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6|10 Wie es euch gefällt – Nach den USA erliegen auch asiati- sche Politiker dem Charme von Facebook und Twitter Paul Linnarz Politische Kommunikation in Subsahara-Afrika und die Rolle der Neuen Medien Frank Windeck Revolution 2.0: Ein Schrecken für autoritäre Regime – Digitale Kultur und politische Kommunikation in Lateinamerika Frank Priess Der Einfluss des Internets auf Parteien und Wahlkämpfe Trygve Olson / Terry Nelson Politik aus der Nische. Die digitale politische Kommuni- kation als Informationsquelle und Austauschforum für die Opposition in Weißrussland Stephan Malerius Chinas digitale Revolution – politische Kommunikation in der virtuellen Welt Regina Edelbauer Pressefreiheit, Neue Medien und politische Kommunikation in Malaysia – eine Gesellschaft im Wandel Thomas S. Knirsch / Patrick Kratzenstein AUSLANDSINFORMATIONEN

KAS Auslandsinformationen 06/2010

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In KAS Auslandsinformationen werden internationale Fragen, Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit erörtert. Die monatlich erscheinende Publikation hat das Ziel, einen Teil der im Zusammenhang mit der Auslandsarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung gesammelten Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Buch erscheint auf deutsch und englisch.

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Wie es euch gefällt – Nach den USA erliegen auch asiati-sche Politiker dem Charme von Facebook und TwitterPaul Linnarz

Politische Kommunikationin Subsahara-Afrika und die Rolle der Neuen MedienFrank Windeck

Revolution 2.0:Ein Schrecken für autoritäreRegime – Digitale Kultur undpolitische Kommunikation inLateinamerikaFrank Priess

Der Einfluss des Internetsauf Parteien und WahlkämpfeTrygve Olson / Terry Nelson

Politik aus der Nische. Diedigitale politische Kommuni-kation als Informationsquelle und Austauschforum für die Opposition in WeißrusslandStephan Malerius

Chinas digitale Revolution –politische Kommunikation in der virtuellen WeltRegina Edelbauer

Pressefreiheit, Neue Medien und politische Kommunikation in Malaysia – eine Gesellschaft im WandelThomas S. Knirsch /Patrick Kratzenstein

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ISSN 0177-7521Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.26. Jahrgang

Tiergartenstraße 35D-10785 BerlinTelefon (030) 2 69 96-33 83Telefax (030) 2 69 96-35 63Internet: http://www.kas.deE-Mail: [email protected]

Bankverbindung:Commerzbank AG Filiale Bonn,Kto.-Nr. 110 63 43, BLZ 380 400 07

Herausgeber:Dr. Gerhard Wahlers

Redaktion:Frank SpenglerHans-Hartwig BlomeierDr. Stefan FriedrichJens PaulusDr. Hardy OstryDr. Helmut Reifeld

Verantwortlicher Redakteur:Dr. Hans Maria Heÿn

Gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingtdie Meinung der Redaktion wieder.

Bezugsbedingungen:Die KAS-Auslandsinformationen erscheinenzwölfmal im Jahr. Der Bezugspreis für zwölfHefte beträgt 50,– € zzgl. Porto. Einzelheft5,– €. Schüler und Studenten erhalten einenSonderrabatt.

Die Bezugsdauer verlängert sich jeweils umein Jahr, sofern das Abonnement nicht biszum 15. November eines Jahres schriftlichabbestellt wird.

Bestellungen: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.(obige Anschrift)

Das Copyright für die Beiträge liegt bei denKAS-Auslandsinformationen.

Gestaltung:SWITSCH KommunikationsDesign, Köln

Satz:racken, Berlin

CO²-neutral mit Farben auf Pflanzenölbasis nach DIN ISO 12647-2 gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Recyclingpapier, das mit dem europäischen Umwelt- zeichen (EU Ecolabel: FR/011/003) ausgezeichnet ist.

Umschlagpapier aus 60 % FSC-zertifizierten Recycling- Fasern, Innenseiten aus 100 % FSC-zertifiziertem Recycling-Papier.

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EDITORIAL

WIE ES EUCH GEFÄLLT – NACH DEN USA ERLIEGEN AUCH ASIATISCHE POLITIKER DEM CHARME VON FACEBOOK UND TWITTERPaul Linnarz

POLITISCHE KOMMUNIKATION IN SUBSAHARA-AFRIKA UND DIE ROLLE DER NEUEN MEDIENFrank Windeck

REVOLUTION 2.0: EIN SCHRECKEN FÜR AUTORITÄRE REGIME – DIGITALE KULTUR UND POLITISCHE KOMMUNIKATION IN LATEINAMERIKAFrank Priess

DER EINFLUSS DES INTERNETS AUF PARTEIEN UND WAHLKÄMPFETrygve Olson / Terry Nelson

POLITIK AUS DER NISCHE. DIE DIGITALE POLITISCHE KOMMUNIKATION ALS INFORMATIONSQUELLE UND AUSTAUSCHFORUM FÜR DIE OPPOSITION IN WEISSRUSSLANDStephan Malerius

CHINAS DIGITALE REVOLUTION – POLITISCHE KOMMUNIKATION IN DER VIRTUELLEN WELTRegina Edelbauer

PRESSEFREIHEIT, NEUE MEDIEN UND POLITISCHE KOMMUNIKATION IN MALAYSIA – EINE GESELLSCHAFT IM WANDEL Thomas S. Knirsch / Patrick Kratzenstein

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EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

die interaktiven Plattformen des Web 2.0 sind dabei das Internet von Grund auf zu verändern. Auch die mediale (politische) Kommunikation steht vor großen Herausforde-rungen. Sogenannte soziale Netzwerke, Weblogs, Micro-blogging Systeme, oder auch Plattformen für den Austausch von Fotos, Filmen oder Texten haben unser mediales Kommunikationsverhalten revolutioniert. Gemeinsam ist allen die aktive Beteiligung der Nutzer an der Erstellung und Verteilung von Inhalten sowie die weltweite Vernet-zung und daraus folgende globale Verbreitung der Inhalte.

Die klassischen Institutionen in Politik und Gesellschaft versuchen sich an die Geschwindigkeit, Komplexität und die Konsequenzen dieser Veränderungen zu gewöhnen. Bereits jetzt ist das Internet Gegenstand und Medium der Politik geworden, ohne bereits bestehende Institutionen zwangläufig einbeziehen zu müssen. Die neuen breiten Partizipationsmöglichkeiten, die tradierte politische Infra-strukturen übergehen können, haben bereits jetzt globalen Charakter bekommen. Nationale politische Regulierungen, Sinnbild des bisherigen Verhältnisses von Staat und Bürger, hinken hier noch hinterher.

Da das Internet Teil der Wirklichkeit und kein paral-leler virtueller Raum ist, hat es erheblichen Einfluss auf die verschiedenen politischen Systeme und die daraus entstehenden sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen. Jegliche Euphorie über eine globale digitale Gemeinschaft ist da voreilig. Die Beiträge in diesem Heft zeigen die

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Abhängigkeiten der Nutzer von diesen Gegebenheiten. Gleichwohl darf das kreative Potential der interaktiven digitalen Netzwerke für die politische Kommunikation, die Meinungs- und Willensbildung sowie Mobilisierung nicht unterschätzt werden. Besonders unter restriktiven politi-schen Bedingungen oder eingeschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten sind diese Beteiligungsmöglichkeiten im Web 2.0 eine wichtige Möglichkeit der freien politischen Meinungsäußerung. Die Zugangsschwelle ist hier sehr niedrig. Ein Computer mit Netzanbindung oder ein Mobilte-lefon reichen hier aus.

Traditionelle Medien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen setzen hier eine weitaus aufwendigere Infrastruktur voraus. Zudem sind sie oftmals durch redaktionelle Filter, betriebswirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen gebunden. Der Siegeszug des viel stärker partizipativ ausgerichteten Web 2.0 wird sich daher in Zukunft noch verstärken. Allein schon weil es – trotz Sperren, Zensur und anderen Restriktionen in vielen Ländern – viel schwerer zu kontrollieren, korrumpieren oder zu erpressen ist. Zudem beruht die neue Qualität der Kommunikation dieser inter-aktiven digitalen Netzwerke in der Beteiligung von sowohl Empfänger auch als Sender. Radio, Zeitung und Fernsehen schaffen dies nur am Rande.

Die politische Kommunikation wird daher in Zukunft deut-lich weniger über die bisherigen Akteure (Parteiorganisati-onen, Gewerkschaften oder Verbänden) gesteuert werden. Das Internet mit seinen Plattformen und Netzwerken agiert

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selbst als Kanal politischer Kommunikation und Mobili-sierung. Für die bisherigen Akteure erwächst hieraus die Herausforderung ihre Inhalte und Ziele noch viel stärker als bisher im Internet zu verbreiten und dort zur Diskus-sion zu stellen. Das Internet wird in absehbarer Zukunft der zentrale Kommunikationskanal zur Vermittlung partei-politischer Inhalte werden. Gerade für Volksparteien, deren politische Programmatik sich nicht auf die Umsetzung von Einzel- oder Gruppeninteressen ausrichtet, sondern ein breites Spektrum politischer Interessen anspricht, ist dies von Bedeutung. So gewiss die interaktiven Netzwerke des World Wide Web die politische Kommunikation umwälzen, so ungewiss ist es, ob daraus auch wirkmächtige soziale Bewegungen hervorgehen, die mittel- und langfristige die politische Verantwortung übernehmen wollen und können. Dazu braucht es mehr als eine Breitbandverbindung.

Dr. Gerhard WahlersStellvertretender Generalsekretär

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Paul Linnarz

Das „Youth Lab‟ des in Malaysia regierenden Parteienbünd-nisses Barisan Nasional (BN) veröffentlichte im April 2010 die Ergebnisse einer Meinungsumfrage, nach der über 60 Prozent der Wähler unter 35 Jahren weder die BN noch die Oppositionskoalition Pakatan Rakyat (PR) bevorzug-ten.1 Bei der nächsten Abstimmung wollen die befragten Jungwähler ihre Stimme, losgelöst von parteipolitischen Präferenzen, stattdessen dem Kandidaten geben, der nach ihrer Einschätzung wichtigere Themen vertritt oder ihnen schlicht als fähiger erscheint.2 Rund 73 Prozent der malaysischen Bevölkerung sind jünger als 40 Jahre. Mehr als die Hälfte der elf Millionen Wahlberechtigten gelten als unentschlossen.

Zu den wichtigsten Themen zählten die Befragten die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und ihre Karriere-chancen, die Qualität von Bildung und Ausbildung und die Kosten für den Lebensunterhalt. Besonders enttäuscht ist die junge Generation Malaysias über die Kriminalität im Lande. Etwa ein Viertel der Umfrageteilnehmer bezeichnet die Meinungsfreiheit als ihren größten Wunsch. Grundsätz-lich sehen 65 Prozent der Befragten Malaysia auf einem guten Weg; für circa 30 Prozent gibt die Entwicklung des Landes hingegen Anlass zur Sorge.

1 | Ausführlich zur Entwicklung der politischen Kommunikation in Malaysia in Hinblick auf neue Medien vergleiche den Artikel von Thomas S. Knirsch und Patrick Kratzenstein, „Pressefreiheit, Neue Medien und Politische Kommunikation in Malaysia – Eine Gesellschaft im Wandel‟ in dieser Ausgabe der KAS-Auslandsinformationen.2 | Vgl. hierzu: http://bnyouthlab.wordpress.com [22.04.2010].

Paul Linnarz ist Leiter des Medienprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung in Asien mit Sitz in Singapur.

WIE ES EUCH GEFÄLLT – NACH DEN USA ERLIEGEN AUCH ASIATISCHEPOLITIKER DEM CHARME VON FACEBOOK UND TWITTER

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Premierminister Razak hat 300 seiner Facebook-„Freunde‟ kürzlich zum Tee eingeladen. Es hätten wohl auch mehr Anhänger sein können; jedenfalls tummelten sich auf der Facebook-Seite des Regierungschefs bis zum 20. April schon über 150.000 Fans.

Das BN-Youth Lab ist eine Mischung aus Fokusgruppe und Meinungsforschungsinstitut. Für seine Onlineumfragen unter den 18- bis 35-Jährigen setzt das 30-köpfige Team auf soziale Netzwerke wie Facebook oder die Plattform

Twitter. Längst nicht alle Ergebnisse dürfen jedoch als repräsentativ gelten. So gaben im März von 200 befragten Facebook-„Freunden‟ und Twitter-Nutzern fast 90 Prozent an, als Wähler bereits registriert zu sein. Tatsächlich bemühen sich alle Parteien in Malaysia noch um bis zu vier Millionen

Wahlberechtigte, darunter viele jünger als 30 Jahre, die sich für den nächsten Urnengang 2013 noch nicht regist-riert haben. Den hohen Erwartungen an die Ergebnisse des BN-Youth Lab tun mögliche methodische Ungenauigkeiten bei der Onlinebefragung keinen Abbruch: „Früher galt, die Regierung weiß alles. Jetzt gilt das nicht mehr‟, frohlockt Suffian Awang, führendes Mitglied der Jugendorganisation seiner Partei Umno und enger Mitarbeiter von Premiermi-nister Najib Razak. Die neue Leitlinie soll in der Öffentlich-keit deutlich wahrgenommen werden. Mit seinem BN-Youth Lab möchte das regierende Parteienbündnis den direkten Kontakt zu (meist jungen) Bürgern verbessern.3 Der Grund ist klar: Bei der Parlamentswahl im Jahr 2008 gab die junge Generation den Ausschlag dafür, dass die Barisan Nasional ihre Zweidrittelmehrheit verlor. Mit Twitter und Facebook soll die mit dem Internet aufgewachsene Klientel der „digital natives‟ nun zurückgewonnen werden.

Premierminister Razak hat 300 seiner Facebook-„Freunde‟ kürzlich zum Tee eingeladen. Es hätten wohl auch mehr Anhänger sein können; jedenfalls tummelten sich auf der Facebook-Seite des Regierungschefs bis zum 20. April schon über 150.000 Fans.4 Gut 15.000 Internetnutzer verfolgen auf Twitter das Handeln des Premierministers.5 Die „Follower‟ erfuhren in einem Twitter-Eintrag ebenfalls am 20. April beispielsweise: „Yesterday I had a useful meeting with PM Yukio Hatoyama. We agreed to strengthen coope-ration in environment + energy: http://bit.ly/d6s9YX.‟

3 | Vgl. http://www.transformation.gov.my/index.php?option= com_content&view=article&id=365%3Awhen-what- youngsters-say-counts-&catid=39%3Anews&Itemid= 148&lang=en [22.04.2010].4 | Vgl. http://www.facebook.com/najibrazak [22.04.2010].5 | Vgl. http://twitter.com/NAjibRazak [22.04.2010].

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Soziale Netzwerke, Blogs und Twitter haben „private Öffentlichkeiten‟ her- vorgebracht, die schwer zu kontrol-lieren sind. Gleichzeitig beweist ein Blick in die Statistiken, dass die Freiheit oder Unfreiheit der traditio-nellen Medien nur ein Grund für den Vormarsch der interaktiven Online-dienste ist.

Der Link am Schluss der Kurznachricht leitet den Leser auf die offizielle Webseite des Regierungschefs mit Photos vom Besuch in Japan. Khairy Jamaluddin, Chef der Umno-Jugendorganisation, veranstaltete Anfang März ein „Tweet Up‟, ein Treffen von Twitter-Nutzern, an dem auch Carolyn Hong von der Straits Times aus Singapur teilnahm. In ihrem Onlinebeitrag zu der Veranstaltung bemerkt die Malaysia-Korrespondentin der Tageszei-tung beinahe ehrfürchtig, dass Jamaluddin „alle Fragen beantwortet‟ habe. Und noch während der Politiker seinen Anhängern im Restaurant bei Lammfleisch und Reis völlig „offline‟ Rede und Antwort stand, seien dank der zahlreich eingesetzten Blackberrys schon die ersten Fotos und Kurznachrichten von dem Treffen in Umlauf gebracht worden. „Twitter hat sich für junge Politiker aus Malaysia zur heißesten Adresse entwickelt. Folge [auf Twitter] nur einigen von ihnen, und du wirst Teil ihrer erhitzten, aber in der Regel höflichen, online ausgetragenen politischen Debatten.‟6 Die Euphorie der Journalistin und die rege Beteiligung der Onlinenutzer an Tee-Partys und politischen „Tweet Ups‟ werden nach-vollziehbar, wenn man bedenkt, dass die traditionellen Medien weder in Singapur noch in Malaysia nach westli-chem Verständnis frei sind. Rigide Auflagen für die Zulas-sung als Medienunternehmen und eine ganze Reihe an Tabuthemen verhindern in Presse und Rundfunk lebhafte und kontroverse innenpolitische Debatten. Das Internet genießt in Malaysia und Singapur deutlich mehr Freiheiten.

IN ALLER FREUNDSCHAFT: FACEBOOK, TWITTER & CO. FÜR MEHR GLAUBWÜRDIGKEIT

Das Phänomen ist auch in anderen asiatischen Ländern zu beobachten. Soziale Netzwerke, Blogs und Twitter haben „private Öffentlichkeiten‟ hervorgebracht, die schwer zu kontrollieren sind. Gleichzeitig beweist ein Blick in die Statistiken, dass die Freiheit oder Unfreiheit der traditio-nellen Medien nur ein Grund für den Vormarsch der inter-aktiven Onlinedienste ist. Facebook & Co. gewinnen auch in liberalisierten Medienmärkten deutlich an Boden.

6 | http://blogs.straitstimes.com/2010/3/5/twitter-is-tops-for- politicians [22.04.2010].

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Auf den Philippinen und in Indonesien zählten nach einer comScore Statistik vom Februar fast 85 Prozent aller Inter-netnutzer zu den Mitgliedern eines Netzwerkes. Neben Malaysia (77,5 Prozent) und Singapur (72,1 Prozent) führt Facebook auch in Hong Kong (62,6 Prozent) und Vietnam (18,4 Prozent) den Markt an.7 Mit am schnellsten wächst – im weltweiten Vergleich – die Gruppe der Facebook-Nutzer in Indonesien: von März bis April 2010 stieg ihre Zahl um fast zwei Millionen oder etwas über zehn Prozent. Auf den Philippinen – weltweit Platz drei beim Wachstum – gewann das Netzwerk im betreffenden Monat über eine Million neue Teilnehmer (+9,6 Prozent). Malaysia liegt mit rund 650.000 neuen Mitgliedern innerhalb von nur vier Wochen noch vor den Vereinigten Staaten auf Platz sieben. In absoluten Zahlen heißt das natürlich wenig. Den fast 115 Millionen Facebook-„Freunden‟ in den USA standen bis April nicht einmal sechs Millionen malaysische Teilnehmer gegenüber. Was jedoch zählt, ist die Wachstumsgeschwindigkeit des Netzwerkes. Sie lag von März bis April 2010 in Amerika bei einem halben Prozent, während der Markt in Malaysia in dieser Zeit um fast 13 Prozent wuchs; zwischen März 2009 und März 2010 betrug die Steigerung 364 Prozent.

Nichts spricht derzeit dafür, dass sich der Trend in nächster Zukunft abschwächt. Die zunehmende Bedeutung von Facebook, oder besser: die Bedeutung von Facebook für die Erreichbarkeit der großen, miteinander vernetzten jungen Wählerschaft, dürfte für die in drei Jahren bevorstehende Parlamentswahl Malaysias angesichts dieser Wachstums-zahlen selbst für Skeptiker nachvollziehbar werden. Was macht aber den weltweiten Charme von Facebook aus? Jon Klein, Präsident von CNN, lieferte dafür im Interview mit Bloomberg BusinessWeek im März in New York eine einleuchtende Erklärung. Auf die Frage, wie er den Wett-bewerb mit Fox News, für CNN in den USA seit langem der gefährlichste Kontrahent, einschätze, antwortete Klein zur allgemeinen Überraschung: „Die wirklich beängstigende Konkurrenz besteht mit den sozialen Netzwerken. Wir (CNN) wollen die glaubwürdigste Quelle sein. Auf Face-book hängen die Leute aber von ihren eigenen Freunden

7 | Vgl. http://www.comscore.com/Press_Events/Press_ Releases/2010/4/Social_Networking_Across_Asia-Pacific_ Markets [22.04.2010].

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Auch beim „upstream‟ der US-ame-rikanischen Nutzer auf die Online-angebote der traditionellen Medien stellt Facebook die Nachrichtenseite des Suchgiganten inzwischen aber in den Schatten. Mehr als doppelt so viele Internetnutzer besuchen die US- amerikanischen Medienseiten inzwi-schen auf dem Umweg über Facebook.

als Nachrichtenquelle ab.‟8 Glaubwürdigkeit ist gerade für jüngere Internetnutzer vor allem eine Frage der freien Interaktion und der möglichst in „Echtzeit‟ geführten Kommunikation innerhalb der virtuellen Gemeinschaft von Freunden, Fans und „Followern‟. Dies gilt auch für Asien. Die von den traditio-nellen Medien angestrebte Objektivität in der Berichterstattung, die klaren Trenn-linien zwischen Meinung, Information und Werbung, die solide Recherche und das Überprüfen aller Quellen auf Authentizität und Glaubwürdigkeit haben in der quirligen Cyberworld einen schweren Stand. „Ich kannte schon einige der Gäste, wie man eine Person über Twitter eben kennen kann‟, schreibt etwa Carolyn Hong über das kürzliche „Tweet Up‟ in Malaysia.

So gesellt sich zum Leidwesen vieler traditioneller Medien mit Facebook ein weiterer elektronischer Kiosk neben Google, MSN und Yahoo. In den USA werden die Webseiten des Netzwerks nach Angaben von Hitwise inzwischen häufiger aufgesucht als die der größten Suchmaschine weltweit. Google wird nicht müde zu betonen, dass seine Popularität auch den traditionellen Medien nutze. Der Service „Google News‟ habe den Internetseiten von Pres-severlagen und Rundfunksendern im vergangenen Jahr Monat für Monat immerhin eine Milliarde Klicks beschert. Auch beim „upstream‟ der US-amerikanischen Nutzer auf die Onlineangebote der traditionellen Medien stellt Face-book die Nachrichtenseite des Suchgiganten inzwischen aber in den Schatten. Mehr als doppelt so viele Internet-nutzer besuchen die US-amerikanischen Medienseiten inzwischen auf dem Umweg über Facebook.9 Passend dazu veröffentlichte das Netzwerk Ende Januar in seinem Unter-nehmensblog eine Anleitung dafür, wie sich die Mitglieder auf ihren Seiten („Profile‟) einen eigenen, auf ihre persön-lichen Bedürfnisse und Informationswünsche angepassten Nachrichtenkanal einrichten können.10

8 | http://www.guardian.co.uk/media/pda/2010/mar/10/digital- media-television [22.04.2010].9 | Vgl. http://weblogs.hitwise.com/us-heather-hopkins/2010/ 03/facebook_users_prefer_broadcas.html [22.04.2010].10 | Vgl. http://blog.facebook.com/blog.php?post=276507062130 [22.04.2010].

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Die Gruppendynamik der sozialen Netzwerke zählt im Außenministerium in Washington inzwischen zu den Kern-anforderungen an die US-amerikani-sche „Public Diplomacy‟. Botschaf- ten der USA rund um die Erde „twit-tern‟ und „posten‟, was das Zeug hält.

IN DER GRUPPE STARK: MIT DEM FREUNDESZÄHLER MEHR WAHLBETEILIGUNG

Das Problem für die traditionellen Medien besteht mittler-weile vor allem darin, dass die Bindung der jüngeren Inter-netnutzer in erster Linie zum „elektronischen Kiosk‟, also zu Facebook, MSN, Yahoo oder Google, besteht, während die Loyalität der „digital natives‟ zu einem bestimmten Medienangebot am unteren Ende der Nutzungskette konti-nuierlich abnimmt. Es komme wohl schon bald der Tag,

war kürzlich in einem Blog zu lesen, an dem die ersten Onlinenutzer Facebook mit dem Internet verwechselten. Der Politik kann das nur recht sein. Denn die digitalen Stamm-tische im Internet haben sich unter den Jung-wählern zu einem wirksamen Instrument der Mobilisierung entwickelt; wirksamer auf jeden Fall als Annoncen in Tageszeitung. So

rief Facebook seine Mitglieder im letzten Wahlkampf zur US-Präsidentschaft mit einem unparteiischen Hinweis dazu auf, ihre Stimme abzugeben. Ein Zähler („ticker‟) gab den Facebook-Nutzern in den USA an, wie viele der auf ihrem persönlichen Profil angemeldeten „Freunde‟ bereits gewählt hatten. „Das machte die Abstimmung, traditionell eher eine private Angelegenheit, zu einem sozialen Akt‟, resümiert Randi Zuckerberg, bei Facebook zuständig für Marketing. „Deine Freunde, nicht irgendeine dritte Seite, sagen Dir, dass Du wählen sollst.‟11 Und wer will im Freun-deskreis am Ende schon derjenige sein, der als einziger nicht den Weg ins Wahlbüro gefunden hat.

Die Gruppendynamik der sozialen Netzwerke zählt im Außenministerium in Washington inzwischen zu den Kern-anforderungen an die US-amerikanische „Public Diplo-macy‟. Botschaften der USA rund um die Erde „twittern‟ und „posten‟, was das Zeug hält. Die diplomatische Vertre-tung mit den meisten Fans auf Facebook (mit mehr Fans als sowohl alle Facebookseiten der 197 US-Botschaften weltweit als auch des US-Außenministeriums selbst) ist die diplomatische Vertretung in Indonesien. Sie verfügt

11 | http://www.youtube.com/watch?v=-HhHmQPuWrg [22.04.2010].

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Für die Medienvertreter liefern die sozialen Netzwerke vor allem „Leads‟, Spuren oder Anhaltspunkte für The-men und Ereignisse, über die zu berichten es sich später unter Um- ständen auch für die traditionellen Publikationen und Programme lohnt.

über knapp 130.000 Anhänger; Stand April 2010.12 Zwar verweist der für den Onlineauftritt zuständige Mitarbeiter zu Recht darauf, dass die Erfolge beim Aufbau der beacht-lichen Fangemeinde allen voran auf die intensive Kommu-nikation der US-Botschaft zurückzuführen sind. Kräftig unterstützt wurden seine Bemühungen aber dadurch, dass Facebook seine Mitgliederzahl in Indonesien von März 2009 bis März 2010 nach eigenen Angaben um fast 800 Prozent steigern konnte, in Asien nur noch übertroffen von Thailand (918 Prozent), den Philippinen (1.027 Prozent) und Taiwan (2.872 Prozent).

Das sagenhafte Wachstum der sozialen Netzwerke in fast allen Ländern Asiens darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass vielerorts nur eine Minderheit ans Internet angeschlossen ist; in Indonesien beispielsweise nur etwa zehn bis zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung. Zwar muss einschränkend gesagt werden, dass die Onlinenutzung am Arbeitsplatz, in der Universität und in den zahllosen Inter-netcafés von den Statistiken nicht erfasst wird. Sie mit einbezogen, dürfte etwa in Malaysia fast die Hälfte der Bevölkerung regelmäßig durchs Netz surfen. Richtig ist aber, dass die Masse der Menschen in den asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländern weiterhin von den traditionellen Medien mit Informationen und Unterhaltung versorgt wird. Darauf ruhen sich Presse und Rundfunk auch in Asien jedoch längst nicht mehr aus. Die Statistiken über die Verbreitung des Internets und die Nutzung sozialer Netzwerke geben keinen Aufschluss darüber, wer genau die Freunde, Fans und „Follower‟ der Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Showbusiness sind. Für den Einfluss von Facebook, Twitter & Co. auf die Meinungsbildung in der Bevölkerung ist das jedoch ganz entscheidend. Denn so wie die Mitglieder der Netzwerke im virtuellen Freundeskreis, mit ihren „Followern‟ und in der Fangemeinde zahllose Kommentare abgeben, Empfehlungen aussprechen und Hinweise verbreiten, erreichen sie natürlich auch Multipli-katoren, darunter auch Journalisten, die das „Gezwitscher‟ im Netz für die redaktionelle Berichterstattung verwenden.

12 | Vgl. http://www.thomascrampton.com/indonesia/us- embassy-indonesia-facebook-jakarta/#utm_source=rss& utm_medium=rss&utm_campaign=us-embassy-indonesia- facebook-jakarta [22.04.2010].

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Das World Editors Forum bemerkt dazu in seinem Blogein-trag über die Top-Trends der Zeitungsbranche für 2009: „Der Gedanke, dass ein Journalist Twitter noch immer nicht nutzt, ist beinahe unfassbar.‟13 Khairy Jamaluddin hat mit seinem kürzlichen „Tweet Up‟ in Malaysia also nicht nur die im Restaurant versammelten Anhänger angesprochen, sondern ganz bewusst auch die Journalisten, die ihm und seinem Parteibündnis per Twitter folgen.

WELTWEITE DATEN-GEWITTER: EPIDEMISCHE VERBREITUNG NAHEZU IN ECHTZEIT

Für die Medienvertreter liefern die sozialen Netzwerke vor allem „Leads‟, Spuren oder Anhaltspunkte für Themen und Ereignisse, über die zu berichten es sich später unter Umständen auch für die traditionellen Publikationen und Programme lohnt. In der gedruckten Ausgabe der Straits Times in Singapur bekam Carolyn Hong für einen Artikel über die Umfrageergebnisse des BN-Youth Lab im April immerhin eine halbe Zeitungsseite. In Malaysia selbst dürften das „Tweet Up‟ und die dazu verbreiteten Twitter-Meldungen von den Journalisten ebenfalls mit Aufmerk-samkeit verfolgt worden sein.

Das zweite Phänomen, an dem sich die Bedeutung der sozialen Netzwerke für die Meinungsbildung festmachen lässt, ist die rasante Geschwindigkeit, mit der sich die Kurzmitteilungen und „Postings‟ über die Verlinkung inner-halb der Netzwerke, per Newsfeed oder SMS, verbreiten. Wie ein Virus greifen die Informationen um sich. Gerade Twitter tritt in vielen Redaktionen damit neben die tradi-tionellen Nachrichtenagenturen. Nicht umsonst hat der Microblogging-Dienst inzwischen auch eine Suchfunktion. Google hat seinerseits angekündigt, in seinen Suchergeb-nissen künftig auch die Einträge aus den sozialen Netz-werken aufzulisten, und zwar als „real time updates‟, also laufend aktualisiert.

Rund um die Uhr verfolgen die Onlinejournalisten am PC und am Mobiltelefon, ob sich zu einem bestimmten Ereignis die Kurzmitteilungen der Internetnutzer auffällig häufen. Die Quantität der Hinweise von „Informanten‟,

13 | http://www.editorsweblog.org/analysis/2009/12/the_year_ in_newspapers_trends_to_follow.php [22.04.2010].

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In Asien gelten die Terroranschläge von Mumbai im November 2008 als die „Sternstunde“ für den Kurznach-richtendienst. Als die ersten Schüsse fielen, brach im Internet ein wahres Twitter-Gewitter aus.

die der Redaktion ansonsten nicht bekannt sind, ersetzt die Glaubwürdigkeit einer einzelnen Quelle oder spricht jedenfalls dafür, der Sache nachzugehen. Seit Janis Krums aus Sarasota, Florida, Anfang letzten Jahres in New York als zufälliger Augenzeuge deutlich vor allen traditionellen Medien per Twitter die kurze Meldung verbreitete: „Da liegt ein Flugzeug im Hudson‟, und mit dem iPhone sogar ein „Twitpic‟, ein Foto, an seine digitale Nachricht hängen konnte, steht die Microblogging-Plattform als Hinweisgeber bei Presse und Rundfunk unter ständiger Beobachtung. In Asien gelten die Terroranschläge von Mumbai im November 2008 als die „Sternstunde‟ für den Kurz-nachrichtendienst. Als die ersten Schüsse fielen, brach im Internet ein wahres Twitter-Gewitter aus. Die Lage war schon bald völlig unübersicht-lich. Ein großer Teil der vermeintlichen Augenzeugenbe-richte erwies sich als falsch. Trotzdem bemühten sich CNN, BBC und andere internationale Medien nach Kräften, von Bloggern und Twitterern vor Ort über das Geschehen in der indischen Metropole informiert zu werden.

Sprunghafte Verbreitung erreichen die auf 140 Zeichen beschränkten Meldungen aber längst nicht nur bei Unfällen und Anschlägen. Am 16. Mai 2009 etwa fanden gleich zwei Ereignisse aus Asien weltweite Aufmerksamkeit: Die Regierung von Sri Lanka erklärte die Tamilen-Rebellen nach 25 Jahren Bürgerkrieg für militärisch besiegt und in Indien wurde das Ergebnis der Parlamentswahl bekannt-gegeben. Die Tagesschau der ARD berichtete über die Geschehnisse in Sri Lanka und das Wahlergebnis in Indien erst im Anschluss an Beiträge über Demonstrationen in Berlin und in Prag, den FDP-Bundesparteitag und die Steuer diskussion zwischen CDU und SPD. Beim Microblog-ging war Indien an dem betreffenden Samstag hingegen das Top-Thema. Weltweit wurde das Twitter-„hashtag‟ (im Sinne von: Suchwort) „#indiavotes09‟ häufiger abgefragt als jeder anderer Begriff. Das ist beachtlich, wenn man sich vor Augen führt, dass Indien nach Angaben von Sysomos noch im letzten Quartal des vergangenen Jahres weniger Kurzmitteilungen in Umlauf gebracht hat als die Bürger der

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Ende vergangenen Jahres waren bereits 423 Millionen Asiaten mit dem Mobiltelefon ans Internet angeschlos-sen. Bis Ende 2015 werden es mehr als 1,4 Milliarden sein; eine Steige-rung um 233 Prozent. Allein auf China kommen dann 800 Millionen mobile Internetnutzer, 260 Millionen werden in Indien und mehr als 100 Millionen in Japan erwartet.

Niederlande im gleichen Zeitraum.14 Aktuellen Statistiken zufolge wird selbst auf der kleinen Insel Jersey im Ärmel-kanal intensiver „gezwitschert‟ als in China, Südkorea und vermutlich auch in Indien. Mithin müssen sich in der Cyberworld für den Ausgang der Wahl also auch Nicht-Inder brennend interessiert haben. Oder die vergleichsweise wenigen Twitter-Nutzer auf dem Subkontinent verbrachten den betreffenden Tag mit nichts anderem als dem Senden und Empfangen von Kurznachrichten. Fest steht jedenfalls, dass Twitter in Zeiten politischer Wahlen und Wahlkämpfe besonders intensiv genutzt wird.

Im Juli letzten Jahres schlug die Kurve auch bei der Abstim-mung in Indonesien deutlich nach oben aus. Besonders lebhaft waren die per Kurzmitteilung geführten Diskus-sionen jeweils nach politischen Debatten im Fernsehen (hashtag: „#debatcapres‟) und, was kaum verwundern dürfte, im Meinungsaustausch über die Präsidentschafts-kandidaten (hashtag: „#pilpres‟). Auch dieser Trend dürfte seine Dynamik absehbar beibehalten. Mitte April gab Twitter die Zahl seiner registrierten Nutzer mit 105 Millionen an. Täglich tragen sich 300.000 neue Nutzer ein. Kaum vier Jahre nach der Gründung des US-amerikanischen Unter-nehmens stammen bereits 60 Prozent der Nutzer aus dem Ausland. Und pro Tag verzeichnet der Dienst rund 600 Millionen Suchanfragen.

Das dritte Merkmal zur Bewertung der sozi-alen Netzwerke als Instrument zur Mobilisie-rung und zur Meinungsbildung gerade unter jüngeren Menschen hat mit Facebook, Twitter & Co. erst einmal gar nichts zu tun. Und doch dürfte es sich dabei um den wichtigsten Trend von allen handeln. Mary Meeker, bei Morgan Stanley zuständig für die Beobach-

tung der weltweiten Entwicklungen im Technologiebereich, präsentierte unter dem Stichwort „Konvergenz‟ auf einer Google-Veranstaltung im April dafür die Formel „3G + Social Networking + Video + VoIP + Impressive Mobile

14 | Vgl. http://blog.sysomos.com/2010/01/22/the-top-twitter- countries-and-cities-part-2/?utm_source=feedburner&utm_ medium=feed&utm_campaign=Feed:+SysomosBlog+%28 Sysomos+Blog%29 [22.04.2010].

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Was sind die größten Hindernisse auf diesem Weg? Für Länder wie Thailand ist es die Sprache. Das, was an den digitalen Stammtischen weltweit die Gemüter erhitzt, wird größtenteils in Englisch kommuniziert.

Devices‟15. Die von der US-Presse schon vor einem Jahr-zehnt zur „Königin des Netzes‟ gekürte Analystin meint damit das Zusammenwachsen von Internet und mobiler Telefonie. Für Asien könnte diese Entwicklung in der Tat eine technologische Revolution bedeuten. Ende vergan-genen Jahres waren bereits 423 Millionen Asiaten mit dem Mobiltelefon ans Internet angeschlossen. Bis Ende 2015 werden es mehr als 1,4 Milliarden sein; eine Steigerung um 233 Prozent. Allein auf China kommen dann 800 Millionen mobile Internetnutzer, 260 Millionen werden in Indien und mehr als 100 Millionen in Japan erwartet. Im Kaiserreich beträgt die Penetration des Marktes mit internetfähigen „3G‟-Mobiltelefonen schon jetzt 96 Prozent. Die weniger entwickelten Märkte in Asien ziehen jedoch rasch nach: Auf den Philip-pinen, in Indonesien und in Südkorea werden bis Ende 2015 insgesamt 120 Millionen Menschen regelmäßig mit ihrem „Smart-phone‟ surfen. Von den aktiven Twitterern verwenden schon jetzt 37 Prozent ihr Mobiltelefon für das Senden und Empfangen von Kurzmitteilungen. Spätestens 2015 wird der stationäre PC seine Rolle als Standardgerät für den Internetanschluss in Asien generell eingebüßt haben. Die Mehrzahl der Nutzer klickt stattdessen mit Blackberry, iPhone, Kindle & Co. durchs Internet, egal ob daheim, im Büro oder in der U-Bahn. Zeitungen wie die New York Times, die französische Le Monde und der briti-sche Guardian, daneben auch Nachrichtenagenturen wie die Associated Press (AP) vermarkten bereits nach Kräften so genannte „Apps‟ (für „Applications‟), mit denen die Medieninhalte der Traditionsunternehmen auf dem Smart-phone zugänglich sind. Seit April kann, wer ein iPhone besitzt, auch für das von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützte Asia News Network (ANN) ein „App‟ instal-lieren.

Der Trend zur mobilen Onlinenutzung vollzieht sich schon jetzt deutlich schneller als die Verbreitung des stationären Internets Mitte der neunziger Jahre. Weltweit werde sich der Datentransfer für das mobile Internet bis 2014 nahezu vervierzigfachen, schätzt Meeker. Fast 70 Prozent der

15 | http://gigaom.com/2010/04/12/mary-meeker-mobile- internet-will-soon-overtake-fixed-internet/ [22.04.2010].

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globalen Tetabytes entfielen dann auf mobile Videoinhalte.16 Für die Kommunikation mit den Kunden und als Werbeme-dium seien die handlichen Geräte deshalb schon bald die wichtigste Plattform, meint die auf den Mobilfunkbereich spezialisierte britische Agentur mobileSQUARED: „Marken und Unternehmen müssen sich mobil eine starke Präsenz sichern. Jetzt ist die Zeit für entsprechende Strategien.‟17 Genau das versucht inzwischen auch die Politik.

Was sind die größten Hindernisse auf diesem Weg? Für Länder wie Thailand ist es die Sprache. Das, was an den digitalen Stammtischen weltweit die Gemüter erhitzt, wird größtenteils in Englisch kommuniziert. Ausreichende Englischkenntnisse sind unter thailändischen Internet-nutzern aber eher die Ausnahme. Umgekehrt erklärt die Dominanz der Lingua Franca im Netz, warum das kleine Singapur nach Angaben für das letzte Quartal 2009 in Asien gleich hinter Indien und noch vor den Philippinen weltweit den elften Platz unter den eifrigsten Twitterländern belegt.18 Japan und China „zwitschern‟ zwar ebenfalls am liebsten in ihrer jeweiligen Landessprache; beide Länder haben analog zum US-amerikanischen Twitter-Service aber längst eigene Microblogging-Plattformen und soziale Netzwerke entwickelt. Japan dürfte in Asian vermutlich auch das erste Land sein, in dem politische „Tweet Ups‟ im Ringen um die Gunst der jungen Wähler zum Alltag gehören. Denn dort bewegen sich 75 Prozent aller Inter-netnutzer schon jetzt ausschließlich mit ihrem Smartphone durch die virtuellen sozialen Netzwerke.

Der Artikel wurde am 22. April 2010 abgeschlossen.

16 | Vgl. http://www.readwriteweb.com/start/2010/04/mary- meekers-internet-trends-the-future-is-mobile.php [22.04.2010]17 | http://www.mobilesquared.co.uk/?p=2166 [22.04.2010].18 | http://blog.sysomos.com/2010/01/22/the-top-twitter- countries-and-cities-part-2/?utm_source=feedburner&utm_ medium=feed&utm_campaign=Feed:+SysomosBlog+%28 Sysomos+Blog%29 [22.04.2010].

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Frank Windeck

Will man politische Kommunikation und neue Medien in Subsahara-Afrika analysieren, dann steht man gleich mehreren Schwierigkeiten gegenüber. Die schiere räum-liche Größe der Region und die damit einhergehenden politischen, religiösen, sprachlichen und kulturellen Unter-schiede machen es nahezu unmöglich, generelle Urteile zu fällen, denn aus den Unterschieden ergeben sich zwangs-läufig politische Herangehensweisen und Verhaltens-muster, die von Land zu Land völlig unterschiedlich sein können und dies oft auch sind. Während im einen Land als Lösung im Falle einer politischen Krise ein professio-nelles Kommunikationskonzept angestrebt wird, kann die Antwort im anderen Land die Mobilisierung der Armee sein. Hinzu kommt, dass wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema eher die Ausnahme sind, während das statistische Material oft veraltet und teilweise von zweifelhafter Über-prüfbarkeit ist. Daher muss der Versuch eines Überblicks einhergehen mit der Konzentration auf einige wenige Länderbeispiele, ohne dabei in Anspruch zu nehmen, die Situation in all ihren Facetten vollständig abzubilden. Dennoch lassen sich Trends erkennen und ähnliche Verhal-tensmuster im regionalen Kontext ausmachen.

POLITISCHE KOMMUNIKATION IN AFRIKA

In einem demokratischen Staat westlicher Prägung haben die Medien die Rolle der vierten Gewalt im Staate. Sie kont-rollieren die Mächtigen und berichten an die Bürger. Dies erfordert eine gewisse institutionelle Unabhängigkeit vom politischen System. In der Realität aber gibt es eine deut-liche Abhängigkeit zwischen Mediensystem und politischem

Frank Windeck ist Leiter des Medien- programms der Konrad-Adenauer-Stiftung für Sub-sahara-Afrika mit Sitz in Johannesburg.

POLITISCHE KOMMUNIKATIONIN SUBSAHARA-AFRIKA UNDDIE ROLLE DER NEUEN MEDIEN

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System. Diese liegt im systemimmanenten Tauschgeschäft beider Akteuren begründet, in dessen Verlauf Informa-tion aus dem politischen System gegen Aufmerksamkeit des Mediensystems getauscht wird und umgekehrt. Die Medien sind auf die Lieferung von Informationen seitens der Politik angewiesen, die Politik auf die Verbreitung ihrer Nachricht an das Wahlvolk seitens der Medien.1 Politische Kommunikation dient dabei nicht nur als Mittel der Politik, sie ist quasi treibende Kraft im Entscheidungsfindungs-prozess und damit „selbst auch Politik.‟2 Somit stellt sie einen permanenten Prozess dar, der die Politik ständig beeinflusst. Und dies nicht etwa nur in Wahlkampfzeiten, sondern generell zu jeder Zeit und überall.

Geht man weiterhin davon aus, dass das politische System eines Landes das ihm eigene Mediensystem beeinflusst, so bedeutet dies für die unterschiedlichen afrikanischen Politiksysteme auch unterschiedliche Mediensysteme mit verschiedenen Ausprägungen von Meinungs- und Pres-sefreiheit. Hinzu kommen die Abhängigkeiten oder Unab-hängigkeiten von Regierungen und andere Faktoren, die ein individuelles Mediensystem beeinflussen können. Mit den solcherart variierenden Politik- und Mediensystemen verändert sich auch die politische Kommunikation von Land zu Land. Sowohl in ihrer Intensität und Ausprägung wie auch in den von ihr verwendeten Mitteln. Dabei lassen sich vor allem die Akteure als Konstante festmachen. Diese unterscheiden sich zwar in der Wahl der Mittel und der Intensität ihres Auftritts innerhalb des jeweiligen Systems, ihre grundsätzliche Beteiligung aber ist flächendeckend gegeben.

DIE AKTEURE DER KOMMUNIKATION HABEN SICH VERÄNDERT

Als klassische Sender der politischen Kommunikation stehen in einem mit einem Kommunikationsdreieck vergleichbaren System die Parteien in einer Ecke (ange-führt von der oder den Regierungsparteien). In der afrikanischen Realität sind diese nach Jahrzehnten der Regierungsverantwortung vielfach identisch mit Staat

1 | Zu den diversen Modellen der politischen Kommunikation vgl. Otfried Jarren und Patrick Donges, Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft, 2. Aufl., 2006. 2 | Ebenda, S. 22.

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In einem demokratischen Staat west-licher Prägung haben die Medien die Rolle der vierten Gewalt im Staate. Sie kontrollieren die Mächtigen und berichten an die Bürger.

und Verwaltung, was sich auf die Kontrolle staatlicher Sender auswirkt. Einen zweiten Eckpunkt des Kommuni-kationsdreiecks bilden die Medien. Sie fungieren als Mittler zwischen den Parteien und ihrer Nachricht auf der einen sowie den Bürgern als Empfänger auf der anderen Seite. Neben dieser Mittlerfunktion kommunizieren sie auch selbst. Entweder durch aktive Kommunikation, beispiels-weise durch politische Kommentare oder Leitartikel oder durch gezielte Fragestellungen bei Interviews mit Parteien- und Regierungsvertretern, mit deren Hilfe sie die Kommunikation qualitativ steuern. Die Bürger selbst vervollständigen das Dreieck der politischen Kommunikation zunächst lediglich als passive Empfänger. Ihre Kommunikation verläuft lediglich auf der Mikroebene, wenn sie sich über Politik unterhalten und ihr Gegenüber von bestimmten Auffassungen in der Diskussion über-zeugen wollen. Durch unterschiedlich stark organisierte Interessengruppen der Zivilgesellschaft hat sich diese passive Rezipientensituation in den vergangenen Jahr-zehnten geändert und die organisierte Bürgerbeteiligung verstärkt. Mit der Einführung des Internets (im speziellen des Web 2.0) und der Mobiltelefone in Afrika Anfang des neuen Jahrtausends hat sich dieses Kommunikationsge-füge deutlich verändert. Die ursprünglichen Strukturen haben sich vom „Top-Down-Ansatz‟ hin zu einem poly-zentrischen Kommunikationssystem entwickelt. Festzu-halten bleibt somit, dass die politische Kommunikation der Bevölkerung heute mehr ist als der bloße Willensausdruck mithilfe von Umfrageergebnissen. Die Bürger haben sich durch die neuen Techniken zu gleichberechtigten Partnern in der Kommunikationsstruktur entwickelt.

TECHNISCHE ENTWICKLUNGEN HABEN DIE VERÄNDERUNGEN EINGELÄUTET

Die Hoffnungen, die mit dem Aufkommen des Internets verknüpft waren, traten jedoch nicht ein. Mutmaßungen, Afrikas politische Systeme würden sich aufgrund einer verstärkten Nutzung das Internets verändern und mehr Teilhabe am demokratischen Prozess und der Demo-kratie ermöglichen, waren verfrüht. Hohe Internetkosten verknüpft mit langsamen Verbindungen und geringen Computerkenntnissen ermöglichten nur einer kleinen

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Die Bürger haben sich durch die neuen Techniken zu gleichberechtigten Part-nern in der Kommunikationsstruktur entwickelt.

Elite das Surfen im Web und ließen das Internet zu einem Luxusgut verkommen, dessen Potenzial erst jetzt, knapp 15 Jahre später, langsam zur Entfaltung kommt. Lähmende Regulierungsvorschriften der einzelnen Länder werden schrittweise abgebaut, neue interkontinentale Hochleistungsverbindungen für die ganze Region gehen an den Start. Dadurch werden schon jetzt die Verbindungen in vielen Ländern Subsahara-Afrikas schneller. Die Preise sinken parallel dazu. In den kommenden Jahren sind in diesen Bereichen weitere Fortschritte zu erwarten. Damit können neue Nutzergruppen und deutlich verbesserte Anwendungen erschlossen werden. Derartige Startschwie-rigkeiten hatte das Mobiltelefon in Afrika nicht.

Damit eine Innovation von den Menschen adaptiert wird, müssen verschiedene Faktoren zutreffen. Dazu zählen ein hoher angenommener Vorteil durch die Nutzung des neuen Produkts, eine geringe Komplexität des Produkts

sowie eine hohe Kompatibilität.3 Diese Eigen-schaften brachte das Mobiltelefon gegenüber dem Internet mit. Fehlende Festnetzlei-tungen machten das Handy auf dem Land oft zum einzig verfügbaren Distanzkommu-

nikationsmittel. Die Bedienung war denkbar einfach und die vergleichsweise günstigen Geräte mussten lediglich an eine Stromquelle, wie zum Beispiel eine Autobatterie, angeschlossen werden. Gegenüber dem Internetanschluss brachte das den Mobiltelefonen in Afrika riesige Vorteile und macht den ungeheuren Erfolg erklärbar. Zusätzliche Anreize für die Adaption von Mobiltelefonen boten die Faktoren Beobachtbarkeit und Erprobbarkeit. Die ersten Mobiltelefone wurden von den Besitzern für den Betrieb öffentlicher Fernsprechbuden benutzt. Vielen Menschen in Afrika wurden so die Telefone zum ersten Mal vorge-führt, beziehungsweise sie konnten sie selbst zum ersten Mal ausprobieren. Nun ist einzuwenden, dass dies auch bei Internetcafes der Fall ist. Dabei darf hier nicht außer Acht gelassen werden, dass es für Menschen in Subsahara-Afrika deutlich einfacher war und ist, ein Mobiltelefon zu erwerben als einen schnellen Zugang zum Internet einzu-richten. Die Zahl der Mobiltelefone übertrifft in vielen Ländern der Region bereits die der Festnetzanschlüsse.

3 | Zur Diffusionstheorie vgl. Everett Rogers, Diffusions of innovations (New York: 2003).

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Die dritte Phase der Entwicklung neuer Medien in der Region mit der Einführung des Web 2.0 führt zur teilweisen Vereinigung dieser ersten beiden Wellen. Dienste wie Facebook, Twitter sowie eine aktive Bloggerszene haben das Internet interaktiv werden lassen und ermöglichen heute eine Form demokratischer Bürgerbeteiligung, wie sie bereits vor der Jahrtausendwende erhofft wurde. Die andere Seite dieser neuen Entwicklung ist die Verschmel-zung zwischen Webinhalten und Mobilfunkfunktionen zu den Hybridsystemen. So werden mittlerweile neben den klassischen Mobilfunkdiensten wie Anruf, SMS, Foto und Video auch neue Funktionen angeboten. Anbieter wie das südafrikanische MXit ermöglichen SMS-Dienste über das internetfähige Handy zu einem Bruchteil des normalen Preises und bieten gleichzeitig Web-Applikationen wie zum Beispiel Chat-Foren sowohl für den PC als auch für das Handy an.4 Damit werden Inhalte und Funktionen einer Nutzergruppe zugänglich, die nicht mehr als elitär zu bezeichnen ist und insofern für die demokratische Entwick-lung sowie die politische Kommunikation in den Ländern Subsahara-Afrikas immer wichtiger wird.5

Der große Vorteil der aktuellen Entwicklung liegt vor allem in der Interaktivität der Angebote. Die neuen Medien ermöglichen einen (zumindest theoretisch) direkten Austausch zwischen allen Teilnehmern im Dreieck politi-scher Kommunikation. Dies kann im Rahmen von Diskus-sionsplattformen klassischer Medien oder durch soziale Medien wie Facebook geschehen. Die erhoffte Kommu-nikation mit den Herrschenden ist nun technisch zwar möglich, in vielen Ländern Subsahara-Afrikas trotzdem aber ausgeblieben. Wie weit die Region noch von einem befriedigenden Grad an Demokratisierung der politischen Kommunikation entfernt ist, zeigen die umstrittenen keni-anischen Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2007.

4 | Vgl. dazu die Homepage des Anbieters: http://www.mxitlifestyle.com/ [05.04.2010].5 | In Südafrika hatten im Jahr 2008 etwa 3,5 Millionen Inter- netnutzer einen eigenen Anschluss, während knapp 45 Mio. Südafrikaner (90 Prozent der Gesamtbevölkerung) ein eigenes Mobiltelefon besaßen. In Kenia verfügten zum gleichen Zeitpunkt nur 407.000 Menschen über einen eigenen Internetanschluss. Knapp 3,5 Millionen Kenianer nutzten Internetcafes und ähnliche Einrichtungen für einen Zugang. Demgegenüber hatten über 16 Millionen Kenianer ein eigenes Mobiltelefon. Quelle: http://www.itu.int/ITU-D/ ICTEYE/Indicators/Indicators.aspx# [05.04.2010].

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FALLBEISPIEL 1: KENIAS WAHL IM DEZEMBER 2007

DIE PARTEIEN

Die Nutzung neuer Medien als Mittel zur politischen Kommu-nikation war bei den kenianischen Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2007 keine Neuheit für das ostafrikanische Land. Bereits vor den Wahlen 2002 gingen die großen Parteien sowie einzelne Politiker online. Der offensichtliche Vorteil der direkten Kommunikation mit dem Wähler wurde gerne angenommen, denn die kenianischen Medien waren und sind zu weiten Teilen parteiisch und entlang ethnischer oder politischer Grenzen aufgestellt. Viele Medien, vor allem Radiostationen, die in lokalen Sprachen senden, sind sogar im Besitz einzelner Politiker. Der Trend zu den neuen Medien setzte sich 2007 fort. Wieder nutzten alle Parteien die Chance zur Selbstdarstellung. Wer hier tiefere Erkennt-nisse erwartete, eine interaktive Auseinandersetzung über die Programmatik erhoffte oder gar den parteipolitischen Einsatz für Demokratie und Entwicklung im Lande suchte, wurde aber enttäuscht. Die Parteien in Kenia, ohnehin strukturschwach und daher im besonderen Maße von den jeweils führenden Persönlichkeiten abhängig, betrieben auf ihren Partei- und Kandidatenseiten einen ungehemmten Personenkult und setzten damit online ihr gegenwärtiges politisches Handeln fort. Besuchte man die offiziellen Webseiten der acht Spitzenkandidaten, wurde schnell klar, wie sich die Parteien in Kenia politische Kommunikation im Internet vorstellten. Zwar versuchte man, mit Onlinean-geboten eine junge Wählerschicht zu erreichen, wirklich kommunizieren wollten Parteien und Kandidaten jedoch nicht. Keine einzige dieser Seiten bot interaktive Funkti-onen. Nur die Hälfte verfügte über die Möglichkeit, Mails zu versenden; nur zwei Seiten legen ihre E-Mail Adressen offen aus. Fünf der Angebote verfügten über eine Kontakt-telefonnummer. Offenbar glaubten die Verantwortlichen selbst nicht an den Nutzen der Onlinekommunikation.6 Diese Nutzung des Internets als Parteiwahlmaschine ist

6 | Zur Nutzung der neuen Medien seitens der kenianischen Parteien vgl.: George Nyabuga und Okoth Fred Mudhai, „Misclick on Democrary: New Media Use by Key Political Parties in Kenya’s Disputed December 2007 Presidential Election‟, in: Okoth Fred Mudhai, u.a. (Hrsg.), African Media and the Digital Public Sphere (New York: 2009), S. 41 - 57.

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Der große Vorteil der aktuellen Ent-wicklung liegt vor allem in der Inter-aktivität der Angebote. Die neuen Medien ermöglichen einen (zumindest theoretisch) direkten Austausch zwi-schen allen Teilnehmern im Dreieck politischer Kommunikation.

allerdings kein rein kenianisches Phänomen, es findet sich in den meisten anderen Ländern der Region in ähnlicher Weise wieder.

Ein weiteres Merkmal dieser Parteiseiten ist das eingebaute Verfallsdatum. Keine der acht kenianischen Kandidatenseiten wurde länger als bis kurz nach dem eigentlichen Wahltag gepflegt und aktualisiert. Bis auf eine einzige Seite sind diese Angebote heute alle aus dem Netz verschwunden. Kurzfristiges politisches Kalkül wird in vielen Ländern Subsahara-Afrikas einem langfristigen Stamm wähleraufbau vorgezogen. Dies ist auch im digitalen Wahlkampf als Spiegelbild zur analogen Parteienrealität zu beobachten. Kurz vor Wahlen werden die Parteien sehr aktiv und beginnen mit kampagnenty-pischen Aktionen. Nach den Wahlen verfallen die Parteien sehr schnell wieder in ihre autokratischen Muster zurück, die sie bereits vor den Wahlen prägten. Kenias Wahlen von 2002 und 2007 sind hierfür beispielhaft.

DIE KLASSISCHEN MEDIEN

Wenn von klassischen Medien in Kenia die Rede ist, dann ist damit eine vielfältige und verzweigte Medienlandschaft gemeint. Neben dem staatlichen Rundfunk gibt es eine ganze Reihe privater Medienhäuser, die in den Bereichen Print, Hörfunk und Fernsehen engagiert sind, daneben Onlineausgaben dieser Medien betreiben und sogar inter-national erfolgreich arbeiten; ein Beispiel ist die Nation Media Group. Unglücklicherweise konnten die kenianischen Medien diese äußerst positiven Grundvoraussetzungen nicht nutzen, um ihre Unabhängigkeit auszubauen. Im Gegenteil: In den letzten Jahren haben sich die Medien des Landes immer mehr bestimmten politischen- oder ethni-schen Lagern zugewandt. Inzwischen sind die einzelnen Medienhäuser entweder bestimmten Parteien zuzuordnen oder im Besitz einzelner Politiker. Dies führt zur Selbst-zensur, parteiischer Berichterstattung und in letzter Konse-quenz sogar zum weitverbreiteten Glaubwürdigkeitsverlust bei den Bürgern, wie im Falle der staatlichen KBC (Kenyan Broadcasting Corporation), die als Sprachrohr der Regie-rung gilt. Die großen Medienhäuser erstellen ihre Produkte in den beiden Landessprachen Englisch oder Swahili.

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Diese Nutzung des Internets als Partei- wahlmaschine ist allerdings kein rein kenianisches Phänomen, es findet sich in den meisten anderen Ländern der Region in ähnlicher Weise wieder.

Daneben gibt es die bereits erwähnten Radiostationen, die in einem der etwa 100 lokalen Dialekte senden, sowie lokale Medien auf kommunaler Ebene. Trotz der beschrie-benen Probleme haben die Medien im Auftakt zur Wahl den Umständen entsprechend ausgewogen berichtet und sich darum bemüht, die Bürger umfassend zu informieren.

DIE NEUEN MEDIEN ALS STIMME DER BÜRGER

Es gibt, wie oben bereits beschrieben, erhebliche Hürden für die Nutzung des Internets in Afrika. Neben der Technik muss der Nutzer über die nötigen Finanzmittel verfügen und sich einen Internetanschluss leisten können. In Kenia konnten dies im Juni 2009 immerhin 3,3 Millionen Nutzer, was etwa 8,6 Prozent der Bevölkerung entspricht. Damit

rangiert Kenia auf Platz sieben der Internet-nutzung in Afrika.7 Überraschend ist dabei aber vor allem die große Zahl der Blogger. Diese stammen offenbar aus der großen und weiter wachsenden kenianischen Mittel-klasse, die sich einerseits die teure Technik

mitsamt Internetanschluss leisten kann und andererseits über eine überdurchschnittliche Ausbildung verfügt. Die verschiedenen Blogs sind teilweise sehr detailliert und zeigen, dass die neuen Techniken mehr Demokratie, Transparenz und Bürgerbeteiligung möglich machen. Ein Beispiel dafür ist der Blog „Mzalendo‟, dessen Ziel in der stärkeren Kontrolle des Parlaments liegt. Auslöser war eine Diätenerhöhung für Parlamentsmitglieder im Jahr 2003. Zwei Bürger wollten die Hintergründe zu dieser Erhöhung und mehr über die Arbeitsweise kenianischer Parlamenta-rier erfahren. Sie begannen mit dem Projekt im Jahr 2006. Seitdem wächst das Angebot der Seite kontinuierlich und umfasst inzwischen auch die Bereiche parlamentarischer Ausschussarbeit und parlamentarischer Gesetzesinitiati-ven.8

Noch einen weit größeren Effekt haben die Mobiltelefone im kenianischen Markt. Mit 11,7 Millionen Nutzern hatten im Jahr 2008 über 30 Prozent der Bevölkerung ein Handy;9

7 | Vgl. http://www.internetworldstats.com/stats1.htm#africa [10.03.2010].8 | Vgl. http://www.mzalendo.com/about/ [10.03.2010].9 | Vgl. http://www.freedomhouse.org/template.cfm? page=384&key=209&parent=19&report=79 [10.03.2010].

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Es gibt erhebliche Hürden für die Nutzung des Internets in Afrika. Neben der Technik muss der Nutzer über die nötigen Finanzmittel verfügen und sich einen Internetanschluss leisten können.

Tendenz stark steigend. SMS-Kampagnen sind daher an der Tagesordnung und werden von allen Akteuren der politischen Kommunikation intensiv genutzt, vor allem in Wahlkampfzeiten. Doch diese zunächst erfreuliche Nach-richt hat auch ihre Schattenseiten, wie die Nutzung der neuen Medien im kenianischen Wahlkampf und nach der Bekanntgabe der Ergebnisse zeigte.

DAS WAHLERGEBNIS UND DIE REAKTIONEN DER AKTEURE POLITISCHER KOMMUNIKATION

Als die Wahlkommission am 30. Dezember 2007, drei Tage nach dem Urnengang, das offizielle Ergebnis vorlegte, brachen im ganzen Land Unruhen aus, die über 1.000 Menschen das Leben kosteten und fast 700.000 Vertrie-bene zur Folge hatten. Die äußerst komplexe Situation war geprägt von extrem schnellen Entwicklungen und der Überforderung eines Großteils der Akteure. Die Regierung reagierte noch am gleichen Tag mit dem Verbot jeglicher Live-Berichterstattung in Radio und Fernsehen. Dies wurde bis zum Abend von den meisten Stationen umgesetzt. Das Land fiel unter eine Art medialen Blackout. Die großen Medienhäuser folgten nicht nur diesem Verbot, sie gingen sogar noch einen Schritt weiter. Aus Angst vor einem zweiten Ruanda beschränkten sich die großen Medienhäuser zu weiten Teilen auf wiederholte Aufrufe zu Frieden und Gewaltlosig-keit, teilweise sogar in konzertierten Aktionen. In den medi-alen Führungsebenen ging das Gespenst des ruandischen Senders Radiotélévision libre des milles collines (RTLM) um. Dessen Programme hatten im Jahr 1994 systematisch zum Mord an den politischen und ethnischen Gegnern im Lande aufgerufen und damit den Völkermord an den Tutsi angeheizt. Für ihre wiederholt verbreiteten Aufforderungen zur nationalen Einheit wurden die Journalisten zwar einer-seits gelobt, andererseits vernachlässigten die Medien ihre Aufgabe als vierte Gewalt. Aufklärende Berichterstattung über die Unruhen wurden kaum gesendet. Die Urheber der Gewalt blieben im Dunkeln. Für diesen Absturz in die

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Noch einen weit größeren Effekt haben die Mobiltelefone im kenia-nischen Markt. Mit 11,7 Millionen Nutzern hatten im Jahr 2008 über 30 Prozent der Bevölkerung ein Handy; Tendenz stark steigend.

Selbstzensur wurden die kenianischen Journalisten im Anschluss deutlich kritisiert.10

Ein anderes Bild vermittelten die kleinen, in lokalen Spra-chen berichtenden Radiosender. Einige dieser Sender gerieten unter den Verdacht, den Hass zwischen den Ethnien anzuschüren. Die beliebten Talkshows gaben den Bürgern die Möglichkeit, live ihre Meinung zu sagen. Viele Anrufer nutzten dies, um über die ungeliebten Nachbarn

anderer Stämme herzuziehen oder die Zuhörer aktiv zu Gewalttaten aufzufordern. Die zuständigen Manager versicherten später zwar, sie hätten dies schnell abge-stellt, die betreffenden Moderatoren zur Ordnung gerufen oder ganze Programme

vom Sender genommen, die Realität sah in einigen Fällen jedoch anders aus. In dieser Situation der eskalierenden physischen und verbalen Gewalt, mit einem Parteienspek-trum, das sich entlang der ethnischen Grenzen formierte und die Frage nach dem Wahlsieger thematisierte, und einem Mediensystem, das zwischen Verbot und Selbst-zensur festsaß, entwickelten neue Medien eine bisher ungekannte Strahlkraft. Zu diesem Zeitpunkt verfügten nur etwa fünf Prozent der Kenianer über einen eigenen Internetzugang. Die Nutzung des Internets schoss jedoch massiv in die Höhe, als das Live-Verbot der Regierung ausgesprochen wurde. Darin spiegelt sich das enorme Bedürfnis der Bevölkerung nach aktuellen und unabhän-gigen Information. Kenias Bloggerszene übernahm in kürzester Zeit die Rolle des Berichterstatters und tat dies mit teilweise ungewöhnlichen Methoden. So benutzten die Blogger Informationen, die ihnen von Bürgern aus dem ganzen Land via SMS zugeschickt wurden, und reicherten damit die Inhalte ihrer Seiten an. Alleine die Seite Usha-hidi (Swahili für „Zeugnis‟), als Reaktion auf die fehlende mediale Berichterstattung am 9. Januar 2008 eingerichtet, brachte es in wenigen Tagen auf knapp 45.000 Nutzer. Hier wurden die Gewaltausbrüche, aber auch Versuche, Gewalt einzudämmen, per Internet und Mobiltelefon gemeldet. Die Macher der Seite setzten die gesammelten Informati-

10 | Vgl. dazu den Länderbericht von Reporter ohne Grenzen: How far to go? Kenya’s media caught in the turmoil of a failed election, http://www.rog.at/berichte/landerberichte. html [12.03.2010].

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Die neuen Medien in Kenia wurden jedoch ebenfalls genutzt, um zur Gewalt gegen andere ethnische Grup-pen aufzurufen. Dieser Trend startete bereits einige Zeit vor dem Wahl- termin.

onen in eine interaktive Karte um.11 Mithilfe von Ushahidi wurden so nicht nur die Einzelfälle zentral dokumentiert, der Gewalt wurde auch ein Gesicht gegeben, denn die ansonsten rein zahlenmäßige Berichterstattung wurde nun mit Fotos, Videos und Texten angereichert. Damit wurde es einfacher, der internationalen Gemeinschaft zu verdeut-lichen, was wirklich im Land geschah. Das Projekt war so erfolgreich, dass das Konzept sowie die von den Machern selbst entwickelte Open Source Software seitdem mehr-fach weltweit zum Einsatz kam; unter anderem im Verlauf ausländerfeindlicher Attacken in Südafrika im Jahr 2008 sowie nach der Erdbebenkatastrophe auf Haiti im Januar 2010.

Die neuen Medien in Kenia wurden jedoch ebenfalls genutzt, um zur Gewalt gegen andere ethnische Gruppen aufzurufen. Dieser Trend startete bereits einige Zeit vor dem Wahltermin. Die Kenya National Commission for Human Rights veröffentliche bereits im Dezember 2007 einen Bericht, in dem die Kommission ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck brachte. Während der heißen Phase des Wahlkampfes erhöhte sich die Zahl der Massen-SMS mit politischen Inhalten, bis sie zum Zeitpunkt der Gewaltausbrüche nahezu im Minutentakt auf den Telefonen der Keni-aner eingingen. Hierbei wurden die Texte immer aggressiver und gewalttätiger.12 In dieser Situation wollte die Regierung auch den SMS-Dienst des Marktführers Safaricom abschalten lassen. Safaricom konnte die Regierung jedoch umstimmen und verschickte stattdessen Aufrufe zur Gewaltlosigkeit an seine neun Millionen Kunden. Auch die Bloggsphäre wurde von Propaganda und Hassreden nicht verschont. So musste die populäre Seite Mashada.com ihr Forum abschalten, weil die Macher von der Fülle an ethnisch fragwürdigen Kommentaren schlicht überfordert waren.13 Das kenianische Beispiel zeigt deutlich, dass Bürgerjour-nalismus und neue Medien ein wichtiges Tool sein können, um Demokratie und Transparenz in Entwicklungsländern zu unterstützen. Besonders dann, wenn die Medien zwischen

11 | Vgl.: http://www.ushahidi.com/ [12.03.2010].12 | Vgl. BBC World Service Trust, „The Kenyan 2007 elections and their aftermath: the role of the media and communication‟ (April 2008).13 | Vgl. Ebenda, S. 11.

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fehlender Pressefreiheit einerseits und vorauseilender Selbstzensur andererseits zerrieben werden und die Partei-politik in Grabenkämpfen gebunden ist. Gleichzeitig führt das Beispiel der Präsidentschaftswahlen 2007 aber auch die Grenzen des Bürgerjournalismus und der neuen Medien vor Augen. Unkontrollierte Verbreitung von Meinungen in Diskussionsforen sowie politische Propaganda mittels Massen-SMS eröffnen jenen Kräften neue Möglichkeiten, die nicht der Demokratie, sondern nur ihren eigenen Inte-ressen verpflichtet sind. Das inhaltliche Filtern von SMS ist ein Drahtseilakt, der sich auch negativ auf eine Gesellschaft auswirken kann, da Fragen der Meinungsfreiheit ebenso betroffen sein können wie andere grundlegende Gesetze. Dennoch müssen solche Maßnahmen sorgfältig überprüft und eventuell eingesetzt werden, um die Radikalisierung einer Gesellschaft und eine damit verbundene Eskalation zu vermeiden. Dies kann natürlich nur auf der Grundlage einer sorgfältigen gesetzlichen Überprüfung geschehen, die Fragen wie zum Beispiel die damit einhergehende Beschneidung der Meinungsfreiheit berücksichtigt.

FALLBEISPIEL 2: DIE SIMBABWISCHEN WAHLEN VON 2008

Gibt es für die kenianischen Medien bereits gewisse Einschränkungen, so zeigt sich die Situation für Journa-listen in Simbabwe weit schwieriger.14 Seit dem für die regierende ZANU-PF verloren gegangenen Verfassungsre-ferendum vom Februar 2000, der ersten Wahlniederlage für Robert Mugabe überhaupt, hat die Regierung alles getan, um derartige Ereignisse in Zukunft zu verhindern. Zahlreiche Menschen- und Bürgerrechte wurden in den folgenden Jahren durch neue Gesetze eingeschränkt, darunter auch die Presse- und Meinungsfreiheit sowie das Recht der Bürger auf ungehinderten Zugang zu Informa-tionen.

KLASSISCHE MASSENMEDIEN

Die Folgen für die simbabwische Medienlandschaft sowie die politische Kommunikation waren und sind erheblich.

14 | Im Jahr 2008 stand Kenia auf Platz 97 der Rangliste der Pressefreiheit, während Simbabwe auf Platz 151 lag – bei insgesamt nur 173 Plätzen weltweit. Vgl.: http://www.reporter-ohne-grenzen.de [02.04.2010].

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Ähnlich wie in Kenia, so nutzten auch die Parteien in Simbabwe die neuen Medien, um mit ihren Wählern zu kom-munizieren. Internetseiten, Blogs, Soziale Netzwerke und Mobiltelefone kamen während des Wahlkampfes auf beiden Seiten zum Einsatz.

Eine ganze Reihe restriktiver Mediengesetze, die Verfol-gung von Journalisten, die Schließung mehrerer kritischer Zeitungen sowie der Umbau der Zimbabwe Broadcasting Holding (ZBH) in einen klassischen Staatssender mit abso-luter nationaler Monopolstellung, sowohl im Radio- wie auch im TV-Bereich, führten nicht nur in eine sehr einsei-tige Medienlandschaft, sondern auch zu einer einseitigen Kommunikationsstruktur. Das zu Anfang beschriebene Kommunikationsdreieck besteht zwar auch in Simbabwe weiter, allerdings unter stark veränderten Bedingungen. Zwar gibt es im Land noch zwei unabhängige Zeitungen, deren Spielraum ist jedoch sehr eingeengt. Die normalerweise von freien Medien einge-nommene Kommunikation ist daher extrem schwach ausgeprägt. Stattdessen sind die klassischen Massenmedien fest in Regierungshand und verschieben das Kommunikationsgefüge zugunsten einer Verlautba-rungskommunikation. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass zum Beispiel Zimbabwe TV (ZTV), Simbabwes einzige Fernsehstation, 80 Prozent seiner Wahlkampfbei-träge vor dem Urnengang im März 2008 den Aktivitäten der Regierungspartei widmete, während die beiden Radio-stationen der ZBH sogar zu 84 Prozent ihrer Berichter-stattung auf die Regierungspartei konzentrierte.15 Dieses Vorgehen ist für Simbabwe nichts ungewöhnliches, war jedoch besonders während der zurückliegenden Wahl-kampfzeiten auffällig. Im Vorlauf zur Stichwahl vom 27. Juni 2008 wurden alle Berichte über die Opposition aus den staatlichen Medien verbannt. Die staatlichen Medien unterminierten nicht nur diese journalistischen Standards, sondern verbreiteten auch Unwahrheiten und Hasstiraden gegen den politischen Gegner. Dabei wurden bewusst Gesetzesübertretungen in Kauf genommen, ohne jemals zur Verantwortung gezogen zu werden. Es verwundert in diesem Zusammenhang wenig, dass die politische Kommunikation der klassischen simbabwischen Medien entlang der politischen Lager verläuft. Die Journalisten beider Seiten stehen sich unversöhnlich, ja geradezu feindlich gegenüber, was sich auch in einer ungewöhnlich aggressiven Sprache äußert. Unabhängiger Journalismus

15 | Vgl. hierzu das umfangreiche Analysematerial in: Media Monitoring Project Zimbabwe: The Propaganda War on Electoral Democracy, A Report on the Media’s Coverage of Zimbabwe’s 2008 Elections (Harare: 2009).

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Die Opposition, allen voran das Move-ment for Democratic Change (MDC), nutzte die neuen Medien um die Par-teilichkeit der staatlichen Medien zu umgehen.

ist nur selten möglich, politische Kritik nicht vorgesehen. Dementsprechend haben die unabhängigen Medien kaum Einfluss auf die politische Kommunikation. Aber auch die Staatsmedien haben aufgrund ihrer offensichtlichen Partei-lichkeit in der Bevölkerung viel Vertrauen eingebüßt. Die unabhängige Berichterstattung erfolgt derweil über andere Kanäle, wie durch das aus dem Ausland auf Kurzwelle sendende South West Radio16.

DIE PARTEIEN

Ähnlich wie in Kenia, so nutzten auch die Parteien in Simbabwe die neuen Medien, um mit ihren Wählern zu kommunizieren. Internetseiten, Blogs, Soziale Netzwerke und Mobiltelefone kamen während des Wahlkampfes auf beiden Seiten zum Einsatz.

Die regierende ZANU-PF stützte sich dabei vor allem auf die Seite Newsnet, die als Teil der ZBH die Informationspolitik der Regierung im Internet fortsetzte. Newsnet behandelt den Bürger dabei als passive Zielgruppe. Interaktivität und

Dialog sind nur Nebensache. Patriotischen Propagandageschichten während des Befrei-ungskampfes kommt eine Hauptrolle zu. Hiermit soll gezeigt werden, wer die Gefolg-schaft des Volkes verdient. Die Opposition wird hierbei als konterrevolutionär und Feind

des Staates bezeichnet. Die Regierung operiert beständig mit diesen Begriffen, versucht aber besonders in Wahl-kampfzeiten, die Trennung zwischen „uns‟ (den Guten – der Regierungspartei) und „ihnen‟ (den Bösen – allen Kritikern der Regierung), zu instrumentalisieren. Diese ideologische Aufteilung dient anschließend als Argumentationshilfe, um gegen Kritiker vorgehen zu können. Die Opposition, allen voran das Movement for Democratic Change (MDC), nutzte die neuen Medien um die Parteilichkeit der staatlichen Medien zu umgehen. Bereits in den Wahlgängen 2000 und 2002 nutzte das MDC die Möglichkeiten des Internets und der E-Mail, um mit den Wählern zu kommunizieren. Dass diese Form der Kommunikation für die Partei lebenswichtig ist, lässt sich an der offiziellen Parteiseite sowie der Home-page ihres Präsidenten Morgan Tsvangirai ablesen. Beide Seiten sind professionell gestaltet und werden permanent

16 | Vgl. http://www.swradioafrica.com/index.php [02.04.2010].

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betreut, was im Parteienkontext Subsahara Afrikas eine Seltenheit darstellt. Am Wahltag selbst ging die Opposition neue Wege bei der Nutzung digitaler Medien, was sich als entscheidender Faktor bei der Bewertung des Wahlaus-gangs auszahlen sollte.

DIE NUTZUNG NEUER MEDIEN AUS DEM IN- UND AUSLAND

Bereits 1994 wurden die ersten technischen Anlagen zur Nutzung eines E-Mail-Dienstes in Simbabwe etabliert, das Internet folgte drei Jahre später. Im Land sind heute eine ganze Reihe nationaler- und internationaler Internetan-bieter aktiv. Aufgrund eines weitgehend fehlenden unab-hängigen Journalismus ist die Nutzung neuer Medien weit verbreitet. Dies geschieht einerseits durch private Blogger und Organisationen der Zivilgesellschaft im Lande selbst, die trotz der ständigen Bedrohung durch den Intercep-tion of Communications Act (ACT) ihre Meinungen online vertreten. Ein Beispiel hierfür ist die Webseite Kubatana.net, die eine Plattform für Menschenrechtsfragen und andere Themen der Zivilgesellschaft bietet und diese Themen durch Links zu hunderten anderer Zivilgesell-schaftsseiten anreichert, wodurch ein Teilverzeichnis der simbabwischen Zivilgesellschaft abgebildet wird.17 Ande-rerseits werden viele private und politische Blogs durch die Millionen im Ausland lebender simbabwischer Bürger betrieben.18 Es gibt auch professionelle mediale Angebote. Bekanntestes Beispiel hierfür ist newzimbabwe.com, eine Online-Ausgabe der gleichnamigen, in England herausge-gebenen Wochenzeitung.19 Die Seite hat sich einen guten Ruf durch ihre ausgewogene Berichterstattung erarbeitet und lässt auch simbabwische Regierungsoffizielle im Rahmen von Diskussionen zu Wort kommen. Während des Wahlkampfes kamen darüber hinaus eine Vielzahl unter-schiedlicher digitalen Medien, teilweise mit erheblichem kreativen Potenzial, zum Einsatz. Die Seite Sokwanele beispielsweise, übersetzt „Genug ist genug‟, sammelte Daten über Wahlunregelmäßigkeiten und verknüpfte diese zu einer interaktiven Karte, vergleichbar mit Ushahidi in

17 | Vgl. http://www.kubatana.net/index.htm [02.04.2010].18 | Unter der URL http://www.zimbablog.com/ werden viele dieser Angebote zusammengefasst oder verlinkt [02.04.2010].19 | Vgl. http://www.newzimbabwe.com/ [02.04.2010].

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Vor allem aber spielte das Mobiltele-fon eine entscheidende Rolle. Es fing mit der Versendung von Massen-SMS seitens der Parteien an, reichte über das Versenden von Fotos und Klingel-tönen bis hin zu politischen Witzen, die sich rasant über das Land verbrei-teten und ein wichtiges politisches Ausdrucksmittel darstellten.

Kenia20. Filme auf YouTube, Fotos über Gewalttaten auf Flickr, verschiedene Gruppen auf Facebook und Myspace sowie politische E-Cards und Twitter-Nachrichten rundeten die Vielfalt ab. Vor allem aber spielte das Mobiltelefon eine entscheidende Rolle. Es fing mit der Versendung von Massen-SMS seitens der Parteien an, reichte über das Versenden von Fotos und Klingeltönen bis hin zu politi-

schen Witzen, die sich rasant über das Land verbreiteten und ein wichtiges politisches Ausdrucksmittel darstellten. Der für die Bewertung des Wahlergebnisses entschei-dende Schritt aber wurde mit einer Seite unter dem Titel ZimElectionResults.com vollbracht. Dabei wurde eine Regelung des simbabwischen Wahlrechts genutzt, nachdem die Stimmen in den einzelnen Wahllokalen

unter Anwesenheit der Kandidaten ausgezählt werden und unmittelbar anschließend als Aushang öffentlich gemacht werden müssen. Diese Listen wurden von Mitarbeitern diverser Nichtregierungsorganisationen sowie Anhängern der Opposition mithilfe von Mobiltelefonen fotografiert und die Bilder per Handy an eine zentrale Auswertungs-stelle geschickt. Somit lag der Opposition bereits ein zwar inoffizielles, aber dennoch aussagekräftiges Resultat vor, lange bevor die simbabwische Wahlkommission selbst ein Ergebnis vorlegen konnte. Wahlfälschung und Manipula-tion werden so zwar nicht unmöglich gemacht, zumindest aber massiv erschwert. Wie gut dies funktionieren kann, zeigen die letzten Wahlen in Ghana und Sierra Leone, in denen ebenfalls flächendeckend Mobiltelefone genutzt wurden, um die Ergebnisse auszuwerten. Als es schließlich zur Stichwahl zwischen Amtsinhaber Mugabe und seinem Herausforderer Tsvangirai kam, änderte die Regierung diese Regeln. Die Veröffentlichung von „vorläufigen‟ Wahl-ergebnissen war fortan verboten. Eine Kontrolle per Mobil-funkkommunikation fortan nicht mehr möglich. Die neuen Medien brachten jedoch auch hier mehr Transparenz bei der Stimmauszählung und trugen somit letztlich entschei-dend zur Bildung der zurzeit bestehenden simbabwischen Einheitsregierung bei.

20 | Vgl. http://www.sokwanele.com/ [02.04.2010]. Im Gegen- satz zu Ushahidi wurden hier jedoch nur die offiziellen Medien als Quellen herangezogen, was weiße Flecken auf der Karte hinterließ, da viele Medien keine Erlaubnis hatten, aus Oppo- sitionshochburgen zu berichten.

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Südafrika unterscheidet sich in mehr- facher Hinsicht von den bisher genann- ten Beispielen. Es verfügt über eine ausgeprägt demokratische Parteien- landschaft und hat mit der vierten freien Präsidentschaftswahl in Folge im Jahr 2009 bereits eine demokra- tische Tradition aufgebaut.

Natürlich hat aber die Wahlbeobachtung per SMS auch ihre Schwächen. Aus dem Beispiel Sierra Leone wird deut-lich, dass durch das Abschalten des Mobilfunksystems die gesamte Wahlüberwachung zum Erliegen kommen kann. Darüber hinaus beinhalten solche Systeme auch Fehlerquoten durch menschliches Versagen oder gezielte Falschinformationen seitens einzelner Individuen oder im schlimmsten Falle sogar ganzer Gruppen von Helfern. Trotz dieser augenscheinlichen Anfälligkeiten, beinhalten diese neue Systeme große Fortschritte bei der Bewertung von Wahlergebnissen und verfügen über einen hohen Berech-tigungsgrad.

FALLBEISPIEL 3: SÜDAFRIKAS PRÄSIDENTSCHAFTS-WAHLEN VON 2009

Südafrika unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von den bisher genannten Beispielen. Es verfügt über eine ausgeprägt demokra-tische Parteienlandschaft und hat mit der vierten freien Präsidentschaftswahl in Folge im Jahr 2009 bereits eine demokratische Tradition aufgebaut. Die Medienlandschaft des Landes ist diversifiziert, Meinungs- und Pressefreiheit sowie ungehinderter Zugang zu Informationen sind in der Verfassung verankert und werden weitgehend ungehindert praktiziert. Aus europäischer Sicht und ausgehend von einem Idealzustand gibt es zwar immer noch eine Reihe von Kritikpunkten, wie zum Beispiel den starken Einfluss des herrschenden ANC (African National Congress) auf die öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender der SABC (South African Broadcasting Corporation). Verglichen mit den anderen Ländern der Region steht Südafrika jedoch sehr gut da. Es gibt keine ernsthaften Einschränkungen der Pressefreiheit. Die Regierung würde beispielsweise niemals auf die Idee kommen, die Live-Berichterstat-tung zu verbieten. Im Gegenteil bemüht man sich nach Kräften, den Informationsfluss auch an Bürger in schwer erreichbaren ländlichen Gebieten zu etablieren. Es gibt keine Beschränkung der Zivilgesellschaft und des öffent-lichen Diskurses. Bürger müssen für die Äußerung ihrer Meinung keine Verfolgung befürchten. Das größte Problem Südafrikas ist das massive ökonomische Ungleichgewicht zwischen einer kleinen Elite und einer großen, sehr armen

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Unterschicht. Folglich konnten sich im Jahr 2009 nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung einen der teuren perma-nenten Internetzugänge leisten.21 Andererseits verfügten zur gleichen Zeit über 90 Prozent der Südafrikaner über ein Handy.22 Mit der starken Verbreitung der Mobiltelefone geht ein verschärfter Wettbewerb unter den Anbietern einher, sodass die Verbindungspreise in den letzten Jahren weiter gesunken sind. Zudem sind viele der Endgeräte bereits internetfähig.

DIE PARTEIEN

Die Parteien Südafrikas verwenden die neuen Medien als ein weiteres Element zur Ergänzung ihrer politischen Kommunikationsportfolios. Alle großen Parteien erhofften sich 2009 eine zusätzliche Wählermobilisierung und letzt-lich Stimmzugewinne durch den Einsatz neuer Telekommu-nikationsmethoden. Grundsätzlich war die Zielgruppenan-sprache für den ANC und die IFP (Inkhata Freedom Party) deutlich schwieriger als für die in 2008 neugegründete COPE (Congress of the People) oder die DA (Democratic Alliance). Letztere fokussieren beide auf die sich langsam ausprägende Mittelschicht im Land. Der ANC hat seine Stammwählerschaft bei der schwarzen Mehrheit, die zum überwiegenden Teil in bitterer Armut lebt und vielfach nur eine geringe Bildungsquote aufweist. Zudem verfügen viele schwarze Südafrikaner weiterhin nicht über die nötigen Finanzmittel, um sich einen eigenen Internetanschluss oder auch mobile Webzugänge leisten zu können. Die IFP spricht eine ähnliche Zielgruppe wie der ANC an, konzen-triert sich dabei aber schwerpunktmäßig auf KwaZulu-Natal. Parallel zu ihren Bedürfnissen lassen sich bei den Parteien unterschiedliche Strategien erkennen. Während alle vier Parteien über eine Website verfügen, sind die „Mittelklasseparteien‟ COPE und DA, deren Anhänger sich Internet und teure Bandbreiten leisten können, in sozialen Netzwerken wie Facebook, Youtube und Twitter besser vertreten, haben ihre Internetseiten interaktiver aufgestellt und relativ gesehen eine größere Zahl von „Followern‟ als der ANC. In diesem Bereich fällt die IFP komplett ab, bei Facebook brachte es die Partei gerade

21 | Vgl. http://www.itu.int/ITU-D/ICTEYE/Indicators/ Indicators.aspx [03.04.2010].22 | Vgl. ebenda.

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Die Parteien Südafrikas verwenden die neuen Medien als ein weiteres Element zur Ergänzung ihrer politi-schen Kommunikationsportfolios.

einmal auf 173 Anhänger. Auch in anderen Bereichen bleibt die IFP hinter den Möglichkeiten zurück. Ihre Homepage birgt kaum Interaktivität, eine Beteiligung von freiwilligen Helfen ist nicht erst vorgesehen.

Obwohl das ANC-Klientel, ähnlich wie das der IFP, tendenziell nicht über Breitbandinternet verfügt, engagierte sich die Partei stark im Netz. Dies lag zum einen an den immensen finanziellen Möglichkeiten der Regierungs-partei, andererseits daran, dass der ANC hierdurch Wähler anzusprechen versuchte, die traditionell eher nicht seiner Klientel angehören. Allein im Mai 2009 erreichte er 50.000 Webseitenzugriffe. Um seine Wahlkampagne breiter aufzustellen, wurde mit myanc.mobi eine Seite gestartet, welche die Nutzer von Mobiltelefonen verstärkt in die Kampagne einbezog und interaktive Elemente anbot. SMS-Nachrichten konnten so in großem Stil zum Einsatz gebracht werden. Wenn auch der Einsatz von Mobiltele-fonen nie zentraler Bestandteil der Kommunikationsstra-tegie der DA war, so muss die digitale Kampagne der Partei insgesamt dennoch sehr innovativ angesehen werden. Von Bloggern moderierte Foren, Seiten, die zur Meldung von Korruption aufforderten, sowie genaue Zielgruppen-ansprachen nach unterschiedlichen Kriterien rundeten das Parteiangebot ab. Um die große Zahl junger Erstwähler, die rund elf Prozent der Gesamtwählerzahl ausmachten, zu überzeugen, versuchten vor allem die Jugendorganisa-tionen der jeweiligen Parteien, neue Medien zu nutzen.

DIE JUGENDORGANISATIONEN UND DIE HYBRIDSYSTEME

Junge Südafrikaner nutzen ihre Mobiltelefone im Rahmen der klassischen Mobiltechnologien. Nur ein geringerer Teil ist aufgrund der hohen Kosten mit dem Handy online. Der weitaus größte Teil der Nutzer verwendet Hybridsysteme, um mit Freunden, Kollegen oder auch Fremden zu kommu-nizieren. Diese Hybridsysteme funktionieren auf Basis des Internets, benötigen also ein internetfähiges Telefon, arbeiten dann aber mit den normalen Textnachrichten, wobei zuvor eine kostenlose Software auf das Handy geladen werden muss. Dabei zahlt der Nutzer sehr geringe Gebühren für die Internetnutzung, da kaum Bandbreite

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Junge Südafrikaner nutzen ihre Mobil-telefone im Rahmen der klassischen Mobiltechnologien. Nur ein geringerer Teil ist aufgrund der hohen Kosten mit dem Handy online.

benötigt wird. SMS-Nachrichten sowie weitere Funktionen wie der Besuch von Chat-Räumen sind dagegen kostenfrei. Nutzer können dabei auch selbst Inhalte hochladen. Ein Anbieter solcher Dienste ist das südafrikanische MXit.23 Aufgrund der extrem hohen Nutzerdichte wäre MXit der perfekte Partner für die Parteien im Kampf um junge Wähler, verweigerte jedoch eine organisierte Zusammenar-beit mit Hinweis auf seine Redaktionsstatuten, die religiöse oder politische Inhalte verbieten. Sicherlich haben auf MXit dennoch Diskussionen rund um die Wahl stattgefunden, sie wurden jedoch weder organisiert, noch ließ die Firma das Hochladen politischer Inhalte zu. Auf der Suche nach Alternativen fanden die Parteien mit Mig33 einen ähnlichen Anbieter, der jedoch weniger Kunden in Südafrika aufwies und aus den USA heraus operierte.

Sowohl ANC, COPE und DA als auch zwei kleinere Parteien bauten so genannte Mig33-Gruppen auf, wobei die ANCYL

(ANC Youth League) die erfolgreichste Gruppe darstellte. Dies mag an der größeren Gefolgschaft der ANCYL liegen, hat sicher aber auch etwas mit den finanziellen Möglich-keiten der Partei zu tun. Zeitweise waren in

ihrem Forum mehr als 10.000 Nutzer angemeldet und aktiv. Die übrigen Parteien waren bei ihren Bemühungen auf Mig33 längst nicht so erfolgreich. Die ANCYL machte sich dabei spezielle Formate zunutze, wie zum Beispiel das so genannte chat stadium, in dem Massenevents möglich sind und bei denen Parteiführer mit bis zu 5.000 Anhängern gleichzeitig kommunizieren können. Zudem zeigte das Mig33-Engagement eine gute Einbindung in die ANC-Gesamtstrategie. So wurden hier Hinweise auf große Kundgebungen oder auch lokale Veranstaltungen des ANC gegeben oder Themen diskutiert, die an anderer Stelle entstanden waren.

DIE KLASSISCHEN MASSENMEDIEN

Der diversifizierte Markt klassischer südafrikanischer Massenmedien ermöglicht den Journalisten des Landes jedwede Form von Diskurs und stellt somit sicher, dass die Medien ihre Rolle als Mittler von Informationen und vierte

23 | MXit hatte 2009 nach eigenen Angaben 15 Millionen Nutzer weltweit, wovon 13 Millionen Südafrikaner waren.

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Der diversifizierte Markt klassischer südafrikanischer Massenmedien er- möglicht den Journalisten des Landes jedwede Form von Diskurs und stellt somit sicher, dass die Medien ihre Rolle als Mittler von Informationen und vierte Gewalt im Staate erfüllen können.

Gewalt im Staate erfüllen können. Diese Freiheiten werden durch eine weitgehend staatsunabhängige Regulierung des Medienmarktes sowie eine robuste Mediengesetzgebung, verankert in der südafrikanischen Verfassung, gewähr-leistet. Unabhängige Untersuchungen der Nichtregie-rungsorganisation Media Monitoring Africa belegen, dass 97 Prozent der Parteiberichterstattung während des Wahl-kampfes 2009 unabhängig und fair waren. Diese Aussage gilt auch für den quasi öffentlich-rechtlichen SABC; auch wenn die Unterwanderung des Senders durch den ANC immer weiter fortschreitet. Die Grenzen dieser Fairness konnte man am Falle von COPE ablesen. Die Partei hatte nach damaligen Meinungsumfragen durchaus das Potenzial, der ANC-Mehrheit im Land gefährlich zu werden, und wollte im Rahmen ihres Wahlkampfauftakts zum ersten Mal ihr Programm bekannt geben. Anstatt wie bei anderen, deutlich unwichtigeren Parteien live und ausführlich von der Veranstaltung zu berichten, wurde lediglich ein kurzer Magazinbeitrag gesendet. SABC begründete die Entschei-dung anschließend mit dem Hinweis, dass Wahlberichter-stattung beim Public Broadcaster proportional zu den im Parlament vertretenen Abgeordneten stattzufinden habe. Da COPE noch keine Parlamentssitze habe, sei nur eine kurze Aufzeichnung gesendet worden. Für einen Sender mit öffentlich-rechtlichem Anspruch ist dies eine journalis-tisch fragwürdige Entscheidung. Insgesamt aber konnten die Medien ihre Rolle als Mittler und Erklärer zwischen Politik und Bürgern sehr gut wahrnehmen. Lediglich die teilweise unprofessionelle Kommunikationsarbeit der Parteien setzte dem ungehinderten Fluss an Informati-onen manchmal Grenzen. Wenn Parteipressestellen acht-seitige Meldungen herausgeben, können Redakteure mit modernen Redaktionsabläufen derartige Nachrichten aus Zeitgründen schlicht nicht mehr verarbeiten. Die südafrika-nischen Medien selber nutzen neue elektronische Elemente während des Wahlkampfes, um die Bürger umfassender als bisher zu informieren.24

24 | Eine Möglichkeit war www.saelections.co.za. Die Seite hat aber nur einige Informationen zu den großen Parteien zu bieten [05.04.2010]. Zur Zeit der Wahlen fasste sie jedoch sehr kreativ die diversen Angebote der Avusa-Verlagsgruppe zusammen und lieferte somit viele Informationen und Querverweise.

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Unter den zehn beliebtesten Blogs Afrikas sind heute neun aus Südafrika. Davon beschäftigt sich jedoch nur der bereits erwähnte Thought Leader Blog regelmäßig mit soziopolitischen Themen.

Die Wochenzeitung Mail & Guardian gründete beispiels-weise ein „Thought Leader Forum‟, in dem prominente Blogger und Vordenker Kolumnen präsentieren. Afrikaweit rückte dieses Forum auf Platz zwei der beliebtesten Blogs.25

DIE SÜDAFRIKANISCHE BLOGSPHÄRE

Während die neuen Medien vielen Bürgern in Subsahara-Afrika die Möglichkeit geben, Unrecht anzumahnen und den Diskurs zwischen verschiedenen Gruppen zu fördern, ist in Südafrika eine neue Aufgabendimension hinzugekommen.

Hier verläuft die politische Kommunikation zwischen Bürgern, Medien und Politik im Großen und Ganzen reibungslos. Dennoch ist die Blogsphäre Südafrikas diejenige mit den meisten Einträgen und Seiten des Konti-nents. Und sie wächst unaufhörlich weiter.26

Aufgrund der oben beschriebenen politischen Situation kommt dem weitaus größten Teil der südafrikanischen Blogger im Rahmen der politischen Kommunikation keine Bedeutung zu. Unter den zehn beliebtesten Blogs Afrikas sind heute neun aus Südafrika. Davon beschäftigt sich jedoch nur der bereits erwähnte Thought Leader Blog regelmäßig mit soziopolitischen Themen. Darüber hinaus gibt es jedoch eine ganze Reihe von Blogs, die sich mit Fragen zu HIV/AIDS, Ausländerfeindlichkeit oder Rassen-problemen auseinandersetzen und wichtige Impulse für die politische Debatte geben. Es handelt sich somit um einen Medienbereich, der in den Präsidentschaftswahlen des Jahres 2014 durchaus zu großen Stimmanteilen, wenn nicht sogar Mehrheiten verhelfen kann. Jedoch können die klassischen Medien und die klassische Parteienkom-munikation in Südafrika weder heute noch in absehbarer Zukunft durch die neuen Medien ersetzt werden.

25 | Vgl. www.thoughtleader.co.za/ [05.04.2010].26 | Afrigator führte im Juli 2009 knapp 6400 Blogs aus Südafrika. Im April 2010 waren es schon fast 8500. Vgl. http://afrigator.com/blogstats/countries [05.04.2010].

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Die neuen Medien sind aus der poli-tischen Kommunikation Subsahara-Afrikas, unabhängig vom individuellen Zustand der einzelnen Länder, nicht mehr wegzudenken. Das Internet und das Web 2.0 haben die Band-breite ihrer Möglichkeiten zwar noch nicht erreicht, dennoch sprechen die Wachstumsraten für einen weite-ren Bedeutungsanstieg in der nahen Zukunft.

FAZIT

Die neuen Medien sind aus der politischen Kommunika-tion Subsahara-Afrikas, unabhängig vom individuellen Zustand der einzelnen Länder, nicht mehr wegzudenken. Das Internet und das Web 2.0 haben die Bandbreite ihrer Möglichkeiten zwar noch nicht erreicht, dennoch sprechen die Wachstumsraten für einen weiteren Bedeutungsanstieg in der nahen Zukunft. Zurzeit hat der Einsatz mobiler Tech-nologien in der Region, vor allem aufgrund der schieren Masse der sich im Umlauf befindlichen Mobiltelefone, aber noch eine weitaus größere Durchschlagskraft. Eine der großen Hürden stellen die immer noch hohen Band-breitenkosten dar. Die angesprochenen Hybridsysteme können helfen, diese Kosten zu umgehen und somit zu einer weiteren Verbreiterung der politischen Kommunika-tion beizutragen. Fraglich bleibt dabei, ob Unternehmen wie MXit gut daran tun, sich aus dem politischen Diskurs herauszuhalten und diesen auf ihrer Plattform weitgehend zu unterbinden.

Die technologischen Entwicklungen haben die politische Kommunikation in den letzten zehn Jahren immer weiter verändert. Der Bedeutungszuwachs von politischen Inhalten ist das letztendlich entscheidende Ergebnis dieses technischen Fortschritts und wird mittelfristig zu einem Paradigmenwechsel führen. Denn somit werden politischer Personen kult und Parteigehorsam zurück-gehen und durch inhaltliche Diskussionen ersetzt werden. Je mehr Bürger aber über die nötigen Informationen verfügen, desto mehr Menschen werden Entscheidungen auf Grundlage unabhängiger Informationen treffen. Dies wiederum wird die politische Kommunikation der Akteure nachhaltig beeinflussen. Um in Zukunft erfolgreich zu sein, werden sich die Parteien verstärkt auf Inhalte und über-zeugende Argumente konzentrieren müssen. Hierbei wird es mittelfristig nicht mehr genügen, die Wähler erst kurz vor dem Wahltag anzusprechen. Langfristige Strategien statt kurzfristiger Wahlkampfstrohfeuer werden gefragt sein. Die klassischen Medien kommen bereits heute nicht mehr ohne ihren neuen Gegenpart aus. Wollen sie in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben, müssen auch sie sich

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weiter entwickeln, sich stärker noch als bisher auf neue Techniken einlassen und deren Erkenntnisgewinne nutzen, um ausgewogen zu berichten. Wohin dieser Trend gehen könnte, lässt sich an den südafrikanischen Kooperationen zwischen traditionellen Medien und Bloggern bereits heute ablesen.

Trotz der positiven Bewertung der neuen Werkzeuge politi-scher Kommunikation haben diese doch auch ihre Grenzen und Schwächen. So sind die SMS-Dienste, die zur Wahl-überwachung genutzt werden, abhängig vom Betreiber und können durch die Mitarbeiter manipuliert werden. Da SMS-Kampagnen und neue Medien schwer zu überwachen sind, werden sie jedoch zu wertvollen Instrumenten in rest-riktiven Systemen. Gleichwohl birgt diese Unkontrollier-barkeit auch die Gefahr des Missbrauchs, wie das Beispiel Kenia eindrucksvoll belegt. Die Forderung nach Kontrolle ist daher verständlich und wichtig, muss aber sehr genau abgewogen werden. Das Risiko, die Meinungsfreiheit und das Recht auf Informationsempfang einzuengen, ist hier groß. Daher sind Wege nötig, die die Übermittlung von gewaltverherrlichenden Inhalten verhindern, ohne den neuen Medien ihre Kraft zu nehmen. In Subsahara-Afrika findet aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt die politische Kommunikation, trotz der zunehmenden Bedeutung der neuen Medien, zumeist noch mit Hilfe der traditionellen Medien statt. Wer in Zukunft erfolgreich politisch kommu-nizieren will, der muss diese neuen Instrumente beherr-schen lernen und neue Medien als wichtigen Baustein in seine Strategie integrieren.

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Frank Priess

Als eines der letzten Länder der Welt hat Kuba im März 2008 seine Beschränkungen gegenüber Privatpersonen gelockert, Mobiltelefone zu besitzen und zu gebrauchen. Zuvor waren schon Beschränkungen für Computer und andere Elektronikartikel aufgehoben wollen. Die Konse-quenzen sind für jedermann sichtbar. Damit hat auch Kuba den Schritt in das digitale Zeitalter vollzogen. Besonders bedeutend für die politische Opposition ist dabei der neue Öffentlichkeits- und Sichtbarkeitseffekt: Der größte Wandel heute, so der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung Diario de Cuba (www.ddcuba.com), Antonio José Ponte, ist, „dass die das Castro-Regime begründende Gewalt jetzt Zeugen hat, dass diese bereit sind zu sprechen und dass immer mehr Menschen auf der Welt zuhören wollen‟.1 Pablo Diaz von der gleichen Zeitung ergänzt optimistisch: „Die Revolution der neuen Technologien läutet das Ende der kubanischen Revolution ein. Das Internet hilft, die zu schützen, die auf der Insel leben, und die zu sensibi-lisieren, die draußen sind.‟ Jorge Ramos Ávalos bringt es auf die einfache Formel: „Mehr Internet, weniger Diktatur. Die wirkliche Revolution hat die Form eines Handy.‟2 Die Chancen von Regierungen, die Verbreitung von Nachrichten über das Internet einzuschränken, hat Nicolas Negroponte in seinem Klassiker Being Digital schon vor fünfzehn Jahren zutreffend beschrieben: „Der Versuch, die Freiheit der Bit-Ausstrahlung einzuschränken, dürfte ebenso zum

1 | Antonio José Ponte, „Fin de la violencia sin testigos‟, in: El País, Ausgabe Mexiko, 31. März 2010.2 | Jorge Ramos Ávalos, „Más Internet, menos dictadura‟, in: Reforma, México D.F., 31. März 2010.

Frank Priess ist Auslandsmitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mexiko.

REVOLUTION 2.0: EIN SCHRECKEN FÜR AUTORITÄRE REGIMEDIGITALE KULTUR UND POLITISCHE KOMMUNIKATION IN LATEINAMERIKA

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Die Revolution der neuen Technolo-gien läutet das Ende der kubanischen Revolution ein. Das Internet hilft, die zu schützen, die auf der Insel leben, und die zu sensibilisieren, die draußen sind.

Scheitern verurteilt sein wie die Bemühungen der Römer, die Ausbreitung des Christentums aufzuhalten.‟3 Die dort ebenfalls angesprochene Gefahr, dass „im Verlauf des Prozesses einige der frühen, tapferen Datenversender‟ von den Löwen gefressen werden könnten, lässt sich in parallelen Verläufen von der Ukraine bis in den Iran leider auch bestätigen.

Deutlich wurde diese neue Lage beim Tod von Orlando Zapata Tamayo, der nach 85 Tagen im Hungerstreik gestorben war. Damit hatte er gegen seine unmenschli-chen Haftbedingungen protestiert. Via Handy-Kameras

gingen die Bilder der Trauernden um die Welt, seine Mutter kam im Blog von Yoani Sanchez, Generación Y, direkt zu Wort – einem wirkungsvollen Medium, das mitt-lerweile auch durch eine Preisvergabe der Deutschen Welle gewürdigt wurde und das

16.000 Anhänger in Twitter sowie 4.400 Facebook-Fans aufweist. Oppositionelle Demokraten verabredeten sich – ebenfalls mittels Handy – zu Demonstrationen und zur Beerdigung. Neu dabei war auch, dass nun eine leichtere Identifizierung der Schergen des Regimes möglich wurde, die aus anderen Bezirken zur Störung anrückten. Die Weitergabe ihrer Fotos per Mobiltelefon führte zu einer leichten Identifizierung.

Die Informationsunterdrückung der Regierung jedenfalls gelangt offenkundig an ihr Ende – selbst in offiziellen Medien ließen sich die Vorgänge nicht mehr verschweigen. Dies löste eine Bewegung aus, deren Folgen noch nicht abzusehen sind: Vor allem aber machten sie den Menschenrechtlern deutlich, dass sie nicht alleine stehen. Entsprechend geht es jetzt darum, ihre Ausstattung mit moderner Technologie zu verbessern und Restriktionen der kubanischen Regierung zu unterlaufen. Diese greifen etwa bei der Einfuhr von Satellitentelefonen, die eine Umgehung kontrollierter Anbieter auf der Insel erlauben. Manchmal sind allerdings auch schon kleine Hilfsmittel wie ein simpler USB-Stick von großem Nutzen, etwa, wenn es um die Weitergabe von Texten, Präsentationen, unterdrückter

3 | Nicolas Negoponte, Total digital – die Welt zwischen 0 und 1 oder die Zukunft der Kommunikation (München: Bertelsmann, 1995).

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Interessant ist, dass es gerade inner-halb der Indígena-Bewegungen eine immer stärkere Nutzung des Internets für Mobilisierung und Aktivismus gibt.

Literatur oder Fotodokumenten geht oder um den Aufbau unabhängiger digitaler Bibliotheken: Im Gegensatz zu ihren „materiellen‟ Vorgängern sind sie zudem ungleich schwerer zu beschlagnahmen und leichter zu reprodu-zieren.

Schon jetzt ist klar, dass diese Technologien eine stärkere Partizipation außerhalb offizieller Kanäle und die Entste-hung einer Zivilgesellschaft auf der Insel erleichtern wird. Aktuelle Studien – von denen es gerade auf empirischer Basis in Lateinamerika viel zu wenige gibt – weisen auf einen interessanten Zusammenhang hin. Carmen Beatriz Fernández betont: „Gerade in den Ländern, wo der Grad der wirtschaftlichen Freiheit besonders niedrig ist, werden die neuen Technologien am häufigsten für Cyberaktivismus eingesetzt.‟4 In Ländern mit einer ausgebauten Kommu-nikationsinfrastruktur und sicher etablierter Pressefreiheit scheint dies weniger erforderlich. Hinzu kommt – nicht nur für Lateinamerika, sondern auch für andere Entwicklungs-kontinente – dass die neuen Technologien der Bevölkerung gerade dort helfen, wo ausgebaute terrestrische Netzinfra-strukturen fehlen. Mobiltelefon und Computer ermöglichen Funktionen, die dort bisher so nicht möglich waren, bis hinein in den Bereich von Finanzdienstleistungen.

VERÄNDERUNGEN DER POLITISCHEN KOMMUNIKATION

Nicht nur in autoritären Systemen zeigen sich dabei die Veränderungen durch neue mediale Technologien und ihre Anwendung: Als vor Kurzem in Mexiko zwei Studenten der Eliteuniversität TEC in Monterrey bei einem Feuergefecht zwischen Polizei und Drogengangstern zwischen die Fronten gerieten und starben, waren es ihre Kommilitonen, die per Twitter schnell für eine authen-tische Wiedergabe der Vorgänge sorgten und offizielle Stellungnahmen relativierten. Der mexikanische Neue-Medien-Experte Octavio Islas schreibt das „symbolische Kapital‟ und die internationale Hilfe, die in seinem Land der berühmte Subcomandante Marcos und seine Zapa-tisten-Guerilla in Chiapas erreicht haben, vor allem den

4 | Carmen Beatriz Fernández, Ciberpolítica – Como usamos las tecnologías digitiales en la política latinoamericana? (Buenos Aires: KAS-Programa Regional Medios de Comunicación y Democracia en Latinoamérica, 2008).

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Regierungen in ganz Lateinamerika versuchen seit Jahren mit unter-schiedlichen Methoden, die Nutzung von Computer und Internet zu för-dern, von Kursen und Schulungen für alle Bevölkerungsgruppen bis zur Bereitstellung einer entsprechenden öffentlichen Infrastruktur.

Unterstützer-Netzwerken im Internet zu.5 In Argentinien lieferten sich Gegner und Befürworter von Präsidentin Cris-tina Fernández de Kirchner regelrechte Online-Schlachten, wobei der Journalist Pedro Cifuentes anmerkt: „Die ungeteilte öffentliche Meinung ist, dass diese virtuellen Plattformen keine Unentschiedenen überzeugen, sondern die Überzeugungen derer stärken, die sich beteiligen. Auch sind sie natürlich wichtig bei der Koordinierung von Versammlungen und Demonstrationen in der realen Welt.‟6 Verbale Exzesse, durch die Anonymität im Netz erleichtert, ließen zudem Zweifel an der Unabhängigkeit der Aktivisten von bestimmten politischen Parteien aufkommen.

Die Nutzung der alternativen Medien durch soziale Bewegungen bestätigt die mexikani-sche Cyberaktivistin Martha Zapata Galindo: „Politische und Soziale Bewegungen nutzen das Internet zur Organisation, Koordina-tion und auch für den Cyberaktivismus. Interessant ist, dass es gerade innerhalb

der Indígena-Bewegungen eine immer stärkere Nutzung des Internets für Mobilisierung und Aktivismus gibt.‟7 Konkrete Aktionen würden allerdings parallel auch offline organisiert, da der Zugang zu entsprechenden Technolo-gien nach wie vor gering sei. Mittlerweile unterstützten aber Organisationen wie die UNESCO – zum Beispiel in Peru – gerade Indígena-Gemeinden bei der Nutzung des virtuellen Raums. Verschiedene Anbieter in Lateinamerika, die auf Gebühren verzichteten, erleichterten die Arbeit. Gleichzeitig allerdings, so Zapata Galindo, könne sich die digitale Kluft zwischen denen, die aufgrund von Wissen und ökonomischen Möglichkeiten Zugang zu den neuen Tech-niken hätten, und denen, die darauf verzichten müssten, weiter vertiefen.

5 | Vgl. Octavio Islas, Carlos Enrique López und Fernando Gutiérrez, „La propaganda por la Presidencia de la República en Internet‟, in: Revista Mexicana de Comunicación (Septemper / Oktober 2000), S. 16 - 20.6 | Pedro Cifuentes, „Kirchner sí, Kirchner no, 2.0‟, in: El País, Ausgabe Mexiko, 16. Februar 2010.7 | Martha Zapata Galindo, „Es gibt im Internet die Möglichkeit, alle Grenzen und Kontrollen zu überschreiten‟, in: Interview mit den Lateinamerika Nachrichten, Ausgabe 372 – Juni 2005.

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Hier und auch in anderen sozialen Netzen ist längst eine Gegenöffentlichkeit für all das entstanden, was sich in den klassischen Medien so nicht findet – zum Teil auch, weil es der aus unterschiedlichsten Gründen geübten Selbstzensur von Journalisten und Medieneignern unterliegt. Allerdings fallen damit auch professionelle Filter weg, auf die sich der Nutzer bei der Einschätzung des Wahrheitsgehaltes einer Nachricht in der Regel verlassen konnte. Dies wird jetzt bestenfalls durch die Selbstkontrolle und andere Nutzer im Netz ersetzt – nach der Wikipedia-Methode.

Regierungen in ganz Lateinamerika versuchen seit Jahren mit unterschiedlichen Methoden, die Nutzung von Computer und Internet zu fördern, von Kursen und Schulungen für alle Bevölkerungsgruppen bis zur Bereitstellung einer entsprechenden öffentlichen Infrastruktur. Nicht zuletzt auf kommunaler Ebene gibt es vielerorts Initiativen, das Internet auch für Formen des e-government zu nutzen und vor allem die Transparenz öffentlicher Verwaltungen zu erhöhen. In Ländern mit endemischer Korruption ist dies ein besonders lohnendes Vorhaben. Mexiko versucht etwa, die Ausschreibung öffentlicher Aufträge auf diese Weise zugänglich zu machen, Chile fördert Steuerzahlungen über das Netz. Vielfach ist auch ein Effizienzgewinn für die Bürger spürbar. Gleichzeitig stellen sich – wie überall auf der Welt – auch alle Fragen von Datenschutz und Cyber-kriminalität, auf die man in Lateinamerika nicht gut vorbe-reitet ist.

ÜBERLEBENSKAMPF DER ZEITUNGEN

Speziell für die Zeitungen bringt dies erhebliche Verände-rungen und führt zu einem Kampf ums Überleben – der Rückgang des klassischen Anzeigenaufkommens, das ins Internet abwandert, ist dabei ein besonders gravierender Aspekt. Mittlerweile ist die Zahl der Internet-Nutzer fast überall deutlich höher als die der Zeitungsleser, speziell bei den Jugendlichen. „Heute‟, so Lydiette Carrión, „existiert der Journalist oder Autor, der nicht im Netz ist, einfach nicht mehr.‟8

8 | Lydiette Carrión, „Periodismo en la blogósfera – la panacea?‟, in: DFensor, 2 (Februar 2010), Comisión de Derechos Humanos del Distrito Federal, S. 17 - 18.

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Mexiko und Brasilien seien dabei nach einer Studie der Jahre 2008/2009 die Länder mit dem schnellsten Wachstum des Cyberspace in Lateinamerika. In Argentinien und Chile sind mittlerweile fast fünfzig Prozent der Bürger online. Auf ganz Lateinamerika gerechnet sind es rund dreißig Prozent. In Kuba sogar nur 12,7 %. In Brasilien verbringen die Web-Nutzer nach Angaben von ComScore täglich 6,18 Stunden online, in Mexiko sind es vier. Laut einer McKinsey-Studie verbringen Jugendliche heute nur die Hälfte der Zeit vor dem Fernsehen, die Erwachsene dort zubringen, ihr Internet-Konsum allerdings übersteigt den der Älteren um rund 600 Prozent. Bei der Ausstattung mit Mobiltele-fonen ist in Ländern wie Argentinien, Brasilien, Mexiko und Venezuela statistisch mittlerweile fast eine Vollversorgung erreicht.

DIE PARTEIEN RÜSTEN NACH

Ließ sich bis zum Jahr 2000 noch kaum ein Effekt der Internet-Kommunikation bei Wahlen nachweisen, hat sich das Bild mittlerweile stark gewandelt. So lässt sich nach-weisen, dass bei Präsidentschaftswahlkämpfen in Brasilien, Venezuela, Mexiko und Kolumbien schon 2006 ein inten-siver Internet-Einsatz erfolgte, während in Bolivien, Chile und Costa Rica davon noch wenig zu sehen war. Und das, obwohl Autoren wie Michael Cornfield für die USA schon 2004 einen erheblichen Einfluss der digitalen Kommunika-tion auf das Wahlergebnis konstatierten: „Hat das Internet im Wahlkampf 2004 einen Unterschied gemacht? Ja. Die erfolgreichsten Kampagnen haben sich darauf gestützt, um Vorteile gegenüber den Wettbewerbern zu erzielen. Die Zahl der erwachsenen Amerikaner, die sich auf das Internet stützen, um die Kampagnen kennenzulernen, sich eine Meinung zu bilden, sich zu registrieren und zu wählen, ist schlicht zu groß, um beim endgültigen Stimmenabstand zwischen den Kandidaten etwas anderes zu denken.‟9

Spätestens mit den Erfahrungen von Barack Obama in der US-Auseinandersetzung des Jahres 2008 wurde der Durch-bruch geschafft, auch wenn die Bedingungen im Norden

9 | Michael Cornfield, „The Internet and Campaign 2004: A look back at the campaigners‟, in: Website Pew Center; http://www.pewinternet.org/ [20.04.2010].

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Ließ sich bis zum Jahr 2000 noch kaum ein Effekt der Internet-Kommu- nikation bei Wahlen nachweisen, hat sich das Bild mittlerweile stark gewandelt. So lässt sich nachweisen, dass bei Präsidentschaftswahlkämp-fen in Brasilien, Venezuela, Mexiko und Kolumbien schon 2006 ein inten-siver Internet-Einsatz erfolgte, wäh-rend in Bolivien, Chile und Costa Rica davon noch wenig zu sehen war.

des Kontinents sich von denen im Süden noch deut-lich unterscheiden: Die USA sind in vielen Aspekten der Wahlkampfkommunikation eher die große internationale Ausnahme als das internationale Vorbild. Die Nachahmer sind – mehr oder weniger erfolgreich – auch in Lateiname-rika unterwegs. Besonders deutlich war dies noch vor wenigen Monaten im chilenischen Präsidentschaftswahlkampf zu beobachten, wo der siegreiche Kandidat Sebastian Piñera seine Web-Seite erfolgreich zu einem virtu-ellen Kommunikationszentrum ausbaute – mit einem Schwerpunkt auf den Partizipa-tionsmöglichkeiten möglicher Unterstützer. Allein auf Twitter folgten über 30.000 Nutzer seinen täglichen Kampagnenaktivitäten – stolz erklärte er sich auf Facebook zum erfolgreichsten Twittero des Landes. Per Blackberry wurden die Anhänger vom Kandidaten permanent auf dem Laufenden gehalten – z.B. mit Anekdoten anlässlich seines Europa-Besuchs bei den Präsidenten Sarkozy und Zapatero.

Für Rafael Rubio Nuñez zeigt sich hieraus: „Die soziopo-litische Situation und die neuen Instrumente zwingen die Parteien geradezu zur Öffnung für die Menschen mittels der Kanäle, die den Direktkontakt mit der Gesellschaft erlauben und die direkte Vermittlung der eigenen Botschaft ohne vermittelnde Instanzen zulassen.‟10 Das setzt natürlich voraus, dass eine glaubwürdige Botschaft existiert, denn letztlich ist auch das Internet ein Werkzeug, das Werte, Inhalte und Strategie nicht ersetzen kann. Dem Glaub-würdigkeitsverlust von Parteien und Politik wird allein mit technologischer Aufrüstung nicht zu begegnen sein. „Das Publikum beginnt‟, so der argentinische Marketing-Experte Carlos Fara, „die Techniken des politischen Marketings zu durchschauen und es wird immer schwieriger, glaubwürdig und authentisch zu erscheinen. Wenn man die Geheim-nisse des Zauberers durchschaut hat, verlieren die Tricks ihren Sinn.‟11

10 | Rafael Rubio Nuñez, „La nueva comunicación política – lenguaje, blogs, videoblogs y comunidades sociales‟, in: Bien Común / FRPH (México: D.F., Oktober 2007), S. 38 - 48.11 | Carlos Fara, „Locos por el marketing‟, in: Imagen 58/2002 (Buenos Aires), S. 23 - 25.

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NICHTS FÜR KONTROLL-FREAKS

Oft, so Carmen Beatriz Fernández, würden aber selbst diese technischen Möglichkeiten von lateinamerikanischen Kandidaten auf ihren Websites nicht voll ausgeschöpft: „Sie dienen schlichtweg als Anschlagtafeln für Informa-tionen und bieten dem Nutzer wenige Möglichkeiten zur Interaktion‟, so die venezolanische Expertin. Interaktion allerdings muss auch gewollt sein: US-Kampagnen im Internet wie die von Barack Obama oder zuvor schon von Howard Dean – mit seinem Wahlkampfmanager Joe Trippi ein Pionier auf diesem Gebiet – waren nur deshalb so erfolgreich, weil keine Wahlkampfleitung ständig von oben versuchte, kontrollierend und regulierend einzugreifen.12

Man muss sich entscheiden: Will man die Kreativität der Internet-Gemeinschaft für den eigenen Kandidaten und die eigene Botschaft nutzen – deren Attraktivität für diese

Zielgruppe vorausgesetzt – so geht dies nur, wenn man ihr entsprechende Freiheiten lässt. Das ist speziell in oft rein hierarchisch und auch autoritär-patriarchalisch organi-sierten Strukturen vieler lateinamerikani-

scher Parteien ein Hindernis. Zudem: wer mitmacht, will auch mitbestimmen – und ob das von der politischen Führung immer gewünscht ist, muss angefragt werden. Immerhin zeigen die Erfahrungen, dass über das Internet nun auch Parteien und Kandidaten eine wirkungsvolle Plattform haben, die sich teure Medienauftritte eigentlich nicht leisten können – besonders dann, wenn sie auf web-affine Zielgruppen und deren Multiplikatorfunktion bauen. Insgesamt allerdings lässt sich nicht nachweisen, dass Wahlkampagnen mit diesen neuen Möglichkeiten wirklich billiger geworden sind. Ein besonders drastisches Beispiel dafür ist das mit einer überaus üppigen staatlichen Finan-zierung ausgestattete Parteiensystem in Mexiko.

POLITIKER AUF ALLEN KANÄLEN

Für viele Politiker gehört es mittlerweile auch in Latein-amerika zum guten Ton, in virtuellen sozialen Gemein-schaften wie Flickr, YouTube oder Facebook präsent zu

12 | Vgl. Joe Trippi, The Revolution will not be televised – Democracy, the Internet and the overthrow of everything (New York: Harper Collins, 2004).

Laut einer McKinsey-Studie verbringen Jugendliche heute nur die Hälfte der Zeit vor dem Fernsehen, die Erwach- sene dort zubringen.

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Dem Glaubwürdigkeitsverlust von Parteien und Politik wird allein mit technologischer Aufrüstung nicht zu begegnen sein. „Das Publikum be- ginnt‟, so der argentinische Marke- ting-Experte Carlos Fara, „die Tech-niken des politischen Marketings zu durchschauen und es wird immer schwieriger, glaubwürdig und authen-tisch zu erscheinen.‟

sein und die Gefolgschaft mit ihren Kurznachrichten zu versorgen. Junge Abgeordnete und die Jugendorganisati-onen der Parteien spielen dabei meist eine Vorreiterrolle. Sich besonders menschlich, bürgernah und zugänglich zu präsentieren, kann allerdings auch zu unfreiwilliger Komik führen – besonders dann, wenn Sein und Image nicht recht zusammenpassen. Das war allerdings auch im Fern-sehzeitalter nicht anders.

Erwiesen hat sich in den jüngsten Kampagnen, dass das Internet auch für alle Formen von negative campaigning ein besonders dankbares Feld darstellt, lässt sich doch die Autorenschaft der Botschaften meist hinreichend gut verschleiern. Octavio Islas spricht dabei von regelrechten ciberguerilleros. Vieles, was seinen Ausgangspunkt in anonymen Botschaften im Netz hat, findet schnell den Weg in die etablierten Kommunikationskanäle und die klassi-schen Massenmedien. Hacker-Angriffe auf gegnerische Web-Seiten gehören inzwischen ebenfalls zum Arsenal der Auseinandersetzung. „Das Internet‟, so Esther Dyson schon 1997, „ist ein großartiges Medium für Verschwö-rungen, das Fernsehen dagegen für Propaganda.‟13

Umgehen lassen sich im Internet auch Vorgaben nationaler Wahlgesetzgebung, etwa bei Sperrfristen für die Veröffentlichung von Umfragen in den Tagen unmittelbar vor Wahlen. Einen solchen Kampf gegen Wind-mühlen führt in Mexiko derzeit das natio-nale Wahlinstitut IFE: Negativkampagnen sind dort seit einer Wahlrechtsreform im Jahr 2007 explizit verboten – nun liegt das Kontroll- und Vollzugsproblem bei der Aufsicht. Eine Flut von Anzeigen betraf bei den Zwischenwahlen 2009 den virtuellen Raum, ließ die Behörde hilflos aussehen und entfachte – wie nicht anders zu erwarten – eine Debatte über eine stärkere Regulierung des Internets. Bisher aller-dings haben sich diese Ideen nicht durchgesetzt. An ihrer Praktikabilität wäre ohnehin zu zweifeln – und etwas mehr Vertrauen in den mündigen Bürger und sein Urteilsver-mögen kann auch im digitalen Zeitalter nicht schaden.

13 | Esther Dyson, Release 2.0: Die Internet-Gesellschaft – Spielregeln für unsere digitale Zukunft (München: Droemer Knaur, 1997).

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Erwiesen hat sich in den jüngsten Kampagnen, dass das Internet auch für alle Formen von negative cam-paigning ein besonders dankbares Feld darstellt, lässt sich doch die Autorenschaft der Botschaften meist hinreichend gut verschleiern.

Noch scheinen in Lateinamerika – bei allen Fortschritten im Internet-Bereich – die traditionellen Medien Hörfunk und Fernsehen in ihrer Wirkung klar überlegen. Viele latein-amerikanische Präsidenten – allen voran Venezuelas Hugo Chávez mit seinen Endlos-Sendungen „Aló Presidente‟ – suchen über die TV-Kanäle ihren Direktzugang zum Bürger. Die Bemühungen, unliebsame Sender zu behindern oder

ganz zu unterdrücken, unterstreichen die Einschätzung über das Wirkungspotenzial der „Klassiker‟. Allerdings hindert dies nicht, auch dem Internet Zügel anlegen zu wollen: „Das Internet kann nicht frei sein, wo jeder machen und sagen kann, was er will‟, ließ sich Chávez Mitte März auf einer Versamm-

lung seiner Sozialistischen Einheitspartei vernehmen. Speziell Web-Seiten, die „den Geist vieler Menschen vergiften‟, seien ihm ein Dorn im Auge. Und die Justiz seines Landes hat schon in der Vergangenheit auf entspre-chende „Hinweise‟ aus der Politik reagiert, etwa beim Versuch, die populäre Seite NoticieroDigital.com wegen „anonymer Diffamierung‟ zur Rechenschaft zu ziehen. Mittlerweile verfüge der Staat unmittelbar über 731 eigene Kommunikationskanäle, so Peter-Alberto Behrens.14

Andere Regierungen versuchen mit erheblichen Mitteln ihre Botschaften ins redaktionelle Programm von Medien zu drücken. Hiervon verspricht man sich eine höhere Glaubwürdigkeit als im Anzeigenbereich. Solche Verschlei-erungstechniken werden aus wirtschaftlichen Gründen von vielen Medien mitgemacht – neben der Rechtswidrigkeit steht hier in vielen Fällen die journalistische Berufsethik auf dem Spiel: Sie und strikte Professionalität aber sind nach wie vor die wichtigsten Wettbewerbsvorteile beim Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer, Hörer, Seher und Leser. Dass ein auffälliger Glaubwürdigkeitsverlust bereits eingetreten ist, belegt Peter-Alberto Behrens an lateinamerikanischen Zahlen der Zeit zwischen 1995 und 2005.15

14 | Vgl. Peter Alberto Behrens, „Aló Presidente – Presse und Politik in Lateinamerika‟, in: KAS-Auslandsinformationen 2/2010, S. 97 - 112.15 | Vgl. Ebenda.

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Noch scheinen in Lateinamerika –bei allen Fortschritten im Internet-Bereich – die traditionellen Medien Hörfunk und Fernsehen in ihrer Wir-kung klar überlegen.

Parallel versuchen die klassischen Medienkonzerne, ihr Stück vom digitalen Kuchen durch die Verbindung von Fernseh-, Kabel-, Festnetz- und Mobilfunktelefonie-Ange-boten, in Lateinamerika als Zukunftsgeschäft unter dem Namen cuádruple play bekannt, zu sichern und auszu-weiten. Umgekehrt bemühen sich die Telefonkonzerne, im Markt der Programminhalte Fuß zu fassen. Hier besteht ein hoher medienrechtlicher Regelungsbedarf.

Aufmerksamkeit verdient bei all diesen Analysen die Frage, welche weitergehenden gesellschaftlichen Folgen das Vordringen neuer Technologien und die Veränderung der Medienlandschaft auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Leben jedes Einzelnen haben – jenseits der unmittelbaren politischen Konsequenzen. Hier unterscheiden sich die Prognosen wissenschaftlicher Beobachter gerade für die demokratisch regierten Länder Lateinamerikas nicht von denen in anderen Teilen der Welt. Sie befürchten mit der Verlagerung der politischen Diskus-sion in den digitalen Raum einen Qualitätsverlust des öffentlichen Diskurses – mit Folgen für den gesamtgesell-schaftlichen Zusammenhalt – zudem komplette Kontrolle, Reizüberflutung, Ohnmachtsgefühle und eine regelrechte „Versklavung‟ des Menschen durch die permanent auf ihn einströmenden Anforderungen aus dem Cyberspace.

Ähnliche Stimmen waren allerdings auch schon zu hören, als das Fernsehen mit seinen vielen Talkshows das Debat-tenniveau gepflegter Feuilletons dauerhaft deutlich unter-schritt. Über Qualitätsansprüche lässt sich bekanntlich immer streiten – über den Zuwachs an Informationsmög-lichkeiten und Partizipationschancen breiter Schichten durch die aktuell voranschreitende Ausweitung medialer Angebote dagegen kaum.

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Trygve Olson / Terry Nelson

DAS INTERNET VERÄNDERT ALLES

Als Ende der 1990er Jahre das Zeitalter des Internets begann, wurde es schnell zum Klischee, dass die neue Technologie „alles verändern‟ würde. Heute, mehr als 25 Jahre nach der Geburt des World Wide Web, ist das Internet tatsächlich ein zentraler Bestandteil des Lebens von Menschen in aller Welt geworden. In Rekordzeit hat es sich zu einem Medium entwickelt, über das die Leute kommu-nizieren, soziale Kontakte pflegen, Handel betreiben, sich informieren und sogar unterhalten lassen. Das Internet hat zudem mehr Macht in die Hände des Einzelnen gelegt, und das zwingt Organisationen wie Einzelpersonen dazu die strategischen und taktischen Überlegungen hinter ihren Aktivitäten in Frage zu stellen. Die Internet-Revolution hat die Art und Weise verändert, wie Gruppen und ihre Mitglieder intern wie extern interagieren – dass diese Veränderungen auch auf alle politischen Fragen einen weit reichenden Einfluss haben, ist nicht überraschend. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass keine techni-sche Erfindung seit der Druckerpresse vor fast 600 Jahren derart große Auswirkungen auf die Politik gehabt hat.

„Der Mensch ist ein politisches Tier‟, erklärte Aristoteles schon um das Jahr 350 v. Chr. – und heute haben die poli-tischen Tiere mehr Zugriff auf Informationen als je zuvor in der Geschichte. Zudem verbreiten sich die Informationen im Internet fast ohne jede Zeitverzögerung. Trotzdem wird das Netz nicht nur durch die schiere Menge an Informati-onen und die Geschwindigkeit ihrer Ausbreitung zu einem wichtigen Werkzeug der Politik. Entscheidend ist eher die Tatsache, dass über das Internet jeder sofort auf Infor-mationen reagieren kann, egal ob sie von dort oder aus

Terry Nelson wurde im Jahr 2000 zum politischen Direktor des National Repub-lican Congressional Committee (NRCC) ernannt und war als Berater in der Wahl-kampfkampagne um das Präsidentenamt für John McCain tätig.

DER EINFLUSS DES INTERNETS AUF PARTEIEN UND WAHLKÄMPFE

Trygve Olson ist frei-beruflich arbeitender Künstler und hat sich auf politische Karika-turen spezialisiert. In den Jahren 1999, 2001 und erneut im Jahr 2005 erhielten seine politischen Karikaturen die Auszeichnungen First-Place Page One Awards vom Journalis-tenverband Society of Professional Journa-lists für die Kategorie Zeitung.

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Die riesigen Informationsmengen im Web, die Geschwindigkeit, mit der sie sich bewegen, und die Möglichkeit für jeden einzelnen, sich an ein großes Publikum zu wenden, haben also für den Bereich der Politik das Verspre-chen schon wahr gemacht: Hier ver-ändert das Internet tatsächlich alles.

der realen Welt kommen. Diese Möglichkeit wird die Politik verändern – zumal Bürger ihre Überzeugungen jetzt nicht mehr nur Menschen in ihrem eigenen Viertel, Wohnort oder Bundesland darlegen können, sondern über beliebige Entfernungen im ganzen Land oder in der ganzen Welt, und noch dazu so gut wie kostenlos. Die riesigen Infor-mationsmengen im Web, die Geschwindigkeit, mit der sie sich bewegen, und die Möglichkeit für jeden einzelnen, sich an ein großes Publikum zu wenden, haben also für den Bereich der Politik das Versprechen schon wahr gemacht: Hier verändert das Internet tatsächlich alles.

Etwa seit dem Jahr 1996 spielt das Internet auch in der Politik eine Rolle. Seitdem ist viel darüber geschrieben worden, wie es die politische Auseinandersetzung verän-dert. Allerdings ging es dabei meistens um eher technische Fragen wie Spendenaufrufe per E-Mail oder das Organisieren über soziale Netze. Weniger intensiv betrachtet wurde das Aufkommen des Internets als politisches Werkzeug und sein Einfluss auf die Kunst der Politik, also auf strategische Entscheidungen von Politik strategen und Parteiführern. In diesem Artikel wird deshalb untersucht, wie das Internet – heute und in Zukunft – strategische Entscheidungen beein-flusst, die dann die Arbeit von Parteien und Kandidaten sowie deren Wahlkampagnen prägen.

DER EINFLUSS DES INTERNETS AUF DIE POLITIK

In allen demokratischen Gesellschaften dieser Welt exis-tieren Parteien nur zu einem Zweck: um an Wahlen teil-zunehmen (und sie möglichst zu gewinnen). Zwar gibt es in den einzelnen Ländern große Unterschiede hinsichtlich Wahl- und Regierungssystem, Entstehungsgeschichte, kulturellen Normen und politischer Tradition. Aber die Prozesse, über die Menschen sich einer Partei als aktive Mitglieder oder passive Unterstützer anschließen, sind überall die gleichen. Um zu verstehen, wie das Internet die Politik verändert und das auch weiterhin tun wird, muss man also verstehen, welche Auswirkungen es auf diese Prozesse hat.

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In der Vergangenheit sind Parteien in einem Prozess entstanden, der hauptsächlich von oben nach unten verlief. Eine Kerngruppe von Anfüh-rern definierte auf der Grundlage der gemeinsamen Werte zunächst das strategische und taktische Vorgehen.

Politische Parteien und Organisationen entstehen, wenn Menschen, die gemeinsame Werte haben, zur Verfolgung eines gemeinsamen politischen Ziels zusammengebracht

werden. In diesem Prozess gehen Parteien in vier Stufen vor. Als erstes informieren sie Menschen über die gemeinsamen Werte. Als zweites überzeugen sie Menschen davon, dass eine Zusammenarbeit mit der Partei im Rahmen des demokratischen Systems und auf Grundlage der gemeinsamen Werte

die gemeinsamen Anliegen voranbringen kann. Als drittes vereinen Parteien die so überzeugten Menschen unter einer gemeinsamen Flagge für die Teilnahme am politi-schen System. Im letzten Schritt versuchen die Parteien ihre organisierten Unterstützer dazu zu bewegen, poli-tisch aktiv zu werden (etwa an Wahlen teilzunehmen, zu spenden oder weitere Unterstützung zu gewinnen). Das Aufkommen des Internets hat, wenig überraschend, erhebliche Auswirkungen auf diesen Prozess gehabt.

In der Vergangenheit sind Parteien in einem Prozess entstanden, der hauptsächlich von oben nach unten verlief. Eine Kerngruppe von Anführern definierte auf der Grundlage der gemeinsamen Werte zunächst das strategi-sche und taktische Vorgehen. Danach kümmerte sich diese Kerngruppe darum, unter der gemeinsamen politischen Flagge andere Menschen zu informieren, zu überzeugen, zu organisieren und zu mobilisieren. Die wichtigsten Werk-zeuge für Information und Überzeugung waren landesweite Medien (z.B. elektronische oder Printmedien, entweder über redaktionelle Beiträge oder über bezahlte Anzeigen) und Mundpropaganda (z.B. Mitgliederwerbung von Haus zu Haus oder mit Broschüren). Auch bei Aktivitäten zur Organisierung und Mobilisierung bekam die lokale Ebene Vorgaben von der Kerngruppe an der Spitze der Partei-Pyramide. So wurden die finanziellen und strukturellen Ressourcen zur Organisierung der Partei-Einheiten vor Ort von der Führung gestellt. Noch dominanter war die Rolle der Parteispitze bei der Mobilisierung: Die hohen Kosten für Herstellung und Vertrieb von Werbematerial sowie die für eine Platzierung redaktioneller Beiträge nötigen Fertig-keiten und Kontakte sorgten dafür, dass sie den landes-weiten Auftritt der Partei fast komplett allein bestimmte. Mitglieder an der Basis konnten ihre politische Botschaft

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über Mundpropaganda oder lokale Medien verbreiten, aber ihre geografische Reichweite war begrenzt.

Das Internet hat, zusammen mit anderen preisgünstigen Produkten der Informationstechnologie wie internetfähigen Mobiltelefonen mit eingebauter Kamera, den gesamten Prozess des Aufbaus einer Partei weitgehend auf den Kopf gestellt. Heutzutage sind Menschen mit bestimmten Werten nur noch ein paar Mausklicks entfernt von anderen Menschen mit denselben Werten und Ansichten – sowohl von solchen, die sie schon kennen, als auch von noch Unbekannten und sowohl in unmittelbarer Nachbarschaft als auch in großer Entfernung. In der Welt von sozialen Netzen, Nachrichtenportalen, Blogs, Youtube und Twitter braucht es keine Kerngruppe mehr, die den Prozess der Information, Überzeugung und Organisierung von oben vorantreibt. Die niedrigen Kosten für weitere Technologien wie Videokameras, Laptops und Schnittsoftware haben zudem zusammen mit den Möglichkeiten des Internets zur Informationsverbreitung (wie Youtube) ein Umfeld geschaffen, in dem jeder nicht nur Gleichgesinnte finden, sondern auch zu politischer Betätigung motivieren kann. Obendrein sind der Reichweite von interessanten Informa-tionen in Zeiten des World Wide Web keine geografischen Grenzen mehr gesetzt.

Ein anschauliches Beispiel für die Fähigkeit des Internets, geografische politische Schranken zu überwinden und die politische Lage schnell zu verändern, liefert die Wahl zum US-Senat im Bundesstaat Virginia im Jahr 2006. Der Amtsinhaber George Allen strebte eine Wiederwahl an. Am 11. August 2006 benutzte er bei einer Wahlkampfver-anstaltung auf dem Land zweimal das beleidigende Wort „Makake‟ für eine Person aus dem gegnerischen Lager, die den Kandidaten mit einer Videokamera filmte. Innerhalb von Stunden war dieses Video auf Youtube zu finden, nach ein paar Tagen konnte man es in den Hauptnachrichten sehen. Am Wahltag unterlag Allen dem gegnerischen Kandidaten mit weniger als 10.000 Stimmen Rückstand. Zwei Jahre später analysierte die Washington Post die Auswirkungen seines Fehltritts und kam zu dem Schluss, dass Allen ohne die Äußerungen gute Aussichten gehabt hätte, als Kandidat der Republikaner für die Präsident-schaftswahl 2008 aufgestellt zu werden.

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Parteien und die von ihnen geführten Wahlkämpfe basieren auf vier Res-sourcen: Zeit, Geld, Menschen und Fähigkeiten. So wie Unternehmen mit begrenzten wirtschaftlichen Ressour-cen operieren, müssen Parteien mit begrenzten politischen Ressourcen auskommen.

Für Wahlkampf-Strategen und Parteiführer hat diese Ver- schiebung der Machtbalance weitreichende Auswirkungen:

▪ Es ist immer schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich geworden, Botschaften und ihre Darstellung komplett im Griff zu haben.

▪ Die Menge an politischen Informationen und die Zugriffs-möglichkeiten darauf haben sich exponentiell erhöht; dem steht aber keine entsprechende Erhöhung der Aufnahme- fähigkeit bei den Rezipienten gegenüber.

▪ Die Geschwindigkeit, mit der sich Informationen verbrei- ten und die Geschwindigkeit politischer Debatten haben sich exponentiell erhöht.

▪ Die neuen Möglichkeiten für Menschen mit gemeinsamen Werten, sich zu informieren und zu organisieren, bergen für politische Organisationen sowohl Chancen als auch Gefahren.

▪ Sobald eine Information im World Wide Web veröffent-licht wurde, bleibt sie für immer verfügbar.

Es besteht immer die Möglichkeit, dass ein – positiv oder negativ wirkendes – Dokument im Web auftaucht und deshalb für jeden Menschen mit Zugang zum Internet abrufbar ist: das Gleiche gilt für Taten und Ereignisse. Und

schließlich – dieser Punkt ist vielleicht am wichtigsten für Politikstrategen – versetzt das Internet Menschen in die Lage, außer-halb traditioneller politischer Strukturen selbst aktiv zu werden. Parteien müssen deshalb ihren Umgang mit unorganisierten politischen Aktivitäten überdenken.

POLITISCHE RESSOURCEN

Parteien und die von ihnen geführten Wahlkämpfe basieren auf vier Ressourcen: Zeit, Geld, Menschen und Fähigkeiten. So wie Unternehmen mit begrenzten wirt-schaftlichen Ressourcen operieren, müssen Parteien mit begrenzten politischen Ressourcen auskommen. Diese müssen zunächst erworben und dann auf die Verfolgung der einzelnen politischen Ziele aufgeteilt werden. Wie zu erwarten war, hat das Aufkommen des Internets das Erwerben und die Allokation von politischen Ressourcen ebenso fundamental verändert wie das Erwerben und die

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Parteien und die von ihnen geführten Wahlkämpfe basieren auf vier Res-sourcen: Zeit, Geld, Menschen und Fähigkeiten. So wie Unternehmen mit begrenzten wirtschaftlichen Ressour-cen operieren, müssen Parteien mit begrenzten politischen Ressourcen auskommen.

Allokation von Ressourcen in der gesamten Wirtschaft. Im Folgenden werden die einzelnen Typen von politischen Ressourcen und die durch das Internet ausgelösten Verän-derungen bei Erwerb und Allokation untersucht.

ZEIT

Parteien in demokratischen Gesellschaften arbeiten in einer Welt, in der Zeit eine immer knappere und eine unbegrenzte Ressource zugleich darstellt. Einerseits läuft die Zeit bis zum Wahltag unaufhaltsam ab – jede Stunde, die vergeht, ist eine Stunde weniger für das Einwerben von Geld, das Verbreiten von Botschaften und die Gewinnung von Wählern. Auf der anderen Seite sind erfolgreiche Parteien so angelegt, dass sie eine Wahl überdauern, auch wenn sie diese nicht gewinnen. Insofern können Parteien eine langfristige Pers-pektive für den Aufbau einer Anhängerschaft über mehrere Wahlen hinweg einnehmen.

Die Entwicklung des Internets in der Politik hat Auswir-kungen sowohl auf die kurzfristige als auch auf die lang-fristige Sicht. Das Internet ist so ausgelegt, dass sich Informationen darin in Lichtgeschwindigkeit bewegen. Es erlaubt Einzelnen und Gruppen, effizienter zu arbeiten, Informationen weiter zu verbreiten und schneller Mitstreiter zu mobilisieren.

Gute Beispiele für den Einfluss des Internets auf die politische Ressource Zeit lassen sich durch eine Untersu-chung der Abläufe beim Einwerben von Spenden finden. Vor dem Aufkommen des Webs stammte der Großteil der Finanzmittel für Parteien in den USA entweder aus großen Spenden, die bei Fundraising-Veranstaltungen einge-worben wurden, oder von kleinen Spendern, die norma-lerweise durch Briefe (oder Anrufe) gefunden wurden und der Partei einen Scheck schickten. In beiden Fällen war es sehr aufwendig, solche Spenden-Aktionen zu organisieren.

Für eine Fundraising-Veranstaltung musste die Partei eine Liste möglicher Spender mitsamt ihren Adressen zusammenstellen, einen Veranstaltungsort buchen, Einladungen entwerfen, adressieren und versenden, die

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Und schließlich versetzt das Internet Menschen in die Lage, außerhalb tradi-tioneller politischer Strukturen selbst aktiv zu werden. Parteien müssen deshalb ihren Umgang mit unorgani-sierten politischen Aktivitäten über-denken.

Veranstaltung vorbereiten und schließlich abhalten, um am Eingang Schecks entgegennehmen zu können. Bei Briefkampagnen musste sie eine Liste möglicher Spender zusammenstellen, einen Brief entwerfen, drucken, adres-sieren und versenden und dann mehrere Tage warten, bis er angekommen war. Die Empfänger mussten den Brief öffnen, ihn lesen, sich zu einer Spende entscheiden, das Scheckheft finden, den Scheck ausstellen, eine Briefmarke suchen und den Scheck in die Post geben. Die Partei musste dann noch auf die Auslieferung des Briefs warten, bevor sie ihn einlösen und auf ihrem Bankkonto gutschreiben lassen konnte.

Im Zeitalter des Internet ist dieser Prozess exponentiell schneller geworden. Wenn eine Partei heute Spenden einsammeln möchte, muss sie nur eine Liste von E-Mail-Adressen erstellen, eine E-Mail mit einem Link auf ihre Spendenseite verfassen und auf „senden‟ klicken. Fast im selben Moment bekommt der potenzielle Spender diese Nachricht, kann sich für eine Spende entscheiden, auf den Link zur Webseite klicken und mit ein paar Tastendrücken seine Spenden direkt auf das Konto der Partei einzahlen. Mit Hilfe des Internets kann eine Partei innerhalb von Stunden erledigen, was früher Tage oder Wochen gedauert hat.

Somit gibt das Internet Parteien also die Möglichkeit, Ressourcen schneller zu erwerben und aufzuteilen. Kurz-

fristig gesehen verschafft ihnen dieser Effi-zienzgewinn mehr Zeit dafür, sich weitere Ressourcen für die Verfolgung ihrer politi-schen Ziele zu verschaffen. Allerdings bringt das Internet zugleich erhebliche Probleme für Parteien, die eine langfristige Sichtweise über die nächsten Wahlen hinaus einnehmen: Über

das Netz können Menschen leicht Gleichgesinnte finden und sich eigenständig mit ihnen zusammenschließen – wenn bereits andere Organisationen denselben Werteraum besetzen, wird es für Parteien schwieriger, Menschen auf sich zu ziehen. Zudem steigert das hohe Tempo politischer Aktivitäten im Netz wie im Beispiel des Spendensammelns auch die Geschwindigkeit des politischen Wettbewerbs der Ideen. Das Internet kann also ein Werkzeug sein, das Parteien durch die Beschleunigung ihrer Arbeit mehr Zeit

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Das Internet kann also ein Werk-zeug sein, das Parteien durch die Beschleunigung ihrer Arbeit mehr Zeit verschafft. Aber gleichzeitig verkürzt es die Zeitspanne, die den Parteien bleibt, bevor ihnen andere mit eben-falls auf Werten basierenden Aktivi-täten direkt Konkurrenz machen.

verschafft. Aber gleichzeitig verkürzt es die Zeitspanne, die den Parteien bleibt, bevor ihnen andere mit ebenfalls auf Werten basierenden Aktivitäten direkt Konkurrenz machen.

GELD

„Geld ist die Muttermilch der Politik‟, lautet ein altes poli-tisches Sprichwort in den USA. Um ihre strategischen und taktischen Überlegungen in Taten umzusetzen, brauchen Parteien tatsächlich auch finanzielle Ressourcen. Wie erwähnt hat das Internet enorme Auswirkungen auf das Einwerben von Spenden gehabt. Aber seine Kraft liegt hier nicht nur darin, dass es schneller Geld auf das Parteikonto bringt: Ebenso wichtig ist für Politikstrategen und Partei-führer seine Reichweite und Bandbreite sowie die Tatsache, dass sich über das Internet wertebasierte Aufrufe organi-sieren lassen, sobald ein Ereignis einen passenden Anlass bietet.

Vor dem Beginn des Internet-Zeitalters musste das Einwerben von Parteispenden mit einer Kerngruppe von überzeugten Anhängern beginnen. Diese Leute, zumeist Parteimitglieder, wurden gebeten, selbst zu spenden und außerdem zu versuchen, andere Menschen mit den gleichen Werten aus ihrem Bekanntenkreis zu finden, die ebenfalls einen Beitrag leisten. Zwar kamen dafür unterschiedliche Methoden in Frage (etwa Werbung per Brief, Veranstal-tungen oder Finanzierung über Mitgliedsbeiträge). Immer aber war die Zielgruppe auf Leute begrenzt, die vorher als mögliche Spender identifiziert worden waren.

Auch in Zeiten des Internets werden Spenden höchst-wahrscheinlich von denjenigen Menschen kommen, die die Werte einer Partei teilen. Jedoch hat die Zielgruppe mögli-cher Spender eine enorme Erweiterung erfahren und geht jetzt weit über Personen hinaus, die direkte Verbindungen zu einer Partei oder einem ihrer Mitglieder haben. Heutzu-tage steht Parteien eine viel breitere Palette an Methoden zur Verfügung, über die sie Menschen finden können, die ihre Werte teilen und sich vielleicht dazu bringen lassen, politische Unterstützung in Form einer Spende zu leisten.

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Zu den von Parteien genutzten Online-Methoden gehören:

▪ Suchmaschinen-Marketing bei Menschen, die über ihre Web-Suchen Interesse für bestimmten Themen zeigen

▪ Anzeigenschaltungen auf Webseiten, die oft von Leuten besucht werden, die eine bestimmte Partei unterstützen

▪ Kontextbezogene Werbung, bei der die von Nutzern besuchten Webseiten aufgezeichnet werden, um auf Grundlage dieser Muster passende Werbung einzublenden

▪ Spendensammlung auf sozialen Netzen, bei denen Unter-stützer gebeten werden, ihre Freunde direkt zu Beiträgen zu ermuntern

▪ E-Mails mit Spendenaufrufen an gekaufte Listen von Adressen potenzieller Spender, E-Mails von Aktivisten an Personen in ihren Adressbüchern oder E-Mails der Partei an frühere Spender.

All diesen Methoden der Spendensammlung liegt dieselbe Strategie zugrunde: gemeinsame Werte zu betonen, um Menschen, die sich um den Fortbestand dieser Werte sorgen, dazu zu bringen, durch einen finanziellen Beitrag selbst aktiv zu werden. Also hat das Internet zwar definitiv die Methoden der Spendensammlung und ihre Geschwin-digkeit verändert, nicht aber die strategischen Vorausset-zungen. Auch in Zeiten des Internet liegt der Schlüssel zum Erfolg für politische Spendensammlungen darin, Menschen mit Hilfe von politischen Botschaften dazu zu bewegen, einen Beitrag (in diesem Fall eine Spende) zu leisten. Bei der Suche nach neuen und innovativen Wegen der Finanzierung sollten Politikstrategen und Parteiführer nicht vergessen, dass Erfolg beim Spendensammeln im Internet auf demselben Prinzip basiert wie bei der klassi-schen Methode: gemeinsame Werte herauszustellen.

MENSCHEN

Fundamental gesehen sind Parteien Gruppen von Menschen, die sich auf der Grundlage von gemeinsamen Werten zusammengeschlossen haben, um politisch tätig zu werden. Erfolgreiche Parteien und Wahlkämpfe brau-chen Menschen, die organisierte Arbeit leisten, um dem Ziel des Wahlsieges näher zu kommen. Offensichtlich ist es dabei so, dass es siegreichen Parteien besser gelungen ist als den unterlegenen, sich die Unterstützung von Leuten zu sichern und sie dazu zu bringen, aktiv zu werden

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Auch in Zeiten des Internet liegt der Schlüssel zum Erfolg für poli-tische Spendensammlungen darin, Menschen mit Hilfe von politischen Botschaften dazu zu bewegen, einen Beitrag zu leisten.

(insbesondere durch die Abgabe ihrer Stimme). Erfolg in der Politik bedeutet also, Strategien für das Gewinnen von Anhängern zu entwickeln und Taktiken zu verfolgen, mit denen sich die einzelnen Anhänger zu unterschiedlich intensivem Engagement bewegen lassen.

In der Vergangenheit haben Parteien dazu einerseits versucht, eigene Anhänger zu gewinnen, und andererseits mit Gruppen zusammenzuarbeiten, die auf ähnlichen Werten basieren. Vor Wahlen ging es dann darum, Menschen aus beiden Gruppen zu einer hinreichend großen Wählerschaft zu vereinen. In den USA zum Beispiel arbeitet die Demokratische Partei eng mit gewerkschaft-lichen Gruppen zusammen, deren Mitglieder für den Wahlkampf organisiert, mobilisiert und aktiviert werden sollen. Die Republikaner machen das Gleiche mit Wirtschaftsverbänden, u.a. mit Lobbygruppen für Schusswaffen und gegen Abtreibung. Auch diese Gruppen waren bislang, wie Parteien, normalerweise von oben nach unten organisiert und werden von gemeinsamen Werten zusammengehalten. Deshalb traf ihre nationale Führung die strategischen Entscheidungen und legte fest, wie den Mitgliedern erklärt werden sollte, welche Partei sie unter-stützen sollten.

Ein solcher strategischer Ansatz basiert auf der Vorstel-lung, dass Mitglieder einer Organisation bestimmte Werte gemeinsam haben und dass diese Werte auch darüber entscheiden, welche Partei die Mitglieder wählen. Das ist zwar höchstwahrscheinlich richtig, aber das Aufkommen des World Wide Web stellt derartige Vorgaben von oben in Frage: Heutzutage hat jeder Internet-Nutzer Zugriff auf fast unbegrenzt viele Informationen und kann sich selbständig mit anderen Menschen um die gemeinsamen Werte herum organisieren. Beides zusammen hat erheb-liche Auswirkungen auf Parteien, die versuchen, die politi-sche Ressource Mensch zu einem einheitlichen politischen Vorgehen zu organisieren.

Wer im Internet-Zeitalter erfolgreich Menschen für einen Wahlkampf gewinnen will, muss es schaffen, die Organisation von oben nach unten und von unten nach oben zugleich aufzubauen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist der Wahlkampf von Barack Obama im Jahr 2008.

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Wer im Internet-Zeitalter erfolgreich Menschen für einen Wahlkampf ge- winnen will, muss es schaffen, die Organisation von oben nach unten und von unten nach oben zugleich aufzu- bauen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist der Wahlkampf von Barack Obama im Jahr 2008.

Auf der Makroebene basierte die Wahlkampf-Botschaft auf der Idee „Wandel‟. Eine solche Darstellung legt nahe, dass der Kandidat für das Neue steht und das Alte ablehnt. Passend dazu traf das Obama-Team die strategische Entscheidung, die Botschaft zu vermitteln, dass sich die Anhänger über „neue Medien‟ (also das Internet) um einen Kandidaten mit neuen Ideen versammelten.

Die Obama-Anhänger organisierten sich also zum einen selbst über Web-Werkzeuge wie Facebook und die Webseite my.barackobama.com. Zugleich aber waren sie

dabei Teil der von der Wahlkampfführung vorgegebenen allgemeinen Darstellung und Botschaft. Außerdem hatte die Spitze zwar nicht die Kontrolle über die selbst orga-nisierten Aktivitäten einzelner Anhänger, lenkte sie aber trotzdem in die Richtung ihrer politischen Ziele, indem sie bestimmte Internet-Werkzeuge für die Organisation zur

Verfügung stellte. Obamas Team verdient Anerkennung dafür, dass es sowohl bei der Ermöglichung einer beispiel-losen Internet-basierten Organisationsleistung höchst erfolgreich war als auch bei der Darstellung, dass diese Leistung einen „Wandel‟ gegenüber der üblichen Politik darstellte.

Letztlich war die Idee, die Menschen vor Ort sich selbst organisieren zu lassen, weder neu noch neuartig – schon immer hatten Wahlkämpfe genau das zum Ziel. Das Einzig-artige an Obamas Wahlkampf war, dass er erfolgreicher als alles zuvor die Möglichkeiten des Internets nutzte, um Einfluss auf die Selbstorganisation zu nehmen und zugleich die Tatsache der Selbstorganisation zum Teil der Botschaft vom „Wandel‟ zu machen. Für Parteien, die Menschen für ihren Wahlkampf einsetzen wollen, kann das Internet ein enorm hilfreiches Werkzeug sein, wenn die individuelle Selbstorganisation sich im Rahmen einer Gesamtstra-tegie abspielt. Über gelungene Organisationsplattformen im Internet können Politikstrategen Menschen erreichen und organisieren, die sich früher höchstwahrscheinlich nie engagiert hätten. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, den Anhängern die nötigen Werkzeuge in die Hand zu geben, dies aber im Rahmen der Gesamtstrategie für den Wahl-kampf zu tun.

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Das Einzigartige an Obamas Wahl-kampf war, dass er erfolgreicher als alles zuvor die Möglichkeiten des Internets nutzte, um Einfluss auf die Selbstorganisation zu nehmen und zugleich die Tatsache der Selbstorga-nisation zum Teil der Botschaft vom „Wandel‟ zu machen.

FÄHIGKEITEN

Um ihre Strategien und Taktiken für den Wahlkampf umzu-setzen, brauchen Parteien als Ressource auch die Fähig-keiten von Menschen. Egal, ob diese Fähigkeiten für das Organisieren, für Kommunikation, Spendensammlung oder direkte Parteiarbeit eingesetzt werden: in jedem Fall sind auch sie eine begrenzte Ressource. Die Macht des Internets liegt hier darin, dass es höhere Effizienz ermöglicht und Informationen liefert, die sich für strategische Entschei-dungen und die Umsetzung taktischer Maßnahmen nutzen lassen.

Ein sehr gutes Beispiel dafür ist der Einsatz von Extranet-Werkzeugen. Ein Extranet ist eine in einem nicht öffentlich zugänglichen Bereich des Internets liegende Webseite zur internen Nutzung durch eine Organisation. Grundsätzlich erlaubt es ein Extranet, dass Informationen in mehrere Richtungen und durch die gesamte Organisation fließen, sowohl horizontal als auch vertikal. Für eine Partei oder ihr Wahlkampf-Team ist ein Extranet ein sehr hilfreiches Werkzeug, weil es Mitarbeitern auf allen Ebenen Zugriff auf Informationen gibt, die sie für ihre Aufgaben oder fundierte Entschei-dungen brauchen.

Illustrieren lässt sich der Nutzen des Internets für einen besseren Einsatz von Fähigkeiten etwa mit dem Fall einer Initiative zur Gewinnung neuer Mitglieder. Die Fähigkeiten der Beteiligten auf lokaler Ebene lassen sich dabei am besten nutzen, wenn jeder weiß, was die anderen tun und wen sie auf eine Mitgliedschaft ansprechen. Dies können die für die Initiative Verantwortlichen über Extranet-Werkzeuge sicherstellen: Wenn eine Person angespro-chen wurde, wird diese Information im Extranet festge-halten. Wenn dann ein anderes Parteimitglied vorhat, eine bestimmte Person anzusprechen, kann er oder sie im Extranet nachsehen, ob das auch schon andere versucht haben und welche Reaktion sie bekommen haben. Offen-sichtlich können solche Informationen entscheidend sein – nicht nur, um zu wissen, ob das Ansprechen angemessen wäre, sondern auch um zu erkennen, welches Vorgehen am meisten Erfolg verspricht.

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Die zentrale Herausforderung für Poli-tikstrategen und Parteien besteht bei jeder neuen Technologie darin, sie effektiv für die Erreichung ihres zen-tralen Ziels einzusetzen: mehr Stim-men zu bekommen als die Konkurrenz und so Wahlen zu gewinnen.

Zugleich können die Partei-Aktivisten vor Ort das Extranet nutzen, um wichtige Information nach oben weiterzugeben. Die nationale Parteiführung kann dann fundierte strategi-

sche Entscheidungen über die Kampagne treffen. Wenn die Gewinnung neuer Mitglieder zum Beispiel nur zäh läuft und Informati-onen zeigen, dass dies an einem Mangel an organisatorischen Ressourcen liegt, kann auf dieser Grundlage entschieden werden, dass entweder zusätzliche Ressourcen bereitge-

stellt werden oder dass die Kampagne an einen anderen Ort verlagert wird.

Letztlich erlaubt das Internet Parteien, durch Werkzeuge für das Verbreiten von Informationen und effizienteres Arbeiten das Maximum aus den ihnen zur Verfügung stehenden Fähigkeiten herauszuholen. Wie bei den anderen politischen Ressourcen liegt auch hier der Nutzen des Internets darin, dass Informationen in hoher Geschwindig-keit sowohl horizontal als auch vertikal fließen können.

DIE KRAFT DES INTERNETS NUTZEN

Die zentrale Herausforderung für Politikstrategen und Parteien besteht bei jeder neuen Technologie darin, sie effektiv für die Erreichung ihres zentralen Ziels einzu-setzen: mehr Stimmen zu bekommen als die Konkurrenz und so Wahlen zu gewinnen. Anders als frühere Techno-logien wie die Druckerpresse oder das Fernsehen ist das Internet jedoch in stetigem Wandel begriffen. Immer neue Software-Werkzeuge und Webangebote verändern und erweitern seine politischen Verwendungsmöglichkeiten. Zudem ist das Internet als Technologie insofern einzig-artig, als seine Anwendung im politischen Bereich so gut wie alle strategischen und taktischen Aspekte moderner Wahlkämpfe betrifft.

Eine Internet-Allzweckwaffe, mit der sich ohne weiteres alle Wahlen gewinnen lassen, gibt es nicht. Aber die folgenden zehn Gedanken über die Nutzung des Internets können für Politikstrategen und Parteiführer hilfreich sein:

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1. Das Internet vervielfältigt politische Ressourcen. Es lässt Parteien und Wahlkampfteams die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel effektiver, schneller, mit größerer Reichweite und billiger einsetzen.

2. Das Internet bietet eine sich immer weiter entwickelnde technische Plattform, mit der sich neue Werkzeuge für die Erreichung strategischer politischer Anliegen und Ziele schaffen und nutzen lassen. Für politischen Erfolg ist es entscheidend, nicht nur in der Vergangenheit bewährte Werkzeuge zu verwenden, sondern auch neue zu finden oder sogar selbst zu entwickeln.

3. Damit Internet-Werkzeuge effektiv sind, müssen Parteien bei ihrer Entwicklung ihre strategischen Ziele im Auge behalten. Außerdem müssen die Werkzeuge so ausgelegt sein, dass die mit der Erreichung der Ziele betrauten Personen sie tatsächlich nutzen.

4. Als politisches Werkzeug hat sich das Internet von einem reinen Kommunikationsmittel weiterentwickelt zu einem Bestandteil jedes Bereiches einer Partei oder Wahlkampagne. Online-Aktivitäten dürfen deshalb nicht als für sich stehender Teil verstanden werden, sondern müssen alle Aspekte Ihrer Arbeit verbinden und umfassend genutzt werden.

5. Die wichtigste Veränderung durch das Aufkommen des Internets als politisches Werkzeug dürfte weniger in seinen Auswirkungen auf Wahlkämpfe und die Inter-aktion mit Wählern liegen, sondern darin, wie es die interne Arbeitsweise von Parteien beeinflusst. Die Möglichkeiten des Internets zu nutzen, bedeutet Wege zu finden, wie es sich für eine Verbesserung der internen Parteiarbeit zur Erreichung externer Ziele nutzen lässt.

6. Die globale Reichweite und schnelle Informationsver-breitung im Internet erfordert, dass Parteien stets zu schnellen Reaktionen bereit sind.

7. Über das Internet können sich auch Einzelpersonen für politische Arbeit organisieren. Politikstrategen müssen deshalb ihre Wahlkämpfe nicht nur von oben nach unten gestalten, sondern auch von unten nach oben. Zugleich müssen sich Parteien darüber im Klaren sein,

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Die Möglichkeiten des Internets zu nutzen, bedeutet Wege zu finden, wie es sich für eine Verbesserung der internen Parteiarbeit zur Erreichung externer Ziele nutzen lässt.

dass andere Personen, Gruppen oder Parteien eine Wertlücke rasch füllen werden, wenn sie es nicht selbst tun.

8. Für einen erfolgreichen Einsatz des Internets für Parteien und Wahlkämpfe ist es entscheidend, neue Web-Technologien zu finden und zu nutzen. Sie sollten aber nicht vergessen, dass nicht der Kandidat oder die Partei mit den meisten Facebook-Freunden oder den meisten Twitter-Nachrichten die Wahl gewinnt, sondern derjenige mit den meisten Stimmen am Wahltag.

9. Das Internet bietet der Opposition eine ständige und äußerst schnelle Recherchemöglichkeit über alles, was eine Partei und ihre Kandidaten getan oder gesagt haben. Politiker und ihre Strategen müssen sich im Internet-Zeitalter darüber im Klaren sein, dass alles, was sie sagen oder tun, an die Öffentlichkeit gelangen und gegen sie verwendet werden kann.

10. Nur weil eine andere Partei oder ein anderer Kandidat bestimmte Internet-Werkzeuge oder -Taktiken einsetzt, muss das nicht auch für sie erfolgversprechend sein. Es mag verlockend erscheinen, alles zu versuchen, was der Gegner im Internet tut. Aber man sollte stets daran denken, dass Online-Aktivitäten kein Selbstzweck sind, sondern spezifischen politischen Zielen dienen sollten.

Insgesamt gesehen müssen Politikstrategen und Partei-führer erkennen, dass ihr taktischer Ansatz für Erfolg im Internet nicht darin bestehen sollte, anderswo erfolgreiche

Methoden zu übernehmen. Für jede Partei und jeden Wahlkampf gilt es ein individu-elles politisches Umfeld zu beachten. Um das Internet erfolgreich für den Aufbau einer Partei oder die Gewinnung von politischen Ressourcen zu nutzen, müssen Politikstra-

tegen deshalb erkennen, welche der über das Internet möglichen Methoden sich am besten für die Erreichung ihrer Ziele eignen. Tatsächlich hat das Internet für Parteiführer und Politikstrategen „alles verändert‟. Trotzdem aber ist der wichtigste Punkt in der Politik der gleiche geblieben: Um Wahlen zu gewinnen, brauchen Sie einen strategischen Plan, der sich taktisch so umsetzen lässt, dass Sie mehr Stimmen bekommen als Ihre Gegner.

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Stephan Malerius

Anders als in Westeuropa oder den meisten neuen EU-Mitgliedsstaaten wird die digitale politische Kommuni-kation in Weißrussland nicht im Kontext der Nutzung der spezifischen Möglichkeiten von Web 2.0 in der Kommu-nikation von Politikern mit den Bürgern oder im Zusam-menhang mit digitaler Demokratie diskutiert. Vielmehr gilt das Internet vor allem als ein Instrument, die Zensur in den klassischen Medien (Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen) zu umgehen. Denn ein traditioneller öffentlicher Raum, in dem die Menschen ihre politische Meinung frei äußern können, existiert in Weißrussland nicht. Die Verdrängung der politischen Kommunikation aus der Öffentlichkeit ist eines der „Rezepte‟, mit dem das System Lukaschenko sein über 15-jähriges Bestehen bislang erfolgreich zu sichern vermochte. Sie ist zudem einer der Gründe, weshalb die demokratische Opposition ein Nischendasein fristet und von der Bevölkerung kaum wahrgenommen wird. Der einzige bislang weitestgehend nicht kontrollierte öffentliche Raum ist das Internet. Deshalb kommt der geschickten Nutzung der digitalen Medien durchaus das Potenzial zu, zur Triebfeder eines demokratischen Wandels im Land zu werden. Voraussetzung wäre jedoch, dass die Opposition ihren „kommunikativen Konservatismus‟ ablegt und beginnt, koordinierte Strategien für Online-Aktivitäten zu entwickeln, die in eine intelligente Politikplanung inkor-poriert sind.

Stephan Malerius ist Auslandsmitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Weißruss-land.

POLITIK AUS DER NISCHE DIE DIGITALE POLITISCHE KOMMUNIKATION ALS INFORMATIONSQUELLE UND AUSTAUSCHFORUM FÜR DIE OPPOSITION IN WEISSRUSSLAND

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Der einzige bislang weitestgehend nicht kontrollierte öffentliche Raum ist das Internet. Deshalb kommt der geschickten Nutzung der digitalen Medien durchaus das Potenzial zu, zur Triebfeder eines demokratischen Wandels im Land zu werden.

DIE KONTROLLE DES ÖFFENTLICHEN RAUMES IN WEISSRUSSLAND ODER: DIE VERBANNUNG DER POLITISCHEN KOMMUNIKATION

Ein bemerkenswertes Phänomen der Regierung Luka-schenkos ist es, dass das repressive System im Land von außen nicht auf Anhieb als ein solches zu erkennen ist. Es gibt keine regelmäßigen Morde an kritischen Journalisten oder Menschenrechtlern. Seit Ende 2008 gibt es keine international anerkannten politischen Gefangenen mehr

und auch von Massenprotesten gegen eine autoritäre und/oder korrupte Regierung wird nicht berichtet. Wer als Tourist, aber auch als politischer Beobachter nach Minsk kommt, hat auf den ersten Blick nicht den Eindruck, sich in einem autoritär geführten Staat zu befinden. Im Gespräch mit den Menschen

wird schnell deutlich: Wer darauf verzichtet, sich politisch oder zivilgesellschaftlich zu engagieren oder eine kritische politische Meinung öffentlich zu äußern, der kann in Weiß-russland ruhig und unbehelligt leben. Beim zweiten Blick wird jedoch schnell deutlich, dass die Bedingung für die öffentliche Ruhe der weitgehende Ausschluss des Politi-schen aus dem öffentlichen Diskurs ist. Ähnlich wie in der Sowjetunion unter Breschnew in den siebziger Jahren, als die Küche der wichtigste Ort der politischen Kommunika-tion im Land war, wird heute in Weißrussland fast nur privat über Politik diskutiert, da lediglich die Privatsphäre im Land nicht vollkommen reguliert ist und der Bürger hier noch das Recht hat, außerhalb des vom Staat verordneten ideo-logischen Rahmens zu leben. Pavel Usov schreibt in einer Betrachtung der sozialen Beziehungen in Weißrussland: „Selbstverständlich endet jede ‚individuelle Freiheit‘ dort, wo die öffentliche/politische Aktivität beginnt. Jede Person, die an öffentlichen Aktionen teilnimmt, die den Interessen der Machthaber zuwiderlaufen, wird augenblicklich unter strenge Aufsicht genommen und erfährt den umfassenden politischen Druck des Systems.‟1

1 | Pavel Usov, „Political and Social Structures in the System of Political Control in Belarus‟, in: Bell (BelarusInfo Letter), 3 (13) 2010, S. 3, http://www.eesc.lt/public_files/file_ 1270650236.pdf [14.04.2010].

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Ein bemerkenswertes Phänomen der Regierung Lukaschenkos ist es, dass das repressive System im Land von außen nicht auf Anhieb als ein solches zu erkennen ist. Es gibt keine regel-mäßigen Morde an kritischen Journa-listen oder Menschenrechtlern.

Politik wird in Weißrussland vertikal verordnet, über Politik wird nicht diskutiert. Politische Kommunikation in einem klassischen Verständnis als a) Kommunikation politischer Akteure zur Erreichung spezifischer Ziele oder b) Kommu-nikation über Politik und politische Akteure ist in Belarus aus dem öffentlichen Raum (der Straße, den klassischen Medien) verbannt. Wenn z.B. drei Menschenrechtler im Zentrum von Minsk in der Nähe der Präsidialadministra-tion gegen die im März 2010 erfolgte Vollstreckung von Todesurteilen protestieren, werden sie umgehend von Geheimdienst oder Polizei abgeführt. Als die Zeitschrift Arche über die Manipulation der letzten Parlamentswahlen in Belarus im Herbst 2008 berichtete, leitete der Geheimdienst ein Verfahren gegen sie wegen Verbreitung extremistischer Inhalte ein. Die Verbannung der politischen Diskus-sion aus der Öffentlichkeit ist juristisch sanktioniert und gründet auf einer weitreichenden Rechtswillkür im Land. Die drei Menschenrechtler wurden nach Artikel 23 und 34 des Ordnungswidrigkeitsgesetzes („Verstoß gegen Rege-lungen von Massenveranstaltungen‟) zu einer Geldstrafe von umgerechnet vier Euro verurteilt. Und ein Gericht befand die Arche im Frühjahr 2009 für schuldig, gegen den sog. Extremismus-Paragraphen verstoßen zu haben, und ordnete die Vernichtung der konfiszierten Ausgabe 7/8 (2008) der Zeitschrift an.2 Die beiden Beispiele stehen pars pro toto für ein ausgefeiltes System der Kontrolle der politi-schen Kommunikation in Weißrussland: Jedwede Äußerung einer unabhängigen kritischen politischen Meinung in der Öffentlichkeit oder den Medien kann, wenn es die Macht-haber für geboten erachten, unterbunden werden, und für jede repressive Maßnahme gibt es auch den passenden Paragraphen im Straf- oder bürgerlichen Gesetzbuch. Im Zweifelsfall oder bei besonderen Anlässen entscheidet der Präsident. Die absolute, zugleich aber nirgendwo fixierte Kontrolle von Lukaschenko über die Justiz ist der vielleicht wichtigste Pfeiler des repressiven Systems.

2 | Dem 2007 ratifizierten Gesetz zur Bekämpfung des Extremis- mus zufolge können alle Organisationen, denen zur Last gelegt wird, für einen gewaltsamen Umsturz der verfassungs- mäßigen Ordnung oder terroristische Aktivitäten einzutreten oder nationalen oder rassistischen Hass zu schüren, aufgelöst werden (Artikel 14).

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Politik wird in Weißrussland vertikal verordnet, über Politik wird nicht diskutiert. [...] Die Verbannung der politischen Diskussion aus der Öffent-lichkeit ist juristisch sanktioniert und gründet auf einer weitreichenden Rechtswillkür im Land.

POLITISCHE KOMMUNIKATION VERSCHLÜSSELT: DIE DEMOKRATISCHE OPPOSITION IN DER NISCHE

Eine weitere Besonderheit des politischen Systems in Weißrussland – einzigartig in Europa wie auch im gesamten postsowjetischen Raum – ist die vollständige Abwesenheit von politischen Parteien in den quasi-demokratischen Institutionen auf lokaler (den sog. Räten) oder nationaler

Ebene (dem Parlament). Damit fehlt im Land einer der zentralen Akteure der politischen Kommunikation. Vor dem Hintergrund des Anspruches, wie eine normale europäische Demokratie3 wirken zu wollen, gestehen selbst offizielle Vertreter in informellen Gesprächen ein, dass dieser Umstand zumin-

dest ungewöhnlich ist. Die Nicht-Existenz von Parteien in den politischen Institutionen hat weitreichende Folgen für die politische Kommunikation im Land: Im gesamten Repräsentantenhaus (Parlament) in Minsk gibt es keinen Abgeordneten, der eine bestimmte – konservative, sozial-demokratische, liberale, christliche etc. – politische Posi-tion repräsentiert. Politiker in Belarus sind keine öffent-lichen Personen, sondern werden vornehmlich in Bezug auf ihre Nähe bzw. Loyalität zum Präsidenten und seiner Umgebung beurteilt. Da die gesamte Regierung bis in das zweite Glied (stellvertretende Minister) sowie die regio-nalen Verwaltungschefs (Gouverneure) vom Präsidenten ernannt und auch die systemkonformen Abgeordneten des Repräsentantenhauses vor den Parlamentswahlen ganz offensichtlich sorgfältig ausgewählt und dann bei manipulierten Wahlen nur noch scheindemokratisch legiti-miert werden, besteht für sie keine Notwendigkeit, um die Unterstützung von Wählerinnen und Wählern zu werben oder Rechenschaft vor diesen abzulegen. Einmal gewählt –

3 | Vgl. hierzu die Äußerung Lukaschenkos in einem Interview mit der österreichischen Zeitung Presse am Sonntag am 12.07.2008: „Das wichtigste aber für die Vorwärtsbewegung ist, dass keine Bedingungen oder Forderungen gestellt werden, dass wir unser Land demokratisieren. Was sollen wir denn demokratisieren? Was ist dieser Standard für die Demokratisierung? Jedes Land hat seinen Standard. Und ich sehe keinen so großen Unterschied zwischen der Demokratie in Weißrussland und der in Europa. Haben Sie etwa das Gefühl, dass hier bei uns alle zittern, wie das in Euren Medien oft geschrieben wird? Bei uns lebt man ruhiger als in jedem europäischen Land.‟ Zitiert nach http://diepresse.com/home/ politik/aussenpolitik/494312/index.do [14.04.2010].

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Gleichzeitig hat die Verbannung der politischen Kommunikation aus dem öffentlichen Raum zur Folge, dass auch die Bürgerinnen und Bürger nur sehr selten in der Lage sind sich zusam-menzuschließen, um ihre Interessen gegenüber der Regierung und den Behörden zu formulieren und gemein-sam zu verteidigen.

oder besser: ernannt –, haben die Abgeordneten das oben erwähnte ungeschriebene Gesetz schnell verinnerlicht: Jede unabhängige Meinung, die öffentlich geäußert wird, kann gefährlich sein für die „politische‟ Karriere.

De jure existieren politische Parteien in Belarus als außerparlamentarische Opposition. Hier ist zwar das traditionelle politische Spektrum durchaus repräsentativ abgebildet – von der national-konservativen Belarussischen Volksfront über die liberale Vereinigte Bürger- partei bis zu den pro-demokratischen Post-Kommunisten. Doch sind die Strukturen dieser Parteien derart schwach, dass Analytiker eher von politischen Klubs als von Parteien sprechen. Daneben gibt es quasi-politische Bürgerbewegungen wie die Bewegung für die Freiheit von Oppositionsführer Alexander Milinkie-witsch. Das Problem all dieser politischen oder politisch-zivilgesellschaftlichen Gruppierungen besteht in ihrer fehlenden Bindung an die Bevölkerung. Eine politische Kommunikation zwischen der demokratischen Opposition und den Menschen im Land existiert praktisch nicht. Anders als etwa in Polen in den frühen achtziger Jahren oder Litauen in den späten achtziger Jahren, wo nationale Bewegungen wie Solidarność oder Sąjūdis den demokratischen Wandel einleiteten, ist es in Belarus keiner außerparlamentari-schen Gruppierung in den letzten zehn Jahren gelungen, einen nennenswerten Bekanntheitsgrad, geschweige denn Rückhalt in der Bevölkerung zu erlangen. Die Vertreter der demokratischen Opposition agieren in gesellschaftlichen Nischen, in denen sie auch untereinander kaum koordiniert sind. Konspirative Arbeitsbedingungen, chiffrierte Kommu-nikation und die beständige Sorge, abgehört zu werden, lassen sie wie Dissidenten, nicht wie öffentliche Politiker agieren. Eine „normale‟ Kommunikation mit der Bevöl-kerung ist nicht möglich. Diese Isolation führt zu einem Fehlen von Legitimität sowie zur Unfähigkeit, politische Prozesse im Land zu beeinflussen.

Gleichzeitig hat die Verbannung der politischen Kommuni-kation aus dem öffentlichen Raum zur Folge, dass auch die Bürgerinnen und Bürger nur sehr selten in der Lage sind sich zusammenzuschließen, um ihre Interessen gegenüber

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Die Verweigerung des Dialogs war eine weitere Methode des Regimes, die demokratische Opposition im Land in eine kommunikative und damit auch gesellschaftliche Nische zu drängen.

der Regierung und den Behörden zu formulieren und gemeinsam zu verteidigen. Im Jahr 2009 schrieb die EU ein Programm für Belarus mit dem Titel „Nicht-staatliche Akteure und lokale Verwaltung‟ aus, in dem es um die Stärkung der klassischen Funktionen politischer Kommu-nikation ging. Wichtige Aspekte waren hierbei die Förde-rung der gleichberechtigten Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Akteure am politischen Dialog und eine Partnerschaft im Prozess der Politikformulierung. Zudem sollten die Bürger ermutigt werden, sich an Diskussionen und Entscheidungsprozessen auf lokaler Ebene zu betei-ligen.4 Dass der Schwerpunkt eines EU-Programms für Belarus auf der Stärkung eines politischen Dialogs im Land lag, unterstreicht, wie weit Belarus hier noch von europä-ischen Standards entfernt ist. Zugleich macht es deutlich, dass eine freie politische Kommunikation und Demokratie im europäischen Verständnis zusammengehören.

Die rigide Kontrolle des öffentlichen Raumes hat bei vielen Menschen Weißrusslands in den letzten 15 Jahren zu einer Reaktivierung sowjetischer Verhaltensmuster geführt: der

Schere im Kopf, der Angst sich zu bekennen (etwa Unterschriften für Parteien oder Kandi-daten vor Wahlen zu leisten), bis hin zur Ermahnung von Eltern an die Kinder, in der Schule nichts von den politischen Gesprä-chen am Küchentisch zu erzählen. Zensur

und Überwachung im Land haben eine Deformierung der Kommunikationskanäle zur Folge. Bestes Beispiel hierfür ist die Popularität von Skype in Belarus. Skype ist eine unentgeltlich erhältliche Software, die kostenloses Telefo-nieren über das Internet, „Instant-Messaging‟ (Chatten) sowie die Dateiübertragung ermöglicht. Während in West- und Mitteleuropa Skype vor allem als Programm geschätzt

4 | Vgl. Non-State Actors and Local Authorities in Development (NSA&LA) Belarus; Guidelines for grant applicants; Budget lines 21.03.01 and 21.03.02; Reference: EuropeAid/127989/ L/ACT/BY: „The specific objectives of this Call for Proposals are: Facilitation of equal participation of non-state actors and local authorities in policy dialogue and partnership in policy formulation processes. Capacity-building of non-state actors to represent their target groups. Strengthening citizens’ capacity to engage in discussion and decision- making process at local level through awareness-raising, advocacy and development of campaigns‟, S. 5, http://ec.europa.eu/europeaid/tender/data/d84/ AOF82084.pdf [14.04.2010].

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Ein wichtiger Grund für den geringen Bekanntheitsgrad und das Nischenda-sein der demokratischen Opposition in Belarus ist das Fehlen einer unab-hängigen Presse.

wird, mit dessen Hilfe die gerade bei internationalen Gesprächen immer noch erheblichen Telefonkosten gesenkt werden können, sieht man in Belarus den Vorteil von Skype hauptsächlich in der Möglichkeit der abhörsicheren Kommunikation. Nachrichten über Skype werden in einem Verfahren von Nutzer zu Nutzer weitergeleitet, das die Daten selbst dann unbrauchbar macht, wenn es jemandem gelingen sollte, ein Gespräch abzufangen, da der Datenverkehr zwischen den Anwen-dern nach hohen Sicherheitsstandards verschlüsselt ist. Deshalb werden sensible Gespräche in Belarus nicht über das Festnetz oder das Mobiltelefon geführt und vertrau-liche Informationen nicht via E-Mail übermittelt, vielmehr kommuniziert die gesamte demokratische Opposition in Belarus untereinander und zumeist auch mit den internati-onalen Partnern fast ausschließlich über Skype.

Ein weiteres Beispiel für die Deformierung der politischen Kommunikation in Belarus war lange Zeit die vollständige Abwesenheit eines öffentlichen Dialogs zwischen den beiden meinungsführenden Gruppen im Land, den Vertretern des Systems (der präsidialen Vertikale) und den unabhän-gigen Experten bzw. führenden demokratischen Politikern. Immer wieder haben in der Vergangenheit die wenigen in Belarus verbliebenen internationalen Institutionen wie EU, OSZE oder ausländische diplomatische Vertretungen versucht, im Rahmen von Konferenzen, Runden Tischen oder Fachgesprächen einen milieuübergreifenden Diskurs – und damit auch eine öffentliche politische Kommunika-tion – anzustoßen. In der Regel waren und sind die demo-kratischen Vertreter auch zur politischen Diskussion mit der staatlichen Seite bereit. Doch regelmäßig erschienen die eingeladenen Regierungsvertreter zu den Veranstal-tungen nicht und gaben somit zu verstehen, dass sie die Opposition nicht als Gesprächspartner akzeptieren. Die Verweigerung des Dialogs war eine weitere Methode des Regimes, die demokratische Opposition im Land in eine kommunikative und damit auch gesellschaftliche Nische zu drängen. Die Situation änderte sich erst Ende 2008 und auch nur als Ergebnis einer Annäherung zwischen Belarus und der EU, die immer wieder signalisierte, dass für sie die demokratische Opposition in Belarus durchaus ein gleich-berechtigter Gesprächspartner sei. Nun begannen auch im

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Nach Angaben von Gemius, einem analytischen Zentrum, das sich auf die Untersuchung von Internet-Märkten in Mittel- und Osteuropa spezialisiert hat, betrug im Februar 2010 die Zahl der Internetnutzer in Belarus 3.047.939 Personen, die 316.527.019 Websites besuchten und insgesamt 706.717 Stunden im Internet ver-brachten.

Land selbst offizielle Vertreter, vorsichtig an den internati-onal vermittelten und zumeist von unabhängigen Experten initiierten öffentlichen Foren teilzunehmen, und Anfang 2009 wurde auf Initiative der Präsidialadministration sogar ein regelmäßig tagender sog. gesellschaftlicher Konsulta-tivrat ins Leben gerufen, zu dem neben staatlichen Funk-tionsträgern auch ausgewählte Vertreter der demokrati-schen Opposition eingeladen wurden. Seit dem Jahr 2009 werden in diesem milieuübergreifenden Gremium Themen wie die belarussische Wirtschaft in der Finanzkrise, die Abschaffung der Todesstrafe oder die Änderungen in der Wahlgesetzgebung diskutiert.

DIGITALE POLITISCHE KOMMUNIKATION: ONLINE MEDIEN UND DIE BEDEUTUNG DES INTERNETS IN WEISSRUSSLAND

Ein wichtiger Grund für den geringen Bekanntheitsgrad und das Nischendasein der demokratischen Opposition in Belarus ist das Fehlen einer unabhängigen Presse: Die elektronischen Medien sind vollständig unter staatlicher Kontrolle und werden erfolgreich als Propagandainstru-mente gegen die Opposition eingesetzt. Der einzige unab-

hängige Fernsehsender Belsat wird, genauso wie zwei Radiostationen, von Polen aus betrieben und ist bislang nicht in der Lage, breite Bevölkerungsschichten anzuspre-chen. Zwar existieren etwa 30 unabhängige Zeitungen, zumeist aber in einer Auflage von wenigen hundert Exemplaren wöchent-lich. Mit zwei Ausnahmen sind sie außerdem vom staatlichen Verteilungssystem ausge-

schlossen, über das sie abonniert oder an Kiosken verkauft werden können. Wirtschaftliche Diskriminierung ist die wirksamste und raffinierteste – weil von außen bzw. international nur schwer erkennbare – Einschränkung der Pressefreiheit in Belarus. Unternehmen ist es unter-sagt, Anzeigen in unabhängigen Zeitungen zu schalten, wenn sie keine Probleme mit dem Geheimdienst oder der Steuerpolizei bekommen wollen. Zudem setzt das Minis-terium für Information das Recht zur Registrierung und Verwarnung von Zeitungen aktiv als ein Instrument gegen mediale Kritik an der Regierung oder am Präsidenten ein. Zwei Verwarnungen im Jahr reichen aus, um eine Zeitung

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zu schließen, bei einer Verwarnung kann das Erscheinen einer Zeitung ausgesetzt werden. In der Konsequenz hat die überwiegende Anzahl der nicht staatlichen Zeitungen in Belarus entweder den Charakter von Anzeigenblättern oder beschränkt sich redaktionell auf gänzlich unpolitische Unterhaltung. Vor diesem Hintergrund hat das Internet als Quelle für unzensierte Informationen sowie als ein alterna-tiver öffentlicher Raum der politischen Kommunikation für viele Belarussen in den letzten Jahren rasant an Bedeutung gewonnen. Quantitativ hat sich laut des Internet World Stats die Anzahl der Internet-Nutzer in Belarus von 2000 bis 2007 um das 15-Fache erhöht.5

Jahr Nutzer Bevölkerung Prozent der Bevölkerung

2000 180.000 10.073.600 1,8

2003 1.391.900 9.755.025 14,3

2005 2.461.000 9.714.257 25,3

2007 2.809.800 9.678.864 29,0

Quelle: ITU

Nach Angaben von Gemius, einem analytischen Zentrum, das sich auf die Untersuchung von Internet-Märkten in Mittel- und Osteuropa spezialisiert hat, betrug im Februar 2010 die Zahl der Internetnutzer in Belarus 3.047.939 Personen, die 316.527.019 Websites besuchten und insgesamt 706.717 Stunden im Internet verbrachten.6 Der rasante Anstieg der Nutzerzahlen erklärt sich auch dadurch, dass das Internet in den letzten Jahren für viele Belarussen bezahlbar geworden ist. Obwohl die Kosten für einen Internetzugang in Belarus immer noch um das 4,5-Fache über denen etwa in der Ukraine liegen, gab es einen eindeutigen Trend in der Preisentwicklung: In den

5 | Vgl. http://www.internetworldstats.com/euro/by.htm [14.04.2010]. Als Quelle wird auf ITU, International Telecommunication Union, eine führende UN-Agentur für Informations- und Kommunikationstechnologie verwiesen. Die Angaben über die Nutzerzahlen von 2007 sind auf der zitierten Webseite allerdings falsch angegeben und wurden durch das belarussische Kommunikationsministerium korrigiert. Vgl.: http://providers.by/2009/09/news/ ministerstvo-svyazi-isportilo-statistiku [14.04.2010].6 | Vgl. Mikhail Doroshevich, Internet in Belarus, Februar 2010, http://www.e-belarus.org/news/201004051.html [14.04.2010].

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letzten fünf Jahren haben sich die Kosten für einen Inter-netzugang insgesamt um das 30-Fache verringert (von 612 US-Dollar für einen unlimitierten Zugang zum Internet mit der Geschwindigkeit von 256 Kbyte pro Sekunde im Jahr 2004 auf 22 US-Dollar Ende 2009). Ende 2009 besaßen von 100 Familien 62 einen Computer zu Hause, 500.000 Menschen hatten einen Breitband-Internetzugang abonniert, 43.000 Personen nutzten einen Wi-Fi-Zugang, landesweit gab es 640 Hot Spots. Ein weiteres wichtiges Ereignis war 2009 die kommerzielle Nutzung der 3G-Tech-nologie, die zu einer deutlichen Verringerung der Gebühren für einen mobilen Internetzugang führte. Die Popularität von Internetcafes hat dementsprechend abgenommen, da die meisten Menschen das Internet entweder von zu Hause, während der Arbeit oder mobil nutzen. Die BBC wertet in einer Studie vom Herbst 2009 die Verbreitung des Internets als „eine der höchsten in der Region‟ mit Webseiten, die bis zu 10.000 individuelle Besucher täglich aufweisen und einer sehr gut entwickelten Bloggergemein-schaft mit über 20.000 Blogs, die in der populärsten Platt-form LiveJournal registriert sind.7

Als virtueller Ort der politischen Kommunikation erfüllt das Internet in Belarus unter den beschriebenen Rahmenbe-dingungen andere Aufgaben als in Deutschland oder etwa Polen. Es geht hier vor allem darum, Zensur und kommu-nikative Blockade des autoritären Systems zu umgehen, die Kosten für die Kommunikation mit den Lesern, Nutzern oder Anhängern zu senken und die öffentlichen Räume zu erweitern. Gerade unter autoritären Bedingungen wie in Belarus – das zeigen Erfahrungen aus Iran, Ägypten oder China – kann das Potenzial des Internets kaum über-schätzt werden: Die digitale politische Kommunikation vermag neue öffentliche Räume dort zu erschließen, wo eine freie politische Kommunikation nicht mehr möglich ist. Um es jedoch als ein alternatives Kommunikations-instrument effektiv zu nutzen, müsste das Internet – sowohl von den unabhängigen Medien als auch von den demokratischen Akteuren – nicht als ein Massenmedium im klassischen Sinne verstanden werden, sondern als „ein Raum für digitale Gespräche, an denen jedermann

7 | Michael Randell, Opportunities for Supporting the Development of the Media in Belarus. A Report Compiled for the British Embassy in Minsk (London: o.J.), S. 9.

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teilnehmen kann – und zwar unabhängig von Zeit und Raum.‟8 Dieses Verständnis ist in Belarus noch nicht weit verbreitet. Eine 2007 veröffentlichte Studie untersuchte 21 der populärsten Webseiten in Belarus, darunter zehn Online-Versionen von Printmedien, zehn Online-Nachrich-tenseiten und den Online-Service eines Radiosenders. In der Analyse wurde danach gefragt, ob die Seiten Inhalte integrierten, die von den Nutzern bzw. Besuchern gene-riert werden („user generated content‟), sowie welche Web 2.0-Merkmale charakteristisch für den weißrussischen Online-Journalismus sind. Das Ergebnis zeigte, dass die untersuchten Seiten zwar mit einigen Formen der Inter-aktivität bzw. der aktiven Kommunikation mit den Lesern/ Nutzern experimentierten, dass sich aber die Mehrzahl der Medien immer noch an traditionellen journalistischen Techniken orientierte und vorwiegend auf die reine Über-mittlung von Nachrichten beschränkte.

Abbildung Nr. 1Verwendung von Web 2.0-Merkmalen durch die 21 populärsten Online-Medien in Weißrussland

Quelle: e-belarus, Belarusian Online Journalism: „Citizens’ Generated Content and Web 2.0. A survey of 21 most popular Belarusian web-sites‟, http://www.e-belarus.org/article/onlinejournalism2007.html [14.04.2010].

8 | Arne Klempert, „Wie das Internet die Massenmedien verändert‟, in: Die Politische Meinung, 484, (2010) 3, S. 42.

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Als virtueller Ort der politischen Kommunikation erfüllt das Internet in Belarus unter den beschriebenen Rahmenbedingungen andere Aufga-ben als in Deutschland oder etwa Polen. Es geht hier vor allem darum, Zensur und kommunikative Blockade des autoritären Systems zu umgehen, die Kosten für die Kommunikation mit den Lesern, Nutzern oder Anhängern zu senken und die öffentlichen Räume zu erweitern.

Die Studie kritisierte die fehlende Vernetzung, mangelnde Interaktivität und die Konzentration auf eine lineare Verbreitung von Informationen bei den meisten der unter-suchten Seiten. Zahlreiche internationale Programme und Fortbildungen für Journalisten haben in den letzten Jahren

versucht, diese Defizite gezielt anzugehen und die Online-Medien in Weißrussland zu einem alternativen Ort der politischen Kommunikation auszubauen. So wurden beispielsweise im Sommer 2008 im Rahmen eines EU-Programms zur Unterstützung von unabhängigen Medien in Weißrussland zwei Trainings für Online-Journalisten u.a. zum Thema Web 2.0 organisiert, bei denen die grundlegenden Unterschiede zwischen Print- und Online-Journalismus, Blogging und sozi-

alen Netzwerke für Journalisten oder Audio-Podcasting und Live-Videocasting behandelt wurden. Ähnliche Fortbil-dungen für Journalisten in Belarus boten 2009 die Deut-sche Welle-Akademie und die Konrad-Adenauer-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk in Minsk an.

KONTROLLE ODER VERBLEIBENDER FREIRAUM?LUKASCHENKOS INTERNET-ERLASS NR. 60

Angesichts der Straßenproteste nach den Präsidentschafts-wahlen im Iran im Jahr 2009 oder des aktuellen Konfliktes zwischen Google und der chinesischen Führung stellt sich die Frage, ob das Regime in Belarus eine staatliche Kont-rolle des Internets praktiziert oder zumindest intendiert. Iryna Vidanava, Chefredakteurin der Multimedia-Zeit-schrift 34, meint, dass viele unabhängige Akteure es in den letzten Jahren gelernt hätten, der staatlichen Kontrolle immer einen Schritt voraus zu sein. Als das Internet in Weißrussland begann, habe das Regime es nicht als Bedro-hung ernst genommen. Immerhin besaß man die Kontrolle über sämtliche Fernsehkanäle und das schien ausreichend. Als sich die ersten Online-Gruppen als Organisationen registrieren lassen wollten, wurde dies von staatlicher Seite nicht verhindert. Als später die Macht des Internets offensichtlich wurde, wusste die Regierung zunächst nicht,

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Angesichts der Straßenproteste nach den Präsidentschaftswahlen im Iran im Jahr 2009 oder des aktuellen Kon-fliktes zwischen Google und der chine-sischen Führung stellt sich die Frage, ob das Regime in Belarus eine staatli-che Kontrolle des Internets praktiziert oder zumindest intendiert.

wie sie darauf reagieren sollte.9 In den letzten Monaten sind immer wieder belarussische und chinesische Delegati-onen zusammengetroffen und haben Erfahrungen darüber ausgetauscht, wie das Internet effektiv zu überwachen sei. Mittlerweile scheint die Führung in Minsk ein Konzept entwickelt zu haben: Anfang Februar 2010 unterschrieb Lukaschenko den Erlass Nr. 60 „Über Maßnahmen zur Verbesserung des Betriebs des nationalen Segmentes des Internets‟, der am 01. Juli 2010 in Kraft treten soll. Internationale Organisationen wie Reporter ohne Grenzen kritisierten den Erlass, und Lukaschenko wurde nach einem eingeübten Ritual von Regimekritikern zum Feind des Internets erklärt. Doch scheint der internationale Aufschrei voreilig. Zunächst ist festzuhalten, dass das Funktionieren und die Nutzung des Internets in der bela-russischen Gesetzgebung bislang kaum geregelt sind. Der Erlass Nr. 60 ist der Versuch einer systematischen Regu-lierung von Tatsachen wie dem Internethandel. Er setzt Standards für die Webseiten staatlicher Institutionen fest und enthält mehrere Klauseln zum Schutz von Copyright und gegen Internetpiraterie. Einige Experten sind durch den Umstand alarmiert, dass zukünftig in Internetcafes die Nutzung des Internets erst nach Vorlage des Passes und Speicherung der Personendaten erfolgen soll. Auch ein anonymer Zugang über das Mobilfunknetz ist nicht möglich, da der Erwerb einer SIM-Karte ebenfalls an die Vorlage eines Passes und die Registrierung in Belarus gebunden ist. Zudem sollen Daten über das Nutzerverhalten aufgezeichnet und Internetprovider angehalten werden, auf Anweisung der staatlichen Behörden den Zugang von Nutzern innerhalb von 24 Stunden zu sperren, sollten diese gegen Gesetze verstoßen. In der Tat hat es im Vorfeld der letzten Präsi-dentschaftswahlen in Belarus mindestens zwei politisch motivierte Strafverfahren gegeben, bei denen Beweise auf der Grundlage von Internetüberwachung verwendet wurden (im Fall der Organisation Partnership und der Internetcartoons von Third Way). Gleichwohl meint Yury Chavusau von der Vereinigung pro-demokratischer NGOs in Belarus, dass der Erlass Nr. 60 keine qualitativ neuen Mechanismen der Überwachung und Kontrolle von

9 | Iryna Vidanava auf dem Washington Human Rights Summit im Februar 2010, zitiert nach http://www.theepochtimes.com/ n2/content/view/30178/ [14.04.2010].

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Einige Experten sind durch den Umstand alarmiert, dass zukünftig in Internetcafes die Nutzung des Inter-nets erst nach Vorlage des Passes und Speicherung der Personendaten erfol-gen soll. Auch ein anonymer Zugang über das Mobilfunknetz ist nicht mög-lich, da der Erwerb einer SIM-Karte ebenfalls an die Vorlage eines Pas-ses und die Registrierung in Belarus gebunden ist.

Internetnutzern in Belarus mit sich bringt, sondern eher symbolische Bedeutung besitzt. Er sei ein Signal für alle staatlichen Institutionen, dass die Führung des Landes beabsichtige, den virtuellen Informationsfluss – und damit auch die digitale politische Kommunikation – zu kontrol-lieren. In welchem Umfang die in dem Gesetz angelegte Kontrolle aber tatsächlich ausgeübt werden wird, kann nicht vorausgesagt werden. Chavusau schlussfolgert: „Die belarussische Regierung hat ein sehr striktes Modell der Internetregulierung gewählt, das die Möglichkeit zu unge-rechtfertigten Eingriffen in die Privatsphäre bietet. Dieses strikte Modell findet Befürworter in fast allen gegenwärtigen Diskussionen um die Einschränkung der Internetfreiheit, auch im Westen. Es gibt keinen Grund, die Internetregulie-rung in Belarus mit der in China oder Iran zu vergleichen. [...] Der Erlass Nr. 60 ähnelt eher dem Regulierungsmodell von Kasachstan.‟10

DER WEG AUS DER NISCHE: DIE CHANCEN DER DIGITALEN POLITISCHEN KOMMUNIKATION IN WEISSRUSSLAND

Soziologische Umfragen gehen davon aus, dass die Bevöl-kerung in Belarus sich nach ihren politischen Präferenzen aufspaltet in etwa ein Drittel Unterstützer Lukaschenkos, ein Drittel Anhänger demokratischer Veränderungen und ein Drittel Unentschiedene. Gleichwohl liegt der Rückhalt für die demokratischen Parteien und ihr Bekanntheitsgrad

in der Bevölkerung seit Jahren konstant bei weniger als fünf Prozent. Und seit Jahren fragen sich internationale Beobachter, aber auch Experten im Land, warum es den demo-kratischen Kräften nicht gelingt, zumindest das pro-europäische, demokratische Spek-trum in der Bevölkerung für sich zu mobi-lisieren. Eine einfache Antwort hierauf gibt es nicht. Immer wieder als Ursache genannt werden und durchaus zutreffend sind die

persönlichen Ambitionen der verschiedenen Parteiführer und die daraus resultierende permanente Zerstrittenheit

10 | Yury Chavusau, „Soon there will be less Privacy in Belarusian Internet?‟, in: Bell (BelarusInfo Letter), 3 (13) 2010, S. 2, http://www.eesc.lt/public_files/file_1270650236.pdf [14.04.2010].

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in der Opposition. Ein weiterer Grund für die strukturelle Schwäche der demokratischen Parteien in Belarus sind die massiven und gezielten Repressionen gegen aktive Parteimitglieder oder Sympathisanten, was im letzten Jahr insbesondere die Belarussischen Christdemokraten (BChD) zu spüren bekamen, die sich als einzige politische Kraft systematisch um den Auf- und Ausbau ihrer Parteistruk-turen in den Regionen und um eine aktive Kommunikation mit der Bevölkerung bemüht hatten. Zu nennen ist aber auch das fehlende Verständnis für die Möglichkeit, mit Hilfe des Internets und der digitalen politischen Kommunikation die eigene Partei oder Bewe-gung in relevanten Segmenten der Bevölkerung stärker zu verankern. Trotz einer Vielzahl an politischen oder medi-alen Online-Projekten ist das Internet in Belarus jedoch kein Mittel der Kommunikation mit den eigenen Anhängern oder ein Instrument, mit dessen Hilfe gezielt ausgewählte Bevölkerungsschichten an Parteien oder Bewegungen gebunden werden, sondern eine Ansammlung von sowohl untereinander als auch in Bezug auf die breite Bevölkerung isolierten Orten. Dabei scheinen die zahlreichen Vorteile des Internets auch und gerade unter autoritären Bedin-gungen, wie sie in Belarus herrschen, auf der Hand zu liegen:

▪ Geringe Kosten von Produktion, Verwaltung und vor allem Verbreitung von Informationen

▪ Direkte Verbindung zwischen Sender und Empfänger ▪ Möglichkeiten der gezielten Auswahl der Empfänger ▪ Verschiedene Formen der Kommunikation(eins-zu-eins; eins-zu-viele; viele-zu-viele)

▪ Die Geschwindigkeit der Übermittlung von Informationen ▪ Interaktivität ▪ Dezentrale Architektur ▪ Globale Präsenz

Würden diese Vorteile von den „Agenten des Wandels‟ erkannt, besäße das Internet in Belarus durchaus das Potenzial, zur Triebfeder einer demokratischen Entwicklung zu werden. Was Güldenzopf und Hennewig über die Rolle

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Trotz einer Vielzahl an politischen oder medialen Online-Projekten ist das Internet in Belarus jedoch kein Mittel der Kommunikation mit den eigenen Anhängern oder ein Instru-ment, mit dessen Hilfe gezielt aus-gewählte Bevölkerungsschichten an Parteien oder Bewegungen gebunden werden, sondern eine Ansammlung von sowohl untereinander als auch in Bezug auf die breite Bevölkerung isolierten Orten.

des Web 2.0 in der politischen Kommunikation schreiben, hat daher nicht nur Gültigkeit für die entwickelten Demo-kratien Westeuropas oder Nordamerikas: „Das Internet gehört zum Standardinstrument der politischen Kommuni-kation. Es trägt maßgeblich zum Erfolg oder Misserfolg einer Kampagne bei und kann ein entscheidender Pfeiler für die Organisation von Politik und Partei sein. Es gibt vielen Engagierten und Interessierten neue Möglichkeiten, sich in den politischen Prozess einzubringen.‟11

Das letzte politische Momentum für eine demokratische Wende im Land, die Präsidentschaftswahlen 2006, sind

das Beispiel einer verpassten Chance, auch weil das Potenzial des Internets nicht im vollen Umfang genutzt wurde. Zwar gewann Alexander Milinkiewitsch in extrem kurzer Zeit – er wurde im Oktober 2005 für den im März 2006 stattfindenden Wahlgang als einheitlicher Kandidat der Opposition nomi-niert – eine erstaunliche Unterstützung in der Bevölkerung. Gleichwohl stütze er sich im Wahlkampf auf eine kommunikativ sehr altmodische Methode. In vier Monaten

fuhr der anfangs praktisch unbekannte Kandidat kreuz und quer durch das Land und traf in unzähligen, häufig spontan organisierten Versammlungen zumeist unter freiem Himmel mit den Menschen zusammen. Immer wieder wurde seine Lautsprecheranlage konfisziert oder der Strom für die mitgeführte Technik abgeschaltet. Die Straße war der Hauptort der politischen Kommunikation zwischen Milinkiewitsch und der Bevölkerung. Doch für den jungen und vor allem aktiven Teil seiner Anhänger war in diesen Monaten das Internet und nicht die Straße der Ort der politischen Kommunikation. Blogs, Foren, LiveJournals oder Flashmobs, die über das Internet organisiert wurden, waren ein Merkmal des Wahlkampfes von Milinkiewitsch. Auch setzten beide Oppositionskandidaten – Milinkiewitsch und Kozulin – das Internet aktiver ein als Lukaschenko, der junge Internetnutzer nicht als seine Wählerklientel betrachtete. Insgesamt wurden jedoch die Webseiten der Oppositionskandidaten hauptsächlich zur Übermittlung von Informationen, nicht aber zur aktiven Wählerwerbung oder

11 | Ralf Güldenzopf und Stefan Hennewig, „Im Netz der Parteien?‟, in: Die Politische Meinung, 484, (2010) 3, S. 44.

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Das letzte politische Momentum für eine demokratische Wende im Land, die Präsidentschaftswahlen 2006, sind das Beispiel einer verpassten Chance, auch weil das Potenzial des Internets nicht im vollen Umfang genutzt wurde.

zur Abstimmung mit den eigenen Anhängern eingesetzt. Das Internet diente zwar als Informationsquelle, es wurde von den Kandidaten jedoch nicht aktiv als Ort der digitalen politischen Kommunikation genutzt. Keiner der Kandidaten besaß eine erkennbare Online-Strategie für seinen Wahl-kampf:

▪ Weder Milinkiewitsch noch Kozulin veröffentlichten auf ihren Internetseiten interaktive Wahlumfragen, um ein Meinungsbild der Nutzer zu erhalten.

▪ Beide Seiten besaßen extrem schwache Verlinkungsstra-tegien. Es gab keine permanenten Links zu den Seiten anderer politischer Parteien oder Unterstützergruppen.

▪ Eine Verbindung von Online- und Offline-Aktionen in der Kampagne beider Kandidaten fehlte fast vollkommen.12

Die Proteste gegen die Wahlfälschung und die Errichtung einer Zeltstadt auf dem Oktoberplatz nach dem 19. März wurden hauptsächlich digital koordiniert und waren mit den offiziellen Kampagnen von Milinkiewitsch und Kozulin kaum abgestimmt. Viele junge Protagonisten dieser Aktionen werfen Milinkiewitsch bis heute vor, dass er auf ihre Bereitschaft, die Menschen über das Internet zum Protest auf der Straße zu bewegen, nicht einge-gangen sei. Der relative Misserfolg fast aller Kampag nen der demokratischen Opposition in Belarus seit 2006 – genannt seien der europäische und der soziale Marsch Ende 2007, die jähr-lichen Demonstrationen zum inoffiziellen Nationalfeiertag am 25. März und zum Tschernobyl-Gedenktag am 26. April – hängen auch mit der Unfähigkeit zusammen, das Internet als ein schlagkräftiges Instrument zur Mobilisie-rung der eigenen Anhänger zu verstehen.

Im November 2009 organisierte Milinkiewitsch in Minsk ein Europäisches Forum, das als Startpunkt einer Kampagne gedacht war, bei der 2010 landesweit über die Pers-pektiven einer europäischen Ausrichtung von Belarus diskutiert werden sollte. Die Bevölkerung sollte im Zuge dieser Kampagne ausführlich über die Europäische Nach-barschaftspolitik und die Östliche Partnerschaft informiert

12 | e-belarus, „Online Campaigning in 2006 Presidential Election in Belarus‟, http://www.e-belarus.org/article/epolitics2006. html [14.04.2010].

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Die Proteste gegen die Wahlfälschung und die Errichtung einer Zeltstadt auf dem Oktoberplatz nach dem 19. März wurden hauptsächlich digital koor-diniert und waren mit den offiziellen Kampagnen von Milinkiewitsch und Kozulin kaum abgestimmt.

werden. Bislang beschränken sich die Ideen des Teams um Milinkiewitsch jedoch auf die geplante und kostenintensive Produktion von Informationsbroschüren, Faltblättern und Postkarten, eine Online-Strategie für die Kampagne exis-tiert nicht. Ein weiteres Beispiel ist die BChD – immerhin die gegenwärtig mit Abstand aktivste politische Kraft im demokratischen Lager – die im letzten Jahr viel Energie in die Entwicklung ihrer Webseite gesteckt hatte. Die Ergeb-nisse sind allerdings ernüchternd. Das Gutachten eines der führenden Online-Journalisten in Belarus benannte als größtes Manko des Internetauftritts der Partei die fehlende Bindung an die „Gemeinschaft um die Webseite‟ – d.h. an die Anhängerschaft der BChD. Eng damit zusammen hängt z.B. die fehlende Möglichkeit für Rückmeldungen (Feed-back) an die Partei über deren Seite. Konkret wird vorge-schlagen, den Umfang der Inhalte zu erhöhen, die von den Nutzern der Seite geschaffen werden (Umfragen, Online Frage-und-Antwort-Sektionen, Foren, Blogs, Lesernach-richten – people’s news etc.). Der BChD konnte bislang nicht vermittelt werden, was Güldenzopf und Henneweg heute als eine grundlegende Regel für die Mobilisierung

der eigenen Unterstützer formulieren: „Will eine Partei schlagkräftig sein, muss sie ihren Fokus über die klassischen Medien hinausbe-wegen. Multiplikatoren – online und offline – werden als vertrauenswürdige Quellen politi-scher Informationen immer wichtiger.‟13 Die Regel gilt ohne Zweifel auch für Belarus. Ein

Experiment des bekannten Bloggers Jewgenij Lipkowitsch zeigte, wie sich durch das Internet erfolgreich politische Unterstützung für das eigene Anliegen mobilisieren lässt. Das Videointerview, in dem er seine Bereitschaft erklärte, bei den am 25. April 2010 in Belarus stattfindenden Lokal-wahlen in Minsk kandidieren zu wollen, wurde innerhalb eines Tages 17.000 Mal aufgerufen. Über das Internet rekrutierte Lipkowitsch auch die Initiativgruppe zur Samm-lung notwendiger Unterschriften für seine Kandidatur.

Das Internet bietet in der besonderen belarussischen Situation die Möglichkeit, einen verloren gegangenen öffentlichen politischen Raum im Online-Modus zu (re-)konstruieren und eine neue „demokratische Subkultur‟

13 | Ralf Güldenzopf und Stefan Hennewig, „Im Netz der Parteien?‟ in: Die Politische Meinung, 484, (2010) 3, S. 47.

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Das Internet bietet in der besonderen belarussischen Situation die Mög-lichkeit, einen verloren gegangenen öffentlichen politischen Raum im Online-Modus zu (re-)konstruieren und eine neue „demokratische Sub-kultur‟ bzw. neue Formen des „Exis-tierens in der Freiheit‟ zu schaffen.

bzw. neue Formen des „Existierens in der Freiheit‟ zu schaffen, doch die Unbeweglichkeit der demokratischen Opposition und die hierarchischen Strukturen innerhalb der Parteien verhindern, dass das Potenzial einer dezen-tralisierten und individualisierten Kommunikation erkannt wird. Eine Kommunikation verschiedener Öffentlichkeiten miteinander, die Schaffung von Gegen-Öffentlichkeiten, von formalen und nicht formalen Sphären findet praktisch nicht statt.14

AUSBLICK: PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLEN INBELARUS IM JAHR 2011

Im Februar 2011 (vielleicht auch schon im November 2010) finden die nächsten Präsidentschaftswahlen in Belarus statt. Lukaschenko wird aller Voraussicht nach für eine vierte Amtszeit kandidieren. Bislang deutet nichts darauf hin, dass er beabsichtigt, die Wahlen nach internationalen Standards transparent, frei und fair abhalten zu lassen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass er der Opposition im Präsi-dentschaftswahlkampf einen breiten Zugang zu den von ihm kontrollierten elektronischen Medien im Land einräumen wird. Keiner der erklärten Gegenkandidaten zu Luka-schenko rechnet damit, unter den gegebenen Umständen Lukaschenko schlagen zu können. Milinkiewitsch geht allerdings von einem Potenzial von bis zu 30 Prozent der Wähler aus, die einen demokratischen Kandidaten unter-stützen würden. Bislang gibt es jedoch ganz offensicht-lich noch keine Strategie für eine Mobilisierung dieses Potenzials. Angesichts der Tatsache, dass ein signifikanter Teil insbesondere der jungen Bevölkerung grundsätzlich bereit scheint, einen demokratischen Wechsel im Land mitzutragen, ist es schwer zu verstehen, warum keiner der demokratischen Kandidaten Anstalten macht, diese aktiven Jugendlichen gezielt über das Internet anzuspre-chen. Dabei scheint die digitale Kommunikation die beste Methode, Unterstützung für sein Anliegen zu gewinnen. Iryna Vidanava nennt zahlreichen Beispiele, bei denen sich junge Menschen in den letzten drei Jahren in Internet-Kampagnen aktiv für ihre durch das System Lukaschenko

14 | Marina Sokolova, „WWW kak polititscheskaja publitschnaja sfera‟, in: Sokolova, Furs (Hrsg.) Postsowetskaja publitschnost: Belarus, Ukraina (Vilnius: 2008), S. 92 - 118.

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unterdrückten Altersgenossen eingesetzt haben: Im März 2007 sammelten belarussische Blogger erfolgreich über das Internet Geld für die Kaution von Dzianis Dzianisau, einen der Protagonisten der Zeltstadt vom März 2006, der wegen seiner politischen Aktivitäten inhaftiert worden war. Im Januar 2008 organisierte eine Online-Gemeinschaft eine Kampagne zur Unterstützung von Andrei Kim, nachdem dieser während einer friedlichen Demonstration von Klein-unternehmern in Minsk festgenommen und zu anderthalb Jahren Haft verurteilt worden war. In Grodno waren es 2008 ebenfalls Blogger, die den Protest gegen die Zerstö-rung der historischen Altstadt koordinierten.15 Die Fälle zeigen, dass das Internet das vielleicht wichtigste Medium ist, um Menschen in Belarus für demokratische Ideen und Ziele zu mobilisieren. Erfolg oder Misserfolg der demo-kratischen Opposition bei den nächsten Präsidentschafts-wahlen in Belarus werden wesentlich davon abhängen, ob es der Opposition gelingen wird, dieses Medium klug und wirkungsvoll einzusetzen.

15 | Iryna Vidanava, „‚New Media‛ as a Form of Youth Resistance‟, in: Andrej Dynko (Hrsg.), The Generation Gap, or Belarusian Differences in Goals, Values and Strategy (Warschau: 2008), S. 145 f.

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Regina Edelbauer

In unserer globalisierten Welt verschwinden nationale Grenzen zunehmend. Neue Medientechnologien wie das Internet beschleunigen diese Entwicklung. Informati-onen können heute in wenigen Sekunden quer über den Erdball gesendet und dem so genannten „Globalen Bürger‟ zugänglich gemacht werden. Das Worldwideweb durch-dringt unsere Lebenswelt: Die junge „Cybergeneration‟ wächst mit den neuen Technologien auf und ist zunehmend abhängig davon; so verbringt die „Generation Web‟ oft mehr Zeit in ihren virtuellen als in den realen Netzwerken. Das nährt nicht nur die Frage, wie man in Zeiten vor Mobil-telefon und Internet seinen Alltag bewältigt, sondern auch, ob wir ohne die Internet-unterstützte Informationsbeschaf-fung mit dem rasanten, globalen Wandel überhaupt noch Schritt halten können. Die Umgestaltung transnationaler Kommunikationsformen strahlt auf sämtliche Bereiche des sozialen Miteinanders aus, sei es in der Kultur, der Religion, der Wirtschaft oder der Politik: ohne individuelle Webseite scheinen gegenwärtig weder das staatliche Museum noch die kirchliche Glaubensgemeinschaft, das Privatunter-nehmen oder der politische Vertreter existenzfähig zu sein.

Die politische Nutzung des Internets ist, je nach Regie-rungsführung, weltweit unterschiedlich ausgeprägt. Das „Mutterland des Internets‟, Nordamerika, demonstrierte 2008 im Rahmen der Präsidentschaftswahl in den Verei-nigten Staaten auf eindrucksvolle Weise die Nutzung virtu-eller, sozialer Kommunikationsplattformen zu Wahlkampf-zwecken und politischer Kommunikation. Dieser Trend hat auch vor der Volksrepublik China nicht Halt gemacht. Seit 1994 ist das Land an das Internet angeschlossen. In den

Regina Edelbauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Shanghai.

CHINAS DIGITALE REVOLUTION – POLITISCHE KOMMUNIKATION IN DER VIRTUELLEN WELT

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ersten Jahren hatte nur ein sehr geringer Bevölkerungs-anteil das Privileg, die neue Technologie anzuwenden. In den letzten neun Jahren stieg die Zahl der chinesischen Internetnutzer jedoch um beeindruckende 1.500 Prozent an.1 Die chinesische Cyberpopulation ist heute – ohne die Anwender auf Taiwan, Hongkong und Macao einzubeziehen – die weltweit größte Gruppe.2

Der schier unüberschaubaren Anzahl an Internetforen, Blogs, Bulletin Boards (BBS) und Chatrooms begegnet die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) neben umfangrei-chen Zensurmaßnahmen mit eigenen – im Westen einge-setzten durchaus ähnlichen – e-government-Lösungen. Es mag internationale Beobachter überraschen, dass in „Fragestunden‟ Internetnutzer online den Lokalpolitiker – oder sogar Hu Jintao (so geschehen im Juni 2008 über das Forum der Nachrichtenagentur http://www.people.com.cn) – adressieren können. Zeichnet sich eine digitale Revolution chinesischer politischer Kommunikation ab? Wer sind die chinesischen Netizens? Können sie politische Entscheidungen beeinflussen oder stellen sie gar die Macht der Partei infrage? Dies sind Fragen, die in diesem Artikel beantwortet werden sollen.

DIE EINWOHNER DES CHINESISCHEN CYBERLANDES

Das chinesische Festland zählte im Sommer 2009 338 Millionen Internetanwender. Dies bezieht sich auf dieje-nigen „User‟, die über sechs Jahre alt sind und sich in den letzten sechs Monaten im Internet einloggten. Das übertrifft die 312 Millionen „Worldwideweb‟-Nutzer der Europäischen Union und sogar die 253 Millionen Netizens in Nord-Amerika. Die 10- bis 29-Jährigen stellen – wie in den Vorjahren – den größten Anwenderanteil. Trotz des Anstiegs der „User‟ in der Altersgruppe 30 bis 39 Jahre bleibt die chinesische Internetpopulation jugendlich. Analysiert man den Berufshintergrund der Netzgemeinde, steht die Gruppe der Studenten mit 32 Prozent an erster Stelle, gefolgt von Angestellten (14 Prozent) und Arbeits-

1 | Der Anstieg an Internetnutzern betrug in Deutschland im gleichen Zeitraum 126 Prozent. Vgl. Internet World Stats, September 2009, http://www.internetworldstats.com [20.04.2010].2 | Vgl. Internet World Stats, September 2009, http://www.internetworldstats.com [20.04.2010].

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losen (sieben Prozent). Die 70-prozentige Mehrheit der Internetpopulation ist in der Stadt zu Hause; die Anzahl der Internetnutzer auf dem Land nimmt – nicht zuletzt dank finanzieller und infrastruktureller Anstrengungen der Regierung – stetig zu. Den 747 Millionen chinesi-schen Mobiltelefonbesitzern3 ist es möglich, das Internet mobil anzuwählen; rund 155 Millionen Nutzer machen von diesem Service Gebrauch.4 Diese Zahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Penetrationsrate des Internets innerhalb der chinesischen Bevölkerung, verglichen mit den entwickelten Teilen der Welt, weiterhin niedrig ist. (China: 27 Prozent, Deutschland: 66 Prozent, EU: 64 Prozent).5 Dem Großteil der chinesischen Internet-gemeinschaft dient das Internet als Unterhaltungsmittel (Online Spiele, Musik, Videos). Das „Worldwideweb‟ wird außerdem für die Informationssuche genutzt und erfreut sich als Kommunikationswerkzeug großer Beliebtheit.

Rangliste und Kategorien der Internetnutzung in der Volksrepublik China

Rang Nutzung Nutzungsrate (in %) Kategorie

1 Online-Musik 85,5 Unterhaltung

2 Nachrichten 78,7 Informationsbeschaffung

3 Nachrichtenversendung 72,2 Kommunikation

4 Suchmaschine 69,4 Informationsbeschaffung

5 Online-Video 65,8 Unterhaltung

6 Online-Spiel 64,2 Unterhaltung

7 E-Mail 55,4 Kommunikation

8 Blog 53,8 Kommunikation

9 Forum / BBS 30,4 Kommunikation

10 Online-Einkauf 26,0 Geschäftsabwicklung

11 Online-Zahlung 22,4 Geschäftsabwicklung

12 Online-Aktienhandel 10,4 Geschäftsabwicklung

13 Reisereservierung 4,1 Geschäftsabwicklung

Quelle: China Internet Network Information Center (CNNIC): 24th Statistical Report on Internet Development in China, 2009, S. 28.

3 | Vgl. ITU, International Telecommunication Union, in: http://www.itu.int [20.04.2010].4 | Vgl. China Internet Network Information Center (CNNIC): 24th Statistical Report on Internet Development in China, 2009, S. 4 - 14.5 | Vgl. Internet World Stats, September 2009, http://www.internetworldstats.com [20.04.2010].

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Diese Statistik nährt die Enttäuschung einiger Experten über das hauptsächlich unterhaltungsorientierte Inte-resse des chinesischen Netzbesuchers. Internationale Beobachter setzten große Hoffnung in das „Einklinken

Chinas‟ in das globale digitale Netz. Das „Worldwideweb‟ sollte als „Sprachrohr der chinesischen Gesellschaft‟ sozialpoli-tischen Reformen Antriebskraft verleihen und als politische Kommunikationsplattform genutzt werden. Es ist richtig, dass sich der durchschnittliche Anwender mehrheitlich zum entspannenden Zeitvertreib ins Netz einloggt. Trotzdem: Ein Großteil der „User‟ zieht das Internet als Informationsquelle

heran. Über 180 Millionen chinesische Internetnutzer sind – meist anonym – auf Blogs (auch politisch) aktiv.6 Die Statistik des offiziellen Berichts zur Entwicklung des Inter-nets in China bestätigt diese Beobachtung: mehr als die Hälfte der chinesischen Anwender (56,1 Prozent) äußern ihre Meinung auf virtuellen Foren. Außerdem geben über drei Viertel der Internetbesucher (78,5 Prozent) ihr Wissen an die Netzgemeinde weiter.7

Die rasant steigende „Userzahl‟ hat durchaus revolutio-näres Potenzial: Die „Generation Web‟ ebnet sich alter-native Wege für den (politischen) Meinungsaustausch. In Regionen mit autoritären Regimen ist das anonyme Bloggen oftmals die einzige Möglichkeit, abweichende oder subversive Ideen ausdrücken zu können. Dem anonymen Bloggen kommt daher eine revolutionäre Rolle bei der Vorbereitung eines freien Ideenaustausches zu.8

Bei der Beurteilung der nationalen politischen Linie auf Online-Foren zeigen sich die Netizens kreativ. Manchmal symbolisiert ihr selbst gewählter „Chat-Name‟ einen Verweis auf die Unzufriedenheit mit der Regierungsfüh-

6 | Vgl. Min Jiang, „Authoritarian deliberation on Chinese Internet‟, in: Electronic Journal of Communication, 20 (2010) 1- 2.7 | Vgl. China Internet Network Information Center (CNNIC): 24th Statistical Report on Internet Development in China, 2009, S. 43.8 | Vgl. Sunny Woan, „The Blogsphere: Past, Present, and Future. Preserving the Unfettered Development of Alternative Journalism‟, in: California Western Law Review, Vol. 44 (2008), S. 101 - 133.

Die politische Nutzung des Internets ist, je nach Regierungsführung, welt-weit unterschiedlich ausgeprägt. Das „Mutterland des Internets‟, Nord-amerika, demonstrierte 2008 im Rah-men der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten auf eindrucks-volle Weise die Nutzung virtueller, sozialer Kommunikationsplattformen zu Wahlkampfzwecken und politischer Kommunikation.

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rung. In einem Land, in dem die Bevölkerung gelernt hat, mit staatlich gelenkten Medien umzugehen, wird Kritik oft indirekt geübt; unter anderem mit Hilfe selbst angefertigter Videos, die über virtuelle Netzwerke, wie z.B. das größte chinesische Forum (http://tianya.cn), von ihren über 20 Millionen Nutzern9 abgerufen werden können.

INTERNET VS. „INTERNET MIT CHINESISCHER CHARAKTERISTIK‟

In einem sozialistischen, autoritären Staat wie China unter-scheiden sich die Inhalte des „nationalen Worldwideweb‟ maßgeblich von dem Erscheinungsbild des Internets in demokratisch verfassten Teilen der Welt. Die Volksrepublik emanzipierte sich vom globalen Netz durch die Formung eines „Internet mit chinesischer Charakteristik‟.10 Die so genannte „Great Firewall of China‟ verwehrt Internetnutzern, die sich in der Volksrepublik in das Web einklinken, Zugang zu Webseiten, die von der Regierung als sensibel einge-stufte Themen adressieren (z.B. Tibet und die Niederschlagung der Studentendemons-tration am Platz des Himmlischen Friedens, Tiananmen, im Juni 1989). Entsprechend tagespolitischer Rahmenbedingungen kann das Aufrufen internationaler Medienseiten verwehrt werden. Seit den Unruhen in der chinesischen Provinz Xinjiang im Juli 2009 ist der Zugang zu internationalen, kommunikativen Netzwerken wie Face-book, You Tube und Twitter gesperrt. Diese Einschrän-kungen können allerdings von kreativen Nutzern mit wenig Aufwand und unter Zuhilfenahme von Proxy Servern umgangen werden.

Neben der mächtigen staatlichen Zensurmaschinerie (ca. 50.000 Online-Polizisten beobachten rund um die Uhr die Aktivitäten der Anwender)11, wird ein bedeutender Kont-rollagent des chinesischen Internets oft übersehen: der

9 | Vgl. Min Jiang: Authoritarian deliberation on Chinese Internet, in: Electronic Journal of Communication, 20, Nr. 1 und Nr. 2 (2010).10 | Vgl. Karsten Giese, „Challenging Party Hegemony: Identity Work in China’s Emerging Virreal Places‟, in: German Overseas Institute (DÜI), Research Unit: Institute of Asian Affairs, Nr. 14 (2006), S. 11.11 | Vgl. James F. Scotton und William A. Hachten (Hrsg.), New Media for a New China (Chichester: 2010), S. 4.

Die 10- bis 29-Jährigen stellen – wie in den Vorjahren – den größten Anwenderanteil. Trotz des Anstiegs der „User“ in der Altersgruppe 30 bis 39 Jahre bleibt die chinesische Inter-netpopulation jugendlich.

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In einem sozialistischen, autoritären Staat wie China unterscheiden sich die Inhalte des „nationalen Worldwide- web‟ maßgeblich von dem Erschei- nungsbild des Internets in demokra- tisch verfassten Teilen der Welt. Die Volksrepublik emanzipierte sich vom globalen Netz durch die Formung eines „Internet mit chinesischer Charak- teristik‟.

Webseitenbetreiber selbst. Die chinesische Formel der Internetüberwachung lautet „Zensur durch Selbstzensur‟. Webmoderatoren regulieren die Diskussionsbeiträge der Netizens auf den beliebten Bulletin Boards (BBS). Außerdem beeinflussen regierungsnahe Kommentatoren die Inhalte auf den virtuellen Foren entsprechend der Parteilinie. Es wird vermutet, dass diese Agenten umge-rechnet ca. 50 Euro-Cent für jeden positiven Kommentar erstattet bekommen; darum werden sie von den Netizens oft als „50-Cent-Partei‟ verspottet.12

Die dynamisch steigende Anzahl der Anwender, Blogs und BBS fordert die Behörden bei ihrer apodiktischen Überwa-chung des „chinesischen Internets‟ heraus. Die Nutzer neuer Medien reagierten bei der Berichterstattung über das Erdbeben in Sichuan 2008 schneller als die offizi-ellen Korrespondenten. Den chinesischen

Behörden war es nicht möglich, die Tragödie in amtlichen Berichten, z.B. in Hinsicht auf die Anzahl der Opfer, abzu-schwächen, da großen Teilen der Bevölkerung Informati-onen rund um das Erdbeben bereits über das Internet oder via SMS zugänglich gemacht wurden, die sich rasant im ganzen Land verbreiteten.13

Die strikt geregelte Zensur des chinesischen Webs ließ viele westliche Beobachter zu dem Schluss kommen, dass politische Kommunikation „von unten‟ auf nationalen Onlineforen nicht möglich sei. Gleichwohl: Chinas Neti-zens nutzen das Internet, um Kritik an Missständen in der Regierung zu üben. Die Beiträge politisch engagierte Blogger können online Debatten inspirieren. Die Legiti-mität der Partei darf jedoch zu keiner Zeit in Frage gestellt werden. Netizens stoßen auf unüberwindbare (Zensur-)Grenzen, wenn von Peking missbilligte Themen fokussiert oder die Regierungsführung direkt angegriffen wird. In Extremfällen kann einer Ermahnung des Bloggers durch den Webseitenbetreiber oder Webkommentator, den Inhalt „harmonisierend‟ zu verändern, die Verhaftung folgen. Im

12 | Vgl. Guobin Yang, The Power of the Internet in China. Citizen Activism Online (New York: 2009), S. 51.13 | Vgl. James Scotton, „The Impact of New Media‟, in: James F. Scotton und William A. Hachten (Hrsg.), New Media for a New China (Chichester: 2010), S. 32.

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Jahr 2008 mussten laut „Freedom of the Press Worldwide‟ ca. 100 chinesische Journalisten, Internetuser und Blogger Gefängnisstrafen verbüßen.14

Das Internet der Volksrepublik ist nicht nur aufgrund von Zensurmaßnahmen ein durchweg nationales Kommunika-tionswerkzeug. Obwohl chinesische „Surfer‟ auf unzäh-lige internationale Nachrichtenportale zugreifen können, bevorzugen sie den Aufruf nationaler Webseiten. Chine-sische Gegenstücke zu Facebook, You Tube und Twitter waren bereits vor der Sperrung der westlichen Seiten weitaus populärer und die Suchmaschine Google erfuhr erst durch ihren Anfang 2010 angekündigten (und im März 2010 bestätigten) Rückzug aus dem chinesischen Markt15 mehr Aufmerksamkeit durch chinesische Netizens. Die Marktführerposition des chinesischen Anbieters „Baidu‟ (http://www.baidu.com/) blieb trotzdem unangetastet.

FOREN FÜR POLITISCHE DEBATTEN IN DER CHINESISCHEN INTERNETLANDSCHAFT – TWITTERN AUF CHINESISCH

Im Jahr 1999 wurde das von der staatlichen Peoples Daily (Renmin Ribao) moderierte Internetforum („Qiangguo luntan‟, http://bbs1.people.com.cn/) gegründet. Dies markierte den Beginn einer neuen digitalen Ära: die dyna-mische Teilhabe an politischen Debatten durch chinesische Internetnutzer wurde (von der Regierung) eingeleitet. Chinesische Onlineportale gewähren somit Möglichkeiten für einen (oft anonymen) interaktiven politischen Dialog, der ein vielfältigeres Meinungsspektrum der Gesellschaft widerspiegelt als die staatlichen Medien. Trotzdem: Worüber auf den Foren diskutiert wird, bleibt sehr stark an die den chinesischen Netizens zugänglichen Informationen der offiziellen Nachrichtenagenturen gebunden.

Seit August 2009 betreibt das drittgrößte kommerzi-elle Webportal Chinas (http://www.sina.com.cn) einen

14 | Vgl. Sunny Woan, „The Blogsphere: Past, Present, and Future. Preserving the Unfettered Development of Alternative Journalism‟, in: California Western Law Review, 44 (2008), S. 123.15 | Vgl. Erich Follath, u. a., „Goliath gegen Goliath‟, in: Der Spiegel, 13 (29.3.2010), S. 90 - 99.

Über 180 Millionen chinesische Inter-netnutzer sind – meist anonym – auf Blogs (auch politisch) aktiv.

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Der Zugang zur amerikanischen Twitter-Seite wird chinesischen Usern seit Juni 2009, kurz vor dem 20. Jahrestag der Niederschlagung der Studentendemonstrationen am Platz des Himmlischen Friedens in Peking, verwehrt.

so genannten „Miniblog‟, der ein ähnliches Konzept wie Twitter verfolgt. Internet- und Mobiltelefonnutzer können unterschiedliche Themen kommentieren. Der Zugang zur amerikanischen Twitter-Seite wird chinesischen Usern seit Juni 2009, kurz vor dem 20. Jahrestag der Nieder-schlagung der Studentendemonstrationen am Platz des Himmlischen Friedens in Peking, verwehrt. Der chinesische „Twitter Klon‟ namens „Fanfou‟ fiel ebenfalls der Pekinger Zensur zum Opfer. Zwei Jahre nach ihrer Gründung wurde die Seite wenige Tage nach den Unruhen in Xinjiang am 7.7.2009 bis auf Weiteres geschlossen; zu unkontrollierbar waren die Meldungen rund um die Demonstrationen in der westlichen Provinz Chinas geworden.

Chinesische Pendants zu Facebook (u.a. Kaixin, http://www.kaixin.com) und You Tube (Youku: http://www.youku.com), lassen unter Überwachung der Webseitenbetreiber Debatten zu. Im Mittelpunkt dieser Platt-formen stehen Unterhaltung und die Kommu-

nikation mit Freunden. Auf der chinesischen Version von Facebook kann man seinen IQ testen lassen, Horoskope abrufen, herausfinden, was/wer man in seinem früheren Leben war und seine elektronischen Freunde „verwalten‟, beurteilen und adressieren. Die Nutzer verfolgen beim Aufrufen dieser Seiten kaum politische Agenda.

Anders auf den BBS-Plattformen; hier finden rege politi-sche Diskussionen statt. Das erste Bulletin Board namens Shuimu Qinghua (http://bbs.tsinghua.edu.cn/) wurde 1995 an der Qinghua Universität in Peking gegründet.16 Die Debatten auf den kommunikativen Webseiten spie-geln Transformationsprozesse innerhalb der pluralisti-schen chinesischen Gesellschaft wider: Universitätsabsol-venten setzen sich ebenso wie Migranten, Konsumenten, Wohnungseigentümer oder Umweltschützer für ihre Anliegen ein. Wu Mei definiert 4 Arten von BBS:17

16 | Vgl. Guobin Yang, The Power of the Internet in China. Citizen Activism Online (New York: 2009), S. 29.17 | Vgl. Wu Mei, „Measuring Political Debate on the Chinese Internet Forum‟, in: Javnost-The Public, Vol. 15 (2008), Nr. 2., S. 93 - 110.

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Die Möglichkeit dieser dynamischen Vernetzung von bürgerschaftlich verpflichteten Gesellschaftsgruppen bringt die KPCh in Bedrängnis; denn das soziale Engagement von Netizens konnte bereits in Einzelfällen das politische Einlenken der Regierung herbeiführen.

1. Mainstream-BBS (Betreiber: Medien und Regierung)2. Kommerzielle BBS (Betreiber: Kommerzielle

Unternehmen)3. Bürger-BBS (Betreiber: keine kommerzielle oder

staatliche Interessen)4. Campus-BBS (Betreiber: Universitäten)

Die sensiblen Themenbereiche, die auf den verschiedenen BBS von den Nutzern adressiert werden, mögen manche Beobachter überraschen: Netizens äußern auf diesen Plattformen heftige Kritik, unter anderem an Korruption sowie Machtmissbrauch der Behörden und greifen soziale Probleme im Dialog mit anderen Diskussionsteilnehmern auf. Die Chance der dynamischen, aktiven, inhaltlichen Mitgestaltung des Erscheinungs-bildes chinesischer Bulletin Boards durch ihre Nutzer förderten die Entstehung eines so genannten Online-Aktivismus.18 Die Internet-Vernet-zung ermöglicht Netizens das interaktive und multime-diale Debattieren ihrer (politischen) Anliegen. Überdies können mit Hilfe virtueller Plattformen oder Mobiltelefonen Protestaktionen organisiert werden. Die Möglichkeit dieser dynamischen Vernetzung von bürgerschaftlich verpflich-teten Gesellschaftsgruppen bringt die KPCh in Bedrängnis; denn das soziale Engagement von Netizens konnte bereits in Einzelfällen das politische Einlenken der Regierung herbeiführen.

Als sich im Sommer 2007 Umweltschützer unter Zuhil-fenahme von Kurznachrichten (SMS) zu einem gemein-samen Protest gegen den Bau einer Chemieanlage (und den damit einhergehenden gesundheitlichen Beeinträchti-gungen der lokalen Bevölkerung) in einem Vorort Xiamens versammelten, verlegte die Regierung aufgrund der Forde-rungen der Demonstranten den Bau der Anlage in eine andere Region.19 2003 löste der Fall Sun Zhigang, der nach der versäumten Mitführung eines Personalausweises von Beamten in Guangzhou zu Tode geprügelt wurde, umfang-reiche, virtuelle Proteste aus und zog vehemente Kritik

18 | Vgl. Guobin Yang, The Power of the Internet in China. Citizen Activism Online (New York: 2009), S. 2.19 | Vgl. George J. Gilboy und Benjamin L. Read, „Political and Social Reform in China – Alive and Walking‟, in: The Washington Quarterly 31 (2008), 3, S. 143.

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Die KPCh weiß um die Macht des Inter-nets bei der Verlautbarung öffent-licher Meinung. Die Partei bemüht sich deshalb, auf den Webseiten ihrer Provinz-, Stadt- und Zentralregierung eigene Foren für politische Diskussion zur Verfügung zu stellen.

der Netizens an der Regierung nach sich. Der Widerstand führte zu einer Überarbeitung einer veralteten Aufent-haltsregelung für urbane Randgruppen wie z.B. Migranten und Obdachlose.20 Diese Einzelfälle zeigen, dass gegen-wärtige, bürgerschaftliche Online-Aktionen soziale Unge-rechtigkeiten aufgreifen, die im Zuge der Modernisierung und gesellschaftlichen Veränderungen in der VR China an Brisanz gewinnen.

Bei allen politischen Erfolgen, die die chinesische Inter-netgemeinschaft ohne Zweifel in den vergangenen Jahren

nicht zuletzt dank des Einsatzes neuer Kommunikationstechnologien verbuchen konnte, darf nicht vergessen werden, dass die staatlich gelenkten Medien weiterhin großen Einfluss auf den chinesischen Online-Aktivismus nehmen. Was auf chinesischen Online-Plattformen diskutiert wird, ist

maßgeblich von den Medienberichten offizieller Agenturen abhängig. Wenn bestimmte Themenbereiche in Nach-richten ausgespart bleiben, werden diese kaum auf Blogs und BBS aufgegriffen werden.

POLITISCHE MACHTFRAGE – DIE PARTEI IST ONLINE

Die Chance der Teilnahme an politischen Onlinedebatten kann dem schrittweisen Aufbau einer chinesischen Zivil-gesellschaft dienen. Min Jiang bemerkt hierzu, dass die begrenzten zivilgesellschaftlichen Räume im Internet der Volksrepublik China die langsame Werteentwicklung während der letzten drei Dekaden (Industrialisierung, Urbanisierung und Liberalisierung) reflektiert.21

Die KPCh weiß um die Macht des Internets bei der Verlaut-barung öffentlicher Meinung. Die Partei bemüht sich deshalb, auf den Webseiten ihrer Provinz-, Stadt- und Zentralregierung eigene Foren für politische Diskussion zur Verfügung zu stellen. Im Juni 2008 initiierte sie über das

20 | Vgl. Guobin Yang, The Power of the Internet in China. Citizen Activism Online (New York: 2009), S. 30 - 33.21 | Vgl. Min Jiang, „Authoritarian deliberation on Chinese Internet‟, in: Electronic Journal of Communication, 20 (2010), 1-2.

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In einer multimedial geprägten Gesell-schaft haben die neuen Medien in China ohne Zweifel auch neue Räume für Meinungsäußerung und politische Diskussionen geschaffen; gleichzeitig dienen diese der KPCh als Instrument zur Ausübung politischer und sozialer Kontrolle.

„Strong Nation Forum‟ einen Online-Chat mit Hu Jintao. Die chinesischen Netizens nutzten die Gelegenheit und adressierten das Staatsoberhaupt direkt. Internetnutzer wurden aufgefordert, im Vorfeld Fragen einzusenden; daraus wurden drei Themenbereiche ausgewählt22, die der chinesische Staatspräsident im Online-Chat in Echtzeit diskutierte. Die überwältigende Anzahl an Zugriffen durch die chinesische Internetgemeinde überlastete den Server bereits zu Beginn des Interviews. Besonders hervorzu-heben ist die an Hu Jintao gerichtete Frage nach dem Stellenwert der Kommentare und Vorschläge der Netizens für die Parteiarbeit; denn diese spielten laut Aussage des Staatspräsidenten eine sehr große Rolle bei politischen Entscheidungen. Soweit die offizielle Stellungnahme. Ob chinesische Nutzer tatsächlich Einfluss auf den politischen Weg Chinas nehmen können, bleibt fraglich. Natürlich ist es im Interesse der Partei, die chinesischen Internetnutzer im Glauben zu lassen, dass ihre Kommentare berücksich-tigt würden – allerdings nur, solange der Machterhalt der Partei von der Internetgemeinschaft nicht gefährdet wird.

Stellungnahmen der Netizens können im Einzelfall Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen; dies demonstrieren die Reaktionen der Internetnutzer auf die im Sommer 2009 bekannt gemachte, geplante Einführung einer vorinstallierten Filtersoftware (Green Dam Youth Escort) aller in der Volksrepublik China verkauften Rechner. Die von chinesi-scher Seite als Jugendschutz „getarnte‟ Soft-ware war nicht nur von Seiten internationaler Medien aufgrund der Möglichkeit des Filterns von (politischen) Inhalten in Kritik geraten. Chinesische Blogger lehnten (auf nationalen Internetforen) die oktroyierte Installation des „Grünen Damms‟ ab. Das chinesische Industrie- und Technologieministerium nahm nach der nationalen und internationalen Protestwelle von dem Vorhaben Abstand bzw. verschob es auf unbestimmte Zeit; chinesische Blogger feierten dies als ihren Erfolg.

22 | Vgl. Transkript des Online Interviews mit Hu Jintao vom 20.06.2008, in: http://www.people.com.cn/GB/32306/ 54155/57487/7406717.html [20.04.2010].

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Wie sich das Nutzerverhalten der chi-nesischen Netizens weiter entwickeln wird, kann schwer prognostiziert werden. Aus Sicht von Min Jiang ist es nicht klar, ob diese Generation mit Hilfe der ihr zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten die Initi-ative ergreifen wird, um Fragen hin-sichtlich der sozialen Gerechtigkeit anzusprechen.

INTERNET ALS POLITISCHES INSTRUMENT FÜR REGIERUNG UND NETIZENS?

In einer multimedial geprägten Gesellschaft haben die neuen Medien in China ohne Zweifel auch neue Räume für Meinungsäußerung und politische Diskussionen geschaffen; gleichzeitig dienen diese der KPCh als Instrument zur Ausübung politischer und sozialer Kontrolle. Der rasante Anstieg der Nutzerzahlen auf dem chinesischen Festland schafft die Basis für eine „digitale (politische) Revolu-tion‟. Tatsächlich sind die Dynamik und Schnelligkeit des gegenwärtigen Informationstransports und die modernen Vernetzungsmöglichkeiten chinesischer „User‟ mit trans-nationalen Gesprächspartnern revolutionär – besonders da die staatlich geführten Medien Peking in der Vergangen-heit als wichtiges Propagandawerkzeug dienten. Genauso wenig wie die zunehmend konsumorientierte Lebensfüh-rung der chinesischen Bevölkerung mit der Parteidoktrin

der KPCh heute noch kompatibel erscheint, ist eine toleriert aktive Teilnahme der Bevöl-kerung an einem politischen Dialog auf staatlichen Nachrichten- und Kommunika-tionsplattformen ein weiterer Beweis dafür, dass die chinesische Führung in der Lage ist, scheinbar unvereinbare Widersprüche mitei-nander zu verschränken.

Das „Internet mit chinesischer Charakteristik‟ lässt seinen Netizens gerade genug Freiraum, um ihre Anliegen zu äußern und von der Regierung wahrgenommen zu werden. Der Machterhalt der Partei darf weder online noch durch virtuell organisierte Protestaktionen, die auf die reale Welt ausstrahlen, in Frage gestellt werden. Wenn sich die mehr-heitlich junge „Generation Web‟ neben ihrem entspan-nenden Internetbesuch für ihre bürgerschaftlichen Rechte einsetzt, können diese in Einzelfällen (meist auf lokaler Ebene) durchaus politische Entscheidungen beeinflussen. Die Macht der Partei fordern sie dabei jedoch nicht heraus: Ironischerweise kann die Reaktion Pekings auf Anklagen der Netizens die Parteilegitimation wiederum bestätigen –

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die KPCh regiere, nach den Aussagen Hu Jintaos im Online-Chat, für das Volk23 – und folglich auch für das Internet-volk.

Die politische Online-Teilhabe steckt in der VR China noch in ihren Kinderschuhen und bleibt sicherlich in den kommenden Jahren ein mehrheitliches urbanes Phänomen. Die Einflussnahme des Internets bei der Herausbildung einer chinesischen Zivilgesellschaft (oder gar Demokra-tisierung) darf einerseits nicht überschätzt werden. Das „chinesische Internet‟ befindet sich ebenso wie Fernsehen, Radio und Zeitungen in fester Hand der KPCh. Peking nutzt die neuen Medien geschickt als ihr persönliches politisches Instrument. Die Partei hat längst die Gefahr erkannt, die von einer zeitlich unabhängigen, globalen, transnatio-nalen und dynamischen Vernetzung chinesischer Netizens ausgeht. Karsten Giese bemerkt hierzu: „Das Internet und seine Kommunikationsforen im Speziellen dienen als ein Werkzeug, um gemeinsame Interessen zu bündeln und hieraus soziale und politische Aktionen entstehen zu lassen.‟24

Die „große chinesische Firewall‟ und ihre Tausenden Internet-Polizisten unterstützen die Partei, um uner-wünschte Kommunikationsschnittstellen zu unterbrechen. Indirekt führt die Selbstzensur der Webseitenbetreiber und Blogkommentatoren dazu, dass die von Peking als sensibel eingestuften Themenbereiche auf ihren Webseiten ausge-spart bleiben.

Andererseits tragen gerade die von der KPCh betriebenen Webseiten, die der Bevölkerung gestatten, im Live-Chat, durch E-Diskussionen oder E-Petitionen mit den Politikern in Kontakt zu treten, zu mehr politischem Wissen und Bewusstsein innerhalb der chinesischen Gesellschaft bei.25

23 | Vgl. Transkript des Online Interviews mit Hu Jintao vom 20.06.2008, in: http://www.people.com.cn/GB/32306/ 54155/57487/7406717.html [20.04.2010].24 | Vgl. Karsten Giese, „Challenging Party Hegemony: Identity Work in China’s Emerging Virreal Places‟, in: German Overseas Institute (DÜI), Research Unit: Institute of Asian Affairs, Nr. 14 (2006), S. 41.25 | Vgl. Min Jiang: „Authoritarian deliberation on Chinese Internet‟, in: Electronic Journal of Communication, 20 (2010) 1-2.

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Wie sich das Nutzerverhalten der chinesischen Neti-zens weiter entwickeln wird, kann schwer prognostiziert werden. Aus Sicht von Min Jiang ist es nicht klar, ob diese Generation mit Hilfe der ihr zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten die Initiative ergreifen wird, um Fragen hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit anzuspre-chen. Es besteht somit die Gefahr, dass diese digitalen Vorreiter eher zu digitalen hedonistischen Konsumenten verkommen könnten.26

Die offizielle Statistik gibt an, dass der Großteil der chine-sischen Anwender das Internet als Unterhaltungsmittel nutzt. Die strikt geregelte Zensur der KPCh demonstriert, dass sie diejenigen Nutzer, die das Internet als Kommuni-kationsplattform (auch mit politischer Agenda) verwenden, ausgesprochen ernst nimmt. Wenn Peking – wie einige pessimistische Experten vermuten – davon überzeugt wäre, dass die Internetnutzer das Medium nur für belang-losen Zeitvertreib verwenden, würde das die Zensurmaß-nahmen unnötig machen. Daher bleibt es abzuwarten, ob die Kommentare und Beiträge der rasant wachsenden chinesischen Internetgemeinschaft in Zukunft kontrol-lierbar bleiben.

Das Manuskript wurde am 17. April 2010 abgeschlossen.

26 | Vgl. Min Jiang: „Authoritarian deliberation on Chinese Internet‟, in: Electronic Journal of Communication, 20 (2010) 1-2.

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Thomas S. Knirsch / Patrick Kratzenstein

Malaysia, truly Asia, lautet das Motto, mit dem die Regie-rung des südostasiatischen Tigerstaats um Besucher aus aller Welt wirbt. Ein griffiger Slogan, der nicht nur die reiche Biodiversität sowie die ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt des Landes einfängt, sondern auch eine getrübte Realität beschreibt. Hierzu gehören die rigiden gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, unter denen Malaysia seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 1957 regiert wird. „Reporter ohne Grenzen‟ platziert Malaysia auf seiner Rangliste der Pressefreiheit für das Jahr 2009 auf Platz 131, knapp vor Singapur und direkt hinter Thailand. Insgesamt wurden 175 Länder erfasst. Die Möglichkeiten, politische Kommunikation über die neuen Medien zu betreiben, erhalten angesichts dieser Verhält-nisse eine besondere Relevanz.

Im Grundsatz ist Malaysia eine konstitutionelle parla-mentarisch-demokratische Wahlmonarchie. Das Parla-ment ist nach dem Westminster-System konzipiert und besteht demzufolge aus zwei Kammern. Sie sind formell für die Bundesgesetzgebung zuständig, kontrollieren die Regierung usw. Die Praxis sieht dennoch anders aus, und Malaysia wandelt sich nur zögerlich von einem Einpar-teiensystem zu einem offenen Zwei- oder Mehrparteien-system. Die Dominanz des Regierungsbündnisses Barisan National (BN), seit über fünfzig Jahren an der Macht, hat zu einem Machtmonopol geführt. Transparente Entschei-dungsverfahren sind daher selten, Parlamente sind kaum mehr Kontrollinstanzen der Exekutiven, die Justiz und vor allem die Medien des Landes sind nur bedingt unabhängig.

Patrick Kratzenstein studiert Rechtswis-senschaften in Graz und war von Februar bis März 2010 im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Malaysia tätig.

Dr. Thomas S. Knirsch ist Auslandsmitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Malaysia.

PRESSEFREIHEIT, NEUE MEDIEN UND POLITISCHE KOMMUNIKATION IN MALAYSIA – EINE GESELLSCHAFT IM WANDEL

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Eine Opposition entwickelt sich erst langsam, die politische Kultur des Landes ist entsprechend demokratisch rudi-mentär ausgeprägt geblieben. Die autoritären Züge des politischen System Malaysia haben in den vergangenen Dekaden auch zusätzlich den Aufbau einer aktiven Zivil-gesellschaft verhindert, und eine Reihe rechtlicher Bestim-mungen hat zu einer zunehmenden Erosion von Freiheits-rechten (Meinung, Versammlung, Information) der Bürger Malaysias geführt.

KLASSISCHE MEDIEN SIND RECHTLICH STARK EINGESCHRÄNKT

Der gesetzliche Rahmen für die klassischen Medien kommt einem Korsett gleich. Angeführt werden muss hier der Sedition Act aus dem Jahr 1948,1 der aufrührerische Hand-lungen unter Strafe stellt. Historisch ist hier zu vermerken, dass in Reaktion auf den Aufstand des 13. Mai 1969, bei dem 200 Menschen starben, eine aufrührerische Handlung schon durch die bloße Hinterfragung und Forderung der Abschaffung von Verfassungsartikeln, die den ethnischen Malays und einigen Ureinwohnerstämmen gewisse Sonder-privilegien eingestehen, in den Augen der Regierung erfüllt war.2 Darüber hinaus räumt das Gesetz fast jedem Poli-zisten das Recht der Inhaftierung ohne Haftbefehl ein, selbst wenn nur versucht wurde, eine aufrührerische Handlung zu begehen.3

Ein weiteres eingrenzendes Gesetz ist der Printing Presses and Publications Act (PPPA) von 1984,4 welcher für die malaysische Zeitungsbranche von großer Bedeutung ist. Der Gesetzesakt regelt das Drucken, Importieren, (Re-)Produzieren, Veröffentlichen und Verteilen von Publikati-onen und sanktioniert diese bei Bruch unter anderem mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.5 Das Gesetz

1 | Attorney General’s Chamber, „ACT 15 – SEDITION ACT 1948‟, in: Laws of Malaysia, Stand: 1. Januar 2006, http://www.agc.gov.my/agc/Akta/Vol.%201/Act%2015.pdf [10. März 2010].2 | Vgl. Section 3 (1) (f) ebd.3 | Vgl. Section 11 ebd.4 | Attorney General’s Chambers, „ACT 301 – PRINTING PRESSES AND PUBLICATIONS ACT 1984‟, in: Laws of Malaysia, Stand: 01. Januar 2006, http://www.agc.gov.my/ agc/Akta/Vol.%207/Act%20301.pdf [10. März 2010].5 | Vgl. Section 5 (2) ebd.

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Die autoritären Züge des politischen System Malaysia haben in den vergan-genen Dekaden auch zusätzlich den Aufbau einer aktiven Zivilgesellschaft verhindert, und eine Reihe rechtlicher Bestimmungen hat zu einer zuneh-menden Erosion von Freiheitsrechten (Meinung, Versammlung, Information) der Bürger Malaysias geführt.

sieht im Wesentlichen als Regulierungsmaßnahme eine durch den Innenminister ausgestellte Erlaubnis zur Veröf-fentlichung einer Zeitung vor. Problema-tisch ist hierbei die Geltungsdauer dieser Erlaubnis, die maximal ein Jahr betragen darf 6 und zu jeder Zeit wieder zurückgezogen werden kann.7 Zur Veranschaulichung kann die Operation Lalang im Jahre 1987 erwähnt werden, die zur Eindämmung und Margi-nalisierung der Opposition konzipiert war. Im Zuge dieser Polizeimission wurden 106 oppositionelle Anführer, Aktivisten und Akademiker unter dem vieldiskutierten Internal Security Act (ISA) von 1960 eingesperrt. Rund 40 von ihnen für rund zwei Jahre. Neben diesen Massenverhaftungen wurden auch vier Zeitungen ihre Lizenzen entzogen. Zur Wiedererlangung der Publika-tionserlaubnis soll einer Zeitung die Kündigung gewisser Journalisten als Bedingung auferlegt worden seien.8

Der oben schon kurz erwähnte Internal Security Act (ISA)9 aus dem Jahr 1960 ist vermutlich das umstrittenste Gesetz Malaysias. Insbesondere Menschenrechtsorganisationen kritisieren den Akt aufs Schärfste,10 da er Polizisten jegli-chen Ranges legitimiert, Verdächtige für 24 Stunden in Gewahrsam zu nehmen. Dies kann auf bis zu 60 Tage ausgeweitet werden, indem höherrangige Polizisten dem zustimmen.11 Ist auch diese Zeit abgelaufen, wird dem Innenminister das Recht eingestanden, die Inhaftierung aufrechtzuhalten, für eine Dauer von bis zu zwei Jahren. Nach deren Ablauf kann der Minister seinen Beschluss

6 | Vgl. Section 12 (1) ebd.7 | Vgl. Section 3 (3) ebd.8 | P. Ramakrishnan, „OPERTATION LALANG – P. RAMAKRISHNAN‟, Stand: 27. Oktober 2009, http://www.themalaysianinsider.com/ index.php/opinion/breaking-views/41494--operation-lalang-- p-ramakrishnan [10. März 2010]; „OPERASI LALANG‟, in: Human Rights Resource Center Malaysia. URL: http://hrforall. wordpress.com/operasi-lalang/ [10. März 2010].9 | Attorney General’s Chambers, „ACT 82 – INTERNAL SECURITY ACT 1960‟, in: Laws of Malaysia, Stand: 1. Januar 2006, http://www.agc.gov.my/agc/Akta/Vol.%202/Act% 2082.pdf [10. März 2010].10 | „Malaysia’s Internal Security Act And Suppression of Political Dissent‟, in: Human Rights Watch, http://www.hrw.org/ legacy/backgrounder/asia/malaysia-bck-0513.htm [10. März 2010].11 | Vgl. Section 73, ebd.

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erneut aussprechen.12 Der ISA stellt insofern ein höchst fragwürdiges Instrument zur Inhaftierung von „Verdäch-tigen‟ auf unbestimmte Dauer zur Verfügung, ohne auch nur einen einzigen gerichtlichen Beschluss zu benötigen. Derzeit bekannt sind Inhaftierungszeiten von bis zu sechs Jahren,13 die hauptsächlich bei Terrorverdächtigen

Anwendung finden. Im Jahr 2008 wurde aber auch eine oppositionelle Parlamen-tarierin für acht Tage entsprechend dieser Vorlagen inhaftiert.14 Mehrere Funktionäre einer Hindu-NGO wurden 2007 nach der Organisation von Straßenprotesten für zwei Jahre gefangen gehalten.15 Mittlerweile aber

scheint die Regierung die massive Kritik an dem Gesetz ernster zu nehmen und hat vor, das Gesetz zu evaluieren und auf Terroristen und Schwerkriminelle auszurichten.16 Neben diesen beispielhaften Gesetzen existieren noch einige weitere effektive Unterdrückungsinstrumente. Dazu zählen beispielsweise der Defamation Act (1957) und der Offical Secrets Act (1972).

All diese Legislativakte haben in den zurückliegenden Dekaden eine Atmosphäre der Bedrängnis und Unterdrü-ckung geschaffen und zu einer sukzessive Aushöhlung der Meinungsfreiheit und Medienpluralität geführt. Keine Über-raschung ist daher, dass sich die Mehrzahl der klassischen Medienprodukte entweder in Regierungshand befindet oder regierungsnahen Unternehmen gehört.

12 | Vgl. Section 8, ebd.13 | Siaan Ansori und Greg Lopez, „THE INTERNAL SECURITY ACT IN MALAYIA: ABOLISH, NOT REFORM IT‟, in: East Asia Forum. Stand: 27. August 2009, http://www.eastasiaforum.org/ 2009/08/27/the-internal-security-act-in-malaysia-abolish- not-reform-it/ [10. März 2010].14 | The Star Online, „TERESA KOK RELEASED FROM ISA DETENTION‟, Stand: 19. September 2008, http://thestar.com.my/news/story.asp?file=/2008/9/19/ nation/20080919132938&sec=nation [10. März 2010].15 | „Hindraf Trio, 10 Others Freed From Isa‟, in: The Malaysian Insider, Stand: 08. Mai 2009. http://themalaysianinsider.com/ malaysia/article/Hindraf-trio-10-others-freed-from-ISA/ [10. März 2010].16 | Deborah Loh, „ONG TEE KEAT (PANDAN)‟, in: The Nut Graph – MP Watch, Stand: 10. Februar 2010, http://thenutgraph.com/ mp-watch-anifah-aman [10. März 2010].

In den letzten Jahren haben neue Technologien die malaysischen Bürger erreicht und mit zusätzlichen Möglich-keiten der Kommunikation und Infor-mationsbeschaffung ausgestattet, die weit weniger leicht zu kontrollieren sind als klassische Medienkanäle.

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Die Entwicklung der digitalen Kommu-nikation wird maßgeblich vom Inter-net getragen. In Malaysia besitzt das weltweite Netz einen gewissen Sonder-status.

AN DER PRESSEZENSUR VORBEI IN DIE NEUE MEDIENWELT

In den letzten Jahren haben neue Technologien die malay-sischen Bürger erreicht und mit zusätzlichen Möglich-keiten der Kommunikation und Informationsbeschaffung ausgestattet, die weit weniger leicht zu kontrollieren sind als klassische Medienka-näle. Vorreiter ist das Internet mit seinen schier endlosen Kommunikationsplattformen und der Mobilfunk mit der Möglichkeit des Versandes von Kurzmitteilungen. Die Bedeu-tung von Kurznachrichten lässt sich sehr schnell vor allem damit erklären, dass die Technologie ein beliebter und unkomplizierter Weg ist, Informationen von A nach B zu befördern. Teil dieses Erfolges ist die relativ hohe Verbrei-tung von Mobilfunkanschlüssen in Malaysia. Im Jahr 2008 ist erstmalig eine Sättigung von 100 Handys per 100 Einwohner erreicht worden.

Diagramm Nr. 1Mobiltelefone je 100 Einwohner in ausgewählten Ländern

Quelle: Internatiol Telecommunication Union (ITU).

Diese Zeichen der Zeit haben die Oppositionsparteien in den Wahlkämpfen 2004 und 2008 erkannt und für sich zu nutzen versucht. Tatsächlich registrierten die drei größten malaysischen Mobilfunkbetreiber einen verstärkten SMS-Verkehr insbesondere bei Bekanntgabe der Ergebnisse

SingapurDeutschland

Malaysia

Philippinen

Indonesien

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Gleichwohl genießt das Internet in Malaysia aber immer noch die Freihei-ten, die bei den klassischen Medien sukzessive untergraben wurden. Dennoch ist ein Trend hin zu stren-geren Kontrolle und Überwachung erkennbar.

und im Verlauf des Wahltags 2008. Der Mobilfunkanbieter Celcom beispielsweise verzeichnete am Wahltag eine Mehrnutzung von rund 15 Prozent. Der führende Betreiber Maxis sprach sogar von einem 31-prozentigen Anstieg.17

Die Motivation einzelner Parteien, Kurznachrichten inten-siver gegenüber einer breiten Masse zu nutzen, mag unterschiedlicher Natur gewesen sein, vor allem aber

spielte der ökonomische Faktor eine tragende Rolle. So gibt ein Parteivertreter an, dass ein zwei mal 0,75 Meter großes Banner rund 20 Euro koste, für den gleichen Geldbetrag sei man in der Lage, 2000 Kurznachrichten zu versenden, da der Stückpreis lediglich einen Cent per SMS betrage. Über ein solch güns-

tiges Instrument der Wählermoblisierung ließe sich viel eher ein „Lauffeuer‟ unter einer expandierenden Wähler-schaft entfachen als beispielsweise per E-Mail. Denn bei letzterem fehle eindeutig der persönliche Charakter, es kämen einfach zu viele ungewünschte Massenmails und Spamnachrichten an. Auf dem Handy hingegen sei man vergleichsweise selten mit massenweise versandten Kurz-mitteilungen konfrontiert, auch unterlägen diese keiner staatlichen Zensur. Es könne auf diesem Wege ein Wähler schnell, einfach, ungefiltert und vor allem frei von etwaigen Druck von außen eine politische Kurznachricht erhalten.18

Just diesen Punkt greift die Kritik der Regierungskoalition BN auch gerne immer wieder auf. So fordern manche Stimmen, dass ein derartiger Umgang mit neuen Kommu-nikationsmöglichkeiten für einen Vielvölkerstaat wie Malaysia „ungesund‟ sei. Befürchtet werden Handlungen, die in den Augen der Regierung das Kriterium einer aufwie-gelnden Handlung gemäß dem bereits genannten Sedition Act erfüllen und deswegen in weiterer Folge strafbar seien. Aus diesem Grund wird der Ruf aus dem Regierungslager nach geeigneten Instrumenten zur Verfolgung und zur Erleichterung der Polizeiarbeit in diesem Bereich immer lauter.

17 | Jo Timbuong, „Surge in SMS Traffic on Election Day‟, in: Sunday Star vom 30. März 2008, S. 24.18 | Foong Pek Yee, Lee Yuk Peng und Ng Cheng Yee, „Role Played By SMS in Election Outcome‟, in: Sunday Star vom 30. März 2008, S. 23 - 34.

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Die Entwicklung der digitalen Kommunikation wird maßgeblich vom Internet getragen. In Malaysia besitzt das weltweite Netz einen gewissen Sonderstatus, da der dama-lige Premierminister Dr. Mahathir Mohamad im August 1996 einen nationalen Plan zur Schaffung eines interna-tionalen Multimedia Super Corridor nach dem Vorbild von Silicon Valley verkündete. Alles war auf das Gesamtziel gerichtet, Malaysia zu einem internationalen Multimedia-verteilerzentrum zu machen und den Staat ins Zeitalter der Informationstechnologie zu katapultieren.19 Da Malaysia wie viele andere aufstrebende Nationen auf ausländische Direktinvestitionen (Foreign Direct Investments, FDI) angewiesen ist, lassen sich ausländische Unternehmen aus der Informations- und Kommunikationsbranche kaum durch Zensurregelungen locken. Demzufolge einigte man sich auch auf ein (zwar nicht rechtsbindendes) Dokument, den Bill of Guarantees. In dem zehn Punkte umfassenden Garantienkatalog wird festgeschrieben, dass keine Inter-netzensur stattfinden werde.20 Dem ist man bislang im Wesentlichen nachgekommen. Nur einige Seiten mit porno-graphischen Inhalten wurden bisher geblockt. Dennoch wurde im August 2008 erstmalig auch ein bekannter Blog für einen Monat gesperrt, weil „einige Kommentare unsen-sibel und grenzwertig anstiftend sind‟.21 Nachdem die von der malaysischen Medien- und Kommunikationskom-mission (Malaysian Media and Communications Commis-sion, MCMC) verordnete Sperre aufgehoben worden war, wurde der Betreiber des Blogs jedoch in Verwahrungshaft genommen. Seine Inhaftierung konnte nach erst 53 Tagen per Gerichtsbeschluss beendet werden.22

19 | Lim Chee Aun und Song Kee Jiunn, „MALAYSIAN MILESTONES‟, in: Keranamu Malaysia, http://phoenity.com/hibiscus/history/ milestones.html [10. März 2010].20 | Multimedia Super Corridor, „MSC MALAYSIA 10 POINT BILL OF GUARANTEES‟, http://www.mscmalaysia.my/topic/MSC+ Malaysia+Bill+of+Guarantees [10. März 2010].21 | Vgl. Andrew Ong, „Malaysia Today Blocked! Order From MCMC‟, in: Malaysiakini, Stand: 27. August 2008, http://www.malaysiakini.com/news/88683 [10. März 2010].22 | „Leading Blogger Raja Petra Kamaruddin Finally Released‟, in: Reporter Without Borders, 7. November 2008, http://www.rsf.org/Leading-blogger-Raja-Petra.html [10. März 2010].

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WACHSENDE POLITISCHE KOMMUNIKATION ÜBERS INTERNET

Gleichwohl genießt das Internet in Malaysia aber immer noch die Freiheiten, die bei den klassischen Medien sukzessive untergraben wurden. Dennoch ist ein Trend hin zu strengeren Kontrolle und Überwachung erkennbar. Die Gründe hierfür sind zahlreich: Zum einen sind es hoch-politische Blogs, Online-Zeitungen und kritische Diskus-sionsforen, die einigen Behörden ein Dorn im Auge sind, zum anderen sind es die Nutzer selbst, die durch ihr „Surf-verhalten‟ genau nach solchen Informationen Ausschau halten. So hat die MCMC in einem Bericht zum Nutzungs-verhalten des Internets einzelner Haushalte im Jahre 2008 festgestellt, dass 94 Prozent der Benutzer des Internets politische Informationen, Blogs oder Online-Zeitungen suchen. Im gleichen Bericht noch drei Jahre zuvor gaben nur 40,5 Prozent der Befragten an, auch wegen derartiger Informationen das Internet aufzusuchen. Im Bericht ist weiter angeführt, dass 27,88 Prozent der Antwortenden angeben, selbst an Blogs teilzunehmen.23 Diese starke Wandlung oder Neuausrichtung im Nutzungsverhalten ist vermutlich auch jenen kritischen Medien, die nur im Internet zu finden sind, zu verdanken.

Diagramm Nr. 2Internetnutzer je 100 Einwohner in ausgewählten Ländern

Quelle: ITU.

23 | Malaysian Communications and Multimedia Commission, „Household Use of the Internet Survey 2008‟, http://www.skmm.gov.my/facts_figures/stats/pdf/ HUIS08_02.pdf [10. März 2010].

Deutschland Singapur

Malaysia

Indonesien

Philippinen

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Vor diesem Hintergrund entwickelt sich das Internet in Malaysia zu einem der wichtigsten Informationsmedien. In politischer Hinsicht ist es zu einem Wahlkampfplakat unbekannter Dimension geworden. Ein Blick zurück in den Wahlkampf der Parlamentswahlen im März 2008 bestätigt dies. Eine von Zentrum Future Studies Malaysia durch-geführte Studie unter 1.500 Befragten im Alter zwischen 21 und 50 Jahren, belegt den stark wachsenden Einfluss der neuen Medien auf die Wählerschaft. Die Teilnehmer wurden befragt, welchem Medium sie im Wahlkampf am meisten Glauben schenkten. So gaben ganze 64,5 Prozent der 21- bis 30-Jährigen an, für verlässliche Informati-onen Blogs und andere Onlinemedien aufzusuchen. Nur 23,1 Prozent präferierten Fernsehen und 12,4 Prozent vertrauten auf Zeitungen. Für die Altersgruppe von 31 bis 40 Jahren galten ähnliche Werte: 61,7 Prozent berufen sich hier auf Online-Informationen, hingegen nur 23,5 Prozent auf TV und lediglich 14,8 Prozent auf Zeitungen. Die Wählerschicht der befragten 41- bis 50-Jährigen demon-strierte allerdings noch ein anderes Wahrheitsempfinden, sie vertrauen mehrheitlich auf die klassischen Medien wie Zeitungen und Fernsehen.

Abbildung Nr. 3Glaubwürdigkeit verschiedener Medienbereiche im Wahlkampf (Alter der Befragten zwischen 21 und 40 Jahren)

Quelle: Zentrum Future Studies Malaysia.

Dr. Abu Hassan Hasbullah, der das Institut Zentrum leitet und an der University of Malaya lehrt, schließt aus diesen Daten, dass die Regierungskoalition BN durch deren geringe Bemühungen im Internet den Anschluss an die

Fernsehen 23,3 %

Zeitungen 26,6 %

Internet 63,1 %

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Wählerschaft und deshalb den „Informations- und Medien-krieg‟ des Wahlkampfes 2008 verloren habe. Er fügt hinzu, dass bereits Mitte 2000 die Opposition mehr als 7500 Blogs und Webseiten kontrollierte. Die Regierung konnte im Gegenzug nur drei Webseiten aufweisen.24

POLITIKER UND PARTEIEN BLOGGEN, TWITTERN, FLICKRN…

Mittlerweile ist auch die Regierungskoalition BN auf den Internet-Zug aufgesprungen: Der Premierminister bloggt25, schreibt regelmäßig Tweets, ist auf Facebook präsent und zeigt auf Flickr Fotos von besuchten Veranstaltungen und die dazugehörigen Videos im eigenen YouTube-Kanal. Auch ist die omnipräsente Medienkampagne 1Malaysia des Regierungschefs Najib Razak zu erwähnen, die in allen klassischen Medien vertreten ist und sich erst recht auch im Internet wiederfindet. Nennenswert ist hier vor allem die Webseite 1malaysia.com, die als zentrale Kommuni-kationsplattform dient und Links zu den Profilen auf allen anderen Portalen zur Verfügung stellt, aber vor allem den Blog von Najib veröffentlicht. Hier wird mindestens im Wochenrhythmus versucht, Einträge zu verfassen, in denen häufig Stellung zum aktuellen politischen Tages-geschehen genommen, neue Pläne veröffentlicht oder die Zeilen genutzt werden, um dem Leser neue Details des in der Tat weitumspannenden 1Malaysia-Konzeptes zu erläu-tern.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums steht Anwar Ibrahim, der Anführer der Oppositionskoalition Volkspakt (Pakatan Rakyat, PR), der seit Januar 2008 aktiv über Twitter kommuniziert. Seitdem scheint der Oppositi-onsführer Gefallen daran gefunden zu haben und berichtet stets und überall von neuesten Ereignissen. So geschehen auch im Februar 2009, als er als Angeklagter in einem Verfahren direkt aus dem Gerichtssaal über Twitter berich-

24 | „How BN Lost the Media War‟, in: New Straits Times, 2. April 2008.25 | „Blogs Listing‟, in: 1Malaysia, http://www.1malaysia.com.my/ index.php?option=com_myblog&Itemid=54&lang=en [10. März 2010].

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Eine von Zentrum Future Studies Malaysia durchgeführte Studie unter 1.500 Befragten im Alter zwischen 21 und 50 Jahren, belegt den stark wach-senden Einfluss der neuen Medien auf die Wählerschaft. Die Teilnehmer wurden befragt, welchem Medium sie im Wahlkampf am meisten Glauben schenkten. So gaben ganze 64,5 Pro-zent der 21- bis 30-Jährigen an, für verlässliche Informationen Blogs und andere Onlinemedien aufzusuchen.

tete.26 Daneben unterhält er auch einen entsprechenden Blog, in dem beinahe täglich neue Einträge erscheinen. Aber nicht nur großflächig bekannte Politiker nutzen das Internet, um sich selbst darzustellen, sondern auch immer mehr einfache Parlamentarier setzten das Medium für sich ein.

Ein gänzlich neuer Ansatz in Malaysia und in Südostasien ist in diesem Kontext ein Projekt, das sich an dem Konzept des deutschen Portals Abgeordnetenwatch orientiert. Umgesetzt wird dieser Vorstoß durch eine junge, auf Analysen ausgerichtete Online-Zeitung namens The Nut Graph.27 Den Journalisten war bewusst, dass eine direkte Übertragung des deutschen Modells in Malaysia scheitern würde. So wurden von der Redaktion und der Leserschaft je drei Fragen ausgewählt, um diese an die Parlamentarier zu stellen. Diese Fragen zur Religionsausrichtung, den Freiheitsrechten, dem Selbstverständnis und dem Idealbild einer parla-mentarischen Demokratie wurden ab Januar 2010 für fünf Monate schrittweise an alle 222 Abgeordneten gesandt. Um die Beantwortung binnen einer zweiwöchigen Frist wurde gebeten. Die Resonanz fiel sehr unterschiedlich aus, aber in der Tendenz ähnlich, wie bei Abgeordne-tenwatch in Deutschland. Während einige Politiker sich aus den verschiedensten Gründen sträubten, erkannten andere schnell die Möglichkeit zur Selbstdarstellung und Profilierung. Für manche war es ungewohnt, plötzlich um ihre eigene Meinung gefragt zu werden und sich nicht auf die Diktion der Parteiführung verlassen zu können.28

26 | Sue-Ann Chua, „Court Visits Alleged Sodomy Scene‟, in: The Edge. 4. Februar 2010, http://www.theedgemalaysia.com/ political-news/159102-update-court-visits-alleged-sodomy- scene-.html [10. März 2010].27 | Das Partnerprojekt der Konrad-Adenauer-Stiftung in Malaysia, The Nut Graph veröffentlicht seit August 2008 Informationen zur Politik und Kultur im Internet. Das Webportal erstellt aktuelle Berichte, Kommentare und Analysen und sucht den Dialog mit den Lesern. Ausführlich hierzu: http://www.thenutgraph.com/what-is-the-nut-graph [22.4.2010]; Deborah Loh, „Knowing Your MPs‟, in: The Nut Graph, 8. Januar 2010, http://www.thenutgraph.com/ knowing-your-mp [10. März 2010].28 | Deborah Loh, „Watching Our MPs‟, in: The Nut Graph, Stand: 18. Februar 2010, http://www.thenutgraph.com/ watching-our-mps [10. März 2010].

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„Wir wollen, dass sich die Abgeordneten ihrer Verantwor-tung bewusst werden. Wir wollen sie und die Öffentlichkeit daran erinnern, wofür sie eigentlich da sind. Sie sollen unsere Gesetze machen, nicht auf dem Marktplatz Hände schütteln und Geld verteilen‟, erklärt Chefredakteurin Jacqueline Ann Surin von The Nut Graph.

FAZIT

Stellt man nun abschließend die Frage, wie groß der Einfluss der neuen Medien in Malaysia auf die politische Kommunikation ist, so muss von einem stetig wachsenden Einfluss ausgegangen werden. Lässt sich hieraus bereits

ein Trend und kultureller Wandel hin zu einer stärkeren Demokratisierung und politischen Liberalisierung des Landes ableiten? Viel-leicht. Bislang fehlen hierzu freilich abge-sicherte empirische Untersuchungen und spezifische Analysen. Doch die Fähigkeit der Bürger Malaysias, miteinander im weitestge-hend nicht zensierten neuen Medienraum zu

kommunizieren, dürfte nicht ohne weitere gesellschaftliche und politische Folgen bleiben. Jedenfalls wird bis zu den nächsten regulären Parlamentswahlen im Jahr 2013 der Anteil der Nutzer neuer Medien weiter stark ansteigen. Dies wird nicht ohne Auswirkungen auf die Parteien, ihre Mandatsträger und die zukünftigen Wahlkampagnen bleiben.

Mittlerweile ist auch die Regierungs-koalition BN auf den Internet-Zug aufgesprungen: Der Premierminister bloggt , schreibt regelmäßig Tweets, ist auf Facebook präsent und zeigt auf Flickr Fotos von besuchten Veranstal-tungen und die dazugehörigen Videos im eigenen YouTube-Kanal.

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Wie es euch gefällt – Nach den USA erliegen auch asiati-sche Politiker dem Charme von Facebook und TwitterPaul Linnarz

Politische Kommunikationin Subsahara-Afrika und die Rolle der Neuen MedienFrank Windeck

Revolution 2.0:Ein Schrecken für autoritäreRegime – Digitale Kultur undpolitische Kommunikation inLateinamerikaFrank Priess

Der Einfluss des Internetsauf Parteien und WahlkämpfeTrygve Olson / Terry Nelson

Politik aus der Nische. Diedigitale politische Kommuni-kation als Informationsquelle und Austauschforum für die Opposition in WeißrusslandStephan Malerius

Chinas digitale Revolution –politische Kommunikation in der virtuellen WeltRegina Edelbauer

Pressefreiheit, Neue Medien und politische Kommunikation in Malaysia – eine Gesellschaft im WandelThomas S. Knirsch /Patrick Kratzenstein

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