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4|11 AUSLANDSINFORMATIONEN Von der Klimaökonomie zur Green Economy Christian Hübner Von Kyoto bis Durban – Die Klimapolitik der Euro- päischen Union Céline-Agathe Caro / Christiane Rüth Emerging Powers: Die IBSA-Staaten als Partner und Anführer im globalen Kampf gegen den Klima- wandel Romy Chevallier Indonesiens Rolle in der internationalen Klimapolitik: Finanzielle Anreize zum Schutz der Waldbestände Marc Frings Die Klimapolitik der Volks- republik China – Grundlage für ein nachhaltiges Wachs- tum? Andreas Dittrich Harmonie im Staatsauftrag – Wie Singapur mit Einwande- rung und Integration umgeht Paul Linnarz Vom Fahrersitz auf die Rück- bank – Regionale Zusammen- arbeit in Südostasien Wilhelm Hofmeister Die Slowakei nach der Wahl: Das erste halbe Jahr der Mitte-Rechts-Regierung Grigorij Mesežnikov

KAS Auslandsinformationen 04/2011

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In KAS Auslandsinformationen werden internationale Fragen, Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit erörtert. Die monatlich erscheinende Publikation hat das Ziel, einen Teil der im Zusammenhang mit der Auslandsarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung gesammelten Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Buch erscheint auf deutsch und englisch.KAS Auslandsinformationen 04/2011Von der Klimaökonomie zur Green EconomyVon Kyoto bis Durban – Die Klimapolitik der Europäischen UnionEmerging Powers: Die IBSA-Staaten als Partner und Anführer im globalen Kampf gegen den KlimawandelIndonesiens Rolle in der inter nationalen Klimapolitik: Finanzielle Anreize zum Schutz der Waldbestände – Ein effektives Modell?Die Klimapolitik der Volksrepublik China – Grundlage für ein nachhaltiges Wachstum?Harmonie im Staatsauftrag – Wie Singapur mit Einwanderung und Integration umgehtVom Fahrersitz auf die Rückbank – Regionale Zusammenarbeit in SüdostasienDie Slowakei nach der Wahl: Das erste halbe Jahr der Mitte-Rechts-Regierung

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AUSLANDSINFORMATIONEN

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■■ Von der Klimaökonomiezur Green Economy Christian Hübner

■■ Von Kyoto bis Durban – Die Klimapolitik der Euro-päischen UnionCéline-Agathe Caro / Christiane Rüth

■■ Emerging Powers: Die IBSA-Staaten als Partner und Anführer im globalen Kampf gegen den Klima-wandelRomy Chevallier

■■ Indonesiens Rolle in der internationalen Klimapolitik: Finanzielle Anreize zum Schutz der WaldbeständeMarc Frings

■■ Die Klimapolitik der Volks-republik China – Grundlage für ein nachhaltiges Wachs-tum?Andreas Dittrich

■■ Harmonie im Staatsauftrag – Wie Singapur mit Einwande-rung und Integration umgehtPaul Linnarz

■■ Vom Fahrersitz auf die Rück-bank – Regionale Zusammen-arbeit in SüdostasienWilhelm Hofmeister

■■ Die Slowakei nach der Wahl:Das erste halbe Jahr der Mitte-Rechts-RegierungGrigorij Mesežnikov

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ISSN 0177-7521Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.27. Jahrgang

Tiergartenstraße 35D-10785 BerlinTelefon (030) 2 69 96-33 83Telefax (030) 2 69 96-35 63Internet: http://www.kas.de http://www.kas.de/auslandsinformationenE-Mail: [email protected]

Bankverbindung:Commerzbank AG Filiale Bonn,Kto.-Nr. 110 63 43, BLZ 380 400 07

Herausgeber:Dr. Gerhard Wahlers

Redaktion:Frank SpenglerHans-Hartwig BlomeierDr. Stefan FriedrichDr. Hardy OstryJens PaulusDr. Helmut Reifeld

Verantwortlicher Redakteur:Stefan Burgdörfer

Gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingtdie Meinung der Redaktion wieder.

Bezugsbedingungen:Die KAS-Auslandsinformationen erscheinenzwölfmal im Jahr. Der Bezugspreis für zwölfHefte beträgt 50,– € zzgl. Porto. Einzelheft5,– €. Schüler und Studenten erhalten einenSonderrabatt.

Die Bezugsdauer verlängert sich jeweils umein Jahr, sofern das Abonnement nicht biszum 15. November eines Jahres schriftlichabbestellt wird.

Bestellungen: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.(obige Anschrift)

Das Copyright für die Beiträge liegt bei denKAS-Auslandsinformationen.

Umschlaggestaltung:SWITSCH KommunikationsDesign, Köln

Satz:racken, Berlin

CO²-neutral mit Farben auf Pflanzenölbasis nach DIN ISO 12647-2 gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Recyclingpapier, das mit dem europäischen Umwelt- zeichen (EU Ecolabel: FR/011/003) ausgezeichnet ist.

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EDITORIAL

VOn DER KLImAöKOnOmIE zuR GREEn EcOnOmy Christian Hübner

VOn KyOTO bIs DuRbAn – DIE KLImApOLITIK DER EuROpäIschEn unIOnCéline-Agathe Caro / Christiane Rüth

EmERGInG pOwERs: DIE IbsA-sTAATEn ALs pARTnER unD AnfühRER Im GLObALEn KAmpf GEGEn DEn KLImAwAnDELRomy Chevallier

InDOnEsIEns ROLLE In DER InTERnATIOnALEn KLImApOLITIK: fInAnzIELLE AnREIzE zum schuTz DER wALDbEsTänDE – EIn EffEKTIVEs mODELL?Marc Frings

DIE KLImApOLITIK DER VOLKsREpubLIK chInA – GRunDLAGE füR EIn nAchhALTIGEs wAchsTum?Andreas Dittrich

hARmOnIE Im sTAATsAufTRAG – wIE sInGApuR mIT EInwAnDERunG unD InTEGRATIOn umGEhTPaul Linnarz

VOm fAhRERsITz Auf DIE RücKbAnK – REGIOnALE zusAmmEnARbEIT In süDOsTAsIEnWilhelm Hofmeister

DIE sLOwAKEI nAch DER wAhL: DAs ERsTE hALbE JAhR DER mITTE-REchTs-REGIERunGGrigorij Mesežnikov

Inhalt

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EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

die globale Klimakonferenz Ende des vergangenen Jahres in cancún (mexiko) brachte erneut kein global verbindliches Abkommen zum schutz des Klimas. zwar wurden wich-tige Grundlagen für ein globales Klimaabkommen gelegt, beispielsweise mit der Anerkennung des zwei-Grad-ziels. Doch ob das ausreicht, um schon bei der Klimakonferenz am Ende dieses Jahres in Durban (südafrika) eine Einigung zu erzielen, bleibt fraglich. In Anbetracht der gefährlichen bedrohungen eines globalen Klimawandels ist schnelles handeln jedoch zwingend geboten.

Die zügige umsetzung eines internationalen Klimaschutz-abkommens ist dringend erforderlich. für dessen Ausge-staltung sollten alle beteiligten aus den Erfahrungen des Kyoto-protokolls lernen. Im Einzelnen heißt das, alle Industrieländer in die pflicht zur Reduktion klimaschäd-licher Treibhausgase zu nehmen. Dazu zählt auch die usA. sicherlich muss man den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen der schwellenländer Rechnung tragen und den individuellen charakter von Entwicklungsländern berücksichtigen. Allerdings ist nicht zu akzeptieren, dass sich Länder wie china und Indien ihrer Verantwortung entziehen wollen. china hat kürzlich erklärt, dass die umweltverschmutzung ein gravierendes problem für ihre zukünftige Entwicklung sei. Es bleibt zu hoffen, dass diese Einschätzung sich auch bei den zukünftigen Verhandlungen zum Klimaschutz niederschlägt. Abgeschafft werden sollten bisherige ökonomische Instrumente, die zum Klimaschutz implementiert wurden, sich aber nachweislich als inef-fektiv erwiesen haben. Grundsätzlich zu begrüßen bleibt dabei aber die nutzung von ökonomischen Instrumenten, die einen Anreiz zum freiwilligen Engagement gegen den Klimawandel setzen.

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Die Europäische union geht in sachen Klimaschutz voran. Gerade angesichts des Taktierens und des teilweise offenen widerstands gegen ein internationales Klimaabkommen setzt die Eu damit international maßstäbe. Global verbindliche und einheitliche ordnungspolitische Rahmenbedingungen, die den schutz der umwelt und des Klimas in den Vordergrund stellen, sind notwendig. Inner-halb dieser Rahmenbedingungen muss die wirtschaftliche freiheit des Einzelnen gefördert werden. hieraus ergibt sich letztlich die fähigkeit einer Gesellschaft, für zukünf-tige Generationen die umwelt und das Klima zu schützen und gleichzeitig wohlstand zu schaffen.

Der umwelt- und Klimaschutz ist dabei nicht nur eine ordnungspolitische herausforderung, sondern vor allem auch eine Verantwortung zur bewahrung der schöpfung.

Dr. Gerhard wahlersstellvertretender Generalsekretär

[email protected]

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Im Jahr 1992 fand in Rio de Janeiro die damals größte umweltkonferenz der Vereinten nationen statt, die united nations conference on Environment and Development (uncED), später auch Erdgipfel genannt. Im mittelpunkt der Konferenz stand die forderung nach einem neuen paradigma zur nachhaltigen gesellschaftlichen Entwick-lung, um der ungebremsten Ausbeutung natürlicher Ressourcen durch den menschen Einhalt zu gebieten. Der begriff der nachhaltigkeit war daraufhin weltweit in aller munde, und eine flut neuer Ideen und Ansätze aus den unterschiedlichsten wissenschaftsdisziplinen forderte die globale Gesellschaft heraus. Rückwirkend betrachtet, führte die popularität des nachhaltigkeitsparadigmas aber auch dazu, dass der begriff inflationär verwendet wurde und heute kaum noch mit seiner eigentlichen bedeutung in Verbindung gebracht wird. Als wesentliche Ergebnisse der Konferenz sind u.a. das Rahmenübereinkommen der Vereinten nationen über Klimaänderungen (united nation framework convention on climate change – unfccc), das übereinkommen der Vereinten nationen zur bekämpfung der wüstenbildung (united nation convention to combat Desertification – unccD) und das übereinkommen über die biologische Vielfalt (convention on biological Diversity – cbD) geblieben.

Insbesondere die Konvention zum schutz des Klimas kristallisierte sich im nachgang als medienwirksamstes und jährlich wiederkehrendes Ventil für streitigkeiten im globalen umweltschutz heraus. Die Gründe dafür lagen – und liegen immer noch – in der befürchtung möglicher Einschränkungen der wirtschaft durch eine verbindliche

VON DER KLIMAöKONOMIE zUR GREEN EcONOMy

Christian Hübner

christian hübner ist Koordinator für umwelt, Klima und Energie in der haupt-abteilung Europäische und Internationale zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-stiftung in berlin.

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Reduktion der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen.1 Ein blick auf die tatsächlichen Einsparungen von klima-schädlichen cO²-Emissionen verrät, dass bis heute weltweit nur vereinzelt fortschritte erzielt wurden und es noch nicht gelungen ist, die absoluten cO²-Emissionen zu reduzieren. Im Gegenteil – die globalen cO²-Emissionen steigen insbesondere durch den wachsenden Energiehunger der schwellenländer.

Vor diesem hintergrund scheint sich die Diskussion über eine nachhaltige, ressourcenschonende Entwicklung zuneh-mend auf die frage einer Dekarbonisierung, also einer Entkoppelung der wirtschaftlichen Entwicklung von cO²-Emissionen, zu fokus-sieren. In diesem zusammenhang fallen auch die begriffe Green Economy oder Green Growth, die den begriff der nachhaltigkeit ablösen könn-ten.2 nicht umsonst wird im Jahr 2012 eine weitere Konfe-renz, wieder in Rio de Janeiro, auf 20 Jahre Rio-prozess zurückblicken und das Thema nachhaltige Entwicklung – diesmal unter dem begriff Green Economy – erneut in den mittelpunkt stellen. bei dieser Debatte wird die frage ent- scheidend sein, welche Erfahrungen bisher im umgang mit dem Klimawandel gemacht wurden und wie diese sich für eine Green Economy nutzen lassen.

KLIMAwANDEL UND KOSTEN

Der Klimawandel ist ein äußerst komplexes phänomen, das die Lebensgrundlagen des menschen bedroht. Die konkreten folgen lassen sich unter anderem in einer zunahme von Extremwetterlagen, steigenden meeresspiegeln und schmelzenden Gletschern beobachten. Als ausschlagge-bende ursachen für den Klimawandel werden die nutzung

1 | mit klimaschädlichen Emissionen sind u.a. Kohlenstoffdioxid (cO2), methan, Lachgas und fluor-Kohlenwasserstoffe (fKw) gemeint. In der Literatur werden sie üblicherweise in cO2- äquivalente umgerechnet, so dass im folgenden nur noch von cO2-Emissionen gesprochen wird.2 | Das umweltprogramm der Vereinten nationen (unEp) definiert die Green Economy „as one that results in improved human well-being and social equity, while significantly reducing envi- ronmental risks and ecological scarcities‟. unEp, 2011, Towards a Green Economy: Pathways to Sustainable Development and Poverty Eradication – A Synthesis for Policy Makers, http://unep.org/greeneconomy [07.03.2011].

Die Begriffe „Green Economy‟ oder „Green Growth‟ könnten den Begriff der Nachhaltigkeit ablösen.

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Steigt die Erdtemperatur um über zwei Grad, besteht die Gefahr, dass beson-ders sensible Elemente des Erdsys-tems umkippen.

fossiler brennstoffe wie Erdöl oder Erdgas, die industria-lisierte Landwirtschaft und eine geänderte Landnutzung angeführt. Laut internationalem Klimawissenschaftlerrat (Intergovernmental panel on climate change – Ipcc, 2007) gilt es dabei als wahrscheinlich, dass die durch den menschen verursachten cO²-Emissionen die in der zweiten hälfte des 20. Jahrhunderts beobachtete globale Tempera-turerhöhung bewirken. Diese Entwicklungen werden durch neuere forschungsergebnisse gestützt. so ist zu erwarten, dass der meeresspiegel weiter steigt, das arktische meereis rapider schrumpft und die Gletscher stärker schmelzen als bisher erwartet wurde.3

problematisch an der gesellschaftlichen wahrnehmung des Klimawandels als politisches Aufgabenfeld ist, dass aufgrund der Komplexität des phänomens nicht mit sicher-

heit darauf zu schließen ist, welche tatsäch-lichen Konsequenzen zu erwarten sind. mit „sehr wahrscheinlich‟ sind im statistischen sinn „nur‟ 90 prozent gemeint. Die wissen-schaft versucht, dieser unsicherheit unter

anderem mit der Identifikation empfindlicher Elemente des Klimasystems zu begegnen, die bei einer irreversiblen schädigung Katastrophen auslösen können. hier liegt eine der wesentlichen begründungen für das häufig angeführte, durch die Klimakonferenz im vergangenen Jahr im mexi-kanischen cancún offiziell anerkannte zwei-Grad-ziel in der Klimadebatte. steigt die durchschnittliche Erdtem-peratur um über zwei Grad, so besteht die Gefahr, dass besonders sensible Elemente des Erdsystems umkippen und nicht absehbare folgen eintreten können. solche sensiblen Elemente sind etwa das Grönlandeisschild, das im falle seines Abschmelzens einen weltweiten Anstieg des meeresspiegels um sieben meter zur folge hätte.4

3 | Vgl. I. Allison, n. L. bindoff, R.A. bindschadler, p.m. cox, n. de noblet, m.h. England, J.E. francis, n. Gruber, A.m. haywood, D.J. Karoly, G. Kaser, c. Le Quéré, T.m. Lenton, m.E. mann, b.I. mcneil, A.J. pitman, s. Rahmstorf, E. Rignot, h.J. schellnhuber, s.h. schneider, s.c. sherwood, R.c.J. somerville, K. steffen, E.J. steig, m. Visbeck, A.J. weaver, The Copenhagen Diagnosis, 2009: Updating the world on the Latest Climate Science, sydney: The university of new south wales climate change Research centre (ccRc) 2009.4 | Ottmar Edenhofer, hermann Lotze-campen, Johannes wallacher, michael Reder (hrsg.), Global, aber gerecht: Klimawandel bekämpfen, Entwicklung ermöglichen, 1. Auflage, beck, 2010, 94.

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Eventuelle Ertragsrückgänge können mithilfe von Marktpreisen berechnet und als Kosten des Klimawandels heran- gezogen werden.

Die Debatte um die notwendigkeit der Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels gipfelt daher in der frage, wie in Anbetracht möglicher enormer und nicht absehbarer schäden des Erdsystems gehandelt werden sollte.

ökonomen versuchen, durch die berechnung der Kosten des Klimawandels mögliche handlungsoptionen aufzu-zeigen. hierbei dient das bruttoinlandsprodukt (bIp) als Indikator für die wohlfahrt einer Gesellschaft. Eine nach-weislich auf den Klimawandel zurückführbare Verringerung des bIp würde somit wohlfahrtsverluste zur folge haben. zur berechnung solcher bIp-Kosten gibt es unterschiedliche Ansätze. zum einen können die ökonomen auf naturwis-senschaftliche modelle zurückgreifen, die die Auswirkungen des Klimawandels abbilden, und die dort beobachteten Effekte über preise addieren. Das kann, vereinfacht ausge-drückt, geschehen, indem sie auf prognostizierte werte des durch den Klimawandel induzierten meeresspiegelanstiegs zurückgreifen und entsprechende preise für Deichbauten ermitteln, oder indem sie den Einfluss des Klimawandels auf den nahrungs-mittelanbau beobachten. Eventuelle Ertrags-rückgänge können mithilfe von marktpreisen berechnet und als Kosten des Klimawandels herangezogen werden. Einen anderen Ansatz liefert die möglichkeit, den Einfluss des Klimas auf das Einkommen der bevölkerung statistisch zu messen, was den Einsatz naturwissenschaft-licher modellierungen obsolet macht. beide Ansätze haben ihre methodischen Vor- und nachteile, die es bei einer berechnung abzuwägen gilt.5

Die unterschiede in der Kostenberechnung entstehen vor allem durch die hohen unsicherheiten der naturwissen-schaftlichen modellierung und durch die teils riskanten

5 | nordhaus (2006) berechnet bspw. bei einer Erhöhung der durchschnittlichen Erdtemperatur um 2,5 Grad Kosten in höhe von 0,9 prozent des globalen bIp. stern (2006) geht von bIp- Einbrüchen je nach Annahmen zwischen fünf und 20 prozent aus. Vgl. william D. nordhaus, „Geography and macroecono- mics: new Data and new findings‟, Proceedings of the National Academy of Science, 103 (10): 3510-3517, 2006; n.h. stern, s. peters, V. bakhshi, A. bowen, c. cameron, s. catovsky, D. crane, s. cruickshank, s. Dietz, n. Edmonson, s.-L. Garbett, L. hamid, G. hoffman, D. Ingram, b. Jones, n. patmore, h. Radcliffe, R. sathiyarajah, m. stock, c. Taylor, T. Vernon, h. wanjie, and D. zenghelis, Stern Review: The Economics of Climate Change, cambridge: cambridge university press, 2006.

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Für eine sinnvolle Gegenwartsberech-nung muss eine Annahme darüber getroffen werden, wie hoch die Kosten des Klimawandels in hundert Jahren sein werden. Das Problem besteht in der Auswahl des Diskontfaktors.

modellannahmen der ökonomen. Im mittelpunkt dieser Kontroverse stehen dabei Annahmen über die berechnung der zukünftigen schäden des Klimawandels. hierfür wäre zunächst zu erforschen, welchen wert zukünftige schäden des Klimawandels für uns heute haben. philosophen und

ökonomen geraten an diesem punkt beson-ders häufig in Kontroversen. so sind die Auswirkungen des Klimawandels zwar heute schon sichtbar, die großen schäden werden aber erst in den kommenden hundert Jahren anfallen. für eine sinnvolle Gegenwartsbe-rechnung muss also eine Annahme darüber

getroffen werden, wie hoch die Kosten des Klimawandels in hundert Jahren sein werden. Die auf die Gegenwart heruntergerechneten (diskontierten) Kosten würden in die Rechnung einfließen. Das problem besteht in der Auswahl des Diskontfaktors, also des faktors zur berechnung der zukünftigen Kosten auf die Gegenwartskosten. Je nach seiner höhe können die gegenwärtigen Kosten gering oder hoch ausfallen, was wiederum eine ethische frage aufwirft: welche Kosten wollen und dürfen wir zukünftigen Genera-tionen durch gegenwärtiges handeln oder nicht-handeln aufbürden?

neben den studien, die die Kosten des Klimawandels über direkte Ansätze wie etwa Deichbauten berechnen, stehen auch zunehmend berechnungen im fokus der öffentlichkeit, die nach dem wert der biodiversität, der Gesundheit oder gesamter ökosysteme fragen. hier sind monetäre Abschätzungen besonders schwierig. während umweltökonomen früh begonnen haben, monetäre werte für einzelne umweltgüter wie meere oder reine Luft, die kaum eigentumsrechtlich fassbar sind, zu berechnen, haben ganzheitliche betrachtungen im zusammenhang mit naturwissenschaftlichen modellierungen einen längeren weg zurücklegen müssen. Der amerikanische ökonom bob costanza sorgte als erster für Aufregung bei dem Versuch, den wirtschaftlichen wert von ökosystemen weltweit zu berechnen.6 costanza kam dabei auf 33 Trillionen us-Dollar pro Jahr, was fast den doppelten wert des damaligen welt-weiten bruttosozialprodukts von 18 Trillio nen us-Dollar

6 | Robert costanza et al., „The value of the world’s ecosystem services and natural capital‟, in: Nature 387, 15.05.1997 253-260.

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Das Konzept der ökosystem-Dienstleis- tungen bezieht sich auf Güter und Leis- tungen, die durch die Natur bereitge-stellt werden und selten handelbar sind.

betrug. um stärker die menschen bezogene sichtweise von ökosystemen in den fokus zu stellen, wurde in der folge das Konzept der ökosystem-Dienstleistungen entwickelt. Damit sind im weitesten sinn Güter und Leistungen gemeint, die den menschen durch die natur bereitgestellt werden und nur in seltenen fällen auf einem markt handelbar sind.

Der Millennium Ecosystem Assessment Report (2005) der Vereinten nationen strukturierte ökosystem-Dienstleis-tungen in Versorgungsleistungen, Regulierungsleistungen, kulturelle Leistungen und unterstützende Leistungen.7 Als bekanntes beispiel für solche Leistungen, die besonders durch den Klimawandel bedroht sind, werden häufig Koral-lenriffe genannt. fast die hälfte der menschen weltweit lebt in Küstennähe und steht deshalb in mittelbarer oder unmit-telbarer beziehung zu den Riffen, die für ganze Küsten-ökosysteme von elementarer bedeutung sind. ökosystem-Dienstleistungen, die dem menschen durch ein intaktes Küstenökosystem bereitgestellt werden, sind nahrung und Rohstoffe (Versorgungsleistungen), Klimaregulierung und Ausgleich von extremen wetterereignissen (Regulierungs-leistungen) oder Tourismus (kulturelle Leistungen).

bei der Anpassung an den Klimawandel werden ökosystem-Dienstleistungen auch zunehmend mit dem begriff der „ökologischen Infrastruktur‟ verbunden, die es unbedingt zu schützen gilt. Die ökologische Infrastruktur beinhaltet alle natürlichen und menschlich geschaffenen ökosysteme, wie z.b. die frischwasserversorgung, klimaregulierende systeme (wälder, feuchtgebiete, flüsse), bodenschutz (wälder, weideflächen), natürlicher Katastrophenschutz (Korallenriffe, mangrovenwälder) oder Kulturlandschaften. Ihre stabilität garantiert, dass Klimaschwankungen besser abgefangen werden.

Die studie The Economics of Ecology and Biodiversity (TEEb), die Deutschland im Rahmen seiner G-8-präsident-schaft 2007 gemeinsam mit der Eu-Kommission initiierte, errechnete den Gesamtwert von ökosystem-Dienstleis-

7 | millennium Ecosystem Assessment (mEA), Ecosystems and Human Well-being: Synthesis (washington, D.c.: Island press 2005).

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Die Abschätzung eines Geldwertes für ökosysteme und Biodiversität führt neben methodischen Schwierigkeiten auch zu einer ethischen Frage: Darf Artenvielfalt oder Gesundheit einen Preis haben?

tungen, die gegenwärtig weltweit durch schutzgebiete bereitgestellt werden, auf 4,4 bis 5,2 milliarden us-Dollar pro Jahr.8 zusätzlich wurden die Investitionen berechnet, die notwendig wären, um ein weltweites schutzgebiet mit 15 prozent der globalen Landfläche und 30 prozent der meeresfläche mit einem wert von 5.000 milliarden us-Dollar aufrechtzuerhalten. hierzu wären ca. 45 milli-arden us-Dollar erforderlich. Das Verhältnis macht deut-

lich, dass es sich für den menschen durchaus lohnt, in den umweltschutz zu investieren. Die Abschätzung eines Geldwertes für öko- systeme und biodiversität führt neben den genannten methodischen schwierigkeiten, siehe Diskontierung, aber auch zu einer

weiteren ethischen frage: Darf Artenvielfalt oder Gesund-heit einen preis haben?

naturwissenschaftliche und ökonomische studien über die Konsequenzen des Klimawandels sind also mit erheblichen unsicherheiten verbunden. Darüber hinaus stellen sich bei der monetarisierung der Klimawandelschäden ethische fragen, die die berechneten Kosten als eventuelle Grund-lage für politisches handeln in zweifel ziehen können. Diese studien haben jedoch den Vorteil, dass das problem Klimawandel in der öffentlichkeit stärker wahrgenommen wird.

KLIMAöKONOMIE

Aus sicht der ökonomie ist der Klimawandel auch ein problem nicht geklärter Eigentumsrechte an der Atmos-phäre. Denn diese gehört letztlich allen – oder niemandem. folglich wird sie mit Emissionen überlastet, ohne dass sich etwaige unternehmen für die negativen folgen rechtfer-tigen müssten. In der ökonomischen Theorie werden Emis-sionen deshalb auch als nicht internalisierte, d.h. nicht eingepreiste nebeneffekte (Externalitäten) beschrieben, die durch wirtschaftliche Aktivitäten entstehen können und deshalb nicht in die Kostenentscheidungen eines unter-nehmens einfließen. müsste jedoch für klimaschädliche

8 | TEEb (2008), „The Economics of Ecosystems and biodiversity: An Interim Report‟, Europäische Kommission, brüssel, http://teebweb.org/Linkclick.aspx?fileticket=u2fmsQowJf0% 3d&tabid=1278&language=en-us und http://www.bmu.de/ naturschutz_biologische_vielfalt/teeb/doc/43001 [23.03.2011].

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Der Staat legt eine bestimmte Höchst-grenze an Emissionen fest, die im Ideal- fall einen gefährlichen Klimawandel verhindert. Für diese Emissionen wer-den zertifikate verteilt.

Emissionen bezahlt werden, dann bestünde für ein unter-nehmen ein Anreiz zu deren Reduktion, da diese Kosten den Gewinn schmälern könnten.

In diesem zusammenhang wird immer wieder die soge-nannte pigou-steuer genannt.9 Danach könnten zur Vermeidung des Klimawandels z.b. die Kosten für eine emittierte Tonne cO² berechnet und den Emittenten, z.b. Energieunternehmen, als steuer auferlegt werden. folglich hätten die unternehmen höhere Kosten und damit einen Anreiz zur Vermeidung klimaschädlicher cO²-Emissionen. problematisch daran ist aber, dass ein optimaler steu-ersatz den tatsächlichen schadenskosten einer Tonne cO²-Emission entsprechen müsste, damit der steuerme-chanismus effizient arbeitet. wie schon gezeigt, ist die genaue berechnung solcher Kosten des Klimawandels nahezu unmöglich. Der bekannte Klimaökonom Richard Tol bezeichnet den Klimawandel in diesem zusammen-hang zu Recht als „mother of all externalities: larger, more complex, and more uncertain than any other environ-mental problem‟.10

Als Alternative scheint sich die Idee des ökonomen Ronald coase durchzusetzen. Danach können cO²-Emissionen ohne steuern in die Entscheidungsfindung eines unternehmens eingebracht werden. Das prinzip ist einfach: Der staat legt eine bestimmte höchstgrenze an Emissionen fest, die im Idealfall einen gefährlichen Klima-wandel verhindert. für diese Emissionen werden zertifikate verteilt bzw. unternehmen ersteigern sie, um das Recht auf Emission zu erhalten. will ein Akteur mehr emittieren als seine zertifikate erlauben, kann er zusätzlich zertifikate von anderen marktak-teuren nachkaufen. folglich werden diejenigen, die ihre Emissionen z.b. durch die Entwicklung cO²-armer Tech-nologien reduzieren, durch den Gewinn aus dem Verkauf übrig gebliebener Emissionszertifikate belohnt. Die klima-schädlichen cO²-Emissionen werden dort vermieden, wo

9 | Die pigou-steuer geht auf den englischen ökonomen Arthur cecil pigou zurück.10 | R.s.J. Tol, „The Economic Effects of climate change‟, Journal of Economic Perspectives, 23. Jahrgang, Ausgabe 2/2009, 29-51.

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es am günstigsten möglich ist. Darüber hinaus kann der staat sich auf seine rahmensetzende Rolle beschränken und den unternehmen möglichst viel handlungsspielraum lassen. hier zeigt sich jedoch auch die größte problematik eines Emissionshandelssystems. Dieses kann zur Vermei-dung des Klimawandels nur beitragen, wenn es möglichst alle unternehmen umfasst, die klimaschädliche Gase emittieren. Ist das nicht der fall, findet eine Verlagerung von Industrien außerhalb des Emissionshandels statt

(Leakage-problematik) – dorthin, wo unter-nehmen keine zertifikate kaufen müssen und folglich geringere Kosten haben. In Europa, das den weltweit größten Emissionshandel aufweist, wird dieses problem immer wieder als einseitiger standortnachteil bemängelt.

Aus ordnungspolitischer perspek tive sollte deshalb ein globales Emissionshandelssystem angestrebt werden, das möglichst alle cO²-intensiven unternehmen weltweit einschließt. Die chancen dafür stehen gut, schaut man auf die jüngsten bestrebungen chinas.

neben den rahmensetzenden möglichkeiten des staates zur Vermeidung des Klimawandels greifen staaten natio- nal zunehmend auf sektorale Instrumente zurück. In der klassischen Anwendung betrifft das vor allem den Energie-sektor und in der neueren Klimapolitik vor allem die öko- system-Dienstleistungen.

ENERGIE

bisher werden für die Energiegewinnung maßgeblich end- liche Energieressourcen wie Erdöl und Kohle genutzt, die in hohem maß klimaschädliche cO²-Emissionen freisetzen. zur bekämpfung des Klimawandels durch eine geänderte Energieversorgung gibt es eine Vielzahl technologischer möglichkeiten, darunter etwa diejenige, klimaschädliche cO²-Emissionen bei der nutzung von Kohle abzutrennen (ccs-carbon capture storage). Denkbar ist auch die verstärkte nutzung von uran, das als Grundstoff für die produktion von Atomstrom dient. Alternativ könnten auch verstärkt erneuerbare Energien wie windkraft, wasserkraft, Geothermik, biomasse oder sonnenenergie verwendet werden. Energieeffizienz zum beispiel durch modernisierungen alter Energiekraftwerke oder Gebäude-

Aus ordnungspolitischer Perspektive sollte ein globales Emissionshandels- system angestrebt werden, das mög-lichst alle cO2-intensiven Unterneh-men weltweit einschließt.

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Im deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sind für eingespeiste Energie aus Biomasse, wind oder Sonne eine Abnahmepflicht und Min-destabnahmepreise festgeschrieben.

sanierung bietet einen weiteren attraktiven Ansatz zur Einsparung von cO²-Emissionen.

zur Vermeidung des Klimawandels sollten aus ökonomi-scher perspektive nur Energieträger und maßnahmen verwendet werden, die die höchstmögliche Effizienz aufweisen, d.h. die geringsten Kosten verursachen. Die ökonomische Effizienz kann beispielsweise anhand der cO²-Vermeidungskosten berechnet werden, also dem wert, der ausdrückt, wie hoch der preis für die Einsparung einer Tonne cO²-Emissionen ist.

Darüber hinaus verfolgen staaten im Energiebereich neben dem Klimaschutz weitere ziele, wie etwa eine nachhaltige Energieversorgung, Arbeitsplätze oder Technologieför-derung. Von besonderer bedeutung bei der bündelung mehrerer ziele im Energiebereich sind weltweit die Erneu-erbaren Energien (EE), die in den usA, brasilien, Europa, aber auch in china zunehmend gefördert werden.

Das „deutsche modell‟ zur förderung von EE ist im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verankert. Danach sind vom Gesetzgeber für EE aus biomasse, wind oder sonne eine Abnahmepflicht und mindestabnahmepreise festgeschrieben. Die preisdifferenz zwischen den teureren EE und den endlichen konventionellen Energien werden auf den Verbraucher als zusatzkosten zu ihrer stromrechnung umgelegt, wodurch die stromkosten für den Verbraucher in dem maße steigen, in dem strom aus regenerativen Quellen bereitgestellt wird. In den letzten Jahren konnte der Anteil der EE am stromverbrauch in Deutschland erheblich gesteigert werden. zudem wurden umfangreiche Investitionen in die Erforschung und Entwicklung von EE ermöglicht. Inzwischen hat sich das EEG als Exportschlager herausgestellt. Allein in Europa weisen bereits 19 Länder vergleichbare förderstrukturen auf.

neben dem preisbasierten EEG existiert noch das mengen-basierte Quotensystem mit zertifikaten, das zum beispiel in England verwendet wird. Es funktioniert im Grunde wie das bereits zuvor beschriebene Emissionshandelsystem. Der Gesetzgeber schreibt vor, wie viel strom aus regenera-tiven Quellen in das stromnetz aufgenommen werden soll.

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National eingesparte cO2-Emissionen werden vor dem Hintergrund der festen Quote des europäischen Emissions-handels in anderen Ländern vermehrt emittiert.

Im Anschluss werden zertifikate für strom ausgestellt, der aus regenerativen Energiequellen stammt. stromein-speiseunternehmen haben dann nachzuweisen, dass sie, der Quote entsprechend, ausreichend viele zertifikate besitzen. Diese können an einem markt gehandelt werden, wodurch ein wettbewerb um die günstigste produktion von strom aus regenerativen Energiequellen entsteht. Der Vorteil dieses Instrumentes ist, dass es einen Anreiz für Innovation setzt, ohne eine bestimmte Technologie zu fördern. Letztlich werden die EE zum zuge kommen, die am günstigsten bereitgestellt werden können.

beide Instrumente sind grundsätzlich geeignet, die nutzung von EE mit dem ziel einer nachhaltigen Energie-versorgung zu unterstützen. Im hinblick auf das primäre ziel, den Klimaschutz voranzutreiben, sind jedoch wechsel-wirkungen mit anderen Instrumenten zu berücksichtigen. so zeigt sich insbesondere in Europa, dass durch die gleichzeitige Existenz des europäischen Emissionshandels-system und des EEG, aber auch des Quotensystems, das

ziel der cO²-Reduktion ausgehebelt werden kann. schließlich werden durch das EEG oder das Quotensystem national eingesparte cO²-Emissionen vor dem hintergrund der festen Quote des europäischen Emissions-

handels in anderen Ländern vermehrt emittiert. nationale Instrumente zur förderung von EE können somit internatio- nale Instrumente aushebeln.

öKOSySTEM-DIENSTLEISTUNGEN

Der Klimawandel berührt als globales phänomen nahezu jedes ökosystem der Erde. Dies hat Konsequenzen, die wir erst allmählich zu verstehen beginnen. Als gesichertes wissen gilt, dass die schon genannten ökosystem-Dienst-leistungen sowohl bei der Vermeidung der folgen des Klimawandels als auch bei der Anpassung an dieselben eine wichtige Rolle spielen.

Aus ökonomischer perspektive besteht das problem darin, dass viele ökosystem-Dienstleistungen, wie auch der Klimaschutz, keinen preis haben, der einen Anreiz für ihren schutz bieten könnte. folglich finden die durch den Klima-wandel und andere umweltverschmutzung verursachten

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Ein besonderes Interesse liegt gegen-wärtig in der ökonomischen Inwert- setzung von waldökosystemen. werden wälder verbrannt, wird zusätzliches Treibhausgas freigesetzt.

schäden am ökosystem kaum Eingang in wirtschaft-liche Entscheidungsprozesse. Dessen ungeachtet gibt es bereits eine Vielzahl ökonomischer Instrumente, die das ziel verfolgen, märkte für ökosystem-Dienstleistungen zu schaffen.

Ein besonderes Interesse liegt gegenwärtig in der ökonomi-schen Inwertsetzung von waldökosystemen. wälder spei-chern cO². werden sie gefällt und verbrannt, wird zusätzliches Treibhausgas freigesetzt. Andererseits könnte durch einen verstärkten waldanbau zusätzlich cO² aus der Atmos-phäre entnommen werden, so dass ein ge- fährlicher Klimawandel vermieden werden könnte. neuere berechnungen gehen davon aus, dass der Erhalt von wäldern Treibhausgasemissionen vermeiden könnte, die wiederum Klimawandelschäden in höhe von 3,7 billionen us-Dollar entsprächen.11

Die politik versucht daher, über so genannte REDD-mechanismen (Reducing Emissions from Deforestation and forest Degradation) einen ökonomischen Anreiz zum schutz der wälder zu setzen, der insbesondere für schwellen- und Entwicklungsländer eine attraktive Vari-ante darstellen soll. ziel dieser mechanismen ist es, die Entwaldungsrate zu senken, indem Geld durch Industrie-nationen für den walderhalt und seinen Ausbau bereitge-stellt wird. hier ergeben sich jedoch wechselwirkungen mit anderen Gesellschaftszielen. so ist es durchaus möglich, einen fokussierten waldanbau zu betreiben, um cO² zum schutz des Klimas zu speichern. unternehmer würden sich in diesem fall jedoch vorzugsweise für baumarten entscheiden, die möglichst viel cO² speichern, und diese Arten monokulturell anbauen. solche monokulturen gehen wiederum zu Lasten der biodiversität, die essenziell für die widerstandsfähigkeit der natur gegenüber Klimaschwan-kungen ist. neuere Ansätze (REDD+) berücksichtigen zwar an die finanzierung gekoppelte Kriterien zum schutz der biodiversität – inwiefern diese aber umsetzbar sind, bleibt abzuwarten. Daneben liegen die wesentlichsten probleme bei der umsetzung der REDD-mechanismen in der Kontrolle

11 | TEEb (2010), „The Economics of Ecosystems and biodiversity: mainstreaming the Economics of nature‟, Europäische Kom- mission, brüssel, vgl. http://teebweb.org [23.03.2011].

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Durch den Biomasseanbau wird der Nahrungsmittelanbau verdrängt, so dass sich Klimaschutz, Nahrungsmit- telsicherheit und Biodiversitätsschutz als ziele gegenüberstehen.

und administrativen umsetzung derartiger projekte vor Ort. Letztlich muss bezahlter waldschutz kontrolliert werden.

Ein weiterer und wohl am weitesten entwickelter ökonomi-scher Ansatz zum schutz von ökosystem-Dienstleistungen wird gegenwärtig in der Eu umgesetzt. In der hauptver-antwortung für den Erhalt von ökosystemen stehen darin vor allem Landwirte. Ihnen wird angeboten, gegen zusatz-zahlungen ihre Agrarbearbeitung im sinne eines stärkeren umwelt- und Klimaschutzes zu ändern (weniger Dünger, weniger bodenbearbeitung etc.). In der fachliteratur wird dieser Ansatz auch „payments for Ecosystem services‟ genannt. Die Landwirte erhalten letztlich eine weitere Einkommensquelle, indem sie als umwelt- und Klima-schutzanbieter auftreten. Die bedeutung des umwelt-schutzes und damit des schutzes von ökosystem-Dienst-leistungen wird in den kommenden Verhandlungen 2011 über die Ausgestaltung einer gemeinsamen Agrarpolitik in der Eu einen zentralen platz einnehmen. Dennoch ist auch hier danach zu differenzieren, ob der staat ausschließ-lich Klimaschutz betreiben oder ob er auch biodiversität, Kulturlandschaft oder eine nachhaltige Energiewirtschaft fördern möchte. Die zahlungen an die Landwirte müssten entsprechend gestaltet werden. hier tritt erneut das

Dilemma zwischen Klima- und biodiversitäts-schutz hervor. so trägt der verstärkte Anbau von biomasse als regenerativer Energie-träger zwar zum Klimaschutz bei, indem er fossile Energieträger verdrängt. Die folgen sind jedoch monokulturen zu Lasten der

biodiversität. zudem wird durch den biomasseanbau auch der nahrungsmittelanbau verdrängt, so dass sich Klima-schutz, nahrungsmittelsicherheit und biodiversitätsschutz als gesellschaftliche ziele gegenüberstehen. zwar versucht die Eu, diesem problem ebenfalls mit der Kopplung von zahlungen an die Einhaltung von nachhaltigkeitskriterien zu begegnen. Ein Erfolg hängt jedoch von den Kontroll-möglichkeiten ab.

Eine weitere möglichkeit, ökosystem-Dienstleistungen zu schützen, ergibt sich aus deren rechtlicher zuordnung. Von besonderem Interesse sind dabei die Ergebnisse der 10. Vertragsstaatenkonferenz des übereinkommens über

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Durch das Übereinkommen in Nagoya ergeben sich verlässlichere Rahmen- bedingungen, die Entwicklungsländern Eigentumsrechte an ihren genetischen Ressourcen garantieren.

die biologische Vielfalt (convention on biological Diversity, cbD) 2010 in nagoya, Japan. Dort wurde das so genannte Abs-protokoll zur Regelung des zuganges zu genetischen Ressourcen und der gerechten Gewinnbeteiligung bei der nutzung natürli-cher Ressourcen beschlossen. hintergrund ist das ziel, den ökonomischen Gewinn etwa bei der Entwicklung von medikamenten oder züchtungen gerechter zu verteilen. für die wirtschaft ergeben sich dadurch verlässlichere Rahmenbedingungen, die Entwicklungsländern Eigentumsrechte an ihren gene-tischen Ressourcen garantieren (z.b. pflanzen mit medizi-nischen wirkungen) und Industrieländern Rechtssicherheit für zukünftige Geschäfte bieten.

ScHLUSSFOLGERUNGEN

bereits heute leben wir mit einem menschlich verursachten Klimawandel. Da wir jedoch über die tatsächlichen Auswir-kungen nur unsichere Aussagen treffen können, müssten wir in unseren handlungsalternativen eingeschränkt sein. Dennoch existiert gegenwärtig eine kaum überschaubare zahl an Initiativen, die mit hilfe ökonomischer Ansätze versuchen, klimaschädliche cO²-Emissionen zu verrin-gern – darunter das Emissionshandelssystem der Eu, das EEG der deutschen bundesregierung und die REDD-mechanismen in schwellen- und Entwicklungsländern. Letztlich zeigt sich, dass gerade durch diese Vielzahl an Instrumenten das eigentliche ziel, die Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels, ausgehebelt werden könnte. Darüber hinaus berücksichtigen einige Instrumente, insbe-sondere diejenigen, die auf ökosystem-Dienstleistungen wirken, nicht die vielfältigen wechselwirkungen zwischen Klimawandel, biodiversitätsschutz und nahrungsmittel-sicherheit. zusätzlich existiert ein erhebliches Kontroll-problem in schwellen- und Entwicklungsländern, das die Legitimität solcher Instrumente in frage stellt.

Eine politik, die das ziel der Vermeidung eines globalen Klimawandels verfolgt, sollte zwei wege gehen. zum einen sollte ein globaler Emissionshandel angestrebt werden, der sämtliche cO²-produzierenden Industrien einschließt. hier darf es keine Ausnahmen geben. nationale Instrumente, die diesen mechanismus aushebeln könnten, müssen

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vermieden werden. zum anderen sollte verstärkt überlegt werden, wie – insbesondere in schwellen- und Entwick-lungsländern – einheitliche märkte für ökosystem-Dienst-leistungen umgesetzt werden können. Ein Vorbild könnte der europäische Ansatz sein, bei dem Landeigentümer als Anbieter von Klimaschutz auftreten. Als rechtliche Grund-lage könnte ein erweitertes Abs-protokoll dienen, das sämtliche ökosystem-Dienstleistungen verfügungsrecht-lich abdeckt.

Die Green Economy mit dem Teilziel der Dekarbonisierung der wirtschaft erfordert im Grunde keine neuen ökonomi-schen Instrumente. Vielmehr sollte die einheitliche und konsequente Durchsetzung eines global verbindlichen ordnungspolitischen Rahmens im Vordergrund stehen.

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„Klima‟ und „politik‟ – zwei begriffe, die noch vor weniger als fünfzig Jahren nichts miteinander zu tun hatten. spätestens aber seit dem „Erdgipfel‟ im Juni 1992 in Rio de Janeiro, an dem ca. hundert staats- und Regierungs-chefs aus der ganzen welt teilnahmen, stehen Klimafragen auf der politischen Agenda der Industriestaaten. um den neuen globalen herausforderungen in bezug auf Ernäh-rung, migration und sicherheit zu begegnen, hat sich in den letzten 20 Jahren die internationale zusammenarbeit zur bekämpfung des Klimawandels intensiviert. Vor allem Europa beansprucht seit dem beginn der Verhandlungen eine Vorreiterrolle.

Auf dem „Erdgipfel‟ wurde von über 150 staaten eine Klimarahmenkonvention unterschrieben. Diese erkennt offiziell den globalen charakter der Klimaveränderungen sowie die notwendigkeit einer internationalen zusammen-arbeit in diesem bereich an. sie unterstreicht zudem die bedeutung menschlichen handelns für die Erwärmung der Erdoberfläche und setzt sich als hauptziel, die Treibhaus-gaskonzentrationen in der Atmosphäre zu stabilisieren, um eine gefährliche störung des Klimasystems durch den menschen zu verhindern.1

Dieser politische schritt auf internationaler Ebene beruht u.a. auf den beobachtungen des weltklimarats, ein zwischenstaatliches forum von wissenschaftlern, das den

1 | Vgl. Rahmenübereinkommen der Vereinten nationen über Klimaänderungen, Artikel 2 (new york, 1992), http://unfccc.int/ essential_background/convention/background/items/2853.php [02.02.2011].

VON KyOTO BIS DURBAN – DIE KLIMAPOLITIK DER EUROPäIScHEN UNION

Céline-Agathe Caro / Christiane Rüth

Dr. céline-Agathe caro ist Koordinatorin für Europapolitik im Team politikdialog und Analyse der Konrad-Adenauer-stiftung in berlin.

christiane Rüth studierte Europastu- dien und Verwal-tungswissenschaf-ten in bremen und Leiden, niederlande. Von september 2010 bis märz 2011 unter-stützte sie das Team Außen-, sicherheits- und Europapolitik in berlin.

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zwischen 1906 und 2005 sind die Tem-peraturen weltweit durchschnittlich um 0,74 Grad celsius gestiegen, und seit 50 Jahren hat sich dieser Trend dras-tisch beschleunigt.

Klimawandel seit 1988 beobachtet und bewertet.2 In seinem letzten bericht aus dem Jahr 2007 bestätigt der Rat, dass „der größte Teil des beobachteten Anstiegs der mittleren globalen Temperatur seit mitte des 20. Jahrhunderts [...] sehr wahrscheinlich durch den beobachteten Anstieg der anthropogenen Treibhausgaskonzentrationen verursacht‟ wurde.3 Er lässt zudem keinen zweifel an der Erwärmung des Klimas. Dies beweise unter anderem der Anstieg der globalen Luft- und meerestemperaturen, die Eisschmelze

in der Arktis, die zunehmenden Dürre- und hitzeperioden, die stärkere Intensität der tropischen wirbelstürme oder der Anstieg des globalen meeresspiegels. zwischen 1906 und 2005 seien die Temperaturen weltweit

durchschnittlich um 0,74 Grad celsius gestiegen, und seit 50 Jahren habe sich dieser Trend drastisch beschleunigt. Es wird befürchtet, dass weiter steigende Temperaturen nega-tive bis dramatische Auswirkungen auf die ökosysteme und die wasserressourcen, aber auch auf die menschliche Gesundheit, die Land- und forstwirtschaft, die Industrie und die Gesellschaft haben könnten.

Aus diesem Grund plädieren viele Klimaforscher dafür, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf maximal zwei Grad celsius gegenüber dem vorindustriellen zeitalter zu begrenzen. Damit wird auch ein klares klimapolitisches ziel gesetzt. Auf dem Eu-Gipfel im frühjahr 2005 haben die europäischen staats- und Regierungschefs die notwendig-keit einer zwei-Grad-schranke anerkannt, um das oberste ziel des Rahmenübereinkommens der Vereinten nationen über Klimaänderungen zu erreichen.4

zIELE UND MITTEL DER UMwELTPOLITIK

Das hauptziel der Eu zur bekämpfung des Klimawandels be- steht darin, die Lebensweisen und Konsumgewohnheiten in den mitgliedstaaten zu ändern, ohne auf wohlstand zu

2 | Der offizielle name des weltklimarats ist „Intergovernmental panel on climate change‟, Ipcc.3 | Vgl. Intergovernmental panel on climate change Ipcc, „Klimaänderung 2007 – zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger‟, Vierter Sachstandsbericht des IPCC (AR4) (bern/wien/berlin, september 2007), 10.4 | Vgl. Rat der Europäischen union, Tagung des Europäischen Rates, brüssel, 22./23.03.2005, schlussfolgerungen des Vorsitzes, 7619/1/05 REV 1, cOncL 1, 15-16.

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verzichten. nachhaltiges wachstum und eine hohe be- schäftigungsquote sollen durch Innovation ermöglicht werden. Die Eu-Kommission spricht sogar von einer „neuen industriellen Revolution‟.5 Damit soll nicht nur der Klima-wandel gestoppt, sondern auch die Luftqua-lität verbessert, die Energieversorgungssi-cherheit erhöht und die wettbe werbsfähigkeit der Eu durch Innovation (green technologies) gestärkt werden. Insofern liegt eine ambitio-nierte Klimapolitik auch im wirtschafts- und industriepo-litischen Interesse der Eu. Die Kosten dieser Klimapolitik sollen zudem langfristig niedriger sein als die Kosten, die eine unkontrollierte Klimaerwärmung weltweit verursachen würde.

Da Treibhausgasemissionen weitgehend durch die produk-tion und den Verbrauch von Energie verursacht werden, spielt die Energiepolitik der Eu eine entscheidende Rolle, um die ziele der Klimapolitik zu erreichen. Die Kohlendioxid-emissionen sollen reduziert werden, hauptsächlich durch eine steigerung der Energieeffizienz, eine Eindämmung der Emissionen von Industrie und Kraftfahrzeugen, eine Reduzierung des Verbrauchs fossiler brennstoffe sowie eine Diversifizierung der Energiequellen u.a. durch die weiterentwicklung der erneuerbaren Energien.

DER KyOTO-PROzESS

Das Kyoto-protokoll von 1997 ist das bisher wichtigste Ins trument der internationalen Klimapolitik. Darin haben sich die Industrieländer verpflichtet, ihre Treibhausgas-emissionen von 2008 bis 2012 um durchschnittlich 5,2 prozent unter das niveau von 1990 zu senken. um dieses ziel zu erreichen, sollten die damals 15 Eu-mitgliedsländer ihre Emissionen um insgesamt acht prozent reduzieren. nach dem system des burden sharing wurden die Reduk-tionsverpflichtungen dann auf alle Eu-mitglieder im Verhältnis zu ihrer jeweiligen wirtschaftskraft verteilt. so muss zum beispiel Deutschland seine Treibhausgasemissi-onen bis 2012 um 21 prozent verringern, während portugal seine Emissionen noch um 27 prozent erhöhen darf. Die

5 | Vgl. Europäische Kommission, „Kommission legt integriertes Energie- und Klimapaket zur Emissionsminderung im 21. Jahrhundert vor‟, pressemitteilung, 10.01.2007.

Die Kosten der Klimapolitik sollen lang- fristig niedriger sein als die Kosten, die eine unkontrollierte Klimaerwärmung weltweit verursachen würde.

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Die wichtigste Maßnahme, die im Rah-men des Europäischen Programms zum Klimawandel entstanden ist, ist das EU- Emissionshandelssystem.

neuen Eu-mitgliedstaaten, die seit 2004 beigetreten sind, haben im Rahmen des Kyoto-protokolls eigene zielset-zungen vereinbart.

um die Vorgaben des Kyoto-protokolls zu erfüllen, wurde im Juni 2000 von der Europäischen Kommission ein Euro-päisches programm zum Klimawandel (European Climate Change Programme, Eccp) initiiert. Dieses programm zielt

darauf ab, die bemühungen der Eu-Länder auf nationaler Ebene mit europäischen strate-gien zu ergänzen. Die wichtigste maßnahme, die in diesem Rahmen entstanden ist, ist das Eu-Emissionshandelssystem, das im Januar

2005 für Kohlendioxidemissionen (cO²) eingeführt worden ist. Es handelt sich dabei um das weltweit erste multina-tionale system zum handel mit Emissionsrechten. Es soll Emissionsminderungen mit möglichst geringen Kosten erreichen. Europaweit beteiligen sich zurzeit rund 11.000 Industrie- und Energieunternehmen daran, die zusammen für ca. 50 prozent des cO²-Ausstoßes in der Eu verant-wortlich sind. Ab 2012 soll auch der Luftverkehr in den Eu-Emissionsrechtehandel einbezogen werden.

schon heute steht fest, dass die Eu die im Kyoto-protokoll festgelegten ziele erreichen wird. Im Durchschnitt gelang es den Eu-15-staaten sogar, ihre Emissionen im Vergleich zu 1990 um 14 prozent zu senken. Da auch die zehn neuen Eu-mitglieder ihre ziele erreicht oder sogar über-troffen haben, wird die Eu-27 problemlos ihr soll erfüllen. Einzig österreich und Italien haben schwierigkeiten, ihre Vorgaben noch zu erreichen, was das Gesamtergebnis der Eu jedoch nur wenig beeinflussen wird.6

DIE „3x20‟-ENERGIEzIELE DER EU

Im Jahr 2007 gingen die europäischen staats- und Re- gierungschefs ein weiteres gemeinsames Engagement im bereich der Klimapolitik ein. während der deutschen Eu-Ratspräsidentschaft gaben sie im Rahmen des Europä-ischen Rates im märz 2007 einem Vorschlag der Eu- Kommission vom Januar 2007 ihre zustimmung, der für die

6 | Vgl. „Eu schafft Kyoto-ziel: österreich am weitesten weg‟, Kleine Zeitung, 12.10.2010, http://kleinezeitung.at/ nachrichten/chronik/2514576 [02.02.2011].

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Um die Verhandlungen weltweit zu intensivieren, billigte der Europäische Rat das ziel, die Treibhausgasemissio- nen bis zum Jahr 2020 um 30 Prozent zu reduzieren.

Eu neue Klimaschutzziele vorschreibt. hinter der Einigung, die kurz „20-20-20‟ oder „3x20‟ genannt wird, stehen zusagen der Eu, bis 2020 durch eine gesteigerte Energie-effizienz ihren Gesamtenergieverbrauch um 20 prozent zu senken, insgesamt 20 prozent weniger cO²-Emissionen zu verursachen und den Anteil erneuerbarer Energien an der gesamten Energieerzeugung auf 20 prozent zu steigern. zusätzlich soll der Anteil von biokraftstoffen auf zehn prozent steigen. Jedes Eu-Land soll gemäß seiner fähig-keiten und seiner Emissionen einen angemessenen beitrag leisten, um das gemeinsame ziel zu erreichen.

Diese ehrgeizigen zusagen sind weltweit die ersten verbindlichen Vorgaben, die für die zeit nach dem Ablauf des Kyoto-Abkommens im Jahr 2012 beschlossen worden sind. Damit bekräftigte die Eu ihren willen, das ziel einer Eindämmung der Erderwär-mung auf zwei Grad aktiv zu verfolgen und weiterhin eine Vorreiterrolle beim internatio-nalen Klimaschutz spielen zu wollen. um die Verhandlungen weltweit zu intensivieren, billigte zudem der Europäische Rat das ziel der Eu, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 um 30 prozent zu reduzieren, „sofern sich andere Industrieländer zu vergleichbaren Emissionsreduzierungen und die wirtschaftlich weiter fortgeschrittenen Entwick-lungsländer zu einem ihren Verantwortlichkeiten und jewei-ligen fähigkeiten angemessenen beitrag verpflichten‟.7

DIE KLIMAGIPFEL IN BALI UND POSEN

Im Dezember 2007 fand auf bali die 13. Konferenz der un-Klimarahmenkonvention, zugleich 3. Vertragsstaaten-konferenz des Kyoto-protokolls, statt. ziel der Konferenz war die festlegung von Verhandlungszielen sowie eines zeitplans für ein nachfolgeabkommen des Kyoto-proto-kolls. Die Konferenz endete mit dem beschluss des Bali Action Plan und der Bali Road Map. Damit einigten sich die Vertragsstaaten darauf, in parallelen Verhandlungs-strängen bis zum Klimagipfel in Kopenhagen 2009 über konkrete Verpflichtungen sowie beiträge aller staaten zur

7 | Vgl. Rat der Europäischen union, Tagung des Europäischen Rates, brüssel, 08./09.03.2007, schlussfolgerungen des Vorsitzes, 7224/1/07 REV 1, cOncL 1, 12.

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Reduzierung von Emissionen und deren mögliche finanzie-rung bis 2012 und darüber hinaus zu verhandeln.

Der Bali Action Plan richtete sich dabei an alle Vertrags-staaten der Klimakonvention, was auch die usA ein- schließt.8 Er legte fest, dass die Anforderungen an alle Industriestaaten vergleichbar sein sollen, wobei noch keine konkreten zahlen zur Reduktion von Emissionen festgelegt wurden, sondern zunächst ein Korridor von Emissions-minderungen von 25 bis 40 prozent bis 2020 gegenüber 1990 für die Industriestaaten bestimmt wurde. Erstmals verpflichteten sich dabei auch die Entwicklungsländer, messbare Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen.9

Auf der 14. Konferenz der Klimarahmenkonvention, der 4. Vertragsstaatenkonferenz des Kyoto-protokolls, im Dezem- ber 2008 im polnischen posen wurde weiter über die nach-folgeregelungen zum Kyoto-protokoll und fortschritte auf dem weg zum Klimagipfel in Kopenhagen 2009 verhandelt. fortschritte wurden dabei insbesondere bei der Gestaltung eines fonds gemacht, durch den Entwicklungsländer finan-

zielle hilfe für die Anpassung an den Klima-wandel erhalten können. unter anderem wurden seine Entscheidungsstrukturen, finanzierung und Geldvergabe festgelegt. Außerdem wurde mit blick auf Kopenhagen

bereits über eine internationale Absicherung der vom Klimawandel besonders betroffenen Länder verhandelt.10 Damit gelang es, die formalen Voraussetzungen für das Abkommen in Kopenhagen zu schaffen. Die Eu bekräftigte in posen erneut ihr bekenntnis zum zwei-Grad-ziel und den willen, bis 2020 ihre Emissionen um 30 prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Damit vertrat sie das ehrgei-zigste Industrieziel aller Teilnehmer.11

8 | Die usA haben aber wiederum das Kyoto-Abkommen nicht ratifiziert, obwohl sie es zunächst unterschrieben hatten. 2001 ist washington aus dem Kyoto-prozess komplett ausgestiegen.9 | Vgl. bundesministerium für umwelt, naturschutz und Reaktor- sicherheit, „13. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmen- konvention und 3. Vertragsstaatenkonferenz des Kyoto-proto- kolls‟, http://www.bmu.de/klimaschutz/internationale_ klimapolitik/13_klimakonferenz/doc/40146 [03.02.2011].10 | Vgl. christoph bals, Klimazug im „Tal des Todes‟ zwischen Posen und Kopenhagen (berlin: Germanwatch, 2009), 4 f.11 | Ebd., 9.

Mit Blick auf Kopenhagen wurde in Posen 2008 bereits über eine interna-tionale Absicherung der vom Klima-wandel besonders betroffenen Länder verhandelt.

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DAS ENERGIE- UND KLIMAPAKET DER EU

Im Januar 2008 legte die Europäische Kommission ein maßnahmenpaket zur Koordinierung einzelner mechanis- men der europäischen Klimapolitik und der 20-20-20 ziele vor. unter der französischen Ratspräsidentschaft ab Juli 2008 wurde Energiepolitik dann zu einem schwerpunkt-thema. Im Oktober stimmte das Europäische parlament dem Energie- und Klimapaket zu, und auf dem Eu-Gipfel im Dezember 2008, parallel zur Klimakonferenz in posen, einigte sich der Europäische Rat auf eine endgültige fassung.

Das hauptaugenmerk des Energie- und Klimapaketes liegt auf der weiteren Ausgestaltung des Eu-Emissions-handelssystems. Im Vorfeld der Einigung wurde unter den Europäern insbesondere die frage debattiert, wie die Verteilung von Emissionszertifikaten an energieintensive oder besonders exportab-hängige Industriezweige gestaltet werden kann. unternehmen drohten, ihre produktion vollständig in Drittländer zu verlagern, soll- ten sie alle Emissionszertifikate ersteigern müssen. Da die Eu diesen prozess, der am Ende zu einer steigerung der Emissionen führen würde (prinzip des carbon leakage), unbedingt vermeiden wollte, einigte man sich auf einen mittelweg, in dem bestimmte branchen vom system der Versteigerungen ausgenommen wurden.

für alle anderen Industriezweige wurde festgelegt, dass spätestens 2027 Emissionszertifikate nur noch versteigert und nicht mehr kostenlos ausgegeben werden. ziel ist es, die Emissionen der Industrie bis 2020 um 20 prozent im Vergleich zu 2005 zu senken. Ab 2013 beginnt eine neue phase des Emissionshandels, in der die Anzahl der zerti-fikate schrittweise gesenkt wird. steigende preise sollen unternehmern dann einen Anreiz bieten, keine zertifikate mehr zu ersteigern, sondern stattdessen in umweltfreund-lichere und emissionsärmere Technologien zu investieren.

Das Emissionshandelssystem erfasst circa 50 prozent aller in der Eu emittierten Treibhausgase. für die restlichen bereiche, zu denen beispielsweise die Landwirtschaft oder kleine Industriebetriebe zählen, gilt bis 2020 das ziel einer

Unternehmen drohten, ihre Produktion vollständig in Drittländer zu verlagern, sollten sie alle Emissionszertifikate ersteigern müssen.

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Bis 2020 soll der Anteil erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung und bei der wärmegewinnung bei 20 Pro-zent liegen.

Reduktion der Emissionen um insgesamt zehn prozent. Dazu wurden unterschiedliche nationale ziele bestimmt.

Außerdem wurden erstmals verbindliche zielwerte für die Verwendung erneuerbarer Energien festgelegt: bis 2020 soll der Anteil erneuerbarer Energien in der stromerzeu-gung und bei der wärmegewinnung bei 20

prozent liegen, während gleichzeitig insgesamt 20 prozent weniger Energie verbraucht werden soll.

Verstöße gegen das Energie- und Klimapaket können vom Europäischen Gerichtshof sanktioniert werden. Damit hat es deutlich mehr „zähne‟ als bisherige internatio-nale Abkommen. zudem stellt es ein Grundsatzdokument dar, auf das sich die Eu auch in weiteren internationalen Klimaverhandlungen stützen kann. Vor allem aber zeigt die Verabschiedung des Energie- und Klimapaketes, dass Klimapolitik in der Eu zu einem zentralen Thema geworden ist, das auch in zeiten knapper Kassen eine hohe priorität genießt. Die Eu steht nun also vor der herausforderung, ihre 20-20-20-ziele umzusetzen. Dazu wird das Emissi-onshandelssystem, dessen nächste phase 2013 beginnt, entscheidend beitragen.

KOPENHAGEN

Ein Jahr nach posen und der Verabschiedung des europäi-schen Energie- und Klimapaketes fand vom 7. bis zum 18. Dezember 2009 in Kopenhagen die 15. Vertragsstaaten-konferenz der Klimarahmenkonvention und 5. Vertrags-staatenkonferenz des Kyoto-protokolls statt. Laut Bali Action Plan hätten die Verhandlungen über das interna-tionale Klimaschutzregime für die zeit nach 2012 eigent-lich in Kopenhagen abgeschlossen werden sollen. nach schwierigen Verhandlungen endete die Konferenz jedoch lediglich mit einer politischen Vereinbarung, dem Copen-hagen Accord, der einige Kernelemente zur zukünftigen Klimapolitik enthält.

In dieser Vereinbarung hat die überwiegende mehrheit der staaten bestätigt, dass die globale mitteltemperatur um maximal zwei Grad celsius steigen soll. Die Konferenz hat aber weder ein global verbindliches Abkommen noch ein Instrument geliefert, um die Grenze von zwei Grad

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Die Kopenhagen-Vereinbarung bleibt hinter den zielen der EU zurück. zuvor hatte es auch innerhalb der Union Dis-kussionen um die gemeinsame Posi-tion gegeben.

noch einzuhalten. Die Kopenhagen-Vereinbarung ist kein rechtlich verbindliches Abkommen, sondern lediglich eine politische Erklärung, die von den Vertragsstaaten formal „zur Kenntnis genommen‟ wird.12

Insbesondere china, Indien und die usA wollten sich in den Verhandlungen nicht auf verbindliche zusagen festlegen. Repräsentanten der Europäischen union, die hohe Erwar-tungen mit dem Klimagipfel verbunden hatten, werteten die Ergebnisse als besonders enttäuschend. herman Van Rompuy, der präsident des Europäischen Rates, sagte Ende februar 2010, Europa habe im flur gewartet, während die usA und china verhandelt hätten. „wir waren ausgeschlossen vom ent- scheidenden Deal zwischen den usA und den vier großen Entwicklungsländern.‟13 Gemeint waren brasilien, Indien, china und südafrika.

Damit bleibt die Kopenhagen-Vereinbarung deutlich hinter den zielen Deutschlands und der Eu zurück. zuvor hatte es aber auch innerhalb der union Diskussionen um die gemeinsame position gegeben: uneinig waren sich die Eu-mitgliedsländer zunächst über die finanzhilfen, die die Industrienationen bereit sind, an ärmere Länder zu zahlen. Deutschland, frankreich und Italien lehnten es ab, bereits vor dem Gipfel ein „finanzierungsangebot‟ der Eu bekannt zu geben, während Großbritannien, österreich und die skandinavischen Länder dafür plädierten. Insgesamt sollen die Industriestaaten ab 2020 eine summe von 100 milli-arden Euro pro Jahr bereitstellen. Eine Entscheidung, wie viel davon die Eu tragen würde und wie die finanziellen Lasten dann Eu-intern verteilt werden könnten, wurde aber zunächst verschoben.14

12 | Vgl. bundesministerium für umwelt, naturschutz und Reaktor- sicherheit, „un-Klimakonferenz in Kopenhagen – 7. bis 18. Dezember 2009‟, http://www.bmu.de/15_klimakonferenz/ doc/44133 [03.02.2011].13 | Vgl. Address by hermann Van Rompuy, president of the Euro- pean council to the collège d’Europe, bruges, 25.02.2010, http://consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/ en/ec/113067.pdf [03.02.2011].14 | Vgl. „Der Klimagipfel in Kopenhagen. Die streitpunkte der Eu‟, Frankfurter Rundschau, 30.10.2009, http://fr-online.de/ wissenschaft/klimawandel/die-streitpunkte-der-eu/-/ 1473244/2695124/-/ [03.02.2011].

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Die EU kann zeigen, dass die Transfor- mation zu einer emissionsarmen, grü-nen wirtschaft technisch möglich und ökonomisch erfolgreich ist.

Auch wenn der Klimagipfel ohne ein verbindliches Abkom- men endete, ist zu betonen, dass die getroffene Verein-barung wichtige Kernelemente der Klimapolitik enthält. sie wird daher zum beispiel von der bundesregierung als erster schritt zu einem neuen Abkommen für die zeit nach 2012 bewertet und soll so schnell wie möglich umgesetzt werden. zudem haben viele Industrie- und Entwicklungs-länder freiwillige ziele und maßnahmen zur Emissions-minderung in den Anhang der Kopenhagen-Vereinbarung eintragen lassen. Die Eu bekräftigte noch einmal das ziel, bis 2020 20 prozent weniger Emissionen als 1990 zu verur-sachen und diesen wert sogar auf 30 prozent zu erhöhen, wenn sich auch andere Industrieländer zu vergleichbaren zielen verpflichten.

In Kopenhagen wurde darüber hinaus festgelegt, dass die Verhandlungen zur zukünftigen Klimapolitik unter der Klimarahmenkonvention und dem Kyoto-protokoll bis zur nächsten Klimakonferenz in cancún fortgeführt werden

sollten. Die Klimakonferenz von Kopenhagen war also nicht umsonst. sie hat neue Ansätze geschaffen, an die nun angeknüpft werden muss. Als Vorreiter in der Klimapolitik und glaubwürdiger Akteur kann die Eu dabei ein

Vorbild bleiben und damit den internationalen Klimaschutz vorantreiben. sie kann zudem zeigen, dass die Transfor-mation zu einer emissionsarmen, grünen wirtschaft tech-nisch möglich und ökonomisch erfolgreich ist.15

PETERSBERGER KLIMADIALOG

bereits auf der Klimakonferenz in Kopenhagen hatte bundeskanzlerin Angela merkel angekündigt, im sommer 2010 eine umweltministerkonferenz in Deutschland auszu-richten. Angesichts der Tatsache, dass mexiko Gastgeber der nächsten Klimakonferenz von 29. november bis 10. Dezember 2010 sein würde, fand die umweltministerkon-ferenz von Anfang mai unter dem gemeinsamen Vorsitz von bundesumweltminister norbert Röttgen und seinem mexikanischen Kollegen Rafael Elvira Quesasa auf dem petersberg in bonn statt. ziel der Konferenz war es, vor der

15 | Vgl. wissenschaftlicher beirat der bundesregierung Globale umweltveränderungen, Klimapolitik nach Kopenhagen. Auf drei Ebenen zum Erfolg (April 2010), 7.

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Bundesumweltminister Röttgen sicherte mindestens 350 Millionen Euro für die Vermeidung von Entwaldung in Ent- wicklungsländern zu.

nächsten Verhandlungssitzung des un-Klimasekretariats, die vom 31. mai bis zum 11. Juni 2010 ebenfalls in bonn stattfand, eine politische standortbestimmung vorzuneh-men.16

Diskutiert wurden dazu neben schritten auf dem weg zum nächsten Klimagipfel in cancún unter anderem die ziele für ein post-Kyoto-Abkommen, die finanzierung des internationalen Klimaschutzes, die weiterentwicklung des Emissionshandels und die Verminderung der waldvernichtung in Entwicklungsländern. Insgesamt kamen umweltminister aus 43 staaten zusammen, von denen einige Klima-schutzinitiativen vorstellten, die zeigten, wie die zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwick-lungsländern beim Klimaschutz aussehen kann. bundes-umweltminister Röttgen sicherte eine sofortfinanzierung in höhe von mindestens 350 millionen Euro durch die bundes-regierung für die Vermeidung von Entwaldung in Entwick-lungsländern zu. weitere zehn millionen Euro kündigte er für den Anpassungsfonds an, der vom Klimawandel besonders betroffene Entwicklungsländer unterstützt. Im hinblick auf die Klimakonferenz von cancún bekräftigten alle Teilnehmer noch einmal das zwei-Grad-ziel.17

EUROPA 2020

Auch 2010 setzte die Eu ihre bemühungen in der euro-päischen Energie- und Klimapolitik fort. Da die Lissabon-strategie 2010 auslief, beschloss der Europäische Rat die nachfolgestrategie „Europa 2020‟: eine neue europäische strategie für beschäftigung und wachstum. Ihr ziel ist die förderung einer ressourcenschonenden, umweltfreundli-cheren und wettbewerbsfähigeren wirtschaft. Die Eu hat bisher eine führungsrolle im bereich umweltfreundlicher Technologien inne, die sie halten und ausbauen möchte.

16 | Vgl. bundesministerium für umwelt, naturschutz und Reaktor- sicherheit, „Kurzinformation: petersberger Klimadialog‟, 23.04.2010, http://www.bmu.de/petersberger_konferenz/ doc/45912 [04.02.2011].17 | Vgl. bundesministerium für umwelt, naturschutz und Reaktor- sicherheit, „Röttgen: neuer schwung für die internationalen Klimaverhandlungen‟, 04.05.2010, http://www.bmu.de/ pressemitteilungen/aktuelle_pressemitteilungen/pm/45967 [04.02.2011].

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Deutschland hat sich das ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent zu senken. Ein Energie- effizienzziel wurde bisher noch nicht festgelegt.

Dadurch können Ressourcen in Europa noch effektiver genutzt und die wettbewerbsfähigkeit der Eu gestärkt werden.18

Teil der strategie ist die übernahme des 20-20-20-Klima- und Energiepaketes der Eu, das 2009 in Kraft trat. Dahinter steckt die Idee, dass ein ressourceneffizienteres wirtschaften auch finanzielle Anreize bietet. so rechnet die Europäische Kommission mit Einsparungen von 60 milli-arden Euro bis 2020 für den Import von öl und Gas. Allein durch die umsetzung des ziels, den Energiebedarf bis 2020 zu 20 prozent aus erneuerbaren Quellen zu decken, könnten 600.000 neue Arbeitsplätze entstehen. wird dazu noch das ziel erreicht, die Energieeffizienz in der Eu um 20 prozent zu steigern, würde das weit mehr als eine million neuer Arbeitsplätze bedeuten.19

Die ziele von Europa 2020 sollen durch sieben Leitinitiati- ven der Europäischen Kommission vorangetrieben werden. besonders die Leitinitiative „Ressourcenschonendes Euro- pa‟ enthält wichtige Ansätze: Dazu gehören pläne der Kommission, ein europäisches superstromnetz und intelli-gente netze zu schaffen. Darüber hinaus soll es einen Aktionsplan zum Thema Energieeffizienz und eine gezielte förderung für Elektromobilität geben. um diese pläne zu

unterstützen, legt jeder mitgliedstaat seine nationalen ziele und geplanten maßnahmen dar. Deutschland hat sich das ziel gesetzt, seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 prozent im Vergleich zu 1990 zu senken.

Ein Energieeffizienzziel hat Deutschland dagegen bisher noch nicht festgelegt. wahrscheinlich werden aber noch im frühjahr 2011 alle nationalen programme vorgelegt werden. Dann muss auch Deutschland seine genauen ziele bekannt geben.20

18 | Vgl. Europäische Kommission, „mitteilung der Kommission: Europa 2020 – Eine strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives wachstum‟, 03.03.2010, 17, http://ec.europa. eu/eu2020/pdf/cOmpLET%20%20DE%20sG-2010-80021- 06-00-DE-TRA-00.pdf [04.02.2011].19 | Ebd., 18.20 | Vgl. bundesministerium für umwelt, naturschutz und Reaktor- sicherheit, Strategie Europa 2020 (09/2010), http://www.bmu. de/europa_und_umwelt/europa_2020/doc/6424 [04.02.2011].

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Auch José Manuel Barroso ging nicht davon aus, dass es in cancún ein recht- lich verbindliches Abkommen geben würde.

Im november 2010 hat die Europäische Kommission die mitgliedsstaaten aufgefordert, Vorschläge für das weltweit größte Investitionsprogramm für Demonstrationsprojekte zur senkung der cO²-Emissionen und für erneuerbare Energien einzureichen. Die Initiative mit dem namen nER-300 wird durch den Verkauf von 300 millionen Emis-sionsrechten finanziert, was einem Gegenwert von 4,5 milliarden Euro entspricht. mindestens acht projekte zur Kohlenstoffspeicherung sowie 34 projekte zu innovativen Technologien im bereich erneuerbarer Energien sollen dadurch gefördert werden.

cANcúN

Vom 29. november bis zum 10. Dezember 2010 fand in cancún, mexiko, die 16. Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention und 6. Vertragsstaatenkonferenz des Kyoto-protokolls statt. nachdem Kopenhagen ohne ein konkretes Ergebnis zu Ende gegangen war, reisten die meisten politiker mit geringen Erwartungen an. so sagte connie hedegaard, seit Anfang 2010 Eu-Kommissarin für Klimapolitik, dass sie erst für 2011 mit dem Abschluss eines nachfolgeabkommens für Kyoto rechne. Auch der präsident der Europäischen Kommission, José manuel barroso, ging nicht davon aus, dass es in cancún ein rechtlich verbindliches Abkommen geben würde.21

Im Vorfeld der Konferenz erarbeitete der Rat der Euro-päischen union seine ziele für cancún. so forderte die Eu konkrete maßnahmen unter anderem zur Emissions-minderung, der Anpassung an den Klimawandel und dem waldschutz. Diese Vorarbeit stärkte die Verhandlungsposi-tion der Eu, da sie ihr ermöglichte, in den Verhandlungen konkrete und realistische positionen zu vertreten. zudem kündigte der Rat bereits im Vorfeld des Klimagipfels die bereitschaft der Eu an, das Kyoto-protokoll zu verlängern.nach teilweise schwierigen Verhandlungen einigte sich die weltgemeinschaft auf ein Abschlussdokument, das – anders als das Kyoto-protokoll – auch für die usA sowie china und andere schwellen- und Entwicklungsländer gilt. Das zwei-Grad-ziel wurde in cancún offiziell von mehr als

21 | Vgl. christian hübner, Vor dem Klimagipfel in Cancún (berlin: Konrad-Adenauer-stiftung e.V., 2010), 8.

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Konkretere zahlen zur Emissionsmin-derung sollen auf der Klimakonferenz 2011 bestimmt werden. Auch die USA, china und die Entwicklungsländer sol-len Reduktionsziele festlegen.

190 Teilnehmerstaaten anerkannt. Damit soll es grund-sätzlich einen nachfolger des Kyoto-protokolls geben. nichtstaatliche Organisationen bewerteten das bekenntnis zum zwei-Grad-ziel als schritt in die richtige Richtung auf dem weg zu einem neuen Klimaschutzabkommen. In den Jahren 2013 bis 2015 soll sogar überprüft werden, wie die ziele angepasst werden müssten, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad celsius zu begrenzen.

bolivien hatte in cancún gefordert, dass sich die staaten-gemeinschaft auf eine begrenzung der Erderwärmung um maximal 1,1 Grad celsius einigt. An boliviens widerstand gegen das gemeinsame Abschlussdokument wäre der Gipfel schließlich beinahe gescheitert. bolivien hat ange-kündigt, beim internationalen Gerichtshof in Den haag Klage gegen das Abkommen von cancún einzureichen.

Das Kyoto-protokoll soll zunächst fortgeführt werden. weiterhin wollen die Industrieländer ihre Emissionen bis

2020 um 20 bis 40 prozent senken. Konkre-tere zahlen zur Emissionsminderung sollen jedoch erst auf der Klimakonferenz 2011 in Durban, südafrika, bestimmt werden. Auch die usA, china und die Entwicklungsländer sollen in einem Vertrag Reduktionsziele fest-

legen. Außerdem wurde die Einrichtung eines Klimafonds beschlossen, der zunächst mit 30 milliarden, ab 2020 mit 100 milliarden Dollar jährlich ausgestattet werden soll. Der fonds soll von der weltbank verwaltet werden und ermög-lichen, Klimaschutz und Armutsbekämpfung zu verbinden.

weil die Vernichtung von wald für mehr als 15 prozent der jährlich emittierten Treibhausgase verantwortlich ist, wurde in cancún ein waldschutzabkommen verabschiedet, das den namen Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation (REDD+) trägt. für den Erhalt ihrer wälder sollen Entwicklungsländer dabei finanzielle unterstützung durch die Industrienationen bekommen. Insbesondere sollen dabei auch die Interessen indigener Völker sowie der schutz der Artenvielfalt berücksichtigt werden. wie das system finanziert wird, ob durch öffent-liche Gelder oder im Rahmen des Emissionshandels, soll 2011 in Durban festgelegt werden.

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Angela Merkel bezeichnete die Ergeb-nisse von cancún als Schritt nach vorne. Auch Greenpeace nannte die Ergebnisse ein zeichen der Hoffnung.

bundeskanzlerin Angela merkel und bundesumweltminister norbert Röttgen bewerteten das Abschlussdokument der Klimakonferenz von cancún als Erfolg und auch als zeichen, dass der un-prozess funktioniere. Röttgen plädierte aber dafür, in der Eu eine verbindliche zielvor-gabe von 30 prozent Emissionsminderung bis 2020 festzulegen. merkel bezeichnete die Ergebnisse als schritt nach vorne auf dem weg zu einem Kyoto-nachfolgeabkommen. Auch Greenpeace nannte die Ergebnisse ein zeichen der hoffnung. Allerdings kritisierten umweltverbände wie der nAbu, dass die usA, Japan, Kanada, Australien und china konkretere zusagen verhindert hätten.22

Die herausforderung ist nun, Vorbereitungen für die Klima-konferenz 2011 in südafrika zu treffen. Das bedeutet, dass die staaten sich festlegen müssen, wie viele Emissionen sie einsparen wollen und wie viel sie dafür bereit sind zu zahlen. Die Eu hat dazu bereits am 4. februar 2011 einen Energiegipfel veranstaltet.

EU-ENERGIEGIPFEL

Auf der Tagung des Europäischen Rates, im Vorfeld auch Eu-Energiegipfel genannt, wurde in erster Linie über die Entwicklung eines nachhaltigen und beschäftigungswirk-samen wachstums zur Erfüllung der strategie Europa 2020 beraten. Als größtes ziel setzten sich die 27 Eu-mitglieds-länder die Vollendung des Energiebinnenmarktes bis 2014, was u.a. einen Verbund der Gas- und stromnetze sowie gemeinsame technische standards für Elektrofahrzeuge, intelligente netze und zähler voraussetzt. Investitionen in Energieeffizienz sollen zudem die wettbewerbsfähigkeit der Eu steigern, ihre Energieversorgungssicherheit erhö- hen und zu nachhaltigkeit bei geringem Kostenaufwand beitragen. In diesem Kontext wurde noch einmal hervor-gehoben, dass eine steigerung der Energieeffizienz um 20 prozent bis 2020 unbedingt erreicht werden muss. Dazu wird der Rat den neuen Aktionsplan der Europäischen Kommission für Energieeffizienz prüfen und wenn nötig um

22 | Vgl. „Klimakonferenz: In den Jubel mischt sich Jammer‟, Focus Online, 11.12.2010, http://www.focus.de/wissen/ wissenschaft/klima/weltklimakonferenz-2010/klimakonferenz- in-den-jubel-mischt-sich-jammer_aid_580806 [05.02.2011].

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Der Europäische Rat befürwortet die Erarbeitung einer „Strategie 2050 für eine cO2-arme wirtschaft‟, um den Empfehlungen des weltklimarats zu folgen.

weitere maßnahmen erweitern.23 Ein besonderes Augen-merk wird in diesem zusammenhang auf Investitionen in erneuerbare Energiequellen sowie sichere und nachhaltige cO²-arme Technologien gelegt.

In seinen schlussfolgerungen befürwortet der Europäische Rat die Erarbeitung einer „strategie 2050 für eine cO²-arme wirt-schaft‟, um den Empfehlungen des weltkli-

marats zu folgen. nach dessen berechnungen bedarf es bis 2050 einer Reduktion der Treibhausgasemissionen um 80 bis 90 prozent gegenüber 1990 seitens der Industrie-länder – was nach wie vor eine „Revolution der Energiesys-teme‟ erforderlich mache.24

AUSSIcHTEN

Das ziel einer Reduktion der Emissionen um 80 bis 90 prozent bis 2050 stellt weltweit eine enorme Aufgabe für die zukunft dar, denn das Kyoto-protokoll sorgt auf dem weg dorthin nur für die ersten fünf prozent. Traditionell nimmt die Eu im bereich der Klimapolitik für sich selbst eine Vorreiterrolle in Anspruch. um diesem Anspruch auch weiterhin gerecht zu werden und effektiv zur bekämpfung der Erderwärmung beizutragen, muss sie aber noch einige herausforderungen überwinden.

so muss sich die Eu zukünftig nach wie vor ehrgeizige ziele setzen, die unternehmen in Europa einen echten Anreiz für Innovation und die Investition in grüne Technologien bieten. Die finanz- und wirtschaftskrise hat dazu geführt, dass in den vom Emissionshandelssystem erfassten Indus-triezweigen deutlich weniger Treibhausgase ausgestoßen wurden. Dadurch wiederum ist der preis für Emissionszer-tifikate so weit gesunken, dass es derzeit für unternehmen wenig attraktiv ist, in nachhaltige Jobs und Technologien zu

23 | Im november 2010 stellte Energiekommissar Günther Oettinger einen zehn-Jahres-plan für die Energiepolitik der Eu vor. Dabei warnte er, ohne Atomkraft werde die Eu ihre Energiesparziele nicht erreichen können. siehe dazu: „Eu: Energiegipfel über das neue zeitalter – Teil 2‟, Greenmag, 12.01.2011, http://greenmag.de/magazin/meldung/datum/2011/01/12/ alles-fuer-sonne-wind-wasser-und-atom-1.html [05.02.2011].24 | Vgl. Rat der Europäischen union, Tagung des Europäischen Rates, brüssel, 04.02.2011, schlussfolgerungen, EucO 2/11, cO EuR 2 cOncL 1, 1-6.

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Nach cancún reisten die meisten Ver- treter mit geringen Erwartungen, aber mit konkreten Vorschlägen für kleine Fortschritte. So gelang die Einigung.

investieren. Die Eu sollte daher ihre Emissionsminderungs-ziele diesen Entwicklungen anpassen und es sich zum ziel machen, ihre Ausstöße bis 2020 um 30 prozent zu senken. Dies wäre kaum teurer als das bisherige 20-prozent-ziel25, würde aber die Glaubhaftigkeit der Eu in internationalen Klimaverhandlungen enorm stärken und auch die europä-ische wirtschaft für die zukunft gut aufstellen. Die Eu ist bisher weltweit marktführer im bereich nachhaltiger Tech-nologien. wenn es ihr gelingt, der internationalen Gemein-schaft zu zeigen, dass ein gesellschaftlicher wandel hin zu einer nachhaltigen wirtschaft ohne Verzicht auf wohlstand möglich ist, wird sie von ihrer position auch wirtschaftlich enorm profitieren.

Doch selbst wenn die Eu alle ihre ziele erreicht, ist sie auf die unterstützung der internationalen staatenge-meinschaft angewiesen. nur wenn auch die größten Emit-tenten – allen voran die usA, china und Indien – bereit sind, ihre Emissionen zu reduzieren, kann der Klimawandel wirksam bekämpft werden. Die nächste chance auf ein internationales Abkommen bietet sich auf der un-Klima-konferenz im Dezember 2011 in Durban. bis dahin müssen alle staaten zu zugeständnissen bereit sein, um ein nach-folgeabkommen für das Kyoto-protokoll zu erreichen.

Die Klimagipfel der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass im internationalen Klimaschutz vor allem die kleinen schritte zählen. zum Klimagipfel nach Kopenhagen waren alle Vertreter mit großen Erwartungen gereist. Im nachhinein war die Enttäuschung in der Eu groß, dass die usA, china, Indien und einige weitere Länder nicht bereit waren, die anspruchsvollen Klimaziele der Europäer zu teilen. nach cancún hingegen reisten die meisten Vertreter mit geringen

25 | schätzungen zufolge würde eine Aufstockung auf 30 prozent lediglich elf milliarden Euro mehr kosten als ursprünglich für die Reduzierung um 20 prozent erforderlich gewesen wäre. Das entspricht weniger als 0,1 prozent der wirtschaftsleistung der Eu. Der preis für verspätetes handeln ist dagegen sehr hoch: Laut Internationaler Energieagentur (IEA) verursachen Verzögerungen bei den Investitionen in kohlenstoffarme Ener- giequellen weltweit Kosten in höhe von 300 bis 400 milliarden Euro pro Jahr. siehe dazu: Jean-Louis borloo, chris huhne und norbert Röttgen, „30 prozent weniger Emissionen bis 2020‟, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.07.2010, http://faz.net/- 01d9g0 [08.02.2011].

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Erwartungen, dafür aber mit konkreten Vorschlägen für kleine fortschritte. so gelang die Einigung auf ein gemein-sames Abkommen, das von allen staaten getragen wird.

Die Eu muss als Vorreiter in der Klimapolitik also einerseits weiterhin ehrgeizige ziele verfolgen, sich aber gleichzeitig der Tatsache bewusst sein, dass das Thema in anderen Ländern nicht den gleichen stellenwert genießt. um Länder wie die usA mit ins boot zu holen, muss die Eu zu Kompromissen bereit sein. wenn sie auf der interna-tionalen Ebene als Vorbild, nicht aber als Lehrer auftritt, könnten in Durban weitere wichtige fortschritte für den Klimaschutz erreicht werden. Ob dies allerdings ausreicht, um den globalen Temperaturanstieg langfristig auf zwei Grad celsius zu begrenzen, bleibt offen.

Der Artikel wurde am 11. februar 2011 abgeschlossen.

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Romy chevallier ist forscherin und projekt- koordinatorin am south African Institute of International Affairs (sAIIA) in Johannes-burg.

1

Die globalen herausforderungen des Klimawandels können einzelne Länder und Regionen nicht alleine meistern. Angesichts der Größe und des Ausmaßes der erforderlichen maßnahmen liegt die einzige Lösung in einem gemein-samen handeln der Industriestaaten und der Entwick-lungsländer. Die sogenannten IbsA-staaten, Indien, brasilien und südafrika, entwickeln sich weltweit mehr und mehr zu bedeutenden globalen Akteuren und strategischen partnern in der umweltpolitik. Aufgrund der wesentlichen Veränderungen in der geopolitischen Landschaft und der zunehmenden politischen und wirtschaftlichen bedeu-tung dieser staaten ist es wichtig, ihren beitrag zu einer angemesseneren globalen Regelung der Klimaproblematik zu berücksichtigen. Da diese Länder aber mit gewaltigen internen problemen konfrontiert sind, gilt es, neue formen der zusammenarbeit zwischen traditionellen Akteuren und neuen partnern zu Themen von internationaler bedeutung aufzuzeigen.

Alle IbsA-mitgliedstaaten stehen ähnlichen herausforde-rungen gegenüber: sie müssen sich gleichzeitig mit der Energiesicherheit, dem Klimawandel und der sozioökono-mischen Entwicklung auseinandersetzen. Diese gemeinsa- men, politisch relevanten Themen bilden die hauptpfeiler, um die herum die betroffenen Regierungen potentielle Verbündete und geeignete foren des Dialogs mit schlüssel-

1 | Eine Version dieser Arbeit wurde ursprünglich verfasst für „new directions in the ‚south‛? Assessing the Importance and consequences of the India-brazil-south Africa Dialogue forum (IbsA) to International Relations‟, IupERJ, 23.-24. Juni 2008, Rio de Janeiro, brasilien. In diesem Kapitel verweist die Autorin ebenfalls auf ihre Arbeit in der sAIIA-publikation Climate Change and Trade, die demnächst veröffentlicht wird.

EMERGING POwERSDIE IBSA-STAATEN ALS PARTNER UND ANFÜHRER IM GLOBALEN KAMPF GEGEN DEN KLIMAwANDEL 1

Romy Chevallier

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partnern der südlichen hemisphäre suchen. Vor dem hintergrund der aktuellen Verhandlungen zur zweiten phase des Kyoto-protokolls und der nächsten Gesprächs-runde zur bali-Roadmap im Dezember 2011 in Durban steht die IbsA-Kooperation weit oben auf der Reduktions-agenda. Die nächste phase sieht für große Treibhausga-semittenten strafen für die nichteinhaltung der Redukti-onsmaßnahmen vor. Große Entwicklungsländer werden in diesem zusammenhang mit bedeutenden Reduktions- und Entwicklungsherausforderungen konfrontiert werden. Des- halb ist es an der zeit, den Dialog und die partnerschaft zwischen förder- und Verbraucherländern fossiler brenn-stoffe zu erweitern und zu stärken.

Da die Entwicklungsländer für die negativen Auswirkungen der Klimaänderung am anfälligsten sind2, ist es von entschei-dender bedeutung, dass sich gerade diese Länder proaktiv an dieser Diskussion beteiligen. Ihre Anfälligkeit ergibt

sich aus den sozioökonomischen herausfor-derungen, mit denen alle Entwicklungsländer konfrontiert sind: Die vorherrschende Armut, die Abhängigkeit von den durch die klimati-schen Veränderungen betroffenen branchen, der beschränkte zugang zu den Kapital- und

weltmärkten, vielfach schlechte Regierungsführung, die Verschlechterung des ökosystems, komplexe Katastro-phen und Konflikte und die rasche urbanisierung und überbevölkerung – all dies untergräbt die fähigkeit dieser Gesellschaften, sich der Klimaänderung anzupassen, und steigert ihr Verarmungsrisiko.3

Diese gemeinsamen wirtschafts-, Entwicklungs- und sicherheitsauswirkungen haben eine spürbare Verände-rung bei den Entscheidungsträgern im süden bewirkt, sowohl in der Diskussion zum Klimawandel als auch in der zunehmenden Kooperation auf einer Vielzahl von Ebenen.

2 | 2007 Vierter sachstandsbericht (AR4), der un-weltklimarat (Ipcc) und das un-Entwicklungsprogramm, Fighting Climate Change: Human Solidarity in a Divided World, human Deve- lopment Report, 2007/08 (new york: palgrave macmillan, 2007) 18–19.3 | boko, niang, nyong, Vogel, Githeko et al., Climate Change 2007: Impacts, Adaptation and Vulnerability, beitrag der Arbeitsgruppe II zum Vierten sachstandsbericht des Ipcc, cambridge university press, cambridge.

Armut, Abhängigkeit von den durch die klimatischen Veränderungen betroffe- nen Branchen, schlechte Regierungs-führung – all dies untergräbt die Fähig-keit, sich dem Klimawandel anzupassen.

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IBSA UND DIE REDUKTION DER TREIBHAUSGASE: EINE GEMEINSAME POSITION DER SÜDLIcHEN STAATEN?

Die Reduktion von Treibhausgas (ThG) stellt für alle schwel-lenländer der südlichen hemisphäre, deren Energiemix überwiegend aus günstiger, auf Kohle basierender Energie zusammengesetzt ist, eine gemeinsame herausforderung dar. schwellenländer spielen „bei der Reduzierung von ThG-Emissionen eine wesentliche Rolle, da künftige Emis-sionen voraussichtlich vom wachstum in den Entwicklungs-ländern dominiert sein werden‟.4 In der gegenwärtigen Verhandlungsrunde zum Klimawandel ist ein steigender Druck auf die nicht-Annex-I-staaten5 zu beobachten, damit diese ihre eigenen Reduktionsstrategien in die wege leiten und sich aktiv und verantwortungsvoll an der Klima-wandelregelung nach 2012 beteiligen.

wichtig ist dabei, dass die Entwicklungsländer eine gemeinsame position zum Klimawandel einnehmen, um sicherzustellen, dass die im Dezember stattfinden den Verhandlungen zum Rahmenübereinkommen der Verein- ten nationen über Klimaänderungen (unfcc) eine Lösung dieses problems anstreben, und dies in form einer neuen und gerechten multilateralen Vereinbarung, welche die situation der Entwicklungsländer berücksichtigt. Das Gewicht sollte daher auf folgende punkte verlagert werden: strengere Emissionsreduzierungen in der nördlichen hemis phäre, internationale unterstützung der Entwick-lung durch zusätzliche finanzierung, ein angemessener Technologietransfer und Kapazitätsaufbau, Best-Practice-Anreizmechanismen und finanzierungsmaßnahmen für jene staaten, die sich an die negativen Auswirkungen der Klimaänderung anpassen müssen. Eine in diesen punkten gemeinsame position der staaten der südlichen hemisphäre würde den Entwicklungsländern eine stärkere

4 | professor winkler vom Energy Research centre in südafrika zitiert nach Tyrer, „Rough Road: south Africa’s path on the steep and rocky road to copenhagen‟, Engineering News, 20.-26.02.2009.5 | „nicht-Annex-staaten‟ ist eine Klassifizierung des unfccc, die sich auf Entwicklungsländer bezieht, die aufgrund der plötzlichen Entwicklung und sozio-ökonomischer zwänge keine rechtlichen Verpflichtungen haben, ihre ThG-Emissionen in dieser Kyoto-periode (2008-2012) zu reduzieren.

Eine gemeinsame Position der Staaten der südlichen Hemisphäre würde den Entwicklungsländern eine stärkere Verhandlungsposition ermöglichen.

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Verhandlungsposition ermöglichen. Abgestimmte stand-punkte in form einer Allianz (IbsA, bAsIc, aber auch andere), als auch weitere einseitige und freiwillige Ver- pflichtungen seitens der Entwicklungsländer würden ein ehrgeizigeres globales Abkommen6 unterstützen und auf die Vereinigten staaten, Kanada, Japan und Australien sowie weitere große ThG-Emittenten zusätzlichen Druck ausüben.

Eine zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsländern im bereich Klimawandel kann jenseits einer Verpflichtung auf multilateraler Ebene auch auf vielen anderen Ebenen zustande kommen. so ist es zum beispiel von wesentlicher bedeutung, dass die IbsA-staaten die Genauigkeit und Verfügbarkeit ihrer wissenschaftlichen prognosen und der dazugehörigen Daten verbessern. sie sollten außerdem durch hervorhebung der potentiellen wirtschaftlichen Vorteile einer Green Economy auch bei der suche nach methoden zur Reduzierung der Kohlenstoff emissionen mitwirken.

KOOPERATION zUR VERBESSERUNG VON KLIMAPROGNOSEN

Die Entwicklungsländer sind im bezug auf die Auswir-kungen des Klimawandels nur unzureichend mit effektiven

frühwarnsystemen und Reaktionsmecha-nismen ausgestattet. um die Vorhersage der Klimaschwankungen und die Analyse ihrer möglichen Auswirkung in den anfälligen sektoren zu ermöglichen, bedarf es einer

Kooperation zur Erschließung umfangreicherer Klimadaten und zur Entwicklung von Analysefähigkeiten. Die Daten-sammlung und -analyse kann mit hilfe internationaler partner auf nationaler Ebene erfolgen – zum beispiel durch den bau von wetterstationen und die Ausbildung von fachpersonal, oder auf internationaler Ebene durch die Kooperation hinsichtlich wissenschaftlicher Daten und Informationen zum Klimawandel.

6 | „G8 climate scorecards 2009‟, Im Auftrag von Allianz und wwf, 07/2009. beteiligte Autoren: hohne, Eisbrenner, hagemann und moltmann.

zur Vorhersage von Klimaschwankun-gen und der Analyse möglicher Auswir- kungen bedarf es einer Kooperation zur Erschließung umfangreicherer Kli-madaten.

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Dem projekt über natürliche Ressourcen und die umwelt des csIR (südafrika) zufolge hat Australien als einziger staat der südlichen hemisphäre ein gekoppeltes globales Klimamodell entwickelt, das die globale Klimaänderung vorhersagen kann. Alle anderen staaten des geographi-schen südens sind bezüglich der Vorhersagen der globalen Klimaänderung auf die staaten der nördlichen hemisphäre angewiesen. Es besteht also bedarf an einer aktiveren mitwirkung von Ozeanographen, Klimaforschern, Erdöko-logen und Entwickler eines gekoppelten Klimamodells, um die simulationen der zirkulationsdynamik der südlichen hemisphäre zu optimieren.

In brasilien und südafrika ist in letzter zeit ein fortschritt in der Entwicklung gekoppelter Klimamodelle zu beo bachten, welche die Abgabe von prognosen zur globalen Klimaän-derung ermöglichen. zusammen mit einer ausreichenden Datensammlung würden diese Ausgangsdaten wesentlich zum Verständnis des Klimawandels beitragen und genauere und zutreffendere Vorhersagen des Klimawandels für ihre jeweiligen Regionen ermöglichen.

MITIGATIONSKOOPERATION

Die größten Kohlenstoffdioxidemittenten in absoluten zahlen befinden sich nicht nur in den reichen Ländern, sondern auch in den schwellenländern. Diese sind derzeit für mehr als 50 prozent der globalen Kohlenstoffdioxid-emissionen verantwortlich (zahlen von 2007).7 In china haben das schnelle wirtschaftswachstum, ein großer produktionssektor und der rasche bevölkerungszuwachs dazu geführt, dass peking die usA als weltweit größten umweltsünder überholt hat.8 brasilien und Indien sind im Emissionsranking ebenfalls aufgestiegen, da ihre Volks-wirtschaften weiter gewachsen sind.

7 | Es wird prognostiziert, dass im Jahr 2030 die cO2-Emissionen aus china und Indien gemeinsam 34 prozent des weltweiten Ausstoßes ausmachen werden, wobei china allein für 28 pro- zent der weltweiten Emissionen verantwortlich sein wird. Energie-Informationsverwaltungszentrale des us-Energie- ministeriums, International Energy Outlook 2008, washington, D.c., Juni 2008, http://eia.doe.gov/oiaf/ieo/pdf/0484(2008). pdf [08.03.2011].8 | Euromonitor: Energie-Informationsverwaltungszentrale des us-Energieministeriums, 12/2010, http://euromonitor.com/ mapping_global_pollution_The_worlds_biggest_polluters [08.03.2011].

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Indien und china unterstützen bei den internationalen Verhandlungen eine „Pro-Kopf-Gleichberechtigung mit Berücksichtigung der historischen Ver- antwortung‟.

Diese zahlen berücksichtigen allerdings weder den histori-schen beitrag der ThG-Emissionen der entwickelten Länder noch den derzeitigen stand der Entwicklung, des wirt-schaftswachstums, der bevölkerung oder der Industriali-sierung der Entwicklungsländer.9 Es ist daher verständlich,

dass die IbsA-mitgliedstaaten zusammen mit china bei den unfcc-Verhandlungen auf eine gerechte Klimaverantwortung beharren. Indien und china unterstützen folglich bei den internationalen Verhandlungen eine

„pro-Kopf-Gleichberechtigung mit berücksichtigung der historischen Verantwortung‟. südafrika, das derzeit nach dem pro-Kopf-Verhältnis gerechnet einer der größten Emittenten unter den Entwicklungsländern ist, besteht eher auf entsprechende nationale Reduktionsmaßnahmen (nAmAs) – unter berücksichtigung des standes der wirt-schaft und des fortschritts in den Entwicklungsländern.

strenge Reduktionsverpflichtungen stehen oft in span-nung zu den Entwicklungsprioritäten, da der hauptteil der Emissionen in den Entwicklungsländern vom Energie- und Transportsektor stammt und diese beiden sektoren für die Aufrechterhaltung der nationalen wirtschaftsentwicklung von wesentlicher bedeutung sind. Außerdem verursacht die Elektrizität, die aus fossilen brennstoffen gewonnen wird (wie Kohle, die in vielen afrikanischen und asiatischen Ländern im überfluss zu finden ist), zwar hohe ThG-Emis-sionen, liefert aber strom zu verhältnismäßig geringen Kosten.10 In südafrika sind zum beispiel die einträglichsten sektoren extrem kohleabhängig. 90 prozent der Elektrizität wird hier aus Kohle erzeugt. Ein Entwicklung hin zu einer effizienteren nutzung von Kohle wäre extrem kostenauf-wändig und würde auch zu zahlreichen herausforderungen in der kurzfristigen stromversorgung führen.

9 | Die heutigen Industrieländer haben zwischen 1850 und 2002 drei mal mehr cO2 aus fossilem brennstoff emittiert als die heutigen Entwicklungsländer (baumert, herzog et al., 2005). sie konnten ihre Entwicklungs- und Industrialisierungsziele ohne Emissionsauflagen erreichen. Entwicklungsländer brau- chen auch einen gewissen Raum, damit sie die Grundbedürf- nisse ihrer bevölkerungen erfüllen können.10 | Derzeit gibt es weltweit ca. 850 milliarden Tonnen Kohlevor- räte, von denen etwa 50 milliarden in Afrika vorkommen. Kohle ist einer der geographisch am weitesten verbreiteten fossilen brennstoffe.

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Entwicklungsländer müssen die chan-cen des wirtschaftswachstums nutzen, die sich durch einen kohlearmen Ent- wicklungsverlauf ergeben.

Der Konflikt zwischen dem bedarf nach einer Reaktion auf die Klimaänderung und der förderung von Entwick-lungszielen stellt für die demokratische Regierungsführung in allen Entwicklungsländern eine zwangslage dar, da die politik in jedem Land bereit sein muss, mit blick auf die langfristige Gewinnerzielung enorme Anlaufkosten für die Reduktions- und Anpassungsprogramme zu zahlen. Dies erfordert von den politischen führern, über die wahlperioden hinauszuschauen und ihre wähler vorzu-bereiten – dies gilt insbesondere für jene Länder, die am anfälligsten sind. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, dass die wirtschaftsprogramme der Entwicklungsländer durch maßnahmen zur Reduktion und Anpassung an die Klimaschwankungen ergänzt werden, die keineswegs als entwicklungs hindernd betrachtet werden dürfen.11

Aus diesen und anderen Gründen ist es für die Entwicklungsländer von bedeutung, Kooperationen einzugehen, die auch die wirtschaft voranbringen können. sie müssen die chancen wirtschaftlichen wachstums nutzen, die sich durch einen kohlearmen Entwicklungsverlauf ergeben. Dazu gehört zum beispiel ein gemeinsames Investieren in die Erforschung und Entwicklung von projekten für saubere Energie.

MITwIRKUNG DER ENTwIcKLUNGSLäNDER AN EINEM ANPASSUNGSPROGRAMM

unabhängig vom Ergebnis der Verhandlungen des Kyoto-protokolls werden sich alle Länder an die änderungen anpassen müssen, die ihnen die globale Klimaerwärmung aufzwingt. Die Reduktionsmaßnahmen allein werden nicht ausreichen. sie müssen durch Anpassungsmaßnahmen ergänzt werden. Die Anpassung bezieht sich auf die ver- schiedenen mittel zur Lösung der Anfälligkeit der Entwick-lungsländer aufgrund der Klimaänderung und der damit verbundenen Auswirkungen für die Gegenwart und auch für die zukunft.12 Die Anfälligkeit eines Landes hängt dabei nicht nur von den Klimaschwankungen ab, sondern auch

11 | Vgl. Institute for Development studies, „climate change adaptation‟, IDS In-Focus, 2, 11/2007.12 | Romy chevallier, „Integrating adaptation into development strategies: The southern African perspective in climate and Development‟, Earthscan, bd. 2, nr. 2, 2010, 191-193.

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Laut Stern Review könnte die Nichter-greifung von Maßnahmen gegen den Klimawandel weltweit Kosten von bis zu fünf Trillionen US-Dollar verursa-chen.

von der fähigkeit seiner Regierung, die nutzungseffizienz natürlicher Ressourcen und der stromversorgung zu erhöhen. um den ärmeren nationen bei der umstellung auf nachhaltigere Entwicklungsmethoden zu helfen, sind oft finanzielle, technische und institutionelle unterstüt-zung sowie Kapazitätsaufbau erforderlich. selbst wenn bei einzelnen Ländern die Kostenschätzung rudimentär

und von unsicherheiten abhängig ist, ist im falle eines Temperaturanstiegs von zwei bis drei Grad celsius ein jährlicher Verlust des globalen bruttoinlandsprodukts in höhe von null bis drei prozent zu erwarten.13 Laut Stern

Review könnte die untätigkeit – das heißt, die nichtergrei-fung von maßnahmen gegen die Klimaänderung – weltweit Kosten von bis zu fünf Trillionen us-Dollar verursachen. stern sagt ferner voraus, dass die erlittenen Verluste, wenn Länder mit hohen Emissionen ihren „business-as-usual‟-Ansatz fortführen, jährlich fünf bis 20 prozent des weltweiten bIp ausmachen könnten.14

Entwicklungsländer (insbesondere kleine Inselstaaten und am wenigsten entwickelte Länder) sind für diese Auswir-kungen am anfälligsten, wobei die meisten von ihnen jetzt schon heftigen, klimabedingten belastungen ausgesetzt sind, wie zum beispiel der zunahme der wasserknapp-heit, extremen wetterbedingungen von zunehmender häufigkeit und Intensität, unvorhersehbarkeit von niederschlägen und der Abnahme der Ernteerträge. Alle Entwicklungsländer werden ihre nationalen und regionalen Regierungskapazitäten aufbauen müssen, um diesen Klimagefahren Rechnung zu tragen, unter anderem, indem sie ein besseres wassermanagement, die förderung der landwirtschaftlichen Entwicklung und die Entwicklung effektiverer Katastrophenmanagement- und frühwarnsys-temen gewährleisten. Der wissensaustausch über „best practice‟-Anpassungsstrategien kann für die städtepla-nung und die Errichtung einer klimawiderstandsfähigen Infrastruktur entscheidend sein.

13 | John Llewellyn, The Business of Climate Change: Challenges and Opportunities, Lehman brothers, 02/2007, http://lehman.com/press/pdf_2007/ThebusinessOfclimate change.pdf [08.03.2011].14 | nicholas stern, Stern Review on the Economics of Climate Change (London, cambridge, 2006).

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Eine effektive Anpassung ist allerdings kostspielig und nicht nur mit bedeutenden Investitionen auf dem Gebiet der forschung, bewusstseinsbildung und Kapazitätsaufbau verbunden, sondern auch mit praktischen maßnahmen wie etwa der „Klimafestigkeit‟ der Infrastruktur. Eine Anpas-sung erfordert daher erhebliche finanzielle unterstützung. Laut einer schätzung des berichts über humane Entwick-lung des un-Entwicklungsprogramms (unDp) bedürften arme Länder bis 2015 etwa 86 milliarden us-Dollar jährlich an zusätzlicher finanzierung, um sich an die folgen der Klimaänderung anpassen zu können.15 Der bericht erläu-tert, dass für denselben zeitraum „zur prüfung der Klima-widerstandsfähigkeit dieser Entwicklungsinvestitionen min- destens 44 milliarden us-Dollar notwendig wären‟.16 Dies käme zur finanziellen und personellen belastung der schon strapazierten Ressourcen der Entwicklungsländer hinzu. Die internationale Antwort auf die Anpassung an den Klimawandel hat hier versagt. zwar wurden etliche zweckbestimmte und multilaterale finanzierungsmecha-nismen geschaffen, doch bislang wurden nur geringe beträge ausgezahlt.

bis heute betont IbsA die Dringlichkeit dieser Angelegen-heit und die noch unangemessene Antwort des nordens. Es ist von großer bedeutung, dass die IbsA-staaten sich weiterhin in dieser hinsicht engagieren und gemeinsam weitgehende Verpflichtungen der Industrienationen for- dern.

Quelle: unfccc webseite, nationally appropriate mitigation actions of developing country parties, 2010. http://unfccc.int/home/items/5265.php [08.03.2011]

15 | unDp, fn. 2, 194.16 | Ebd., „zusammenfassung‟, 25; Angaben von 2005.

Tabelle 1Freiwillige Verpflichtungen in der Kopenhagener Erklärung

Indien 20 bis 25 prozent Reduktion der Kohlenstoffinten-sität (Kohlenstoffdioxidemissionen pro bIp-Einheit) bis 2020 im Vergleich zu den niveaus von 2005

südafrika (finanzierungsabhängige) Reduktion der Emissio- nen um 34 bzw. 42 prozent unter dem „business-as-usual‟-Ansatz bis 2020 bzw. 2025

brasilien Reduktion der Emissionen um 39 prozent bis 2020 unter dem „business-as-usual‟-Ansatz

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DIE zUKÜNFTIGE ROLLE DER ENTwIcKLUNGSLäNDER

Trotz der gemeinsamen herausforderung des Klima-wandels vertreten die Länder in den Verhandlungen primär ihre nationalen standpunkte. Es wäre naiv, von ihnen zu erwarten, dass ihr Antrieb nicht von den nati-onalen Akteuren und Inte ressen und örtlichen Realitäten ausginge. um bei den Koalitionen einen fortschritt in bezug auf die Klimaänderung zu erzielen und die globale Agenda in dieser hinsicht zu beschleunigen, könnte es von nutzen sein, sich auf weniger kontroverse fragen zu konzentrieren und vorab in den bereichen der Ressourcen mit den niedrigsten Opportunitätskosten voranzukommen. Gemeinsame positionen können auf einer Vielzahl von Ebenen erzielt werden. so können zum beispiel zahlreiche afrikanische Länder, die noch auf fossile brennstoffe als primäre Energiequelle angewiesen sind, durch die Teil-nahme an Kooperationsbündnissen mit industrialisierten Ländern enorme Erfahrung sammeln, insbesondere beim Versuch, ihre Energiepolitik durch Erneuerbare Energien und kohleeffiziente Technologien zu reformieren. Große Entwicklungsländer haben in bezug auf eine kohleredu-zierte zukunft ebenso Initiative gezeigt und fortschritte bewiesen und sich rasch zu wichtigen Erzeugern von Tech-nologien für Erneuerbare Energien entwickelt. Außerdem sind die Entwicklungsländer nach der unterzeichnung frei-williger Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung (Tabelle 1) im begriff, nationale pläne zur umsetzung der Redukti-onsmaßnahmen zu entwickeln, inklusive weiterer zielvor-gaben in bezug auf Erneuerbare Energien (Tabelle 2).

Quelle: Renewables 2007: Global status Report and REn21: RE policy network for 21st century (2007)

Tabelle 2Umgesetzte zielvorgaben für erneuerbare Energien

Land zielvorgabe Fortschritt

Indien zehn prozent der Energie-erzeugung bis 2012

Indien ist auf dem weg, das ziel bezüglich der er-neuerbaren Energie zu erreichen oder zu übertreffen, da das Land schon 2009 acht prozent erreicht hatte.

brasilien 46 prozent bis 2020 aufrechterhalten

brasilien hält diesen Anteil aufrecht

china zehn prozent bis 2010 und 15 prozent bis 2020

china erreichte 2006 einen Anteil von acht prozent seiner primären Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen. nun setzt es auf wind- und sonnenenergie, um diese ziele zu erreichen.

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Indien

Obwohl die Inder 17 prozent der weltbevölkerung ausma-chen, betragen ihre weltweiten ThG-Emissionen lediglich 4,6 prozent. Die indische pro-Kopf-Emissionsrate von 1,5 Tonnen Kohlenstoffdioxid liegt weit unter dem weltdurch-schnitt. In zahlen ausgedrückt ist Indien allerdings der viertgrößte Emittent, wobei seine Emissionen aufgrund des schnellen wirtschaftswachstums, der bevölkerungs-expansion und der urbanisierung rasant zunehmen.17 mit der Kohle als hauptstütze der indischen Energiewirtschaft kommen Kohlekraftwerke für zwei Drittel der gesamten Elektrizitätserzeugungskapazität von 135.000 mw auf. In den Jahren 2003 bis 2004 wurden 62 prozent der indischen Energie aus Kohle und nur 36 prozent aus öl gewonnen.18

Indien verzeichnet in bezug auf klimafreundliche maß- nahmen, insbesondere im bereich der Erneuerbaren Ener-gien und der sauberen Kohletechnologie, fortschritte. heute besitzt Indien die viertgrößte instal-lierte windkraftkapazität weltweit, mit der zur zeit 7.000 megawatt erzeugt werden.19 In 2009 kamen Erneuerbare Energien für mehr als acht prozent der gesamten Energie- produktion Indiens auf.20 Die indische Regie-rung war auch in bezug auf marktmechanismen und Anreizprogramme zur förderung unabhängiger stromer-zeuger im nationalen Anbieternetz erfolgreich. Laut elftem fünfjahresplan (2006 bis 2012) wurden entsprechende Regelungspolitiken erlassen und umgesetzt, um diese bewegung zu erleichtern und die Reduzierung der Ener-gieintensität Indiens zwischen 2007/2008 und 2016/2017 um 20 prozent pro bIp-Einheit zu fördern. mitte des Jahres 2008 setzte Indien auch einen anspruchsvollen natio-nalen Aktionsplan zur Klimaänderung (nApcc) hinsichtlich

17 | wwf Report 2010, Emerging Economies: How the developing world is starting a new era of climate change leadership, 11/2010, http://assets.panda.org/downloads/ emerging_ economies_report_nov_2010.pdf [25.03.2011].18 | climate brief 2, India’s climate change policy and Trade concerns: Issues, barriers and solutions, centre for Trade and Development.19 | „India: Addressing Energy security and climate change‟, ministry of Environment and forests and ministry of power bureau of Energy Efficiency, Government of India, 10/2007.20 | wwf Report 2010, fn. 16.

Der Anteil von Energie aus erneuer-baren Quellen betrug in Indien 2009 mehr als acht Prozent. Die Regierung war auch in Bezug auf Marktmechanis-men und Anreizprogramme erfolgreich.

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Reduktion, Anpassung und strategischer Eingliederung von wissen um.21

Die indische Regierung ist ähnlich wie südafrika fest davon überzeugt, dass ihre nationale Klima- und Energiepolitik keinen negativen Einfluss auf das bIp-wachstum haben wird. Indien steht immer noch vor großen Entwicklungs-herausforderungen: ungefähr 55 prozent der bevölkerung (600 millionen menschen) haben keinen zugang zur gewerblichen Energieversorgung.22 zudem wird erwartet, dass die menge der indischen Emissionen aus der stromer-zeugung bis 2030 um das sechsfache steigen wird, da der Dienstleistungssektor in Indien ein erhebliches wachstum verzeichnet.23

Brasilien

Der Energiesektor in brasilien trägt aufgrund extensiver nutzung von wasserkraft nur wenig zu den ThG-Emissi-

onen des Landes bei und verzeichnet auch eine geringe Emissionsintensität im bereich der Elektrizitätserzeugung. Drei Viertel der Emissionen brasiliens sind das Ergebnis der Abholzung und der nicht nachhaltigen

bodennutzung, da sich die landwirtschaftlichen nutzflächen hauptsächlich in der Region des Amazonas befinden. Der boden wird in dieser hinsicht vorwiegend für große soja-bohnenplantagen und Rinderzucht genutzt. Die Emissionen brasiliens aus der Rinderzucht sind ebenfalls bedeutend.

nach brasiliens Argumentation liegt die Verantwortung eher in dem historischen beitrag der Länder zum globalen Temperaturanstieg, da cO2 im Durchschnitt mehr als ein Jahrhundert in der Atmosphäre verbleibt. folglich hat sich brasilien bei den internationalen Verhandlungen geweigert,

21 | prasad and Kochhner, „climate change and India – some major issues and policy implications‟, Department of Econo- mic Affairs and ministry of finance, Government of India, working paper 2/2009-DEA, 03/2009.22 | E. somanathan, „what do we expect from an international climate agreement? A perspective from a low-income country‟, 12/2008. Discussion paper 08-27, 11, The harvard project on International climate Agreements, harvard Kennedy school, Indian statistical Institute.23 | „melting Asia-china, India and climate change‟, The Economist (us), 05.06.2008.

Drei Viertel der Emissionen Brasiliens sind das Ergebnis der Abholzung und der nicht nachhaltigen Bodennutzung. Emissionen aus der Rinderzucht sind ebenfalls bedeutend.

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vor mitte des Jahrhunderts Emissionszielvorgaben für sich zu akzeptieren. Dennoch entwickelte die Regierung im Dezember 2008 einen nationalen plan zur Klimaänderung (pnmc), sowie eine eindrucksvolle Erfolgsbilanz im sektor der Erneuerbaren Energien. Laut brasiliens minister für minen und Energie werden 46 prozent der primärenergie in brasilien aus regenerativen Quellen erzeugt. Im Jahre 2002 verabschiedete der brasilianische Kongress ein Gesetz zur schaffung eines obligatorischen marktes für Erneuerbare Energien. Das so genannte pROInfA-programm unter-stützt unabhängige stromerzeuger darin, das nationale Elektrizitätsnetz mit strom aus Erneuerbarer Energie zu versorgen (inklusive der biomasse, kleiner wasserkraft-werke und windkraft).

In Verbindung mit den von präsident Lula eingeführten fördergeldern zur Erweiterung der Attraktivität privater Investitionen in die wasserkrafterzeugung hat pROInfA bewirkt, dass die brasilianische stromerzeugung zu 85 prozent auf wasserkraft basiert.24 Darüber hinaus wurde das nationale Ethanol-programm brasiliens zur weltweit größten gewerblichen Anwendung von biomasse für die Energieerzeugung und -nutzung. Dieses programm zeigt im Verfahren zur herstellung von Kraftstoffen für Kraft-fahrzeuge die möglichkeit der ausgeweiteten Ethanolge-winnung aus zuckerrohr.25

brasilien, die heimat eines der größten öko- systeme und wälder des planeten, hat ein multisektorales programm entwickelt, um mit hilfe eines satelliten-überwachungssys-tems die Abholzung in der Amazonas region zu bekämpfen. zwischen 2005 und 2007 konnte die Abhol-zungsrate um 52 prozent reduziert werden.26 Außerdem

24 | International Energy Outlook 2010, u.s. Energy Information Administration, http://eia.doe.gov/oiaf/ieo/electricity.html [25.03.2011].25 | La Rovere und pereira, „brazil & climate change: a country profile‟, Policy Briefs, science and Development network, 14.02.2007. http://www.scidev.net/en/policy-briefs/brazil- climate-change-a-country-profile.html [18.03.2011].26 | Dies ist bestandteil eines Vortrags zum Thema „Die Klima- änderung, eine globale herausforderung‟ des Generaldirektors des Amtes für umwelt und sonderthemen des Außenministe- riums, minister machado. botschaft von brasilien in London, „Klimaschutzpolitik‟, 08/2007.

Brasilien führte einen nationalen Plan zur Vorbeugung und Bekämpfung der Entwaldung ein, der die Abholzung im Amazonas bis 2017 um 70 Prozent reduzieren soll.

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führte brasilien einen nationalen plan zur Vorbeugung und bekämpfung der Entwaldung ein, der die Abholzung im Amazonas bis 2017 um 70 prozent reduzieren soll.27

Südafrika

südafrika ist nummer 13 auf der Liste der weltweit größten Kohlenstoffdioxidemittenten – mit einer pro-Kopf-Emissi-onsrate, die nur leicht unter jener der industrialisierten Länder und weit über dem Durchschnitt der Entwicklungs-länder liegt. Die Emissionen aus der Energieversorgung und -nutzung machen den hauptanteil der südafrikani-schen Emissionen aus (91 prozent), wovon 40 prozent aus der stromerzeugung von kohlebetriebenen Kraftwerken stammen.28 Kohle ist somit das Rückgrat der wirtschaft südafrikas, des viertgrößten Kohleproduzenten der welt.

2006 begann südafrika mit der Erstellung eines Reakti-onsplans für ein langfristiges Emissionsreduktionssze-nario (LmTs), wodurch eine konstante Klimapolitik und ein angemessener Klimaschutzrahmen auf der Grundlage der verfügbaren effektiven und möglichen Reduktions-optionen angestrebt werden. Aus dieser studie ergaben sich verschiedene szenarien und strategische Optionen

für südafrika. Es wurden auch Reduktions-potentiale und die wirtschaftlichkeit unter-schiedlicher Interventionen durchdacht. Im Juli 2008 nahm das südafrikanische Kabinett unter berücksichtigung der Ergebnisse der LmTs-Arbeit einen nationalen Klimaschutz-rahmen an. Die Regierung verpflichtet sich

darin zu einem Verlauf von „scheitelpunkt, hochebene und senkung‟ der zukünftigen ThG-Emissionen. Den scheitel punkt sieht man für den zeitraum 2020 bis 2025 vor. Danach soll ein Jahrzehnt „hochebene‟ folgen. Gegen mitte des Jahrhunderts sollen dann die absoluten zahlen

27 | Es ist anzumerken, dass die Abholzung für die IbsA-staaten keine priorität darstellt. während die wälder 57,2 prozent der Gesamtfläche brasiliens ausmachen, machen sie nur 21,2 prozent der Gesamtfläche chinas aus, 22,8 prozent der Gesamtfläche Indiens, 33,7 prozent der Gesamtfläche mexikos und 7,6 prozent der Gesamtfläche südafrikas (fAO 2006, Global forest Resources Assessment 2005, Rom).28 | Eskom, Annual Report 2008, http://financialresults.co.za/ eskom_ar2008/ar_2008/downloads/eskom_ar2008.pdf [25.03.2011].

Im Juli 2008 nahm das südafrikani-sche Kabinett einen nationalen Klima-schutzrahmen an, der die Vision der Regierung, eine strategische Ausrich-tung und den Rahmen einer langfristi-gen Klimaschutzpolitik auslegte.

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abnehmen.29 Dies würde zum beispiel eine umstellung des Kraftstoffmixes erfordern, da derzeit drei Viertel der süd afrikanischen Treibstofferzeugung auf Kohle basieren.30 Die Energiezusammensetzung wird zurzeit im Rahmen der integrierten Ressourcenplanung (IRp II) debattiert. Trotz dieser anspruchsvollen strategien stellen die landesweiten Armutsreduzierungsstrategien in südafrika die hauptauf-gabe dar. südafrika wird somit, zumindest in absehbarer zukunft, weiterhin auf die kohlebasierte Ernergieerzeu-gung angewiesen sein.

SÜD-SÜD-KOOPERATION IN TEcHNOLOGIEFORScHUNG

Auf dem Treffen der Energieminister im mai 2009 veröf-fentlichten die G-8- und G-13-Energieminister im Rahmen ihrer neuen internationalen partnerschaft hinsichtlich einer energieeffizienten Kooperation (IpEEc) eine gemeinsame Erklärung. Diese besteht in einem Aufruf zur „Entwick-lung und Einsatz emissionsarmer Energietechnologien, einschließlich regenerativer Energiequellen, intelligenter stromnetze und Energiespeicherung, modernisierung der Energieerzeugungsanlagen und Kraft-wärme-Kopplung, nachhaltiger mobilität und emissionsarmer Transport-fahrzeuge, der Vorführung von Kohlenstoffbindung und -speicherung (ccs) und der nuklearenergie‟.31 Es wurde ebenso zu einer „Koordination der Anstrengungen im bereich der forschung, Entwicklung, Vorführung und des Einsatzes dieser emissionsarmen Technologien durch einen effektiven Austausch von wissen über schlüsseltechnolo-gien‟ und insbesondere zur förderung einer verstärkten nutzung Erneuerbarer Energien aufgerufen. Dies schließe zum beispiel „eine Verbesserung der politik und der regu-latorischen Rahmenbedingungen zur Investitionsförderung in Erneuerbare Energien und die gleichzeitige werbung für ihren Einsatz und ihre Verbreitung in allen Ländern‟ ein.

29 | Romy chevallier, „south Africa’s Dilemma: Reconciling Energy- climate challenges with Global climate Responsibilities‟, Kapitel 6 in: Climate Change and Trade: The Challenges for Southern Africa, sAIIA, 2010.30 | Dies gipfelte im 2. nationalen Gipfeltreffen zur Klimaänderung vom märz 2009, mit der hoffnung der übertragung der LTms in ein weißbuch im november 2009.31 | Gemeinsame Erklärung der G-8-Energieminister, des Eu- Kommissars für Energie, der Energieminister von brasilien, china, ägypten, Indien, Korea, mexiko, saudi Arabien und südafrika. Erste sitzung, Italien, 05/2009.

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nach yvo de boer, ehemaliger unfccc-Exekutivsekretär, sollte die richtige umsetzung der Technologietransferpo-litik einen schwerpunkt der internationalen Klimaschutz-

politik darstellen. In dieser hinsicht verweist er insbesondere für die kohleabhängigen Länder auf ccs.32 Er erwähnt ebenfalls die verstärkte nutzung Erneuerbarer Energien und betont die notwendigkeit der Entwick-lung von mechanismen, die gemeinsame

forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zwischen reichen und armen Ländern ermöglichen: „sowohl china als auch Indien entwickelten sich zu hauptproduzenten Erneuer-barer Energien. sie sind nun nicht mehr das ausschließliche technologische monopol des nordens. Es geht eher darum, dass die Entwicklungsländer preisgünstige möglichkeiten finden, um sich den zugang zu dieser Technologie zu verschaffen.‟33

man muss sich allerdings dessen bewusst sein, dass in den Entwicklungsländern mit der Einführung, übertragung und Verbreitung von Technologie erhebliche wirtschaftliche, soziale und politische hürden überwunden werden müssen, wie zum beispiel der mangel an technischen Kapazitäten in der nutzung der eingeführten Technologien, der mangel an entsprechenden Gesetzen und Regelungen, mangelhafte Verwaltungsstrukturen und unzureichend entwickelte marktbedingungen.34 Auch müssen die Technologieinhaber durch angemessene urheberrechte geschützt werden.

cHANcEN DES GLOBALEN ÜBERGANGS zU EINER KOHLENSTOFFARMEN wIRTScHAFT

um die beteiligung verschiedener Interessengruppen vor allem in den Entwicklungsländern zu fördern, ist es unbe-dingt erforderlich, die wirtschaftlichen möglichkeiten, die durch die Reduktions- und Anpassungsprojekte geboten

32 | „carbon capture and storage bulletin: A summary of the high-level conference on fighting climate change with carbon capture and storage‟, veröffentlicht vom International Insti- tute for sustainable Development, bd. 163, nr. 1, 01.06.2009.33 | Interview mit yvo de boer, geführt während der unfccc- Konferenz in posen, 01.12.2008.34 | „Energy efficiency, technology and climate change: The Japa- nese experience‟, Kapitel 8 in „climate change negotiations: can Asia change the game?‟, Loh, stevenson und Tay (hrsg.), civic Exchange 2008.

„Sowohl china als auch Indien ent-wickelten sich zu Hauptproduzenten Erneuerbarer Energien. Sie sind nun nicht mehr das ausschließliche techno- logische Monopol des Nordens.‟ (Ivo de Boer)

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werden, hervorzuheben. Dazu zählen unter anderem die betonung der wirtschaftlichkeit von umweltgütern und der Dienstleistungsindustrie (einschließlich der Erneuerbaren Energien und der energieeffizienten Technologie) und die projekte für den mechanismus der sauberen Entwicklung. führungskräfte und Geschäftsleute der südlichen hemis-phäre sind sich oft nicht im Klaren darüber, dass diese Industrie weltweit einen wert von etwa 600 milliarden us-Dollar erreicht und rasch wächst. Auch übertrifft für gewöhnlich das starke Arbeitsbeschaffungspotential dieser Industrie jenes der traditionellen und kohlenstoffreichen Energieindustrien. Die saubere Technologie wird voraus-sichtlich zum fünftgrößten sektor der Arbeitsbeschaffung und der Investitionen werden.35 Die deutschen windparks schufen z.b. etwa 40.000 Arbeitsplätze. schätzungsweise wird südafrika bis 2020 ungefähr 34.000 direkte Arbeits-plätze schaffen, wenn die Erzeugungskapazität aus Erneu-erbaren Energien 15 prozent erreicht. Die Erzeugung von 5.700 mw solarer photovoltaik-Elektrizität würde 680 Voll-zeitjobs und 8.800 Arbeitsplätze im baugewerbe schaffen.

Laut einer schätzung der internationalen Energieagentur sind etwa 45 billionen Dollar erforderlich, um bis 2050 neue, saubere Technologien zu entwickeln und einzusetzen. Obwohl die Anzahl sauberer und energie-effizienterer Kohlekraftwerke und auch die umrüstung von brennstoffquellen älterer Technologie vor allem in den Entwicklungsländern zugenommen hat, muss für die förderung der raschen technologischen Verbreitung noch viel getan werden. Dadurch wären die bestehenden Quellen regenerativer Energien wirtschaftlich sinnvoll und würden für die Entwicklungsländer eine leichter durchführ-bare Option darstellen.

Daher hat ein echter kooperativer Technologietransfer zwischen Entwicklungsländern wesentliche bedeutung. Die Investitionen müssen sich auf die Gebiete der unterfinan-zierten IcT-forschung, landwirtschaftlichen produktion, des umweltmanagements und der öffentlichen Gesund-heitseinrichtungen konzentrieren. Eines der hauptziele zur

35 | L. Tyrer, „Rough Road: south Africa’s path on the steep and rocky road to copenhagen‟, Engineering News, 20.-26.02. 2009, 84.

Obwohl die Anzahl sauberer und ener- gieeffizienterer Kohlekraftwerke in den Entwicklungsländern zugenommen hat, muss für die Förderung der raschen technologischen Verbreitung noch viel getan werden.

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stärkung der wissenschaftlichen und technologischen poli- tik in den Entwicklungsländern besteht in der Erzeugung neuer Güter und Dienstleistungen, welche die Reduzierung von Kohlenstoffdioxidemissionen begünstigen. Die förde-rung der kohlenstoffarmen Technologieindustrie ist eine möglichkeit, um forschung und Entwicklung kommerziell nutzbar zu machen.36

Im Jahre 2006 gründeten die IbsA-staaten einen gemein-samen fond für wissenschaft und Technologie. Jeder mitgliedstaat zahlte eine million us-Dollar für gemein-schaftliche Aktionen ein.37 Diese Aktionen beschränken sich bisher auf wenige forschungsgebiete: medizinische und pharmazeutische forschung (insbesondere hIV, malaria und Tuberkulose), nanotechnologie, biotechnologie und Ozeanographie. Einige dieser forschungsgebiete zeigen eine wesentliche überschneidung mit den prioritäten des Klimawandels und können somit einen Co-Benefit-Ansatz zur umweltverträglichkeit bieten. Die finanzierung könnte sich allerdings auch speziell der forschung von kohlenstoff-armen Technologien und Erneuerbaren Energien widmen.

Ein weiteres beispiel der chancennutzung kann am mechanismus der sauberen Entwick-lung (cDm) beobachtet werden, der von der unfccc für die finanzierung von Initiativen

für Erneuerbare Energien in Entwicklungsländern aufge-stellt wurde. Die cDm-projekte sind so gestaltet, dass die Investoren mit Emissionsgutschriften belohnt werden, wenn sie die Treib hausgasemissionen in den Entwicklungs-ländern reduzieren. Dieses Gutschriftenschema regt eine nachhaltige Entwicklung sowie Emissionsreduzierungen an und bietet industrialisierten Ländern, wie im Kyoto-protokoll vereinbart, gleichzeitig etwas flexibilität bei der Erreichung ihrer Emissionszielvorgaben. Es bietet Entwick-lungsländern, die cDms ausrichten, außerdem die möglich-keit, private und öffentliche Investitionen zu suchen, Kapa-zitäten und fähigkeit aufzubauen und in bereichen wie denen des Technologietransfers Erfahrung zu sammeln. Die hohen Emissionsraten aller IbsA-mitgliedstaaten und

36 | Juma, Gitta, Disenso und bruce, „forging new technology alliances: the role of south south cooperation‟, 2005, 59.37 | Vgl. The India-brazil-south Africa Dialogue forum, IbsA Trilateral Official website, http://www.ibsa-trilateral.org [25.03.2011].

cDM-Projekte sind so gestaltet, dass Investoren mit Emissionsgutschriften belohnt werden, wenn sie die Treib-hausgasemissionen in den Entwick-lungsländern reduzieren.

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der anderen Entwicklungsländer machen diese zu attrak-tiven Kandidaten für jene cDm-projekte, die den Energie-sektor von der Emissionsintensität entlasten und den Tech-nologietransfer fördern könnten.38

Laut der unfccc wurden 2010 weltweit 2.453 cDm-projektaktivitäten registriert, davon 41 prozent in china, 22 prozent in Indien, sieben prozent in brasilien und fünf prozent in mexiko.39 Daher kann man china, Indien, brasi-lien und mexiko, mit einem kombinierten Anteil von 75 prozent der gesamten projekt-pipeline, als die führenden Gastländer für cDm-projekte bezeichnen. Als einziges afri-kanisches Land findet sich südafrika auf der Top-20-Liste der im bereich cDm-projekte führenden Entwicklungsländer. Insgesamt werden in Afrika nur zwei prozent aller cDm-projekte umgesetzt. Ein Grund dafür besteht in der Komplexität der cDm-projektzyklen und darin, dass umfangreiche Kenntnisse über die Gestaltung, formulierung, Validierung und Regis-trierung von projekten erforderlich sind, ebenso über ihre finanzierung, überwachung, überprüfung und zertifizie-rung. Da Indien und china in dieser hinsicht schon große fortschritte verzeichnet haben, könnten sie südafrika und den afrikanischen Kontinent mit ihrer Erfahrung bei tech-nischen Gutachten und Kapazitätsaufbau unterstützen.40

cDm-Kritiker sind der meinung, es liege nicht im Inte-resse der umwelt, großen Entwicklungsländern mit einem gewissen niveau an wirtschaftlicher Entwicklung cDm-projekte zu gewähren. Denn Emissionsreduzierungen aufgrund der cDm-projekte tragen, wenn auch nur in geringem maße, zum beispiel dazu bei, dass china seine zielvorgagaben hinsichtlich Energieeinsparung erreicht. sie reduzieren aber keinesfalls dessen Emissionen aus Kohle

38 | Laut Angaben der brasilianischen botschaft in London „war es brasilien, das die Initiative ergriff, den cDm als bestandteil des Kyoto-protokolls einzuführen‟.39 | clean Development mechanism, united nations framework convention on climate change (unfccc)’s Executive board Annual Report, 2010, „Registered project activities by host party and region‟.40 | sechstes Rahmenprogramm der Europäischen union. Das potential der übertragung und umsetzung nachhaltiger Ener- gietechnologien durch den mechanismus für umweltverträg- liche Entwicklung (cDm) des Kyoto-protokolls: cDm-stand, 11/2008.

Da Indien und china schon große Fortschritte erzielt haben, könnten sie Südafrika und den afrikanischen Kontinent mit ihrer Erfahrung bei technischen Gutachten und Kapazi-tätsaufbau unterstützen.

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oder seine Kohleabhängigkeit. Da allein zwischen china und Indien schon 90 prozent der gesamten globalen cDm-projekte hinsichtlich windenergie aufgeteilt sind, wird auch eine bessere geographische Verteilung dieser projekte angestrebt.41 Deutlich wurde auch, dass in manchen Ländern einige wenige Technologien eindeutig dominieren (z.b. wasser- und windkraft und „eigene Erzeugung effizi-enter Energie‟ in china; Energie aus biomasse und wind-energie in Indien; Deponiegasauffassung in brasilien), während dieselben Technologien in den anderen Ländern zurückbleiben. für gewöhnlich wird angenommen, dass die Verteilung der projekte unter den Gastgeberländern zum größten Teil vom potential für (hohe) ThG-Emissionsredu-zierungen bei geringen Kosten oder von der reibungslosen funktion der institutionellen cDm-Verfahren eines Landes bestimmt wird.

Eine erfolgreiche Regelung des globalen Klimawandels nach 2012 hängt von der Einbeziehung aller großen Emit-tenten und all derer ab, welche die Auswirkungen der

Klimaänderung zu spüren bekommen. Auf der Ebene der Reduktionspolitik sind der politische Einfluss und die zusammenarbeit der Entwicklungsländer notwendig, um die Vereinigten staaten davon zu überzeugen, strengere Reduktionsverpflichtungen einzu-

gehen. Die bedeutung der nord-süd-partnerschaften ist von besonderer bedeutung, da die ersten Erfahrungen der entwickelten Länder mit der förderung der Energieeffi-zienz jenen Ländern, die ihre Energiepolitik zu reformieren versuchen, als wertvolle hintergrundinformationen dienen können.42 Viele Technologien, die auf den Ressourcen-ausstattungen der Entwicklungsländer wie der biomasse basieren, sind noch nicht vorhanden oder zu kostspielig. Daher ist eine zusammenarbeit im bereich forschung und Entwicklung (R&D) zwischen Entwicklungs- und den entwi-ckelten Ländern unbedingt notwendig.

41 | sechstes Rahmenprogramm der Europäischen union, „cDm state of play‟, EnTTRAns, 11/2008.42 | Juma, Gitta, Disenso und bruce, „forging new technology alliances: the role of south south cooperation‟, 2005, 59.

Der politische Einfluss und die zusam-menarbeit der Entwicklungsländer sind notwendig, um die Vereinigten Staaten davon zu überzeugen, strengere Reduk- tionsverpflichtungen einzugehen.

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ScHLUSSFOLGERUNGEN

Die IbsA-mitgliedstaaten sehen sich ähnlichen herausfor-derungen bezüglich ihrer Anfälligkeit für die Auswirkungen des Klimawandels gegenüber. Einerseits geht es um die herausforderung der Emissionsreduzierungen bei gleich-zeitiger wirtschaftlicher Entwicklung (insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die motoren des steigenden Energiebedarfs gerade das wirtschaftswachstum, der bevölkerungszuwachs und die technologi-schen Veränderungen sind), andererseits um die umstellung von Industriepolitik und Investitionsstrategien, um den schwerpunkt auf kohlenstoffarme und kohlenstofffreie sektoren ihrer wirtschaft zu setzen. Die frage ist, wie die IbsA-staaten ihren wettbewerbs-vorteil aufgrund kostengünstiger, aber verschmutzender Elektrizität aus den energieintensiven sektoren in einen neuen Vorteil klimafreundlicher Technologien und systeme umwandeln können. um dies erfolgreich durchzusetzen, müssen die „Entwicklungspläne‟ der IbsA-staaten vom „business as usual‟-Ansatz in eine konventionelle bahn der fossilen Energie geführt werden. Dies soll jedoch erfolgen, ohne den wachstumsverlauf der Länder, die sich immer noch mit erheblichen Entwicklungsherausforderungen auseinander setzen, zu gefährden. Ein praktisches beispiel hierfür ist die Art und weise, wie die mitgliedstaaten vor dem hintergrund einer extremen Armut und begrenzter Landnutzung die Abholzung zu vermeiden wissen oder wie einzelne Länder trotz des überflusses an billigkohle ihren Energiemix um energieeffizientere Technologien erweitern.

Der IbsA-Dialog über den Klimawandel könnte sich auf jene sektoren konzentrieren, in denen die Entwicklungs-länder beträchtliche Vorteile aus Emissionsreduzierungen ziehen würden, wie z.b. die Energieeinsparung in den sektoren bau, Transport und Industrie oder der technische fortschritt in den sektoren Landwirtschaft und wieder-aufforstung. Ebenso vorteilhaft wäre die zusammenarbeit in praktischen projekten, um zwischen den IbsA-staaten auf allen Ebenen auch mit der zustimmung der örtlichen Gemeinschaften eine Eigendynamik zu erzeugen. Dazu gehört in den afrikanischen und asiatischen Ländern zum beispiel auch der Ersatz der traditionellen öfen durch

Es stellt sich die Frage, wie die IBSA-Staaten ihren wettbewerbsvorteil auf- grund kostengünstiger, aber ver-schmutzender Elektrizität in einen Vorteil klimafreundlicher Technologien umwandeln können.

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rußarme modelle, die keine Gefahr für Gesundheit und umwelt darstellen. studien in Indien haben gezeigt, dass die umstellung auf neue öfen etwa 20 Dollar kostet und die Rußerzeugung dann um 90 prozent sinkt.43

Da die IbsA-mitgliedstaaten alle in gewissen bereichen ihrer Klimawandel- und Energiepolitik fortschritte ver- zeichnet haben, sollten sie die Diskussion und die tech-nische Expertise diesbezüglich führen. brasilien ist zum beispiel Vorreiter auf dem Gebiet der Energiegewinnung aus ethanolbasierten Treibstoffmixen. hier steckt großes wachstumspotential, verbunden mit der möglichkeit der übertragung auf andere Länder mit einem ähnlichen Emissionsprofil.44 Außerdem verfügt brasilien über große hydroenergiequellen. Dieses modell könnte daher auch von südafrika und Indien übernommen werden. Darüber hinaus verzeichnet brasilien große fortschritte in der Reduzierung der Abholzung und somit der bewahrung der heimischen Regenwälder. Auch Indiens Katastrophenhilfsaktionen sind ein beispiel, dem andere folgen können. Indien verzeich-nete insbesondere in den bereichen wind- und sonnen-ergie weitere fortschritte. südafrika wiederum übernahm die regionale führung bei der schaffung wirtschaftlicher szenarien für einen kohlenstoffarmen wirtschaftsablauf. Das Land war ferner in der forschung und Entwicklung von ccs-Technologien sowie im sammeln von klimabezogenen Daten für die südliche hemisphäre aktiv.

weitere bereiche für eine potentielle zusam-menarbeit unter den Entwicklungsländern wären die Gestaltung und umsetzung von cDm-projekten. Der schlüssel liegt im Aufbau von Kapazitäten in den Gastgeberländern

sowie in der Verbesserung der Regelungen und Anreize für entwickelte Länder zur Investition in schlüsselsektoren

43 | „climate salvation from low-soot stoves?‟, International Herald Tribune, 17.04.2009.44 | Die biobrennstoff-Industrie brasiliens lässt nicht unbedingt auf Indien oder südafrika übertragen. In brasilien ist eine biobrennstoff-Industrie ohne steuersubventionen möglich. In den meisten anderen Ländern dagegen ist dies nicht möglich. nach Runnalls vom International Institute for sustainable Development sind „biobrennstoffe nicht die Lösung‟ (05/2009). biobrennstoffe erfordern zuschüsse von 50 bis 70 cent pro Liter, um einen Liter fossilen brennstoff zu ersetzen, was fast den Kosten für einen Liter normalbenzin entspricht.

Der Schlüssel für erfolgreiche cDM-Projekte liegt im Aufbau von Kapazi-täten in den Gastgeberländern und in der Verbesserung der Investitionsan-reize für entwickelte Länder.

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und -regionen. china und Indien verzeichnen seit 2005 ein exponentielles wachstum der cDm-projekte. Ihre Erfah-rung zeigt, dass der Kapazitätsaufbau der schlüssel zum Einstieg in die cDm-projekte ist.

zwar ist den Entwicklungsländern der zugang zur modernen Technologie gewährt, doch muss hier noch in fähigkeiten, Know-how und Kapital investiert werden, damit sie die sauberen Technologien nutzen, reproduzieren und sich daran anpassen können. Daher muss der Dialog neben wissenschaftlern und Regierungsbeamten auch Ingenieure, technische fachleute und Vertreter der handelsfirmen aus dem privaten sektor einbeziehen. Eine engere zusammen-arbeit ist auf allen Ebenen nötig. wissenschaftler müssen enger mit Versorgungsunternehmen, stahlherstellern und auch anderen branchen zusammenarbeiten.

Ein weiteres Gebiet für eine mögliche zusammenarbeit unter den IbsA-staaten ergibt sich in der Klimawandel-anpassung. Die IbsA-staaten versuchen noch, die vollen Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Gesellschaften zu verstehen, und müssen sich daher zu nationalen und regio-nalen schwachstellenanalysen sowie zur förderung einer evidenzbasierten Analyse und forschung verpflichten. Dies könnte auch in form einer sammelstudie erfolgen, mit der die Anfälligkeit der armen nationen aufgezeigt wird. Der Informationsaustausch über die Vorbereitung auf Katas-trophen und Extrem ereignisse und der Austausch meteo-rologischer und klimatischer Daten sind unzureichend. Die IbsA-staaten müssen in zukunft durch den Erwerb zielgerichteter finanzierungen und durch den Daten- und Informationsaustausch verstärkt zusammenarbeiten.

Die unfccc-Verhandlungen stellen für die IbsA die beste Gelegenheit zur gemeinsamen beratung zum Klimawandel dar. IbsA muss von seiner politischen macht und der gemeinsamen stellung (einschließlich des zweigleisigen Ansatzes) Gebrauch machen, um bei den Verhandlungen für die Entwicklungsländer im Allgemeinen, aber vor allem für die LcDs in ihren jeweiligen Regionen gewisse schlüs-selpunkte voranzutreiben. Die Rolle südafrikas als Vorsit-zende der Vertragsstaatenkonferenz bietet außerdem Afrika und den Entwicklungsländern in ihrer Gesamtheit die unterschiedlichsten möglichkeiten.

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1986 verabschiedete die Generalversammlung der Ver- einten nationen die Resolution zum „Recht auf Entwick- lung‟.1 sie liest sich als Reaktion der Entwicklungsländer auf den verbindlichen menschenrechtskatalog, der zuvor von der industrialisierten welt kanonisiert wurde. Die „menschenrechte der dritten Generation‟, die mit dieser Resolution gestärkt werden sollten, betonen deren kollek-tive Dimension. frieden, sicherheit und umwelt rückten damit erstmals in den fokus internationaler Entwick-lungsdebatten. Das Ringen der weltgemeinschaft um ein nachfolgeabkommen des Kyoto-protokolls, das 1997 in Kraft trat und 2012 auslaufen wird, demonstriert gegen-wärtig, wie komplex die Verwirklichung des im Recht auf Entwicklung skizzierten solidaritätsprinzips ist: steht, so muss gefragt werden, ein Recht auf wohlstandssteigerung im sinne des Art. 2 III der Resolution im widerspruch zum internationalen Engagement im Klimaschutz?

Das beispiel Indonesien zeigt, vor welchen politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen herausforderungen Ent- wicklungs- und schwellenländer stehen, die einerseits ihr Recht auf Entwicklung ernst nehmen müssen, um abseh-baren demographischen prognosen zu begegnen, anderer-seits aber ihren beitrag zum Klimaschutz leisten wollen. so entwickelt sich Indonesien schon seit einigen Jahren zu einem der wichtigsten befürworter der REDD-Initiative.

1 | „Entwicklung‟ wird im Resolutionstext als „umfassender wirt- schaftlicher, sozialer, kultureller und politischer prozess‟ defi- niert (un-GA Res A/41/128).

INDONESIENS ROLLE IN DER INTERNATIONALEN KLIMAPOLITIKFINANzIELLE ANREIzE zUM ScHUTz DER wALDBESTäNDE – EIN EFFEKTIVES MODELL?

Marc Frings

marc frings ist Trainee der Konrad-Adenauer-stiftung im Auslandsbüro Jakarta.

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Mit china und Indonesien stehen zwei Schwellenländer weit oben auf der Liste jener Staaten, die eine Haupt-verantwortung für den Klimawandel tragen.

DER ÜBERSEHENE UMwELTSÜNDER

wenn die frage nach den größten globalen umweltsündern aufkommt, gilt der vorwurfsvoll ausgestreckte zeigefinger in der Regel den Vereinigten staaten und der Volksre-publik china, die mit jährlich etwa 5,95 bzw. 5,06 milli-arden Tonnen ausgestoßenen Treibhausgases die globale Erwärmung vorantreiben. Auf platz drei folgt jedoch schon, mit einem gewissen Abstand, Indonesien. Der südostasiatische Inselarchi- pel mit seinen mehr als 17.000 Inseln und 240 millionen Einwohnern emittiert im Jahr 2,05 milliarden Tonnen Treibhausgas. mit china und Indonesien stehen damit gleich zwei schwel-lenländer weit oben auf der Liste jener staaten, die die hauptverantwortung für den Klimawandel tragen. welche hebel müssen nun bedient werden, damit auch jene Länder, die sich noch im modernisierungsprozess befinden, der Erderwärmung entgegenwirken können? Aufschluss-reich ist hierfür ein Vergleich der zusammensetzung der Treibhausgasemissionen Deutschlands und Indonesiens: Energiebedingte Emissionen machen in Deutschland 81 prozent der Treibhausgase aus, gefolgt von Emissionen aus Industrieprozessen (zehn prozent) und aus der Landwirt-schaft (fünf prozent).2 In Indonesien hingegen sind 80 bis 85 prozent der Treibhausgasemissionen folgen von Entwal-dung und zerstörung von Torfland.3 Obwohl die Emissionen aus Industrie, Verkehr oder Energie vergleichsweise gering erscheinen,4 gelangen dem Land in den vergangenen

2 | umweltbundesamt (hrsg.), presseinformation nr. 13/2010, „Treibhausgasemissionen in 2009 um 8,4 prozent gesunken‟, 3, http://umweltbundesamt.de/uba-info-presse/2010/pdf/ pd10-013_treibhausgasemissionen_grafiken.pdf [14.02.2011]. Die angegebenen werte beruhen auf schätzungen für das Jahr 2009, korrespondieren aber weitestgehend mit den werten für 2008.3 | harvard Kennedy school, Ash center for Democratic Gover- nance and Innovation, „from Reformasi to Institutional Transformation: A strategic Assessment of Indonesia’s pros- pects for Growth, Equity and Democratic Governance‟, 04/2010, 52, http://ash.harvard.edu/extension/ash/docs/ indonesia.pdf [14.02.2011]; Jeff neilson, „who owns the carbon? Indonesia’s carbon stores spark international attention‟, Inside Indonesia, 07-08/2010, http://insideindonesia.org/stories/who-owns-the-carbon- 05091343 [14.02.2011].4 | 2005 erzeugte der komplette Energie-, bau- und Infrastruktur- sektor 312 millionen Tonnen cO2. Das entsprach einem Anteil von 15 prozent.

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weitreichende Folgen für das welt-klima im Allgemeinen und die Biodi-versität im Besonderen hat die zerstö-rung des indonesischen Regenwaldes.

Jahren atemberaubende wirtschaftswachstumszahlen, mit einem zuwachs von zuletzt 6,5 prozent (2010).5 neben china und Indien gehört Indonesien innerhalb der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und schwellenländer (G-20) zu den drei Ländern mit den schnellsten wachstumsraten überhaupt.

weil es Indonesien bislang nicht gelingt, eine Infrastruktur zu schaffen, mittels derer die reichen bodenschätze (insbesondere Erze, Erdöl und Erdgas) im Land verarbeitet

werden können, hinkt der Industrialisie-rungsprozess hinterher und kann zumindest aus klimapolitischer sicht vernachlässigt werden. Viel weiter reichende folgen für das weltklima im Allgemeinen und die biodiver-

sität im besonderen hat die zerstörung des indonesischen Regenwaldes, der 1966 noch 77 prozent der fläche Indo-nesiens ausmachte. In der zwischenzeit sind 80 prozent des Tropenwalds verschwunden.6 Trotzdem verfügt Indo-nesien nach brasilien und der Demokratischen Republik Kongo noch immer über den drittgrößten Regenwaldbe-stand weltweit. Auf ihrem höhepunkt war die Abholzung unmittelbar nach 1998, als die ära suharto zu Ende ging und der demokratische Transformationsprozess eingeleitet wurde. Im zuge der politischen Dezentralisierung stieg die macht der provinzfürsten, die gemeinsam mit den Land-eigentümern in dem Geschäft mit legalen holzschlagkon-zessionen und illegaler Abholzung eine lukrative Geldquelle ausmachten.7 zwischen 2000 und 2005 wurden auf diese weise 3,5 millionen hektar wald zerstört, insbesondere in sumatra und Kalimantan. In keinem anderen Land der welt wird mehr wald am Tag zerstört als in Indonesien.8

5 | prognosen gehen mittelfristig von einer jährlichen wachstums- rate von über sechs prozent aus. Vgl. helmut hauschild, „Asiens nächste Erfolgsstory‟, Handelsblatt, 22.11.2010, http://handelsblatt.com/politik/konjunktur/laenderanalysen/ indonesien-schreibt-asiens-naechste-erfolgsstory/3645102.html [14.02.2011].6 | cédric Gouverneur, „biosprit aus palmen. Indonesien opfert seine wälder‟, Le monde diplomatique, 11.12.2009, http://monde-diplomatique.de/pm/2009/12/11/a0044.text. name,asks [14.02.2011].7 | Gaby herzog, sungai Luar, „nach dem ‚holzrausch‛ in Kali- mantan‟, Neue Zürcher Zeitung, 21.12.2010, http://nzz.ch/ nachrichten/politik/international/nach_dem_holzrausch_in_ kalimantan_1.8789101 [14.02.2011].8 | harvard Kennedy school, fn. 3, 53.

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In Indonesien finden sich fünf Pro-zent des weltweit existierenden Torf-Moor-Bodens, der in besonders effek-tiver weise cO2 speichert.

bestehende und traditionelle Gesellschaftsstrukturen, öko- nomische Interessen und umweltschutz ringen nun mit den folgen: Das Tropenholz sumatras und Kalimantans ist weitestgehend gefällt, so dass neue, abgelegene provinzen wie insbesondere das nur dünn bevölkerte papua in den fokus der holzwirtschaft geraten. Einzelne bevölkerungs-gruppen betrachten umweltaktivisten und die Jakartaer zentralregierung gleichermaßen als feinde, weil diese um den preis des internationalen Klimaschutzes lokale nutzungsflächen und Einnahmequellen versiegen lassen. Diese innenpolitische Konfliktkonstellation muss um eine internationale Dimension erweitert werden, da die eingangs dargestellten Emissions-werte aus holzschlag und Torflandzerstörung Auswirkungen auf den weltweiten Klima-wandel haben. In Indonesien finden sich fünf prozent des weltweit existierenden Torf-moor-bodens, der in besonders effektiver weise Kohlenstoffdioxid (cO2) speichert. 40 prozent der indonesischen Emissionen sind auf Austrocknung und zerstörung dieses bodens zurück-zuführen. 2006 wurde hierdurch in Indonesien mehr cO2 produziert als Deutschland, das Vereinigte Königreich und Kanada im selben zeitraum gemeinsam emittierten.9

zwIScHEN wAcHSTUMSPOTENTIAL UND REcHTSLÜcKEN

Der Versuch, durch waldrodungen und -brände Landge-winne zu verbuchen, resultiert vor allem aus der stark zunehmenden nachfrage nach palmöl. Dieses findet überwiegend in der nahrungsmittelindustrie Verwendung, wird aber auch zu einer zunehmend wichtigen Quelle für den Energiesektor: Aufgrund seiner besonders effizienten zusammensetzung ist palmöl, trotz konkurrierender pro- dukte wie beispielsweise Raps, der wichtigste biokraftstoff (biodiesel). Indonesien und das nachbarland malaysia haben sich in den vergangenen Jahren zu den größten Anbauländern von ölpalmen entwickelt: Etwa 85 prozent der weltweiten produktion, die gegenwärtig bei etwa 40 millionen Tonnen im Jahr liegt, werden von den beiden südostasiatischen Ländern geliefert. Die indonesi sche Regierung wittert gegenwärtig ihre chance, ihren spitzen-platz weiter auszubauen. nachdem sie die Anbaufläche für

9 | Ebd.

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Das populäre Etikett „Biodiesel‟ darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Ausbau von Palmölplantagen bislang noch negativ auf das weltklima auswirkt.

ölpalmen seit 1998 bereits von drei auf neun millionen hektar verdoppelt hat, sollen bis 2025 auf einer Gesamt-fläche von 26 millionen hektar palmölplantagen entste-hen.10

Das aus westlicher perspektive populäre Etikett „biodiesel‟, verstanden als Alterna-tive zu cO2-intensiven Energieträgern, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der

gegenwärtige Ausbau von palmölplantagen bislang noch negativ auf das weltklima auswirkt. Das ausgestoßene cO2, das erforderlich ist, um eine Infrastruktur für die palmölindustrie zu schaffen, liegt derzeit über den Emissi-onseinsparungen durch biokraftstoffnutzung. Die indone-sische umweltorganisation walhi weist darauf hin, dass es die zentralregierung nicht vermag, Einnahmen aus dem forstsektor zu erzielen, die mit den wachstumszahlen der sich dort niederlassenden branchen korrespondieren. An Genehmigungen, um in primärwäldern bergbau zu betrei- ben, verdiente die Regierung beispielsweise einen bis 2,50 Euro pro 100 Quadratmeter. 70 prozent des holzschlags erfolgt gegenwärtig allerdings illegal.11

Die indonesische Regierung steht in der Verantwortung, Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit auch im politik-feld umwelt und Klima zu gewährleisten.12 Dabei geht es nicht ausschließlich um den Kampf gegen die um sich greifende Korruption,13 sondern insbesondere im umwelt-

10 | In Kalimantan wird die hälfte und in papua ein Viertel der plantagen liegen. Vgl. Gouverneur, fn. 6; marianne Klute, „schall und Rauch. umweltprobleme und umweltpolitik‟, in: Genia findeisen, Kristina Großmann, nicole weydmann (hrsg.), Herausforderungen für Indonesiens Demokratie. Bilanz und Perspektiven, (berlin: regiospectra, 2010), 225.11 | Klute, fn. 10, 225. Indonesische medien berichteten jüngst, dass den bislang 6,3 millionen Euro Einnahmen aus bergbau- konzessionen 540 millionen Euro Verluste gegenüberstehen, die in Korruptionskanäle verschwanden. sie beziehen sich dabei auf Aussagen der umweltorganisation walhi. Vgl. fidelis E. satriastanti, „choosing money Over nature will cost us Dearly: Activists‟, The Jakarta Globe, 13.01.2011, A7.12 | winfried weck, „Korruption und Kollusion. Indonesiens schwere bürden auf dem weg zum demokratischen Rechts- staat‟, KAS-Länderbericht, 14.10.2010, http://kas.de/wf/ doc/kas_20833-1522-1-30.pdf [14.02.2011].13 | freedom house, „freedom in the world – Indonesia 2010‟, http://freedomhouse.org/template.cfm?page=363&year= 2010&country=7841 [14.02.2011].

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Nur 20 Prozent der registrierten Umweltverbrechen wurden 2010 auch strafrechtlich verfolgt. Hierbei handelt es sich nicht um Bagatellstraftaten.

und Klimabereich darum, die wirksamkeit bestehender Rechtsverbindlichkeiten durchzusetzen. Dies wird teilweise durch den 1998 eingeleiteten administrativ-politischen und rechtlichen Dezentralisierungsprozess erschwert. Gemäß dem forstwirtschaftsgesetz in seiner aktuellen fassung (41/1999) bedarf es einer Genehmigung des indonesi-schen forstministeriums, wenn ein unternehmen wälder für wirtschaftliche zwecke nutzen will. zusätzlich können lokale Verwaltungen Lizenzen für kleinere unternehmen ausstellen, sofern zusätzlich eine Genehmigung in Jakarta eingeholt wird. Diese wenig bekannte Regelung wird sicherlich dazu beigetragen haben, dass im Augenblick weniger als acht prozent der im plantagengeschäft und bergbau tätigen unternehmen in der provinz zentralkali-mantan über wirksame Genehmigungen verfügen. zuletzt wurden deswegen forderungen nach einer Verschärfung der Gesetzgebung laut.14

Eine zentralisierung der politischen macht muss dabei aber hand in hand mit dem Durchsetzungswillen der Exekutiven gehen: Die Auswirkungen des Gesetzes für umweltmanage-ment und umweltschutz (32/2009), das dem umweltminis-terium mehr Kompetenzen im Kampf gegen umweltsünder gibt, wurden in einer jüngsten studie als schwach bewertet. nur 20 prozent der registrierten umweltverbrechen wurden 2010 auch strafrechtlich verfolgt. hierbei handelt es sich nicht um bagatellstraftaten, sondern um umweltverschmutzungen, die überschwemmungen und Erdrutsche auslösen und so eine Lebensgefahr für die anwohnende bevölkerung darstellen.15

INDONESIENS BEITRAG zUM KLIMAScHUTz

Als mitglied der G-20 und als mit Abstand größte wirt-schaftsmacht in der AsEAn definiert Indonesien seine Rolle in den internationalen beziehungen als sprecher jener Länder, die sich im prozess der Entwicklung befinden. Die zuletzt geäußerte Kritik, dem außenpolitischen selbst-

14 | 76 von 967 unternehmen verfügen über entsprechende Genehmigungen; in der palmölbranche bewegen sich 67 von 325 unternehmen auf legalem boden. Vgl. Adianto p. simamora, „967 forestry firms under govt scrutiny‟, The Jakarta Post, 02.02.2011, 4.15 | satriastanti, fn. 11, A7.

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Im Vergleich zu Indonesien ziehen Malaysia, Mexiko oder Brasilien einen finanziell größeren Nutzen aus dem klimapolitischen Ablasshandel zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.

anspruch würden keine konkreten Aktionen seitens der Regierung folgen, bestätigt sich bei einer betrachtung des indonesischen Engagements im internationalen umweltre-gime nicht. präsident susilo bambang yudhoyono hat den Klimaschutz zu einem der Kernthemen seiner Regierungs-arbeit gemacht. unter ihm präsentierte sich Indonesien als Gastgeberland wichtiger internationaler Konferenzen, wie der 13. weltklimakonferenz 2007 auf bali und der ersten weltozeankonferenz 2009 auf sulawesi. Im April 2011 ist die hauptstadt Jakarta Gastgeberin des fünften business for Environment-Gipfeltreffens, der weltweit wichtigsten Konferenz zu wirtschaftsorientiertem umweltschutz.16

Als Vorreiter für andere Entwicklungs- und schwellen-länder hat die Regierung eine freiwillige selbstverpflich-tung verkündet, laut derer Indonesien in den nächsten zehn Jahren aus eigener Kraft 26 prozent cO2 einsparen will.17 um aber mit hilfe internationaler unterstützung sogar 41 prozent weniger zu emittieren, wie es der Regie- rungsplan weiter vorsieht, müssen bestehende förder-möglichkeiten stärker genutzt werden. mit dem 1997 entwickelten mechanismus für umweltverträgliche Ent- wicklung (clean Development mechanism, cDm) wurde ein Instrument etabliert, das es den laut Kyoto-protokoll zu Emissionsreduktionen verpflichteten Industriestaaten erlaubt, in form von Investitionen in Entwicklungs- und schwellenländern den eigenen beitrag zum Klimaschutz zu verbessern („cO2-zertifikatshandel‟). Von den 2.803 cDm-projekten, die Entwicklungsländer zentral beim

sekretariat für das Rahmenübereinkommen der Vereinten nationen über Klimaände-rungen (united nations framework conven-tion on climate change, unfccc) registriert haben, stammen lediglich zwei prozent aus Indonesien (56 projekte), während malaysia

(88 projekte), mexiko (125 projekte) oder brasilien (184 projekte) einen finanziell größeren nutzen aus diesem klimapolitischen Ablasshandel zwischen Industrie- und

16 | Das Gipfeltreffen wird von der Indonesischen Regierung, der Regionalkammer des parlaments (DpD) und dem wwf organisiert. Vgl. fidelis E. satriastanti, „chaos Awaits if nothing happens‟, The Jakarta Globe, 10.01.2011, A1.17 | Die marge von 26 prozent nannte präsident yudhoyono erst- mals auf dem G20-Gipfel in pittsburgh. Er bekräftigte dieses ziel noch einmal auf der Kopenhagener weltklimakonferenz.

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In Bali 2007 präsentierte eine Koalition zum Schutz des Tropenwaldes REDD als einen möglichen Rahmen, um Ent- wicklungs- und Schwellenländer beim Schutz ihrer waldbestände zu unter-stützen.

Entwicklungsländern ziehen.18 so prognostiziert auch die indonesische Regierung, dass eine Verfünffachung der bislang registrierten projekte möglich sein sollte.19

REDD: wALDScHUTz öKONOMIScH BETRAcHTET

Dass die Initiative zur Reduzierung der Emissionen aus Entwaldung und waldschädigung (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation, REDD) die bühne des internationalen Klimaschutzes erreicht hat, kann auch auf das indonesische Engagement zurückgeführt werden. während bei cDm der schutz von wäldern nicht berück-sichtigt wird, setzt REDD genau hier an – ein vielverspre-chender Ansatz insbesondere für tropenwaldreiche Länder wie Indonesien.

In seinem bericht über die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels beleuchtet nicholas stern die potentiale, die ein aktiverer schutz natürlicher wälder für die Erderwär-mung hat. 18 prozent der Treibhausgase sind auf Entwal-dung zurückzuführen – ein wert, der laut stern schnell und ohne die notwendigkeit teurer, technologischer Erneu-erungen gesenkt werden kann.20 In Indone-sien, so der nationale Rat für Klimawandel-fragen, soll auf diese weise beispielsweise ein cO2-Rückgang von 22 prozent möglich sein. Auf der weltklimakonferenz in bali 2007 präsentierte eine Koalition zum schutz des Tropenwaldes REDD als einen möglichen Rahmen, um Entwicklungs- und schwellenländer beim schutz ihrer waldbestände zu unterstützen. Kernidee ist es, wälder als cO2-speicherquellen nach ökonomischen Gesichtspunkten zu betrachten. In form finanzieller Aus- gleichszahlungen sollen diese Länder Anreize bekommen, ihre wälder zu erhalten und damit einen beitrag zur

18 | Vgl. unfccc-cDm, „Registered project activities by host party‟, http://cdm.unfccc.int/statistics/Registration/numOf Registeredprojbyhostpartiespiechart.html [14.02.2011].19 | ministry of finance (hrsg.), Ministry of Finance Green Paper: Economic and Fiscal Policy Strategies for Climate Change Mitigation in Indonesia (Jakarta, 2009), 4, http://www.fiskal. depkeu.go.id/webbkf/siaranpers/siaranpdf%5cGreen%20 paper%20final.pdf [14.02.2011].20 | nicholas stern, Stern Review on the Economics of Climate Change (London, 2006), v.a. Kapitel 25 (Reversing Emissions from Land use change), 537-538.

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REDD bietet einen ersten Anhalts-punkt, um über Handlungsanleitung für den Schutz der weltweiten wald-bestände nachzudenken. Bislang gibt es jedoch keine verbindlichen Verein-barungen.

senkung sowie zur bindung des cO2-Ausstoßes zu leisten. Damit sollen mehrausgaben für schutzmaßnahmen kompensiert sowie Einnahmeverluste aufgefangen werden, die die Länder zu verkraften haben, wenn sie waldgebiete nicht in profitable Investitionsflächen verwandeln.21 bila-terale Abkommen zwischen REDD-Geber- und nehmer-ländern sollen auch internationale menschenrechtsins-trumente berücksichtigen. während der Kopenhagener weltklimakonferenz 2009 wurden diese überlegungen fortgesetzt: um Kritikern entgegenzukommen, denen die nachhaltigkeit der REDD-Initiative zu kurz kam, wurden

Ergänzungen vorgenommen und unter der bezeichnung „REDD+‟ zusammengefasst. Das „plus‟ steht hier für die Erweiterung um faktoren wie naturschutz, nachhaltige wald-wirtschaft und wiederaufforstung.22

Der von REDD skizzierte Rahmen bietet einen ersten Anhaltspunkt, um über eine klimapolitisch und ökono-misch sinnvolle handlungsanleitung für den schutz der weltweiten waldbestände nachzudenken. bislang gibt es keine verbindlichen Vereinbarungen, die als „REDD-Regel-werk‟ bezeichnet werden können. zwar haben die teilneh-menden Delegationen der letzten weltklimakonferenz im mexikanischen cancún die REDD-Initiative gelobt,23 so dass ihre Einbindung in ein völkerrechtlich verbindliches Kyoto-nachfolgeprotokoll wahrscheinlicher wird. Doch solange dies nicht der fall ist, liegt der Erfolg von REDD in den händen jener staaten, die bilaterale Vereinbarungen aushandeln und damit präzedenzfälle für den nachhaltigen schutz des waldes schaffen.

GRÜNES LIcHT FÜR REDD IN INDONESIEN

Gemessen an dem weltweiten finanzvolumen von etwa 3,3 milliarden Euro,24 resultierend aus bi- und multilateralen

21 | wwf Deutschland, „politische maßnahmen: REDD. Industrie- länder finanzieren stopp der tropischen Entwaldung, um Emissionen zu verringern‟, http://wwf.de/themen/kampagnen/ waelder-indonesiens/rettungsplan/redd [14.02.2011].22 | marianne Klute, „Die Geheimsprache der Klimapolitiker‟, Suara, 3 (2010), 20-22.23 | J. Jackson Ewing und Irene A. Kuntioro, „cancún, shifting goals of climate talks‟, The Jakarta Post, 27.12.2010, 7.24 | Keya Acharya, „Top leaders see the green in REDD+‟, The Jakarta Post, 3.

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REDD-Abkommen, nimmt Indonesien einen spitzenplatz unter den nehmerländern ein. Die derzeit 40 existierenden REDD-projekte werden vor allem von drei finanzkanälen gespeist.25 Auf multilateraler Ebene durch die Teilnahme an der REDD-pilotphase der Vereinten nationen26 und auf bilateraler Ebene durch Abkommen der indonesischen Regierung mit Australien und norwegen.

Die Ankündigungen der australischen Regierung aus dem vergangenen Jahr, weitere 55 millionen Euro der indonesi-schen Regierung für Emissionsreduzierungs-maßnahmen zur Verfügung zu stellen,27 ste-hen allerdings immer noch im schatten des norwegischen Engagements: Eine milliarde us-Dollar (etwa 740 millionen Euro) wollen die skandinavier in den nächsten sieben bis acht Jahren der indonesischen Regierung zur Verfügung stellen, wenn diese Treibhausgase nachweisbar durch den Erhalt von waldbeständen senken kann. Ein qualitativer unterschied zwischen dem Vorgehen Australiens und norwegens besteht in der ökologischen selbstverantwor-tung beider Länder. Die australische Regierung interpretiert REDD als Klimahandelsinstrument à la cDm – die indo-nesische cO2-Reduktion wird nämlich auf das australische Emissionskonto gebucht. Dagegen wollen sich die skan-dinavier in keiner weise von der eigenen Verantwortung freikaufen, oder in den worten einer norwegischen Diplo-matin: „wir helfen Indonesien, ohne die eigenen hausauf-gaben zu vergessen.‟28

25 | David Gogarty und Olivia Rondonuwu, „Indonesia chooses climate pact pilot province‟, Reuters, 30.12.2010, http://reuters.com/article/2010/12/30/us-indonesia-climate- idusTRE6bT0np20101230 [14.02.2011].26 | zu den REDD-pilotländern zählen bolivien, die Demokratische Republik Kongo, Indonesien, panama, papua-neuguinea, paraguay, sambia, Tansania und Vietnam. zur indonesischen REDD-pilotprovinz wurde im Oktober 2010 zentralsulawesi gekürt. Vgl. „un-REDD lauds c.sulawesi’s active support for forests‟, The Jakarta Post, 22.01.2011, http://thejakarta post.com/news/2011/01/22/unredd-lauds-c-sulawesi’s-active- support-forests.html [14.02.2011].27 | neilson, fn. 3; fidelis E. satriastanti, „Indonesia sees small Victories At cancún Talks‟, The Jakarta Globe, 11./12.12.2010, 6.28 | Interview des Autors mit Diplomaten der norwegischen botschaft, Jakarta, 21.01.2011.

Eine Milliarde US-Dollar will Norwegen der indonesischen Regierung zur Ver-fügung stellen, wenn diese Treibhaus-gase nachweisbar durch den Erhalt von waldbeständen senken kann.

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Am sensibelsten erscheint die Ver-pflichtung Indonesiens, während eines zeitraums von zwei Jahren keine neuen Konzessionen für Torf- und natürliche waldgebiete zu vergeben.

REDD-PLUS-FAHRPLAN VON INDONESIEN UND NORwEGEN IN KRITIScHER PHASE

Im mai 2010 haben sich die Regierungen norwegens und Indonesiens auf einen dreistufigen plan verständigt, um den indonesischen wald zu schützen. Diese Absichtserklä-rung (Letter of Intent) befindet sich nun in der umset-zung.29 In der ersten phase soll ein institutioneller und inhaltlicher Rahmen für die künftige Arbeit der indonesi-schen Regierung geschaffen werden: neben einer zu entwi-ckelnden REDD plus-strategie bedarf es einer Regierungs-agentur, die dem präsidenten direkt unterstellt ist und die weiteren REDD-maßnahmen koordiniert. weitere Aufgaben bestehen in der Gründung einer unabhängigen Institution zur fortschrittsüberprüfung (monitoring, Reporting, Veri-fication, mRV) und in der benennung einer pilotprovinz. Die zweite phase umfasst die schaffung verbindlicher und

die stärkung bestehender Rechtsgrundlagen sowie befähigungsmaßnahmen (Capacity-building). zudem muss ein finanzierungs-instrument entwickelt werden, durch das die zahlungen der norwegischen Regierung fließen. Am sensibelsten erscheint gegen-

wärtig aber die Verpflichtung Indonesiens, während eines zeitraums von zwei Jahren keine neuen Konzessionen für Torf- und natürliche waldgebiete zu vergeben. während norwegen Indonesien in den ersten beiden phasen für die Einleitung und umsetzung politischer Reformen finanziell belohnt, fließen weitaus höhere summen ab 2014, wenn die dritte phase eingeleitet werden soll und die zahlungen auf Grundlage von Emissionsrückgängen berechnet werden.30 22 millionen Euro hat die norwegische Regierung bereits vor dem Erreichen erster ziele an die Indonesier ausgezahlt.

29 | Der Letter of Intent wurde am 26.05.2010 in Oslo von beiden Regierungen unterzeichnet. Er trägt den Titel „cooperation on reducing greenhouse gas emissions from deforestation and forest degradation‟.30 | Emissionsrundgänge werden im sinne des „contributions-for- verified emissions reductions mechanism‟ berechnet. zur Darstellung der drei phasen: Vgl. „Letter of Intent between the Government of the Kingdom of norway and the Govern- ment of the Republic of Indonesia on ‚cooperation on reducing greenhouse gas emissions from deforestation and forest degradation‛‟, http://norway.or.id/pagefiles/404362/Letter_ of_Intent_norway_Indonesia_26_may_2010.pdf [14.02.2011].

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Ende Dezember stand zentralkaliman-tan als Pilotprovinz des Abkommens fest. Der Entscheidung war ein trans-parenter Auswahlprozess vorausge-gangen.

Eine Arbeitsgruppe ist derzeit damit beauftragt, die dem präsidenten unterstellte REDD-Agentur zu institutionali-sieren.31 um ihre selbstverbindlichkeit zu unterstreichen, hat die Regierung personen zur Teilnahme an der Arbeitsgruppe eingeladen, die in der öffentlichkeit hohes Ansehen genießen und als Experten bekannt sind.32 Ende Dezember stand schließlich zentralkalimantan als pilot-provinz des Abkommens fest. Der Entschei-dung war ein transparenter Auswahlprozess vorausge-gangen. unter den 33 indonesischen provinzen verursacht zentralkalimantan die zweitmeisten Treibhausgase. Eine millionen hektar palmölplantagen und ein schnell wach-sender Kohlebergbau unterstreichen die bedeutung der provinz für den nationalen Klimaschutz.33 Indonesische umweltorganisationen zeigten sich mit dem Auswahlpro-zess und seinem Ergebnis zufrieden, weil davon auszu-gehen ist, dass man angesichts des Konfliktpotentials in zentralkalimantan – palmöl- und bergbauunternehmen einerseits, umwelt- und Klimaschutz andererseits – hilf-reiche Lektionen für die künftige Ausweitung des REDD plus-modells sammeln wird.34 Die notwendige politische stabilität vor Ort, ein wichtiges Auswahlkriterium für die indonesische seite35, war ebenfalls in zentralkalimantan am besten gegeben. Die finale Konkurrenz, die provinz papua, hatte das nachsehen. Aufgrund politischer und gesellschaftlicher spannungen sowie schwacher administ-rativer strukturen in dieser östlichsten provinz Indonesiens hatte die zentralregierung in Jakarta Vorbehalte geäußert.

BEwäHRUNGSPROBEN: REDD PLUS IN DER UMSETzUNG

Kritische Töne begleiten das Ringen um das eingeforderte zweijahresmoratorium zum schutz der primärwälder sowie der sumpf- und Torfgebiete. Auf dem schreibtisch von präsident yudhoyono liegen im Augenblick zwei Entwürfe

31 | fitrian Ardiansyah und Aditya bayunanda, „A critical year for REDD in Indonesia‟, The Jakarta Post, 10.01.2011, 7.32 | fn. 28.33 | Gogarty und Rondonuwu, fn. 25.34 | Interview des Autors mit nyoman Iswarayoga, Direktor für Klima und Energie, wwf Indonesia, Jakarta, 10.01.2011.35 | fn. 28.

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Die reiche Biodiversität befindet sich in den Tieflandwäldern, die der Vor-schlag nicht schützen würde. Schon im November 2010 zog das Forstminis-terium die wut von Umweltschützern und wissenschaftlern auf sich.

von konkurrierenden Akteuren:36 Die REDD-Arbeitsgruppe unter ihrem Leiter Kuntoro mangkusubroto setzt sich für einen umfassenden schutz ein, der alle primärwälder sowie sämtliche moor- und Torfgebiete einschließt. Das forstministerium nimmt in der Debatte die position der wirtschaft ein und argumentiert, dass ein zu umfassender schutz von wäldern die ökonomische Entwicklung des Landes beeinträchtigen würde. folglich umfasst der minis-terialentwurf für das moratorium lediglich den schutz des primärwaldes und von moorgebieten. umweltaktivisten bemängelten bereits zuvor, dass dies nicht weit genug ginge: nur den primärwald durch ein moratorium zu

schützen, so die Kritik, würde lediglich drei prozent des indonesischen waldbestandes vor dessen ökonomisierung bewahren.37 Die reiche biodiversität befindet sich allerdings in den Tieflandwäldern, die der Vorschlag des ministeriums nicht schützen würde. schon im november 2010 zog das forstministerium die

wut von umweltschützern und wissenschaftlern auf sich, als bekannt wurde, dass es rechtzeitig vor dem möglichen Inkrafttreten des moratoriums 41 millionen hektar wald zu sondergebieten (special forest areas) deklarierte, um sie dem markt weiterhin für Konzessionen zur Verfügung zu stellen.38

Dass ein entsprechendes moratorium nicht, wie ursprüng-lich geplant, zum 1. Januar 2011 in Kraft treten konnte, verzögert die umsetzung des „ambitionierten zeitplans‟ schon in der Anfangsphase.39 Der Druck auf yudhoyono, der das moratorium in form eines präsidialerlasses zu

36 | Adianto p. simamora, „sby still pondering planned forest moratorium‟, The Jakarta Post, http://thejakartapost.com/ news/2011/02/07/sby-still-pondering-planned-forest- moratorium.html [14.02.2011].37 | Kritik von but nordin, Direktor der nichregierungsorganisation save Our borneo, in: fidelis E. satriastanti, „moratorium won’t save Indonesia’s forests: Activists‟, The Jakarta Globe, 07.01.2011, A6.38 | Ein offener brief von wissenschaftlern an die Regierungen norwegens und Indonesiens (18.11.2010) kann nachgelesen werden auf http://redd-monitor.org/2010/12/01/scientists- letter-to-norway-and-indonesia-natural-forests-even-when- not-in-their-primary-state-may-have-high-conservation-value [14.02.2011].39 | fn. 28.

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Schon vor ihrem Abflug nach cancún unterstrich die indonesische Delega- tion, dass man gegebenenfalls in zu- kunft auf bilaterale Abkommen setzen würde.

genehmigen hat, erhöhte sich zuletzt zusehends.40 Gleich-zeitig richten sich die blicke aber schon auf die nächsten, nicht weniger heiklen herausforderungen, wie beispiels-weise die Ausgestaltung der fortschrittsüberprüfung zum cO2-Rückgang.

KONFLIKTE – RISIKEN – VERANTwORTUNGEN: DIE OFFENEN FRAGEN

bislang scheint Indonesien davon überzeugt zu sein, von REDD ökonomisch und ökologisch zu profitieren. Dass in cancún 2010 kein verbindliches Rahmenab-kommen für ein Kyoto-nachfolgeprotokoll zustande gekommen ist, löste in Indonesien jedenfalls keine große Irritation aus. schon vor ihrem Abflug nach mexiko unterstrich die indonesische Delegation, dass man gegebe-nenfalls in zukunft auf bilaterale Abkommen setzen würde.41 Diese position korrespondiert zwar mit der forderung von umweltorganisationen, REDD müsse auch unabhängig von internationalen Rahmenverträgen funktionieren – und nötigenfalls auch in der post-Kyoto-phase bei fehlendem nachfolgeabkommen.42 Aber wäre damit auch ein beitrag zum internationalen Klima- und umweltschutz geleistet? Eine stärkung des nationalstaatlichen Verhandlungspri-mats würde jedenfalls die koordinierende und verein-heitlichende funktion von weltkonferenzen langfristig schwächen und schlimmstenfalls sogar obsolet machen. Ob das norwegisch-indonesische REDD-Abkommen aber modellcharakter für bilateral ausgehandelte Klima- und waldschutzprogramme hat, bleibt angesichts einer Reihe aufzuzeigender Konfliktmuster offen.

40 | fidelis E. satriastanti, „nGOs Appeal To Govt to Enact Logging moratorium‟, The Jakarta Globe, 08.02.2011, http://thejakartaglobe.com/nvironment/ngos-appeal-to-govt- to-enact-logging-moratorium/421320 [14.02.2011]. bei fertigstellung des manuskripts lag eine Entscheidung des präsidenten noch nicht vor. über den aktuellen stand infor- miert beispielsweise http://redd-monitor.org.41 | JG/Agenturen, „Indonesia Took home a Little money, but cancun had Little to shout About‟, The Jakarta Globe, 13.12.2010, A1.42 | fn. 34.

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Die Nutzung von Biodiesel, dessen Her- stellung auf Palmöl basiert, kann gegen- wärtig noch nicht den cO2-wert kom-pensieren, der durch Entwaldung für ölpalmplantagen freigesetzt wird.

1. ökonomisch-ökologisches Konfliktmuster

Aus ökologischer perspektive stellt sich die frage, wie umfassend der schutz des waldes von den Vertragspar-teien interpretiert wird. beispielsweise besteht die Gefahr, dass im Rahmen von Aufforstungsprogrammen keine sekundärwälder, sondern tendenziell mehr monokulturen in form von holzplantagen zu wirtschaftlichen zwecken entstehen.43 Dass ökonomische Entwicklungsforderungen nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben können, erkennen umweltorganisationen in Indonesien an: so schlägt wwf Indonesien vor, dass der privatsektor ebenfalls von den norwegischen REDD-zahlungen profitieren muss, sollte absehbar sein, dass er sich nicht mehr unter normalen bedingungen entwickeln kann.44

Allerdings steht insbesondere die palmölindustrie in der pflicht, in forschung, Effizienz und Innovation zu inves-tieren. zwar ist das Land marktführer im palmölgeschäft, doch gelingt es den unternehmen in Indonesien nicht, in gleicher weise produktiv zu sein wie die Konkurrenz aus malaysia, wo pro hektar ölpalmen ein größerer profit erwirt-schaftet wird.45 Die Regierung war bislang nicht im stande, ein investitionsfreundliches Klima zu schaffen, denn verar-beitende Industrien für die reichhaltigen Roherze, die in

Indonesien gefördert werden, sind weiterhin mangelware. Auch der westen steht in der Verantwortung, eine ökologisch und ökono-misch gerechte position in der palmöldebatte zu beziehen: Die nutzung von biodiesel, dessen herstellung auf palmöl basiert, kann

gegenwärtig noch nicht den cO2-wert kompensieren, der durch Entwaldung für ölpalmplantagen freigesetzt wird.

2. Politisch-gesellschaftliche Konfliktmuster

Die berücksichtigung gesellschaftlicher (partikular-) Inte-ressen stellt eine weitere herausforderung dar, die die

43 | frank priess, „wer nichts erwartet, ist mit wenig zufrieden. Klimagipfel in cancún scheitert nicht, aber reicht der Erfolg?‟ KAS-Auslandsinformationen, 2/2011, 91.44 | fn. 34.45 | bislang werden in Indonesien nur auf einem Drittel der für diesen zweck zur Verfügung gestellten flächen auch tatsäch- lich ölpalmen angebaut. Vgl. fn. 28.

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In den vergangenen zwei Jahren ha- ben Konflikte mit religiösem oder Stam- meshintergrund nicht zugenommen, während solche um natürliche Res-sourcen an Bedeutung gewonnen ha- ben.

REDD-Verantwortlichen in Indonesien schon jetzt mitbe-denken müssen. Das indonesische peace building Institute kommt in seiner jüngsten studie zu dem Er- gebnis, dass in den vergangenen zwei Jahren Konflikte mit religiösem oder stammeshin-tergrund nicht zugenommen haben, während solche um natürliche Ressourcen signifikant an bedeutung gewonnen haben.46 Regelmäßig kommt es zu Konflikten zwischen palmölunter- nehmern und der lokalen bevölkerung, die sich weigert, im Dienste der nationalen Entwicklung ihr Land abzutreten. zudem nehmen zentrum-peripherie-Konflikte in jenen provinzen zu, wo es der Regierung nicht gelingt, nationale politikstrategien mit den bedürfnissen der menschen vor Ort in Einklang zu bringen.

wichtig für die REDD-beteiligten ist daher ein umfassender Ansatz, der von Kommunikation mit allen betroffenen lebt und Verantwortlichkeiten auf möglichst viele schul-tern verteilt. Verbindlichkeiten dürfen nicht gegenüber Vertragsparteien wie den norwegern oder Australiern erwachsen, sondern müssen auf dem Verantwortungs-bewusstsein gegenüber der Gesellschaft gründen.47 In einem Land wie Indonesien, wo 48 millionen Einwohner in wäldern leben (und folglich von Entscheidungen des plantagen- und minensektors betroffen sein können), ist das Konfliktpotential entsprechend groß. zudem sind indi-gene minderheiten in Entwicklungs- und schwellenländern oftmals nur unzureichend in Landnutzungsprozesse inte-griert und werden so zu Opfern von Entscheidungen, die anderenorts gefällt werden.48

Das prinzip der „freien, rechtzeitigen und informierten zustimmung‟ (free, prior and Informed consent, fpIc) kann als wichtiger beitrag zu einer Verständigung zwischen

46 | Das peace building Institute untersuchte für die studie die berichterstattung in lokalen medien. 2009 berichteten die medien von 54 Konflikten mit einem bezug zu natürlichen Ressourcen. 2010 waren es 74. Tifa Asrianti, „swelling mining, plantation lead to conflicts, damages‟, The Jakarta Post, 13.01.2011, 4.47 | „Indonesien muss deutlich machen, dass die Regierung nicht das macht, was norwegen vorschreibt, sondern selbstständi- ges handeln vermitteln‟, so nyoman Iswarayoga, Direktor für Klima und Energie, wwf Indonesia; fn. 34.48 | priess, fn. 43, 91.

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den beteiligten politischen, wirtschaftlichen und gesell-schaftlichen Gruppen angesehen werden: Es besagt, dass eine Gemeinschaft über projekte mitentscheiden kann, wenn daraus Konsequenzen für Landbesitz und -nutzung resultieren.49 Auch die Vereinten nationen argumentieren, dass das „Recht auf Entwicklung‟ alle Rechte umfasst, auch die der Indigenen.50 In der weiterentwickelten REDD plus-Idee wird daher auch das fpIc-prinzip aufgegriffen. norwegen hat großes Interesse an einer Einbeziehung aller relevanten Akteure zum Ausdruck gebracht und zeigt sich entsprechend zufrieden mit der bisherigen umsetzung des „mehrparteienprozesses‟ (Multi-Stakeholders-Process).51

3. Anforderungen an die Politik

Die Debatte um den präsidialerlass für das zweijährige moratorium zeigt: Ohne verbindliche Regeln und deren Durchsetzung ist umweltschutz wirkungslos. wie sonst

sollen jene, die illegal wälder fällen, zur Rechenschaft gezogen werden oder indigene bevölkerungsgruppen ihre besitzansprüche geltend machen? parallel zu den erforder-lichen Rechtsmitteln bedarf es eines paradig-

menwechsels in den Köpfen der Verantwortlichen. Die indonesische wirtschaft, die bislang dem credo folgte, bäume aus Gewinnstreben zu fällen, muss den schutz und die Verwaltung der baumbestände zur neuen lukrativen Leitidee machen.52

Indonesien wird nur dann finanziell von dem Abkommen mit norwegen profitieren, wenn die politischen Instituti-onen und Agenturen auf nationaler und lokaler Ebene trans-parent und verantwortlich agieren sowie rechtsstaatlichen

49 | Vgl. united nations Declaration on the Rights of Indigenous peoples, Artikel 10, http://un.org/esa/socdev/unpfii/en/drip [14.02.2011].50 | un-REDD-programme (hrsg.), Perspectives on REDD+, (Genf, 2010), 4 ff.51 | Dieser prozess bringt die indonesische Regierung und Vertreter aus zivilgesellschaft und lokalen Gemeinden zusammen, z.b. in form von workshops, um eine regelmäßige plattform zum Gedankenaustausch zu bieten. fn. 28.52 | so die forderung von Kuntoro magkusubroto, Leiter der indonesischen REDD plus-Arbeitsgruppe. Vgl. Keya Acharya, „Top leaders see the green in REDD+‟, The Jakarta Post, 3.

Parallel zu den erforderlichen Rechts-mitteln bedarf es eines Paradigmen-wechsels in den Köpfen der Verant-wortlichen.

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wichtige Entscheidungen liegen dezen-tral in der Verantwortung von lokalen Entscheidungsträgern. Um waldgebiete vor der Planierraupe zu bewahren, bedarf es eines Pakts zwischen lokalen und nationalen Institutionen.

prinzipien folge leisten.53 nicht grundlos stehen politische Reformen sowie die Verabschiedung neuer und die stär-kung bestehender Rechtsverpflichtungen am beginn des norwegisch-indonesischen fahrplans.

Der 1998 initiierte Transformationsprozess (Reformasi), um die ehemalige Diktatur in eine Demokratie zu über-führen, steht damit in der Verantwortung, in allen politik-feldern und auf allen Entscheidungsebenen gleichermaßen demokratische und rechts-staatliche Reformen einzuleiten und bereits verabschiedete Gesetze auf ihre wirksamkeit hin zu überprüfen. so tangiert auch der poli-tische und administrative Dezentralisierungs-prozess der vergangenen Jahre den Effekti-vitätsgrad von umweltschutz: wichtige Entscheidungen bei der Landnutzung und dem waldmanagement liegen dezentral in der Verantwortung von lokalen Entscheidungs-trägern.54 um aber waldgebiete vor der planierraupe zu bewahren, bedarf es eines pakts zwischen lokalen und nationalen Institutionen, der auch eine finanzielle beteili-gung der provinzen an den nationalen (REDD-)Konditions-zahlungen aus dem Ausland vorsehen muss.

In Entwicklungs- und schwellenländern stellt sich außer- dem die frage nach den geografischen Grenzen politi-scher herrschaft: Gebiete, in denen die Regierung eines Landes angesichts konkurrierender Akteure nur schwache macht hat, stellen eine zusätzliche herausforderung für die Durchsetzung von Entscheidungen dar.55 Das indone-sische umweltministerium wird 2011 präventionskampag- nen durchführen, um über die folgen von waldbränden aufzuklären. zudem ist geplant, dass mittels neuer Regu-lierungen das bestehende Gesetz zum schutz und manage-ment der umwelt (von 2009) und das Abwassergesetz (von 2008) gestärkt werden.56 Damit wird zumindest aus umweltpolitischer perspektive das problem der begrenzten staatsmacht angegangen.

53 | harvard Kennedy school, fn. 3.54 | ministry of finance, fn. 19, 12.55 | priess, fn. 43, 91.56 | fidelis E. satriastanti, „Indonesia Eyes spot on Green climate fund committee‟, The Jakarta Globe, 06.01.2011, A7.

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Die weltgemeinschaft steht in der Ver- antwortung, Staaten in ihrem Beitrag zum Klimaschutz zu stärken. Im Falle Indonesiens heißt das auch, ökolo-gisch attraktive wachstumsmärkte zu fördern.

FAzIT

Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Entwicklung werden von norwegischer und indonesischer seite als übergeordnete ziele der REDD plus-Absichtserklärung definiert. sie steht damit in der Tradition der Resolution der Vereinten nationen zum „Recht auf Entwicklung‟. wollen die Industriestaaten Entwicklungs- und schwellenländer als partner im Kampf gegen den Klimawandel gewinnen, müssen Anreize geschaffen werden, die die Klimaprog-nosen der wissenschaft und die wohlstandsforderungen der südlichen hemisphäre gerecht zu verbinden wissen. Der in cancún beschlossene grüne Klimafonds (Green climate fund, Gcf), der Entwicklungs- und schwellenländern dabei helfen soll, die folgen des Klimawandels zu verkraften, kann ein wichtiger schritt in die richtige Richtung sein.57 Die abschließende Institutionalisierung des Gcf soll im südafrikanischen Durban erfolgen, wo im Dezember 2011 die nächste weltklimakonferenz stattfinden wird.

Dass sich mit Eigeninitiative und Engagement mehr als nur Anpassungs- und Kompensationszahlungen verdienen lassen, wird die indonesische Regierung in den kommenden

Jahren unter beweis stellen können. Gelingt dies, werden möglicherweise andere Ent- wicklungs- und schwellenländer ebenfalls mehr Engagement für umwelt- und Klima-schutz aufbringen. Dieser prozess bedarf aufmerksamer internationaler und innenpo-

litischer beobachtung. Die weltgemeinschaft steht in der Verantwortung, staaten in ihrem beitrag zum Klimaschutz zu stärken. Im falle Indonesiens heißt das auch, ökologisch attraktive wachstumsmärkte zu fördern. Angesichts demo-graphischer Entwicklungen steht Indonesien gegenwärtig vor der herausforderung, eine jährlich wachsende Ener-gienachfrage von sieben bis neun prozent zu sättigen.58 Kohlekraftwerke stellen aus indonesischer sicht immer noch die günstigste Energiequelle dar, obwohl der Inselar-chipel über 40 prozent der weltweit verfügbaren Geother-malenergie verfügt, eine ökologisch wertvolle form der

57 | Von 2010 bis 2012 sollen 30 milliarden us-Dollar in den Gcf fließen, bis 2020 sind weitere 100 milliarden us-Dollar geplant. Vgl. Ewing und Kuntioro, fn. 23, 7.58 | ministry of finance, fn. 19, 5.

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Umweltverbände fordern öffentlich we- niger internationale Profilierung und mehr innenpolitische Reformen und kritisieren damit vor allem Indonesi-ens Streben nach einem Sitz im GcF-Kontrollrat.

stromerzeugung. hier liegt Indonesien noch hinter seinen potentialen zurück. bis 2025 sollen allerdings nicht mehr acht, sondern 20 prozent strom durch Geothermie erzeugt werden.59 wissens- und forschungstransfer kann beispielsweise dazu beitragen, die nutzung von Geother-mieenergie kostengünstiger zu gestalten, so dass neue cO2-intensive Kohlekraftwerke keine Alternative mehr darstellen. Eine weitere unzureichend genutzte Einnahme-quelle stellen aus indonesischer sicht cDm-projekte dar. unklar ist allerdings, wie die Regierung fünfmal mehr cDm-projekte reali- sieren will.60 Innenpolitisch sieht sie sich verstärkt der Kritik heimischer umweltver-bände ausgesetzt. Diese fordern öffentlich weniger internationale profilierung und mehr innenpolitische Reformen und kritisieren damit vor allem Indonesiens streben nach einem sitz im Gcf-Kontrollrat.61 Ein Aktionsplan, der beschreibt, wie die Regierung in den nächsten Jahren die Treibhausgasemissionen um 26 bis 41 prozent senken will, hat aus ihrer sicht jedenfalls priorität.

Der Vorstoß von präsident yudhoyono, auf freiwilliger basis Emissionen einzusparen, wirkt angesichts der nachzuho-lenden und fortzusetzenden Rechtsreformen überaus ambi-tioniert. Einen Erfolg wird er aber nur verbuchen können, wenn der Absichtserklärung mit norwegen ein Gesell-schaftsvertrag mit den zentralen Akteuren aus politik, wirt-schaft, umweltverbänden und indigenen bevölkerungs-gruppen folgt. Erst wenn die Regierung damit reüssiert, wird sie ihrem selbstverständnis als starkes schwellenland (nicht nur in G-20 und in AsEAn) mit führungsambitionen und Vorzeigecharakter gerecht werden.

59 | nieke Indrietta, „suspended Ambition‟, TEMPO, 25.01.2011, 49.60 | ministry of finance, fn. 19, 4.61 | fn. 34.

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In den medien wird china häufig als „bremser‟ in den inter-nationalen Klimaverhandlungen dargestellt. westliche poli-tiker versuchen immer wieder, peking für den mangelnden fortschritt beim Klimaschutz verantwortlich zu machen. china ist zwar der weltweit größte Verursacher von Treib-hausgasen und bislang nicht bereit, verbindliche absolute Reduktionsziele zu akzeptieren. was in den internationalen Debatten allerdings nicht hinreichend anerkannt wird, ist die Tatsache, dass china eine durchaus ambitionierte Klimapolitik auf nationaler Ebene verfolgt. china investiert milliarden in die förderung alternativer Energiequellen sowie in die steigerung der Energieeffizienz und kann dabei bereits beachtliche Erfolge verzeichnen. Anstatt die Volks-republik zum sündenbock zu machen, sollte der westen sie vielmehr durch beratung und Technologietransfer beim umbau ihrer wirtschaft in Richtung nachhaltigkeit und Ressourcenschutz unterstützen.

FAKTEN UND PROGNOSEN

china gehört zu den Ländern, die weltweit am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Laut schätzungen könnte der durchschnittliche Temperaturanstieg bis 2020 im Vergleich zum zeitraum 1961 bis 1990 1,1 bis zwei Grad betragen. zu den gravierenden folgen gehören Dürren und der Rück-gang der niederschläge in nordchina sowie überschwem-mungen aufgrund verstärkter niederschläge in südchina, die wiederum einen starken Rückgang der nahrungsmit-telproduktion zur folge haben könnten. bis 2030 wird ein

DIE KLIMAPOLITIK DER VOLKSREPUBLIK cHINA – GRUNDLAGE FÜR EIN NAcH-HALTIGES wAcHSTUM?

Andreas Dittrich

Andreas Dittrich ist wissenschaftlicher mitarbeiter der Konrad-Adenauer-stiftung in shanghai.

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Es wird geschätzt, dass der weltweite Anstieg von cO2-Emissionen zwischen 1990 und 2007 zu 48,5 Prozent china zugerechnet werden kann.

Rückgang von fünf bis zehn prozent prognostiziert, und die produktion von Reis, mais und weizen wird in der zweiten hälfte des Jahrhunderts um schätzungsweise 37 prozent sinken, sofern keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.1 Von extremen wetterbedingungen sind bereits jetzt jähr-lich 200 bis 400 millionen chinesen betroffen, und pro Jahr fallen ca. zehn millionen bauern aufgrund von extremen wetterereignissen unter die Armutsgrenze.2

Die Gletscher auf dem Qinghai-plateau schmelzen weiter ab und die permafrostböden in Tibet werden dünner. bei den Gletschern in china ist bereits ein Rückgang um 21 prozent zu verzeichnen, und die permafrostböden sind in den vergangenen 50 Jahren um vier bis fünf meter dünner geworden. Kurzfristig hat dies überschwemmungen und langfristig eine Verknappung der wasserressourcen zur folge. Aufgrund des Anstiegs des meeresspiegels sind Küstenregionen in china, einschließlich des yangtse-Deltas und shanghais, von überschwemmungen bedroht. zudem sind das Aussterben einiger Tier- und pflanzenarten und ein erheblicher Rückgang der biodiversität zu befürchten.3

china trägt aufgrund seines hohen wirtschaftswachstums, das bislang noch in hohem umfang auf energieintensiver produktion basiert, in zunehmendem maße zum globalen Klimawandel bei. Es wird geschätzt, dass china bereits seit 2007 der größte Emittent von cO² ist und der weltweite Anstieg von cO²-Emissionen zwischen 1990 und 2007 zu 48,5 prozent der Volksrepublik zugerechnet werden kann.4 Da der Anteil von Kohle am primärenergieverbrauch bei über 70 prozent liegt, ist es für china besonders schwierig, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Der chinesische Anteil

1 | Vgl. Lin Erda et al., Synopsis of China National Climate Change Assessment Report (II) – Climate Change Impacts and Adap- tion, 2007, 4, http://law.berkeley.edu/centers/envirolaw/ capandtrade/Lin%20Erda%202-5-07.pdf [04.01.2010].2 | Vgl. Thomas heberer und Anja D. senz, Regionalexpertise – Destabilisierungs- und Konfliktpotential prognostizierter Umweltveränderungen in China bis 2020/2050, 2007, 3-4.3 | Vgl. national Development and Reform commission (nDRc), China’s National Climate Change Programme, 2007, 17.4 | Vgl. Andreas Oberheitmann und Eva sternfeld, „climate change in china – The Development of china’s climate policy and its Integration into a new post-Kyoto climate Regime‟, Journal of Current Chinese Affairs, 3/2009, 137.

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china argumentiert, die Industrielän- der trügen eine historische Verantwor-tung für den Treibhauseffekt, und beruft sich auf das Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung‟.

an den globalen cO²-Emissionen lag 2008 bei 19 prozent und wird 2030 voraussichtlich bei 27 prozent liegen. um den weltweiten Temperaturanstieg bis 2100 auf unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen zeitalter zu begrenzen – ein wert, der laut dem International panel on climate change (Ipcc) notwendig ist, um die folgen des Klimawandels auf einem erträglichen niveau zu halten – ist deshalb eine aktive beteiligung pekings unabdingbar.5

beim Ausstoß pro Kopf liegt china immer noch weit hinter den usA und Europa, weshalb sich peking bei den inter-

nationalen Klimaverhandlungen gegen ein verpflichtendes absolutes Reduktionsziel aus- spricht. china argumentiert, die Industrie-länder trügen eine historische Verantwortung für den Treibhauseffekt und sollten dieser durch ehrgeizige Reduktionsziele Rechnung

tragen. Dabei beruft sich peking auf das prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung‟, das in der united nations framework convention on climate change (unfccc) festgeschrieben wurde. china hat das Kyoto-protokoll 1998 unterzeichnet und 2002 ratifiziert, gehört jedoch zu den Annex II-staaten, für die sich aus dem beitritt keine Verpflichtungen zur Reduktion ihrer Emissionen ergeben. china konnte allerdings vom Kyoto-protokoll profitieren, da es Annex I-staaten die möglichkeit eröffnete, durch projekte zur cO²-Reduktion in Annex II-Ländern im Rahmen des clean Development mechanisms (cDm), die eigene cO²-bilanz zu verbessern. bis 2008 wurden über 1.500 cDm-maßnahmen in china genehmigt. Die Volksrepublik ist mit einem Anteil von 34 prozent mit Abstand der wichtigste zielort für solche projekte.6 bei den Verhandlungen über ein nachfolgeab-kommen für Kyoto, das 2012 ausläuft, verfolgt peking das ziel, dieses zu verlängern, ohne dass sich etwas an der unterscheidung ändert zwischen Annex I-staaten, für die bindende absolute Reduktionsziele gelten, und den schwellen- und Entwicklungsländern, die sich höchs-tens freiwillig verpflichten können. In positionspapieren, die china im februar und mai 2009 an das sekretariat der unfccc versendet hat, wird eine Verringerung des

5 | Vgl. cheng Qian, Ein Portrait der Klimapolitik Chinas, Germanwatch positionspapier, 2009, 4.6 | Vgl. Oberheitmann, sternfeld, fn. 4, 139-140.

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Im Oktober 2010 hat die chinesische Regierung in Tianjin zum ersten Mal im eigenen Land eine UN-Klimakonferenz ausgerichtet.

cO²-Austoßes von Industrieländern um 40 prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990 gefordert. zudem sollen die Industriestaaten 0,5 bis ein prozent ihres bIp bereitstellen, um Entwicklungsländern bei der Anpassung an den Klima-wandel zu helfen.7

china hat sich auch bereits ein eigenes ziel zur Reduktion des cO²-Ausstoßes gesetzt. Im november 2009 kündigte die Regierung an, die cO²-Intensität bis 2020 im Vergleich zum basisjahr 1990 um 40 bis 45 prozent zu reduzieren. Dieses ziel wurde auch in den Kopenhagen-Akkord vom Januar 2010 aufgenommen. Auf der Klimakonferenz in cancún im Dezember 2010 hat china sogar angedeutet, internatio-nale Kontrollen seiner cO²-Emissionen zuzu-lassen.8 Dies sind erste Anzeichen, dass china bereit ist, eine aktivere Rolle in den internationalen bemühungen zum Klimaschutz zu spielen. weitere beispiele sind die wachsende Delegationsgröße bei den internationalen Klimaverhandlungen sowie die Tatsache, dass china im Oktober 2010 in Tianjin zum ersten mal im eigenen Land eine un-Klimakonferenz ausgerichtet hat.

Insgesamt ist china zwar noch zurückhaltend, bei den internationalen Klimaverhandlungen eine aktivere Rolle zu spielen. Auf nationaler Ebene wurde aber schon längst erkannt, dass eine Verringerung des wachstums der Energie- und damit auch der cO²-Intensität notwendig ist, um wichtige Entwicklungsziele der Volksrepublik in den bereichen umweltschutz und Energiesicherheit zu errei-chen. Langfristige folgen des Klimawandels spielen eine wesentlich geringere Rolle für politische Entscheidungen als unmittelbar feststellbare umweltprobleme wie die Luft- und wasserverschmutzung. zudem besteht aufgrund der zunehmenden Importabhängigkeit bei primärenergieträ-gern die Einsicht, dass die steigerung der Energieeffizienz und die nutzung neuer Energien einen entscheidenden

7 | Vgl. Gudrun wacker, „caught in the middle: china’s crucial but Ambivalent Role in the International climate negotiations‟, in: susanna Dröge, International Climate Policy – Priorities of Key Negotiating Partners, swp, 2010, 60.8 | Vgl. shi Jiangtao, „china’s bid to break climate Deadlock‟, South China Morning Post, 08.12.2010, http://topics.scmp.com/ news/china-news-watch/article/china-bid-to-break-climate- deadlock1 [15.02.2011].

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beitrag zu chinas Energiesicherheit leisten können. Des weiteren ist peking bewusst, dass eine förderung alterna-tiver Energiequellen und umwelttechnologien chinesische unternehmen dazu befähigen kann, auf diesen zukunfts-märkten fuß zu fassen und ein wichtiger pfeiler der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung chinas und des notwendigen strukturwandels zu werden. Die Verringe-rung der Treibhausgase wird also mehr als nebenprodukt von umweltschutz, Energieeffizienzverbesserungen und der Erreichung nationaler Entwicklungsziele angesehen.

DIE wIcHTIGSTEN INSTITUTIONEN DER cHINESIScHEN KLIMA-, ENERGIE- UND UMwELTPOLITIK

Klimapolitik als Querschnittaufgabe, an der eine Vielzahl von staatlichen und privaten sowie nationalen und interna-tionalen Akteuren beteiligt ist, erfordert ein hohes maß an Koordination. Eine kohärente Klimapolitik zu formulieren, erscheint in china besonders schwierig, da sich zuständig-keiten noch im wandel befinden. besonders die Energiepo-litik ist fragmentiert und zeichnet sich durch institutionelle schwäche aus.

Die wichtigsten Akteure in der chinesischen Klimapolitik befinden sich im Außenministerium und der nationalen Kommission für Reform und Entwicklung (nDRc). unter dem Vorsitz der nDRc existiert bereits seit 1988 das natio- nal coordination committee on climate change (ncccc),

die wichtigste Institution der chinesischen Klimapolitik. sie besteht aus Vertretern von 17 ministerien und Institutionen und ist mit der formulierung einer einheitlichen chinesi-schen Klimapolitik sowie der Anleitung von

provinz- und Lokalregierungen bei der bekämpfung des Klimawandels betraut. Die nDRc ist die einflussreichste Einrichtung innerhalb des ncccc und trägt die hauptver-antwortung für die Vertretung chinas bei internationalen Klimakonferenzen. zur besseren Koordination der Klima-politik wurde 2005 die nationale führungsgruppe zum Klimawandel unter der Leitung von premierminister wen Jiabao gegründet, an der sich alle minister beteiligen, die für Energie- und umweltpolitik wichtig sind.9

9 | Vgl. Dirk Rommeney, Climate and Energy Policy in the People’s Republic of China (heinrich böll stiftung china, 2008), 15.

Die Nationale Kommission für Reform und Entwicklung (NDRc) trägt die Hauptverantwortung für die Vertre-tung chinas bei internationalen Klima-konferenzen.

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Für die Erforschung von Technologien sowie politischer Konzepte im Bereich Erneuerbare Energiequellen ist das center for Renewable Energy Develop-ment zuständig.

Auch in der Energiepolitik spielt die nDRc eine heraus-ragende Rolle. Das umweltbüro der nDRc ist für die bereiche Energiekonsum und Energieeffizienz zuständig. 2005 wurde die nationale führungsgruppe für Energie geschaffen, die ebenfalls vom premierminister geleitet wird. sie ist zuständig für die Koordinierung zwischen den für den Energiebereich wichtigen ministerien und Regie-rungseinrichtungen. Gemäß den umstrukturierungsplänen des elften nationalen Volkskongresses (nVK) vom märz 2008 sollen zudem eine nationale Energiekommission, die strategien im Ener-giebereich entwickeln soll, und das state Energy bureau unter der nDRc geschaffen werden. Das state Energy bureau soll dann für die Verwaltung und überwachung des Energiesektors verantwortlich sein. für die Erforschung von Technologien sowie politischer Konzepte im bereich Erneuerbare Ener-giequellen ist das center for Renewable Energy Develop-ment zuständig. Dieses untersteht dem Energy Research Institute, das der nDRc ebenfalls angeschlossen ist. Das umwelt ministerium ist ein fürsprecher einer aktiven Klimapolitik, sowohl auf nationaler als auch auf internatio-naler Ebene, verfügt aber kaum über Kompetenzen in der Klimapolitik. Es ist lediglich für die planung von umwelt-projekten sowie die Ausarbeitung von umweltauflagen und deren überwachung zuständig.10

zIELE UND MASSNAHMEN cHINESIScHER KLIMAPOLITIK

seit Ende der neunziger Jahre hat die chinesische Regie-rung ihre bemühungen in den bereichen umwelt- und Klimaschutz stark ausgeweitet. Dies äußert sich in einer Vielzahl von Gesetzen und bestimmungen, die seitdem erlassen wurden, sowie der Veröffentlichung von plänen, Leitlinien und berichten. zu nennen sind hier vor allem das Energiespargesetz von 1998, der china medium and Long Term Energy conservation plan von 2004, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das 2005 verab-schiedet wurde, und das china’s national climate change programme (cnccp) vom Juni 2007, in dem die Auswir-kungen des Klimawandels in china sowie bereits ergriffene und zukünftige konkrete maßnahmen zur bekämpfung des

10 | Vgl. ebd., 11-15.

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wasserenergie ist die mit Abstand wichtigste alternative Energiequelle. Ihr Anteil lag 2007 bereits bei 16 Pro-zent. Andere regenerative Energieträ-ger spielen bislang eine untergeord-nete Rolle.

Klimawandels aufgelistet werden. Den jeweiligen Vorhaben ordnet das programm genaue cO²-Reduktionszahlen zu. Außerdem ist hier der mittel- und Langfristige Entwick-lungsplan für Erneuerbare Energie vom september 2007 wichtig. In diesem legt die nDRc Leitlinien, ziele und poli-tische maßnahmen für den Ausbau Erneuerbarer Energien in china bis 2020 fest. Im elften fünfjahresplan (2005 bis 2010) wurde eine Reduktion des Energieverbrauchs im Verhältnis zum bIp um 20 prozent gefordert, was sich als äußerst ehrgeizige und schwer zu erreichende zielmarke herausstellte. Die Reduzierung der Energieintensität wurde im abgelaufenen fünfjahresplan zudem zum ersten mal als hauptziel priorisiert.11

ERNEUERBARE ENERGIEN

besonderes Augenmerk gilt der förderung regenerativer Energiequellen. Ihr Anteil am primärenergieverbrauch der Volksrepublik lag 2005 bei ca. 7,5 prozent. Laut dem

mittel- und Langfristigen Entwicklungsplan für Erneuerbare Energie in china soll ihr Anteil bis 2010 auf zehn prozent und bis 2020 auf 15 prozent am primärenergieverbrauch steigen. Der Anteil an der stromproduktion soll dann 20 prozent betragen.12

wasserenergie ist die mit Abstand wichtigste alternative Energiequelle zur stromerzeugung in china. Der Anteil von wasserkraftprojekten, einschließlich der aufgrund ihrer Auswirkungen auf die umwelt und der umsiedlung von millionen von menschen kritisch zu betrachtenden Groß-projekte wie des Drei-schluchten-staudamms, lag 2007 bereits bei 16 prozent. Der Anteil der als nachhaltiger betrachteten Kleinen wasserkraft13 liegt aber immerhin bei fünf prozent, womit sie die zweitwichtigste erneuerbare Quelle zur stromerzeugung darstellt. Im Vergleich dazu spielen andere regenerative Energieträger bislang eine untergeordnete, photovoltaik sogar nur eine marginale Rolle.14

11 | Vgl. ebd., 10.12 | Vgl. ebd., 18. 13 | Kleine wasserkraft ist nicht weltweit einheitlich definiert. In der Eu werden darunter nur wasserkraftwerke mit einer Leistung von bis zu zehn mw, in china hingegen von bis zu 30 mw gefasst.14 | Vgl. Rommeney, fn. 9, 43.

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china war bereits 2009 mit einem Investitionsvolumen von 25,3 Milliar-den Euro der größte Investor in Erneu-erbare Energien.

Die wichtigste gesetzliche Grundlage in diesem bereich stellt das chinesische Erneuerbare-Energien-Gesetz dar, das am 1. Januar 2006 in Kraft getreten ist. Es orientiert sich stark am deutschen EEG. Das Gesetz verpflichtet alle netzbetreiber, den verfügbaren strom aus Erneuerbaren Energien vollständig aufzukaufen und stromproduzenten aus Erneuerbaren Energien einen Anschluss an das strom-netz zur Verfügung zu stellen. zudem gibt es garantierte Einspeisungsvergütungen für strom aus Erneuerbaren Energien, die von den zuständigen preissetzungsbehörden des staatsrates individuell, je nach Art der regenerativen Energieträger, nach Regionen und sogar nach einzelnen projekten, festgelegt werden. Die erhöhten Kosten müssen von den Endverbrauchern landesweit gemeinsam getragen werden. Die preise werden dann gemäß dem technischen fortschritt regelmäßig angepasst. Eine landesweit einheit-liche, garantierte Einspeisevergütung gibt es bislang allerdings nur bei strom aus biomasse. sie liegt bei 0,25 Renminbi (Rmb) (0,03 Euro) pro Kilowattstunde und gilt für die ersten 15 Jahre der Laufzeit eines biomasse-Kraft-werks. bei anderen Erneuerbaren Energieträgern wird der Einspeisetarif je nach projekt festgelegt.15

für den fall einer weigerung von netzbetreibern, erneu-erbare stromquellen an das netz anzuschließen, sieht das EEG schadensersatz für entgangene Einnahmen des stromproduzenten vor. wird der Anschluss nicht innerhalb einer bestimmten frist ermöglicht, sieht das Gesetz erneut eine Geldstrafe vor. zudem sind in dem Gesetz Vorzugskredite und steuererleichte-rungen für projekte im bereich Erneuerbare Energien festgelegt. Die allgemeine mehr-wertsteuer von 17 prozent wird zum beispiel bei strom aus projekten der Kleinen wasserkraft auf sechs prozent und bei biogasanlagen auf 13 prozent reduziert. um Investitionen in regenerative Energien, steuererleich-terung und garantierte Einspeisevergütungen zu finan-zieren, verlangt das Gesetz die Einrichtung eines fonds für Erneuerbare Energien.16 Aufgrund dieser maßnahmen war china bereits 2009 mit einem Investitionsvolumen von

15 | Vgl. ebd., 41-42.16 | Vgl. ebd., 41.

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In den vorangegangenen vier Jahren hatte sich die installierte Leistung im windsektor jeweils verdoppelt. 2009 hat china bei der kumulierten Leistung Deutschland überholt.

34,6 milliarden us-Dollar (25,3 milliarden Euro) der größte Investor in Erneuerbare Energien.17

wINDENERGIE

china verfügt über erhebliche windressourcen, die zur stromerzeugung nutzbar gemacht werden können. Die Verteilung dieser Ressourcen stellt das Land allerdings vor erhebliche herausforderungen bei der netzübertra-gung. besonders gut ausgebaut sind die stromnetze an der Ostküste, wo auch die nachfrage nach Energie am größten ist. Jedoch befinden sich lediglich im nordwesten sowie Offshore, also in den Gewässern vor der Küste, ausreichend windreiche freiflächen, die sich zur Errich-tung von windparks eignen. Dennoch besteht ein riesiges potential zur nutzung von windenergie. Die nDRc hatte es stark unterschätzt, und im EER von 2005 für das Jahr 2010 eine installierte Leistung von lediglich fünf Gigawatt (Gw) anvisiert. Dieser wert wurde bereits 2007 erreicht. Das ziel von 30 Gw für 2020 wird wahrscheinlich spätes-

tens 2012 erreicht sein, weshalb die nDRc erwägt, auf 100 Gw aufzustocken.18 In den vorangegangenen vier Jahren hatte sich die installierte Leistung im windsektor jeweils verdoppelt, 2009 lag sie bereits bei 25,8 Gw. bei der kumulierten Leistung hat china im

gleichen Jahr Deutschland überholt und lag hinter den usA auf dem zweiten platz. bei der neu installierten Leistung lag das Land 2009 schon auf platz eins. bislang konzent-rierte sich die Errichtung von windparks auf das festland. Der Aufbau von Offshore-windkraftanlagen hat erst vor kurzem begonnen. 2010 wurde das erste Offshore-projekt mit einer Leistung von 100 mw vor der Küste shanghais fertig gestellt. Die chinesischen Küstenprovinzen planen allerdings, den Aufbau weiterer Anlagen massiv voranzu-treiben, und rechnen bis 2020 mit einer installierten Leis-tung von insgesamt 33 Gw.

17 | Vgl. Xinhua, „cancun Delegates praise china’s Green Energy push‟, China Daily Online, http://chinadaily.com.cn/china/ 2010cancunclimate/2010-12/02/content_11645342.htm [04.12.2010].18 | Vgl. The China Greentech Report 2009, 2009, 6, http://china- greentech.com/sites/default/files/cGTR2009-REIndividual.pdf [11.01.2011].

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2020 könnten zehn Prozent und 2030 sogar 16,7 Prozent des gesamten Strombedarfs der Volksrepublik durch windenergie gedeckt werden.

zur förderung der windenergie schreibt die nDRc regel-mäßig große projekte mit einer Kapazität von mindes-tens 100 mw aus, die an die Anbieter mit der geringsten Einspeisegebühr und dem höchsten lokalen fertigungs-anteil vergeben werden. Der lokale fertigungsanteil für staatliche Großprojekte wurde bis 2010 auf mindestens 70 prozent festgelegt, um chinesischen produzenten bei der Entwicklung zu helfen.19 Da mittlerweile drei der weltweit sieben größten hersteller aus china kommen und diese jetzt verstärkt auf Export setzen, hat die Regierung diese praxis nun allerdings aufgegeben, um zu verhindern, dass andere staaten ihrerseits den marktzugang für chinesische hersteller beschränken. Die starke unterstützung der nati-onalen hersteller ermöglichte den drei größten windener-giekonzernen sinovel, Xinjiang Goldwind und Dongfang Electric, ihren Anteil am chinesischen markt zwischen 2006 und 2009 von 40 prozent auf 60 prozent zu erhöhen. Der Anteil internationaler Anbieter ging hingegen im gleichen zeitraum von 53 prozent auf elf prozent zurück.20 In der Anfangsphase dieser windenergieprojekte garantiert die Regierung eine feste Einspeisevergütung. nach einer Lauf-zeit von 30.000 stunden wird dann der normale strompreis angewandt. Die lokalen netzbetreiber sind verpflichtet, den produzierten strom vollständig aufzukaufen und die notwendigen Anschlüsse an das stromnetz zur Verfügung zu stellen.21

selbst ein ziel von 100 Gw bis 2020 könnte sich als zu gering erweisen. nach unterschiedlichen schätzungen wird die gesamte installierte Leistung 2020 bei bis zu 250 Gw und 2030 bei bis zu 680 Gw liegen, vorausgesetzt, dass bis dahin Lösungen für probleme der netzintegration, Vorhersage und speicherung von windenergie gefunden werden können. Das würde bedeuten, dass 2020 zehn prozent und 2030 sogar 16,7 prozent des gesamten strombedarfs der Volksrepublik durch wind-energie gedeckt werden könnten.22

19 | Vgl. Li Junfeng et al., China Wind Power Outlook 2010, 2010, 3-6.20 | Vgl. „wind in china sails for clean Energy Race‟, South China Morning Post, 01.10.2010.21 | Vgl. The China Green Tech Report 2009, fn. 18, 11.22 | Vgl. Junfeng et al., fn. 19, 83.

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Über 60 Prozent der weltweiten Son-nenkollektoren auf Dächern, die zur warmwasserproduktion dienen, befin-den sich in china.

beim Ausbau des windenergiesektors bestehen allerdings noch einige schwierigkeiten. Ein teilweise mangelhaft ausgebautes stromnetz gestaltet den Anschluss von wind-krafträdern äußerst schwierig. Die Einspeisegebühren sind zudem häufig noch zu niedrig, um windparkbetreibern ausreichende Gewinne zu garantieren. Außerdem konzen-triert sich die Regierung bei ihrer zielsetzung allein auf die installierte Leistung, obwohl ziele für die tatsächliche stromproduktion sinnvoller wären.23 hinzu kommt, dass staatskonzerne bei den Ausschreibungen unvernünftig niedrige preise bieten und dadurch private und internatio-nale Anbieter, die ihre projekte unter umständen nachhal-tiger gestalten würden, vom markt drängen.24

SOLARENERGIE

Da zwei Drittel der Gesamtfläche chinas über mehr als 2.200 sonnenstunden im Jahr verfügen, besitzt das Land ein großes potential für die nutzung von solarenergie. Die nutzung der solarenergie, sowohl in der form solarther-mischer Anlagen als auch durch photovoltaik-Anlagen, ist bislang noch unterentwickelt und wird hauptsäch-lich dezentral genutzt. Von den bis 2005 installierten pV-Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 70 mw waren nur drei mw an das stromnetz angeschlossen. photovol-

taik leistet in china allerdings schon jetzt einen großen beitrag, um entlegene Regio- nen an das stromnetz anzuschließen. Ein beispiel dafür ist das Township Electrification programme 2002-2004, bei dem pV-Anlagen

mit einer Kapazität von 19 mw errichtet wurden, um 700 Dörfern in westlichen Regionen und ihren etwa eine million Einwohnern die nutzung elektrischen stroms zu ermögli-chen.25 zudem wird solarenergie intensiv zur Erzeugung von warmwasser genutzt. über 60 prozent der weltweiten sonnenkollektoren auf Dächern, die zur warmwasserpro-duktion dienen, befinden sich in china. Die Gesamtfläche

23 | In china sind viele windparks zwar bereits errichtet, aber noch nicht an das stromnetz angeschlossen. häufig kaufen netzbetreiber lediglich Anteile an den windfarmen, um die forderungen der Regierung scheinbar zu erfüllen, kommen dann aber ihrer Verpflichtung nicht nach, diese tatsächlich in ihr netz zu integrieren. Vgl. The China Greentech Report 2009, fn. 18, 7.24 | Vgl. The China Greentech Report 2009, fn. 18, 7.25 | Vgl. Rommeney, fn. 9, 46-47.

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Um einen Anreiz für eine intensivere Nutzung im Inland zu schaffen, wurde eine Subventionierung für die Instal-lation von Photovoltaik-Anlagen be- schlossen.

dieser sonnenkollektoren soll von heute ca. 80 millionen auf 300 millionen Quadratmeter im Jahr 2020 ausgebaut werden.26

Als produzent von photovoltaik-Anlagen ist china mit einem Anteil von ca. 40 prozent schon jetzt weltmarkt-führer. Der Großteil der Anlagen wird aber bislang noch für den Export produziert. Von den 2009 produ-zierten solarzellen mit einer Leistung von 3,6 Gw wurden über 90 prozent exportiert. um einen Anreiz für eine intensivere nutzung von photovoltaik auch im Inland zu schaffen, wurde im Juni 2009 im Rahmen des Golden sun-projekts eine subventionierung für die Installation von pV-Anlagen beschlossen. bei netzintegrierten freiflächen-anlagen werden 50 prozent, bei netzunabhängigen Anlagen 70 prozent der Kosten übernommen. unter dem solar Roofs project werden zudem gebäudeintegrierte systeme mit 15 Rmb (1,66 Euro) und solardächer mit einer Kapa-zität von mindestens 50 Kw mit 20 Rmb (2,22 Euro) pro watt gefördert.27 Darüber hinaus werden projektabhängig garantierte Einspeisevergütungen subventioniert. für ein pV-Kraftwerk von zehn mw in Dunhuang liegt dieser Tarif zum beispiel bei 1,09 yuan (0,12 Euro), mehr als dreimal so hoch wie bei Kohlekraftwerken. Dennoch wird dieser Tarif als noch zu gering angesehen, um ausreichend hohe Gewinne zu garantieren.28

Lokalregierungen werden von peking dazu aufgefordert, eigene projekte zur förderung von solaranlagen durch-zuführen. Diese werden allerdings bislang häufig nur sehr schleppend implementiert. shanghai hat z.b. den 100.000 solar pV Roof plan ins Leben gerufen, unter dem zwischen 2006 und 2010 zunächst 10.000 und von 2011 bis 2015 90.000 weitere photovoltaikanlagen mit einer Leistung von je drei Kw auf shanghais Dächern installiert werden

26 | Vgl. Xing Xiaowen, „Xin nengyuan yuanchanye de caizheng butie zi lu‟ (Die Entwicklung der subventionen für die her- steller im bereich neue Energien), Nanfengchuang (südwind- fenster) 02/2011, 79.27 | Vgl. claudia wittwer, „Erste sonnenstrahlen durchbrechen wolkendecke‟, China Kontakt 01/2011, 22.28 | Vgl. zhang Qi, „china hikes 2011 solar power target‟, China Daily Online, 03.07.2009, http://chinadaily.com.cn/bizchina/ 2009-07/03/content_8350947.htm [17.01.2011].

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sollen.29 Da die stadtregierung bis 2009 keine finanziellen Anreize für die Installation kleiner, privater pV-Anlagen geschaffen hatte, gab es in shanghai im Juli 2009 erst ein einziges privates solardach. Auch für den zeitraum 2009 bis 2012 hat shanghai lediglich die finanzielle förderung großer solardächer vorgesehen.30

bis 2019 plant china die Errichtung des weltgrößten solarparks im Qaidam-becken in der provinz Qinghai im nordwesten chinas, in dem eine Leistung von einem Giga-watt produziert werden soll. bis 2020 soll insgesamt eine Leistung von 20 Gw erreicht werden und bis 2050 plant die Regierung, den Anteil der solarenergie am gesamten Ener-gieverbrauch auf fünf prozent zu steigern. um diese ziele zu erreichen, sind noch immense Anstrengungen nötig. Gleichzeitig bedeuten sie große wachstumschancen für nationale und internationale produzenten von solartechnik. für internationale Anbieter stellt sich allerdings die frage, ob sie nicht ähnlich wie im windsektor von der öffentlichen Auftragsvergabe weitestgehend ausgeschlossen werden.31

REDUKTION DES cO2-AUSSTOSSES IM VERKEHR

china hat 2009 die usA als weltgrößten markt für Auto-mobile überholt.32 Der Anteil des Transportsektors am gesamten Energieverbrauch ist im internationalen Vergleich mit neun prozent noch relativ gering, wird aber in den kommenden Jahren aufgrund des starken Anstiegs bei der privaten pKw-nutzung rapide zunehmen. Der cO²-Ausstoß durch den straßenverkehr wird sich bis 2055 mehr als verdreifachen. china bemüht sich, ihn zu begrenzen, und hat als einziges schwellenland bereits standards für den benzinverbrauch eingeführt. beim spritverbrauch wurde

29 | Vgl. nDRc, „shanghai shiwan ge taiyangneng wuding jihua‟ (shanghais 100.000-solardächer-plan), 28.12.2005, http://www.sdpc.gov.cn/nyjt/dcyyj/t20051228_55008.htm [25.01.2011].30 | Vgl. Deng Li, „Taiyangneng de wuding minyong zhi lu‟ (Die Entwicklung bei der privaten nutzung von solardächern), 21 Shiji Jingji Baodao (business china), 16.07.2009, http://news.163.com/09/0716/08/5Eb38VfG000125LI.html [25.01.2011].31 | Vgl. henrique schneider, „Vorbereitung auf grünes zeitalter‟, China Kontakt 01/2011, 18.32 | 2009 wurden in china insgesamt 13,6 millionen fahrzeuge verkauft. Vgl. „beijing hints further subsidies for alternative- fuel vehicles‟, South China Morning Post, 10.09.2010.

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Peking plant, bis zu 33,3 Milliarden Euro zu investieren, um weltmarkt-führer bei der Produktion von Elektro- und Hybridautos zu werden.

eine sukzessive Verschärfung der standards für neuwagen beschlossen. 2008 wurde ein Grenzwert in der höhe der Eu-3-norm eingeführt, und bis Ende 2010 soll ein der Eu-4-norm entsprechender standard implementiert werden. Diese norm ist um ca. 40 prozent strenger als der in den usA angewandte standard. Außerdem wird eine zusatzsteuer für besonders große Autos erhoben.33

china ist zudem bemüht, die nutzung alter-nativer Antriebe in fahrzeugen zu fördern. peking plant, bis zu 300 milliarden Rmb (33,3 milliarden Euro) zu investieren, um welt-marktführer bei der produktion von Elektro- und hybrid-autos zu werden. Laut schätzungen der nDRc werden auf chinas straßen 2015 bereits drei millionen hybridfahrzeuge und 1,5 millionen reine Elektrofahrzeuge fahren.34

2010 wurden fünf städte für pilotprojekte im bereich der förderung des Kaufs von Elektrofahrzeugen durch privat-haushalte ausgewählt. beim Erwerb eines Elektroautos zahlt peking eine subvention in höhe von 60.000 Rmb (6.600 Euro), und diese könnte in zukunft sogar noch höher ausfallen. Das erste dieser pilotprojekte wird seit mai 2010 in shenzhen durchgeführt. mit 50 elektrischen Taxis soll dort gezeigt werden, wie die mobilität der zukunft aussehen könnte. zusätzlich zu der förderung durch die zentralregierung wird die Anschaffung eines Elektrotaxis von der stadtregierung subventioniert, und die jährlichen Lizenzgebühren werden den Taxifahrern erlassen. Die Anschaffung eines Elektrotaxis ist zwar trotzdem noch um 80.000 Rmb (8800 Euro) teurer als die eines gewöhnlichen Taxis mit Verbrennungsmotor; diese Kosten sollen aller-dings innerhalb von fünf Jahren durch die Einsparung von benzin ausgeglichen werden. um die nutzung von Elek-trofahrzeugen massiv auszuweiten, plant shenzhen, bis 2012 25 große Elektrotankstellen einzurichten und 10.000 öffentliche parkplätze mit Ladestationen auszurüsten. Die Gesamtzahl von Elektro- und hybridfahrzeugen in der stadt soll dann bereits bei 35.000 liegen.35

33 | Vgl. Rommeney, fn. 9, 29-30.34 | Vgl. „300b yuan earmarked to develop green cars‟, South China Morning Post, 13.01.2010.35 | Vgl. „Electric-car dreams short-circuited by hype‟, in: South China Morning Post, 10.01.2011; „so who is winning the electric car race?‟, South China Morning Post, 12.11.2010.

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Laut Expertenschätzungen wird zur Heizung von Gebäuden in Nordchina dreimal soviel Energie verbraucht wie in europäischen Ländern mit vergleich-baren klimatischen Bedingungen.

STEIGERUNG DER ENERGIEEFFIzIENz

zudem versucht peking auf verschiedenen Gebieten, die Energieeffizienz durch striktere Vorgaben zu erhöhen und Anreize zum Energiesparen zu schaffen. wichtige Grund-lagen für die bemühungen auf diesem Gebiet stellen das 1998 in Kraft getretene Energiespargesetz sowie der 2004 vorgestellte medium and Long Term Energy conservation plan dar. Das Energiespargesetz setzt sich zum ziel, die struktur der Industrie besser zu regulieren, den struktur-wandel zu fördern, die Energieintensität der wirtschaft zu senken und den technischen fortschritt zur Energieeinspa-rung zu fördern. Es verlangt unter anderem die Ausmuste-rung veralteter Anlagen und produkte und die festlegung von branchenspezifischen standards für die Energieein-sparung.36

Im Rahmen des Top 1.000 Energy-consuming Enterprises programme wurden für die 1.000 größten Energieverbrau-cher des Landes konkrete ziele für die Reduzierung ihres Energieverbrauches festgelegt. Diese unternehmen sind für 33 prozent des gesamten Energieverbrauchs in china sowie für 47 prozent des industriellen Energieverbrauchs verantwortlich. Vorgesehen ist eine Verringerung des Ver- brauchs von 673 millionen Tonnen steinkohleäquivalent (sKE) um 100 millionen Tonnen sKE zwischen 2005 und 2010. um das ziel zu verwirklichen, wurden Informations- und Trainingsworkshops durchgeführt und die teilneh-menden unternehmen verpflichtet, regelmäßig berichte über ihren Energieverbrauch vorzulegen. Darüber hinaus wurden für einzelne branchen, wie die zementindustrie, die stahlindustrie und die baubranche, ziele für die stei-gerung der Energieeffizienz festgelegt.37

Einen wichtigen bereich für die Einsparung von Energie stellt die förderung energieeffizi-enten bauens dar. Laut der Einschätzung von Experten wird zur heizung von Gebäuden in nordchina dreimal soviel Energie verbraucht

wie in europäischen Ländern mit vergleichbaren klima-tischen bedingungen. Im elften fünfjahresplan wurden

36 | Vgl. „Energiespargesetz‟, in: Robert heuser, Jan De Graaf, Umweltschutzrecht der VR China – Gesetze und Analysen, 519. 37 | Vgl. Rommeney, fn. 9, 23-24.

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Allein zwischen 2006 und 2009 mussten 7.500 Kohlekraftwerke schließen. Die Schließungen treffen häufig auf star- ken widerstand durch Betreiber und Lokalregierungen.

Energieeinsparpotentiale in Gebäuden im umfang von ca. 120 millionen Tonnen sKE identifiziert. um sie zu nutzen, hat das bauministerium Energieeffizienzstandards für Gebäude eingeführt und arbeitet zurzeit zudem an einer preisreform bei den heizkosten. Die zentralregierung soll mit gutem beispiel vorangehen und im zeitraum von 2002 bis 2010 den Energieverbrauch in Regierungsgebäuden um durchschnittlich zehn prozent reduzieren.

neben der Implementierung neuer Energieeinsparungs-standards werden kleine, ineffiziente fabriken geschlossen. Das gilt unter anderem auch für Kohlekraftwerke. sie sind von massiven schließungen betroffen. bis 2010 sollten alle Kraftwerke mit einer Kapazität von bis zu 50 mw, alle Kraftwerke mit einer Kapazität von bis zu 100 mw mit einer Laufzeit von über 20 Jahren sowie alle weiteren, die zu weit von natio-nalen oder regionalen standards abweichen, geschlossen werden.38 Allein zwischen 2006 und 2009 mussten auf dieser Grundlage ca. 7.500 Kohlekraftwerke schließen.39 Diese von der zent-ralregierung angeordneten schließungen sind allerdings häufig mit starken widerständen sowohl der betreiber als auch der Lokalregierungen verbunden, da sie diese als beschneidung ihrer Einnahmequellen und beschäftigungs-möglichkeiten betrachten.

HERAUSFORDERUNGEN UND PERSPEKTIVEN FÜR cHINAS KLIMAPOLITIK

china steht vor der schwierigen Aufgabe, wirtschafts-wachstum und Treibhausgasausstoß zu entkoppeln. Trotz der beschriebenen bemühungen ist mittelfristig mit einer weiteren deutlichen zunahme des cO²-Ausstoßes in china zu rechnen. Eine absolute Reduktion des cO²-Ausstoßes hält der Direktor des büros für Klimawandel in der nDRc, su wei, erst 2050 für realistisch. beim pro-Kopf-Ausstoß von cO² wird china voraussichtlich 2030 das niveau europäi-scher Länder erreicht haben40, so dass die forderung, das Land müsse seine Emissionen ebenfalls reduzieren, immer

38 | Vgl. ebd., 28 und 34.39 | Vgl. Deborah seligsohn et al., Fact Sheet: Energy and Climate Policy Action in China, 2009, 2.40 | Vgl. wacker, fn. 7, 60.

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Netzbetreiber müssen durch finanzielle Anreize oder Strafen dazu gebracht werden, wind-, Solar- und andere Kraftwerke aus neuen Energien an das Stromnetz anzuschließen.

lauter werden wird. um china jedoch dazu zu bewegen, verbindliche absolute cO²-Reduktionsziele über die Verrin-gerung der Energieintensität hinaus zu akzeptieren, werden westliche staaten ihre bemühungen verstärken und die usA Reduktionsziele im gleichen umfang wie europäische staaten festlegen müssen. zudem sollte der westen china bei den Anstrengungen zum Aufbau einer emissionsarmen wirtschaft durch beratung und Technologietransfer unter-stützen. hier könnten in zukunft vor allem auch Techno-logien zur Abscheidung und speicherung von cO² (ccs)41 von bedeutung sein. china wird mittelfristig bei der strom-produktion weiterhin in hohem maße von Kohlekraftwerken abhängig sein, ist im bereich ccs bislang allerdings kaum aktiv. Durch diese unterstützung würde auch der Tatsache Rechnung getragen, dass etwa ein fünftel der chinesi-schen Treibhausgase durch die produktion für den Export anfallen.

Auch die Volksrepublik selbst ist gefordert, um den Anreiz für Investitionen und Technologietransfer zu steigern. sie muss hier vor allem den schutz geistigen Eigentums garantieren und die massive bevorzugung inländischer hersteller abbauen.

um die Entwicklung Erneuerbarer Energien noch schneller voranzutreiben, sollten landesweit einheitliche Einspeise-vergütungen festgesetzt werden, die es den betreibern ermöglichen, profitabel zu wirtschaften. Dies würde bei

den Investoren für planungssicherheit sor- gen und den Anreiz erhöhen, Kraftwerke für alternative Energieträger zu errichten. für die Anpassung der gesetzlichen Rahmen-bedingungen ist hier eine Kooperation mit Deutschland denkbar, da sich die chine-

sischen Gesetzgeber bereits bei der Ausarbeitung des EEG am deutschen Vorbild orientiert hatten. Außerdem müssen die bestehenden gesetzlichen Regelungen, z.b. zur netzintegration, besser durchgesetzt werden. netzbe-treiber müssen durch finanzielle Anreize oder strafen dazu gebracht werden, wind-, solar- und andere Kraftwerke aus neuen Energien an das stromnetz anzuschließen.

41 | ccs bezeichnet die Abscheidung von Kohlendioxid aus Ver- brennungsabgasen sowie dessen Injektion und Lagerung in tiefen unterirdischen Gesteinsschichten auf unbegrenzte zeit.

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Das Umweltministerium kooperiert zu- nehmend mit den Medien sowie NGOs. Für die zukunft wäre eine stärkere Ein-bindung zivilgesellschaftlicher Akteure wünschenswert.

Es müssen zusätzliche Anreize geschaffen werden, Energie einzusparen, z.b. durch eine weitere Erhöhung der strom-, Gas- und Treibstoffpreise oder staatliche zuschüsse beim umstieg auf klimafreundliche Technologien. besonders problematisch bei der umsetzung der nationalen Klima-politik erscheint dabei weiterhin die Durchsetzung auf provinz- und lokaler Ebene. hier werden umweltstandards und Energieeffizienz zumeist kurzfristigen überlegungen zu wirtschaftswachstum und beschäftigung unterge-ordnet. um dem entgegenzuwirken, hat die zentralregie-rung bereits erklärt, die Aufstiegschancen von Regierungs-funktionären auch von deren Erfolgen in den bereichen umweltschutz und Energieeffizienz abhängig zu machen.42

Eine wichtige Rolle kommt auch der zivilgesellschaft zu. Die wachsenden umweltprobleme des Landes haben eine große zahl von menschen mobilisiert, sich für umweltschutz einzusetzen. Die zahl von umwelt-nGOs nimmt ständig zu. sie tragen dazu bei, das bewusstsein für umweltschutz und Energieeinsparung zu steigern und mehr menschen dafür zu gewinnen, sich für den Klimaschutz stark zu machen. Auch in den chinesischen medien spielen die Themen umwelt- und Klimaschutz eine immer prominentere Rolle, womit sie zu einer Verankerung des Themas in der chinesischen Gesellschaft beitragen. Auch das umweltministerium kooperiert zunehmend mit den medien sowie nGOs, um ihre ziele zu erreichen. für die zukunft wäre eine stärkere Einbindung zivilgesell-schaftlicher Akteure in den nationalen klimapolitischen Diskurs wünschenswert.43

Trotz dieser herausforderungen befindet sich china im bereich des Klimaschutzes auf dem richtigen weg. Das Land hat die zeichen der zeit erkannt und sich ambitionierte ziele gesetzt, die teilweise sogar noch strenger sind als in einigen Industrienationen. Im zwölften fünfjahresplan wird voraussichtlich sogar die Einführung lokaler Vorläufer eines nationalen Emissionshandelssystems festgelegt – ein weiterer wichtiger schritt zu verstärktem Klimaschutz.44

42 | Vgl. Rommeney, fn. 9, 52-54. 43 | Vgl. ebd., 16.44 | Vgl. Xinhua, „Autorisierte Veröffentlichung: Vorschläge der zentralregierung über die festlegung des zwölften fünfjahres- plan für die Entwicklung der Volkswirtschaft und der Gesell- schaft‟ (chin.), http://news.xinhuanet.com/politics/2010-10/ 27/c_12708501_6.htm [20.01.2010].

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Auch wenn für die Klimakonferenz im südafrikanischen Durban Ende des Jahres kein radikaler wandel bei chinas position zu erwarten ist, werden die bemühungen auf nationaler Ebene fortgesetzt. Die Volksrepublik wird sich zunächst einmal daran messen lassen müssen, ob die selbstgesetzten ziele erreicht werden.

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Anfang februar ging nach dem chinesischen Kalender das „Jahr des Tigers‟ zu Ende. Abergläubische Asiaten sind damit eine wichtige nachwuchssorge los. Das Tier-kreiszeichen soll nämlich einen eher anstrengenden und dominanten charakter prägen. Das sind in Asien nicht unbedingt geschätzte persönlichkeitsmerkmale, insbeson-dere für mädchen. Die Geburtenrate fiel in singapur auf ein historisches Tief. 2011, im „Jahr des Kaninchens‟, dürften wieder mehr babys das Licht der welt erblicken. mit einer regelrechten Trendwende rechnet aber niemand. Denn unabhängig vom horoskop ist die Geburtenrate bereits seit Jahren rückläufig.

Jede frau brachte im stadtstaat 2010 durchschnittlich nur 1,16 Kinder zur welt. unter der chinesischstämmigen bevölkerung lag die Geburtenrate mit 1,02 Kindern noch deutlich unter dem Durchschnitt. Inzwischen unterbietet singapur damit sogar Japan (1,3) und südkorea (1,2). um die zahl und das Alter der bürger konstant zu halten, müsste jede frau in singapur wenigstens 2,1 Kinder gebären. Dieser wert wurde zum letzten mal im Jahre 1976 erreicht. Danach sank die Geburtenrate nahezu kontinu-ierlich. In den achtziger Jahren gründete die Regierung daraufhin die social Development unit (sDu) und die social Development services (sDs). sie sollten singles dazu motivieren, den bund der Ehe einzugehen – und natürlich, Kinder zu bekommen. Vor ein paar Jahren haben sich die beiden Einrichtungen zum social Development network (sDn) zusammengeschlossen. Es untersteht dem ministe-rium für sport und Jugend. singapur dürfte damit weltweit eines der wenigen Länder sein, in denen Dating Parties für

HARMONIE IM STAATSAUFTRAGwIE SINGAPUR MIT EINwANDERUNG UND INTEGRATION UMGEHT

Paul Linnarz

paul Linnarz leitet das medienprogramm Asien der Konrad-Adenauer-stiftung in singapur.

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singles und eine partnerbörse im Internet (lovebyte) von staatlicher stelle betrieben werden.

Die Initiative für die heiratspolitik der Regierung ging 1983 vom damaligen premierminister Lee Kuan yew aus. heute wirbt der inzwischen 87-jährige staatsgründer mit nachdruck dafür, auch in zukunft junge migranten will-kommen zu heißen. sie seien das notwendige mittel gegen eine alternde Gesellschaft. „Anderenfalls wird das wirt-schaftswachstum zurückgehen, wie in Japan. wir werden ein weniger dynamisches, weniger erfolgreiches singapur haben. so sieht nicht die zukunft für unsere Kinder und Enkel aus.‟1 In seiner Rede vor über 1.000 mitgliedern der chinese clan Associations betonte Lee im Januar, die erste Generation neuer Einwanderer werde für die Integration zeit benötigen, schon deren Kinder würden aber „comple-tely singaporean‟ sein.

TEURE TOP DESTINATION FÜR EINwANDERER

Der Appell des greisen staatsgründers berührt ein sensibles Thema: Trotz seiner rückläufigen Geburtenrate hat singapur die zahl seiner Einwohner in den letzten dreißig Jahren mehr als verdoppelt. nicht die partner-börsen und das organisierte flirten, sondern der zuzug aus dem Ausland hatte daran den entscheidenden Anteil.

würde jeder auswanderungswillige Erwach-sene, der sich nach einem Leben in singapur sehnt, dort auch eine bleibe finden, hätte das einen Anstieg der bevölkerung um 219 prozent zur folge. Damit ist der kleine Insel-

staat an der straße von malakka nach einer im August 2010 vorgestellten Analyse des us-amerikanischen Gallup-Instituts weltweit die top destination für migranten.2 platz zwei belegt mit deutlichem Abstand neuseeland (+184 prozent). Deutschland liegt im Net Migration Index des Gallup-Instituts mit einem „potentiellen‟ zuwachs von 14 prozent weltweit auf platz 25.

1 | The Straits Times, 19.01.2011.2 | Vgl. neli Esipova, Julie Ray, „migration could Triple popu- lations in some wealthy nations‟, gallup.com, 20.08.2010, http://gallup.com/poll/142364/migration-Triple-populations- wealthy-nations.aspx [16.02.2011].

Singapur ist nach einer Analyse des Gallup-Instituts weltweit die „top desti- nation‟ für Migranten. Platz zwei belegt mit deutlichem Abstand Neuseeland.

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Viele singapurer sehen die Einwanderung inzwischen aber mit besorgnis. nach einer kürzlichen Telefonumfrage von REAch, einer mischung aus staatlichem meinungsfor-schungsinstitut und Diskussionsforum im Internet, waren nur 56 prozent der befragten davon überzeugt, dass die derzeit gültigen schranken für die Einwanderung auf dem lokalen Arbeitsmarkt einen schutz gegen ausländi-sche mitbewerber bieten. Immerhin 18 prozent waren ausdrücklich dagegen, dass singapur ausländische Talente rekrutiert. zwar denkt so nur eine minderheit, in seiner pressemitteilung zu den umfrageergebnissen musste REAch jedoch einräumen, eine beträchtliche zahl der befragten fürchte den wettbewerb mit Ausländern und sei trotz wiederholter Versicherung der Regierung nicht über-zeugt, dass eine solche politik „den Kuchen für alle größer macht‟.3

neben den befürchtungen vor einer Verschärfung des wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt fällt das stichwort „Einwanderung‟ auch im zusammenhang mit den Entwick-lungen auf dem wohnungsmarkt. Dort stiegen die preise im zweiten halbjahr 2010 um 3,8 prozent. für die 20 prozent der privathaushalte mit niedrigem Einkommen registrierte das statistikamt des stadtstaates in diesem zeitraum sogar eine steigerung um 5,3 prozent. Eine Entwicklung mit weitreichenden folgen, warnt Davin chor, wirtschaftswissenschaftler an der singapore management university, „da hohe wohnungspreise sich sicher auf die Entscheidung von paaren auswirken können, zu heiraten und Kinder zu bekommen‟.4 Aber nicht die nachfrage auf dem wohnungsmarkt oder der zuzug von Auslän-dern treibt die preise, sondern die Inflation. sie lag im Dezember 2010 so hoch wie zuletzt vor zwei Jahren. Das trifft Immigranten wie Einheimische gleichermaßen. nach einer Erhebung von EcA International liegt singapur unter den teuersten städten in Asien inzwischen an achter stelle, nahezu gleichauf mit hongkong und shanghai.5

3 | REAch, „Reactions to pm’s national Day Rally 2010‟, presse- mittelung, 13.09.2010, http://www.reach.gov.sg/portals/0/ mediaRelease/Reactions_to_nDR_2010.pdf [11.03.2011].4 | The Straits Times, 08.02.2011.5 | Vgl. EcA International, „singapore climbs to 8th most expensive Asian city‟, pressemitteilung, 02.12.2010, http://www.eca-international.com/news/press_releases/7278 [16.02.2011].

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1,3 Millionen Ausländer arbeiten für kürzere zeit befristet in Singapur. Der Anteil dieser „non-residents‟ stieg um 73 Prozent.

Von außen betrachtet tut das der Attraktivität des Landes für migranten aber keinen Abbruch.

Auf zwei wegen versucht die singapurische Regierung, den zustrom einerseits zu bewältigen und andererseits für die eigene Entwicklung zu nutzen: Einwanderung wird nicht nur in demographischer hinsicht, sondern auch in Abhän-gigkeit von der wirtschaftlichen Konjunktur gesteuert. Darüber hinaus überlässt singapur bei der Integration nichts dem zufall. Die Religionsfreiheit, der wohnungs-markt, die bildungspolitik und der medienbereich sind die Eckpfeiler des praktisch in alle Lebensbereiche verästelten systems.

DIE „RIcHTIGE MIScHUNG‟

seit 2010 leben erstmals etwas mehr als fünf millionen menschen in singapur. Das sind eine million mehr als bei der letzten Volkszählung im Jahr 2000. 3,2 millionen menschen besitzen die singapurische staatsbürgerschaft. Das sind acht prozent mehr als zu beginn des Jahrtau-sends. 541.000 Einwohner mit ausländischem pass sind

so genannte permanent residents (pR). Ihr Anteil stieg in den vergangenen zehn Jahren deutlich um 88 prozent. Daneben leben und arbeiten etwas über 1,3 millionen Ausländer für kürzere zeit befristet in singapur. Der

Anteil dieser so genannten non-residents stieg um 73 prozent. mehr als jeder dritte Einwohner von singapur (36 prozent) ist Ausländer.

nach den im Januar 2011 veröffentlichten Angaben des statistikamtes setzt sich die zahl der bürger (residents mit und ohne staatsbürgerschaft) zu 74,1 prozent aus chinesen, zu 13,4 prozent aus malaysiern, zu 9,2 prozent aus Indern und zu 3,3 prozent aus menschen mit sonstiger herkunft zusammen.6 Die bevölkerungsgruppe der perma-nent residents besteht zu 61,4 prozent aus chinesen, zu drei prozent aus malaysiern, zu 20,4 prozent aus Indern und zu 15,2 prozent aus migranten anderer weltregionen.

6 | Vgl. Department of statistics, „Demographic characteristics, Education, Language and Religion‟, Census of Population 2010 – Statistical Release 1 (singapur 2010), http://www.singstat.gov. sg/pubn/popn/c2010sr1/cop2010sr1.pdf [16.02.2011].

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Den ängsten vor einer „Überfremdung‟ begegnete Premierminister Lee mit der Beteuerung: „Die gegenwärtige Mischung ist stabil und trägt zu unse-rer ethnischen und religiösen Harmo-nie bei.‟

„chinese‟, „malaysier‟ oder „Inder‟ meint in der statistik und im sprachgebrauch nicht nur das herkunftsland der betreffenden person, sondern bezieht sich auf die zuge-hörigkeit zur jeweiligen ethnic group. Die Einteilung folgt also nicht nur der staatsbürgerschaft, sondern auch kulturellen, sprachlichen und religiösen Kriterien. Jeder bürger (resident) singapurs, egal ob Einwanderer oder Einheimischer, gehört im melderegister einer der verschie-denen ethnischen Gruppen an. so gelten 2,2 millionen bürger als „chinesen‟, obwohl sie in singapur geboren wurden. Von den knapp 590.000 chinesen ausländischer herkunft stammen fast 340.000 aus malaysia und nur etwa 175.000 aus china, hongkong und macao. 2.278 chinesen in singapur sind in Europa geboren. Von gut einer halben million „malaysiern‟ (oder besser: „malays‟) haben fast 470.000 in singapur das Licht der welt erblickt. zu dieser Gruppe zählen auch knapp 11.000 bürger indonesischer Abstammung. mit „Inder‟ sind auch menschen aus paki-stan, bangladesch und sri Lanka gemeint.

singapur ist also bereits seit Jahrzehnten eine multieth-nische und multikulturelle Gesellschaft. seine Rede zum nationalfeiertag im August hält premierminister Lee hsien Loong deshalb in drei verschiedenen sprachen: malaiisch, mandarin und Englisch. Entscheidend ist für die Einwande-rungspolitik seiner Regierung, dass sich das „mischungsverhältnis‟ in der bevölkerung nicht zugunsten oder zulasten einer ethni-schen Gruppe verschiebt. Das gilt nicht nur für die prozentualen Anteile an der Gesamt-bevölkerung, sondern beispielsweise auch für die zugehörigkeit zu den verschiedenen Religionen. Den vor allem unter den minority communities verbreiteten ängsten vor einer „überfremdung‟ begegnete Lee in seiner Ansprache zum letztjährigen nationalfeiertag deshalb mit der beteuerung: „Die gegenwärtige mischung ist stabil und trägt zu unserer ethnischen und religiösen harmonie bei.‟7

7 | Text und Video auf http://www.channelnewsasia.com/nd2010 [11.03.2011].

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Die Behörden reagieren sehr empfind-lich auf öffentliche Kritik an Anders-gläubigen. Missionarische Aktivitäten, mit denen die „religiöse Harmonie‟ gestört werden könnte, sind verboten.

„MUSKULäRER SäKULARISMUS‟

Im vergangenen Jahrzehnt haben sich die Anteile der verschiedenen ethnischen Gruppen an der Gesamtbevöl-kerung mit der gesteuerten Vergabe von Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen in der Tat nur geringfügig verän-dert. Deutlicher fallen nach den Ergebnissen der letzten Volkszählung die Abweichungen bei der Religionszugehö-rigkeit aus: Im vergangenen Jahrzehnt sank der Anteil der buddhisten von 42,5 auf jetzt 33,3 prozent. Der Taoismus findet mit 10,9 prozent eine höhere Verbreitung als im Jahr 2000 mit damals 8,5 prozent. Der Anteil der christen ist deutlich von 14,6 auf 18,3 prozent gestiegen. Er über-trifft in singapur damit den Islam mit heute 14,7 prozent (2000: 14,9 prozent). Der Anteil der hinduisten ist von vier prozent vor zehn Jahren auf jetzt 5,1 prozent ebenfalls gestiegen.8

Die Religionsfreiheit ist in der Verfassung des stadtstaates garantiert. so hat jede der in singapur am stärksten verbrei-teten Religionen auch das Recht auf eine bestimmte zahl an gesetzlichen feiertagen. weihnachten wird also ebenso begangen wie das Vesak-fest der buddhisten, das chine-

sische neujahrsfest oder hari Raya für die muslime. Die festtage gelten für die Gesamt-bevölkerung. An den betreffenden Tagen bleiben die schulen, büros und behörden geschlossen. Gleichzeitig wacht der staat jedoch mit Argusaugen darüber, dass sich

keine fundamentalistischen strömungen verbreiten. Auch reagieren die behörden sehr empfindlich auf öffentliche Kritik an Andersgläubigen. missionarische Aktivitäten und publikationen, mit denen die „religiöse harmonie‟ gestört werden könnte, sind gesetzlich verboten.9

weibliche muslime dürfen an den öffentlichen schulen des Landes kein Kopftuch (in singapur: tudung) tragen. Jeder Verstoß gegen die Vorschriften für die obligatori-schen schuluniformen kann Konsequenzen haben bis hin zum Ausschluss vom unterricht. männlichen sikhs ist das

8 | Vgl. The Straits Times, 13.01.2011.9 | Vgl. u.a. „maintenance of Religious harmony Act‟, http://statutes.agc.gov.sg/non_version/cgi-bin/cgi_retrieve. pl?actno=REVED-167A [16.02.2011].

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Gemäß der „mother tongue policy‟ fördert die Regierung nicht nur das Erlernen von Englisch, sondern auch die Muttersprachen der verschiedenen ethnischen Gruppen.

Tragen eines Turbans auch in der schule hingegen erlaubt. Ende der achtziger Jahre wurde der Religionsunterricht (Religious Knowledge curriculum) an den schulen durch ein civic and moral Education programme ersetzt. singa-purs stellvertretender premierminister wong Kan seng begründete das prinzip des muscular secularism 2009 mit den worten: „wir sind kein christliches singapur, kein muslimisches singapur, auch kein buddhistisches oder hinduistisches. wir sind ein säkulares singapur, in dem christen, muslime, buddhisten, hindus und andere in frieden miteinander leben.‟10

TURMBAU OHNE BABEL

In kaum einem anderen Land der Erde spielt „Verstän-digung‟ eine größere Rolle als in singapur, wo mehr als jeder dritte Einwohner ausländischer herkunft ist. Englisch wurde in den schulen deshalb bereits in den sechziger Jahren als erste unterrichtssprache eingeführt. Einerseits sollte damit sichergestellt werden, dass sich die unter-schiedlichen bevölkerungsgruppen in singapur „neutral‟ miteinander verständigen können. Darüber hinaus domi-niert die lingua franca im Alltag bis heute auch deshalb, weil sie die internationale wettbewerbsfähigkeit des von seinem Außenhandel und von internationalen finanz-dienstleistungen abhängigen stadtstaates fördert.

mit dem erklärten ziel, neuankömmlinge zu integrieren, so dass sie mit der zeit singa-purer werden, „in their outlook and iden- tity‟,11 fördert die Regierung aber nicht nur das gemeinsame Englisch, sondern auch die muttersprachen der verschiedenen ethnischen Gruppen. Die so genannte mother tongue policy schreibt eine wenigstens zweisprachige schulausbildung vor. ursprünglich war auch sie der wirtschaftlichen Entwicklung des noch jungen staates geschuldet. Die förderung und pflege der sprachkenntnisse in mandarin erleichterten beispielsweise den handel mit der Volksrepublik china. Daran hat sich grundsätzlich nichts geändert. ähnlich wie

10 | Kumar Ramakrishna, „‚muscular‛ versus ‚Libera‛. secularism and the Religious fundamentalist challenge in singapore‟, RSIS Working Paper, no. 202 (singapore, 2010), 9 f.11 | Vgl. fn. 7.

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Im Kindergarten wird in den drei hauptsächlichen Muttersprachen chi-nesisch (Mandarin), Tamilisch (Tamil) und Malaiisch (Bahasa) unterrichtet. Ab der Grundschule ist Englisch Unter-richtssprache.

die kontrollierte co-Existenz der verschiedenen Religionen soll der muttersprachliche unterricht den verschiedenen ethnischen Gruppen aber auch helfen, ihre kulturellen wurzeln und Traditionen zu bewahren.

Etwa die hälfte der Drei- bis sechsjährigen lernt bereits im Kindergarten Englisch. Daneben wird in den drei hauptsächlichen muttersprachen chinesisch (mandarin), Tami- lisch (Tamil) und malaiisch (bahasa) unter-

richtet. Ab der Grundschule ist Englisch in den meisten fächern die unterrichtssprache. Vom ersten bis vierten schuljahr werden neben Tamilisch auch nicht tamilische indische sprachen wie hindi, bengali, Gujarati, punjabi oder urdu angeboten. Die orientation stage im fünften und sechsten schuljahr gliedert den muttersprachlichen unterricht in ein basis-, ein standard- und ein gehobenes niveau. Die Grundschule endet nach dem sechsten schul-jahr mit einer Abschlussprüfung. Das Ergebnis entscheidet darüber, ob das Kind in den darauf folgenden schuljahren eine Special-, Express-, Normal (Academic)- oder Normal (Technical)-Laufbahn einschlägt.

Special und Express sind für vier Jahre bis zum Abschluss der zehnten Klasse angelegt. beide Kategorien schließen mit dem so genannten O-Level ab. Der unterschied besteht auch hier insbesondere in der sprachausbildung. zwar wird neben Englisch jeweils chinesisch, Tamilisch und malaiisch unterrichtet, Special führt den muttersprach-lichen unterricht aber auf einem höheren niveau. wer im Express-zweig bis zum O-Level nicht die vom staat defi-nierten mindestanforderungen an die muttersprachliche Kompetenz erfüllt, muss ein Jahr verlängern.

statt der drei wichtigsten muttersprachen, oder auch zusätzlich, besteht in vielen schulen neben dem obligato-rischen Englisch die wahl zwischen französisch, Deutsch, Arabisch und Japanisch. Einige der internationalen schulen bieten auch spanisch oder Koreanisch an. Als „Ersatzmut-tersprachen‟ werden sie (auch von chinesen, malaysiern und Indern bzw. den damit umschriebenen ethnischen Gruppen) vor allem dann bevorzugt, wenn die Kinder und Jugendlichen mehrere Jahre in den betreffenden Ländern gelebt haben und erst mit beginn oder während ihrer

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Malaiische Schüler kommunizieren heute zu 37 Prozent hauptsächlich in englischer Sprache mit den Eltern. Vor zwei Jahrzehnten betrug der Anteil noch 13 Prozent.

schullaufbahn nach singapur (zurück-) gekommen sind. Die nicht chinesisch- und nicht malaysischstämmigen schüler dürfen als wahlfächer bzw. dritte sprache entweder chinesisch oder malaysisch belegen. Die sprachen werden außerhalb der regulären schulzeit unterrichtet.

Die beiden Normal-zweige sind stärker entweder auf technische oder auf betriebswirtschaftliche (buchhaltung, Verwaltung) Lehrinhalte ausgerichtet. sie schließen nach fünf Jahren mit einem O-Level-Examen ab. Auf noch höherem niveau endet die schullaufbahn nach insgesamt zwölf Jahren entweder mit dem International Baccalau-reate (Ib Diploma bzw. Ib certificate) oder mit dem so genannten A-Level.

„sprache‟ als mittel zur Integration folgt in singapur also nicht dem prinzip des „entweder, oder‟, sondern des „sowohl, als auch‟ von Englisch (plus dritte fremdsprache) und muttersprache. neu ist, dass ab dem nächsten Jahr die Lehr- und Lernmethoden für den muttersprachlichen unterricht verbessert werden sollen. Denn nach einer im Januar vorgestellten Analyse des Language Review committee sprechen immer mehr Grundschüler zuhause mit ihren Eltern, Geschwistern und Verwandten nur noch oder hauptsächlich Englisch. unter den chinesischstäm-migen Erstklässlern stieg der Anteil von 28 prozent vor zwanzig Jahren auf heute 59 prozent. unter den indisch-stämmigen schulanfängern dominiert Englisch inzwischen bei 58 prozent (1991: 49 prozent). Von den Klassenkameraden aus der Gruppe der malaysier kommunizieren heute 37 prozent hauptsächlich in englischer sprache mit den Eltern. Vor zwei Jahrzehnten betrug der Anteil noch 13 prozent. „If you want to keep the language, […] you have to teach them [die schüler, der Verf.] to use it‟, mahnte bildungsminister ng Eng hen bei der Vorstellung des berichts an die Adresse der Lehrer. mit blick auf die Elternhäuser und die Gesellschaft fuhr er fort: „homes will have to support that kind of environ-ment, and the community will have to support that kind of environment.‟12 Gelebte sprachvielfalt ist also gewollt.

12 | The Straits Times, 19.01.2011.

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Die Ethnic Integration Policy schreibt den zum Kauf und Verkauf von HDB-wohnungen berechtigten Bürgern vor, in welchem Gebäude sie wohnen dür-fen.

zwei maßnahmen sollen den Rückgang jetzt stoppen: bis 2015 will das bildungsministerium die derzeit 6.666 Lehrer für den muttersprachlichen unterricht um 500 zusätzliche Lehrkräfte aufstocken. wichtiger ist aber vielleicht noch, dass sich die unterrichtsmethoden ändern sollen. mit Verweis auf beispiele aus den usA, china, Indien, malaysia und Australien wird in prüfungen künftig die fähigkeit zur „aktiven und interaktiven‟ Kommunikation getestet. Grundschüler müssen sich in ihren materialien für den muttersprachlichen unterricht nicht länger mit archaic scenarios, veralteten Themen und Inhalten, beschäftigen.

PROPORz GEGEN ENKLAVEN

Auch auf dem wohnungsmarkt überlässt die Regierung des Einwanderungslandes nichts dem zufall. heute wohnt ein Großteil der bevölkerung singapurs in wohnblöcken, die in der Regel jeweils mehrere hundert Appartements beherbergen. seit den späten sechziger Jahren sind die häuser Teil des öffentlichen wohnungsbaus. zuständig ist das beim ministerium für nationale Entwicklung ange-siedelte housing and Development board (hDb). Die wohnungen in unterschiedlicher Größe und Ausstattung werden ganz überwiegend nicht gemietet, sondern gekauft und beim Auszug wieder verkauft. mit dem ziel, die „racial

integration and harmony‟ zu fördern, „racial enclaves‟ zu verhindern und einen „balanced ethnic mix among the various ethnic commu-nities‟ sicherzustellen, hat sich singapur der so genannten Ethnic Integration policy (EIp)

verpflichtet.13 sie schreibt den zum Kauf und Verkauf von hDb-wohnungen berechtigten bürgern vor, in welchem Gebäude sie wohnen dürfen.

singapurische staatsbürger und die Gruppe der malay-sischstämmigen permanent residents sind von den bestim-mungen teilweise ausgenommen. Als Grund werden die kulturellen und geschichtlichen Gemeinsamkeiten zwischen singapur und der malaysischen Ethnie angegeben. Perma-nent residents, die anderen ethnischen Gruppen ange-

13 | housing and Development board, „Ethnic Integration policy & spR Quota‟, http://www.hdb.gov.sg/fi10/fi10321p.nsf/w/buy ResaleflatEthnicIntegrationpolicy_EIp?OpenDocument [16.02.2011].

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Insgesamt dürfen nur acht Prozent aller wohnungen eines Blocks und nur fünf Prozent aller wohnungen in der unmit-telbaren Nachbarschaft von Angehöri-gen einer Ethnie belegt werden.

hören, dürfen hingegen insgesamt nur acht prozent aller wohnungen eines blocks und nur fünf prozent aller woh- nungen in der unmittelbaren nachbarschaft belegen. Ist die Quote erfüllt, wird den Inte-ressenten der Kauf einer wohnung in dem betreffenden Gebäude verwehrt. sie müssen dann auf andere wohnanlagen ausweichen. Auch der Verkäufer unterliegt natürlich den Quoten. über die frage, an wen er seine bleibe abtreten möchte, entscheidet mithin nicht nur das Kaufangebot des Interessenten, sondern auch dessen ethnische herkunft.

Trotz ihrer historischen und kulturellen Gemeinsamkeiten wird auch im falle der singapurischen staatsbürger und der malaysischstämmigen permanent residents darauf geachtet, dass eine einzelne Ethnie nicht alle wohnungen eines Gebäudeblocks belegt. so gelten für die chine-sischstämmigen bürger mit oder ohne pass als Ober-grenze 84 prozent aller wohnungen in der unmittelbaren nachbarschaft. Die Quote für malays beträgt 22 prozent, für „Indians & Others‟ zwölf prozent.14 Die restlichen wohnungen müssen von bürgern mit anderer ethnischer herkunft bewohnt sein. Die EIp-Quoten für jeden Gebäude-block entsprechen in etwa dem Anteil der verschiedenen Ethnien an der Gesamtbevölkerung.

sowohl die permanent residents als auch die singapu-rischen staatsbürger erhalten beim Kauf einer hDb-wohnung finanzielle unterstützung (etwa analog zu einer „wohnungsbauprämie‟ in Deutschland). sie beträgt maximal 30.000 singapur Dollars. mit diesem Instrument soll jetzt ebenfalls die Integration gefördert werden. Denn angehende wohnungseigentümer mit staatsbürgerschaft bekommen seit dem letzten Jahr 10.000 singapur Dollar mehr als ein permanent resident. Da hDb-wohnungen bis zum 35. Lebensjahr grundsätzlich nur an verheiratete paare vergeben werden, bezieht sich die neue citizens come first-Regelung auf beide partner. Auch in einer gemischten Ehe mit einem staatsbürger und einem permanent resident kürzt der staat also seine zuwendung auf maximal 20.000

14 | housing and Development board, „policy changes to support an inclusive and cohesive home‟, pressemitteilung, 05.03.2011, http://www.news.gov.sg/public/sgpc/en/media_releases/ agencies/hdb/press_release/p-20100305-4/Attachmentpar/ 0/file/press_Release-sc_spR-EIp-spR_Q.pdf [28.03.2011].

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Seit den späten sechziger Jahren wur- den die Auflagen für den zuzug von ausländischen Arbeitern wiederholt gelockert. Viele gering qualifizierte Ausländerinnen arbeiten als Hausan-gestellte.

singapur Dollars. wer sich nach dem Kauf seiner wohnung noch rasch für den singapurischen pass entscheidet oder wenigstens ein Kind mit singapurischer staatsbürgerschaft hat, erhält die restlichen 10.000 singapur Dollar nachträg-lich.

ARBEIT NAcH QUOTEN

Die derzeitigen Eckwerte für die Einwanderungspolitik der singapurischen Regierung wurden im manpower 21 plan von 1999 festgelegt. mit ihm sollte das Land seine posi-tion als „Talent-hauptstadt‟ der von wissen (knowledge) und Innovation befeuerten „new Economy‟ international festigen. Als besonders aussichtsreiche wachstumsmärkte wurden die bereiche biomedizin, chemie, Elektronik und umwelttechnik, daneben im Dienstleistungssektor die finanzwirtschaft und die Gesundheitsfürsorge identifiziert. Gut ausgebildete ausländische fachkräfte, wissenschaftler

und Ingenieure werden in diesen feldern gerne ins Land gelassen. Davon abgesehen, ist singapur aber bis heute in hohem maße auch auf gering oder kaum qualifizierte Kräfte aus dem Ausland angewiesen. seit den späten sechziger Jahren hat der stadt-

staat die Auflagen für den zuzug von ausländischen Arbei-tern vor allem in der bauwirtschaft, im Transportgewerbe, beim schiffsbau sowie in der Kranken- und Altenpflege wiederholt gelockert. Viele gering qualifizierte Auslände-rinnen arbeiten als hausangestellte (domestic workers).

Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen werden in Abhän-gigkeit vom monatlichen Einkommen, von der Qualifikation und vom Einsatzgebiet bzw. Tätigkeitsfeld (branche) des Antragstellers „gestaffelt‟ erteilt. Die frage, wie viele vor allem der gering qualifizierten ausländischen Arbeitnehmer mit einem so genannten R-pass für welchen wirtschafts-sektor in singapur arbeiten dürfen, richtet sich nach fest-gelegten Quoten. Dafür ist das herkunftsland ein wichtiges Kriterium.15 Allen unternehmen wird je nach branche

15 | für die bauwirtschaft zum beispiel dürfen derzeit Arbeiter aus malaysia, china, Indien, sri Lanka, Thailand, bangladesch, myanmar, philippinen, pakistan, hongkong, macao, südkorea und Taiwan rekrutiert werden. für das produzierende Gewerbe sind hingegen nur Arbeiter aus malaysia, china, hongkong, macao, südkorea und Taiwan zugelassen.

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Mit einem P1-Pass oder einer PEP-Erlaubnis können Ausländer in Singa-pur auch den Status als „permanent resident‟ und die Staatsbürgerschaft beantragen.

darüber hinaus vorgeschrieben, wie viele ausländische Arbeiter sie insgesamt und wie viele sie aus bestimmten Ländern im Verhältnis zur Gesamtzahl aller mitarbeiter anstellen dürfen. für ausländische R-pass-Inhaber müssen die Arbeitgeber darüber hinaus eine Abgabe an den staat leisten. Das monatliche Einkommen eines R-pass-Inhabers darf 1.800 singapur Dollar (derzeit umgerechnet etwa 1.000 Euro) nicht überschreiten.

für eine p1-Arbeitserlaubnis kommt in frage, wer monat-lich wenigstens 7.000 singapur Dollar (derzeit umge-rechnet ca. 4.000 Euro) verdient. p1-Inhaber dürfen ihre nächsten familienangehörigen (Ehepartner und Kinder unter 21 Jahre) mit ins Land bringen. für die Ehepartner und Kinder gilt jedoch ein sonderstatus (Dependant’s pass), der gesondert beantragt werden muss. Ausländer mit einer p1-Erlaubnis sind darüber hinaus berechtigt, sich um einen personalised Employment pass (pEp) zu bewerben. mit ihm erhöht sich die Aufent-haltsdauer auf maximal fünf Jahre. wer in diesem zeitraum seine Anstellung verliert, darf bis zu sechs monaten ohne Einkommen in singapur bleiben und nach einer neuen Arbeit suchen. mit einem p1-pass oder einer pEp-Erlaubnis können Ausländer in singapur auch den status als permanent resident und die staatsbürgerschaft beantragen.

Eine p2-Arbeitserlaubnis setzt ein monatliches Gehalt von wenigstens 3.500 singapur Dollar (derzeit umgerechnet etwa 2.000 Euro) voraus. Ein p2-Inhaber kann ebenfalls permanent resident werden, sollte mit dem Antrag aber wenigstens zwei Jahre warten. Die übrigen bestimmungen entsprechen dem p1-status.

Die Q1-Arbeitserlaubnis greift ab einem monatlichen Einkommen von mindestens 2.500 singapur Dollar (ca. 1.450 Euro). Erst ab diesem Gehaltsniveau dürfen auslän-dische Arbeitnehmer ihre nächsten familienangehörigen mit ins Land bringen. unterhalb dieser Ebene wird ab einem Gehalt von 1.800 singapur Dollar der sogenannte s-pass erteilt. für diese Gruppe muss der Arbeitgeber eine monatliche Abgabe entrichten. Auch gelten beschäf-tigungsquoten. Der Antrag auf den status als permanent

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Der Status als „permanent resident‟ wird zunächst für fünf Jahre gewährt. Im Anschluss kann die Aufenthaltsge-nehmigung um weitere fünf Jahre und mehr verlängert werden.

resident und auf die staatsbürgerschaft steht Ausländern mit einem s-pass ebenfalls offen. Im Regelfall hat er aber erst nach einer Aufenthaltsdauer von vier bis fünf Jahren Aussichten auf Erfolg.

Arbeitsgenehmigungen im p-, Q- oder s-status werden üblicherweise für ein bis zwei Jahre erteilt. Danach besteht

die möglichkeit zur (wiederholten) Verlänge-rung, wenn der Antragsteller ein geregeltes Einkommen nachweisen kann. Der status als permanent resident wird zunächst hingegen für fünf Jahre gewährt. Im Anschluss kann die Aufenthaltsgenehmigung um weitere

fünf Jahre und mehr verlängert werden. Der Verlust des Arbeitsplatzes und des geregelten Einkommens zwingt einen permanent resident im unterschied zu den non-residents nicht dazu, das Land zu verlassen. pRs können sich bereits nach zwei Jahren um die staatsbürgerschaft bemühen. sie entrichten ebenso wie singapurische staats-bürger monatliche beiträge in den central provident fund (cpf). über diese sparanlage sind sie für das Alter abge-sichert. Auch darf das Geld aus dem cpf vom jeweiligen Kontoinhaber unter bestimmten Auflagen dafür verwendet werden, eine hDb-wohnung zu kaufen. Auch sie gilt in singapur als Altersversorgung.

Der Employment pass in seinen unterschiedlichen Abstu-fungen steuert die Einwanderung nicht nur nach demogra-phischen, sondern auch nach konjunkturellen Gesichts-punkten. Geht es der wirtschaft in einem bereich schlecht, werden dafür weniger Ausländer zugelassen. umgekehrt wird die zahl der Arbeitsgenehmigungen für migranten in „boomphasen‟ sektoral erhöht. so betrug der Anteil der non-residents am bevölkerungswachstum 2008 noch 4,2 prozent, während nur 0,6 prozent bzw. 0,7 prozent des zuwachses auf permanent residents und neue staats-bürger entfielen. nachdem sich ab 2009 auch in singapur die globale wirtschafts- und finanzkrise bemerkbar machte, sank der Anteil der non-residents am bevölke-rungswachstum auf ein prozent im vergangenen Jahr. mit 0,2 prozent wurden auch weniger permanent residents neu zugelassen.

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„Ich täusche mich keinen Moment da- rüber, dass unsere ethnischen, kultu- rellen, sprachlichen und religiösen Unterschiede verschwunden sein könn- ten.‟ (Singapurs Staatsgründer Lee)

Im Ergebnis reduzierte sich damit vor allem der Anteil der Geringverdiener. Die zahl der vollbeschäftigten Arbeiter mit einem monatlichen Einkommen von 1.200 singapur Dollar (derzeit umgerechnet etwa 690 Euro) und weniger lag im Juni 2010 bei 262.000, etwa fünf prozent unter dem niveau des Vorjahres. 77,1 prozent aller bürger zwischen 25 und 64 Jahren standen im letzten Jahr in Lohn und brot. Die beschäftigungsquote ist in singapur damit so hoch wie zuletzt 1991.16

über Erfolge wie diese berichten die medien des südost-asiatischen stadtstaates ausführlich. presse und Rund-funk produzieren deshalb in den verschiedenen sprachen der größten ethnischen Gruppen (Englisch, chinesisch, malaiisch und Tamilisch). Der „maintenance of Religious harmony Act‟ betrifft auch die medien. Veröffentlichungen, die „feelings of enmity, hatred, ill-will or hostility between different religious groups‟ erzeugen könnten, sind für presse und Rundfunk verboten.17

DIE AKTUELLE DISKUSSION

Trotz der beeindruckenden wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und der immensen Anstrengungen bei der Integration bleibt das Thema also sensibel. „Ich täusche mich keinen moment darüber, dass unsere ethni-schen, kulturellen, sprachlichen und religiösen unterschiede verschwunden sein könnten‟, warnte etwa singapurs staatsgründer im Januar bei der präsentation des buches Lee Kuan Yew: Hard Truths to Keep Singapore Going.18 Die jetzige und die künftige Generation sei verantwortlich dafür, „to understand the vulnerability, the fragility of our society and keep it in cohesion, keep it united and keep it as it is today, tolerant of each other, accommodating each other‟.19 sowohl muslime als auch nicht-muslime wollten einige äußerungen in dem buch aber nicht unkommentiert

16 | Vgl. The Straits Times, 01.12.2010.17 | Vgl. „maintenance of Religious harmony Act‟, http://statutes. agc.gov.sg/non_version/cgi-bin/cgi_retrieve.pl?actno= REVED-167A [16.02.2011].18 | Afp, „preserve racial, religious unity: Lee Kuan yew‟, asiaone news, 21.01.2011, http://news.asiaone.com/news/AsiaOne% 2bnews/singapore/story/A1story20110121-259611.html [16.02.2011].19 | Ebd.

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lassen. Lee, der heute den Titel „minister mentor‟ trägt und auf den sich die presse oft nur mit dem Kürzel „mm‟ bezieht, wird in einem Onlinebeitrag von Today mit der Textpassage zitiert: „I think we were progressing very nicely until the surge of Islam came, and if you asked me for my observations, the other communities have easier integration – friends, intermarriages and so on, Indians with chinese, chinese with Indians – than muslims. That’s the result of the surge from the Arab states.‟ weiter heißt es: „I would say, today, we can integrate all religions and races except Islam. I think the muslims socially do not cause any trouble, but they are distinct and separate.‟20

Lee hsien Loong, der sohn des staatsgründers und derzei-tige premierminister, versicherte nach der Veröffentlichung Ende Januar: „but my own perspectives on how things are in singapore based on my interaction with the malay community, the mosque and religious leaders and the grassroots leaders, is not quite the same as mm’s.‟ Die im buch des Vaters geäußerten Ansichten, so der premiermi-nister, seien persönlicher natur.21

Im kommenden parlamentswahlkampf werden neben der Inflation und den wohnungspreisen auch die Integra-tion und Einbürgerung von Ausländern zu den wichtigen Themen zählen. niemand rechnet trotz der aktuellen Diskussion aber ernsthaft damit, dass die seit der unab-hängigkeit 1965 dominierende people’s Action party (pAp) ihre absolute mehrheit im parlament einbüßen wird. mit der vergleichsweise raschen und problemlosen bewäl-tigung der globalen wirtschafts- und finanzkrise hat die singapurische Regierung bewiesen, dass sie den Erfolgs-kurs des stadtstaates auch unter großen schwierigkeiten fortzusetzen in der Lage ist. unter umständen wird das citizens come first-prinzip mit zusätzlichen privilegien für staatsbürger unterfüttert. Im Kern wird singapur aber an seiner bildungs-, Einbürgerungs- und Integrationspolitik festhalten. Denn nicht zuletzt darauf gründet das Erfolgs-modell des südostasiatischen stadtstaates.

20 | s. Ramesh, „It’s a matter of perspective‟, todayonline.com, 31.01.2011, http://todayonline.com/singapore/EDc110131- 0000092 [16.02.2011].21 | s. Ramesh, „muslims have done much to strengthen inte- gration, says pm Lee‟, channelnewsasia.com, 30.01.2011, http://channelnewsasia.com/stories/singaporelocalnews/ view/1107843/1/.html [16.02.2011].

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Die Ankündigung, sich möglicherweise um die gemeinsame Ausrichtung der fußballweltmeisterschaft im Jahr 2030 zu bewerben, war das medienwirksamste Ergebnis des Tref-fens der Außenminister der zehn AsEAn-staaten bei ihrer Tagung auf der indonesischen Insel Lombok am 20. Januar 2011. Offensichtlich waren die minister verstärkt um öffentliche wahrnehmung für AsEAn bemüht, nachdem die regionale Vereinigung zuletzt kaum fortschritte beim Integrationsprozess vorweisen konnte. Die Ankündigung einer eventuellen wm-bewerbung hat von den derzeitigen schwierigkeiten innerhalb der Gemeinschaft und in ihrem Verhältnis zu den nachbarn ein wenig abgelenkt. Der ebenfalls in Lombok verabschiedete Aufruf der Außenmi-nister zugunsten einer Aufhebung der sanktionen gegen myanmar aufgrund der dort abgehaltenen wahlen und der nun bevorstehenden Einberufung eines parlaments nach 20 Jahren militärdiktatur ist in asiatischen medien mit zustimmung zur Kenntnis genommen worden. Doch weil sich die AsEAn-mitglieder vor den wahlen im november eher verhalten für deren freie und faire Durchführung oder wenigstens die zulassung regionaler wahlbeob-achter eingesetzt hatten, stärkt der nachträgliche Aufruf zur Aufhebung der sanktionen die Glaubwürdigkeit der AsEAn-Gruppe im hinblick auf myanmar kaum.

Die bemühungen der AsEAn-minister um öffentliche wahr-nehmung erklärt sich damit, dass die Länder südostasiens und ihre Gemeinschaftsorganisation AsEAn in jüngster zeit immer stärker vor der herausforderung stehen, ihre Dynamik in einem Kontinent zu zeigen, der ohnehin stark in bewegung ist. Die neue weltmachtrolle chinas und das

VOM FAHRERSITz AUF DIE RÜcKBANKREGIONALE zUSAMMENARBEIT IN SÜDOSTASIEN

Wilhelm Hofmeister

Dr. wilhelm hofmeister leitet das Regional- programm politischer Dialog Asien der Konrad-Adenauer-stiftung mit sitz in singapur.

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zunehmende wirtschaftliche und politische Gewicht Indiens haben nicht nur das Augenmerk auf diese beiden Länder gelenkt, sondern auch die wirtschaftlichen und politischen Koordinaten in Asien und speziell in südostasien verändert. Das beeinträchtigt nicht nur das selbstbewusstsein der südostasiatischen Elite, sondern birgt konkrete herausfor-derungen für die regionale zusammenarbeit innerhalb der AsEAn-Gruppe sowie zwischen den mitgliedsländern und ihren nun mächtigeren nachbarn.

china kommt in diesem zusammenhang eine besondere bedeutung zu, was im zuge der internationalen finanz- und wirtschaftskrise deutlich geworden ist. Denn china wird für die usA, die Europäische union und Japan, traditionell die wichtigsten handelspartner südostasiens, als markt, zulieferer und Investor immer wichtiger. nach der finanz-krise von 1997 hatte AsEAn neue Initiativen ergriffen, um die regionale Integration zu vertiefen und auch die zusam-menarbeit mit „Dialogpartnern‟ außerhalb des AsEAn-Raums auszubauen. Dies betraf zunächst china, Japan und südkorea und weitete sich dann auf andere Länder aus. Die AsEAn-Gruppe fühlte sich, wie es von Regierungs- und Think Tank-Vertretern gerne ausgedrückt wird, auf dem „fahrer-sitz‟ der regionalen Integration. Angesichts der neuen Kräftekonstellationen aber besteht der Eindruck, dass sie mittlerweile auf dem Rücksitz platz nehmen musste, weil ihr andere Akteure den fahrersitz streitig gemacht haben.

Die wichtigsten Initiativen einer erweiterten regionalen Kooperation, die von den Ländern südostasiens ausgingen, sind:

▪ Das AsEAn Regional forum (ARf), das 1993 in singapur begründet wurde und am 25. Juli 1994 in bangkok erstmalig zusammentrat, ist das wichtigste Dialog- und Konsultationsforum Asiens über politische und insbeson-dere sicherheitspolitische Themen von gemeinsamem Interesse, das zur Vertrauensbildung und präventiven Diplomatie in Asien beiträgt. Ihm gehören auch die usA, Kanada, Russland und die Eu an.1

1 | mitglieder des ARf: Australien, bangladesch, brunei, china, Eu, Indien, Indonesien, Japan, Kambodscha, Kanada, Laos, malaysia, myanmar, mongolei, neuseeland, nordkorea, pakis- tan, papua neuguinea, philippinen, Russland, singapur, sri Lanka, südkorea, Thailand, Ost Timor, usA, Vietnam.

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ASEAN plus Drei ist auch ein Forum für Freihandelsvereinbarungen. Die erste Freihandelszone trat mit der Volks-republik china am 1. Januar 2010 in Kraft.

▪ Die Initiative AsEAn plus Drei, die seit 1997 gemeinsame Tagungen der zehn AsEAn-staaten mit der Volksrepublik china, Japan und südkorea organisiert. Im Rahmen dieser AsEAn plus Drei-Treffen wurde im mai des Jahres 2000 als Reaktion auf die vorherge-hende finanzkrise die so genannte chiang-mai-Initiative vereinbart, die Erweiterung der währungsswap-Regelungen innerhalb der AsEAn-staaten auf alle mitglieder von AsEAn plus Drei. ziel dieses regionalen finanzpolitischen Reservemechanismus ist die Vermeidung bzw. begren-zung möglicher finanzkrisen. AsEAn plus Drei ist auch ein forum für freihandelsvereinbarungen. Die erste freihandelszone trat mit der Volksrepublik china am 1. Januar 2010 in Kraft. Die Abkommen zwischen der AsEAn und Japan sowie südkorea werden noch verhandelt und sollen bis 2012 abgeschlossen sein. Allerdings haben sich die Erwartungen, die AsEAn plus Drei würden sich zur regionalen schlüsselorganisation entwickeln, nicht erfüllt.

▪ Der Ostasien-Gipfel (East Asia summit, EAs), ein weiteres von AsEAn ausgehendes Dialogforum für brei-tere strategische, politische und wirtschaftliche fragen von gemeinsamem Interesse. Der erste EAs-Gipfel fand im Dezember 2005 in Kuala Lumpur, malaysia, statt. neben den Regierungschefs der AsEAn plus Drei nahmen auch diejenigen Indiens, Australiens und neuseelands teil. Auf dem fünften Treffen in hanoi im Oktober 2010 wurden zudem die usA und Russland formal in diesen Gipfelprozess aufgenommen.

▪ Der seit 2002 jährlich in singapur stattfindende shangri La-Dialog ist ein wichtiges sicherheitspolitisches forum, an dem Verteidigungsminister und weitere Regierungs-vertreter aus mittlerweile knapp 30 Ländern Asiens, aber auch aus den usA und aus der bundesrepublik Deutsch-land teilnehmen.

▪ Der Gipfelprozess zwischen Europa und Asien, das Asia Europe meeting (AsEm), wurde 1995 ebenfalls von einem südostasiatischen Land (singapur) angeregt und hat nach der anfänglichen Einbeziehung der AsEAn plus Drei mittlerweile einen erweiterten mitgliedskreis aus Asien und dem pazifik.

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Die Rüstungsanstrengungen Beijings haben dazu geführt, dass china mitt-lerweile alle südostasiatischen Länder mit konventionellen waffen zu errei-chen vermag.

Diese und einige weitere Initiativen verdeutlichen die Rolle der Länder südostasiens und ihrer regionalen Vereinigung AsEAn als motor regionaler Kooperation in der Vergangen-heit. AsEAn saß tatsächlich auf dem „fahrersitz‟. mit dem Aufstieg chinas und Indiens aber wird die Richtung der regionalen Entwicklung von anderen Akteuren bestimmt.

welche Rolle spielt südostasien heute im Kontext Asiens? Diese frage wird von politikern und beobachtern in der Region mit neuer Dringlichkeit gestellt. Eine Analyse muss vier bereiche im blick haben:

▪ die regionale sicherheitskonstellation, insbesondere das Auftreten chinas im südchinesischen meer;

▪ die nationale politische Entwicklung, d.h. die stabilität und die Entwicklungsperspektiven der politischen systeme;

▪ die wirtschaftliche Erholung nach der Krise; ▪ den stand der regionalen Integration, die durch neue Tendenzen sub-regionaler Kooperation der mekong-Länder vor ernsthafte herausforderungen gestellt ist.

HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE REGIONALE SIcHERHEIT IM SÜDcHINESIScHEN MEER

Das Auftreten chinas im südchinesischen meer während des Jahres 2010 offenbarte wie kaum zuvor seit dem Ende des Vietnamkrieges die sicherheitspolitische Verwundbar-keit der Länder südostasiens. zwar hatten die Volksre-publik und AsEAn 2002 eine Erklärung über die Rolle im südchinesischen meer unterzeichnet. Doch seither gelang

es nicht, diese Erklärung um einige und effektive Verhaltenskodizes zu ergänzen. Dies erweist sich heute als eine schwäche der AsEAn. Denn 2010 endete die zeit, in der man meinte, Ansprüche chinas einfach nicht

beachten zu müssen. plötzlich wurde chinas wachsende wirtschaftliche und politische macht erkannt, die sich im Ausbau des militärapparates und in einer neuen militäri-schen stärke des Landes niederschlägt. Die Rüstungs-anstrengungen der Volksrepublik haben dazu geführt, dass china mittlerweile alle südostasiatischen Länder mit konventionellen waffen zu erreichen vermag. Die immer deutlicher zutage tretenden machtinteressen chinas haben

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Die Annahme der ASEAN erweist sich nicht mehr als korrekt, wonach alle regionalen Akteure ein gemeinsames Interesse an einer stabilen und fried-lichen Region hätten.

wesentliche Elemente der bisherigen regionalen sicher-heitsarchitektur in frage gestellt. Damit aber stehen nicht nur einzelne Länder südostasiens, sondern die gesamte AsEAn-Gemeinschaft vor unerwarteten herausforde-rungen.

Erstens erweist sich die Annahme der AsEAn nicht mehr als korrekt, wonach alle regionalen Akteure ein gemein-sames Interesse an einer stabilen und fried-lichen Region hätten, die frei von gegensei-tiger bedrohung ist. Diese Annahme liegt u.a. dem Treaty of Amity and cooperation in southeast Asia (TAc) zugrunde. Die neu auftretenden fragen hinsichtlich der souve-ränitätsrechte im südchinesischen meer und das dahinter stehende Interesse an einem zugang zu Ressourcen werfen ernsthafte zweifel daran auf, ob ein gemeinsames Inte-resses noch gegeben ist. Verschiedene Ereignisse haben neue besorgnis hervorgerufen, die Durchsetzung der Ansprüche chinas führe zu einer chinesischen Dominanz und der entsprechenden unterordnung südostasiens unter die wirtschaftlichen und politischen Interessen chinas.

Die Antwort der AsEAn auf diese herausforderung war und ist doppelgleisig: einerseits versucht man bereits seit einiger zeit, china in eine ganze Reihe multilateraler Initia-tiven einzubinden. neben den bereits erwähnten foren und Initiativen – ARf, AsEAn plus Drei, jetzt der erweiterte East Asian summit – ist hier auch das freihandelsabkommen zu nennen (china-AsEAn free Trade Agreement, cAfTA), das im Januar 2010 in Kraft trat. Es schuf die freihandelszone mit der größten bevölkerung und dem drittgrößten kumu-lierten sozialprodukt weltweit. Auch wenn das Abkommen Vorteile für beide seiten bringen soll, so vermuten Kommentatoren doch, dass china stärker profitieren wird. neben diesen multilateralen Vereinbarungen gibt es zahl-reiche bilaterale Abkommen zwischen einzelnen südost-asiatischen staaten und china, die von der technischen zusammenarbeit in einzelnen Gebieten bis hin zur Verein-barung strategischer partnerschaften reicht. neben den dadurch entstandenen Verbindungen zwischen einzelnen Institutionen ist auch das heer chinesischer minister, Regierungsvertreter und beamter zu nennen, die an zahl-reichen Treffen in der Region teilnehmen und dadurch die

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Beijings internationales Verhalten ist eindeutig stärker von seiner wahrneh-mung nationaler Interessen als durch seine Einbindung in regionale Interde-pendenzen geprägt.

Verbindungen und den meinungsaustausch vertiefen. Doch trotz all dieser Aktivitäten gibt es keine hinweise darauf, dass die wirtschaftlichen und sozialen Verbindungen china dazu bewegen könnten, die sichtweise der AsEAn zu über-nehmen, wenn es seine eigenen „sicherheitsinteressen‟ wahrnimmt. Der chinesische premierminister wen Jiabao ließ daran keinen zweifel. während der Generalversamm-

lung der Vereinten nationen im september 2010 betonte er: „wenn es um souveränität, nationale Einheit und territoriale Integrität geht, wird china nicht nachgeben oder Kompromisse schließen.‟ beijings internatio-

nales Verhalten ist eindeutig stärker von seiner wahrneh-mung nationaler Interessen als von seiner Einbindung in regionale Interdependenzen geprägt. Das zeigte der Konflikt mit Japan im september 2010, als die chinesische führung anti-japanische Demonstrationen erlaubte, wenn nicht ermunterte, und auch zu wirtschaftlichen sanktions-mechanismen griff, um seinen Anspruch auf die senkaku/Diaoyu-Inseln zu unterstreichen. In südostasien hat diese Konfrontation zwischen china und Japan große besorgnis hervorgerufen, weil die gleichen Themen, die das chine-sisch-japanische Verhältnis belasten, Kern der probleme im südchinesischen meer sind.

Die besorgnis über den immer offener demonstrierten machtanspruch chinas hat zu einer neuen Aufmerksamkeit gegenüber den usA geführt. Doch deren bereitschaft zu einem größeren Engagement gegenüber einem erstar-kenden china scheint eingeschränkt. Das us-Engagement in Afghanistan und pakistan und der Krieg gegen den Terror absorbieren nach Einschätzung vieler südostasia-tischer beobachter und Kommentatoren die Kräfte der Amerikaner. Deren Anstrengungen, das eigene profil in der Region zu stärken, wird gelegentlich als hedging oder balance-of-power politics gegenüber china bezeichnet. mit Genugtuung war präsident Obamas zusammenkunft mit den AsEAn-führern am Rande des ApEc-Gipfels 2009 in singapur vermerkt worden. Auch 2010 hat sich der us-präsident wieder mit den AsEAn-führern getroffen, allerdings nicht in washington, was das Treffen politisch hätte aufwerten können, sondern „nur‟ am Rande der un-Generalversammlung in new york. Der beitritt der usA zum erwähnten Treaty of Amity and cooperation in

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Ob ASEAN plus Acht politische Ver-einbarungen produziert, die auch ein-gehalten werden, wird von manchen Beobachtern in Südostasien bezweifelt.

southeast Asia (TAc) im Jahr 2010 wurde in südostasien nachdrücklich begrüßt. Allerdings sind die praktischen Konsequenzen und Vorteile für die Region noch nicht sichtbar – abgesehen davon, dass der us-Kongress diesen Vertragsbeitritt noch nicht ratifiziert hat. In der substanz hat sich im beiderseitigen Verhältnis bisher nichts geändert gegenüber dem 2005 vereinbarten AsEAn-us Enhanced partnership-Abkommen. für die usA allerdings hat der beitritt zum TAc die Tür für einen beitritt zum East Asia summit geöffnet.

welche bedeutung dieser zusätzliche „Gipfel-prozess‟ besitzt, bleibt zunächst noch offen. Ob AsEAn plus Acht nun eher als sein Vorgänger (AsEAn plus Drei) zu politischen Vereinbarungen führt, die auch eingehalten werden, wird von beobachtern in südostasien bezweifelt. sollten sich china und die usA nicht über konkrete fragen verstän-digen können, könnte der EAs bald ein ähnliches schicksal erleben wie andere foren, die den charakter eines unver-bindlichen „talk shop‟ angenommen haben. für AsEAn ergibt sich das problem, nicht in die Gespräche zwischen den beiden Großmächten eingebunden zu sein. zudem könnte china sein Interesse an regionalen foren verlieren, bei denen es nicht die Rolle der einzigen Großmacht spielt.

us-Außenministerin hillary clinton hat während des AsEAn Regional forum in hanoi im Juli 2010 die notwendigkeit eines konzertierten, multilateralen Ansatzes betont, um chinas immer offener und teils aggressiver vorgetragenen Ansprüchen auf Gebiete innerhalb des südchinesischen meeres entgegenzutreten. Davon sind fast alle AsEAn-staaten betroffen. clinton hat somit den status quo bekräftigt, der von den AsEAn-staaten behauptet und von den us-amerikanischen seestreitkräften verteidigt wird. Dennoch sind den möglichkeiten der usA zu einem entschiedeneren Auftreten gegenüber china und einer engeren Kooperation mit den AsEAn-staaten enge Grenzen gesetzt. zum einen ist es der us-Administration nicht möglich, sich innerhalb der AsEAn-staaten so zu engagieren wie die chinesische seite. weder verfügt washington über ähnliche Kapazitäten, um eine anhal-tend hohe zahl an Regierungsvertretern und beamten in südostasien einzusetzen und eine ähnliche Omnipräsenz

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Indonesien und auch Vietnam haben in den letzten Jahren eindeutig an Bedeu-tung gewonnen. Thailand und Malaysia haben im regionalen Kontext an Ein-fluss verloren.

wie die chinesen zu demonstrieren, noch gibt es dazu hinreichende politische unterstützung. Die innen- und weltpolitischen Interessen der usA sind breiter. seinen lange erwarteten besuch in Indonesien musste präsident Obama dreimal wegen innenpolitischer Verpflichtungen verschieben, ehe er Jakarta im november 2010 schließ-lich besuchte – zu einem Kurzaufenthalt von weniger als 24 stunden, auf dem weg von Indien nach Japan. Auch künftig wird er eher unregelmäßig an den Gipfeltreffen des East Asia summit teilnehmen. somit ist es unwahrschein-lich, dass die zuletzt beschworene Vertiefung der part-nerschaft zwischen den AsEAn-staaten und den usA die Intensität und Komplexität erreichen kann, die mittlerweile das Verhältnis der AsEAn-staaten zu china auszeichnet. bemerkenswert ist, dass offensichtlich auch der politisch-ideologische Vorteil der usA an bedeutung verliert. Das Eintreten der usA für Demokratie und menschenrechte hat in südostasien an bedeutung verloren. china verhält sich solchen Themen gegenüber „neutral‟.

zum anderen reagieren verschiedene südostasiatische staaten zurückhaltend auf ein stärkeres Engagement der usA zugunsten einer beilegung der Konflikte über die

chinesischen Ansprüche im südchinesischen meer. Das hat mit Entwicklungen innerhalb der AsEAn, aber auch mit dem veränderten Verhältnis einiger AsEAn-mitglieder zu china zu tun. Innerhalb der AsEAn-Gruppe haben

Indonesien und auch Vietnam in den letzten Jahren an bedeutung gewonnen. Thailand und malaysia dagegen, die traditionell stärker mit den usA verbunden waren, haben aufgrund eigener politischer probleme sowie unklarer Entwicklungsstrategien im regionalen Kontext an Einfluss verloren. hinzu kommt, dass die mekong-staaten, die so genannte Greater mekong subregion, mittlerweile durch handel, Investitionen und vor allem durch Infrastruktur-projekte wie straßen- und bahnverbindungen oder Elek-trizitätswerke enger mit china verbunden sind. All dies bedeutet eine beeinträchtigung der Rolle der usA.

präsident Obama hatte nach seinem Amtsantritt deutlich gemacht, dass er die beziehungen zu Asien ausbauen will. Außenministerin clinton hat mehrfach verkündet: „wir sind zurück in Asien!‟ Im Oktober 2010, im Vorfeld ihrer

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Es stellt sich für die Südostasiaten die Frage, ob sie bereit sind, amerikani-sche Sicherheitsgarantien auf Kosten ihres Verhältnisses zu china zu akzep-tieren.

sechsten Asien-Reise in 21 Amtsmonaten, hatte sie die Asienpolitik der Obama-Regierung als „forward diplomacy‟ bezeichnet, um Amerikas führungsrolle in der Region zu erhalten und zu stärken. In südostasien ist von dieser „Vorwärtsdiplomatie‟ indes wenig zu spüren. zwar werden die amerikanischen sicherheitsgarantien für den asiatisch-pazifischen Raum hier – je nach Ausrichtung der örtlichen Regierung – mit mehr oder weniger positiven Kommentaren zur Kenntnis genommen. Doch einerseits weiß man, dass diese sicherheitsgarantien vor allem Ostasien gelten, und andererseits stellt sich für die südostasiaten die frage, ob bzw. bis zu welchem Grad sie bereit sind, amerikanische sicherheitsgarantien auf Kosten ihres Verhältnisses zu china zu akzeptieren.

Die wichtigsten sicherheitspartner der usA in südost-asien sind Thailand und die philippinen. sie spielen in der Rhetorik der Amerikaner auch eine Rolle, wenn es um sicherheitsgarantien für südostasien geht. Doch die Amerikaner wissen, dass gerade in Thailand und den phil-ippinen die militärs wegen ihrer innenpolitischen Rolle, wegen Korruption und menschenrechtsverletzungen keine verlässlichen partner sind. singapurs öffnung für die amerikanische marine ist heute möglicherweise wichtiger als die bindungen zu den traditionellen partnern. zudem schenken die usA Indonesien und Vietnam auch bei den sicherheitsbeziehungen größere beachtung. beide Länder gelten washington als mögliche künftige führungsstaaten südostasiens, während Thailand und die philippinen erheb-liche politische probleme und unsicherheiten verkörpern.

neben der anhaltenden militärischen präsenz der usA wird ein weiterer faktor im hinblick auf die regionale sicher-heitskonstellation immer wichtiger: der kontinuierliche Ausbau der militärischen macht chinas. beijings militäri-scher Apparat wächst und das Land ist zunehmend in der Lage, seine Ansprüche auf souveränität im südchinesi-schen meer durch überwachung, Verbote und Demons-tration von stärke durchzusetzen. Im Jahr 2010 hat china mehrfach demonstriert, dass es zum Einsatz seiner machtmittel bereit ist. Vietnam ist davon als Grenzstaat zu china besonders betroffen – doch auch die übrigen AsEAn-Länder. Das gilt selbst für Indonesien, das nicht mit chine-

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china spricht sich für eine diplomati-sche Lösung der Konflikte im Südchine- sischen Meer aus. Doch scheint es nur eine Lösung akzeptieren zu wollen, die es selbst diktiert.

sischen Gebietsansprüchen konfrontiert ist, aber am 23. Juni 2010 in seiner Exklusiven wirtschaftszone ein chinesi-sches fischerboot entdeckte, das von einem chinesischen marineschiff begleitet wurde. Die Indonesier vermieden die Konfrontation. Die Klagen der südostasiaten darüber, dass

china auf ihre Kosten seine souveränitäts-rechte in der genannten Region ausdehne, werden von beijing zurückgewiesen. Daher scheint die hoffnung einiger südostasiaten illusorisch, mit china einen Verhaltenskodex

zu vereinbaren, der beijings Ambitionen im südchinesi-schen meer beschränken würde. china spricht sich zwar stets für eine friedliche und diplomatische Lösung der Konflikte aus. Doch scheint es nur eine Lösung zu akzep-tieren, die es selbst diktiert.

Die chinesische Grundhaltung ist letztlich, das südchinesi-sche meer als ein chinesisches meer zu betrachten und über vermeintliche souveränitätsrechte nicht zu verhandeln. schon gar nicht will china multilaterale Verhandlungen akzeptieren, da es die das genannte meer betreffende fragen nicht als regionale fragen betrachtet, sondern als eine bilateral zwischen china und einzelnen südostasiati-schen staaten zu lösende Angelegenheit. Dabei ist china bewusst, dass es keine gemeinsame position – geschweige denn eine strategie – der südostasiaten im hinblick auf regionale sicherheitsfragen gibt. Das zeigt sich u.a. durch die wahrnehmung der maritimen und der „kontinentalen‟ staaten südostasiens. Die maritimen staaten konzen-trieren sich stark auf die situation im südchinesischen meer und die sicherheit der straße von malacca und singapur. Die „kontinentalen‟ staaten dagegen sind mehr an einer Verbindung mit china über die erwähnte mekongdelta-Kooperation interessiert. ungelöste bilaterale politische probleme sowie Gebiets- und Grenzdispute zwischen den südostasiaten verhindern u.a. eine Kohärenz bei der posi-tionierung gegenüber externen herausforderungen.

Der chinesische Aktionsrahmen bleibt keineswegs auf das genannte meer begrenzt. Im August 2010 liefen chinesi-sche marineschiffe den Tiefseehafen Thilawa von myanmar an. Der Verdacht kam auf, es sei das strategische ziel chinas, durch die zusammenarbeit mit myanmar einen zugang zum Golf von bengalen und den indischen Ozean

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Beijing hat den Südostasiaten deutlich gemacht, dass sie sich entscheiden müssten, entweder für oder gegen china zu sein.

zu erhalten. Diese vermuteten chinesischen Ambitionen im Indischen Ozean haben wohl den neuen strategischen Dialog zwischen den usA und Indien motiviert und auch dazu beigetragen, dass die usA die Einbeziehung Indiens in die ostasiatischen sicherheitsstrukturen unterstützten.

Die usA werden nicht müde, ihre sicherheitspolitischen Interessen in der südchinesischen see zu betonen. Dies hat auch us-Verteidigungsminister Robert Gates während seines besuchs in Ostasien Anfang Januar 2011 unter-strichen. Gemeinsame Operationen und manöver werden Teil des us-Engagements auch mit südostasien bleiben. zudem versucht washington, eine multilaterale Lösung für die Gebietsdiskussionen im südchine-sischen meer zu erreichen, was auch von einigen südostasiatischen staaten unter-stützt wird. beijing hat dieses unterfangen brüsk zurückgewiesen und die südostasiaten aufgefordert, sich für oder gegen china zu entscheiden. Infolgedessen wurde im Rahmen des 2. AsEAn-us-Gipfels im september 2010 eine stellungnahme veröffentlicht, in der nur allgemein von einer friedlichen beilegung der meinungsverschiedenheiten gesprochen wurde. nachdem china im Vorfeld des Gipfels davor gewarnt hatte, wurde das südchinesische meer nicht ausdrücklich in der Erklä-rung genannt.

Die Gebietsansprüche und Kontroversen um das südchi-nesische meer sind ein weiteres Element des sicher-heitsdilemmas zwischen den usA und china, bei dem die maßnahmen eines staates zur Verbesserung seiner sicher-heitssituation zu Gegenmaßnahmen des anderen staates führen. Es entsteht eine spirale wachsender spannungen – für die AsEAn-staaten ein kompliziertes Dilemma. Es geht darum, wie sie die wachsende chinesische macht durch ein stärkeres Engagement der usA ausbalancieren können, ohne ihre beziehungen mit china zu belasten oder eine noch aggressivere haltung chinas gegenüber südostasien zu provozieren.

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INTERNE ENTwIcKLUNGEN DER LäNDER SÜDOSTASIENS

In einer schematischen Darstellung stellen sich die Typen der Regimes in den einzelnen Länder wie folgt dar:

Quelle: croissant und bünte 2010.2

Die fähigkeit der südostasiatischen Länder, auf die Verän-derungen in ihrem externen umfeld zu reagieren, wird maßgeblich durch ihre jeweils nationale Entwicklung bestimmt.3 Die heterogenität der politischen systeme ist

2 | Aurel croissant und marco bünte, „Democracy in southeast Asia – An Assessment of practices, problems and prospects‟, in: Panorama. Insights into Asian and European Affairs 2/2010. Die skalenwerte von 1 bis 7 reichen vom höchsten bis zum niedrigsten Grad der freiheit. Die werte beziehen sich auf 2008. Vgl. auch http://freedomhouse.org und http://bertelsmann- transformation-index.de [15.02.2011].3 | Vgl. dazu auch die vom KAs-Regionalprojekt politischer Dialog Asien herausgegebene zeitschrift Panorama. Insights into Asian and European Affairs 2/2010 zum Leitthema „A future for Democracy?‟.

Tabelle 1Politische Regime in Südostasien

Freedom House(2008)

Bertelsmann Transformation Index (2009)

LandPolitische Rechte

Freiheits-rechte Politische Regime

Demokratie-wert Regime Typ

brunei 6 5 nicht frei k.A. k.A.

Kamboscha 6 5 nicht frei 4,1moderater / wahl-Autoritarismus

Indonesien 2 3 frei (wahldemokratie) 7,0 defekte Demokratie

Laos 7 6 nicht frei 2,8(geschlossener) Autoritarisum

malaysia 4 4 teilweise frei 5,3moderater / wahl-Autoritarismus

myanmar 7 7 nicht frei 1,7(geschlossener) Autoritarismus

philippinen 4 3 teilweise frei 5,9 defekte Demokratie

singapur 5 4 teilweise frei 5,4moderater / wahl-Autoritarismus

Thailand 5 4 teilweise frei 5,3 defekte Demokratie

Osttimor 3 4teilweise frei (wahldemokratie)

k.A. defekte Demokratie

Vietnam 5 5 nicht frei 3,3(geschlossener) Autoritarismus

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Gewaltenteilung und die Mechanismen horizontaler Rechenschaftslegung funk- tionieren in Indonesien mit Einschrän-kungen. Das Parlament genießt Eigen-ständigkeit gegenüber der Regierung.

ein wesentliches merkmal der Ländergruppe der Region. sie trägt dazu bei, dass fortschritte im regionalen Integ-rationsprozess nicht rascher erzielt werden und dass die Vertretung gemeinsamer Interessen und positionen gegen-über Dritten – etwa im hinblick auf die angesprochenen Entwicklungen im südchinesischen meer – schwer fallen.

Der blick auf die Tabelle zeigt, dass sich frühere Erwar-tungen auf eine Konsolidierung und Ausweitung demokra-tischer Entwicklungen in südostasien nicht erfüllt haben. Außer den fortschritten bei der Konsolidierung von Demo-kratie in Indonesien ist die demokratische Entwicklung in Thailand und den philippinen, den beiden Ländern, in denen vor Jahren am ehesten eine stabilisierung demo-kratischer Verhältnisse erwartet worden war, keineswegs ungefährdet. In den übrigen Ländern der Region sind die Aussichten aufgrund politischer und struktureller bedin-gungen eingeschränkt.

nach dem sturz des langjährigen Diktators suharto 1998 hatten die wenigsten beobachter eine baldige Konsolidie-rung demokratischer Verhältnisse in Indonesien erwartet, das mit 240 millionen zu den bevölkerungsreichsten der Erde zählt und durch eine große kulturelle und sprachliche Vielfalt sowie schwierige territoriale Verhältnisse gekenn-zeichnet ist – das Land besteht aus 17.000 Inseln. nach Indien und den usA könnte man Indonesien als die „dritt-größte‟ Demokratie der Erde bezeichnen. Die maßgeblichen politischen und gesellschaftlichen Gruppen des Landes akzeptieren, dass der politische prozess gemäß den Regeln und normen des demokratischen systems verläuft. Gewalten-teilung und die mechanismen horizontaler Rechenschaftslegung funktionieren mit Ein- schränkungen. Das parlament genießt Eigenständigkeit gegenüber der Regierung, die zivilgesellschaft und der medienpluralismus sind gestärkt. Die politische Rolle des militärs ist schrittweise eingeschränkt worden. Indonesien ist ein beispiel dafür, dass sich Demokratie in einem isla-misch geprägten Land entwickeln und konsolidieren kann. zwar gibt es auch hier radikale islamische Kräfte, die demokratische freiheiten einschränken wollen, doch ihre politische Reichweite ist, wie die wahlen 2009 belegen, stark eingeschränkt.

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Fortschritte der Demokratieentwick- lung in Indonesien haben das Selbstbe- wusstsein politischer und gesellschaft- licher Eliten gestärkt, die verstärkt Ambitionen auf einen regionalen Füh-rungsanspruch formulieren.

Trotz dieser insgesamt positiven Einschätzung gibt es einige faktoren, die die innenpolitische Entwicklung belasten und mittelbar auch den internationalen handlungsspielraum Indonesiens einschränken. Dies betrifft u.a. das problema-tische zusammenspiel von Geld und macht, das in den präsi-dentschaftsambitionen des Vorsitzenden der Golkar-partei, Aburizal bakrie, zum Ausdruck kommt. Diese Kombination hat in Indonesien, wie auch in anderen Ländern, häufig die endemische Korruption gefördert und die Grundlagen des demokratischen systems geschwächt. hinzu kommen die mangelhafte Kompetenz der Regierungen – sowohl auf gesamtsstaatlicher Ebene als auch in den dezentrali-sierten Einheiten – bei der bekämpfung der anhaltenden

sozialen probleme. Dies könnte mittelfristig radikalen Kräften Auftrieb verleihen und zu einer Gefahr für die Demokratie werden. Die bisherigen fortschritte der Demokratieent-wicklung haben jedoch das selbstbewusst-sein politischer und gesellschaftlicher Eliten gestärkt, die heute wieder ihren regionalen

führungsanspruch und ihre forderung nach Teilhabe an globalen Entscheidungsprozessen formulieren. Die Einbe-ziehung Indonesien, in die G-20 kommt diesen Ambitionen entgegen.

In den philippinen, Thailand und Osttimor war in den vergangenen Jahren dagegen eher eine Erosion demo-kratischer Verhältnisse zu beobachten. In den philippinen waren mit den wahlen im mai 2010 hoffnungen auf einen demokratischen neuanfang verknüpft. schließlich war das Regime von präsidentin Gloria Arroyo (2001 bis 2010) gekennzeichnet von zahlreichen skandalen, Vorwürfen der Korruption und der wahlfälschung, aber auch der beschneidung verfassungsmäßiger freiheiten sowie, dies vor allem, durch die enttäuschten hoffnungen vieler filipinos auf eine besserung ihrer Lebensbedingungen. wahlsieger im mai 2010 war benigno „ninoy‟ Aquino Jr., der sohn der früheren präsidentin corazon Aquino, die Ende 2009 starb. Aquino hatte 42 prozent der stimmen erhalten und wurde nach philippinischem wahlrecht mit relativer mehrheit zum präsidenten gewählt. Auch wenn Aquino vor seiner wahl einige Jahre dem senat angehörte, gilt er als politisch unerfahren. bis zum Jahresende war noch nicht erkennbar, ob es ihm und seiner Regierung

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weit verbreitete Armut und unzuläng- liche Leistungsangebote in den Berei-chen Erziehung und Gesundheit kenn-zeichnen die Ineffizienz des philippini- schen Staates.

gelingen würde, die hoffnungen der meisten filipinos auf grundlegende Reformen einschließlich einer wirksamen bekämpfung von Korruption, Klientelismus und Ineffizienz in der Landespolitik zu erfüllen. weit verbreitete Armut und unzulängliche Leistungsangebote in den bereichen Erziehung und Gesundheit oder auch bei der Infrastruktur kennzeichnen diese Ineffizienz des staates. Da der neue präsident für mehr schlagzeilen aufgrund seiner privaten Lebensführung als aufgrund zukunftsweisender politischer projekte sorgt, sind die chancen auf für eine baldige überwindung der notorischen Defizite staatlicher Dienstleistungen und der Korruption in der politik nicht sehr hoch.

Thailand, das andere Land, von dem eine Konsolidierung demokratischer Verhältnisse erwartet worden war, ist in den letzten Jahren verstärkt durch eine konstitutionelle und anhaltende politische Krise gekennzeichnet. seit den wahlen von 2007 nimmt im Land die politische pola-risierung und Instabilität zu, die im frühjahr 2010 ihren vorläufigen höhepunkt erreichte. zehntausende Anhänger des 2006 von den militärs abgesetzten premierministers Thaksin hielten die hauptstadt bangkok und andere städte des Landes besetzt. Im mai 2010 hob das militär die blockade auf, und bei den Auseinandersetzungen kamen mehrere hundert menschen ums Leben.

Die Gründe für die schwäche der südostasiatischen Demo-kratie sind zahlreich. zu nennen sind etwa die mangelnde Akzeptanz der demokratischen Verfassungsgrundsätze durch wichtige Gruppen eines Landes, die schwäche der parteien und parteiensysteme sowie das Verhalten „infor-meller‟ machtgruppen – wirtschaftseliten, das militär oder politische bewegungen, die zwar keine mehrheiten bei wahlen gewinnen, aber ihr Veto einlegen können. hinzu kommen, wie in den philippinen und Thailand, eine tiefe spaltung der Gesellschaft, die sich auch im Agieren der gesellschaftlichen Organisationen widerspiegelt.

In Thailand etwa betrifft das nicht nur die Auseinanderset-zungen zwischen den „Rothemden‟, den Anhängern des früheren premiers Thaksin, und den „Gelbhemden‟, der nationalistischen people’s Alliance for Democracy, die die

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In Kambodscha haben Oppositions-kräfte einen gewissen Aktionsspiel-raum und können die Regierung kri- tisieren. Interventionen des Regimes behindern jedoch den demokratischen wettbewerb.

Thaksin-Anhänger bekämpft. Im süden des Landes gibt es permanent Konflikte zwischen lokalen Organisationen, die durch ethnische oder religiöse unterschiede motiviert sind. ähnliche Konflikte gären seit Jahrzehnten in mindanao, auf den philippinen. solche Konflikte führen immer wieder zu Kontroversen zwischen staat und gesellschaftlichen Orga-nisationen, die sich in straßenkämpfen zwischen polizei und Demonstranten äußern und letztlich die schwäche der politischen Institutionen zeigen. Die folge sind politische Instabilität oder gar mögliche Interventionen des militärs. Insgesamt bedeutet all dies einen erheblichen Rückschlag für die Demokratieentwicklung in beiden Ländern. ähnliche prozesse sind auch in Ost-Timor zu beobachten.

malaysia, Kambodscha und singapur sind angesichts dessen zwar politisch relativ stabile staaten – doch zum preis eines ungeschminkten Autoritarismus. zwar finden in diesen Ländern regelmäßig wahlen statt, doch ein

machtwechsel ist hier nicht in sicht, weil wahlprozesse teils offen manipuliert werden und die Opposition durch Einschränkung der meinungs- und Versammlungsfreiheit unter-drückt wird. In Kambod scha haben Opposi-tionskräfte – parteien oder gesellschaftliche

Organisationen – zwar einen gewissen spielraum und können Kritik an der Regierung äußern. Doch autoritäre Interventionen des Regimes gegenüber der Justiz, den medien und der zivilgesellschaft behindern den demokra-tischen wettbewerb. Die macht von ministerpräsident hun sen und seiner Volkspartei steht nicht zur Disposition.

In malaysia haben seit den wahlen von 2009, bei denen die seit Jahrzehnten regierende Koalition ihre zweidrittelmehr-heit einbüßte, die politischen und gesellschaftlichen span-nungen zugenommen. nicht zuletzt aufgrund wirtschaftli-cher probleme infolge der internationalen Krise zeigt sich, dass das seit den sechziger Jahren herrschende system einer bevorzugung der malaiisch-muslimischen mehrheit bei einer Kooptation von Teilen der chinesischen und indi-schen minderheit an seine Grenzen geraten ist. Die Koopta-tion der chinesen und Inder über die Einbeziehung ethnisch geprägter parteien als Juniorpartner in die herrschende Koalition der nationalen front (barisa nasional) funktio-niert nicht mehr reibungslos. Die ethnischen minderheiten

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Da Malaysia weiterhin eines der wirt-schaftlich stärksten Länder Südost-asiens ist, werden die zeichen der Instabilität von seinen Nachbarn mit Sorge beobachtet.

wählen mittlerweile zunehmend die Oppositionsparteien. Der innergesellschaftliche wettbewerb hat vor allem auf seiten konservativer Gruppen die Intoleranz gegenüber den ethnischen und religiösen minderheiten gefördert und im Verlauf des Jahres 2010 zu offenen Auseinander-setzungen zwischen den verschiedenen Gruppen geführt. Auf der Ebene des parteiensystems schlagen sich diese spannungen in form permanenter Konflikte innerhalb der Regierungskoalition umnO wieder. premierminister najib Razak hat die Gefahren der zunehmenden innergesell-schaftlichen Konflikte erkannt und darauf mit der Ankün-digung einer „neuen wirtschaftspolitik‟ und der Korrektur der affirmativen politiken zugunsten der muslimischen malaien reagiert. Die umset-zung dieser Ankündigung kommt jedoch nicht voran, und so hängt najibs politisches schicksal auch von den Konflikten innerhalb der Opposition ab, die das Regime – u.a. durch eine erneute strafverfolgung gegen den wichtigsten Oppositionsführers Anwar Ibrahim – weiter zu schwächen versucht. Da malaysia eines der wirtschaftlich stärksten Länder südostasiens ist, werden zeichen der Instabilität von den nachbarn mit sorge beobachtet.

Vietnam gilt als Land, dessen bedeutung innerhalb der Region weiter zunehmen wird, wenngleich hierbei sein weg weiter offen ist. Der Ausgang des nationalen Kongresses der Kommunistischen patrei, der im Januar 2011 statt-fand, ist dabei entscheidend. Als folge der internationalen finanz- und wirtschaftskrise traten während des Jahres 2010 strukturelle Defizite des vietnamesischen Entwick-lungsmodells zutage. Das betrifft vor allem die macht der großen staatsbetriebe, die mit erheblicher Ineffizienz zu arbeiten scheinen, aber von Regierungsstellen vor wett-bewerb und einem eventuellen zusammenbruch geschützt werden. Die Korruption ist ein weiterer faktor, unter dem vor allem unabhängige Kleinunternehmer immer wieder leiden. zudem können sich die politische Repression, die unterdrückung persönlicher und politischer freiheitsrechte und die Einschränkung gesellschaftlicher Organisationen mittelfristig negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung niederschlagen.

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In myanmar hat das militärregime 2010 wahlen veran-staltet, doch demokratische Verhältnisse sind noch nicht in sicht. In den beiden Kammern des nationalen parlaments und den 14 Regionalparlamenten werden ab dem 31. Januar 2011 auch Vertreter der Opposition sitzen. Doch der politische prozess wird weiterhin von den militärs domi-niert, und es ist nicht absehbar, wie groß der politische freiraum in zukunft sein wird. Die friedensnobelpreisträ-gerin Aung san suu Ky wurde im november 2011, eine

woche nach den wahlen, nach langjähriger haft und hausarrest freigelassen. sie hat seither verschiedene öffentliche stellung-nahmen abgegeben. Allerdings ist ungewiss, welche möglichkeiten sich ihr für ein politi-sches und öffentliches Engagement eröffnen.

Demokratie ist in südostasien für viele menschen als Regie-rungsform ein Ideal. Viele sind aufgrund der modernen Kommunikationstechnologie gut über politische und gesell-schaftliche Vorgänge informiert und wollen an der Gestal-tung ihrer Lebensverhältnisse teilnehmen. Im zeitalter des Internets können die Regime keine Kontrolle im alten stil mehr ausüben. Dennoch trifft die Entwicklung von Demo-kratie in der Region noch auf vielfältige hindernisse.

wIRTScHAFTLIcHE ERHOLUNG NAcH DER KRISE

südostasien hat sich 2010 allmählich von den folgen der internationalen finanz- und wirtschaftskrise erholt. mit einem wirtschaftswachstum von 14,7 prozent stand singapur dabei eindeutig an der spitze (und wurde welt-weit nur noch von Qatar mit 19 prozent übertrumpft). Die Erholung war im wesentlichen angeregt durch eine zunahme der Exporte und der einheimischen nachfrage aufgrund einer allgemeinen Verbesserung der wirtschaft-lichen situation sowie den Rückgang der Arbeitslosigkeit.

Der einheimische Konsum und fallende preise für Rohstoffe waren in Indonesien die Grundlage der wirtschaftlichen Erholung. Die handelsbilanz wird zwar auch 2011 voraus-sichtlich positiv abschließen, doch die schleppende nach-frage auf seiten der traditionellen partner und die stärke der indonesischen währung setzen den Erwartungen Grenzen. hier wie auch in anderen Ländern der Region

Demokratie ist in Südostasien für viele Menschen als Regierungsform ein Ideal. Viele sind heute gut über politische Vorgänge informiert und wollen an der Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse teilnehmen.

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nimmt der Inflationsdruck infolge der steigenden Rohstoff-preise auf dem weltmarkt zu.

In malaysia blieb das wirtschaftswachstum hinter den Erwartungen der Regierung zurück. man spürt die stärker werdende Konkurrenz preisgünstigerer Länder wie Vietnam, ohne selbst den sprung in die Kategorie der Länder mit hohem Einkommen zu schaffen. malaysias ziel ist es, von einem Land mit mittlerem Einkommen – 7.500 us-Dollar beträgt zurzeit das sozialprodukt pro Kopf – an die Gruppe der Länder mit hohem Einkommen anzuschließen, um so die eigene position zu verteidigen. Denn die produkte, mit denen das Land in der verarbeitenden Industrie Gewinne erzielte, werden mittler-weile auch von den südostasiatischen nach-barn wie Vietnam und Indonesien billiger hergestellt. um den Anschluss an ein höheres Entwicklungsstadium zu schaffen, müsste malaysia deutliche fortschritte im bereich Technologie und humankapital erzielen. Das Erzie-hungssystem und die gesellschaftliche Konfliktsituation erweisen sich jedoch zunehmend als Elemente, die den fortschritt behindern. Die „neue wirtschaftspolitik‟ von premierminister najib versucht auf diese problemlage zu antworten, doch mit der umsetzung kommt die Regierung nur langsam voran.

singapur dagegen geht gestärkt aus der Krise hervor. 14,7 prozent wachstum im Jahr 2010 sind ein deutlicher beweis für die Kapazität und Dynamik des Inselstaates, auf wirtschaftliche herausforderungen mit Kreativität und Kompetenz zu reagieren. In den philippinen wird weiterhin der einheimische Konsum ein wesentlicher motor der wirtschaft bleiben. Die angekündigten Investitionen der Regierung in soziale Dienstleistungen und Infrastruktur erhöhen das zur Verfügung stehende Einkommen und regen dadurch den Konsum an. Daneben bleibt der Export von waren und Dienstleistungen ein faktor zur stützung des wirtschaftswachstums.

Trotz der politischen Instabilität verzeichnete Thailand 2010 ein wirtschaftswachstum von ca. sieben prozent, nach einem Rückgang von 2,2 prozent im Jahr davor. Das ist vor allem auf eine Erholung des Exportsektors zurück-

Die Produkte, mit denen Malaysia in der verarbeitenden Industrie Gewinne erzielte, werden mittlerweile von den südostasiatischen Nachbarn billiger hergestellt.

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china ist der wichtigste Investor in Myanmar. Die Agrarproduktion, vor allem der Reisanbau, verlief günstig. Für die zukunft wird ein Anstieg des privaten Konsums erwartet.

zuführen, der mehr als 60 prozent der thailändischen wirt-schaft ausmacht.

Kambodscha konnte sich zwar aufgrund der zunahme seiner Exporte und des Tourismus sowie eines nachhal-tigen wachstums der Agrarproduktion erholen. Doch seine externe Verwundbarkeit aufgrund der Abhängigkeit von wenigen Exportprodukten und Exportmärkten sowie die notwendigkeit einer breiteren Diversifizierung war während der globalen Krise deutlich geworden.

In Laos bleibt der Rohstoffsektor das Rückgrat der Volks-wirtschaft. Im Jahr 2010 wurden dort eine Reihe von bergbauprojekten und wasserkraftwerken vorangetrieben, was zum wirtschaftswachstum des Landes auch in den kommenden Jahren beitragen wird. Allerdings gibt es auch hier herausforderungen für die wirtschaftspolitische steuerung. zu nennen wären der hohe Kapitalzufluss, die Auslandsschulden, die Einhaltung der währungs- und steuerdisziplin und die Verbesserung des umfeldes für die privatwirtschaft.

über myanmar gibt es weiterhin keine verlässlichen wirt-schaftsdaten. Allerdings kam es wohl 2010 zu einem

Anstieg des sozialprodukts, der sich auf ausländische Investitionen in neue Gasfelder und den bau einer Gaspipline stützte. china ist der wichtigste Investor im Land. Auch die Agrarproduktion, vor allem der Reisanbau, verlief günstig. für die zukunft wird ein

Anstieg des privaten Konsums erwartet, allerdings auch eine zunahme der Inflation aufgrund steigender Kosten für waren und Kraftstoffe. Ob das seit Jahren bestehende Embargo der usA, der Europäischen union und Australiens aufgehoben wird, das zweifellos zu Einschränkungen der wirtschaftsentwicklung führt, bleibt abzuwarten.

für Vietnam schließlich war die Integration in die welt-wirtschaft ein maßgeblicher faktor bei der wirtschaftlichen Erholung. Auch für die nähere zukunft wird erwartet, dass seine politische stabilität und ein verbessertes Ausbil-dungswesen die Grundlage für ein weiteres wirtschafts-wachstum sein werden. zudem wird erwartet, dass die Regierung ihre Anstrengungen verstärkt, um das umfeld

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Die ASEAN-Staaten haben die interna- tionale wirtschaftskrise weitgehend überwunden. Allerdings sind die Unter-schiede zwischen den einzelnen Län-dern erheblich.

für die einheimischen unternehmen sowie für in- und ausländisches Investitionskapital zu verbessern.

wirtschaftlich haben die AsEAn-Länder die internationale Krise weitgehend überwunden. mit einem wirtschafts-wachstum von 7,4 prozent im Jahr 2010 gehört südostasien mit seinen knapp 600 millionen menschen zu den wichtigsten Ent- wicklungsregionen Asiens. Allerdings sind die skizzierten unterschiede zwischen den einzelnen Ländern erheblich. für 2011 wird ein wachstum von 5,4 prozent für die Ländergruppe erwartet. Diese bleibt damit hinter den beiden großen wachstumsmotoren china und Indien zurück, was nicht zuletzt folgen für das Gewicht der Ländergruppe im regio-nalen Kontext haben wird.

STAND DER REGIONALEN INTEGRATION

Die Vertiefung der regionalen Integration war ein mantra der führer südostasiens während der Krise. Tatsäch-lich gab es 2010 einige fortschritte bei der regionalen zusammenarbeit. Allerdings mehren sich die zweifel in der Region, ob es gelingen wird, bis 2020 eine „AsEAn-Gemeinschaft‟ zu schaffen und bis 2015 die dafür vorge-sehenen Vor-Etappen zu bewältigen. In der so genannten bali II-Erklärung hatten die AsEAn-mitglieder im Jahr 2003 vereinbart, bis 2020 eine „AsEAn-Gemeinschaft‟ zu bilden, die auf drei pfeilern steht – einer wirtschaft-lichen, einer politischen und sicherheitsbezogenen sowie einer sozialen und kulturellen Gemeinschaft. Entspre-chend eines 2009 vereinbarten „fahrplans‟ sollen die AsEAn-mitgliedsländer bis 2015 jeweils die politischen und institutionellen Voraussetzungen für die bildung dieser Gemeinschaften schaffen.4 Die Erreichung dieses Etappen-ziels gilt mittlerweile bei beobachtern als unwahrschein-lich. Abgesehen von der ohnehin schwierigen Aufgabe einer harmonisierung wichtiger politikfelder in diesen sehr unterschiedlichen staaten sind im Verlauf des Jahres 2010 einige Entwicklungen eingetreten, die eher auf eine spaltung der AsEAn hinweisen und die weitere Integration

4 | AsEAn, Roadmap for an ASEAN Community 2009-2015, 2009, http://www.aseansec.org/publications/RoadmapAsEAn community.pdf [15.02.2011].

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während des Gipfeltreffens hatten die ASEAN-Führer 2010 der Erweiterung der ASEAN plus Sechs um die USA und Russland zugestimmt.

vor zusätzliche herausforderungen stellen. Das betrifft ins- besondere die engere zusammenarbeit zwischen den mekong-staaten im norden der AsEAn und china.

Als wichtiger fortschritt bei der wirtschaftlichen zusam-menarbeit gilt die zu beginn des Jahres 2010 in Kraft getretene Vereinbarung der sechs „Kernländer‟ der AsEAn (brunei Daressalam, Indonesien, malaysia, philippinen, singapur und Thailand), die zölle im gemeinsamen handel für 99 prozent der produkte auf null zu senken. Auch die so genannten cLmV-Länder (Kambodscha, Laos, myanmar und Vietnam) haben sich verpflichtet, bei 98,6 prozent der waren einen zolltarif von null bis fünf prozent anzuwenden. zudem trat im mai ein weiteres Abkommen in Kraft, das den warenaustausch innerhalb der AsEAn erleichtern soll, das so genannte AsEAn Trade in Goods Agreement. neben diesen fortschritten für den warenverkehr bestehen jedoch weiterhin probleme bei den Dienstleistungen, auch wenn für diesen bereich im Verlauf des Jahres 2010 ebenfalls fort-schritte erzielt werden konnten. Ein weiteres Abkommen, das AsEAn comprehensive Investment Agreement, soll die intraregionalen Investitionen erleichtern.

Auf dem AsEAn-Gipfel im April 2010 in hanoi ist ein zeit-plan vereinbart worden, um die einzelnen maßnahmen umzusetzen, die in dem so genannten blueprint für die bildung der wirtschaftsgemeinschaft vorgesehen sind. über die fortschritte soll regelmäßig berichtet werden.

Außerdem vereinbarten die AsEAn-führer im Oktober einen so genannten master plan on Asean connectivity, um den Anschluss der AsEAn-Gruppe an die Länder Ostasiens zu beschleunigen. während ihres Gipfels hatten

die AsEAn-führer der Erweiterung der AsEAn plus sechs um die usA und Russland zugestimmt. Ein erstes Treffen der Verteidigungsminister dieses erweiterten Kreises fand bereits im Oktober statt, ebenfalls in hanoi.

Insgesamt ist das Verhältnis der AsEAn zu Ostasien im Jahre 2010 enger geworden. zu beginn des Jahres traten das freihandelsabkommen mit china, entsprechende Abkommen mit Australien und neuseeland sowie ein Abkommen mit Indien über den warenverkehr in Kraft.

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Die Angleichung der wirtschaftspo-litiken kommt nicht voran. Vorerst sind lediglich weitere Maßnahmen zur Erleichterung des intraregionalen Handels zu erwarten.

für die finanzielle zusammenarbeit wurde auf der Grund-lage der Erweiterung der chiang mai-Initiative eine Verein-barung beschlossen, die den Ländern der AsEAn plus Drei bei kurzfristigen Liquiditätsproblemen finanzmittel in höhe von 120 milliarden us-Dollar zur Verfügung stellt. Dies bietet den Ländern einen erweiterten schutzmechanismus gegenüber den Risiken der globalen wirtschaft. zusätzlich gab es Vereinbarungen im Investitionsbereich, um die Ausgabe von Anleihen zu erleichtern.

Trotz dieser fortschritte sehen beobachter noch erhebliche schwierigkeiten, die wirt-schaftsgemeinschaft bis 2015 zu verwirkli-chen. Die auf regionaler Ebene beschlossene Angleichung der wirtschaftspolitiken kommt nicht voran, und es ist nicht abzusehen, ob und wann eine harmonisierung erreicht werden kann. Vorerst sind lediglich weitere maßnahmen zur Erleichterung des intra-regionalen handels zu erwarten. Die wirtschaftspolitischen probleme tragen weiterhin dazu bei, dass auch das Enga-gement des privatsektors zugunsten der regionalen Integ-ration bisher zurückhaltend ist – gibt es doch kaum Druck auf politiker und Regierungen, den Integrationsprozess zu beschleunigen und zu vertiefen.

Der bildung der wirtschaftsgemeinschaft wird allgemein eine höhere priorität zugeschrieben als den beiden anderen Gemeinschaftsprojekten. Angesichts der erheblichen poli-tischen unterschiede zwischen den Ländern ist weder kurz- noch mittelfristig mit einer Verwirklichung der politischen Gemeinschaft zu rechnen. Die gemeinsame Verpflichtung in Artikel 1 der 2007 verabschiedeten AsEAn-charta, „die Demokratie zu stärken, gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit umzusetzen und die menschenrechte und grundlegende freiheiten zu fördern und zu schützen‟, wird höchst unterschiedlich interpretiert.

Erschwert wird die wirtschaftliche Integration des gesam- ten AsEAn-Raums in jüngster zeit durch gewisse Entwick-lungen im norden der Gemeinschaft. Das meint insbe-sondere die engere zusammenarbeit zwischen der so genannten Größeren mekong sub-Region (Greater mekong sub-Region, Gms), bestehend aus den Ländern Kambod-scha, Laos, myanmar, Vietnam sowie Thailand und den

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Die Nachbarn chinas entwickeln größe-res Interesse an einer Vertiefung der zusammenarbeit mit der Volksrepublik. Dadurch könnten sie ihr Interesse an einer Beschleunigung der regionalen Integration verlieren.

beiden chinesischen provinzen yunnan und Guangxi. Im Rahmen eines so genannten Gms-Entwicklungsprogramms sind in den vergangenen Jahren ca. elf milliarden us-Dollar in projekte zum Ausbau der Infrastruktur investiert worden. china ist der größte Einzelinvestor, entspre-chend haben sich die chinesischen bindungen mit diesen AsEAn-Ländern sehr rasch verdichtet. zusammen mit den chinesischen Investitionen kommen unternehmer und Arbeiter. In Laos beispielsweise wird die zahl illegaler chinesischer migranten bereits auf 400.000 geschätzt – bei einer Gesamtbevölkerung von ca. sieben millionen. In den Grenzregionen wird mittlerweile vielerorts chinesisch gesprochen, und der chinesische Renminbi ist allgemein akzeptiertes zahlungsmittel.

für AsEAn bedeutet diese neue sub-regionale Integration eine ernsthafte herausforderung, vor allem für die Insel-staaten im süden und Osten der Gemeinschaft. Im Januar demonstrierten die AsEAn-Außenminister mit einer Reise von chiang Rai, Thailand, über houey Xay, Laos, nach Jinghong, china, und weiter nach Kunming, die hauptstadt der chinesischen provinz yunnan, ihre Verbundenheit. In Kunming sprachen sie mit Vertretern chinas über die Vertiefung der beiderseitigen zusammenarbeit. beo bachter sehen allerdings in dem wachsenden Engagement chinas

eine herausforderung für die intraregio-nale Integration der Länder südostasiens. schließlich entwickeln diejenigen Länder, die unmittelbar an china angrenzen, allmählich größere Interessen an einer Vertiefung der zusammenarbeit mit dem nördlichen nach-

barn – und geraten in eine größere Abhängigkeit. Dadurch könnten sie ihr Interesse an einer beschleunigung der regionalen Integration verlieren.

ASEAN AM LENKRAD REGIONALER zUSAMMENARBEIT?

südostasien ist mit knapp 600 millionen menschen eine wichtige Teilregion Asiens und hat im Vergleich zu anderen Regionen eine hohe interne Integrationsdichte erreicht – auch wenn AsEAn noch deutlich hinter den selbst gesteckten zielen regionaler Integration zurückbleibt. Die Region hat die folgen der internationalen finanz- und wirt-schaftskrise weitgehend überwunden. Doch die Entwick-

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lung Asiens wird heute in weitaus stärkerem maße von den großen Ländern und mächtigeren Volkswirtschaften china und Indien beherrscht. Die Länder der AsEAn-Gruppe haben nicht nur eigenen politischen Gestaltungsspielraum verloren. sie sind in jüngster zeit auch stärker den folgen einer selbstbewussten Expansion der Großmächte – vor allem chinas – ausgesetzt. Die Vertiefung der regionalen Integration wird zwar von vielen Akteuren als notwen-dige Konsequenz dieser neuen Entwicklungen angesehen, um die Rolle und das Gewicht der AsEAn-Länder zu behaupten. Doch die nationalen sonderinteressen, Rivali-täten, Konkurrenz und Konflikte untereinander sowie die heterogenität der politischen und wirtschaftlichen systeme stehen dem entgegen.

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Das Jahr 2010 war in der slowakei voller bedeutender Ereignisse. Die bürger entschieden über die neue Regie-rung für die kommenden vier Jahre, über die Qualität ihrer beziehung mit ungarn, dem nachbarn im süden, die beziehung der slowakischen bevölkerung zu den minderheiten (vor allem ethnischen ungarn) und darüber, wie sich die slowakische Republik als mitgliedsstaat der Eu bezüglich der Entscheidung über die beteiligung am Euro-Rettungsschirm verhalten sollte. Es war sowohl für die bürger als auch für die politiker das Jahr der schweren Entscheidungen.

ERGEBNISSE UND KONTExT DER SLOwAKIScHEN PARLAMENTSwAHLEN IM JAHR 2010

Im Jahr 2010 gab es eine große politische machtverschie-bung im Land. nach den parlamentswahlen im Juni wurde die neue Regierungskoalition gebildet, die eine absolute mehrheit der mandate im parlament besitzt (79 von 150). Die Koalition besteht aus vier parteien. zwei davon hatten als Oppositionsparteien in der zeit von 2006 bis 2010 sitze im parlament (die slowakische Demokratische und christ-liche union, sDKÚ-Ds, und die christlich-Demokratische bewegung, KDh), eine partei (most-híd, dt. brücke) wurde durch die fragmentierung einer weiteren parlamentari-schen Oppositionspartei (partei der ungarischen Koalition, smK) gebildet und eine partei gründete sich 2009 als völlig neue politische formation (sloboda a solidarita, sas, dt. freiheit und solidarität).

DIE SLOwAKEI NAcH DER wAHLDAS ERSTE HALBE JAHR DER MITTE-REcHTS-REGIERUNG

Grigorij Mesežnikov

Grigorij mesežnikov ist einer der wichtigs-ten Analysten der slowakischen politik. Er ist mitbegründer des Institute for public Affairs (IVO) in bratislava und seit 1998 dessen präsident.

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Quelle: statistisches Amt der slowakischen Republik, 2010

Ein grundlegendes übereinkommen in bezug auf die bil- dung der neuen Regierungskoalition erzielten die Vertreter der vier mitte-Rechts-parteien sDKÚ-Ds, sas, KDh und most-híd quasi sofort nach der Verkündung der wahler-gebnisse. Einstimmig schlossen sie nicht nur Verhand-lungen mit der smer-sozialdemokratischen partei (smer-sD) über eine mögliche zusammenarbeit in einer Koalition aus, sondern sogar ein Treffen mit deren Delegierten. Die Gründe für diese weigerung beruhten nicht nur auf unter-schiedlichen programmen und Ideologien von smer-sD und den mitte-Rechts-parteien. sie gingen viel tiefer und hatten ihren ursprung in vorherigen wahl perioden:

Tabelle 1Ergebnisse der Parlamentswahlen in der Slowakeiam 12.06.2010

Partei

Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen

Anteil an der Volksabstim-mung (in %)

Sitze im Parlament

Europäische Demokratische partei (EDs) 10.332 0,40 —

union – partei für die slowakei (Únia) 17.741 0,70 —

partei der Roma-Koalition (sRK) 6.947 0,27 —

palis Kapurková 14.576 0,57 —

freiheit und solidarität (sas) 307.287 12,14 22

partei der demokratischen Linken (sDĽ) 61.137 2,41 —

partei der ungarischen Koalition (smK) 109.638 4,33 —

Volkspartei – bewegung für eine demokratische slowakei (Ľs-hzDs)

109.480 4,32 —

Kommunistische partei der slowakei (Kss) 21.104 0,83 —

slowakische nationalpartei (sns) 128.490 5,07 9

neue Demokratie (nD) 7.962 0,31 —

Arbeiterassoziation der slowakei (zRs) 6.196 0,24 —

christlich-demokratische bewegung (KDh) 215.755 8,52 15

Volkspartei unsere slowakei (Ľsns) 33.724 1,33 —

slowakische Demokratische und christliche union – Demokratische partei (sDKÚ-Ds)

390.042 15,42 28

AzEn – Allianz für ein Europa der nationen 3.325 0,13 —

Richtung – sozialdemokratie (smer-sD) 880.111 34,79 62

most–híd [brücke] 205.538 8,12 14

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Smer-SD ist ein politisches Projekt, das auf Ficos persönlichen Machtam-bitionen und wirtschaftlichen Interes-sen einer kleinen Gruppe von Unter-nehmern basierte.

Die inakzeptable autoritäre Einstellung von smer-sD zur machtausübung; die Versuche dieser partei, oppositionelle mitte-Rechts-parteien und deren Vertreter in den Jahren 2006 bis 2010 zu delegitimieren und zu kriminalisieren; die konfliktreiche persönlichkeit von Robert fico, der ständig darauf aus war, politische Konfrontationen hervorzurufen und schließlich die belastenden, verdächtigen umstände der Gründung und Aktivitäten von smer-sD.

Im Grunde wurde diese partei als machtpolitisches projekt gewisser unternehmer und durch unklare, dubiose finan-zierung gegründet. während ihrer Regierungszeit baute sie ein system auf, das auf Vetternwirtschaft unter parteien basierte und so zu Korruption führte. Daher hätte ein mög- liches Koalitionsbündnis mit smer-sD die mitte-Rechts- parteien in Verruf bringen können.

für viele bürger der slowakischen Republik symbolisierten die vier Jahre der von fico geführten nationalistisch-popu-listischen Regierung bestehend aus smer-sD, sns und Ľs-hzDs eine ära der Arroganz der macht, der Verletzung der Grundregeln der Rechtsstaatlichkeit, der Vergröße-rung der staatsschulden, einer minderheitenfeindlichen Konfrontationspolitik und eines primitiven, aggressiven nationalismus. Die wahl hat bestätigt, dass diese politik von einem Großteil der Gesellschaft abgelehnt wurde, und nicht einmal der große Anteil an stimmen für die zum Rücktritt gezwungene smer-sD in der Volksabstimmung hat daran etwas geändert. Vier Jahre Regierungszeit haben

klar aufgezeigt, dass smer-sD nie eine konventionelle sozialdemokratische partei war, als die sie sich ausgegeben hatte. sie ist ein politisches projekt, das auf persönlichen machtambitionen des ehemaligen stellver-

treters der postkommunistischen partei der demokrati-schen Linken (sDĽ), Robert fico, und wirtschaftlichen Inte-ressen einer kleinen Gruppe von unternehmern basierte, die während Vladimír mečiars Amtszeit dank der ungezü-gelten privatisierung und großzügigen staatsbestellungen reich geworden waren. sie war in der Tat schon immer eine typisch populistische Gruppierung, deren ideologischer Kern in der Kombination etatistischer Rhetorik in form der Verkündung eines „starken sozialen (wohlfahrts-) staats‟ mit einem altmodischen, ethnischen nationalismus lag, der

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zum ersten Mal seit 1989 gibt es in der slowakischen Regierung kein einziges ehemaliges Mitglied der Kommunisti-schen Partei mehr.

die Verteidigung „nationaler staatlicher‟ Interessen und den widerstand gegenüber der „politik Großungarns‟ in den Vordergrund stellte.

PROGRAMM UND HANDELN DER NEUEN REGIERUNG

Anfang Juli 2010, einige Tage nach der unterzeichnung eines neuen Koalitionsvertrages zwischen den vier mitte-Rechts-parteien, berief präsident Ivan Gašparovič die stellvertretende Vorsitzende und spitzenkandidatin der sDKÚ-Ds, Iveta Radičová, zur ministerpräsi-dentin der Regierung. zum ersten mal in der Geschichte des Landes besetzte eine frau das höchste Regierungsamt. und zum ersten mal seit dem zusammenbruch des kommu-nistischen Regimes im Jahre 1989 gibt es in der slowa-kischen Regierung kein einziges ehemaliges mitglied der Kommunistischen partei mehr (in ficos Regierung waren es noch zehn von 16 personen). Diese beiden Tatsachen zeigen die Veränderungen, die die parlamentswahlen 2010 in die slowakei gebracht haben.

Das programm der neuen Regierung, das im August 2010 vom parlament genehmigt wurde, enthält eine Reihe von maßnahmen, die auf die Erweiterung des Raums für mechanismen der freien marktwirtschaft, die stärkung des demokratischen charakters des staates, die Erhaltung der stabilität und funktion der Institutionen der staatlichen macht, die stärkung der echten unabhängigkeit der Justiz und die Erhöhung der Transparenz im öffentlichen Leben abzielen. Die neue Regierung hat eindeutig das politi-sche Erbe der zweiten Regierung unter mikuláš Dzurinda in der Amtszeit von 2002 bis 2006 übernommen, als das konservativ-liberale Kabinett eine Reihe tiefer struktu-reller, besonders sozialökonomischer Reformen eingeführt hatte. Diese ermöglichten die Integration des Landes in die Eu und die nATO und machten die slowakei zum zentraleuropäischen „Tigerstaat‟. nach vier Jahren natio-nalistischer, linksgerichteter Regierung unter der Leitung ficos, die das modell des „starken sozialstaats‟ förderte und versuchte, einige von Dzurindas Reformen zu ändern, war die außergewöhnliche stellung der slowakei als ein erfolgreiches, sich wandelndes Land Geschichte.

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Die Stimmung in der Gesellschaft hat sich schnell verändert. Die Spannung in den slowakisch-ungarischen Beziehun-gen hat sowohl interethnisch als auch zwischenstaatlich abgenommen.

nach dem ersten halben Jahr der neuen Regierung gibt es ein paar erwähnenswerte änderungen in einigen berei-chen. Die neue politik zielt nun auf die Konsolidierung der öffentlichen finanzen, die steigerung der Transparenz,

den Kampf gegen Korruption und Vettern-wirtschaft sowie die wiederherstellung des Vertrauens der bürger auf die Justiz und den staat. Die stimmung in der Gesellschaft hat sich schnell verändert. Die spannung in den slowakisch-ungarischen beziehungen

hat sowohl interethnisch als auch zwischenstaatlich abge-nommen. Der radikale nationalistische Diskurs, der mit aktiver unterstützung der smer-sD mehrere Jahre lang von der nationalistischen sns genährt wurde, ist fast völlig verschwunden. Auch die aggressiven Angriffe auf die unabhängigen medien und nGOs, die ficos Regierung regelmäßig ausführte, gehören der Vergangenheit an.

REGIERUNGSPRIORITäTEN: TRANSPARENz UND FESTIGUNG DER wIRTScHAFT

In der Anfangszeit ihrer Amtsführung hat sich die neue Regierung einen überblick über die Lage verschafft, die ficos Kabinett ihr vermacht hat. Es war wichtig, der Allgemeinheit die tatsächlichen Ergebnisse vom „Aufbau des sozialstaats‟ in der Version der smer-sD zu erläu-tern. Diese politik verfügte dank der unwiderstehlichen „sozialen‟ Rhetorik beständig über eine große unterstüt-zung der öffentlichkeit. minister aus Radičovás Kabinett haben Informationen über die Vetternwirtschaft oder den eindeutig korrupten hintergrund vieler früherer Regie-rungsprojekte, über verdächtige, nicht transparente öffentliche Auftragsvergaben und über zahlreiche fälle von unwirtschaftlichem umgang mit den staatsfinanzen veröf-fentlicht. sie bezogen sich auch auf mehrere ministerien – Verteidigung, Arbeit, sozialwesen und familie, Transport, wirtschaft, Kultur, bildung, Außenpolitik, Justiz und finanzen. In einigen fällen wurde Anklage bei der staats-anwaltschaft erhoben. hier wird bereits ermittelt. Die beispiellose Veröffentlichung von Informationen über den missbrauch seitens ehemaliger Regierungsvertreter mit großer, und in manchen fällen sogar makroökonomischer

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Radičová konzentrierte sich zuerst auf die Stabilisierung der Staatsfinanzen. Ihr wahlversprechen, die Steuern nicht anzuheben, konnte sie nach Enthül-lung des tatsächlichen Defizits nicht einlösen.

Auswirkung war aus zwei Gesichtspunkten bedeutsam: sie zeigt zum Einen den Einsatz der neuen Regierung gegen Korruption und Vetternwirtschaft, zum Anderen die Tiefe und das Ausmaß der Korruption, die in der vorhergegan-genen wahlperiode erreicht wurden.

Die neue Regierung hat quasi zum Amtsantritt damit begonnen, das programm der Erhöhung der Transparenz und der stärkung der Kontrolle beim umgang mit öffent-lichen mitteln zu verwirklichen. hier nahmen ihre bemü-hungen eine konkrete, greifbare form an. Ein Register von Verträgen wurde für die Allgemeinheit im Internet bereit-gestellt, nachdem das parlament das deutlich erneuerte zivilrecht genehmigt hatte. Die Auflistung dokumentiert die Käufe von waren und Dienstleistungen durch staats-organe.

Da die slowakische wirtschaft sowohl die negativen Auswirkungen der weltwirtschaftskrise als auch die Auswir-kungen der problematischen sozialöko no mi-schen politik der vorhe rigen Regierung zu spüren bekommt, hat Radičovás Kabinett seine bemühungen zuallererst auf die stabi-lisierung der staatsfinanzen konzentriert. Das Kabinett hat es geschafft, eine Reihe wirtschaftlicher sparmaßnahmen zu verab-schieden, die darauf abzielen, das haushaltsdefizit zu verringern. nachdem dieses Defizit in der Amtszeit von ficos Kabinett von drei prozent im Jahr 2006 auf fast acht prozent 2010 gestiegen war, strebte Radičovás Kabinett eine Reduzierung auf weniger als fünf prozent im Jahr 2011 an. Obwohl die derzeitigen Koalitionsparteien vor den wahlen versprochen hatten, die steuern nicht anzuheben, haben sie nach der Enthüllung des tatsächlichen zustands des staatshaushalts und nach einer langen Diskussion eine Ausnahme gemacht und die mehrwertsteuer vorüberge-hend um ein prozent angehoben, von 19 auf 20 prozent. Der erhöhte mehrwertsteuersatz soll immer dann gelten, wenn das haushaltsdefizit drei prozent überschreitet. sobald das Defizit niedriger ausfällt, würde die ursprüng-liche mehrwertsteuer wiederhergestellt.

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Sowohl die neue Koalition als auch deren einzelne Parteien sind offen dafür, über legitime Forderungen der Opposition zu verhandeln.

KORREKTUREN AN AUSwÜcHSEN VON FIcOS POLITIK

zuletzt hat es einige fortschritte bei der stabilisierung der Demokratie, den Institutionen des Verfassungssystems und den prinzipien der Rechtsstaatlichkeit gegeben. In einer ära der „Tyrannei der mehrheit‟ hatte die Koalition aus smer-sD, sns und Ľs-hzDs die Oppositionsparteien im parlament offen marginalisiert und deren Abgeordnete zu bloßen politischen statisten gemacht, die Kon trollfunktion des parlaments geschwächt und die Qualität der Gesetz-gebung negativ beeinflusst. Die neue mehrheit dagegen verfolgt ihren willen im parlament ohne die Verletzung des verfahrensrechtlichen Konsenses und hat die Grund-

funktionen des parlaments bisher nicht gefährdet. Vorschläge und Anmerkungen von Abgeordneten der Opposition wurden nicht von vornherein abgelehnt, nur weil sie aus der Opposition kamen. Trotz entgegenge-

setzter positionen wird die Opposition im parlament nicht länger von der Regierungskoalition marginalisiert. sowohl die neue Koalition als auch deren einzelne parteien sind offen dafür, über legitime forderungen der Opposition zu verhandeln und sie zu akzeptieren.

Die neue Regierung hat erstaunliche Anstrengungen entwickelt, um die von ficos Regierung hinterlassenen Auswüchse in der Gesetzgebung und der politik zu korri-gieren. Im bereich der Gesetzgebung geht es hauptsächlich um Gesetze, die mit dem status von minderheitengruppen einhergehen, wenn die Korrektur auch bisher nur teilweise vollzogen wurde. zum beispiel hat das parlament die ände-rung des sprachengesetzes genehmigt, wodurch einige bestimmungen der während ficos Amtszeit genehmigten änderung des gleichen Gesetzes abgeschwächt wurden. Letztere wies in bezug auf die Rechte der mitglieder von minderheitengruppen deutliche Einschränkungen bei der Verwendung ihrer muttersprache auf. Die umstrittenste bestimmung, Geldstrafen für die Verletzung des Gesetzes, wurde in der neuen fassung jedoch beibehalten, auch wenn der Verpflichtungscharakter aufgehoben und die Grenzen für Geldstrafen herabgesenkt wurden. Dieser fall zeigt anschaulich, wie kompliziert die wiederherstellung eines ursprungszustands ist, der vor unangemessenen änderungen in der Gesetzgebung existierte. Obwohl einige

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Neben positiven Auswirkungen auf die interethnischen Beziehungen in der Slo- wakei könnte die Novelle des Staatsbür-gerschaftsgesetzes zur Verbesserung der Beziehung zu Ungarn beitragen.

problematische bestimmungen der während ficos Amts-zeit genehmigten änderung endgültig entfernt wurden, ist der Gesamtstatus, bezogen auf das Recht von minder-heiten, ihre muttersprache zu nutzen, heute immer noch schlechter als vor der novellierung unter fico.

Auch die änderung des staatsbürgerschaftsgesetzes wurde dem parlament vorgelegt. falls sie genehmigt wird, gäbe es keine möglichkeit mehr für den Entzug der slowakischen staatsbürgerschaft derjenigen bürger, welche die staats-bürgerschaft eines anderen Landes angenommen haben. Durch diese Gesetzgebung reagierte ficos Regierung im sommer 2010 auf die änderung des staatsbürgerschafts-gesetzes im ungarischen parlament. Der Vorschlag für die ungarische änderung kam von der regierenden partei fidesz. Die Abänderung von Radičovás Kabinett hätte die Gültigkeit des ungarischen Gesetzes auf slowakischem Gebiet annullieren sollen. Ebenso hätte sie die von ficos Regierung eingeführten Geldstrafen aufheben sollen, die verhängt werden, wenn bürger die behörden nicht über das Erlangen einer ausländischen staatsbürgerschaft informieren. neben dem positiven Effekt der interethnischen bezie-hungen in der slowakei und dem status der mitglieder der ungarischen minderheit könnte die zuvor genannte novellierung, sollte sie genehmigt werden, zu der anhaltenden Verbesserung der bilateralen beziehung zwischen der slowakei und ungarn beitragen.

REGIERUNGSKOALITION cONTRA OPPOSITION: MAcHTPROBE

Die situation in der neuen Regierungskoalition war in der zweiten Jahreshälfte 2010 relativ stabil. Es gab keine ernst-haften Konflikte. Die beziehungen zwischen den Regie-rungsparteien waren ausgeglichen, keine partei strebte nach der Vorherrschaft. Obwohl Oppositionsführer fico ständig wiederholte, die Regierungskoalition sei zlepenec, ein anorganisches, zusammengeklebtes bündel, und nur von der sehnsucht nach macht zusammengehalten würde, bewies die programmatische übereinstimmung der vier parteien bei den wesentlichen fragen praktischer politik in wirklichkeit ihre enge Verbindung. Dies ermöglichte es, innerhalb von vier monaten von August bis Dezember

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Radičová betonte, dass sie keinerlei Ambitionen habe, zu diesem zeitpunkt Vorsitzende der Partei zu werden.Dzurinda wiederholte seinerseits, er unterstütze die Ministerpräsidentin vorbehaltlos.

2010 und praktisch ohne Verzögerungen im parlament 53 Gesetze und Gesetzesänderungen zu beschließen.

Aufgrund der unerfahrenheit einiger politischer neulinge, vor allem aus der partei sas, sickerten Informationen über komplizierte Verhandlungen beim Erzielen einer übereinkunft in der Koalition manchmal schon vor diesem übereinkommen zu den medien durch. Dies führte zu dem Eindruck, in der Koalition herrsche chaos. Jedoch erzielten die parteien schnell Einigungen für Gesetzesvorschläge, die reibungslos im parlament genehmigt wurden. Die einzige Ausnahme war die änderung der Verbrauchsteuer auf bier, als sich vier Abgeordnete der KDh, zum Erstaunen ihrer eigenen partei, bei der Abstimmung enthielten. Die ände-rung konnte nicht verabschiedet werden. Die Koalitionszu-sammenarbeit wurde durch diese kleine unentschlossen-heit jedoch nicht geschwächt.

Von besonderer bedeutung war die situation innerhalb der sDKÚ-Ds, speziell die beziehungen zwischen Iveta Radičová, ministerpräsidentin und stellvertretende partei-vorsitzende, und mikuláš Dzurinda, Vorsitzender der partei

und Außenminister. nachdem beide politiker mitglieder des neuen Kabinetts geworden waren, kamen spekulationen darüber auf, die unterschiedliche gegenseitige unter-ordnung – einmal innerhalb der partei und einmal innerhalb der Regierung – führe zu

spannungen und Konflikten. nichts davon ist bisher fest-stellbar. Radičová betonte wiederholt, dass sie keinerlei Ambitionen habe, zu diesem zeitpunkt Vorsitzende der partei zu werden, und dass sie Dzurinda voll und ganz unterstütze.Dzurinda wiederholte seinerseits, dass er in seiner position als Vorsitzender Radičová als ministerprä-sidentin vorbehaltlos unterstütze, und dass er damit auch die ganze partei hinter sich wisse. fico indessen kritisiert, Radičová sei im Vergleich zu ihm während seiner Amtszeit von 2006 bis 2010 eine schwache ministerpräsidentin, da sie nicht wie er den Vorsitz der partei innehat. Die wirk-lichkeit sieht anders aus. In bestimmten situationen hat Radičová ihren Koalitionspartnern aus der sas, KDh und most-híd sowie den Regierungsmitgliedern gezeigt, dass sie die volle Verantwortung für das ministerpräsiden-tenamt mit all den damit einhergehenden Kompetenzen

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Da sich Ficos Erwartungen, die Regie- rungskoalition würde in dieser zusam- mensetzung nicht lange halten, nicht erfüllten, hat er seine Bereitschaft zu einer „großen Koalition‟ ausgedrückt.

übernimmt. sie hat diese Kompetenzen so eingesetzt, dass keiner zweifel daran hatte, wer der Anführer der Koalition und Regierung ist. sie hat mehrere male minister ihrer Regierung streng überprüft, wenn es um Entscheidungen über konkrete maßnahmen ging, und ihre position sehr klar aufgezeigt.

neben dem programmbasierten Abkommen unter den derzeitigen Koalitionsparteien gab es noch eine weitere starke Verbindung innerhalb der Regierungskoalition: das bestehen der smer-sD, dem politischen Rivalen mit starken, machtbasierten Ambitionen. Alle mitte-Rechts-parteien verweigern weiterhin übereinstimmend jegliche Koalitionszusammenarbeit mit smer-sD. sie wissen auch sehr genau, dass sich jegliche schwächung ihrer Einheit gut für fico auswirken würde, der an die wirksamkeit seiner eigenen populistischen Versprechen glaubt, und ebenso daran, dass er für seine wähler unwiderstehlich ist. und für den fall, dass Turbulenzen innerhalb der Regie-rungskoalition auftauchen, würde er sich auf seinen wichtigsten Verbündeten verlassen – präsident Gašparovič, der 2009 mit der unterstützung von smer-sD gewählt wurde und dieser partei bis jetzt loyal geblieben ist.

Da ficos anfängliche Erwartungen, die Regierungs koalition würde in ihrer derzeitigen zusammensetzung nicht lange halten, nicht erfüllt wurden, hat er seine Rhetorik geän-dert und damit begonnen, offen seine bereitschaft für eine „große Koalition‟ mit den mitte-Rechts-parteien, ein- schließlich sDKÚ-Ds, auszudrücken. Dass die sDKÚ-Ds auf ihrem parteitag im Dezember 2010 eine Regelung zur Verweigerung der Koalitionszusammen arbeit mit smer-sD verabschiedet hat, hielt ihn nicht von seiner Ankündigung ab. Der Vorsitzende der sDKÚ-Ds nannte ficos partei daraufhin einen „haufen korrupter Kommunisten‟.

niemand aus der derzeitigen Regierungskoalition ist offen-sichtlich bereit, smer-sD eine Koalitionszusammenarbeit anzubieten, daher sind ficos Reden über eine „große mitte-Links-Koalition‟ nur ein bluff. Die einzige Absicht dieser Reden ist es, die Illusion zu schaffen, dass smer-sD eine normale, programmbasierte partei ist, die ein breites Koalitionspotential hat. Es hat sich gezeigt, dass die natio-

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Der Test für die Einheit der Koalition war die wahl des Generalstaatsanwalts im Dezember 2010. Das neue Kabinett brach fast zusammen.

nalistischen und populistischen Exzesse von smer-sD als Regierungspartei ihr potential, eine Koalitionsallianz mit moderaten parteien einzugehen, in einem solchen Ausmaß geschwächt haben, dass ihre einzigen möglichen Koaliti-onsverbündeten parteien wie mečiars autoritäre Ľs-hzDs oder slotas radikalnationalistische sns wären, mit denen fico in der wahlperiode 2006 bis 2010 regierte. mečiars partei erreichte jedoch die fünf-prozent-schwelle nicht, und die sns kämpft um ihr politisches überleben vor dem hintergrund scharfer innerparteilicher Konflikte und eines erheblichen Rückgangs der wählerpräferenzen fast unter die fünf-prozent-schwelle. ficos smer-sD läuft also Gefahr, auch nach den wahlen im Jahr 2014 alleine die Opposition zu bilden.

wAHL DES GENERALSTAATSANwALTS: KOALITION AM RANDE DES ABGRUNDS

Die effiziente politik der neuen Regierung, vor allem die reibungslose Verabschiedung von Gesetzen im parlament,

bedeutet offensichtlich nicht zwangsläufig, dass die mitte-Rechts-Koalition vor echten problemen im Innern gefeit ist. Der Test für die Einheit der Koalition war die problema-tische wahl des Generalstaatsanwalts im

parlament im Dezember 2010. Aus politischer sicht war sie ein besonders bedeutsamer fall, denn das neue Kabinett brach, unerwartet und zur großen überraschung der neuen Regierungskoalition selbst, aufgrund des wahlergebnisses fast zusammen.

Die wahlperiode des amtierenden Generalstaatsanwalts Dobroslav Trnka endete im februar 2011. Der Verfassung zufolge wird der Generalstaatsanwalt vom parlament gewählt und dann vom präsidenten vereidigt. Aufgrund der streitigkeiten zwischen der Regierungskoalition und der Opposition, aber auch aufgrund der unterschiedlichen Ansichten über einen Kandidaten unter den Regierungs-parteien selbst (sie hatten zuerst zwei Kandidaten vorge-schlagen), wurde in der ersten Runde kein Generalstaats-anwalt im parlament gewählt. In die zweite Runde schickte die Regierungskoalition einen gemeinsamen Kandidaten, und scheiterte erneut. Die Opposition indessen verfolgte die wiederwahl des amtierenden Generalstaatsanwalts

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wäre es zum Rücktritt Radičovás ge- kommen, hätten die chancen auf die Bildung einer Koalition aus vier Mitte-Rechts-Parteien bestenfalls mager aus-gesehen.

Trnka. sie wäre fast gelungen, es fehlte eine einzige stimme. mindestens sechs Abgeordnete der Regierungs-koalition hatten also für den Kandidaten der Opposition gestimmt, obwohl keiner der Abgeordneten, weder vor noch nach der Abstimmung, öffentlich seine unterstützung für Trnka gezeigt hatte.

Das unerwartete Ergebnis der Abstimmung war sogar noch erstaunlicher, da ministerpräsidentin Radičová vor der wahl öffentlich bekannt gab, dass sie im fall einer wiederwahl Trnkas zurückgetreten würde – was gemäß der Verfas-sung automatisch den Rücktritt der gesamten Regierung bedeutet. Radičová warnte, eine weitere Amtszeit Trnkas stünde im widerspruch zu der Verpflichtung, wesentliche änderungen in der Justiz durchzusetzen. Der amtierende Generalstaatsanwalt, der bei der Ermittlung in bestimmten politisch heiklen fällen passivität an den Tag gelgt habe (und manchmal sogar aktiv zur beeinträchtigung der Ermittlung beigetragen habe), könne kein symbol für den wandel sein, argumentierte sie. Die Tatsache, dass während der zweiten Runde der Abstimmung nur noch eine einzige stimme für die wiederwahl Trnkas fehlte, hat gezeigt, dass die Regierung Radičovás und die neue Regie-rungskoalition ohne offensichtliche politische Gründe, ohne eine Krise innerhalb der Koalition und nur aufgrund einiger versteckter, interner politischer manipulationen beinahe ihr Dasein beendet hätte.

Kaum jemand bezweifelte vor der wahl, dass Radičová ihr Rücktrittsversprechen halten würde, falls Trnka wiedergewählt würde. wäre es tatsächlich dazu gekommen, hätten die chancen auf die bildung einer Koalition aus vier mitte-Rechts-parteien bestenfalls mager ausgesehen. fico hätte sich sicher mit präsident Gašparovič zusammen- getan mit dem ziel der schrittweisen Rückkehr an die macht, unter gewissen umständen sogar durch vorgezo-gene wahlen.

fico wusch seine hände jedoch ein wenig zu früh in unschuld, während er ungeduldig eine solche Entwicklung abwartete. Es wird berichtet, er sei nach der Verkündung der Ergebnisse erbleicht. Vermutlich rechnete er aufgrund von geheimen internen Informationen mit Radičovás Rück-

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Koalitionspolitiker verwiesen darauf, dass eine öffentliche Abstimmung bei der wahl von Amtsträgern ebenso wenig die Entscheidung der Abgeord-neten einschränke wie die öffentliche Abstimmung über Gesetze.

tritt. Das geschah aber nicht. Das Versagen der Koalition hat paradoxerweise deren Einheit nicht untergraben. Ganz im Gegenteil, es hat noch eine viel stärkere Verbindung geschaffen. Es hat die Koalition zu der Entscheidung geführt, den wahlmodus zu ändern und eine öffentliche Abstimmung anstelle einer geheimen einzuführen. Diese Entscheidung hat verschiedene Reaktionen hervorgerufen hat – die Opposition kritisierte sie heftig. Vertreter der Regierungskoalition indessen erklärten, dass das prinzip der Offenheit gegenüber den bürgern bei der Ausübung der mandate in einer parlamentarischen Demokratie keine Ausnahmen erlaube, vor allem nicht bei der wahl öffent-licher Amtsträger. Regierungsvertreter erklärten, die von den bürgern gewählten Vertreter hätten ihre mandate so transparent wie möglich auszuführen. Informationen über

ihr Abstimmungsverhalten bei der Geneh-migung von Gesetzen und der wahl von beamten hätten offen zugänglich zu sein, so dass die bürger in der Lage seien, die Tätigkeit ihrer Abgeordneten angemessen zu beurteilen. während die Opposition die Regierungskoalition beschuldigte, die ände-

rung des wahlmodus widerspreche dem prinzip der Demo-kratie, verwiesen Koalitionspolitiker darauf, dass die öffent-liche Abstimmung bei der wahl von Amtsträgern ebenso wenig die Entscheidung der Abgeordneten einschränke wie die öffentliche Abstimmung über Gesetze.

Die Einführung der öffentlichen wahl könnte einen posi-tiven Anti-Korruptionseffekt haben, schließlich wurden die spekulationen, dass die Entscheidung der sechs Koali-tionsabgeordneten zur unterstützung des Oppositions-kandidaten mit Korruption in Verbindung stehen könnte, von Abgeordneten selbst geäußert. Ein weiterer positiver Aspekt der wahl des Generalstaatsanwalts könnte die Absicht der Regierungskoalition sein, dessen Kompe-tenzen abzuändern und das strafverfolgungssystem, das auf einem – für die liberale Demokratie – anorganischen, monokratischen prinzip aufgebaut ist, dem modernen Konstitutionalismus anzupassen, auch wenn die gesamte Restrukturierung des strafverfolgungssystems möglicher-weise mehr zeit braucht. positiv auswirken könnte sich auch die angekündigte Absicht, die zahl der wahlperioden für den Generalstaatsanwalt auf eine zu reduzieren, um

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Ankündigungen Ficos werfen die Frage auf, inwieweit die Smer-SD ihrem charakter nach mit den werten und Prinzipien der liberalen Demokratie übereinstimmt.

das Amt weniger anfällig für politisierung zu machen. Diese Absicht müsste in einem Gesetz verankert werden.

Die wahl des Generalstaatsanwalts hat den fokus nicht nur auf die Regierungskoalition gerichtet, in der sich einige illoyale Abgeordnete befinden, sondern auch auf die parlamentarische Opposition und deren standpunkt, dass der Verfassungsrahmen der liberalen Demokratie zu eng gefasst sei. Das warnsignal, dass die mächtigste Opposi-tionspartei smer-sD unter bestimmten umständen bereit wäre, den Verfassungsrahmen zu verlassen, bestand in der Ankündigung ficos, dass smer-sD im falle einer änderung des modus bei der wahl des Generalstaatsanwalts gemäß Artikel 32 der Verfassung verfahren könnte: „Die bürger haben das Recht, widerstand gegen jeden zu leisten, der die demokratische Ordnung der in dieser Verfassung verankerten grund-legenden menschenrechte und freiheiten zu beseitigen versucht, wenn die Tätigkeit der Verfassungsorgane und die wirksame Anwen-dung der gesetzlichen mittel eingeschränkt werden.‟ Die Ankündigung der Absicht, diesen Artikel der Verfassung zu „aktivieren‟, auch wenn die menschenrechte und freiheiten nicht in Gefahr sind, sondern lediglich, weil die partei mit einer legitimen und legalen änderung legislativer stan-dards nicht einverstanden ist, wirft fragen darüber auf, inwieweit die Oppositionspartei smer-sD ihrem charakter und ihrer zusammenstellung nach mit den werten und prinzipien der liberalen Demokratie übereinstimmt.

KREDIT FÜR GRIEcHENLAND: FIcOS FALLEN

Einer der außergewöhnlichsten schritte der neuen slowaki-schen Regierung war die weigerung, Griechenland gemäß den bestimmungen des Euro-notfallplans der Europäischen union einen Kredit zu gewähren. Dieser gesamte fall war das Ergebnis der Auswirkung mehrerer faktoren vor allem innenpolitischer natur.

Die vorherige Regierung unter fico hatte die Genehmigung des Kredits für Griechenland versprochen. sie hatte sogar mit brüssel über die Konditionen verhandelt, aber vor den wahlen im Juni hatte sie gezögert, dem parlament den Kreditvertrag zur Ratifizierung vorzulegen. sie verhielt sich

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wirtschaftsexperten der Oppositions-parteien zeigten auf, dass die Slowakei für ein weiter entwickeltes Land wie Griechenland die Spenderrolle nicht er- füllen könne.

reichlich arrogant gegenüber der Opposition, die verlangt hatte, die bedingungen zu veröffentlichen und darauf bestand, eine separate parlamentssitzung abzuhalten. Als die umfragen zeigten, dass die Allgemeinheit die hilfe für Griechenland nicht unterstützte, versuchte fico als authen-tischer populist das ganze problem unter den Teppich zu kehren, um seine wähler nicht unnötig zu irritieren. nach den wahlen, versprach er, werde sich die neue Regierung darum kümmern.

Die neue Regierung bildeten jedoch die vier mitte-Rechts-parteien, und diese lehnten den Kredit für Griechenland ab. während des wahlkampfs hatten sie sich in einen großen streit mit der smer-sD verwickelt, die sie beschuldigten, nicht mit der Opposition über solch ein bedeutendes Thema verhandelt und die tatsächlichen bedingungen für die unterstützung Griechenlands vor der Allgemein-heit verheimlicht zu haben. sie kritisierten ebenfalls, die Regierung habe während der Verhandlungen mit brüssel die möglichkeit nicht genutzt, die Ausgestaltung des Euro-notfallplans zu beeinflussen.

Die Opposition hatte vor den wahlen ver- sprochen, die bedingungen für die unterstüt-zung Griechenlands, sollte sie an die macht gelangen, noch einmal zu prüfen und die hilfe

womöglich zu verweigern. wirtschaftsexperten der Oppo-sitionsparteien zeigten auf, dass die slowakei als weniger entwickeltes, postkommunistisches Land mit schwächeren makroökonomischen Indikatoren die spender rolle für ein weiter entwickeltes Land wie Griechenland nicht erfüllen könne. nach der machtübernahme durch die mitte-Rechts-parteien verkündete die neue Regierung, die slowakische wirtschaft befinde sich nach vier Jahren der populisti-schen herrschaft ficos in einem schlechteren zustand als die Opposition selbst vor den wahlen erwartet hatte. Das wachstum des bIp war im Vergleich zu den vorange-gangenen Jahren stark gesunken und hatte rote zahlen erreicht. Das haushaltsdefizit war auf fast acht prozent gestiegen. Darüber hinaus argumentierten die Vertreter der neuen Regierung, dass die Eu bei der Entscheidung über den notfallplan für Griechenland nicht alle Aspekte berücksichtigt habe. so habe Griechenland in den vergan-genen Jahren wissentlich seine staatsfinanzen gefährdet.

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Die Entscheidung der neuen Regierung, Griechenland die Hilfe zu verweigern, stieß bei der Mehrheit der Bevölkerung auf Unterstützung. Einige Experten ho- ben jedoch die problematischen Seiten hervor.

Radičovás Regierung verabschiedete daher einen be- schluss, Griechenland keinen Kredit zu gewähren. Die Regierung trat dennoch der European Financial Stability Facility bei.

Das Kabinett hatte dem parlament den griechischen Kredit-antrag im August 2010 vorgelegt, den fico im allerletzten moment in die schublade gelegt hatte. wie erwartet lehnten die Abgeordneten der Regierungskoalition den Vertrag ab (mit Ausnahme eines Abgeordneten der KDh). Die Abstim-mung der Abgeordneten der smer-sD war symptomatisch. Kein einziger Abgeordneter der smer-sD, die zuvor noch die Regierung beschuldigt hatte, das unter fico mit der Eu verhandelte Abkommen gebrochen zu haben, stimmte für diesen Vertrag: die gesamte fraktion nahm einfach nicht an der Abstimmung teil.

Die Entscheidung der neuen Regierung, Griechenland die hilfe zu verweigern, stieß bei der mehrheit der bevölke-rung auf unterstützung. Einige Experten und einflussreiche Intellektuelle hoben jedoch die problematischen seiten hervor. sie argumentierten, der mögliche positive wirt-schaftliche Effekt dieser Entscheidung sei viel schwächer als die möglichen negativen Auswirkung des verschlech-terten Images des Landes, das sich aus innenpolitischen Gründen vom europäischen Grundprinzip der solidarität entfernt habe.

wAS NUN?

was sind die perspektiven für die zukünftige Entwicklung? Es gibt Anzeichen dafür, dass die neue Regierungskoalition im Jahr 2011 in der Lage sein könnte, das maß an interner festigung, das sie kurz nach ihrer machtübernahme und der Verabschiedung anfänglicher praktischer maßnahmen erreichte, zu erhalten. Die öffentliche unterstützung für diese Regierung wird jedoch direkt von ihrem Erfolg bei der bewältigung der dringendsten sozialen probleme und ihrer fähigkeit abhängen, den bürgern bestimmte unbeliebte, aber unumgängliche maßnahmen zu erklären.

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smer-sD ist ein eindrucksvoller politischer Rivale, der ohne zweifel alle Anzeichen von unzufriedenheit dazu nutzen wird, die position der reformorientierten Regierung zu untergraben und günstige Voraussetzungen für seine eigene Rückkehr an die macht zu schaffen. Aber diese Taktik könnte erfolglos sein, sofern die neue Regierungskoalition entnervende interne Konflikte vermeidet, der Versuchung der Vetternwirtschaft widersteht und sachliche Lösungen anstrebt, die auf die Verbesserung der sozialökonomischen situation der bürger abzielen.

Der Artikel wurde am 7. februar 2011 abgeschlossen.

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