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IM GESPRÄCH SONNTAG 10./17. JÄNNER 2016 4 Karin Kneissl hielt kürzlich auf Einladung der KPHE in Klagenfurt einen Votrag über den Nahen Osten. Wie Karin Kneissl , Nahostexpertin, im Gespräch mit Gerald Heschl Die Christen im Nahen Osten haben Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht nach Europa. Die meisten kommen aus Syrien. Dort ist die Situation unklar. Russland unterstützt Präsident Assad. Wie kann es in Syrien weitergehen? KNEISSL: Die russische Außenpoli- tik ist im Orient klarer als die des Westens. Eine Konstante ist der Zugang zum östlichen Mittelmeer, weiters geht es Moskau um die Ein- dämmung islamistischer Gruppen. Russland sieht sich unter Putin auch als Schutzmacht der orientalischen Christen. In der Sowjetunion spielte das natürlich keine Rolle. Haben Sie einen Einblick, wie es den Christen aktuell geht? KNEISSL: Im Irak haben die Christen einen enorm hohen Blutzoll gezahlt. Bis 2003, dem Sturz Saddam Hus- seins, gab es offiziell etwa 1,2 Milli- onen Christen im Irak. Schon 2008 sprach man nur noch von 600.000. Als der Islamische Staat (IS) im Nordirak seine Massaker verübte, reduzierte sich die Zahl noch ein- mal dramatisch. Ich habe in Beirut chaldäische Christen getroffen, die um ihr Leben gerannt sind. Denen ist Grauenhaſtes widerfahren. Da ist mit dem Kalifat des IS eine wahre Schreckensherrschaſt eingezogen. Dort, wo der IS regiert, werden die Christen entweder als Dhimmi (= „Beschützte“) mit höheren Steuer- abgaben geduldet oder eben mas- sakriert. Aber aus diesen Gebieten gibt es keinerlei Berichterstattung. Die Letzten, die von dort berichte- ten, wurden entführt, enthauptet oder sonst wie ermordet. Warum gab und gibt es keinen Plan, wie man dem IS Herr wird und was danach kommen soll? KNEISSL: Der Westen war und ist noch immer in einem Dilemma. Man hat den Irakkrieg in vol- ler Überzeugung der moralischen Überlegenheit geführt, aber ei- gentlich ohne Plan. Man schwang stets die Moralkeule im Namen der Menschenrechte oder Demokratie. Aber von welcher Demokratie re- den wir? Die Westminster-Demo- kratie aus Großbritannien oder den USA unterscheidet sich schon we- sentlich von dem, was wir in Mit- teleuropa darunter verstehen. Und man kann weder das eine noch das andere Modell einfach eins zu eins woanders hin verpflanzen. Im Ori- ent hatten wir immer das Prinzip der Konsenssuche. Man palavert so lange, bis sich alle unter Wahrung ihres Gesichtes auf einen Konsens einigen können. Fünf Jahre Bürgerkrieg in Syrien – kann man sagen, wie es weitergeht? KNEISSL: Nein, denn wir haben keine objektive Berichterstattung aus die- sem Gebiet. Die russische Inter- vention hat eine neue Dynamik ge- bracht. Wohin die führt, ist noch schwer absehbar. Auch den Effekt der neuen militärischen Koalition, die sich nach den Anschlägen von Paris gebildet hat, muss man erst ZUR PERSON i Dr. Karin Kneissl, geb. 1965, studierte u. a. in Wien, Jerusa- lem, Urbino, Paris und den USA Völkerrecht und Arabistik. 1990 bis 1998 im diplomatischen Dienst, danach publizis- tische Tätigkeiten und Lehrbeauftragte u. a. in Wien, Byb- los/Libanon und Beirut. Als Expertin für den Nahen Osten und für energiepolitische Analysen verfasste sie zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen: „Mein Naher Osten“ über ihre persönlichen Erfahrungen. Braumüller-Verlag, € 21,90

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IM GESPRÄCH S O N N T A G • 10./17. JÄNNER 20164

Karin Kneissl hielt kürzlich auf Einladung der KPHE in Klagenfurt einen Votrag über den Nahen Osten. Wie es dort weitergehen könnte, analysiert sie im Interview.

K a r i n K n e i s s l , N a h o s t e x p e r t i n , i m G e s p r ä c h m i t G e r a l d H e s c h l

Die Christen im Nahen Osten haben einen enormen Blutzoll geleistetHunderttausende Menschen sind auf der Flucht nach Europa. Die meisten kommen aus Syrien. Dort ist die Situation unklar. Russland unterstützt Präsident Assad. Wie kann es in Syrien weitergehen?KNEISSL: Die russische Außenpoli-tik ist im Orient klarer als die des Westens. Eine Konstante ist der Zugang zum östlichen Mittelmeer, weiters geht es Moskau um die Ein-dämmung islamistischer Gruppen. Russland sieht sich unter Putin auch als Schutzmacht der orientalischen Christen. In der Sowjetunion spielte das natürlich keine Rolle.

Haben Sie einen Einblick, wie es den Christen aktuell geht?KNEISSL: Im Irak haben die Christen einen enorm hohen Blutzoll gezahlt. Bis 2003, dem Sturz Saddam Hus-seins, gab es offiziell etwa 1,2 Milli-onen Christen im Irak. Schon 2008 sprach man nur noch von 600.000. Als der Islamische Staat (IS) im Nordirak seine Massaker verübte, reduzierte sich die Zahl noch ein-mal dramatisch. Ich habe in Beirut chaldäische Christen getroffen, die um ihr Leben gerannt sind. Denen ist Grauenhaftes widerfahren. Da ist mit dem Kalifat des IS eine wahre Schreckensherrschaft eingezogen. Dort, wo der IS regiert, werden die

Christen entweder als Dhimmi (= „Beschützte“) mit höheren Steuer-abgaben geduldet oder eben mas-sakriert. Aber aus diesen Gebieten gibt es keinerlei Berichterstattung. Die Letzten, die von dort berichte-ten, wurden entführt, enthauptet oder sonst wie ermordet.

Warum gab und gibt es keinen Plan, wie man dem IS Herr wird und was danach kommen soll?KNEISSL: Der Westen war und ist noch immer in einem Dilemma. Man hat den Irakkrieg in vol-ler Überzeugung der moralischen Überlegenheit geführt, aber ei-gentlich ohne Plan. Man schwang stets die Moralkeule im Namen der Menschenrechte oder Demokratie. Aber von welcher Demokratie re-den wir? Die Westminster-Demo-kratie aus Großbritannien oder den USA unterscheidet sich schon we-sentlich von dem, was wir in Mit-teleuropa darunter verstehen. Und man kann weder das eine noch das andere Modell einfach eins zu eins woanders hin verpflanzen. Im Ori-ent hatten wir immer das Prinzip der Konsenssuche. Man palavert so lange, bis sich alle unter Wahrung ihres Gesichtes auf einen Konsens einigen können.

Fünf Jahre Bürgerkrieg in Syrien – kann man sagen, wie es weitergeht?KNEISSL: Nein, denn wir haben keine objektive Berichterstattung aus die-sem Gebiet. Die russische Inter-vention hat eine neue Dynamik ge-bracht. Wohin die führt, ist noch schwer absehbar. Auch den Effekt der neuen militärischen Koalition, die sich nach den Anschlägen von Paris gebildet hat, muss man erst

Z U R P E R S O Ni

Dr. Karin Kneissl, geb. 1965, studierte u. a. in Wien, Jerusa-lem, Urbino, Paris und den USA Völkerrecht und Arabistik. 1990 bis 1998 im diplomatischen Dienst, danach publizis-tische Tätigkeiten und Lehrbeauftragte u. a. in Wien, Byb-los/Libanon und Beirut. Als Expertin für den Nahen Osten und für energiepolitische Analysen verfasste sie zahlreiche Bücher. Zuletzt erschienen: „Mein Naher Osten“ über ihre persönlichen Erfahrungen. Braumüller-Verlag, € 21,90

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IM GESPRÄCH10./17. JÄNNER 2016 • S O N N T A G 5

Karin Kneissl hielt kürzlich auf Einladung der KPHE in Klagenfurt einen Votrag über den Nahen Osten. Wie es dort weitergehen könnte, analysiert sie im Interview.

K a r i n K n e i s s l , N a h o s t e x p e r t i n , i m G e s p r ä c h m i t G e r a l d H e s c h l

Die Christen im Nahen Osten haben einen enormen Blutzoll geleisteteinmal abwarten. Es zeichnet sich eine Entschlossenheit vieler Staa-ten ab, Syrien zu stabilisieren und es nicht mehr als Aufmarschgebiet des Terrorismus zu fördern. Genau dieses hat auch die Türkei zu ver-antworten. Ich bin relativ zuver-sichtlich, dass der UN-Fahrplan zu weiteren Waffenstillständen füh-ren wird. Jedenfalls wurde die Frage zum Verbleib Assads vorerst ausge-klammert.

Millionen Syrer sind auf der Flucht. Die meisten davon in den umlie-genden Staaten, aber viele kommen auch zu uns. Mitunter entsteht der Eindruck, Syrien wird entvölkert …KNEISSL: Da sollte man schon die Kir-che im Dorf lassen. Es gibt 24 Milli-onen Syrer. Vier Millionen sind als Flüchtlinge jenseits der Staatsgren-zen. Zwölf Millionen sind Binnen-flüchtlinge. Der wohlhabende Mit-telstand verließ das Land schon vor 30 Jahren aufgrund der Repression Assads. Dann gibt es den Mittel-stand, der sich erst durch die Assad-Diktatur gebildet hat. Und dann jene, die immer ausgeharrt haben, etwa Händler in den alten Städten.

Aber sind es nicht gerade die besser Gebildeten, die zu uns kommen?KNEISSL: Also der Mittelstand lebt noch immer im Land. Ich habe schon vor Monaten darauf hinge-wiesen, dass es gerade nicht die bes-ser Ausgebildeten sind, die kom-men. Dafür bin ich damals heftig kritisiert worden. Heute wissen wir, dass ich damals gefühlsmäßig aufgrund meiner Begegnung mit Flüchtlingen recht hatte. Man kann das schon aufgrund der Sprache feststellen. Nur ein Drittel hat eine

Pflichtschule absolviert und nur ein geringfügiger Teil hat eine akademi-sche Ausbildung. Die besser ausge-bildeten Syrer, die ich kürzlich im Nahen Osten getroffen habe, sag-ten ganz deutlich: „Ich kann kein Deutsch, ich kann kein Schwedisch – also was soll ich dort?“ Diese blei-ben irgendwo zwischen dem Liba-non und Syrien und warten nur da-rauf, dass sie wieder zurück können und ihre ehemaligen Unternehmen wieder aufbauen.

Angesichts der von Ihnen skizzier-ten Ausbildung der Flüchtlinge fragt man sich doch, wie Integra-tion funktionieren kann?KNEISSL: Das wird schwierig. Ich hatte in den 80er-Jahren mit Men-schen zu tun, die aus dem Iran oder dem Irak geflohen waren. Sie woll-ten nach Europa, weil sie hier in ei-nem aufgeklärten Umfeld frei sein konnten von all den Zwängen, die ihnen daheim auferlegt wurden. Auch als ich in den 80ern in Syrien studierte, herrschte ein anderes Straßenbild, die Syrerinnen waren unverschleiert, Frauen waren im öf-fentlichen Raum viel präsenter. Das gründete auch auf der damals star-ken Allianz mit den Comecon Staa-ten. In den vergangenen Jahren hat sich das umgedreht und die Zahl der verschleierten Frauen nahm ra-pide zu. Einige, die jetzt kommen, sind von einer archaisch religiösen Haltung geprägt. Heute bestehen viel stärkere kulturelle Gräben als noch vor 20 oder 30 Jahren.

Wenn die Perspektiven der Men-schen dort schon bisher sehr einge-schränkt waren, werden wohl nur wenige zurückkehren wollen?

KNEISSL: Derzeit gibt es viele, die zu-rück wollen, weil es hier doch nicht so toll ist, wie sie es sich vorgestellt haben. Ich denke, da war das messi-anische Heilsversprechen der deut-schen Regierung nicht gerade hilf-reich. Nun kommen die Menschen mit dieser Heilserwartung, dass ih-nen hier alles kostenlos geliefert wird. Diese überzogenen Erwar-tungen führen zu Ungeduld. Einige nehmen die 350 Euro Startgeld und lassen sich heimfliegen. Man weiß aber nicht, ob es nicht auch zu an-deren Reaktionen kommen wird.

Die EU setzt derzeit auf die Türkei. Wie beurteilen Sie diese Taktik?KNEISSL: Das ist fatal! Es ist ein Ko-tau vor einer Diktatur. Uns ist völlig egal, wie Erdogan in seinem Land vorgeht. Die Türkei ist ein Land mit der höchsten Zahl an politi-schen Häftlingen. In Brüssel spricht kaum jemand vom Niedergang des Rechtsstaates in der Türkei. Ich halte das seitens der EU für abso-lut mies. Wir sollten als EU-Bürger auf die Straße gehen und dagegen protestieren.

Was wäre Ihr Rat an die politisch Verantwortlichen?KNEISSL: Mit Russland auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeiten! Dann braucht es eine klare Po-litik gegenüber den Golfstaaten. Man darf sich denen gegenüber nicht so verkaufen, wie dies Frank-reich mit Katar gemacht hat. In der Flüchtlingsfrage muss man zwi-schen Wirtschafts- und politischen Flüchtlingen unterscheiden. Man darf diese Entscheidung nicht den Polizisten an der Grenze von Ma-zedonien überlassen.

”Die russische

Außenpolitik ist im

Orient viel klarer

und vorhersehba-

rer als die des Wes-

tens.„D r. K a r i n K n e i s s l , N a h o s t e x p e r t i n u n d B u c h a u t o r i n

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