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Kapitel ID: Der Begriff "Europa" und die europäische Einigungspolitik 3.1 Historisch-kulturelle Herleitung des Begriffs Die Schwierigkeiten einer Begriffsbestimmung beginnen bei dem Ver- such der ethnischen und geographischen Umschreibung von Europa. Die mei- sten seiner Menschen stammen ihrer Herkunft nach aus dem Bereich der ger- manisch-romanischen und slawischen Völker, die alle der indoeuropäischen Völkerfamilie angehören. Jedoch schwanken die geographischen Umrisse der Europa-Zugehörigkeit: Kleinasien und vor der Islamisierung Syrien gehörten zu Europa, dagegen Spanien in seiner arabischen Zeit und Skandinavien vor der späteren Christianisierung nicht. Andererseits rechnete man teilweise die Väter der abendländisch-christlichen Philosophie und Theologie - Augustinus (Bischof von Hippo in Nordafrika), Tertullian (aus Karthago), Origines (aus Alexandrlen) sowie die drei großen Kappadokier Basilius d.Gr., Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz - dem europäischen Kulturkreis zu. Das frühe Mittelalter bis zur karolingischen Großreichbildung gehört noch zur Vorphase Europas. Europa entstand aus dem Auseinanderbrechen des Rö- mischen Reiches, aus dem allmählichen Auseinanderleben der griechischen und römischen Kirche (Schisma 1054), der germanischen Völkerwanderung und der Auflösung des weströmischen Reiches, der Abschließung der Südkü- ste des Mittelmeeres durch die muslimischen Araber, deren Vorstoß nach Spa- nien und dessen Abfimgen durch Karl Martell. Das Reich Karls d.Gr. umfaßte das damalige Europa. Die fränkischen Nachfolgestaaten konnten diese Einheit nicht aufrecht erhalten. Europa als Einheit der germanisch-romanischen Völker wurde zum ersten Male - nach Ranke - empfunden anläßlich des Vordrlngens der Türken auf Wien um 1500. Auf sich allein gestellt, erlag es dem Ansturm der Türken. Durch den Fall Konstantinopels 1483 wurde Europa seines ältesten geistigen Zentrums, der wissenschaftlichen Schulen von Byzanz, beraubt. Sie hatten bis dahin die lebendige Brücke zur griechischen Überlieferung gebildet. Damit ging ein europäischer Kulturkreis verloren. Schon zwei Jahrhunderte vorher 53 W. W. Mickel, Lernfeld Europa © Leske + Budrich, Opladen 1993

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Kapitel ID: Der Begriff "Europa" und die europäische Einigungspolitik

3.1 Historisch-kulturelle Herleitung des Begriffs

Die Schwierigkeiten einer Begriffsbestimmung beginnen bei dem Ver­such der ethnischen und geographischen Umschreibung von Europa. Die mei­sten seiner Menschen stammen ihrer Herkunft nach aus dem Bereich der ger­manisch-romanischen und slawischen Völker, die alle der indoeuropäischen Völkerfamilie angehören. Jedoch schwanken die geographischen Umrisse der Europa-Zugehörigkeit: Kleinasien und vor der Islamisierung Syrien gehörten zu Europa, dagegen Spanien in seiner arabischen Zeit und Skandinavien vor der späteren Christianisierung nicht. Andererseits rechnete man teilweise die Väter der abendländisch-christlichen Philosophie und Theologie - Augustinus (Bischof von Hippo in Nordafrika), Tertullian (aus Karthago), Origines (aus Alexandrlen) sowie die drei großen Kappadokier Basilius d.Gr., Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz - dem europäischen Kulturkreis zu.

Das frühe Mittelalter bis zur karolingischen Großreichbildung gehört noch zur Vorphase Europas. Europa entstand aus dem Auseinanderbrechen des Rö­mischen Reiches, aus dem allmählichen Auseinanderleben der griechischen und römischen Kirche (Schisma 1054), der germanischen Völkerwanderung und der Auflösung des weströmischen Reiches, der Abschließung der Südkü­ste des Mittelmeeres durch die muslimischen Araber, deren Vorstoß nach Spa­nien und dessen Abfimgen durch Karl Martell. Das Reich Karls d.Gr. umfaßte das damalige Europa.

Die fränkischen Nachfolgestaaten konnten diese Einheit nicht aufrecht erhalten.

Europa als Einheit der germanisch-romanischen Völker wurde zum ersten Male - nach Ranke - empfunden anläßlich des Vordrlngens der Türken auf Wien um 1500. Auf sich allein gestellt, erlag es dem Ansturm der Türken. Durch den Fall Konstantinopels 1483 wurde Europa seines ältesten geistigen Zentrums, der wissenschaftlichen Schulen von Byzanz, beraubt. Sie hatten bis dahin die lebendige Brücke zur griechischen Überlieferung gebildet. Damit ging ein europäischer Kulturkreis verloren. Schon zwei Jahrhunderte vorher

53 W. W. Mickel, Lernfeld Europa© Leske + Budrich, Opladen 1993

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war Rußland, von Byzanz aus christianisiert und kulturell geprägt, dem Mon­golensturm erlegen und blieb vom europäischen Mittelalter ausgeschlossen.

Westeuropa und ein Teil von Osteuropa haben seit der Zeit des frühen Mittelalters in einer bewußten oder unbewußten Weise als eine Einheit gelebt, die zwar anders als die heutige strukturiert war, die aber gegenüber der byzan­tinischen, ostslawischen und islamischen Welt deutlich zutage trat. Griechi­sches Rechts- und Staatsdenken sowie die universale Katholische Kirche wa­ren die einenden Bande, zu denen zeitweise die politische Einheit in Gestalt des König- und Kaisertums hinzukam.

Die während des Mittelalters bestehende Einheit der christlichen Religion hat gleichzeitig den Legitimationsrahmen für den Staat (das Reich) abgege­ben. Papst und Kaiser waren aufeinander angewiesen. Das Reich Karls d.Gr. verstand sich als "Europa" und nannte sich so: Okzident (Westteil). Aber schon seit Otto d.Gr. (936-973) entzogen sich Spanien, Frankreich, England und Schottland der Herrschaft des deutschen Kaisers. (Holtzmann 1959) Der übernationale Legitimationsanspruch des Kaisers beruhte auf der gesamteu­ropäischen Anerkennung der christlichen Religion; die Internationalität der Kirche wurde wiederum durch das übernationale Kaisertum gestützt. Das Hl. Römische Reich Deutscher Nation war seit dem Hochmittelalter bis zur Neu­zeit eine Art nationale Klammer, die die Klein- und Mittelstaaten zusammen­hielt. Die staatliche Zugehörigkeit der Menschen wurde auch in diesem Zeit­raum primär durch das politische Gewicht der Fürstentümer und Kleinkönig­reiche bestimmt, kaum durch die stets schwache kaiserliche Zentralgewalt, deren Macht sich seit dem 13. Jh. ohnehin auf Österreich beschränkte. Der Kaiser hat kein Richteramt (potestas) über fremde Nationen ausgeübt. Ledig­lich seine (moralische) auctoriats wurde anerkannt und die Herrschaft der Kö­nige von ihm abgeleitet. Das universale Kaisertum stand ohne wirkliches Machtzentrum (Hauptstadt) - der Kaiser ein Reisender von Pfalz zu Pfalz -, ohne zentrale Regierungsgewalt, ohne stehendes Heer, auf die Vasallität sich stützend, einem uneinheitlichen, territorial zersplitterten und in häufige (Bru­der-)Kriege verstrickten Reich mit einer geographisch immobilen Bevölke­rung von vorwiegend Analphabeten gegenüber. (Hintze 1970; Brunner 1960). Kultur war in den Klosterschulen und später in den kleinen Zirkeln der Huma­nisten und Aufklärer präsent. Dagegen war der Kaiser einer Fronde von abso­luten Territorialherren konfrontiert, einem Reich als aristokratischer Perso­nenverband ohne durchgehend anerkannte Reichsidee und ohne territoriale Einheit. So ist das "Reich" eher verstehbar anhand seiner jeweiligen Konflikt­formationen als durch eine vermeintliche Einheitsidee, die den mittelalterli­chen Ordo-Gedanken - in romantischer Verklärung (vgl. Novalis, T.S. Eliot, Christopher Dawson; s. S. 24f.) - wieder aufnahm.

Der einzig gelungene und überzeugende Versuch einer europäischen Ein­heit besteht in der jahrhundertealten Omnipräsenz der (universalen) Katholi-

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schen Kirche in allen europäischen Ländern. Ihre zentrale Leitung, die hierar­chische Gliederung ihrer straffen, nationalen und übernationalen Verwal­tungsstruktur, ihre einheitliche Lehre, ihr kulturelles und soziales Engage­ment (Klosterschulen, Spitäler) versetzten sie in die Lage, bis in die religiösen Gewohnheiten und Glaubensformen, die Baustile der Dome und Kirchen hin­ein ein imponierendes europaweites Gebäude - ein Sacrum Imperium - von seltener Einheitlichkeit zu errichten und zu bewahren. Es scheint notwendig, diesen Strang europäischer Einheit im Hinblick auf seine politisch-sozialen Auswirkungen näher zu erforschen. Dabei geht es um die Frage: Inwieweit hat die Kirche - auch politisch und gesellschaftlich - darauf eingewirkt, daß ur­sprünglich getrennte Völkerschaften sich verbanden und Staaten gebildet haben?

Dante forderte in seiner Schrift "De monarchia" (1306) eine europäische Universalmonarchie unter einem römisch-deutschen Kaiser (universal-konsti­tutionalistische Theorie). Dem Mittelalter fehlte der bewußte Begriff vom souveränen Einzelstaat. Neben Dantes Vorschlag kennt die europäische Gei­stesgeschichte seit dem 14. / 15. Jahrhundert eine Fülle von Einigungsplänen. Alle nahmen sie die Souveränität und Vielfalt der Staaten als gegeben hin. Nie wurde ein europäischer Einheitsstaat mit einer Zentralregierung empfohlen, sondern immer eine Generalversammlung, ein Parlament, ein Senat oder dgl., wo die Staatsoberhäupter oder ihre Vertreter die internationalen Streit­fragen regeln sollten. Als wichtige Zeugnisse gelten des französischen AbM de Saint Pierre "Traktat zum Ewigen Frieden" (1713), in dem er einen europäi­schen Völkerbund vorschlug und unabhängige Schiedsgerichte über Streitfra­gen entscheiden sollten (föderalistische Theorie, Konzept einer staatenbün­disch organisierten Weltregierung), und Kants Schrift "Zum Ewigen Frie­den" (1784).

Die rechtliche Einheit Europas beruhte in der Vergangenheit auf der ge­meinsamen Anerkennung des Naturrechts und später auf der Übernahme des Römischen Rechts. Die universalen Ämter von Sacerdotium und Imperium, Papst und Kaiser, waren die Mächte, die das Bewußtsein übernationaler Zuge­hörigkeit in den Menschen hervorriefen. Man denke an die entsprechenden Bemühungen Karls d.Gr. (des pater Europae), Innozenz' ill. u.a. Adel und Geistlichkeit waren international verbunden, die Kreuzzüge, die Ostkolonisa­tion und die Abwehr der Mongolen und des Islam (vgl. die Schlachten auf den Katalanischen Feldern 451, bei Tours und Poitiers 732, auf dem Lechfeld 955, bei Liegnitz 1241, vor Granada 1592, vor Wien 1683 usw.) waren gesamteuro­päische Veranstaltungen. Dieses europäische Gemeinschaftsgefühl schloß die nationale Rivalität nicht aus.

Im ausgehenden Mittelalter bildete sich - anknüpfend an die griechisch­römische Antike - die europäische Gelehrtenrepublik des Humanismus -Humanisten wie Enea Silvio Piccolomini (1405 - 1464) und Machiavelli (1469-

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1527) verwandten "Europa" als geistigen und politischen Begriff im Sinne der Modeme: bezogen auf die Völker auf dem Kontinent desselben Namens und gemeinsamer Geschichte und Kultur - und der Renaissance, die die Voraus­setzung für die spezifisch europäische Idee der Persönlichkeit, der bürgerlichen Freiheit und des aufgeklärten Denkens schuf. Im 17. und 18. Jahrhundert schloß sich das internationale Ideal des gentil et galant homme sowie die Vereinigung der internationalen Kaufmannschaft seit dem Aufblühen des Handels im Zu­sammenhang mit der Ausweitung der Geldwirtschaft an. Die Gemeinsamkeit lag weniger in der Organisation, als vielmehr in der Struktur der Lebensver­hältnisse. Überall in Europa gab es die gleiche Schichtung in Stände und Klas­sen mit gesonderten Rechten und Pflichten. So haben die Denk-, Kunst- und Lebensstile der europäischen Völker eine gemeinsame Tradition.

Die europäische Gemeinsamkeit des Standes, der gleichen geistigen Aspirationen und der Anerkennung allgemein verbindlicher Werte änderte sich mit dem Entstehen von Religionsparteien quer durch die Staaten hin­durch. Danach führte der fürstliche Absolutismus die einzelnen Staaten in die Isolierung. Wegweisend dafür wurde des Franzosen Jean Bodin (+ 1596) Lehre von der Souveränität des Herrschers, der nicht mehr wie im Mittelalter auf Privilegien seiner Standesgenossen Rücksicht zu nehmen brauchte, son­dern die unabhängige, höchste Macht für sich in Anspruch nehmen konnte. Diese Entwicklung erreichte ihren Höhepunkt in der Entstehung der National­staaten am Ende des 18. und im 19. Jahrhundert. Der Heiligen Allianz von 1815 und der Großen Allianz, beides monarchische Formen einer religiös-morali­schen und einer politisch-praktischen europäischen Einigung, stellte der Ge­nuese Mazzini 1834 seine Bewegung "Junges Europa" gegenüber, mit dem Ziel eines einigen Europa auf demokratischer und nationaler Grundlage, als Zusammenfassung aller revolutionären Bewegungen im Dienste dieses Zieles. Schließlich fanden 1848, 1849 und 1850 "Europäische Friedenskongresse" in Brüssel, Paris und Frankfurt/M. statt. 1849 präsidierte der französische Dichter Victor Hugo, der in seiner Eröffnungsansprache die Zuversicht aus­drückte, Europa möge durch fortschreitende Vereinigung das Zeitalter der Kriege beenden.

Aus der Wirtschaftsgeschichte ist ein Blick auf den Versuch einer regio­nalen wirtschaftlichen Integration aufschlußreich. Auf Betreiben Preußens wurde der Zollverein eingerichtet (1834-1867). Er gewährte freien Handel im Innem und verlangte einen gemeinsamen Außenzoll unter der Kontrolle eines Zoll-Kongresses, in dem jeder Staat eine Stimme hatte und dessen Beschlüsse einstimmig gefaßt werden mußten. Der Markt breitete sich aus, der Lebens­standard hob sich, und die Liberalisierung des Warenaustausches hatte eine Spezialisierung zur Folge. Entscheidend für die Gründung des Zollvereins war der politische Wille. Friedrich List, der bedeutende Nationalökonom und Förderer des Zollvereins, sagte einmal: "Handelseinigung und politische Ei-

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nigung sind Zwillingsschwestern, die eine kann nicht zur Geburt kommen, ohne daß die andere folgt." Übergreifende Institutionen wie der Zollverein sind demnach nicht allein vom wirtschaftlichen Standpunkt her zu sehen.

Neben dem Zollverein erscheinen in Deutschland der Rheinbund von 1806, der Deutsche Bund von 1815, der Norddeutsche Bund 1866 und schließlich die Gründung des Deutschen Reiches 1871. Ferner sind die liberale Bewegung des Vormärz und die Verfassungskämpfe während dieser Zeit unter europäischem Aspekt zu sehen, die Arbeiterbewegung und die Soziale Frage sind europäi­sche Phänomene, die Geschichte der Parteien im 19. Jh. ein europäisches Faktum.

Das Ende des Ersten Weltkrieges verursachte durch die Neu- und Wieder­gründung einiger Staaten in Osteuropa eine politische Desintegration in Eu­ropa, die durch die Einrichtung des Völkerbundes nicht wettgemacht werden konnte. Internationale Konventionen und Verträge/Bündnisse, Z.B. das Rote Kreuz, der Kellogg-Pakt, der Völkerbund, konnten ebenfalls kein Gefühl eu­ropäischer oder weltweiter Solidarität erwecken.

Vom historischen Standpunkt aus fällt es schwer, die Konstruktion einer geistigen Einheit - und damit eines vermeintlichen europäischen Einheitsbe­wußtseins - von der Antike bis zur Gegenwart nachzuvollziehen oder gar eine politische, wirtschaftliche oder soziale Einheit Europas in der Vergan­genheit zu konstatieren. Bei einem solchen Versuch werden geschichtliche Er­eignisse und Epochen in einer Weise großzügig aneinandergereiht und mitein­ander verbunden, wie sie kaum mit der Wirklichkeit übereingestimmt haben (können).

Grenzüberschreitende Einheit setzt das Bewußtsein von Zusammengehö­rigkeit voraus, wie sie vielleicht politisch als großartige Leistung des sich von Rom nach Germanien, Gallien, Spanien und England sowie nach dem nahen Osten erstreckenden Imperium Romanum, sozial-ideell bei der internationa­len Ritterschaft als übernationale Adelsgemeinschaft zeitweise vorhanden war. Begriffe wie Freiheit, Rechtlichkeit, Rationalität, naturwissenschaftli­ches Denken können zwar auf die Rezeption der gemeinsamen griechisch-rö­mischen, islamischen und jüdischen Wurzeln durch die Scholastik, den No­minalismus, den Humanismus, die Aufklärung zurückgeführt werden, müs­sen aber regional unter je unterschiedlichen Bedingungen betrachtet werden. Erst recht gilt die kulturelle Ungleichzeitigkeit für die vielen Ethnien in Eu­ropa bis heute, die zwar die Vorzüge einer (politischen) Vereinigung (mit-)ge­nießen (wollen), jedoch auf ihrer Sonderentwicklung beharren, z.B. die in­nerstaatlich-separatistischen Autonomiebestrebungen von Flamen und Wallo­nen in Belgien, Basken und Katalanen in Spanien, von Walisern und Schotten in Großbritannien, von Sizilianern in Italien. Dabei handelt es sich um ethni­sche Großgruppen in einem geeinten Staat, die jedoch - historisch begründ­bar - kein ausgeprägtes Einheits(staats)bewußtsein verbindet.

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Der Begriff "Europa" - so eine Bilanz - ist nicht zu verwechseln mit dem kulturellen Begriff "Abendland". Dieser meint den geistigen Universa­lismus des Mittelalters im lateinisch-christlichen, vorwiegend romanisch-ger­manischen Völkerkreis, d.h. nur die Westhälfte Europas (Okzident). Im Mit­telalter war das Gebiet der Christenheit mit dem Begriff Europa nahezu gleichbedeutend. Ihm stand die byzantinisch-ostslawische Welt gleichwertig gegenüber. Beide Räume, der europäische und der byzantinisch-ostslawische, haben ihre eigene kulturelle Tradition entfaltet. Die Gleichsetzung Europas mit dem Abendland würde z.B. die Zugehörigkeit Dostojewskis, Tolstois, Go­goIs, Puschkins, Peters d.Gr. u.a. zur europäischen Kultur in Frage stellen.

Unternimmt man den Versuch, einige geistige Gemeinsamkeiten unter den europäischen Völkern herauszuarbeiten, ergeben sich insbesondere für die westeuropäische Entwicklung die folgenden Gesichtspunkte: Seit der Franzö­sischen Revolution von 1789 gilt die Würde des Menschen als unantastbar. Daraus folgen die allgemeinen Menschen-, Grund- oder Freiheitsrechte, die sich aus der Betonung der Personalität des freiverantwortlichen Individuums ergeben (vgl. die europäische Literatur seit Sophokles' "Antigone"). Sie sind in den Grundrechtskatalogen der europäischen Verfassungen niedergelegt. Im Bereiche des Rechts hat Europa das römische privatrechtliche Denken über­nommen, wonach der Bürger Rechtssubjekt ist und im öffentlichen Gerichts­wesen als Träger persönlicher Freiheiten und Pflichten in Erscheinung tritt, wie z.B. in der Idee des gegenseitig bindenden Vertrages zum Ausdruck kommt. Dagegen bieten Germanen- und Slawenturn, infolge ihrer genossen­schaftlichen Stammesordnung und damit im Gegensatz zur lateinischen An­tike, keine eigenständigen Kulturüberlieferungen für die Selbstwerdung Euro­pas vor ihrer Berührung mit dem Christentum. Das von ihnen ausgeprägte Treueverhältnis zwischen dem Führer und dem Gefolgsmann enthält das Recht auf Widerstand, das vom Christentum in zeitlich verschiedener Ausprägung übernommen wurde. Über Jahrhunderte war eine enge Verbindung von Staat und Kirche für das öffentliche und private Leben maßgebend, mit je unter­schiedlicher Vorherrschaft der einen oder anderen Gewalt. Aus dem reforma­torischen Daseins- und Staatsverständnis ergaben sich die ersten Ansätze für den Vertretungsgedanken der politischen Demokratie, der später von der Glo­rious Revolution in England (1688) und von politischen Philosophen wie John Locke (Repräsentation des Volkes), Montesquieu (Gewaltenteilung), Rous­seau (Gesellschaftsvertrag) u.a. aufgenommen wurde. Karl Marx hat die Ent­fremdung des Menschen durch Lohnarbeit herausgestellt und eine neue Frei­heit verkündet: die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und damit die Ausbeutung von Menschen durch Menschen. Am Ende dieser Entwicklung stehen modeme Philosophen mit ihrer Forderung nach Abbau der autoritären Strukturen in Staat und Gesellschaft und die von vielen, auch von Politikern unterstützte Forderung nach einer neuen Denkungsart, die, auf

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Verantwortung gegründet (Hans Jonas), Gewalt als unangemessenes und un­menschliches Mittel der Daseinsbewältigung ablehnt und eine europäische und weltweite Friedensordnung anstrebt.

3.2 Die politischen Einigungsbestrebungen von 1918-1945

An politischen Bemühungen um die europäische Einheit nach dem Ersten Weltkrieg ist die Bewegung des österreichischen Grafen Coudenhove-Kalergi seit 1919 zu nennen, der die 26 (formalen) europäischen Demokratien zu ei­nem Staatenbund nach dem Muster der Panamerikanischen Union zusammen­fassen wollte. Die "Vereinigten Staaten von Europa" sollten ein neues Macht­zentrum neben den bereits bestehenden (SU, USA, Großbritannien, Ostasien) werden. Coudenhove-Kalergis Buch "Paneuropa" (1923) war ein großer Wurf. Darin geht er von der Tatsache aus, daß die Welt sich von der europäi­schen Vorherrschaft befreit hätte. Als Stufen im paneuropäischen Programm wurden vorgeschlagen: eine paneuropäische Konferenz, ein verpflichtender Schieds- und Garantievertrag, ein paneuropäischer Zollverein und der Zu­sammenschluß Europas zu einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet.

Der erste offizielle Aufruf zur europäischen Einheit ging nach dem Er­sten Weltkrieg vom französischen Ministerpräsidenten Edouard Herriot 1925 aus, indem er Coudenhove-Kalergis Pläne aufgriff. Aber erst als Aristide Briand, der frühere französische Außenminister und derzeitige Präsident des Völkerbundes, am 5. September 1929 in seiner berühmt gewordenen Rede vor der X. Völkerbundsversammlung die europäische Initiative ergriff, wurden die Regierungen gezwungen, sich mit der europäischen Idee auseinanderzu­setzen. Gustav Stresemann, der deutsche Außenminister, antwortete vier Tage später voll zustimmend. Ihm, der angesichts der starken parlamentarischen Opposition im Deutschen Reichstag dringend einen Erfolg nötig hatte, ging es vor allem um eine sichtbare und spürbare Lockerung des harten Griffs, mit dem Frankreich Deutschland gepackt hatte (Ruhrbesetzung) . Die Engländer unter Führung von Ramsay MacDonald hielten die Europa-Idee für verfrüht, Mussolini machte seine Unterstützung davon abhängig, daß alle Kolonien in den gemeinsamen Besitz einer europäischen Föderation übergehen sollten.

Briand wurde von den Zl europäischen Völkerbundsvertretem einstim­mig beauftragt, seine Gedanken in Form eines für die Regierungen bestimm­ten Memorandums niederzulegen. Dieses Dokument wurde im Mai 1930, nach Stresemanns Tod, den europäischen Regierungen zugeleitet. Es trug den Titel: "Memorandum über die Organisation eines Systems europäischer fOde­rativer Union". Das Ziel bestand in der Errichtung einer Föderation und nicht eines Einheitsstaates. Die nationale Souveränität sollt in keiner Weise beein-

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trächtigt werden dürfen. Für die Zusammenfassung Europas wurde von dem Memorandum vorgesehen: 1. Ein allgemeiner Vertrag "zur Aufstellung des Grundsatzes der moralischen Union Europas und zur feierlichen Bekräfti­gung der zwischen europäischen Staaten geschaffenen Solidarität". Die Re­gierungen sollten sich verpflichten, "in periodisch wiederkehrenden oder au­ßerordentlichen Tagungen regelmäßig miteinander Fühlung zu nehmen, um gemeinsam alle Fragen zu prüfen, die in erster Linie die Gemeinschaft der eu­ropäischen Völker interessieren können". 2. Ein Mindestmaß an Institutio­nen, und zwar a) eine "Europäische Konferenz" (die der Völkerbundsver­sammlung entsprochen hätte), b) ein Vollzugsorgan in Form eines ständigen politischen Ausschusses, c) ein Sekretariat. 3. "Eine vorherige Festlegung der wesentlichen Leitgedanken, die den allgemeinen Begriff des europäischen Ausschusses bestimmen und ihn bei seinen Vorarbeiten für die Aufstellung des Programms der europäischen Organisation leiten sollten." Briand schwebte vor, die Wirtschaftsfragen den politischen Problemen unterzuord­nen, d.h. den Vorrang der Politik hervorzukehren. Innerhalb der Politik sollte der Sicherheitsfrage die überragende Rolle zugewiesen werden. Wirtschaft­lich ging es ihm um eine "gegenseitige Annäherung der europäischen Volks­wirtschaften unter der Verantwortung der solidarischen Regierungen". Dazu regte Briand einen weiteren Vertrag "der wirtschaftlichen Solidarität" an. In ihm sollte das Ziel der gemeinsamen Zoll- und Handelspolitik festgelegt wer­den: "Errichtung eines gemeinsamen Marktes zur Höchststeigerung des Ni­veaus der menschlichen Wohlfahrt auf dem Gesamtgebiet der europäischen Gemeinschaft." "Mit Hilfe einer solchen allgemeinen Einstellung könnte praktisch die Herbeiführung einer rationellen Organisation der Erzeugung und des europäischen Güteraustausches unmittelbar angestrebt werden, und zwar durch fortschrittliche Erleichterung und methodische Vereinfachung des Güter-, Kapital- und Personenverkehrs, lediglich unter dem Vorbehalt der Be­dürfnisse der nationalen Verteidigung in jedem Staate."

Briand wollte ein "einfaches Bundverhältnis". Er sicherte zu: "Die Ver­ständigung zwischen europäischen Staaten muß auf dem Boden unbedingter Souveränität und völliger politischer Unabhängigkeit erfolgen." Die Zeit für einen Zusammenschluß war noch nicht reif. Die Regierungen wichen den Forderungen des Memorandums aus, machten Vorbehalte und verschanzten sich vor allem hinter ihrer Völkerbundtreue.

Auf journalistischem Gebiet traten für die deutsch-französische Einigung nach dem Ersten Weltkrieg der Kreis um den Herausgeber der "Sozialisti­schen Monatshefte", Josef Bloch, und der Kreis um den Leiter der "V ossi­schen Zeitung", Georg Bernhard, dem Stresemann nahe stand, ein. Als ein­zige politische Partei hat die SPD, die sich seit ihrer Gründung zur internatio­nalen Solidarität der arbeitenden Menschen bekennt, die Vereinigung Europas in ihr Heidelberger Programm von 1925 aufgenommen: "Die deutsche So-

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zialdemokratie tritt für die zwingend gewordene Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit ein, um zur Bildung der Vereinigten Staaten von Europa zu gelangen, die zur Selbstbehauptung des europäischen Kontinents notwendig ist."

Aus der Zwischenkriegszeit ist als weitere herausragende Persönlichkeit der britische Lord Lothian (Philip Kerr, 1882 -1940), persönlicher Berater von Premierminister Lloyd George und Botschafter in Washington, bekannt ge­worden (Görner 1990). Er war der Mitbegründer der "Federal Union" in Großbritannien und mit deutschen Widerstandskreisen in Kontakt. Für Lo­thian war das föderalistische Prinzip grundlegend, das den pluralistischen Charakter einer zwischenstaatlichen Assoziation von Völkern sichern sollte. Deshalb kritisierte er den Völkerbund, weil er am Grundsatz der national­staatlichen, internationalen Politikverflechtung nicht wirklich interessiert war. So plädierte Lothian Anfang der dreißiger Jahre für die Schaffung von zwischenstaatlichen Organisationen, für gemeinsame Institutionen und politi­sche Aufgaben. Eine erfolgreiche Integrationspolitik - zu der er allerdings keine detaillierten konstitutionellen oder institutionellen Vorschläge gemacht hat, dagegen vor allem auf das christliche Erbe als gemeinsame geistige Grundlage (völkerverbindende Wirkung des Sozialen, Verantwortung ge­meinschaftlichen Handeins, humanistische Gesinnung) für die Zusammenar­beit der europäischen Staaten verwies - könne es nur geben, wenn die betei­ligten Staaten einen Souveränitätsverzicht leisteten, der Teil eines Gewaltver­zichts sein sollte, und ein System wechselseitiger Abhängigkeit der Staaten mit föderativen Strukturen entstehe (vgl. Kant). Weiterhin verlangte er die ab­solute Bindung der Mitglieder der Völkerfamilie an das Völkerrecht, dem durch ein internationales, föderatives Exekutivorgan Geltung zu verschaffen sei. - Seine föderalistische Konzeption europäischer Integration erlangte Einfluß besonders in Italien.

Die ersten Pläne für eine europäische Integration gingen von Verbänden, nicht von Regierungen, während des Zweiten Weltkrieges aus. Vertreter west­und osteuropäischer Widerstandsbewegungen - aus Dänemark, Frankreich, Italien, Jugoslawien, der Tschechoslowakei und aus Deutschland - kamen fünfmal, vom Frühjahr bis zum Sommer 1944, in Genf zusammen. In einer "Deklaration über die europäische Zusammenarbeit" verlangten sie, daß die Staaten "das Dogma der absoluten Souveränität abstreifen" und sich in einen europäischen Bund eingliedern. Die durch die Existenz von 30 souveränen eu­ropäischen Staaten hervorgerufene "Anarchie" müsse durch die Schaffung ei­ner "Bundesordnung für die europäischen Völker" überwunden werden. Die europäische Bundesordnung solle für die Zukunft

1. Kriege zwischen europäischen Staaten unmöglich machen; 2. die Streitigkeiten um Gebiete mit gemischter Bevölkerung aufheben; 3. eine Hegemoniepolitik innerhalb Europas verhindern;

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4. Grundlagen schaffen, um den wirtschaftlichen Wiederaufbau gemeinsam zu lösen; 5. eine Abtretung von Souveränitätsrechten herbeiführen (Verteidigung, Außenpolitik, interna­

tionale WJrtschaftsbeziehungen); 6. das Recht jedes Mitgliedstaates gewährleisten, "die ihm eigenen Probleme in Übereinstim­

mung mit seinen völkischen und kulturellen Eigenarten zu lösen".

Die deutschen Widerstandskreise formulierten in ihrer von Goerdeler und Beck verfaßten Denkschrift: "Das Ziel" die gleichen Absichten. Außerdem entwickelte Goerdeler einen Friedensplan. Zuletzt hatte Hitler, wie einst Na­poleon, versucht, Europa gewaltsam neu zu ordnen und zu einigen. Dabei sollte nach beider Diktatoren Konzept das eigene Land zum Kernstaat werden, der durch Angliederung fremden Gebiets "arrondiert" würde und die abso­lute Vormachtstellung erhalten sollte. Eine einheitliche und zentral gelenkte Verwaltung sowie eine einheitliche Sprache, ferner ein vereinheitlichtes Maß­und MÜDZsystem sollten Fundamente dieser Herrschaft sein. Ein einheitliches Wirtschaftsgebiet mit voller "Autarkie" für Kriegs- und Friedenszeiten sollte völlige Unabhängigkeit von Übersee und vom Außenhandel garantieren. Na­poleon hat Europa eine Reihe wichtiger Neuerungen gebracht: das bürgerli­che Recht (Code Napoleon), die Durchbrechung des Ständesystems und die Aufhebung der Leibeigenschaft. Für Hitler galt die Formel von der "Verteidi­gung Europas gegen den Bolschewismus", die Goebbels so kommentierte: " ... aus alledem hat der Führer die Konsequenz gezogen, daß das Kleinstaa­tengeTÜmpel, das heute noch in Europa vorhanden ist, so schnell wie möglich liquidiert werden muß. Es muß das Ziel unseres Kampfes bleiben, ein einheit­liches Europa zu schaffen. Europa kann eine klare Organisation nur durch die Deutschen erfahren. Eine andere Führungsrnacht ist praktisch nicht vorhan­den. Der Führer gibt seiner unumstößlichen Gewißheit Ausdruck, daß das Reich einmal ganz Europa beherrschen wird." (Tagebucheintragung über eine Ansprache Hitlers vor Reichs- und Gauleitern.)

Die Alliierten des Zweiten Weltkrieges hatten verschiedene Auffassungen von einer künftigen Gliederung Europas. Der amerikanische Präsident Roose­velt war gegenüber einer europäischen Einigung wenig aufgeschlossen, da er regionale Bündnisse ablehnte. Er vertrat die Konzeption von der Einen Welt (one world). Dazu war ihm vor allem die Niederwerfung Nazi-Deutschlands wichtig. Im Gegensatz zu Stalin und Churchill hatte Roosevelt keine Europa­konzeption. Bald war er mit der Aufteilung Europas in eine östliche und in eine westliche Einflußsphäre einverstanden. Churchill hatte dagegen schon in einer Rede am 21. 3. 1943 den Plan eines europäischen Staatenbundes unter britischer Führung und unter Ausschluß der Sowjetunion vorgetragen.

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Literaturhinweise

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päischen Kultur und Bildung. Stuttgart 1954, S. 7 -17 Foerster, Rolf-Hellmut: Die Geschichte und die europäische Integration. In: aus politik und zeit­

geschichte B 34/64, S. 3-24 Ders.: Die Geschichte und die europäische Politik. Bonn 1966 Gömer, Rüdiger: Souveränität als Sündenfall: Zur Europa-Konzeption des britischen Föderali-

sten Lord Lothian (1882 - 1940). In: integration 3 11990, S. 103 - liO. Hecker, Hans (Hg.): Europa - Begriff und Idee. Bonn 1991 Hintze, Otto: Feudalismus - Kapitalismus. Göttingen 1970 Holtzmann, Robert: Der Weltherrschaftsgedanke des mittelalterlichen Kaisertums und die Souve­

ränität der europäischen Staaten. Darmstadt 1959 - o. Hg., Europa und die Europäische Gemeinschaft. Die historische Entwicklung Europas,

seine geistig-kulturellen Grundlagen und die europäische Einigung. München 1982 (Süddt. Verlag; auch Bayer. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München)

Sattler, Rolf-Joachim: Europa. Geschichte und Aktualität des Begriffs. Braunschweig 1971 Schramm, Wilhelm Ritter von (Hg.): Beck und Goerdeler. Gemeinschaftsdokumente für den

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3.3 Die europäische Einigungspolitik seit 1945

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das föderalistische Moment der eu­ropäischen Einigung besonders von Winston Churchill, Leon Blum, Alcide de Gasperi und Salvadore de Madariaga hervorgehoben. Während die föderali­stische "Europäische Bewegung" nicht zum Zuge kam, setzte sich die funk­tionalistische Schule der Technokraten um den Franzosen Jean Monnet durch. Aus nationalen Gründen schien es geboten, den Weg der wirtschaftlichen Inte­gration zu beschreiten.

Die politischen Parteien in Westdeutschland optierten unterschiedlich. Die CDU versprach sich von der Favorisierung der westeuropäischen Integra­tion (bei Betonung der atlantischen Bindung) eine beschleunigte Wiederge­winnung der vollen Souveränität des Landes sowie Handlungsfreiheit gegen­über den USA und der SU und glaubte, diese für die Wiedervereinigung aktiv einsetzen zu können. Adenauers Europakonzept war defensiv: Westeuropa als Bollwerk gegen den Osten. Im Sinne der (westlichen) Ellipsentheorie ging man nicht von einem monolithischen Block aus, sondern die USA und ein ver­einigtes Westeuropa wurden als die beiden Brennpunkte verstanden. Die SPD blieb bis zum Ende der 50er Jahre bei der Ansicht Kurt Schumachers, den freien Teil Deutschlands nicht in übernationale Bindungen einzufügen, so-

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lange eine nationale Wiedervereinigung oder -annäherung nicht in Sicht wa­ren. So stimmte die SPD gegen den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Europarat und gegen den Schuman-Plan, sie lehnte einen deutschen Ver­teidigungsbeitrag und den Plan einer Europäischen Politischen Gemeinschaft zunächst ab. Andererseits forderte die SPD als erste deutsche Partei nach dem Zweiten Weltkrieg in ihren "Politischen Leitsätzen" (1. Nachkriegsparteitag im Mai 1946) die "Vereinigten Staaten von Europa". Die CSU zog mit konkre­ten programmatischen Aussagen in ihrem "Grundsatzprogramm" vom De­zember 1946 nach. Sie trat ein für eine "europäische Konföderation", um ge­meinsam die "christlich-abendländische Kultur" zu wahren und weiterzufüh­ren, sowie für eine "europäische Wirtschafts- und Währungsunion". Europa wurde als "übernationale Lebensgemeinschaft ( ... ) im Rahmen der europäi­schen Völkerfamilie" gewertet. Als partielle Völkerrechtssubjekte konnten sich vor allem der Europarat und die Europäische (Wirtschafts-)Gemeinschaft etablieren.

3.3.1 Die Gründung der West-Union und des Europarats

Politisch bedeutsam wurde Winston Churchills Rede in der Züricher Uni­versität am 19. September 1946. Darin knüpfte er an die paneuropäischen Pläne Coudenhoves und Briands (s. Abschn. 3.2) an. Den beiden Motiven der europäischen Föderalisten - nie wieder Krieg und eine bessere Welt für die Menschen in Europa - fügte er hinzu: Schutz gegen die sowjetische Gefahr. Er plädierte für die Schaffung der "Vereinigten Staaten von Europa" : "Der er­ste Schritt hierzu ist die Bildung eines Europarats." Großbritannien wollte er wegen seiner Commonwealth-Verpflichtungen davon ausklammern.

Die europäischen Föderalisten führten die von den Widerstandsgruppen initiierten Einigungsbestrebungen nach dem Kriege fort. Die Schweizer Euro­pa-Union veranstaltete vom 14. bis 21. September 1946 einen Kongreß in Her­tenstein am Vierwaldstätter See und entwickelte ein Rahmenprogramm für eine europäische politische Union, das Hertensteiner Programm. Churchills Rede wurde mit Beifall aufgenommen.

Im Jahre 1948 hatte die britische Regierung die Initiative zur Gründung der West-Union ergriffen, die aus Großbritannien, Frankreich und den Bene­lux-Ländern bestehen sollte; dabei knüpfte London an das bestehende Militär­bündnis zwischen Großbritannien und Frankreich an (sog. Dünkirchener Ver­trag von 1947 gegen eine erneute deutsche Aggression). Am 17. 3. 1948 wurde der Vertrag in Brüssel unterzeichnet (Brüsseler Pakt). Nach Errichtung der NATO wurde der militärische Teil des Paktes auf diese übertragen, die West­Union im Oktober 1954 durch den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland und Italiens zur Westeuropäischen Union (WEU) umgestaltet. (1988 traten

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Spanien und Portugal bei.) In ihrem Rahmen wurde ein "Komitee zur Förde­rung der europäischen Einheit" geschaffen.

Der erste große Versuch einer gemeinsamen europäischen Willensbil­dung "von unten" war der Haager Kongreß der Europa-Union im Mai 1948. Dort erging die Forderung nach einem Europarat, die von den Regierungen in Großbritannien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg auf­gegriffen und auf Veranlassung des Rates der Außenminister, des obersten Or­gans der West-Union, bereits ein Jahr darauf - am 5.5. 1949 - verwirklicht wurde. Weitere Erstunterzeichner der Satzung des Europarats waren Däne­mark, Irland, Italien, Norwegen und Schweden; später kamen hinzu: Island, Türkei, Griechenland, Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Zypern, Malta, Schweiz, Liechtenstein, Spanien, Portugal, San Marino, Finnland, Ungarn, die CSFR, Polen, Bulgarien. Die politisch-integrative Prägekraft des Europarats ist allerdings überschätzt worden. Die etwa 150 freiwilligen Ab­kommen und Konventionen auf den Gebieten der Justiz, Erziehung, Sozial­und Familienpolitik, der Raumplanung und des Umweltschutzes haben einige Wirkung erlangt. Am bedeutendsten ist die Menschenrechtskonvention von 1950 geworden (s. Kap. IX).

Der Europarat in Straßburg mit seinen Tl Mitgliedstaaten (ca. 470 Mio. Menschen) ist ein loser Staatenverband ohne eigene Machtbefugnisse, aber starkem internationalen politischen Gewicht. Mit der EG finden regelmä­ßige Kontakte statt (vgl. Art. 230 EWGV und Briefwechsel zwischen den Prä­sidenten der EG-Kommission und dem Generalsekretär des Europarats vom "16. 6. 1987 sowie die "Resolution über institutionelle Aspekte" des Europarats vom 5. 5. 1989). Seit dem Ende der 1980er Jahre entstand der Wunsch fast aller osteuropäischen Länder nach Kontakten und Zusammenarbeit, vor allem auf den Gebieten des Umweltschutzes, der Kultur und des Gesundheitswesens. Als Bedingung für eine solche Kooperation werden von der Parlamentari­schen Versammlung des Europarats erfolgreiche Reformen beim Schutz der Menschenrechte und der Demokratisierung des politischen Systems voraus­gesetzt. Im Mai 1989 wurde ein "besonderer Gaststatus" für europäische Nichtmitglieder beschlossen, wonach es einer pluralistisch zusammengesetz­ten Delegation von Parlamentariern ermöglicht werden soll, an den Beratun­gen der Parlamentarischen Versammlung teilzunehmen. Als erster hat der so­wjetische Staats- und Parteichef Gorbatschow am 6. Juli 1989 eine Rede vor dem Europarat gehalten, in der er den Beitritt seines Landes zu einigen Kon­ventionen (über Umweltschutz, Kultur, Erziehung und Fernsehen) ankün­digte, die grundlegende Menschenrechtskonvention jedoch nicht erwähnte. Einen Tag nach Gorbatschow haben Parlamentarier aus Ungarn, Polen, der Sowjetunion und Jugoslawien das Wort ergriffen, deren Länder den Gaststatus erhalten haben. Es folgten die CSFR 1990, Rumänien 1991. Das Conseil de la Cooperation Culturelle (CDCC) des Europarats hat seit 1991 29 Mitglieder,

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einschließlich der osteuropäischen Staaten Jugoslawien, Polen, Ungarn, die -ebenso Rußland - zugleich einen Antrag auf Vollmitgliedschaft gestellt haben und dem im Falle Ungarns 1990, der CSFR 1991, Polens und Bulgariens 1992 ent­sprochen wurde. Dem sich auflösenden Jugoslawien wurde der Gaststatus ab­erkannt.

3.3.2 Die Rolle Frankreichs und der J4?reinigten Staaten

Frankreich hat im europäischen Integrationsprozeß von Anfung an eine be­sondere Rolle gespielt. Als französischer Ministerpräsident setzte sich de Gaulle bereits 1945 für die europäische Einigung ein; als Staatspräsident (1958 -69) ver­trat er das "Europa der Vaterländer". Das deutsch-französische Verhältnis wurde von ihm und Bundeskanzler Adenauer durch den Abschluß des Deutsch­Französischen Freundschaftsvertrages (sog. Elysee-Vertrag von 1963) gefestigt. Darin sind u.a. gemeinsame Regierungsberarungen "vor jeder Entscheidung in allen wichtigen Fragen" der Außenpolitik von gemeinsamem Interesse verabre­det. Hinzu kommt der Jugendaustausch. Die französische Politik bemühte sich lange um die Führungsrolle in Westeuropa. De Gaulle wandte sich gegen die "Technokraten" in Brüssel und Luxemburg, die unter Präsident Hallstein ein Eu­ropäisches Parlament mit übernationalen Gesetzgebungsrechten und eigenen Fi­nanzmitteln erstrebten. Daraufhin praktizierte Frankreich von Mitte 1965 bis Anfang 1966 die "Politik des leeren Stuhls" in der EWG (erste große Krise der Europäischen Gemeinschaften: lCJ73174 Erdölkrise; 1980 britische Beitrags­krise), die durch den sog. Luxemburger Komprorniß (Einstimmigkeit bei we­sentlichen Fragen im Ministerrat der EG) zurückgenommen wurde. Während der Regierungszeit de Gaulles entwarf eine Kommission unter Vorsitz des fran­zösischen Diplomaten Fouchet zwei Pläne (sog. Fouchet-Plan 1961/62), wonach die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten eine "unauflösliche" Staatenunion bilden sollten, die in "Fragen von gemeinsa­mem Interesse" eine einheitliche Außenpolitik, eine Koordinierung und Verstär­kung der Verteidigung und eine enge Zusammenarbeit in Wirtschaft und Kultur pflegen sollte. Es sollte sich um eine Konföderation im Sinne de Gaulles mit or­ganisierten Beratungen auf Regierungsebene handeln. Unter de Gaulles Nach­folgern Pompidou, Giscard d'Estaing und Mitterand ist die starre und nationali­stische Haltung Frankreichs gegenüber einer Integration einer größeren Aufge­schlossenheit gewichen, und es hat eine Besserung der Beziehungen zu den USA stattgefunden. Die Aufrechterhaltung der nationalen Souveränitätsrechte bleibt für Frankreich im Prinzip unantastbar (vgl. Art. 3 und 4 der französischen Ver­fassung). Die enge deutsch-französische Zusammenarbeit hat sich bewährt, inte­grationspolitisch tendiert sie zu einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten" (s. Abschn. 4.5 u. 7.2.2), die Vision de Gaulles von einem Europa "vom Atlantik bis zum Ural" erhält einen politischen Stellenwert.

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Die USA standen der europäischen Bewegung von Anfang an mit Sym­pathie gegenüber. Dabei spielte nach 1945 die Furcht vor einem wirtschaftli­chen Ruin Westeuropas mit seinen politischen Folgen (Machtvakuum) eine wichtige Rolle; ferner galt das Interesse der Festigung des eigenen strategi­schen Vorfeldes und den künftigen Handelsbeziehungen. Unterschiedliche politische Interessen der westlichen Alliierten einerseits und der SU anderer­seits machten eine stärkere (west-)europäische Einigung wünschenswert (vgl. z.B. die Stuttgarter Rede von US-Außenrninister Byrnes am 6. 9.1946 und den Widerspruch des sowjetischen Außenrninisters Molotow vom 16.9.1946). Am 5. Juni 1947 hielt der damalige US-Außenminister George Marshall eine Rede in der Harvard-Universität und verkündete die Hilfe der USA für den Wieder­aufbau Europas unter der politischen Bedingung, daß sich die europäischen Nationen enger zusammenschließen und ein gemeinsames Wiederaufbaupro­gramm mit einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik entwickeln würden. Zur wirksamen Verwendung des European Recovery Program (ERP oder Mar­shall-Plan) wurde auf Anregung Englands, Frankreichs und der USA durch Vertrag vom April 1948 die Organisation für die europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC, in Deutschland Europäischer Wirtschaftsrat ge­nannt, seit 1961 von der Nachfolgeorganisation OECD fortgeführt) als erste gemeinsame europäische Organisation nach dem Kriege gegründet (Mitglie­der: Belgien, Dänemark, England, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Österreich, Italien, Luxemburg, Norwegen, Niederlande, Portugal, Schwe­den, Schweiz, Türkei, Westdeutschland; Jugoslawien und Finnland wurden assoziiert).

Die anfängliche amerikanische Vorherrschaft in Europa ist seit Beginn der 60er Jahre einem partnerschaftlichen Verhältnis gewichen, das insbe­sondere in der Rede von Präsident Kennedy (Frankfurter Paulskirche am 25. Juni 1963) in Gestalt seines "Großen Planes" (Erweiterung der Handels­partnerschaft zu einer politischen atlantischen Partnerschaft) zum Ausdruck gekommen ist. Die amerikanische Außenpolitik betont nach wie vor die Un­trennbarkeit der Sicherheit der USA von derjenigen Westeuropas. Die USA erwarten allerdings von dem starken europäischen wirtschaftlichen Regiona­lismus und dem Entstehen neuer präferentieller Märkte u.a. Rücksichtnahme auf ihre Wirtschaftsinteressen. Die "Transatlantische Erklärung" zwischen der EG und den USA vom November 1990 regelt die Beziehungen neu und nennt "Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Beachtung der Menschenrechte und der individuellen Freiheiten" als gemeinsame Grundlage der atlantischen Partnerschaft. Die Partner einigten sich erstmalig auf halbjährliche Konsulta­tionen zwischen dem EG-Ratspräsidenten, dem EG-Komissionspräsidenten und dem US-Präsidenten.

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3.3.3 Die Bildung der Europliischen Gemeinschaften

Das Verlangen der USA nach einer Beteiligung Westdeutschlands an der gemeinsamen militärischen Verteidigung Westeuropas schon wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte den Abbau des Besatzungsregi­mes in Westdeutschland voraus, vor allem die Beseitigung der durch das Ruhr­statut über die deutsche Montanindustrie verfügten, wesentlich im Mißtrauen Frankreichs begründeten Ruhrkontrolle. Nachdem der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, K. Adenauer, im März 1950 überraschend eine vollständige Union zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutsch­land vorgeschlagen hatte, unterbreitete am 9. Mai 1950 der französische Au­ßenminister Robert Schuman, gestützt auf ein Memorandum seines Mitarbei­ters Jean Monnet (demzufolge die Rohstoffe aus Rheinland und Westfalen als Kriegspotential Deutschlands der deutschen Verfügungsgewalt entzogen wer­den sollten), seinen Plan einer Zusammenlegung der französischen und deut­schen Produktion von Kohle und Stahl unter einer gemeinsamen supranatio­nalen Autorität (Schuman-Plan).

Der von Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden im April 1951 abgeschlossene Pariser Ver­trag (in Kraft getreten am 25. Juli 1952) über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion) sah einen von Zöllen und Handels­beschränkungen freien Gemeinsamen Markt für die wichtigsten Grundstoffe vor (Großraumwirtschaft). Die Hohe Behörde der Montanunion wurde zur er­sten europäischen Regierungsbehörde mit supranationalen, bindenden Befug­nissen.

Die Außenministerkonferenz der sechs Schuman-Plan-Länder beschloß Ende Mai 1955 in Messina, das Verfahren der Montanunion auf die gesamte Wirtschaft der sechs Staaten anzuwenden und für die Entwicklung der Kern­energie eine gemeinsame Organisation zu schaffen. Nach langwierigen Ver­handlungen wurden am 25. März 1957 die sog. Römischen Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit einem "Protokoll über den innerdeutschen Handel und damit zusammenhängende Fragen" (die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten war demnach keine Zollgrenze) und über die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) unterzeichnet und am 1. 1. 1958 in Kraft gesetzt. Diese Verträge werden als die wichtigste Etappe zur politischen Einheit Europas angesehen. EWG-Krisen haben allerdings ge­zeigt, daß die Einigungspolitik nicht kontinuierlich verläuft, daß vor allem wirtschaftliche Verflechtungen nicht automatisch zu politischen Fortschritten werden.

1967 wurden die drei Zusammenschlüsse - Montanunion, EWG und Euratom - zu den "Europäischen Gemeinschaften" (EG) vereinigt. Am 1.1. 1973 traten Großbritannien, Irland und Dänemark, am 1.1.1981 trat Grie-

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chenland und am 1. 1. 1986 traten Spanien und Portugal der EG bei. Die ehe­malige DDR wurd im Sinne einer Gebietserweitung der Bundesrepublik Deutschland reibungslos in die EG eingegliedert (1990).

3.3.4 Die Integrationspolitik der Europäischen Gemeinschaft

Die EG ist, besonders nach dem Beitritt der drei Staaten im Jahr 1973 und infolge des mangelnden Konsenses über den Grad an Gemeinschaftsautono­mie unter den Mitgliedsländern, zahlreichen Problemen konfrontiert. Zu nen­nen sind: die Schwäche ihrer Organe, besonders des Europäischen Parlaments und der Kommission; die Multivalenz der Interessenlagen und Handlungsper­spektiven; die Divergenzen in zentralen Strukturdaten wie Wirtschaftswachs­turn, Geldwertstabilität, Arbeitslosigkeit, Devisenreserven, Zahlungsbilanz usw.; die Abkoppelung vom nationalen Politikprozeß; die Renationalisie­rungstendenzen (u.a. nationalistisches Verhalten während der Energiekrise 1973/74, bilaterale Handelsabkommen mit rohstoffreichen Ländern während der weltweiten Rezession 1975/16); das Fehlen funktionierender transnationa­ler Parteien. Das Politikmonopol ist bei den Einzelstaaten der EG geblieben, der Ministerrat repräsentiert die nationalen Interessen. Andererseits würde Art. 235 EWGV (sog. Ergänzungsklausel) eine Ausdehnung der Aktivitäten der EG auf im Vertrag nicht vorgesehene Bereiche ermöglichen. Das Gutach­ten über die Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments (sog. Vedel-Bericht 1972) vermeidet fOderalistische Zielvorstellungen, geht aber über die klassische intergouvernementale Zusammenarbeit hinaus. Es tritt für ein suspensives Vetorecht des Parlaments und für mehr Souveränität der EG­Organe ein.

Die Politik der EG-Organe wird überlagert von den im EWG-Vertrag nicht vorgesehenen, erst durch die Einheitliche Europäische Akte 19861egiti­mierten Gipfelkonferenzen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaa­ten seit 1969. Das Prestige der Regierungschefs soll die Legitimationslücken schließen, die sich infolge des Fehlens präziser vertraglicher Grundlagen und der geringen Konsentierung der gemeinschaftlichen Entscheidungsverfahren zunehmend aufgetan hatten. Die erste Konferenz im Haag (1. /2.12.1969) machte den Weg frei für die Erweiterung der EG (drei neue Vollmitglieder, Kooperation mit der EFTA, Assoziierungsabkommen, Finanzautonomie der EWG, Haushaltskontrolle durch das Europäische Parlament, Stufenplan für eine Wirtschafts- und Währungsunion, außenpolitische Zusammenarbeit). Die zweite Konferenz in Paris (19. /20.10.1972) setzte sich für die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion bis 1980 ein (Einrichtung eines Wäh­rungsfonds) sowie - auf deutsche Initiative - für die Entwicklung einer ge­meinsamen Sozialpolitik; ferner wurde, als politisch wichtigste Entschei-

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dung, die Errichtung einer "europäischen Union" bis 1980 beschlossen. Die dritte Konferenz in Kopenhagen (14. / 15.12.1973) einigte sich darauf, die "Ausgestaltul 'er europäischen Union zu beschleunigen", die Wirtschafts­und Währungsunion auszubauen, einen Regionalfonds einzurichten, ein ge­sellschaftspolitisches Aktionsprogramm zu verwirklichen, einen unabhängi­gen EG-Rechnungshof zu gründen, die haushaltsrechtliche Kontrolle durch das Europäische Parlament zu stärken, eine gemeinsame Politik der indu­striellen, wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit zu ent­wickeln und in Energiefragen zusammenzuwirken. In einem Dokument über die "europäische Identität" wurde beschlossen, Europa solle "mit einer Stimme" in allen wesentlichen Fragen sprechen. Die vierte Konferenz in Paris (9. / 10.12.1974) trat für die Direktwahl des Europäischen Parlaments ein und beauftragte den damaligen belgischen Ministerpräsidenten Tindemans, einen Bericht über die weiteren Integrationsmöglichkeiten vorzulegen. 1975 wurde der sog. Tindemans-Bericht freundlich aufgenommen, zeigte jedoch wenig Wirkung. Seit 1974 tagt die Gipfelkonferenz dreimal im Jahr als Europäischer Rat. Am 5.12.1978 wurde in Bremen das integrationspolitisch bedeutsame Europäische Währungssystem (EWS) beschlossen und 1986 die Einheitliche Europäische Akte (EEA), die erste Revision des EWG-Vertrags, verabschie­det. 1988 einigte sich der Europäische Rat, der in der EEA als offizielles Or­gan der EG verankert worden ist, auf die Vollendung des Binnenmarktes bis Ende 1992. Als dringendes binnenpolitisches Desiderat gilt die Herstellung einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Stärkung der Institutionen.

Die europäische Integrationspolitik ist nach wie vor eine Herausforde­rung an Regierungen und Parlamente, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Verbände und nicht zuletzt an die Bürger. Sie enthält eine Fülle von Zielkon­flikten, u.a. zwischen Nationalismus und Internationalismus, Eigeninteresse und Solidarität, Protektionismus und Liberalismus, Parlamentarismus und Gouvernementalismus, Homogenität und Heterogenität. Dahinter verbergen sich ungelöste Probleme der Legitimation, Konzeption, Funktion und des Be­wußtseins eines geeinten Europa. Das Ergebnis der bisherigen Integration entspricht zwar noch nicht den politischen Zielvorstellungen vieler Europäer, ist jedoch unvergleichlich in der Geschichte.

Seit dem Bestehen der EWG / EG war die Frage der westeuropäischen In­tegration der Bundesrepublik Deutschland durch das Problem der deutschen Einheit, der sog. Wiedervereinigung oder Deutschen Frage, belastet. Die deutsche Vereinigung und die europäische Integration waren zwei Staatsziele des Grundgesetzes der Bundesrepublik (Präambel: " ... von dem Willen be­seelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberech­tigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen ( ... ). Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden." (Vgl. Deutschland-Ver-

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trag, 1952, Art. 7 (2». Dabei wurde vom Vorrang der staatlichen Einheit aus­gegangen, die europäische Integration als unbestimmte Forderung angesehen (Blumenwitz 1989). Es entstand der Zielkonflikt, wie weit die Bundesrepublik eine Europäische Union, d.h. eine enge rechtliche, politische, wirtschaftliche und militärische Verflechtung mit den EG-Staaten eingehen dürfe, ohne das Verfassungsgebot der Wiedervereinigung zu gefiihrden. Die Beziehung zwi­schen (Gesamt-) Deutschland und Europa wurde von vielen als eine dialekti­sche Einheit betrachtet. Angesichts der deutschen Vereinigung soll - quasi als Gegengewicht - nach dem politischen Willen der meisten EG-Mitglied­staaten der europäische Integrationsprozeß beschleunigt werden.

Die Zustimmung der westlichen Kriegsalliierten zur Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands, ausgelöst durch die revolutionäre und politi­sche Systemtransformation im ehemaligen Ostblock seit Herbst 1989 und durch die Öffnung der Berliner Mauer und der deutsch-deutschen Grenze am 9. No­vember 1989, war an die Westintegration, an einen friedlichen Wandel und an die demokratischen Werte geknüpft, zu denen als zwingendes Recht (ius cogens) das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen gehörte. Für die Sowjetunion ging es um einen Interessenausgleich und besonders um militärische Sicherheitsgarantien (vgl. den (General-) "Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusam­menarbeit" zwischen Gesamtdeutschland und der Sowjetunion vom 9. Novem­ber 1990), für Polen um eine vertragliche Festschreibung der Westgrenze (vgl. den deutsch-polnischen Vertrag von 1991), insgesamt um die Wahrung der inter­nationalen Abkommen und Verträge. Die Einheit konnte infolge der geographi­schen Lage, der wirtschaftlichen und politischen Potenz Deutschlands nicht iso­liert von seinen Nachbarn und vom übrigen Weltgeschehen konzipiert werden.

3.3.5 Die außenpolitische Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft

Eine intensive außenpolitische Zusammenarbeit der EG-Mitgliedstaaten wurde durch die Bestellung Ständiger Vertreter der Außenminister der EG in BTÜssel im Jahre 1970 eingeleitet. Die Außenminister der EG-Mitgliedstaaten treffen sich sechsmal jährlich, die politischen Direktoren der Außenministe­rien monatlich. Die außenpolitische Zusammenarbeit in der EG hat ihren Niederschlag gefunden u.a. in gemeinsamen Nah-Ost-Erklärungen, in Erklä­rungen zu Mittel- und Osteuropa, in der Konferenz für Sicherheit und Zusam­menarbeit in Europa (KSZE, Helsinki 1975 und Nachfolgekonferenzen, Paris 1990), in der Mittelmeerpolitik, im europäisch-arabischen Dialog usw. sowie vor allem im gemeinsamen Auftreten der EG bei den Vereinten Nationen.

Die Außenbeziehungen der EG sind in starkem Maße wirtschaftlicher Natur. Sie betreffen vor allem das Verhältnis zu den USA und den Entwick-

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lungsländern, die Mittelmeerpolitik, die Ost(handels)politik sowie das Ver­hältnis zu China und Japan. Künftig sollen Verteidigung und Sicherheit hinzu-kommen. Sie rden die EG politischer machen.

Von der VR China (die seit 1975 durch einen Botschafter in Brüssel ver­treten ist) wurde seit den 60er Jahren die Bedeutung der EG für die wachsende Unabhängigkeit Westeuropas von den Großmächten, insbesondere gegenüber der Sowjetunion, hervorgehoben.

Als die weltweit gelungenste Entwicklungshilfe gilt das Abkommen der EG über wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den 69 sog. AKP-Staaten (meist ehemalige Kolonien der EG-Mitgliedsländer Belgien, Frankreich, Großbri­tannien, Italien und Niederlande in Afrika, der Karibik und im Pazifik).

Als ein herausragendes Ereignis ist das - durch die revolutionären Refor­men im Osten obsolet gewordene - Abkommen zwischen der EG und dem (östlichen) Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RgW, Comecon) anzusehen. Am 25. Juni 1988 konnte die "Gemeinsame Erklärung" zwischen beiden re­gionalen Wirtschaftsorganisationen in Europa in Luxemburg unterzeichnet werden. Ihr kam praktisch die - vom Osten über drei Jahrzehnte aus ideologi­schen Gründen (die EG wurde als "Instrument der NAID und des Kapitalis­mus" denunziert und war ein Gegenstand der "Imperialismusforschung"; Lippert 1990) verhinderte - gegenseitige Anerkennung und die Aufnahme di­plomatischer Beziehungen gleich, die von allen RgW-Staaten, außer Rumä­nien, noch 1988 hergestellt wurden. In ihr wurde die Grundlage für die gene­relle Zusammenarbeit auf den Gebieten Wissenschaft, Technologie und Um­welt geregelt und der Rahmen für den Ausbau bilateraler Beziehungen der EG-Staaten zu den osteuropäischen RgW-Staaten abgesteckt. Von der Mög­lichkeit bilateraler Handels- und Kooperationsverträge machten seit Dezem­ber 1988 Ungarn, die Tschechoslowakei, Polen, die UdSSR, die DDR, Bulga­rien und Rumänien Gebrauch. Für die wirtschaftliche Unterstützung dieser Länder wurde eine Osteuropa-Bank etabliert. Ferner wurde vom Europäi­schen Rat den Bereichen Bildung und Ausbildung eine besondere Bedeutung für die Förderung des Reformprozesses in Mittel- und Osteuropa beigemes­sen. Das europaweite Mobilitätsprogramm TEMPUS für den Hochschulbe­reich (DAAD, Kennedyallee 50, 5300 Bonn 2) wendet sich zunächst nur an Polen und Ungarn.

Die DDR war an einer sog. Nichtberührungsklausel an der "Gemeinsa­men Erklärung" interessiert. Sie besagte, daß bestehende (bilaterale) Rege­lungen und Verträge zwischen Ländern der beiden Integrationsgemeinschaf­ten unangetastet bleiben sollten. Dies betraf die sog. "stille Mitgliedschaft" der DDR in der EG (nach dem Zusatzprotokoll zum EWG-Vertrag). (Vgl. Eu­roparat Abschn. 3.3.1).

Insgesamt ist durch die "Gemeinsame Erklärung" eine neue Phase in den Ost-West-Beziehungen eingetreten, die allerdings von der politisch und

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militärisch motivierten Cocom-Liste (Exportverbot für sensible Güter in den Osten) eingeschränkt wurde.

Im Zusammenhang der durch Gorbatschows Perestrojka-Politik ausgelö­sten nationalen Befreiungsbewegungen in Osteuropa, einschließlich der DDR, und dem Zerfall des ehern. Ostblocks - einschließlich der Auflösung der So­wjetunion in eine Gemeinschaft (elf) Unabhängiger Staaten (GUS; 1991) - hat sich seit Ende 1989 eine neue Situation ergeben. Sofern die in Frage kommen­den Staaten rechts staatlichen Grundsätzen folgen, die Menschenrechte respek­tieren, Mehrparteiensysteme zulassen, freie Wahlen garantieren, marktwirt­schaftliche Regeln tolerieren und dergleichen will die EG grundsätzlich positiv auf den Wunsch einer mit ihr kooperierenden Regierung nach Assoziierung in Form von qualitativ bevorzugten "Europäischen Abkommen" reagieren. Im Dezember 1991 wurden Assoziierungsverträge mit Polen, Ungarn und der CSFR abgeschlossen. So kann die Architektur eines künftigen größeren Europa Gestalt annehmen. Denkbar wäre z.B. eine westeuropäische Föderation in einer gesamteuropäischen Konfdderation. Die EG als ein starker Ordnungsfaktor in Europa erweist sich ebenfalls an den Beitrittsgesuchen von Österreich, Norwe­gen, Finnland, der Türkei, Schweden, von Zypern und Malta.

Die Verhandlungen der EG mit den sechs EFTA-Staaten sollen bis zum In­krafttreten des Binnenmarktes einen Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) herstellen (vgl. die Gemeinsame Erklärung zum Abschluß des Ministertreffens EG-EFTA vom 9.4. 1984 in Luxemburg), wobei die Frage der Mitwir­kungs-(Mitsprache )rechte im gemeinsamen Entscheidungsprozeß besonders kontrovers ist.

Das herausragende integrationspolitische Ereignis ist der sog. Maastrichter "Vertrag über die Gründung einer Europäischen Union" vom 9. /10. Dezember 1991 (Europäischer Unionsvertrag). Darin werden u.a. als Ziele gesetzt die "Förderung eines ausgewogenen und dauerhaften wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts, insbesondere durch Schaffung eines Raums ohne Binnengrenzen, durch Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und durch Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion ... " (bis zum Ende des Jahr­hunderts). Die Europäische Gemeinschaft soll auf dem Prinzip der Subsidiari­tät beruhen, will eine eigene "Unionsbürgerschaft" mit kommunalem und Eu­ropawahlrecht (s. Abschn. 5.1) schaffen, eine gemeinsame Außen- und Sicher­heitspolitik etablieren, die Verteidigungspolitik koordinieren, die gegenseitige Hilfe in der Innen- und Justizpolitik regeln usw. Die erhoffte Verstärkung der Rechte des Europäischen Parlaments blieb dagegen weit hinter den Erwartun­gen zurück (Wesseis 1992). Nach Artikel 126 des Vertrags will die Gemein­schaft die "Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen" durch Sprechenlernen, Anerkennung der Diplome, Förderung der Zusammen­arbeit und des Austauschs u.dgl. fördern. Artikel1Z7 reklamiert die berufliche Bildung als Gemeinschaftsaufgabe.

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