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KARRIERE IM MITTELSTAND AUFSTIEG ODER SACKGASSE? Der Mittelstand in Deutschland genießt zu Recht ein hervorragendes Ansehen. Die Bedeutung und der Erfolg der vielen mittelständischen Unternehmen werden von den verschiedensten Personen und Organisationen betont. Die Diskussion über den Fachkräftemangel hat dazu geführt, dass auch das Thema „Karriere im Mittelstand“ immer öfter in den Medien und bei Seminaren auftaucht. Bedeutet der Einstieg bei einem mittelständischen Unternehmen wirklich die Beschleunigung der Karriere oder landet man doch eher in einer Sackgasse? BILD © Mopic | fotolia 40 KARRIERE

Karriere im Mittelstand Aufstieg oder Sackgasse?

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Page 1: Karriere im Mittelstand Aufstieg oder Sackgasse?

KARRIERE IM MITTELSTAND AUFSTIEG ODER SACKGASSE?Der Mittelstand in Deutschland genießt zu Recht ein hervorragendes Ansehen. Die Bedeutung und der Erfolg der

vielen mittelständischen Unternehmen werden von den verschiedensten Personen und Organisationen betont.

Die Diskussion über den Fachkräftemangel hat dazu geführt, dass auch das Thema „Karriere im Mittelstand“

immer öfter in den Medien und bei Seminaren auftaucht. Bedeutet der Einstieg bei einem mittelständischen

Unternehmen wirklich die Beschleunigung der Karriere oder landet man doch eher in einer Sackgasse?

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MITTELSTAND IST VIELFÄLTIG

Die Bedeutung des Mittelstands in Deutschland ist unbestritten und die Fakten sind eindeutig. Über 99 Prozent aller Unterneh-men in Deutschland gehören zum sogenannten Mittelstand. Über 60 Prozent aller Beschäftigten und sogar über 80 Prozent aller Auszubildenden arbeiten bei Arbeitgebern, die man als mit-telständische Unternehmen bezeichnet. Das Image des Mittel-stands ist so gut, dass sich viele große Unternehmen gerne zum Mittelstand rechnen, obwohl sie die offizielle Definition des Ins-tituts für Mittelstandsforschung von bis zu 500 Mitarbeitern und maximal 50 Millionen Euro Jahresumsatz deutlich überschrei-ten. Die Grenzen zwischen Mittelstand und Konzern sind nicht eindeutig gezogen. In den Medien wird auch vom „großen Mit-telstand“ gesprochen, der Unternehmen bis zu drei Milliarden Euro Jahresumsatz einschließen soll. Der Bundesverband der deutschen Industrie nennt beim strukturellen Mittelstandsbegriff gar keine Zahlen, sondern betont den personengeprägten Zuschnitt mit Einheit von Unternehmensleitung und Eigentum.

Den Mittelstand, unter dem alle das gleiche verstehen, gibt es nicht. Hinzu kommt, dass selbst Unternehmen mit gleicher Mit-arbeiterzahl je nach Branche und Struktur große Unterschiede aufweisen. Beispielsweise ist ein spezialisiertes Beratungsun-ternehmen mit 300 Mitarbeitern branchenintern ein eher gro-ßer Arbeitgeber, einen Automobilzulieferer mit 300 Beschäftig-ten rechnet man zu den Kleinen der Branche. Als Bewerber sollte man sich über solche Unterschiede im Klaren sein.

WAS HEISST KARRIERE?

In der Vergangenheit gab es ein relativ klares Verständnis von Karriere: Sichtbare Macht, Einfluss und Ansehen in Verbindung mit steigendem Gehalt und dem hierarchischen Aufstieg inner-halb der Organisation waren eindeutige Kennzeichen dafür, dass man „Karriere gemacht hat“. Garniert wurde dies mit Sta-tussymbolen, wie ein teurer Firmenwagen und ein großes Büro sowie weiteren Annehmlichkeiten. Vieles hat dazu beigetragen, dass der Wertewandel innerhalb der Gesellschaft auch dazu führte, dass der Begriff Karriere mittlerweile differenzierter und individueller verstanden wird. Bei Karriere geht es heute für Mitarbeiter stärker darum, die eigenen Ziele in Verbindung mit persönlichen Fähigkeiten und Interessen zu definieren und nach diesen Kriterien den eigenen Karriereweg zu verfolgen. Fragt man Arbeitnehmer, was sie sich wünschen, steht im Regelfall eine interessante und abwechslungsreiche Aufgabe ganz oben auf der Prioritätenliste. Außerdem gewinnen weiche Faktoren, wie kollegialer Umgang, Work-Life-Balance und flexi-ble Arbeitszeiten an Bedeutung. Entscheidet man sich für einen Arbeitsplatz im Mittelstand, kann man im Bekanntenkreis auch nicht mit dem tollen Image des Unternehmens beeindru-cken. Was aber führt dazu, dass der Mittelstand für Bewerber durchaus attraktiv ist?

KARRIERE IM MITTELSTAND IST ANDERS

Bei mittelständischen Unternehmen liegt es in der Natur der Sache, dass der Spezialisierungsgrad der einzelnen Mitarbeiter geringer ist als bei einem großen Konzern. Die Aufgaben sind damit in aller Regel vielseitiger und die Übernahme von Ver-antwortung erfolgt schneller als in einem großen Unterneh-

AUTOR

ACHIM OETTINGER ist Leiter Career Service und

Lehr beauftragter an der Hochschule Coburg.

41 Sonderheft für VDI-FVT 2013 I 2014

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men. Man muss sich nicht firmenintern mit unzähligen anderen Bereichen abstimmen und versteht nicht erst nach monatelanger Einarbeitung, wie Ent-scheidungsprozesse ablaufen. Schnelle Entscheidungen und große Freiräume zählen zu den Punkten, die den Mittel-stand attraktiv machen. Der direkte Kontakt zur Geschäftsführung, über-schaubare Strukturen und eigenverant-wortliches Arbeiten kennzeichnen den Arbeitsalltag im Mittelstand. Die Aus-wirkungen der eigenen Arbeit sind sehr schnell und direkt erkennbar. Anders als bei einem Großunternehmen ist der Ein-zelne nicht das kleine Rad im Getriebe, sondern eher der Gestalter, der für vieles verantwortlich ist, der sich aber auch wie ein „Mädchen für alles“ vorkommen kann.

ALLROUNDER UND PRAGMATIKER SIND GEFRAGT

Viele Bewerber und Arbeitnehmer haben den Mittelstand aus ihren Karriereüber-legungen ausgeklammert. Hier ist ein Umdenken angebracht, da es viele inter-essante und abwechslungsreiche Aufga-ben abseits der Großunternehmen gibt, ➊. Allerdings ist auch nicht jeder Mitar-beiter gleich gut für eine Tätigkeit im Mittelstand geeignet. Bewerber sollten Entscheidungsfreude mitbringen und benötigen im Regelfall eine größere Risikobereitschaft als in einem Konzern. Aber auch diplomatisches Geschick ist gefragt. Da sehr viele mittelständische Unternehmen inhabergeführt sind, muss die Chemie zwischen einem ambitionier-ten Mitarbeiter und Geschäftsführung beziehungsweise Unternehmerfamilie stimmen. Grundsätzlich sollte man an einem langfristigen Arbeitsverhältnis bei diesen Unternehmen interessiert sein und ein hohes Maß an Loyalität mitbrin-gen. Auch wenn man nicht alle Entschei-dungen der Inhaber richtig findet, wird erwartet, dass man diese zu hundert Prozent mitträgt.

Anders als im Großunternehmen sind weniger Spezialisten gefragt als Mitarbei-ter, die vielseitige Aufgaben und Frei-räume schätzen. Im Arbeitsalltag sind nicht die Zuständigkeiten entscheidend, sondern die Bereitschaft, die Ärmel hoch-zukrempeln. Schon als Hochschulabsol-vent steht man früh im Blickpunkt, hat mit dem Inhaber direkt zu tun und muss wichtige Entscheidungen treffen. Nähe

zur Geschäftsführung bedeutet auch, dass die Leistungen meist sofort und unmittelbar wahrgenommen werden. Entsprechend schnell kann sich der eigene Verantwortungsbereich vergrö-ßern. Dazu gehört, sich etwas zuzutrauen und beim Sprung ins kalte Wasser nicht unterzugehen. Wer vielfältige Aufgaben als Herausforderung empfindet und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, hat im Mittelstand beste Chancen und macht fast automatisch Karriere.

Die Einstiegsgehälter liegen zwar in der Regel unter den Verdienstmöglich-keiten in einem Konzern. Durch den schnellen Aufstieg kann sich dies aber in kurzer Zeit auch ins Gegenteil ver-kehren. Wer unter Karriere allerdings in erster Linie ein hohes Gehalt versteht, ist nicht der Idealkandidat für den Mittelstand.

GEEIGNETE UNTERNEHMEN FINDEN

Bei Interesse an einem Einstieg im Mittel-stand stellt sich die Frage, wie man bei der Vielfalt und Heterogenität möglicher Arbeitgeber das passende Angebot findet. Typische Einstiegspositionen für Absol-venten sind meist die Ausnahme. Am ehesten gibt es die Möglichkeit, über eine Assistentenstelle zu starten. Ein poten-zielles Unternehmen sollte man sich in Bezug auf Weiterentwicklung und Zukunftsaussichten, aber auch Führung und Eigentümerverhältnisse anschauen. Die Erwartungen des Arbeitgebers zu kennen, ist hier noch wichtiger als bei großen Unternehmen. Kommt man als Mitarbeiter mit dem Inhaber nicht klar oder erfüllt dessen Vorstellungen nicht, wird es mit der Turbo-Karriere nichts.

➊ Es gilt als Bewerber umzudenken, denn der Mittelstand hat abwechslungsreiche Aufgaben zu bieten (Bild © JiSIGN | fotolia)

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