbeitsgebietwurde die Analysis mit der Theorie von Differentialgleichungen. Nach Gauß begann er mitkomplexen Zahlen und der zugehörigen Analysis zu arbeiten. Cauchy war extrem produktivund dies sehen wir noch heute an vielen Konzepten, die seinen Namen tragen.

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1.1. ALGEBRA UND TOPOLOGIE 13

Abbildung 8: Augustin-Louis Cauchy (21.8.1789–22.5.1857)

Eine wichtige Konstruktion ordnet jedem metrischen Raum X einen metri-schen Raum X zu, der zwei wesentliche Eigenschaften hat: X ist erstens vollstän-dig und zweitens kann man X als dichten Teilraum von X auffassen.

Definition 1.1.2.26. Sei (X, d) ein metrischer Raum, Ci = xi1, xi2, . . . , xin, . . . seien für i = 1, 2 zwei Cauchyfolgen. Wir nennen diese äquivalent, wenn

limn→∞ d(x1

n, x2n) = 0

ist. Wir schreiben dafür C1 ∼ C2.

Satz 1.1.2.27 (Vervollständigung von metrischen Räumen). Die Relation ∼ isteine Äquivalenzrelation auf C(X). Sei X = C(X)/∼ und [C] die Äquivalenzklasseder Cauchy-Folge C, dann definiert (mit Ci = (xi1, xi2, . . . ), i = 1, 2)

d([C1], [C2]) = limn→∞ d(x1

n, x2n)

eine Metrik auf dem Raum X, welche diesen zum vollständigen, metrischen Raummacht (falls (X, d) vollständig ist, gilt X = X vergl. unten). Die Abbildung

i : X → X : x 7→ [(x, x, x, . . . , x, . . . )]

von X nach X ist injektiv und isometrisch6, d. h. eine Einbettung von X in X.Das Bild von X unter dieser Abbildung liegt dicht in X.

Beweis. Die wesentlichen Schritte im Beweis sind:

1. Der Grenzwert limn→∞ d(x1n, x

2n) existiert.

2. d ist wohldefiniert, d. h. die Wahl anderer Folgen in der gleichen Klasseführt zum gleichen Ergebnis.

3. d ist eine Metrik auf C(X)/∼.

4. Der Raum (X, d) ist vollständig.6Eine Abbildung f zwischen zwei metrischen Räumen (X, dX), (Y, dY ) heißt isometrisch,

falls für alle x, y ∈ X gilt dY (f(x), f(y)) = dX(x, y) gilt.

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14 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

5. Die angegebene Abbildung ist injektiv und isometrisch.

6. i(X) liegt dicht in X.

Wir beginnen mit der Existenz des Grenzwertes. Dazu zeigen wir, dass die Folged(x1

n, x2n)n∈N eine reelle Cauchy-Folge ist, aus der Vollständigkeit von R folgt

dann die Existenz des Grenzwertes. Sei ε > 0 gegeben, dann existieren für j = 1, 2Zahlen Nj ∈ N mit

n,m > Nj ⇒ d(xjn, xjm) < ε

2 .

Sei n,m > maxN1, N2, dann ist für j = 1, 2 d(xjn, xjm) < ε2 . Dann gilt aufgrund

der Dreiecksungleichung

d(x1n, x

2n) ≤ d(x1

n, x1m) + d(x1

m, x2m) + d(x2

m, x2n) ≤ d(x1

m, x2m) + ε

d(x1m, x

2m) ≤ d(x1

m, x1n) + d(x1

n, x2n) + d(x2

n, x2m) ≤ d(x1

n, x2n) + ε.

Damit ist|d(x1

n, x2n)− d(x1

m, x2m)| < ε.

Also ist die oben angegebene reelle Folge eine Cauchyfolge und damit konvergent.Als Zweites zeigen wir die Wohldefiniertheit. Seien [C], [D] zwei Klassen und C1,2,D1,2 jeweils zwei Repräsentanten dieser Klassen, also

Ci = xinn∈N, Di = yinn∈N, i = 1, 2.

Dann istd(x2

n, y2n) ≤ d(x2

n, x1n) + d(x1

n, y1n) + d(y1

n, y2n)

undd(x1

n, y1n) ≤ d(x1

n, x2n) + d(x2

n, y2n) + d(y2

n, y1n).

Ist ε > 0 vorgegeben, so existieren N1, N2 ∈ N mit

n > N1 ⇒ d(x1n, x

2n) < ε

2 , n > N2 ⇒ d(y1n, y

2n) < ε

2 .

Also ist für n > maxN1, N2

d(x1n, y

1n)− ε < d(x2

n, y2n) < d(x1

n, y1n) + ε.

Damit ist die zweite Behauptung gezeigt.Als Nächstes muss gezeigt werden, dass d eine Metrik auf X ist. Dabei sind alleBehauptungen außer der Dreiecksungleichung vollständig klar, diese folgt auseiner einfachen Überlegung: Da wir die Wohldefiniertheit bereits gezeigt haben,reicht es die Dreiecksungleichung für drei Repräsentanten zu beweisen. Seien alsoCi = xijj∈N drei Cauchyfolgen, so gilt für alle j ∈ N

d(x1j , x

3j) ≤ d(x1

j , x2j) + d(x2

j , x3j)

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1.1. ALGEBRA UND TOPOLOGIE 15

und die Ungleichung überträgt sich auf die Grenzwerte.Die Vollständigkeit ergibt sich auf folgende Weise: Sei [Cn]n∈N eine Folge in X,die bezüglich d eine Cauchyfolge ist. Sei Cn der jeweilige Repräsentant von [Cn].Zu Cn = xnj j∈N existiert ein Index k(n), so dass für l,m ≥ k(n) gilt

d(xnm, xnl ) ≤ 1n.

OBdA wählen wir die k(n) als streng monoton steigend in n. Setze

yn = xnk(n).

Zu zeigen ist, D = yjj∈N ist eine Cauchyfolge und

limn→∞ d([Cn], [D]) = 0.

Wir beginnen damit, zu zeigen, dass die Folge D eine Cauchyfolge ist. Sei ε > 0gegeben, dann existiert ein N ∈ N mit

m,n > N ⇒ d([Cm], [Cn]) < ε

4 . (1.1.2.1)

Dann ist für m > j > maxN, 4ε r hinreichend groß

d(yj, ym) = d(xjk(j), xmk(m))

≤ d(xjk(j), xjk(m)) + d(xjk(m), x

mk(m))

≤ 1j

+ d(xjk(m), xjr) + d(xjr, xmr ) + d(xmr , xmk(m))

4 + ε

4 + ε

4 + ε

4= ε.

Im nächsten Schritt ist zu zeigen, dass d([D], [Cn])→ 0 für i→∞.Damit muss gezeigt werden, dass

limn→∞ lim

j→∞d(yj, xnj ) = 0.

Wir verwenden, dass [Cn]n∈N eine Cauchy-Folge ist, d. h. zu jedem ε > 0 exis-tiert ein N ∈ N mit n,m > N impliziert, es gibt ein S ∈ N, so dass für s > Sgilt

d(xns , xms ) < ε

3 .

Sei nun n > N , wir müssen zeigen, dass d([Cn], [D]) < ε abgeschätzt werden kann.Dazu müssen wir zeigen d(yj, xnj ) < ε, wobei D = yjj∈N und Cn = xnj j∈N.

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16 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

Dann gilt für n > N , j > k(n) und s > S ≥ k(j) > j > k(n) > n > 3ε

d(yj, xnj ) = d(xjk(j), xnj )

≤ d(xjk(j), xjs) + d(xjs, xns ) + d(xns , xnj )

≤ 1j

+ ε

3 + 1n

< ε.

Daraus folgt die Behauptung sofort. Für die Abbildung i hat man (offenkundig)für alle x, y ∈ X

d(i(x), i(y)) = d(x, y).

Also ist i eine Isometrie. Daraus folgt, dass i injektiv ist. Bleibt noch zu zeigen,dass i(X) dicht in X liegt. Sei C = xnn∈N eine Cauchy-Folge in X und [C] daszugehörige Element in X. Dann konvergiert i(xn)n∈N gegen [C] bzgl. d.

Beispiel 1.1.2.28. 1. Mit d(x, y) = |x − y| wird (K, d), zum metrischenRaum. Die Vervollständigung von (Q, d) ist R und die von (Q + iQ, d)ist C.

2. (Kn, d) wird mit d(x, y) = maxi=1,...,n |xi − yi| zum metrischen Raum.

3. Ist (X,T) ein topologischer Raum, so definiert man eine Topologie T × Tauf X ×X, indem man eine Basis B für die Topologie angibt:

B = U1 × U2 | U1, U2 ∈ T .

Ist T eine metrische Topologie mit Metrik d, so ist auch T × T metrisch.Die zugehörige Metrik ist nicht eindeutig, eine Wahl dafür ist

dX×X((x1, y1), (x2, y2)) = d(x1, x2) + d(y1, y2).

4. Entsprechend definiert man auch eine Topologie auf X × Y , wenn (X,TX)und (Y,TY ) topologische Räume sind. Sind beide Topologien metrisch, soist auch die Topologie auf X × Y metrisch.

Aufgabe 1.1.2.29. Man gebe eine andere Metrik auf X×X an, die zur gleichenTopologie führt!

1.1.3 Der Bairesche KategoriensatzIn diesem Abschnitt begegnen wir einer Eigenschaft vollständiger metrischer Räu-me, die sich als Grundlage fundamentaler Prinzipien der Funktionalanalysis er-weist. Diese werden wir im Abschnitt 2.4 ausführlich studieren.

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1.1. ALGEBRA UND TOPOLOGIE 17

Satz 1.1.3.1. Sei (X, d) ein vollständiger metrischer Raum, X 6= ∅, Akk∈Nsei eine abzählbare Familie abgeschlossener Teilmengen von X. Ist

X =⋃

k∈NAk,

so gibt es ein k0 ∈ N, so dass das Innere von Ak0 nichtleer ist.

Beweis. Wir nehmen an, dass für alle k ∈ N giltAk = ∅.

Dann ist für jede offene Menge ∅ 6= U ⊂ X und jedes k ∈ N die Menge

U \ Ak

offen und nichtleer. Insbesondere gibt es zu x ∈ U \ Ak und ε ≤ 1keine offene

Kugel Bε(x) mitBε(x) ⊂ U \ Ak.

Wir konstruieren nun eine Folge von Punkten xk und Kugeln Bεk(xk) mit

Bεk(xk) ⊂ Bεk−1(xk−1)

und εk ≤ 1k. Sei U offen wie zuvor. Wähle ε1 ≤ 1 und x1 ∈ U \ A1, so dass

Bε1(x1) ⊂ U \A1. Angenommen xk, Bεk sei gewählt. Wähle xk+1 ∈ Bεk(xk)\Ak+1und εk+1 <

1k+1 , so dass

Bεk+1(xk+1) ⊂ Bεk(xk) \ Ak+1.

Dies ist nach der Vorbemerkung möglich und induktiv wird eine Folge mit dengewünschten Eigenschaften bestimmt.

Dann ist die Folge xkk∈N eine Cauchyfolge und damit konvergent, also existiert

x = limk→∞

xk ∈ X.

Für jedes k ist x ∈ Bεk(xk) und da Bεk(xk)∩Ak = ∅ ist x /∈ Ak. Insbesondere ist

x /∈⋃

k∈NAk = X.

Dieser Widerspruch beweist die Behauptung.

Oft wird der Satz anders formuliert. Zunächst ein paar Definitionen.

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18 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

Abbildung 9: René Louis Baire (21.1.1874–5.7.1932)

Definition 1.1.3.2. Eine Teilmenge A eines vollständigen metrischen Raumesist nirgends dicht, wenn das Innere

A von A leer ist.

Definition 1.1.3.3. Eine Teilmenge eines vollständigen metrischen Raum heißtvon erster Kategorie, wenn sie abzählbare Vereinigung von nirgends dichten Men-gen ist, andernfalls von zweiter Kategorie.

Nun besagt der Bairesche Kategoriensatz7, dass ein vollständiger metrischerRaum von zweiter Kategorie ist und dies ist offensichtlich gleichwertig zu Satz1.1.3.1.

1.1.4 Topologische GruppenIn diesem kurzen Abschnitt wollen wir ein erstes Beispiel von einer Verbindungeiner algebraischen und einer topologischen Struktur sehen und zwar im einfachstmöglichen Fall. Auch diese Theorie ist äußerst umfangreich. Wir betrachten nurdie Anfangsgründe um zu zeigen, wie die verschiedenen Strukturen zusammen-wirken und nichttriviale Ergebnisse liefern.

7René Louis Baire (21.1.1874–5.7.1932) promovierte 1899 und hatte ab 1905 eine Professuran Université de Dijon. Nach 1914 war er wegen Krankheit beurlaubt. Er untersucht vor allemFragen der reellen Analysis. Er widmete sich den Fragen die aus Mengenlehre, Topologie undreeller Analysis erwachsen. Dabei machte der Inhalt seiner Untersuchungen eine gründlicheAuseinandersetzung mit den grundlegenden Konstruktionen der Mengenlehre notwendig.

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1.1. ALGEBRA UND TOPOLOGIE 19

Definition 1.1.4.1. Gegeben sei eine Gruppe (G, ·), die gleichzeitig eine Topo-logie T trägt. Das Tripel (G, ·,T) wird als topologische Gruppe bezeichnet, wenndie Abbildungen

· : G×G→ G : (g, h) 7→ g · hi : G→ G : g 7→ g−1

beide stetig sind.

Definition 1.1.4.2. Zwei topologische Gruppen heißen isomorph, wenn es einenGruppenisomorphismus der beiden Gruppen gibt, der auch ein Homöomorphismusist.

Beispiel 1.1.4.3. Beispiele für topologische Gruppen sind:

1. (R,+), (R+, ·), jeweils mit der üblichen Topologie versehen. Die beidentopologischen Gruppen sind isomorph.

2. (Q,+) mit der Unterraumtopologie von R ist eine topologische Gruppe.Diese Gruppe ist total unzusammenhängend.

3. Die Gruppe (GL(n), ) mit der Unterraumtopologie von Rn2 ist eine topo-logische Gruppe.

4. Untergruppen dieser Gruppe (wie z. B. SO(n) etc.) sind mit der Unter-raumtopologie von R2n topologische Gruppen.

Satz 1.1.4.4. In einer topologischen Gruppe sind offene Untergruppen auch ab-geschlossen.

Beweis. Sei U eine offene Untergruppe einer topologischen Gruppe G. Wegen derStetigkeit der Verknüpfung sind alle Nebenklassen xU offen, denn für x ∈ G istdie Abbildung µx : G → G : y 7→ xy stetig und xU = µ−1

x−1(U). Damit ist dieVereinigung aller Nebenklassen

x∈G\U(xU)

offen und U als Komplement dieser Menge ist abgeschlossen.

Aufgabe 1.1.4.5. zeigen Sie, dass in einer topologischen Gruppe G die Zusam-menhangskomponente des neutralen Elementes ein Normalteiler ist. Dabei heißteine Untergruppe U Normalteiler, wenn die Rechtsnebenklassen xU auch Links-nebenklassen sind, oder anders ausgedrückt, wenn für alle x ∈ G gilt xUx−1 ⊂ U .

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20 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

1.2 Lineare metrische Strukturen1.2.1 Lineare metrische Räume und VervollständigungIn der Funktionalanalysis studiert man systematisch die Auswirkungen des Zu-sammentreffens von linearen und topologischen Strukturen. Wir beginnen miteiner sehr allgemeinen Definition, werden uns aber schnell auf wesentlich speziel-lere Situationen zurückziehen.

Definition 1.2.1.1. Ein topologischer Vektorraum (V,+,T) ist ein linearer Raum,der gleichzeitig die Struktur eines topologischen Raumes trägt, so dass die Addi-tion eine stetige Abbildung V × V → V ist und die skalare Multiplikation einestetige Abbildung K×V → V ist, wobei K und V ×V jeweils die dafür in Beispiel1.1.2.28 definierte Topologie tragen. Ist T eine metrische Topologie, so sprechenwir von einem linearen metrischen Raum.

Beispiel 1.2.1.2. 1. Das erste Beispiel eines metrischen linearen Raumes istder Raum Kn für ein n ∈ N0.

2. Wir kommen zum ersten nichttrivialen Beispiel, es sei Ω ⊂ Kn eine kompak-te Teilmenge, diese Menge trägt die Relativtopologie von Kn und bezüglichdieser betrachten wir

C(Ω;R) = f : Ω→ R | f ist stetig .

Wie bereits bemerkt ist dies ein linearer Raum, wir wollen nun eine Metrikauf diesem Raum definieren:

d(f, g) = maxx∈Ω|f(x)− g(x)|.

Offenkundig definiert dies eine Metrik, die Addition von Funktionen undMultiplikation mit Skalaren stetig macht. Dieser Raum ist bezüglich dieserMetrik vollständig. Dies folgt aus dem Satz: Der Grenzwert einer gleich-mäßig konvergenten Folge stetiger Funktionen ist stetig.

3. Auf dem (auf gleiche Weise konstruierten) Raum C([0, 1];R) definieren wireine zweite Metrik durch

d1(f, g) =1∫

0

|f(x)− g(x)|dx.

Wir prüfen die Eigenschaften einer Metrik nach:

M1 Ist d1(f, g) = 0, so ist1∫0|f(x)− g(x)|dx = 0. Da der Integrand stetig

und nichtnegativ ist, folgt, dass der Integrand identisch verschwindet.

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1.2. LINEARE METRISCHE STRUKTUREN 21

M2 Ist klar.M3 Die Dreiecksungleichung ist einfach, sie gilt punktweise und dies wird

einfach aufintegriert.

In diesem Beispiel ist der Raum (C([0, 1];R), d1) nicht vollständig. Wiesieht man dies? Wir betrachten die Folge von Funktionen

f1(x) = 1− 2x,

f2(x) =

1 für 0 ≤ x ≤ 14

2− 4x für 14 ≤ x ≤ 3

4

−1 für 34 ≤ x ≤ 1

.

Diese Funktion ist offenkundig stetig, allgemein setzen wir

fn(x) =

1 für 0 ≤ x ≤ 12 −

12n

n− 2nx für n− 12n ≤ x ≤ n+ 1

2n

−1 für n+ 12n ≤ x ≤ 1

.

Diese Funktionen sind stetig, die Funktionenfolge ist bezüglich d1 eineCauchy-Folge, denn für m ≥ n kann man d1(fn, fm) abschätzen, man hatzunächst

1 ≥ |fm(x)| ≥ |fm(x)− fn(x)| ≥ 0

und da |fm(x)− fn(x)| = 0, falls |x− 12 | > 1

n, ist das Integral

1∫

0

|fm(x)− fn(x)|dx < 1 · 2n

= 2n.

Ist dann ε > 0 gegeben und wählt man m ≥ n > 2ε, so ist

d1(fn, fm) ≤ ε,

also ist fnn∈N eine Cauchy-Folge.

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22 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

Um zu zeigen, dass diese Folge nicht konvergent ist, betrachten wir denpunktweisen Limes und erhalten die Funktion

g0(x) =

1 für 0 ≤ x < 12

−1 für 12 < x ≤ 1 .

Natürlich gibt dies von vorneherein keine Auskunft über das Konvergenz-verhalten der Folge fnn∈N bezüglich der Metrik d1, aber vielleicht gibt eszumindest einen Anhaltspunkt. Wir müssen nur zeigen, dass es keine steti-ge Funktion gibt, die bezüglich der Metrik d1 Grenzwert der angegebenenFolge ist. Nun, angenommen g sei stetig und es gelte

limn→∞ d1(g, fn) = 0.

Behauptung: Dann ist g(x) > 12 auf dem Intervall [0, 1

2) und g(x) < − 12

auf (12 , 1]. Dies ergibt dann einen offensichtlichen Widerspruch.

Um die aufgestellte Behauptung zu zeigen, nehmen wir an, dass es ein0 ≤ x0 <

12 gibt mit

g(x0) ≤ 12 .

Aufgrund der Stetigkeit gibt es dann ein abgeschlossenes Intervall I ⊂ [0, 12)

der Länge δ > 0 mit g(x) < 34 auf I. Dann gibt es ein N ∈ N, so dass n > N

impliziert fn(x) = 1 für x ∈ I. Dann ist aber

d1(g, fn) ≥ δmin |fn(x)− g(x)| | x ∈ I ≥ δ

4 .

Dies widerspricht aber der Annahme limn→∞ d1(g, fn) = 0. Analog beweistman den anderen Teil der Behauptung.

Nun kommen wir zum ersten wichtigen Prinzip der Funktionalanalysis. Wirwollen zeigen, dass die Vervollständigung für metrische Räume auch metrischelineare Räume zu vollständigen metrischen linearen Räumen macht.

Satz 1.2.1.3. Es sei (V, d) ein metrischer linearer Raum. Dann gibt es einenvollständigen metrischen linearen Raum (W, d) und eine injektive stetige lineareAbbildung T : V → W , so dass

dW (Tv, Tw) = dV (v, w)

für alle v, w ∈ V . Der Raum T (V ) ist ein linearer Unterraum, der dicht in Wliegt.

Beweis. Ist V vollständig, so ist nichts zu zeigen. Im anderen Fall betrachten wirden Raum

W = V ,

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1.2. LINEARE METRISCHE STRUKTUREN 23

d. h. den vervollständigten Raum aus Satz 1.1.2.27. Wir müssen nur noch zeigen,dass dies ein linearer Raum ist und dass die Einbettungsabbildung auch linearist. Dazu müssen wir nur zeigen, dass der Raum der Cauchyfolgen auf geeigneteWeise zum linearen Raum wird und dass die Quotientenbildung diese lineareStruktur erhält. Sind Ci = xinn∈N für i = 1, 2 zwei Cauchyfolgen, so setzen wir

C1 + C2 = x1n + x2

nn∈N.

Dann ist C1 +C2 eine Cauchyfolge bzgl. der Metrik d. Gleiches gilt für λC. SindCi, Di für i = 1, 2 äquivalent, so ist

[C1 + C2] = [D1 +D2] und entsprechend [λC1] = [λD1].

Elementare Rechenregeln der Analysis für Grenzwerte zeigen die Stetigkeit vonAddition und Multiplikation bezüglich d. Also ist (W, d) ein vollständiger linearermetrischer Raum.

Damit stellt sich nun die Frage, was ist (C([0, 1];R), d1)? Können wir diesenRaum als (vielleicht sogar uns bekannten)Funktionenraum interpretieren? Glei-chermaßen können wir fragen, was ergibt sich, wenn wir den Raum der Polynomeüber einem reellen Raum bezüglich der metrischen Topologie der gleichmäßigenKonvergenz vervollständigen oder wenn wir statt der Polynome trigonometrischePolynome hernehmen. Interessant ist auch die Vervollständigung des Raumes derTreppenfunktionen bezüglich der Topologie der gleichmäßigen Konvergenz.Ein weiteres wichtiges Beispiel eines metrischen linearen Raumes sind Funktio-nen, die mehrfach differenzierbar sind mit einer geeigneten Metrik.

Beispiel 1.2.1.4. 1. Es sei Ω ⊂ Kn ein beschränktes Gebiet, d. h. Ω ist kom-pakt. Wir betrachten alle k-mal stetig differenzierbaren Funktionen nachR oder C, die, samt allen Ableitungen der Ordnungen höchstens k, stetigauf Ω fortsetzbar sind. Dieser Raum werde mit Ck(Ω;R) bzw. Ck(Ω;C)bezeichnet. Dies ist mit den üblichen Operationen ein linearer Raum. Wirdefinieren eine Metrik dk durch

dk(f, g) = max|α|≤k|Dαf(x)−Dαg(x)|,

wobei α = (α1, . . . , αn) ein Multiindex ist mit |α| = ∑ni=1 αi. Mit dieser

Metrik wird der zugrunde liegende Raum zum vollständigen metrischenRaum. Wie wir sehen werden, kann man hier sogar eine stärkere Strukturfinden, nämlich die eines Banachraumes. Dies ist im nächsten Beispiel nichtder Fall.

2. Es sei Ω ⊂ Kn wie eben. Wir betrachten alle unendlich oft stetig diffe-renzierbaren Funktionen nach R oder C, die, samt allen Ableitungen stetig

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24 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

auf Ω fortsetzbar sind. Dieser Raum werde mit C∞(Ω;K) bezeichnet. Dieserist natürlich mit den üblichen Operationen auch ein linearer Raum. Es seiKjj∈N eine Familie von offenen Mengen, mit Kj ist kompakt, Kj ⊂ Kj+1für j ∈ N und

∞⋃

j=1Kj = Ω.

Setze für f, g ∈ C∞(Ω;K), und für k ∈ N

pk(f, g) = sup|Dαf(x)−Dαg(x)|

∣∣∣∣ |α| ≤ k und x ∈ Kk

.

SetzedC∞(Ω;K)(f, g) =

∞∑

k=1

12k

pk(f, g)1 + pk(f, g) . (1.2.1.2)

Dies macht den Raum zum metrischen linearen Raum. Eine Anwendungdieser wichtigen Konstruktion ist ein allgemeiner Satz zur stetigen Abhän-gigkeit der Lösung eines Anfangswertproblems von der rechten Seite, siehez. B. [21].

3. Der Träger einer Funktion f ist gegeben durch

supp f =x ∈ Ω

∣∣∣∣ f(x) 6= 0.

Damit führen wir folgende Bezeichnung ein

C∞0 (Ω;K) =f ∈ C∞(Ω;K)

∣∣∣∣ supp f ist kompakt.

Wir nennen dies den Raum der glatten Funktionen mit kompaktem Träger.Er spielt an vielen Stellen eine wichtige Rolle. Eine Metrik für diesen Raumerhält man aus Gleichung (1.2.1.2).

Als Quelle für weitere Beispiele dienen eine Reihe von Folgenräumen.

Beispiel 1.2.1.5. 1. Als Erstes wollen wir beschränkte Folgen, d. h. Funktio-nen von N→ K, ansehen und setzen

`∞ = x : N→ K | x ist beschränkt .

`∞ ist ein linearer Raum, durch

d`∞(x1,x2) = supn∈N|x1n − x2

n|

definieren wir eine Metrik, die diesen Raum zum vollständigen metrischen,linearen Raum macht.

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1.2. LINEARE METRISCHE STRUKTUREN 25

2. Unser zweites Beispiel wird uns noch oft begegnen: Setze

`1 =

x : N→ K

∣∣∣∣∞∑

n=1|xn| <∞

.

Dies ist ein linearer Raum, eine Metrik erhält man leicht:

d`1(x1,x2) =∞∑

j=1|x1j − x2

j |.

Um nachzuprüfen, dass es sich um einen linearen Raum handelt, reicht esbekannte Sätze aus Analysis heranzuziehen. Die Eigenschaften einer Normsind klar, die Dreiecksungleichung folgt auch wieder direkt aus den Sätzender Analysis. Um die Vollständigkeit dieses Raumes zu zeigen, stellen wireine kleine Überlegung an. Sei xnn∈N eine Cauchyfolge. Zunächst folgtsofort, dass xnj n∈N für jedes j eine Cauchyfolge in K ist, also dass dieseFolge konvergent ist und damit eine Grenzfolge x = xjj∈N existiert mitxj = limn→∞ xnj . Von dieser muss nur noch gezeigt werden, dass sie auch in`1 liegt. Sei m ∈ N fest und ε > 0 gegeben, so gilt (für hinreichend großesn)

m∑

j=1|xj| =

m∑

j=1|xj − xnj + xnj | ≤

m∑

j=1|xj − xnj |+

m∑

j=1|xnj | ≤ ε+ sup

n∈N‖xn‖`1

ist unabhängig vonm beschränkt. Die Folge dieser Teilsummen ist monotonwachsend, also konvergent und x ∈ `1. Außerdem gilt xn → x (vgl. denBeweis zu Satz 3.1.2.5) .

1.2.2 Stetige Lineare AbbildungenWir beginnen mit metrischen linearen Räumen (V, dV ), (W,dW ). Wir wissen be-reits, was es bedeutet, dass eine Abbildung linear ist. Hier wollen wir noch zu-sätzlich die Stetigkeit hinzunehmen.

Definition 1.2.2.1. 1. Es seien (V, dV ) und (W,dW ) metrische lineare Räu-me und L : V → W eine lineare Abbildung. Ist L zusätzlich stetig, sosprechen wir von einer stetigen linearen Abbildung.

2. Ist L ein linearer Isomorphismus und ein Homöomorphismus, so nennenwir L einen toplinearen Isomorphismus.

Lemma 1.2.2.2. Es seien (V, dV ), (W,dW ) metrische lineare Räume, L : V →W eine stetige lineare Abbildung.

1. Der Kern von L ist abgeschlossen.

Page 26: Kapitel 1 Grundlagen - uni-hamburg.de...2 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN 1.Ein Element x 2 V heiÿt Linearkombination der Familie von Vektoren fx g 2 A, wobei A eine beliebige Indexmenge ist,

26 KAPITEL 1. GRUNDLAGEN

2. Das Bild von L ist ein metrischer linearer Raum.

Beweis. Die erste Aussage folgt daraus, dass 0 ⊂ W abgeschlossen ist und dasUrbild abgeschlossener Mengen unter stetigen Abbildungen abgeschlossen ist.Der zweite Punkt ist trivial, die Einschränkung von dW auf das Bild von L machtdies zum metrischen linearen Raum.

Oft will man die Menge der stetigen linearen Abbildungen V → W , die jaeinen linearen Raum bildet, selbst mit einer Topologie versehen. Wir stellen diesnoch ein wenig zurück und beschränken uns dabei auf die Fälle normierter Räume,die wir im nächsten Kapitel einführen wollen.