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1 Kaplan Hermann Jaspers aus St. Martini in Münster, Westfalen. ------------------------------------ Meine erste Stelle als Kaplan an St. Mauritius in Ibbenbüren von 1952 bis 1957. Am 6. August 1952, dem Fest der Verklärung Christi, einem Mittwoch, weihte Bischof Dr. Michael Keller uns vierzig Diakone in der Stadt- und Ratskirche St. Lamberti in Münster zu Priestern. Der Weihekurs mit Regens Weinand und Spiritual Roth. Der Dom lag noch in Trümmern. Das nachstehende Bild zeigt den Bischof auf den Trümmern vor seinem Palais. Bischof Michael Keller 1952 Meine Primiz feierte ich am darauf folgenden Sonntag, dem 10. August 1952, in meiner Heimatkirche St. Martini in Münster, die inzwischen notdürftig wieder hergestellt war. Primizamt am Sonntag, dem 1o. August 1952. Das Umfeld der Kirche war noch deutlich von den Bombardements des vergangenen Krieges gezeichnet. Einzug zum Primizamt Einer der Meßdiener beim Primizamt war der spätere Weihbischof Friedrich Ostermann, der auch aus meiner Heimatgemeinde St. Martini stammt.

Kaplan Hermann Jaspers

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Kaplan Hermann Jaspers aus St. Martini in Münster, Westfalen: Meine erste Stelle als Kaplan an St. Mauritius in Ibbenbüren von 1952 bis 1957

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Kaplan Hermann Jaspers aus St. Martini in Münster, Westfalen. ------------------------------------ Meine erste Stelle als Kaplan an St. Mauritius in Ibbenbüren von 1952 bis 1957. Am 6. August 1952, dem Fest der Verklärung Christi, einem Mittwoch, weihte Bischof Dr. Michael Keller uns vierzig Diakone in der Stadt- und Ratskirche St. Lamberti in Münster zu Priestern.

Der Weihekurs mit Regens Weinand und Spiritual Roth.

Der Dom lag noch in Trümmern. Das nachstehende Bild zeigt den Bischof auf den Trümmern vor seinem Palais.

Bischof Michael Keller 1952

Meine Primiz feierte ich am darauf folgenden Sonntag, dem 10. August 1952, in meiner Heimatkirche St. Martini in Münster, die inzwischen notdürftig wieder hergestellt war.

Primizamt am Sonntag, dem 1o. August 1952.

Das Umfeld der Kirche war noch deutlich von den Bombardements des vergangenen Krieges gezeichnet.

Einzug zum Primizamt Einer der Meßdiener beim Primizamt war der spätere Weihbischof Friedrich Ostermann, der auch aus meiner Heimatgemeinde St. Martini stammt.

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Einer der beiden großen Ministranten a. d. rechten Seite

Jeder von uns Neupriestern war natürlich gespannt, wohin der Bischof ihn senden werde. Maßgebend dafür waren wohl der Rat des Regens sowie der Stellenplan des Personalchefs, damals Domkapitular Kantau. Ich erhielt meine erste Stelle als Kaplan an der Pfarre St. Mauritius in Ibbenbüren. Das wurde mir in einem offiziellen Schreiben vom 15. August 1952 mitgeteilt.

Ernennungsurkunde

So habe ich mich dann unverzüglich mit dem Pfarrer von St. Mauritius, damals Bernhard Heufers aus Lippborg, in Verbindung gesetzt.

Kaplan Hermann Jaspers 1952

Was wußte ich über Ibbenbüren, zumal über St. Mauritius! Die Stadt mittlerer Größe lag laut Landkarte ca. 3o km östlich von Münster, im Teutoburger Wald, - genauer: im ‚Tecklenburger Land’. Sie war von der ‚Preussag’ - einer großen Zeche - geprägt und religiös Diasporagebiet. Erreichen konnte man Ibbenbüren mit dem Linienbus einer Privatfirma Weilke (Abfahrt Landeshaus/ Piusallee) oder mit der Bahn via Rheine/Osnabrück respektive via Lengerich und Teutoburger-Wald-Eisenbahn. Ich vereinbarte mit Pfarrer Heufers einen baldigen Vorstellungstermin. Die Fahrt nach Ibbenbüren mit der Bahn bis Lengerich und anschließend mit dem ‚Teutoburger-Wald- Express’ bis Ibbenbüren mit seinem ‚beeindruckenden’ Endstations-Bahnhof hatte meine Erwartungen alle Stadien eines Hoch- und Tief durchlaufen lassen. Ich ging im Wissen darum, daß St. Mauritius die Hauptpfarre in Ibbenbüren sei, verständlicher weise stadteinwärts Richtung Stadtmitte, um dort mein Ziel zu erreichen. Bald stieß ich dann zu meiner Freude auch auf die wunderschöne gotische Kirche und versuchte sie zu betreten, um Christus als Erstem an meiner ersten Arbeitsstelle meine Aufwartung zu machen.

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Christuskirche in Stadtmitte

Aber, die Türen waren verschlossen und angefragte Passanten ließen mich wissen, dies sei die evangelische Hauptkirche in Ibbenbüren. St. Mauritius sei die klassizistische Kirche mit dem Glockenhelm, in ‚der’ Richtung gelegen. Ich ging dann in ‚der’ Richtung und betrat, am Ziel angekommen, hier

St. Mauritius

meine erste Arbeitsstätte, um mich bei meinem ‚eigentlichen’ Arbeitgeber als erstem vorzustellen, anschließend bei meinem künftigen ’Prinzipal’. Der empfing mich im Pfarrhaus Nordstrasse 2 sehr freundlich. Zunächst gab es eine Tasse Kaffee nebst

Imbiß, besorgt durch ‚Fräulein Fröhlich’, damals üblich so und außerdem auch ‚Haushälterin’ tituliert. Anschließend führte mich Pfarrer Heufers zu allen Stellen in der Pfarre, an denen ich künftig einmal tätig werden sollte und stellte mich dort den maßgeblichen Persönlichkeiten vor. Ich empfand das als sehr nobel! Zum Schluß vereinbarten wir, ich solle nach der anstrengenden Zeit um Weihe und Primiz zunächst noch einige Tage der Ruhe pflegen und dann zu Anfang September meinen Dienst antreten. Zum Abschied drückte er mir einen Umschlag mit Stipendiengeld in die Hand. Ich solle schlicht ‚intentione dantis’ – im Sinne der Geber - zelebrieren. So hätte ich dann zunächst auch ein wenig Geld in der Hand. Diese Geste empfand ich als sehr umsichtig und mitfühlend! Ich habe sie ihm nie vergessen! Das Gehalt, das wir ab dem Weihemonat erhalten sollten, kam nämlich erst später. In finanzieller Hinsicht war ich während meines ganzen Studiums in sehr prekärer Lage. Ich war im Herbst 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück gekommen und mußte erfahren, daß mein Vater bei einem Bombenangriff auf Münster umgekommen war. Das bescheidene Einfamilienhaus, das meine Eltern 1932/33 am Stadtrand Münsters errichtet hatten, war ebenfalls total von Bomben zerstör worden. Ein älterer Bruder war in Russland vermißt und kam, wie wir später erfuhren, in der Gefangenschaft um. So schlugen wir, meine Mutter und meine zwei Geschwister, uns durch. Ich mußte zunächst auf einem Förderkurs noch das Abitur nachholen. Während des Studiums habe ich dann in den Semesterferien auf dem Bau gearbeitet, bisweilen einen Job bei Behörden gehabt und zum Erlaß der Studiengebühren in jedem Semester zwei Fleißprüfungen abgelegt Ich kannte ‚Schmalhans’ als Küchenmeister.

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Hier meine erste Arbeitsstelle – St. Mauritius Blick vom Friedhof aus.

Als es beim Gespräch mit Pfarrer Heufers wegen meines Dienstantritts auch um die Frage ging, welche Möbel ich für die Ausstattung meiner Zimmer im Pfarrhaus mitbringen würde, mußte ich bekennen, daß ich buchstäblich nichts besäße. Als ich zum Dienstantritt dann anreiste, brachte ich einen Koffer mit Leibwäsche und einen Karton Bücher mit. Meine Schwester hatte mir eine Schreibmaschine ‚Monika’ der Firma Olympia geschenkt, alle Verwandten zusammen einen Primizkelch für 3oo,- DM vom Juwelier Seegers in Kevelaer und befreundete junge Leute aus der Nachbarschaft eine selbstgezimmerte Kniebank! Bei einer Versteigerung hatte ich zwischendurch noch einen Büroschreibtisch aus Sperrholz nebst Sessel und Tischlampe erworben. Außerdem besaß ich ein Fahrrad. Das war’s und passte bequem auf einen PKW-Anhänger, auf dem mir ein freundlicher junger Kaufmann die Sachen dann kostenlos nach Ibbenbüren brachte. So sah das damals aus und so kam ich nach Ibbenbüren! Um eine vorerst bescheidene Möbelierung meiner Zimmer zu bewerkstelligen, konnte Pfarrer Heufers Mobilar verwenden, das eine pensionierte Lehrerin auf dem Dachboden im Pfarrhaus abgestellt hatte. Sie gab dazu ihre Zustimmung. Kaplan Im Winkel, damals Religionslehrer an der Berufschule, lieh mir bald darauf bereitwillig ein paar Hundert Mark, so daß ich mir bei Wehmeiers – Möbelhandel und Schreinerei direkt nebenan – zunächst ein eigenes Schlafzimmer bestellen konnte. Wehmeiers lieferten ein

solides – Eiche furniert - das ich heute noch habe! Zum Wohnen im Pfarrhaus dürfte noch interessant sein anzumerken, daß die Toilette für zwei auch im Hause wohnende Kapläne auf halber Treppe lag und dort auch das Waschwasser für die Morgentoilette mittels Krug gefasst werden mußte. Gebadet wurde in der Badeabteilung des Krankenhauses. Das Reinigungsbad kostete o,5o DM. Nach dem Bad besuchte man Schwester Lucina, - im Krankenhaus waren münster-mauritzer Franziskanerinen tätig - die Küchenschwester, die sehr unterhaltsam und auf Neuigkeiten scharf war und uns Kaplänen eine Tasse Kaffee nebst Gebäck spendierte. Ihr Bruder war übrigens ein damals bekannter Pater Rochus Spieker, der schriftstellerisch von sich reden machte. Anfang September, genau gesagt am Sonntag, dem 31.08.1952, nahm ich meinen Dienst auf. Die erste Predigt habe ich in der Kindermesse des nächsten Sonntags um 8.oo Uhr über die Schutzengel gehalten. Der Hauptlehrer aus der Bauernschaftsschule in Allstedde – wo ich dann auch Religionslehrer war – bemerkte bei meinem ersten Erscheinen dort, es sei ganz interessant gewesen, den Neuen und Jüngeren einmal zum Thema ‚Engel’ gehört zu haben. Ich habe dieser Anmerkung eines Schulmannes gemäß beim Predigen immer mit Bedacht Wert auf ‚interessant’ gelegt, und daher auch wohl nie mit ‚fortlaufendem Erfolg’ gepredigt, was heißen soll, daß während meiner Predigten nie jemand aus Langeweile fortgelaufen ist. Was an Arbeit in St. Mauritius insgesamt auf mich wartete, war vielseitig, interessant und bisweilen auch sehr fordernd. Ich werde nachfolgend besondere Schwerpunkte herausstellen. Freilich gab es auch viel erfreuliche Abwechselung und echte Entspannung durch die Begegnung mit wohlwollenden Menschen und durch die wirklich brüderliche Art des Umgangs der sechs ‚Kapläne’ mit einander. Diese waren damals: Franz Vennemann ( Schafberg - St. Michael) - Gerhard Teske (Kreisvikar) – Wilhelm Im Winkel (Religionslehrer/ Kreisberufschule) – Heinz Schneider (Kaplan

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und Religionslehrer /Gymnasium) und ich selbst. Im Oktober 1952 kam Kaplan Anton Wessels (für St. Ludwig) hinzu. Weitere Geistliche in Ibbenüren waren dann noch Rektor August Ströhmer – ehemaliger Leiter der Rektoratsschule - und der Steyler Pater Heribert Bonen als Seelsorger im Waldfrieden. Das Erste, was ich von den Mitbrüdern geschenkt bekam, war ein Krückstock für die sonntäglichen Spaziergänge, die oft gezielt bei ‚Brüggen August’ endeten, wo es damals für 1,2o DM einen ‚strammen Max’ nebst ‚großem Bier’ gab! Durch diesen Umstand kam es dann auch dazu, daß die Ibbenbürener Jugend mir - über solch hintergründige Fakten in Unkenntnis - hoch anrechnete, daß sie mich gleich am ersten Sonntag meiner Ibbenbürener Zeit bei dem - direkt neben der Wirtschaft Brüggen gelegenen - Sportplatz der DJK zu sehen bekam. Es gibt eben Fügungen! Das gottesdienstliche Leben in St. Mauritius war sehr vielfältig und reich. Zur Großpfarrei – Stadt und Bauernschaften - zählten ca. 15.ooo Katholiken. Die Gründung neuer Pfarren war voll im Gange. Der Reihe nach hatte man sonntags für drei Monate entweder im Hochamt um 1o.oo Uhr die katechetische Predigt, in den anderen Messen die sonntäglich liturgische Predigt oder in der Kindermesse um 8.oo Uhr (später 8.3o Uhr) die Kinderpredigt zu halten. Wer keinen Predigtdienst hatte, hatte die Taufen, die Messe im Krankenhaus oder um 14.oo Uhr (später 13.3o Uhr) die Christenlehre. Im Beichtstuhl war immer Dienstzeit! Wer am Sonntag morgen Zeit hatte, stellte sich auch dort zur Verfügung. Viele Kirchbesucher, die aus dem weiteren Umfeld kamen, machten gern davon Gebrauch. Jeden Samstag war offizielle Beichte! Um 14.45 Uhr (für die Landkinder) und um 15.45 Uhr (für die Stadtkinder) fand eine Beichtvorbereitung der Jungen und Mädchen jenes Schuljahrganges statt, der ‚an der Reihe’ war. Wenn die Kinder mit der Beichte ‚durch’ waren, war ab 17.oo Uhr Beichtgelegenheit für die Erwachsenen bis 19.oo Uhr; nach dem Abendbrot dann noch einmal für etwa eine Stunde. Es war so, daß jeden Sonntag eine

‚Standesgruppe’ – männliche / weibliche Jugend, Frauen und Männer – in der hl. Messe um 7.oo Uhr ihre Standeskommunion hatte. Der Dienst im Beichtstuhl war somit schon fordernd! Mir ist im Zusammenhang mit ‚Beichtstuhl’ dann noch folgendes in Erinnerung. Pastor Heufers legte großen Wert auf Pünktlichkeit. Das galt auch für die Abendbrotzeit am Samstag, wenn wir um 19.oo Uhr den Beichtstuhl für das Abendbrot im Pfarrhaus zu verlassen hatten. Ich war eines Samstags länger geblieben, um auch die letzten Beichtkinder an meinem Beichtstuhl noch zu absolvieren. Natürlich wurden derer dann mehr, weil Pönitenten vor den anderen Beichtstühlen jetzt noch zu mir wechselten. Als ich dann gut eine halbe Stunde zu spät am Abendbrottisch erschien, bekam ich folgendes zu hören: ‚Herr Kaplan! Auch meine Haushälterin und deren Hilfe haben Anspruch auf einen pünktlichen Feierabend. Den Leuten, die Sie noch absolviert haben, hätte eine halbe Stunde Warten als ‚Buße vorweg’ nicht geschadet. Einige von ihnen kannte ich nämlich! Und drittens macht man sich so auf Kosten seiner Mitbrüder beliebt!’ - Seitdem war ich pünktlich! Abschließend! Daß so etwas, wie die nachstehende Karikatur aus dem Jahre 2009 in Punkto ‚Beichte’ einmal möglich sein würde, war damals gar nicht vorstellbar.

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Karikatur im Jahre 2009

Der Kirchenbesuch war erbaulich gut. An den Festtagen quoll die Kirche über.

St. Mauritius Innenansicht – so im Jahre 1952

Herr Luttermann, der Organist, war ein großer Könner auf seinem Instrument und leitete einen vorzüglichen Kirchenchor. Die Festtage waren Erlebnisse! Kritisch wußte man über den Herrn Musikus allerdings, es dürften ihm

‚die Noten nicht herunterfallen’, denn dann verstumme sein Spiel. Improvisation war nicht seine Stärke. Küster Josef Keller war sehr zuverlässig und hatte immer alles auf der Reihe, besonders was Sauberkeit anging.

Küster Josef Keller

Ich war als jüngster Kaplan ‚liturgische’ Waschfrau. Es bestand nämlich die Vorschrift, daß bei Kelchtüchern vor deren Wäsche ein erster Spülgang von einem Kleriker besorgt werden mußte. Der jüngste Kaplan war jeweils zuständig. Heute schüttelt man den Kopf über so etwas. Der übertriebenen Ehrfurcht von damals entspricht heute allerdings all zu oft ein Defizit an Ehrfurcht! Herr Keller war übrigens von Hause aus gelernter Schneider und hatte im Krieg eine schwere Kopfverletzung erlitten, die ihn berufsunfähig machte. Er ging mit allen Textilien – besonders den guten Paramenten – fachmännisch sorgfältig um. Uns Geistlichen bügelte er ebenso fachmännisch gekonnt die guten Hosen, die ja bei Besuchen in ‚gepflegten’ Kreisen einen ’klassischen’ Kniff haben mußten! Ibbenbüren war damals die Schulstadt im Kreise Tecklenburg. Da waren zunächst die große Volkschule in der Stadt und die zahlreichen Bauernschaftsschulen ringsum, dann die Mädchen-Mittelschule der Vorsehungsschwestern im Josefstift, die weit gefächerte Kreisberufschule, das expandierende Gymnasium und - jeweils in der Zeit von Nov. bis ins Frühjahr - die landwirtschaftliche Winterschule. Überall war Religionsunterricht zu erteilen. Ich unterrichtete an der Mauritiusvolkschule in den Oberklassen, in der

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Bauernschaftsschule Allstedde, teilweise auch in Lehen, am Gymnasium und wintertags in der Landwirtschaftsschule, insgesamt 1o bis 12 Stunden pro Woche. Das war eine Menge ‚Holz’ neben all der anderen Arbeit. An der Mauritius-Volkschule war Rektor ein Herr Mersch, der alles fest im Griff hatte und später Schulrat in der Gegend von Hamm wurde. Ich hatte außer dem Unterricht an der Mauritius-Schule noch mit Frau Biskup, einer pensionierten Lehrerin, zu tun, die den Kindheit-Jesu-Verein sehr liebevoll betreute und Jahr für Jahr in den Klassen neue Mitglieder warb. Diese wurden dann auch feierlich aufgenommen. Dafür war ich ihr geistlicher Ansprechpartner. Frau Biskup sammelte die monatlichen Beiträge der Kinder – o,1o DM – klassenweise ein und warb zudem für ‚Heidenkinder’. Mit einer Spende von 2o,- DM konnte man nämlich dafür Sorge tragen, daß in der Mission ein Kind getauft wurde. Frau Biskup brachte es manchmal auf fast 8o Kinder pro Jahr! Ein ‚Heidenkind’ zu ‚kaufen’ war auch Brauch anläßlich einer Taufe! Das Unterrichten in den Klassen – es war der Katechismusunterricht zu erteilen - machte Freude. Die Kinder waren durch die Bank gut erzogen, aufmerksam und lernwillig. Sie lernten auch auswendig, was aufgetragen wurde. Damals war der ‚neue’ – grüne - Katechismus in der Erprobung. Seine offizielle Herausgabe erfolgte 1955.

herausgegeben 1955 – gedruckt 1956 – 288 Seiten

Das hier abgebildete Exemplar habe ich damals bei Althaus gekauft.

Etikett auf der Innenseite

Geleitwort des Bischofs Michael Keller

Er brachte viel Leben in den Unterricht und war mit - meines Erachtens gelungenen - aussagekräftigen Zeichnungen bebildert.

Eine Seite als Muster

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Der Deutsche Katechetenverein begleitete die Einführung des Katechismus mit einer Fülle hilfreicher Literatur und einem dreibändigen Kommentarwerk für das Arbeiten mit dem Katechismus in der Schule. Führend dabei war Clemens Tillmann. Das Ganze sehr durchdacht! Im Jahre 195o war bereits das ‚Laudate’, das neue Gebet- und Gesangbuch für das Bistum Münster, erschienen. Auch dieses brachte ‚neuen Wind’ in das liturgische und gottesdienstliche Leben.

‚Laudate’ von 1950

Einführungswort des Bischofs zum ‚Laudate’

In Mauritius wurde jährlich im Herbst ein sogenannter ‚Kirchenkalender’ für das nächste Jahr erstellt und durch Verkauf verbreitet. Er enthielt unter anderem – besser gesagt: im Wesentlichen - eine Messordnung für die täglichen Schulmessen. Im Kalender

waren für jeden Tag - gemäß den liturgischen Vorschriften – eine Messform angegeben, die Lieder für eine Bet-Singmesse und die Fürbitten gedruckt oder auf eine Fundstelle für solche hingewiesen. Die Erstellung des Kalenders erforderte viel Arbeit, die dem Jüngsten unter den Kaplänen zufiel. Eine große Hilfe für die Bereitstellung von Fürbitten war ein Fürbittenbuch, das der Pfarrer von St. Peter und Paul in Kirchhundem (Sauerland) – Dechant Heinrich Grafe – damals herausgab. Als ein herausragendes liturgisches Ereignis im Laufe des Jahres muß die Fronleichnams-prozession erwähnt werden. Sie zog einen – meines Wissens – weiten und immer gleichen Weg, den ich nicht mehr beschreiben kann. Es war Ehrensache der Anwohner, die vier Segensaltäre festlich her zu richten. Herren des Kirchenvorstandes trugen den Baldachin. Im Tragen der großen Monstranz wechselten die Geistlichen ab. Der ganze Prozessionsweg war geschmückt mit Fahnen, Blumen, Birkengrün und kleinen Wegaltäre

Prozession auf dem Püsselbürener Damm. Im Hintergrund der Turm von St. Mauritius.

Altar der Kreuzschar am Prozessionsweg

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Die Prozession endete gegen Mittag. Oft waren die Teilnehmer – zumal wir Geistlichen in den schweren Gewändern – in Schweiß gebadet. Aber der Nachmittag war ja frei für die Erholung. Über den Religionsunterricht am Gymnasium - in der Unter- und Mittelstufe – bekam ich auch Kontakt mit dessen Lehrkollegium. Mächtiger und um die Entwickelung des Gymnasiums sehr verdienter Leiter war Oberstudiendirektor Staudigl.

im Bild rechts –

Herr Deiting - Bildmitte - war Leiter eines Unterstufen - Zweiges in Mettingen

Am Gymnasium herrschte große Raumnot. Das Gebäude der Rektoratsschule war natürlich viel zu klein. Unterricht wurde in vielen angemieteten Räumen – z. B. im Jugendheim der Pfarre an der Nordstrasse oder auch in Räumen von Gaststätten – erteilt. Die Aufstellung des Stundenplanes muß ein ‚hirnnervenzehrendes’ Kunststück gewesen sein.

Aus der Mitarbeit am Gymnasium resultiert bis heute (2009) eine enge Bekanntschaft mit Josef Hülsmeyer, der damals Assessor war und später Chef des Gymnasiums in Emsdetten wurde, sowie Frau Marianne Billmann, damals ebenfalls Assessorin und später Chefin des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Marl. Der Unterricht an der landwirtschaftlichen Schule fiel im Winter an und fand in einem Gebäude der Landwirtschaftskammer statt. So weit mir erinnerlich, lag dieses an der Oststrasse. Es waren damals zwei Landwirtschaftsräte in Ibbenbüren tätig. Im Spätherbst 1955 wurde der Leiter und Burgkaplan der Jugendburg Gemen – Kaplan Bernhard Wormland - zum Propst in Xanten ernannt. Zum Nachfolger wurde Wilhelm Im Winkel bestellt, derzeit Religionslehrer an der Kreisberufschule in Ibbenbüren. Oberkreisdirektor Rinke war einverstanden, wenn sofort ein Nachfolger zur Stelle wäre. Ich war durch Versetzung am 15.1o.1954 Kaplan an St. Ludwig geworden und wurde von heute auf morgen – um Weihnachten 1954 - zum Religionslehrer und Nachfolger Im Winkels ausgesehen. Eine vorläufige Bestellung erfolgte am 05.01.1955 mit der Weisung, wieder ins Pfarrhaus von St. Mauritius zurück zu ziehen. Eine endgültige Beauftragung einschließlich der Erlaubnis, einen Anstellungsvertrag mit dem Kreis Tecklenburg ab zu schließen, erhielt ich am 22.April1955. Vom Kreis Tecklenburg erhielt ich dann einen ordentlichen Anstellungsvertrag nach IV TOA Ich wurde bald mit einem großen Kollegium bekannt, von dem ich durchweg freundlich akzeptiert wurde.

Das Kollegium an der Kreisberufschule

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Direktor der Berufsschule war Herr Hans Hohenhaus, Leiterin des hauswirtschaftlichen Zweiges Fräulein Meier. ‚Unruhe’ unter den Berufschuljugend gab es damals infolge mancher ‚Neuerungen’ – auch ‚Umwälzungen’ in der Gesellschaft. Da kam ‚Rock und Roll’ (Peter Kraus) auf, die Bildzeitung für 1o Pfg. erschien, die Mädchen trugen plötzlich Hosen, bestimmte Berufszweige gewannen an Attraktivität, - z.B. Friseusen - und im Zusammenhang mit C&A – Mettingen = ‚Produktion für die Stange’ - entstanden ganze Klassen von Industrienäherinnen. Das sorgte dafür, daß an der Schule vermehrt die – damals amtlich noch so noch genannte – Fürsorge in Erscheinung trat. Es war allerdings gebräuchlich, daß auch der Religionslehrer sich – im Einvernehmen mit dem/der zuständigen Fachschaftslehrer/in - um Schüler / Lehrlinge kümmerte, die sich schwer taten oder gefährdet waren. Man sprach nicht nur mit den Betroffenen, sondern suchte auch die Lehrmeister/innen oder den Betrieb auf, um dem jungen Menschen rundum zu helfen. Beruf und Privat galten als Einheit: dieser Mensch! Ich wurde freundschaftlich bekannt mit dem Leiter der Schmiedeklasse, dem ich erzählt hatte, mein Großvater sei Schmiedemeister gewesen. Er lud mich eines Tages ein mitzufahren, als er mit der Klasse eine Studienfahrt nach Wolfsburg – VW unternahm. Was ich dort erlebte, war für mich tief beeindruckend, einmal industrietechnisch, besonders aber für die Beurteilung von damals wachsender Fließbandarbeit! Ähnliches kannte ich schon aus meiner Studienzeit. Ich hatte auf dem Bau in ‚Akkord’ gearbeitet Für die Erteilung des Religionsunterrichtes gab es kein Lehrbuch. Es waren – ich weiß nicht mehr, aus welcher Quelle – lediglich Themenhefte im Umlauf, die jugendrelevante Themen in – bemüht neuzeitlicher Form – zu behandeln suchten. Zu erwähnen ist auch, daß zur Ende der dreijährigen Berufsausbildung ein religiöser Einkehrtag angeboten wurde. Er fand mehrere Male im Schwesternhaus in

Brochterbeck statt, das über einen geeigneten Raum verfügte. Ich bestellte zu meiner Zeit für die Vorträge einen Jesuitenpater aus Münster, der über Lebens- und Berufsfragen aus religiöser Sicht referierte. Die Teilnahme war erfreulich gut! In diese Jahre fiel übrigens auch ein Besuch Pater Leppichs SJ in Ibbenbüren, der die damals aufkommende Konsum- und ‚high-life’- Mentalität in der Gesellschaft geißelte. Es gab eine Großveranstaltung mit sehr vielen Teilnehmern auf dem Neumarkt. Die Kollekte für die Projekte und Aktionen des Paters – später ‚Aktion 365’ genannt – fiel derart aus, daß Kolpingsöhne das Geld – damals noch viel in Münze – in Kisten weg tragen mußten. Durch das Entgegenkommen des Berufsschuldirektors konnte Pater Leppich am nächsten Morgen auch noch in einer eigens angesetzten Messe in St. Mauritius zur Berufsschuljugend sprechen. Ich mußte ihn –als er zu ‚ausgiebig’ sprach - dann allerdings daran erinnern, daß seine Zeit begrenzt war! ‚Würze in der Kürze’ war nicht seine Sache! Er selbst war aber schnell ‚eingeschnappt’! Religionslehrer war ich von 1955 bis 1957, bis zu meiner Versetzung an die Propsteipfarre St. Peter in Recklinghausen. Ein Hauptaufgabengebiet des Kaplans war sodann die Jugendarbeit. Ich war durch ein gesondertes Schreiben vom 19.09.1952 aus dem Generalvikariat zum ‚Präses für die männliche Jugend Ibbenbürens’ bestellt worden. Damit war gemeint die Jungschar, die Kreuzschar und die Pfadfinderschaft. Bei dieser hieß und fungierte ich als Kurat. Die Gruppen tagten im Jugendheim an der Nordstrasse, in dem es mehrere Gruppenräume gab, oder sommertags draußen zu Ballspielen oder sonstigen Aktivitäten wie Gesang am Lagerfeuer, Naturkunde im Wald oder Sport auf dem Sportplatz. Als Leitpfaden für die Gruppenarbeit erschien aus dem Jugendhaus in Düsseldorf die Zeitschrift der ‚Jugendführer’ Darin wurde ein Jahresthema vorgegeben und zu diesem Vorschläge und Anregungen für die Gruppenstunden unterbreitet. Ergänzend war auf weiteres entsprechendes Material

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hingewiesen. Für Spiele und kleines Theater in Gruppen gab es damals ein Scharadenbüchlein, aus dem man schöpfen konnte. Im Jahre 1951 war für religiöse Themen im Pfeiffer-Verlag München ‚Das gekrönte Jahr’ von Peter Eismann erschienen, das auf vier Bände anwachsen sollte.

Für die Pflege des Singens gab es ‚Jungen singt’ und ‚Der Burgmusikant’- beide 1950 erschienen.

Weniger gebräuchlich war das ‚Altenberger Singebuch’, das im Jahre 1949 erschienen war.

Viel neues weihnachtliches Liedgut brachten dann das ‚Weihnachtssingebuch’ und Schallplatten mit weihnachtlichen Liedern aus dem Christopherusverlag in Freiburg.

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Weihnachtssingebuch Schallplatte

Um diese Zeit kamen bei Dual und anderen Firmen Koffergrammophone heraus, welche die Verwendung der Schallplatten in Gruppenstunden sehr erleichterten. Diese Geräte hatten schon Saphirnadeln und abnehmbare Deckel, in denen sich die Lautsprecher befanden und so vielseitig verwenden ließen. Für den Einsatz von ebenfalls aufkommenden Diaserien in der Gruppenarbeit – zunächst noch s/w – gab es neue Projektoren von Zeitz u.a. Herstellern, ferner Projektionswände und Ständer für die Projektoren. Das alles waren echte Bereicherungen, welche halfen, die Gruppenarbeit inhaltsreicher und zugleich attraktiver zu gestalten. Jede Gruppe hatte ihren Namen und einen Wimpel. Unter den Gruppen herrschte auch eine gesunde Konkurrenz. Es wurde echt gefördert und gefordert.

Eine Feierstunde in den freien Natur

Die Aufnahme in den Bund der kath. Jugend war ein offizieller Akt, zu dem auch ein Versprechen und ein Segen gehörte.

hier in St.Ludwig

Die Mitglieder trugen ein kleines Kreuz auf dem Revers, die Jungschar bronzefarben, die Kreuzschar silberfarben.

Abzeichen der kath. Jugend

Wie viele Gruppen zu meiner Zeit bestanden, kann ich nicht mehr genau sagen. Gruppenführer waren – so weit mir erinnerlich - Karl Kamp, Karl Heinz Mönninghoff, Johannes Scholz, Josef Möllek, ferner ein Sohn vom Dr. Schedding u.a.m.

Johannes Scholz, Jungscharführer

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Als zuständiger Leiter der männlichen Jugendarbeit in St. Mauritius bekam ich vom Kreis Tecklenburg auch einen Ausweis.

Mit einer Gruppe ‚Kreuzschar-Mitglieder’ nahmen wir im Frühjahr 1955 – über Ostern – an einer Wallfahrt der Diözesan-Kreuzschar nach Rom teil. Die Kosten betrugen pro Person ca. 185,- DM. Dafür hatten viele lange Zeit gespart.

Diözesan-Kreuzschar 1955 zu Ostern in Rom

Über die Erlebnisse auf dieser Reise wäre ein eigenes Kapitel zu schreiben. Erwähnt werden müssen auch Feste wie Karneval und Erntedank, zu denen jeweils die ganze Jugend aufgeboten war. Sie kam in Scharen, sicher auch, weil es andere Angebote für die Jugend ja so gut wie gar nicht gab.

Blick in eine Karnevalsfeier

Gefeiert wurde bei Gastwirten, die über einen größeren Saal verfügten. Für die Erarbeitung der Programme für diese Feiern gab es immer ‚Leute’. die so etwas konnten!

Kaplan Schneider und Pastor Wessels.

Rel.-Lehrer Im Winkel und K.H. Mönninghoff

Kaplan Jaspers erhält die zünftige Kappe

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Von den Erntedankfeiern besitze ich keine Fotos. Sie begannen mit einer Festandacht in St. Mauritius, zu der ein riesiger Erntekranz in die Kirche getragen wurde, der auf einem Leiterwagen aus einer der Bauernschaften angefahren worden war. Mädchen begleiteten den Einzug des Erntekranzes in Festtracht. Es wurde gebetet und gesungen. Vorschläge und Material dafür gab es – so weit mir erinnerlich – in einer Zeitschrift der KLJB = Katholischen Landjugend-Bewegung. Diese hatte auch ein eigenes Liederbuch herausgegeben, in dem sich Erntedanklieder fanden.

Abzeichen der kath. Landjugendbewegung

Von der Kirche ging es dann auf die Tenne eines größeren Hofes zu einer zünftigen Erntedankfeier mit reichlich Essen, Trinken, Tanz und Spiel.

Besondere Freude bereitete mir die Arbeit mit den Pfadfindern. Der Stamm war damals – so weit mir erinnerlich – fast 1oo Mitglieder stark.

Abzeichen der Pfadfinderschaft St. Georg

Stammesführer war Ewald Artmeier, junger Maurermeister, der den Jungen viel beizubringen wußte und Vorbild war.

Ewald Artmeier – mit Gitarre - und Kpl. Im Winkel

Die Pfadfinderschaft besaß auch eine eigene kleine Liedersammlung mit gediegenen Liedern.

Bemerkenswert war ein Buch ‚Der Georgspfadfinder’, das nach einem sehr bedachten Leitfaden guten Lehrstoff für die Ausbildung der Pfadfinder enthielt. Ich habe schon oft bedauert, daß ich es eines Tages verschenkt habe. Wer immer von den

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‚Wölflingen’ daraus gelernt und sich mit dem Inhalt aus einander gesetzt hatte, war ein ‚brauchbarer’ Pfadfinder. Bei den Pfadfindern hatte ich sodann noch ein besonderes persönliches Erlebnis. Bei vielen Anlässen wurde gesungen. Verhältnismäßig viele der Jungen konnten dazu die Gitarre schlagen. Ich nicht! Ich kam mir daher vor wie eine Glucke, die Enteneier ausgebrütet hat. Deren Junge konnten schwimmen, ich stand am Ufer und gluckte frustriert. Das mußte anders werden. Zu Weihnachten des Jahres 1952 gab es erstmals Weihnachtsgeld, ich glaube 8o,- DM. Für das Geld habe ich mir bei einem Instrumentenbauer in Münster eine recht ordentliche Gitarre gekauft. Auf dieser habe ich dann nächtens geübt und Akkorde einstudiert. Das war mühselig. Das Instrument hatte Stahlseiten. Andere gab es damals noch nicht. So hatte ich bisweilen blutige Fingerkuppen. Als mein Bemühen bekannt wurde, fanden sich einige Jungen und Mädchen, die auch an so etwas interessiert waren. So haben wir eine Gruppe gebildet und zusammen geübt. Bei Rüschenschmidt durften wir dafür ein Gastzimmer nutzen. Kleine Fortschritte machten allen Freude, besonders, wenn man bald auch etwas ‚begleiten’ konnte. Echtes Gitarre-Spiel konnten wir uns freilich nicht aneignen. Mir wurde viele Jahre später bewusst – durch Unterricht, den ich dann noch bei einem Gitarrenlehrer nahm – daß es auf Techniken ankommt, die schlicht und einfach nur ein Fachmann vermitteln kann. Bei den damals im Musikstudium befindlichen Kindern des verstorbenen Küsters Bleker hätte ich Gelegenheit zu fachlichem Erlernen gehabt. Aber damals war Lernen nur ‚etwas für Kinder’! Mein Vorgänger als Jugendkaplan war Bernhard Sobbe aus Selm-Beifang gewesen. Dieser hatte sich mit anderen Kaplänen darum bemüht, im Kloster Gravenhorst für den östlichen Teil des Bistums so etwas wie ein Pendant zur Jugendburg Gemen zu errichten. Für die Einrichtung hatte er auch etwas Geld locker machen können, ein paar Hundert Mark. In einem Teil des Klostergebäudes gab

es dann auch schon Räume und Unterbringungsmöglichkeiten für Wochenendtagungen. Das Bemühen fand aber in Münster keine Unterstützung und wurde aufgegeben. Das Geld, das Kaplan Sobbe wie seinen Augapfel gehütet und dessen Höhe er nie bekannt gegeben hatte, - weshalb er dann auch Streit mit den Gruppenführern gehabt hatte, - durfte anderweitig verwendet werden. Für die Gestaltung der Aushangkästen erschien 1954 im Verlag Haus Altenberg ein Taschenbuch ‚Schaufenster Gottes’ von Paul Corazolla, mit dem man viel anfangen konnte. ‚Pflicht’ im Aushang war damals unbedingt der ‚Filmdienst’, in dem eine Wertung – eins bis vier – der jeweils gängigen Filme geboten wurde. Kinos gab es deren zwei in Ibbenbüren, betrieben von Herrn Engbrink. Diesen haben wir Kapläne einige Male aufgesucht, um ihn zu bewegen, mit ‚drei’ oder gar ‚vier’ bewertete Filme doch bitte erst gar nicht ins Programm aufzunehmen. Doch unsere ‚Eulen’ waren wohl eher seine ‚Nachtigallen’! Aus dem Leben im Pfarrhaus möchte ich noch folgendes ausführen. Fräulein ‚Ziska’ Fröhlich führte einen gepflegten Haushalt. Sie war von Hause aus examinierte Hauswirtschaftslehrerin und hatte zur Ausbildung auch immer eine Lehrköchin. An der Berufsschule gehörte sie zur Prüfungskommission. Die Verpflegung, die sie auf den Tisch brachte, konnte sich - nach dem, was ich im Leben gewohnt war - sehen lassen. Besonders die Festtage waren am festlich gedeckten Tisch auch solche. Ich habe Fräulein Fröhlich diese meine Einschätzung wiederholt kund getan und mich auch – etwa zu Weihnachten oder zum Namenstag – mit kleinen Aufmerksamkeiten bedankt. Sie hat mir das ihrerseits durch mancherlei Entgegenkommen vergolten. Auch, daß ich zu Pastor Heufers, ihrem Vetter, ein gutes Verhältnis pflegte und mich nicht in mancherlei Dissenzen - solche bisweilen unter dem Pfarrklerus - hineinziehen ließ, hat sie mir zu gute gehalten. Meine Absicht war es, mit meinem ersten Pfarrer gut ausgekommen zu sein und einmal in Frieden

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von ihm Abschied genommen zu haben. Das habe ich dann auch erreicht. Beim Abschied von Ibbenbüren im Jahre 1957 bot er mir das ‚Du’ an und hat mich später bei verschiedenen Anlässen immer wieder eingeladen.

Papenlandtag Treffen gebürtiger oder in Ibbenüren tätig gewesener Priester.

Im Oktober 1954 war ich – wie schon auf Seite 9 erwähnt - als Kaplan nach St. Ludwig – damals noch Rektoratskirche - versetzt worden und bezog die im neuen Pfarrhaus für einen Kaplan vorgesehene Wohnung. Ich bekam ein großes Arbeitszimmer im Erdgeschoß mit eigenem Eingang und im Obergeschoß des Pfarrhauses ein Schlafzimmer mit fl. Wasser. Ein Bad stand zur gemeinsamen Nutzung zur Verfügung. Der Umzug von St. Mauritus nach St, Ludwig kostete 45,- DM, woraus man ersehen kann, daß meine Ausstattung noch sehr bescheiden war. Die Unkosten erstattete die Bistumskasse. Mein neuer Prinzipal war jetzt Anton Wessels, der – wie schon erwähnt - für die Stelle eines ersten Pfarrers an St. Ludwig von den Polizeischule in Bork – dort Religionslehrer - im Oktober 1952 nach Ibbenbüren versetzt worden war. Seit dem kannte ich ihn und hatte so manches Bemerkenswerte an und mit ihm erlebt. Mit seinem Kommen hatte in St. Ludwig der Aufbau und die Verselbständigung eines eigenen Pfarrlebens erst recht begonnen. Zum 1. November 1952 wurde ein vollständiger Pfarrgottesdienst eingeführt.

Leider war meine Zeit bei Pastor Wessels nur sehr kurz, gerade bis Ende 1954. Dann wurde ich – siehe oben – ja an die Berufsschule versetzt. Die kurze Zusammenarbeit mit meinem neuen Pastor war sehr erfreulich und für mich auch in mancherlei Hinsicht lehrreich. Anton Wessels war vielseitig begabt. Er stammte aus einen bekannten Cafe gleichen Namens im Herzen von Emsdetten und war von daher wohl die Offenheit im Umgang mit den Mitmenschen gewohnt. Er hatte eine vorzügliche Stimme und konnte gut Klavier spielen, weniger klassisch, aber sehr volkstümlich und unterhaltsam. Im Krieg war er Sanitätsunteroffizier gewesen und hatte längere Zeit im hohen Norden der Ostfront gelegen. Dort hatte er ein Schildchen in seinem Krankenrevier angebracht, auf dem zu lesen stand: „Zwei Dinge trüben sich bei jedem Kranken: a) der Urin b) die Gedanken!“ Was ja auch stimmte, aber den Vorgesetzten nicht gefiel. Doch Uffz. Wessels weigerte sich, das Schildchen abzunehmen. Ich glaube, er besaß das Original damals noch. Mir riet er speziell, ich solle mir ein dickeres Notizbuch anschaffen und darin eintragen, wenn und worüber ich mich bei meinem Pastor geärgert hätte. Später, selbst Pastor, solle ich es mir hinter den Rasierspiegel stecken und täglich in Erinnerung rufen, worauf ich acht zu geben und was ich zu unterlassen hätte! Im Pfarrhaus schaltete Frau Hollenborg, sehr umsichtig und umgänglich. Es ist heute kaum noch vorstellbar, was diese Frauen in der und für die Pfarre bedeuteten. Sie waren permanent präsent, an der Tür wie am Telefon. Keiner klopfte vergeblich an. Sie waren die Drehscheibe im Pfarrleben, vermittelten Nachrichten und Termine, nahmen Geld entgegen und wachten mit darüber, daß nichts vergessen wurde. Verglichen damit war ihr Gehalt wirklich bescheiden. Jahrzehnte später wurde das geändert und aufgebessert. Uns Geistlichen wurden 2 % unseres Bruttogehaltes für die Haushälterinnenversorgung – unter anderem eine Rente - abgezogen.

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Pfarrer Anton Wessels verstand es natürlich auch, die Jugend zur Mithilfe bei Arbeiten um die Kirche zu gewinnen. Die älteren Jungen aus der Schule warb er für die Planierung des Kirchplatzes an. Als ‚Entgelt’ bekamen sie den Kuchen von Bäcker Zumkley, den Pfarrer Anton dort als ‚vom Wochenende übrig gebliebenen’ preiswert erwarb. Als eines Tages ein Amtsbruder zu Besuch erschien und die Jungen auf dem Kirchplatz fragte, was der Pastor ihnen für die Stunde bezahle, kam er eiligst hinzu und rief dem Mitbruder zu: ‚Komm her und mach mir hier das Gedinge nicht kaputt!’ Erster Organist an St. Ludwig wurde Herr Schrameier. So etwas die erster Küster war Herr Richter - von Hause aus Schuhmacher - der direkt neben der Kirche wohnte und in seinem Hause später für Beerdigungskaffee u.a. ein Lokal eröffnete. Ich durfte mein Motorrad bei ihm unter dem Balkon abstellen. In der Südstadt, nahe von St. Ludwig, war damals das Freibad eröffnet worden. Anton Wessels hatte bald den Schlüssel für einen Seiteneingang, so daß wir abends nach Tores Schluß noch schwimmen gehen konnten. Das taten – freilich ‚über’ den Zaum - aber auch andere, zum Beispiel Kolpingsöhne nach der Versammlung. Eines abends stießen wir als Badegäste zusammen. Die Kolpingsöhne entdeckten unsere Kleidung am Beckenrand und bekundeten Erstaunen und Freude darüber. Anton Wessels, ihr Präses, drohte ihnen gleich mit dem ‚Kirchenbann’, wenn sie sich an geistlicher Kleidung vergriffen. So gab es viel Spaß! Das kirchliche Leben in St. Ludwig – was ich jetzt sage, betrifft sowohl meine nur kurze Zeit als Kaplan an St. Ludwig als auch meine Mitarbeit vorher von St. Mauritius aus – erforderte hohen Einsatz. Die Gottesdienste waren sehr gut besucht, der Beichtstuhl wurde sehr rege frequentiert. Besonders erwähnenswert wären auch die vielen Trauungen, die jetzt in St. Ludwig anfielen und bei denen wir natürlich jeweils auf der Hochzeitsfeier erscheinen mußten. Manchmal haben wir ‚Pinneken’ gezogen, wer hingehen sollte. Man mußte bei Tisch ja immer feste

zupacken und beim Trinken mithalten. Auch so etwas konnte reichlich viel werden.

Auf einer Hochzeit

In die kurze Zeit an St. Ludwig fiel auch eine für mich persönlich denkwürdige Begebenheit. Ich besaß noch keinen eigentlichen Wintermantel. Ewald Herschbach, der bei Textil Nückel beschäftigt war, fand sich bereit dem abzuhelfen. Er vermittelte die Fertigung eines Überziehers nach Maß aus einem Rest Ulsterstoff, also etwas sehr Gutem. Als ich das Stück bei Nückel entgegennehmen konnte und den Chef des Hauses nach dem Preis fragte, sagte er, ich sollte seiner Familie am Altar gedenken. Dazu drückte er mir dann auch noch ein Paar warme Handschuhe und einen Wollschal in die Hand. Ich ging recht beschämt davon, andererseits aber auch froh und dankbar. Hätte ich bezahlen müssen, hätte ich das am Geldbeutel merklich gespürt. Der Bitte meines Wohltäters habe ich dann oftmals entsprochen. Jahre später ist der Mantel – ein unverwüstliches Stück – in eine Kleiderspende nach Polen gegangen. Ich hatte - in den 6oer Jahren - als Gehörlosen-seelsorger via USA den Landes-Gehörlosen-Seelsorger von Polen kennen gelernt und habe diesem danach lange bei der Besorgung des Nötigsten für seine Schäfchen geholfen. Des weiteren in Erinnerung sind mir noch die Osterfeuer. Sie zu bestellen war Aufgabe des jüngsten Kaplans. Ich hatte mit so etwas überhaupt keine Erfahrung. Das erste

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Osterfeuer – in der Gabelung Große Strasse / Püsselbürener Damm - ging daher auch ‚in die Hose’ Das Holz – von frisch beschnittenen Bäumen – war zu naß. Außerdem regnete es am Osterabend in Strömen. Die Feuerwehr bemühte sich ‚brandstiftend’ um das Feuer, aber es wurde nichts! Für das nächste Jahr zog ich die Lehre daraus. In Lehen wurde ein Stoß trockenen Holzes mit viel Stroh darunter aufgehäuft. Die Landjugend – die ich inzwischen auch näher kannte – fuhr alles herbei. Um ‚sicher’ zu gehen und ‚heimlich’ ließ ich auch zwei mit Petroleum gefüllte alte Autoreifen in den Stoß hineinpacken. Die hatte – wenn ich mich recht erinnere – Friedel Steuper besorgt. Er war Kraftfahrer bei Spedition Busemeyer. Von ‚Luftverschmutzung’ sprach damals noch niemand. Als am Osterabend dann die Reiter mit dem Feuer von St. Ludwig kamen und zündeten, flammte es richtig! Entsprechend klangen die Osterlieder! Es fanden sich immer erfreulich viele Teilnehmer am Osterfeuer ein! In der Erinnerung an damals drängt es mich auch etwas über die Mitbrüderlichkeit unter den Kaplänen bzw. Geistlichen zu berichten. Man gab sich gegenseitig hilfreiche Hinweise und ließ niemanden hängen. An den hohen Festtagen, zumal zu Weihnachten, traf man sich bei einem Mitbruder zu festlich gemütlichem Beisammensein und genoß, was die Hausdamen auf den Tisch stellten.. Hausdamen, das waren bei Kaplan Vennemann Fräulein Bruns, bei Kreisvikar Teske Fräulein Stermann, bei Kaplan Im Winkel Frau Im Winkel (die Frau seines gefallenen Bruders), bei Kaplan Schneider dessen Mutter. Über die Feiertage zu verreisen oder auf Tagung zu sein, gab es damals nicht. Die Hochfeste waren zugleich Tage höchsten Einsatzes! Von Interesse dürfte ferner ein Wort über meine Motorisierung während der Ibbenbürener Zeit sein. Ich hatte mein Fahrrad mitgebracht. Aber in Ibbenbüren gab es viel Bergauf und Bergab! Man hatte zudem längere Wege in die Bauernschaften zur Schule, zu Krankenbesuchen und zu Gruppenstunden zurückzulegen. In der

Jugendseelsorge fielen auch Wege in die Nachbardörfer zu Glaubensstunden für die Jugend an, die monatlich an einem Freitag Abend stattfanden. Kaplan Vennemann besaß ein schon etwas in die Jahre gekommenes Fichtel/Sachs-Motorrad (98 cm³ und ‚Fahrrad mit Hilfsmotor’ genannt), Kaplan Schneider ein gleiches neueren Datums und Kaplan/Pastor Wessels hatte eine 2oo cm³ Zündapp. Als Kaplan Vennemann sich ein Goggomobil angeschafft hatte, verkaufte er mir seine alte ‚Achtundneunziger’. Dieser ging aber an steilen Strassen bisweilen die Luft aus, so daß ich mich nach einem Motorrad umsah. Bei Deikert konnte ich für 6oo,- DM eine gebrauchte und in gutem Zustand befindliche DKW RT 125 erwerben. Zur Finanzierung mußte ich mir zunächst wieder Geld - diesmal 3oo,- DM - leihen.

In Motorradfahrerkluft.

In den damaligen Jahren lief in Deutschland eine regelrechte Motorisierungswelle. Zunächst waren es die Motorräder, die das Rennen machten. Das gab es die schweren BMW-Maschinen, von NSU eine beliebte und schnelle ‚Max’, ein gefragtes superschnelles Krad der Firma bzw. namens ‚Horrex’, die bescheideneren DKW und Zündapp sowie andere kleinere Typen. Auch Roller wie Vespa, Lambretta, Heinkel und der Kabinenroller von Messerschmitt waren am Markt. Erschwinglich wurden für Betuchtere – auch unter den Geistlichen – zunehmend kleine PKW wie Käfer von VW, - Lloyd von Borgward (genannt ‚Plastikbomber’),- Prinz von NSU, - Isetta von BMW, - ‚Fünfhunderter’ von Fiat - Goggomobil (Kleinstwagen) von Hans Glas GmbH. Dingolfing und noch andere.

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In diesem Zusammenhang dürften einige Anmerkungen über die Besoldung der Geistlichen zu damaliger Zeit von Interesse sein. Als Kaplan ohne Haushalt erhielt ich im Pfarrhaus Kost und Logis. Das Entgelt dafür erhielt der Pastor direkt vom Bistum. Es waren meines Wissens um die 8o,- DM im Monat. Dieser Satz wurde damals vom Sozialminister jeweils als Wert für die allgemeine Berechnung bei Gehältern und Lohnbezügen festgesetzt. In Bar, d.h., auf mein Girokonto, flossen monatlich 1oo,- DM. Davon ging der Krankenkassenbeitrag – zunächst 17,5o DM - ab. Einen gewissen Spielraum brachten die Stipendiengelder, für die Messe 1,- DM und für das Hochamt 1,5o DM, monatlich schätzungsweise zwischen 3o,- und 35,- DM. Persönlich war für mich sehr zufrieden stellend und befreiend, mit 26 Jahren endlich nirgendwo mehr die Hand aufhalten zu müssen, sondern auf eigenen Füßen zu stehen. Ich konnte jetzt – um ‚auf der Höhe und ‚am Ball’ zu bleiben – die geschätzte und sehr informative Wochenzeitung ‚Christlicher Sonntag’ (heute ‚Christ in der Gegenwart), die‚Katechetischen Blätter’ für den Unterricht, ‚Wort und Leben’ aus dem stuttgarter Bibelwerk mit Anregungen für die Predigttätigkeit, ferner die zuvor schon genannte Jugendzeitschrift aus Düsseldorf und schließlich die ‚Ibbenürener Volkszeitung’ mit Ferdinand Schulte als Chefredakteur beziehen. Letzteres tat ich bewußt, um mich als ‚Ibbenbürener’ auszuweisen. Die Kirchenzeitung bekamen wir umsonst. Über die Motorräder noch eine Anmerkung. Es gab im großen und ganzen noch keine zünftige Motorradkleidung. Viele fuhren ohne Brille und Kopfbedeckung. Die Strassen waren an ihrer Oberfläche auch nicht die besten, die vielfach steingepflasterten sehr glatt. An den Straßenseiten standen in der Regel auch noch Bäume. So gab es viele und schwere Unfälle mit Motorrädern. Wenn man den wöchentlichen Krankendienst hatte und dringend zur Ambulanz im Krankenhaus gerufen wurde, ahnte man schon, was einen erwartete. Man hat da

schlimme Eindrücke und Bilder von Kopfverletzungen verkraften müssen. Viele junge Menschen haben sich tot gefahren. Im Winter ist es einmal passiert, daß einem Fahrer ohne Kopfbedeckung das Gehirn unterkühlte und er bewußtlos mit hoher Geschwindigkeit dahin raste, bis in einer Kurve das ‚aus’ kam. Die Motorräder waren regelrechte ‚Schädelbruchmaschinen’. Den Krankendienst betreffend dürfte von Interesse sein, daß derjenige, der ihn hatte, sich in seiner Wohnung und telefonisch erreichbar aufzuhalten hatte. Wenn er sich entfernen wollte, mußte ein anderer für ihn über diesen Anschluß erreichbar sein. So streng waren sie Sitten. Der Dienst mußte zuverlässig vorgehalten werden! Weiter! Als ich Anfang 1955 zum Religionslehrer an der Kreisberufschule bestellt wurde, wurde ich zugleich Subsidiar an St. Mauritius. Im Oktober des Jahres ernannte mich der Bischof als den Nachfolger Religionslehrers Im Winkel auch zum geistlichen Beirat des KKV und zum Präses des Jung-KKV. Im pfarrlichen Dienst übernahm ich jetzt für die Werktage die Feier der hl. Messe um 6.00 Uhr in der Kapelle des Krankenhauses, so daß ich – nach einem von den Schwestern gebotenen Frühstück – um 7.oo Uhr in der Schule sein konnte, wo der Unterricht des öfteren so früh begann. Der Unterricht umfasste wöchentlich 28 normale Schulstunden und – nachmittags weitere zwischen 15 und 2o schwankende - dreißigminütige Kurzstunden. Man war abends – von dem vielen Sprechen und auch je nach Eigenart der Schulklassen - schon ‚geschafft’. Noch offene Unterrichtsstunden deckten Kaplan Albert Bettmer aus Brochterbeck und Dechant Freude aus Bevergern durch freiwillige Mitarbeit ab. Dechant Freude war schon älter und kam unbeirrt mit dem Fahrrad zum Unterricht nach Ibbenbüren. Die Erteilung des Unterrichtes selbst war in so fern problemlos, als Religion noch nicht ‚hinterfragt’ und der Unterricht als‚dazu gehörig’ akzeptiert wurde. Den evangelischen

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Schülerinnen und Schülern erteilte ein Diakon den Unterricht, der ebenfalls hauptamtlich tätig war. Im KKV kam ich mit dem Vorstand überein, daß wir zunächst einmal über die auch für Ibbenbüren ja interessante Reformationsgeschichte arbeiten wollten. Leitfaden dafür war ‚Die Reformation in Deutschland’ von Joseph Lortz. Es gab viele interessante Abende und lebendige Aussprachen. Die Mitglieder des Jung-KKV wurden mit eingeladen. Sie standen ja in einem Alter, in dem solche Themen auch für sie interessant waren. Während der Zeit in der Berufsschule entwickelte sich ein näheres Verhältnis zu Rektor Ströhmer in seiner ‚Jakobsburg’ auf dem Waldfrieden. Er war Rektor der Ibbenbürener Rektoratsschule gewesen. Die Nazis hatten ihn abgehalftert. Nach dem Krieg befand er sich im Ruhestandsalter. Er zelebrierte öfter im Krankenhaus und übernahm zunächst auch den Sonntagsdienst in Dörenthe, als dort St. Modestus errichtet worden war. Rektor Ströhmer machte gern ein Spiel: Schach, Skat und Doppelkopf. Des öfteren rief er mich Sonntag abends an, ob ich noch ein Stündchen für ein Spiel kommen möchte. Er würde eine gute Flasche auf machen. So haben wir manches Spiel gezogen. Er war mir haushoch überlegen. Ich setzte meinen Ehrgeiz dagegen und hatte auch hier und da einmal Erfolg. Als Rektor Ströhmer gestorben war, erbat und erhielt ich von seinem Neffen Viktor das Schachspiel, das ich bis heute noch benutze und in ehrender Erinnerung habe. Im Jahre 1957 kaufte sich Ströhmer den damals neuen Buckel-Taunus von Ford und bat mich, ihn damit zu Verwandten nach Holland zu fahren. Ich sollte fahren, er würde bezahlen. So sind wir zwei mal unterwegs gewesen, für mich in neue Welten, wie u.a. das Rijksmuseum in Amsterdam, das Frans- Hals-Museum in Haarlem und das Van - Gogh / Kröller-Müller-Museum bei Nimwegen, nicht zu vergessen Dokkum in der Provinz Friesland, wo Bonifatius und seine Gefährten den Märtyrertod erlitten.

Was den Buckel -Taunus betrifft, so habe ich auf einem solchen meinen Führerschein Klasse III gemacht. Ich betreute anfangs den alten Herrn Neuhaus (Schlosserei) an der Großen Strasse. Einer seiner Söhne hatte eine Fahrschule und bot mir eines Tages an, an einem gesonderten Schulungskurs teilzunehmen. Das tat ich, erhielt einige Fahrstunden auf besagtem Ford und am Schluß des Kurses vom Prüfer des TÜV aus Osnabrück den Führerschein ausgehändigt. Das Ganze kostete mich ca. 15o,- DM. Den Führerschein der Klasse IV – für Motorräder bis 25o cm³ - hatte ich schon 1951 erworben. Er kostete mich 7,5o DM und bestand nur aus einer theoretischen Prüfung. Im Kloster Waldfrieden wirkte der steyler Pater Heribert Bonen als Seelsorger und war für viele Ibbenbürener – auch Geistliche - Beichtvater. Er war auf holländisch Neuguinea als Missionar tätig gewesen und hatte aus Gesundheitsgründen passen müssen. Er konnte aus seiner Tätigkeit interessant erzählen, auch witzige Begebenheiten. So sei eines Tages jungen Missionaren die Ehre zu Teil geworden, an einer Audienz bei der holländischen Königin teilzunehmen. Bei der Einstimmung darauf sei ihnen gesagt worden, die Königin pflege unter anderem zu fragen, wo von denn die Eingeborenen in ihrem Missionsbereich lebten. Sie sollten kurz und sachlich antworten: Majestät, von Vieh, zumeist Schapen (Schafen) und Geiten (Ziegen)! – Einer der nun und so Gefragten habe – aus Nervosität - geantwortet: Majestät! Von Gapen (Gähnen) und Scheiten (Sch...n!). - Worauf Ihre Majestät lakonisch angemerkt habe, davon lebe so mancher bei Hofe auch! Politisch hatte in Ibbenbüren damals eine Koalition aus SPD und Zentrum das Sagen. Vorsitzender der Zentrumspartei war Theo Look. Er lag Pfarrer Heufers schwer im Magen, weil durch ihn politisch allgemein und besonders im Rat der Stadt manches anders lief, als der Pastor es sich gewünscht und von der CDU bestimmt bekommen hätte. Aber im Nachkriegsdeutschland gab es noch viele Katholiken, die an ihrem alten Zentrum, mit dem sie von 1933 bis 1945 zu mindest

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mental den Braunen Wiederstand geleistet hatten, weiter festhielten. Auch die KAB war hier zu Hause. Später sollte sich das freilich ändern. Bei der CDU spielte Malermeister Franz Falke eine wichtige Rolle. Er war für kurze Zeit auch einmal MdB für den Wahlkreis Rheine/Ibbenbüren. Über mein Schaffen und Erleben an der ersten Stelle in Ibbenbüren möchte und muß ich ganz persönlich noch folgendes freimütig darlegen: Ich kam und war als Neupriester vollgestopft mit wissenschaftlicher Theologie. Das Studium hatte von 1947 bis 1952, also runde 11 Semester, gedauert. Davon hatte ich die Zeit von April 1951 bis August 1952 im Priesterseminar verbracht. Zur Vorbereitung auf die praktische seelsorgliche Arbeit, die auf mich wartete, hatte ich zwei Semester Pädagogik mit wenigen praktischen Übungen in Schulkassen mitbekommen. Über Pastoralpsychologie hatte ich 2 Semester bei einem Prof. Burghardsmeier ‚gehört’. Dazu gab es aber keine Praktika. In Punkto Jugendarbeit, die ja mein Hauptaufgabengebiet sein würde, sah es nicht besser aus. Vor dem Krieg war ich in der HJ gewesen, um nicht von der Penne zu fliegen. Die Gruppenarbeit bei den Messdiener hatte geendet, als der Pater, der sich um uns kümmerte, vor den Nazis fliehen mußte. Nach Kriegsende – also ab 1945 – hatte ich etwas in der mühsam wieder auflebenden Jugendarbeit in der Heimatpfarre mitbekommen. Das Studium und die Sorge um den Lebensunterhalt hatten aber so gut wie alle Zeit für anderes in Anspruch genommen.. So stand ich an meiner ersten Stelle hinsichtlich der eigentlichen Aufgaben quasi ‚mit leeren Händen’ da. In der Ernennungsurkunde schrieb mir der Bischof : ‚Wir hegen das Vertrauen, daß Sie im Dienste der Kirche eifrig arbeiten und sich die Förderung des Seelenheiles der Pfarreingesessenen mit wahrhaft priesterlichem Eifer angelegen sein lassen werden. Dazu erflehen wir Ihnen Gottes Beistand und Segen.’

Das war’s! War auch gut gemeint, bedeutete mir aber praktisch keine Hilfe. Ich habe diesen Mangel oft als ein Stück Hilflosigkeit empfunden, dann aber angepackt und mein Bestes daraus gemacht. Dabei habe ich wohl unbewusst verwirklicht, was an meiner zweiten Stelle als Wort Adolf Kolpings auf dem Ausweis als Präses der Kolpingfamilie Recklinghausen-Zentral stand: ‚Wer Menschen gewinnen will, muß sein Herz zum Pfande setzen!’ Das hatte ich so auch in Ibbenbüren getan und war’s am Ende von fünf Jahren zufrieden! Im Laufe der späteren Jahre hat man den Mangel höheren Ortes wohl erkannt und ihm abgeholfen, indem man in die Ausbildung ein praktisches Jahr einbaute. Der angehende Kaplan ging als Diakon für ein Jahr in eine Pfarre und lernte dort kennen, was ihn erwartete. Auch den Fächerkanon des Studiums hat man in Richtung pastoraler Tätigkeit umgebaut. Gott sei Dank! Nicht unterschätzen sollte man ins gemein den hohen Wert musischer Begabung für alle Sparten der Seelsorge und während der Ausbildung etwas dafür tun. Unverzichtbar ist darüber hinaus auch eine Zusatzausbildung, wenn es um spezifische Tätigkeitsfelder wie etwa Kranken- oder Behindertenseelsorge geht. Und nicht zu verachten wäre schließlich eine regelrechte Arbeitsplatzbeschreibung, aus welcher hervorgeht, was für eine Stelle als Auslastung anzusehen ist und wann Über- oder Unterforderung vorliegen. Schließlich und endlich noch einiges Spezielle aus der ibbenbürener Zeit! Die Gottesdienste waren immer gut bis sehr gut besucht. Zu Weihnachten wurde in den Hauptgottesdiensten an vier Stellen die hl. Kommunion ausgeteilt, an den beiden Kommunionbänken, am Taufbrunnen hinten in der Kirche und auf der Orgelempore. Direkt überwältigend und erdrückend war der Andrang aber zum Empfang des Blasiussegens, der etwas despektierlich das ‚achte’ Sakrament genannt wurde. Da mußte jeder antreten, der zur Erteilung des Segens ermächtigt war, bisweilen sechs Geistliche,

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denen es wegen des langen Segensspruches dabei fast die Stimme verschlug! Weiter! Damals wurde in St. Mauritius an den beiden Kircheingängen neben dem Turm baulich etwas gegen den Windzug in der Kirche getan. Da stand Pfarrer Heufers eines Tages am Ort der Maßnahme und zufällig vorbei kam Architekt Hövel. Diesen mochte Pfarrer Heufers nicht, vielleicht mochte Architekt Hövels den Pfarrer Heufers auch nicht, weil dieser in allen Baufragen den Architekten Thalmann zur Hand hatte. Pfarrer Heufers fragte Herrn Hövels nun beiläufig, was er von der Maßnahme halte. Dieser ging näher an die Baustelle heran, sah hier und dort hin und sagte, er finde das Ganze in Ordnung. Wenige Tage später bekam Pfarrer Heufers vom Architekten Hövel eine Honorarforderung für Begutachtung einer Baumaßnahme an St. Mauritius gemäß Gebührenordnung. Ich habe darauf hin an Pfarrer Heufers erlebt, wie das ist, wenn ein Rohrspatz schimpft. Wahrscheinlich hatte ihm Rechtsanwalt Dr. Krüsemeier, der Mitglied im Kuratorium des St. Elisabeth-Hospitals war, wohl geraten, zwecks Vermeidung größeren Ärgers schlicht und einfach zu zahlen. Ein weiteres Kuriosum folgender Art ist mir in Erinnerung. Ich wurde von Pfarrer Heufers gewarnt, es gäbe da eine Jungfrau um die Zwanzig, die oft zur Mittagszeit in der Kirche weile, wenn die Geistlichen – gezielt die jüngeren – die Kirche zum Angelus oder einfach zu einer kurzen Adoratio aufsuchten. Dann fiele sie ‚aufstöhnend’ und ‚polternd’ in Ohnmacht – natürlich, damit ihr einer der Herren zu Hilfe käme und sie sich an ihn halten – seiner buchstäblich ‚habhaft’ - werden könne. Ich solle im gegebenen Falle stracks ins Pfarrhaus eilen und dort Hilfe holen. Als wirklich eintrat, worauf ich vorbereitet war und entsprechend handelte, hatte besagte junge Dame sich selbst ‚bekriegt’ und ‚lautlos’ davon gemacht, bevor jemand aus dem Pfarrhaus zu Hilfe eilen konnte. Ein anderer und ähnlicher Fall war der, daß eine jüngere Frau eines Tage mit gewölbtem

Leib – eine Schwangerschaft andeutend – in der Öffentlichkeit erschien. Da sie ohnehin ‚nicht unbekannt’ war, hob im Volk natürlich ein entsprechendes ‚Geraune’ an, wer da wohl....? Dem ganzen Gerede machte jedoch die lakonische Bemerkung von jemandem ein Ende, der wissend war und schlicht feststellte, diese Dame müsse nicht ‚entbunden’ sondern solle nur möglichst bald ‚ausgewickelt’ werden. Die Haare ließen wir uns bei Schmutny, dem Friseur Ecke Große- und Roggenkampstrasse, schneiden. Damals trug man als Geistlicher noch eine Tonsur, die durch Nachschneiden erhalten werden sollte. ‚Tonsur’ muß man geschichtlich erklären. ‚Tonsura’ ist eine Scherung / Schur. Im Altertum trugen die Freien langes Haar, den Sklaven war das Haar geschoren. Sie waren also durch die ‚tonsura’ = ‚geschoren sein’ gekennzeichnet. Wer sich nun als Christ bedingungslos dem Dienste für Christus zur Verfügung stellen will, wird dadurch gleichsam dessen Sklave und erhält dafür die Tonsur = ein Scheren des Haupthaares als Zeichen. Dies erfolgt, indem der Bischof dem Betreffenden die Haare an der Fontanella = Schädelnaht hinten auf dem Schädel abschneidet, und zwar, wenn die niederen Weihen erteilt werden. Dadurch entsteht über der Fontanella eine etwa 5,- DM große freigelegte Fläche, welche, die ‚Tonsur’ genannt wird. Diese Tonsur sollte eigentlich immer erneuert = durch Nachschnitt frei gehalten werden. Herr Schmutny fragte wegen der Tonsur immer: Und? Durch den Empfang der Tonsur wurde man übrigens Kleriker. Mit der Zeit geriet die Tonsur dann in Vergessenheit! Über die Tonsur machte ein etwas abschätziges ‚Vertellsel’ die Runde. Es erzählte, um Prälat zu werden sei ein Dreifaches notwendig: a) eine tonsura naturalis (eine Glatze), eine plenitudo ventris (ein Bäuchlein) und eine vox miserima. (eine wehleidige Stimme). Sollte werden, wer mochte!

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Ein Wort noch zum dem ernste Thema Ökumene! Damals gab es in Ibbenbüren ein kleine Pflänzchen ökumenische Bewegung und auch das Gebet um ‚Wiedervereinigung’. Ein älterer Herr war rührend darum bemüht. Im Volk glaubte damals niemand, daß es einmal Ökumene im Sinne von Annäherung geben werde. Es konnte aus katholischer Sicht Wiedervereinigung nur in dem Sinne geben, daß die Protestanten ihren ’Irrtum’ einsahen und in den Schoß der einen und wahren katholischen Kirche zurückkehrten. Entsprechend war das Verhältnis zu den evangelischen Geistlichen in Ibbenbüren. Man respektierte sich und traf zusammen, wo ‚der praktische Alltag’ es erforderte. In religiöser und theologischer Hinsicht tat sich nichts. Evangelische Pfarrer in Ibbenbüren waren damals Pfarrer Knebel, Pfarrer Bäumer und der emeritierte Pfarrer Hörstebrock. Pfarrer Bäumer war bisweilen ‚forsch’ tätig, wodurch Pfarrer Heufers sich provoziert fühlte. Mit dem wirtschaftlichen Aufbau – später Wirtschaftswunder genannt – und infolge der Zuwanderung mehrerer Millionen Vertriebener aus dem Osten wurde in den 5oer Jahren notwendig - und kam auch in Gang - eine rege kirchliche Bautätigkeit. In Ibbenbüren entstanden St. Ludwig in der Südstadt, St. Michael auf dem Schafberg, St. Barbara auf dem Dickenberg und St. Modestus in Dörenthe. Hinzu kam die Errichtung von Kindergärten, Pfarrheimen, Altenheimen u.a.m. Pfarrer Heufers war ein eifriger Bauherr. Firma Börgel war ‚seine’ Baufirma.

Grundsteinlegung des Kindergarten an St. Mauritius 1954

Einweihung von St. Michael v.l..: Pater Bonen, Pastöre Wessels, Heufers und Ulms

Pfarrer Heufers im Rohbau von St. Ludwig – Richtfest

Richtfest von St. Ludwig – die beteiligte Gemeinde

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Zu meiner Zeit geschah es dann auch noch, daß Kaplan Franz Vennemann darauf verzichtete, erster Pfarrer in St. Michael zu werden. Er hatte sich sehr um den Aufbau einer Gemeinde bemüht, war Religionslehrer in den Bauernschaftsschulen Ober- und Niederbockraden sowie auf dem Schafberg gewesen und hatte sich bei den Leuten der künftigen Gemeinde umgesehen. Er tat sich in allem aber etwas schwer. Pfarrer Heufers ließ ihm keine freie Hand für die Ausgestaltung der neuen Kirche, die Aufstellung eines Kirchenvorstandes und in ähnlichen Fragen. So verzichtete Vennemann und ging als Pastor nach Eggerode, wo er den Marienwallfahrtsort mustergültig und ansprechend ausgestaltete, die Wallfahrt förderte und insgesamt sehr segensreich wirkte. Sein Nachfolger auf dem Schafberg wurde Kaplan Wilhelm Ulms, der die Verselbständigung der Pfarre erlebte und ausbaute, dann aber noch vor Eintritt in den Ruhestand nach Stift Tilbeck in den Baumbergen ging. Als im Jahre 1957 mein Weggang nach Recklinghausen anstand und ich mich bei all denen verabschiedete, denen ich jeweils zum Herz-Jesu-Freitag die Krankenkommunion gebracht hatte, fuhr ich auch zu der schon betagten Witwe und Bergmannsfrau Mersch auf dem Schafberg. Wenn man neu auf den Schafberg kam, war es schwierig, die Leute dort zu finden. Es gab keine ausgewiesenen Strassen und Hausnummern. Die Häuser waren lediglich nummeriert, so wie sie errichtet worden waren und standen also über das ganze Gebiet zerstreut. Als ich Frau Mersch erklärte, heute sei das letzte Mal und von ihr so etwas wie ein ‚Danke’ erwartete, sagte sie auf tecklenburgisch Platt treuherzig: ‚Jau, Kaplan! Da gehen Sie mal unbesorgt. Wir haben alle Zeit was Besseres wieder gekriegt!’ Angesichts der Herrenworte Lk. 17,1o war das nicht einmal schlecht und sogar echt biblisch! Dort heißt es nämlich: ‚Wenn ihr alles getan habt, was euch aufgetragen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Knechte, wir haben nur unsere Schuldigkeit getan!’ Ich erhielt so von Oma Mersch eine weitere Marschkompaßzahl für die Ausrichtung meines Berufsweges!

Nach meiner Bestellung zum Religionslehrer im Jahre 1955 hatte ich unter anderem auch etwas mehr Geld in der Hand.. Das habe ich genutzt, um mir bei Möbel Hachmann an der Bockradener Strasse einen Schreibtisch und einen verstellbaren Wohnzimmertisch nebst sechs Sesselstühlen zu kaufen. Bei Wehmeier gab ich zwei Bücherregale aus Vollholz in Auftrag. So kam ich langsam zu einer eigenen und wohnlichen Einrichtung. Es würde etwas an meinen Erinnerungen fehlen, käme nicht auch das Konveniat darin zur Sprache. Das Konveniat ( lateinisch ‚convenire’ = zusammen kommen) ist ein regelmäßiges Zusammenkommen der Geistlichen eines bestimmten Bezirkes zu brüderlichem Begegnen und geselligem Austausch. Eine Themenvorgabe findet nicht statt. Jeder kommt als Gastgeber an die Reihe. Die Zeit und Ausgestaltung des Treffens ist an verschiedenen Orten verschieden. Ich habe das Konveniat Jahrzehnte lang als Treffen an einem Wochentagsabend erlebt, so auch in Ibbenbüren. Er war montags oder dienstags abends und umfasste den Klerus von Ibbenüren, also durchweg 9 Personen. Bisweilen kam ein weiterer Geistlicher als Gast hinzu. Der Gastgeber stellte Getränke bereit: Wein, Bier, Saft oder Wasser, auch wohl einen Schnaps. An Essbarem waren Salzstangen, Studentenfutter, Plätzchen/ Gebäck – zumal nach Festtagen – üblich. Auch Rauchwaren wurden angeboten, Zigarren, Zigarillos und Zigaretten. ‚An der Banderole der Zigarrenkiste sei zu sehen, was die Gäste dem Gastgeber wert seien’, konnte man dazu flappsen hören! Den Tabak für seine Piepe mußte jeder selbst mitbringen. An manchen Orten war es Brauch, daß nach einem ersten Teil für Gespräche auch gespielt wurde: Skat oder Doppelkopf, alles mit mäßigem Einsatz. Wichtig waren Geselligkeit, Information und Entspannung. Spöttisch tradiert wurde die Geschichte um einen Neupriester, der auf dem ersten Konveniat einen Schnaps angeboten bekam und dankte: Er trinke keinen Alkohol! Als er die Rauchwaren angeboten bekam, dankte er: Ich bin Nichtraucher! Als er zum Mitspielen aufgefordert wurde, war seine Antwort: Ich

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kann nicht spielen! Darauf habe ihn der gastgebende Pastor gefragt, ob er gültig geweiht sei? Was in der Runde übrigens an Vertraulichem laut wurde, unterlag der Schweigepflicht. In Ibbenbüren konnte es passieren, daß die älteren Teilnehmer des abendlichen Konveniats schon bei Zeiten nach Hause gingen. Dann waren wir Kapläne unter uns und legten noch einmal feste zu, so daß die Haushälterin des Gastgebers an einem Abend um ihren ganzen Vorrat an eingelegten Heringen kam. Bei solcher Gelegenheit wurde dann auch ‚gesponnen’, wir Kapläne müßten – um auf der Höhe der Zeit zu bleiben – doch auch eine Kaplans-Gewerkschaft gründen. Deren Ziel müsse sein: a) Freier Samstag Nachmittag – b) Abschaffung der Sonntagsarbeit – c) Gewinnbeteiligung an der Kollekte! Unser ironisches Gefasel von damals wäre heute gegenstandslos, weil es keine Kapläne mehr gibt! Quae o mutatio rerum! (Welcher Wandel der Dinge!) Mit Wein wurden die Geistlichen in Ibbenbüren – sofern sie nicht eigene Bezugsquellen hatten - von zwei Firmen versorgt: Hoberg in Osnabrück und Kruse in Quakenbrück. Deren Vertreter sprachen in gewissen Zeitabständen vor und boten ihre ‚Wachstümer’ an. Es waren gute Weine, die aber auch ihren Preis hatten. Ich habe den Wein zunächst – wenn Bedarf anfiel – in Ibbenbüren in einer Drogerie am Markt gekauft, die mir Kaplan Schneider empfohlen hatte und deren Besitzer ein Vertriebener war. Sofern ich es recht in Erinnerung habe, mußte man für eine ‚anständige’ Flache zwischen 1,- DM und 2.- DM auf den Tisch legen. So oft ich Konveniat hatte, half mir Fräulein Fröhlich in der ersten Zeit entgegenkommend mit dem nötigen Geschirr/Gedeck aus und deckte bzw. räumte auch den Tisch. Etwas ganz Persönliches und für die priesterliche Existenz Entscheidendes ist das Breviergebet. Das muß hier auch noch zur Sprache kommen. Die Pflicht, es zu beten,

hatte man mit dem Empfang der Subdiakonatsweihe übernommen. Das Brevier – gemeint das Gebetbuch eines Geistlichen, in dem sich das zu verrichtende Stundengebet befindet - bestand aus vier Bänden, jeder in Größe des Laudate. Jeder Band trug den Namen einer der vier Jahreszeiten. Der erste Band war die ‚pars verna’ , der Frühjahrsband, es folgten aestiva, autumnalis, hiemalis. Die Sprache des Breviers war vom ersten bis zum letzten Buchstaben Latein. Mir hatte eine gute Tante – Schwester meiner Mutter – das Geld gegeben, um mir ein Brevier auf Dünndruckpapier und mit Ziegenleder-Einband zulegen zu können. Ich war darüber hoch erfreut und bin ‚Tantchen’ immer dankbar dafür geblieben. Ich habe das gute Stück – im Laufe der Jahre zerbetet - auch immer noch in Besitz und halte es in Ehren. Das Brevier – gemeint das Beten, das Verrichten, das Absolvieren ( = pflichtgemäß ableisten) des Inhaltes – sollte nach festen Gebetszeiten des Tages erfolgen. Diese Zeiten waren: MATUTIN (Nachtgebet) – LAUDES (Morgenlob) - PRIM (zur ersten Stunde) – TERZ (zur dritten Stunde) – SEXT (zur sechsten Stunde) – NON (zur neunten Stunde) – VESPER(zu Beginn des Abends) und KOMPLET( zum Abschluß des Tages/Abendgebet) Zum Verständnis muß man wissen, wie ehedem die Zeit eines Tages eingeteilt war. Der Tag begann mit dem Einbruch der Dunkelheit. (also ca. 18.oo Uhr) Die Nachtzeit (von 18.00 Uhr abends bis 6.00 Uhr morgens) war in vier Nachtwachen (Nocturn) zu je drei Stunden eingeteilt. Die hellen Stunden des Tages (also ab 6.00 Uhr gerechnet) wurden stundenweise (hora) gezählt. Terz war also 9.oo Uhr, Sext war 12.00 Uhr, Non war 15.00 Uhr. An dieser Zeiteinteilung orientiert sollte das Brevier = Stundengebet verrichtet werden. Das tat dann auch, wer konnte. Aber wer konnte schon? Der Umfang des täglichen Breviergebetes war erheblich und wie folgt: Die Matutin begann mit einem Einleitungspsalm nebst Hymnus. Dem folgten

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drei Nokturnen. Jede Nokturn umfasste drei Psalmen und drei Lesungen. Am Ende stand oft noch das Te Deum. Zu den Laudes gehörten ein Hymnus, fünf Psalmen und Fürbitten Die Prim bestand aus einen Hymnus, drei Psalmen und weiteren Gebeten je nach Jahres- und Festzeit Terz, Sext und Non, die so genannten kleinen ‚horen’ (Stunden), bestanden aus einem Hymnus und drei Psalmen nebst Schlussgebet. Die Vesper war dem Umfang nach den Laudes gleich. Die Komplet begann mit dem ‚confiteor’. Dem folgten ein Hymnus, drei Psalmen, eine Kurzlesung und das ‚Vater unser’. Den Abschluß bildete das Salve regina – ‚Sei gegrüßt, du Königin.’ Vor jeder Gebetszeit - ‚hore’- sollten zur innerer Sammlung still das ‚Vater unser’ und das ‚Gegrüßet seist du, Maria’ verrichtet werden. Das ‚Breviergebet’ war geschichtlich entstanden, als sich die Kirche in Pfarren aufgliederte und neben dem Mönchsklerus der Weltklerus entstand. Der allein lebende Pfarrkleriker wurde verpflichtet, auch das Stundengebet zu verrichten, wie es im Kloster Brauch war. Dafür wurde dann das ‚Brevier’, die oben genannten Bücher, abgefasst und gedruckt. Man kann sich vorstellen, wie schnell man bei der zeitlichen Auslastung des modernen Lebens – auch damals schon - mit dem Brevier in Verlegenheit kam. Es sollte ja auch nicht einfach gelesen, sondern leise sprechend – labialiter – verrichtet werden. Sobald es nur noch pflichtgemäß absolviert wurde, war es bald leer und und wurde bald zur Mühsal. Es zu verrichten war man jedoch ‚sub gravi’ – unter schwerer Sünde – verpflichtet Wie manches Mal habe ich mich nach einem vollbesetzten Tag abends tot müde hingesetzt und bemüht, noch sinnvoll zu erfüllen, wozu ich mich glaubensvoll verpflichtet hatte.

Zum Abschluß! Im Dienst der Berufsschule hätte ich von Münster aus noch Jahre bleiben können. Die Tätigkeit lag mir auch wohl. Aber es war nicht meine Absicht, in einer solchen, seelsorgerlich doch sehr einseitigen, Tätigkeit alt zu werden. Schon während des zweiten Jahres in Ibbenbüren hatte mich Domkapitular Kantau – der Personalchef aus Münster – einmal im Unterricht anhospitiert und nachher gefragt, ob ich nicht Lust hätte, weiter zu studieren und ins Lehrfach zu gehen. Ich habe gedankt und abgewunken. So habe ich denn nach fünf Jahren Ibbenbüren um eine Versetzung gebeten. Dabei kam Recklinghausen heraus. Für die Fahrt zur Vorstellung in Recklinghausen im März 1957 hat mir Herr Eickelmann – Kohlenhandlung – einen VW geliehen. Pastor Heufers und ich sind zusammen hin gefahren. Propst an der Propsteikirche St. Peter in Recklinghausen war Raphael, Graf Droste zu Vischering.. Als ich den VW nach Durchqueren der Haard in Marl-Sinsen durch die S-Kurve und enge Durchfahrt unter der Eisenbahnbrücke hindurchsteuerte, hatte ich den Eindruck, ich sei in so etwas wie eine ‚Mausefalle’ gefahren – aus der ich nicht wieder herauskäme! So ist es dann auch gekommen. Ich bin heute – im Jahre 2009 – 52 Jahre in Recklinghausen!