Kat Kruger • Die Nacht hat Krallen - bücher.de · Etwas Wildes hatte die Kontol rle übernommen. r Igendetwas wurde an jenem Tag in mir entfes selt und führte dazu, dass ein andeer

Kat Kruger • Die Nacht hat Krallen

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DIE AUTORIN

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wis Seit ihrem Studium an der

Mount Saint Vincent University in Halifax arbeitet Kat Kruger freiberuflich als PR-Beraterin und Autorin. Ihr Debütroman DIE NACHT HAT KRALLEN wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrem Ehemann in Kanada.

Kat Kruger

Die Nacht hat Krallen

Aus dem Englischen von Michaela Link


Kat Kruger


Aus dem Englischen von Michaela Link


Verlagsgruppe Random House FSC® N001967 Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifizierte Papier Pamo House liefert Arctic Paper Mochenwangen GmbH.

1. Auflage Deutsche Erstausgabe November 2014First published by Fierce Ink Press © 2012 by Kat KrugerOriginaltitel: »The Magdeburg Trilogy Book One. The Night Has Teeth«© 2014 für die deutschsprachige Ausgabe by cbt Verlagin der Verlagsgruppe Random House GmbH, MünchenAlle deutschsprachigen Rechte vorbehaltenAus dem Englischen von Michaela LinkLektorat: Kerstin WeberUmschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen unter Verwendung des Originalcovers von Angela GoddardUmschlagbilder: © iStockphoto (pialhovik) und Getty images/Thinkstock (Ivan Bastien, Villedieu Christophe)mi ∙ Herstellung: kwSatz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad AiblingDruck und Bindung: GGP Media GmbH, PößneckISBN: 978-3-570-30937-7Printed in Germany

www.cbt-buecher.de

Kinder- und Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House


»Die Nacht hat Zäh ne. Die Nacht hat Klau en, und ich habe sie ge fun den.«

– Au gen zeu gen be richt über den Wolf von Mag de burg, 1819

Kinder- und Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House



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Pro log:

Der Spiel platz des Teu fels

An mei nem ers ten Tag im Kin der gar ten habe ich ei nen an-de ren Jun gen ge bis sen. Kräf tig. Zu mei ner Ver tei di gung: Er hat te es ver dient. Wäh rend der Pau se hat te er ei nen klei-nen Hund ge quält – hin ter dem lan gen Ma schen draht zaun, der den Spiel platz um gab, hat te er Stei ne nach ihm ge wor-fen. Als es läu te te und wir wie der hi nein ge scheucht wur den, habe ich ihn des we gen zur Rede ge stellt. Ich wuss te es da-mals nicht bes ser. Mein Sinn für Ge rech tig keit war ge prägt von Dis ney-Fil men und dem, was ich im Fern se hen ge se-hen hat te. Er hat als Ers ter zu ge schla gen. Was als Nächs tes ge schah, bleibt ver schwom men. Das Ein zi ge, was ich mit Be stimmt heit weiß, ist, dass ich ihn ge bis sen habe. So fest, dass in mei ner Er in ne rung zu al ler erst der me tal li sche Ge-ruch von Blut auf taucht. Und wenn ich ehr lich sein soll, der Ge schmack von Blut. Ich habe die Be herr schung ver lo ren.


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Ob für Se kun den oder Mi nu ten kann ich nicht sa gen. Ich war nicht nur ein klei ner Jun ge, der über die Strän ge schlug. Et was Wil des hat te die Kont rol le über nom men. Ir gend et was wur de an je nem Tag in mir ent fes selt und führ te dazu, dass ein an de rer Jun ge fürs Le ben ge zeich net war.

Da nach stand ich ein fach nur da und be ob ach te te, wie sich al les um mich he rum ent wirr te, als wer de ein Uni ver-sum neu ge bo ren. Ir gend wie spür te ich, dass die Welt, wie ich sie kann te, nicht mehr die sel be sein wür de, so bald die Ster ne end lich ih ren Platz ge fun den hat ten. Als es vo rüber war, wein ten die an de ren Kin der und die Er wach se nen küm-mer ten sich um den schluch zen den Jun gen. Ich weiß noch, dass mich ihre feind se li gen Bli cke ver wirr ten – als sei ich der-je ni ge ge we sen, der Un recht ge tan hat te. Ihre lan gen Schat-ten ver bün de ten sich mit ei nan der im Mor gen licht, das den Grup pen raum flu te te. Mei ne ei ge ne Sil hou et te kroch über den Li no le um bo den und hielt in mit ten ei nes blu ti gen Mus-ters inne. In dem Wirr warr aus schar lach ro ten Krin geln prang te ein ein zi ger ro ter Hand ab druck – es sah so aus, als hät te mein Schat ten ge ra de sei ne Un ter schrift un ter ein Fin-ger far ben bild ge setzt.

Be schämt nah men mei ne El tern mich noch am sel ben Tag aus dem öf ent li chen Kin der gar ten. Wir ha ben nie über den Vor fall ge re det. Je den falls nicht, so weit ich mich er in nern kann. Sie be zahl ten je mand an de ren da für. Die Bot schaft an mich war klar und deut lich: Klei ne Jungs soll ten an de re


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klei ne Jungs nicht bei ßen. Ich war ein Freak. Eine Ano ma lie der Na tur. Noch Jah re da nach fühl te ich mich ge nau so. Als wäre mir mein ei ge nes dunk les We sen auf den Fer sen, nur da rauf aus, sei nen schau ri gen Kopf er neut zu he ben. Und ich konn te nichts an de res tun, als da vor weg lau fen.

Ich er in ne re mich nur noch vage an die Be su che bei ei ner Kin der psy cho lo gin. Wie lan ge ich in Be hand lung war, kann ich nicht wirk lich sa gen. Ich schät ze, wir ha ben ein fach so lan ge ge re det, bis sie si cher war, dass sie er stickt hat te, was im mer sich an je nem fri schen Sep tem ber mor gen in mir er-ho ben hat te. Fest steht, dass so et was nie wie der vor ge kom-men ist für den Rest mei ner Kind heit bis hi nein in mei ne Teen ager jah re. Al les blieb ru hig. Zu min dest dach te ich das. Ich hät te mir nicht träu men las sen, dass die se Ge schich te von mei nem ers ten Tag im Kin der gar ten ir gend wann wie-der eine Rol le spie len wür de.



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Al les auf An fang

Ich bin spät dran. Ich has se es, zu spät zu kom men.Das ver dan ke ich mei nen El tern. Ich war im mer das Kind,

das al lei ne he rum stand – auf Base ball fel dern, nach Mu sik-stun den oder ir gend wel chen an de ren au ßer schu li schen Ak-ti vi tä ten, zu de nen sie mich an mel de ten –, um dann schließ-lich, lan ge nach dem alle an de ren Kids samt Ge schwis tern in Min ivans und SUVs ver frach tet wor den wa ren, ab ge holt zu wer den. Die Uh ren mei ner El tern gin gen im mer drei ßig Mi nu ten lang sa mer als die Uh ren an de rer Müt ter und Vä ter. Als ich in die drit te Klas se kam, lern te ich, da mit um zu ge-hen, und freun de te mich mit den Schlüs sel kin dern an, die mit ei ner Ext ra por ti on Ei gen stän dig keit auf wach sen. Ver-steht mich nicht falsch: Nicht, dass je mand das Ju gend amt hät te an ru fen sol len oder so was. Ich mei ne, sie sind kei-ne schlech ten El tern. Es ist ein fach nur schwie rig, mich in


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ih rem be reits über buch ten Le ben un ter zu brin gen. Ich neh-me es in ih nen nicht übel. Na ja, nicht mehr. Nicht, seit ich hier in Pa ris bin, ein Welt meer von da heim ent fernt.

Nach mei nem kur zen Aus flug ins öf ent li che Bil dungs-sys tem – der Tag im Kin der gar ten – ha ben mei ne El tern wohl ge dacht, ich wür de un ter dem Ein zel kind synd rom lei-den. Also set zen sie al les da ran, mich an stän dig so zi a li siert zu wis sen. Wie ei nen Wel pen. Seit mei nem zwei ten Kin der-gar ten tag be su che ich das Lyc ée Fran çais in New York und be le ge das Bi lin gu al In ter na ti o nal Bacc ala ure ate-Pro gramm. Das heißt im Klar text, dass ich flie ßend Fran zö sisch spre che. Und dass ich ein Nerd bin – al ler dings nicht auf die tren-di ge Art, die man im Fern se hen sieht, und auch nicht die Art ma the ma tisch-na tur wis sen schaft li ches Ge nie. Nur die ge wöhn li che Spe zi es, die Man gas liest, On line spie le spielt und sich in Ge sell schaft an de rer furcht bar pein lich ver hält. In der Hof nung, dass ich ir gend wann Freun de fin den wür de oder zu min dest an de re Kids in mei nem Al ter mit ähn li chen In te res sen, ha ben mich mei ne El tern für alle nur er denk li-chen Frei zeit ak ti vi tä ten an ge mel det. Der Ha ken da ran: Ich war nie in der Lage, mich ir gend wo ein zu fü gen. Und bin es im mer noch nicht.

Das ist der Punkt, an dem mein Aus lands jahr ins Spiel kommt. Für mein letz tes Jahr an der High school habe ich ein Sti pen di um an Land ge zo gen, und mei ne El tern wä ren ver rückt ge we sen, es ab zu leh nen: vol le Schul geld er stat tung


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und pri va te Un ter brin gung in klu si ve Voll pen si on. Es ver-stand sich von selbst, dass ich ge hen wür de, um voll kom-men in die Spra che ein zu tau chen und da mit mei ne Chan cen wei ter zu ver bes sern, an eine Uni ver si tät wie die Sor bonne zu kom men. Was hielt mich schon da heim in New York: Ich habe kei ne nen nens wer ten ech ten Freun de, kei ne Freun-din, und ich habe so gar die meis ten auf ge zwun ge nen Hob-bys mei ner frü he ren Kind heit auf ge ge ben. Ein Jahr im Aus-land ist die per fek te Chan ce, mich neu zu er fin den – et was, das in mei ner Hei mat stadt un mög lich wäre, un ter all den Men schen, die mit mir auf ge wach sen sind. Je grö ßer die ge-wünsch te Ver än de rung, umso grö ßer die not wen di ge Ent fer-nung. Und das ist der Punkt, an dem die Vic tor Hugo In ter-na ti o nal School in Pa ris ins Spiel kommt. Ein sau be rer Bruch. Ein neu er An fang. Vo raus ge setzt, dass ich das neue Le ben nicht ver pas se, in dem ich zu spät kom me. Ir gend wie habe ich es glatt ge schaft, den We cker zu ver schla fen.

Ich wer fe den Kof er, aus dem ich die letz te Wo che über ge lebt habe, aufs Fußen de mei nes schma len Bet tes und stö-be re wie ein Tier nach den am we nigs ten zer knit ter ten Kla-mot ten: Jeans und ein Green-Day-T-Shirt. Das wird rei chen müs sen. Wäh rend ich ver su che, al les gleich zei tig an zu zie hen, stol pe re ich durch die üp pig de ko rier te Woh nung. Von den an ti ken Mö beln bis hin zu den ur alt wir ken den Wand be-hän gen fühlt man sich hier wie in ei nem Mu se um für Welt-geschich te. Mei ne Gast mut ter ist nir gends zu se hen. Auch


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gut. Sie ent spricht ganz und gar nicht dem, was ich mir vor-ge stellt habe. Was ich mir vor ge stellt habe, wa ren lie be voll zu be rei te te Mahl zei ten und stän di ge Auf merk sam keit. Zu mei nem Ent set zen muss te ich beim ers ten Abend es sen je-doch fest stel len, dass es hier so et was wie eine Roh kost diät gibt, nach dem sie mir Steak tart are vor set zen woll te. Wir sind zu der still schwei gen den Über ein kunft ge langt, dass ich Es sens geld be kom me und im Ge gen zug da für kein Wort über un ser Ar ran ge ment ver lie re. So ge se hen, krie ge ich also im mer noch die vor ge se he nen drei or dent li chen Mahl zei-ten am Tag.

Um ehr lich zu sein, war ich ein we nig ner vös, was die se gan ze Gast fa mi li en-Sa che be traf. Nach dem ich den größ-ten Teil mei ner Exis tenz al lein ver bracht habe, kann man wohl sa gen, dass ich per sön li chen Frei raum ge wohnt bin. Die Aus sicht auf mü ßi gen Small Talk mit ei ner Gast fa mi lie war am we nigs ten ver lo ckend bei mei ner Ent schei dung, ins Aus land zu ge hen. Aber auch auf die sem Ge biet er leb te ich eine Über ra schung: Mei ne Gast mut ter hat ziem lich selt sa me Ar beits zei ten, kommt manch mal erst nach Mit ter nacht nach Hau se und schläft bis spät in den Tag hi nein. Dann wie der ist sie fort, be vor ich auch nur auf wa che. Ich weiß nie, wann ich mit ihr rech nen kann, und so ha ben wir seit mei ner An-kunft kaum mehr als ein Dut zend Wor te ge wech selt.

In der Hof nung auf Früh stück rei ße ich die Tür des win-zi gen Kühl schranks fast aus den An geln. Die gan ze letz te


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Wo che habe ich da mit ver bracht, in Ca fés rum zu hän gen und mir Se hens wür dig kei ten an zu schau en, statt mei nen Kof er aus zu pa cken oder Le bens mit tel zu kau fen. Of en-sicht lich. Denn der In halt des Kühl schranks be steht le dig-lich aus ei ner Vier tel fla sche Milch und ei nem Glas Mar me-la de. Nur eins da von ist pur zum Früh stück ge nieß bar, also kip pe ich run ter, was von der Milch noch üb rig ist, und schaf e es auch noch, den größ ten Teil da von über mein Kinn und auf mein T-Shirt zu kle ckern. Per fekt. Kei ne Zeit zum Um zie hen.

Ich bin im mer noch mit dem Reiß ver schluss mei ner Jeans be schäf tigt, als ich am Spie gel vor bei lau fe. Mei ne Haa re ste-hen in al len der Schwer kraft trot zen den Win keln ab und se hen aus wie ein tro cke nes brau nes Nest, das ein Vo gel auf Crack ge baut hat. Ich fah re mit den Fin gern durch das vor han de ne Ma te ri al, bis ich et was hin ge kriegt habe, wo-von ich hof e, dass es als Out-of-Bed-Look durch geht. Ich schlie ße die Tür ab und schnap pe mir mein Fahr rad, das an der ge gen ü ber lie gen den Wand des klei nen Trep pen ab-sat zes lehnt. Es ist die ein zi ge Woh nung über der Metz ge rei im Erd geschoss. Wäh rend ich die schma le Trep pe hi nun ter-eile, geht un ten die Ein gangs tür auf und Licht flu tet in den Haus flur. In die sem Mo ment kommt ein Hund die Stu fen hoch ge stürmt. Nur dass er nicht aus sieht wie ein Hund. Der Trep pe ist zu eng, um ir gend wo an ders hin aus zu wei chen als nach oben. Doch be vor ich zu rück tre ten kann, macht er


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ei nen Satz auf mich zu. Ich be kom me die vol le Wucht ei nes hun dert fünf zig Pfund schwe ren Vier bei ners zu spü ren und bre che zu sam men.

Ich knal le mit dem Hin ter kopf ge gen eine Holz stu fe. Zor ni ge bern stein far be ne Au gen fi xie ren mich. Die Bes tie fletscht die Zäh ne. Eine Hand zieht an der di cken Gold ket te um den Hals die ses Viehs und hält es in Schach. Als ich an dem Hund vor bei schaue, be geg ne ich dem dun kel äu gi gen Blick ei ner jun gen Frau, de ren schwar zes Haar ihr in schar-fem Kont rast zu ih rem blas sen Ge sicht um die Schul tern fließt. Sie ist hübsch, aber nicht auf die Art ei nes hei ßen Hol-ly wood-Stars – un fass bar dünn und chi rur gisch ver än dert –, son dern eher exo tisch, mit un ge wöhn li chen Ge sichts zü gen. Sie hat et was Ro hes und Wil des an sich. Wie ein Pan ther.

Wie ge sagt, mei ne Gast fa mi lie ist nicht an nä hernd so, wie ich sie mir vor ge stellt habe. Was ich mir vor ge stellt habe, war ein Paar mitt le ren Al ters, das am Lee ren-Nest-Synd rom lei det, nach dem die er wach se nen Kin der aus ge zo gen sind. Statt des sen habe ich Am ara Li ang und ih ren Hund be kom-men. Ich habe sie nicht nach ih rem Al ter ge fragt, aber ich schät ze sie auf An fang zwan zig. Je den falls nicht alt ge nug, um mei ne Mut ter zu sein, nicht ein mal mei ne Gast mut ter. Aber viel leicht hat sie auch ein fach tol le Gene, was weiß ich schon? Die Schu le war of en bar der Mei nung, dass sie zu-rech nungs fä hig ge nug sei, um mit ei nem Gast schü ler klar-zu kom men. Mein ers ter Ge dan ke war, dass je mand in ih rem


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Al ter die Sa che mit der Haus ord nung eher lo cker nimmt. Kei ne Sperr stun den und Stand pau ken.

Ganz so ein fach ist es trotz dem nicht. Wann im mer ich in der Woh nung bin, wünsch te ich, sie wäre da, nur um die Ge le gen heit zu ha ben, mit ihr zu re den – was das ge naue Ge-gen teil von dem ist, was ich er war tet habe. Ja, ich weiß, ich bin ein Psy cho, weil ich sie im Geis te prak tisch stal ke, aber ich hof e ein fach, dass sie mich ir gend wie in te res sant fin det.

Der hei ße Atem auf mei nem Ge sicht er in nert mich an mei ne ge gen wär ti ge Zwangs la ge, wäh rend der Hund ein lau-tes Heu len aus stößt. Das Tier hat et was Un ge zähm tes und Wolfs ar ti ges an sich, ob wohl es glän zend brau nes Fell hat und of en sicht lich gut ver sorgt wird.

»Ist al les in Ord nung mit dir?«, fragt Am ara, als sie die Bes tie mü he los von mir he run ter zieht.

»Ja«, ant wor te ich, wäh rend ich mich auf rapp le. Ich füh-le mich schwumm rig.

»Du bist spät dran, oder?«»Mhm.«Ich grei fe mir an den Hin ter kopf, wo sich eine Beu le bil-

det. Am ara un ter sucht mich mit ei nem lan gen, prü fen den Blick, bis ich die Pan ther-Ana lo gie be reue, denn ich fan ge an, mich wie ein Stück Fleisch zu füh len. Schließ lich rückt sie mit ei nem ty pisch fran zö si schen Ach sel zu cken ihre Mess-en ger Bag ge ra de, zieht kurz an der Gold ket te, um ih ren Hund in Rich tung Trep pen ab satz zu bug sie ren, und zwängt


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sich selbst an mir vor bei. Ihre Schlüs sel klim pern, als sie auf-schließt. Ich gehe ei ni ge Stu fen nach un ten und hebe mein Fahr rad am Fußen de der Trep pe auf, wo es ge lan det ist. Als ich zu rück bli cke, um Au re voir zu sa gen, ist sie be reits in der Woh nung ver schwun den. Ein fach so. Ich will ge ra de den Blick ab wen den, als sich die bern stein far be nen Au gen des Hun des mit ei ner Glut in mich hin ein boh ren, die nicht ge ra de un ge fähr lich wirkt. Toll. Kei nen ein zi gen Freund in die ser Stadt, aber ei nen vier bei ni gen Feind. Und da bei hat er noch nicht ein mal ei nen pas sen den Na men für eine Ne-me sis. Als ich Am ara da nach ge fragt habe, hat sie mir nicht etwa ein fran zö si sches Äqui va lent für Kil ler oder Biest ge-nannt, son dern nur ge sagt, ich sol le ihn Lou nen nen. Wer gibt sei nem Hund schon ei nen mensch li chen Na men? Mir reicht’s für heu te. Und da bei hat der Tag noch nicht ein mal rich tig an ge fan gen.


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Start klar

Wir woh nen im 11. Ar ron dis se ment, dem am dich tes ten be-sie del ten Stadt vier tel nicht nur in Pa ris, son dern in ganz Eu-ro pa. Das weiß ich, weil ich es nach ge schla gen habe. Mit den Hän den am Len ker mei nes Fahr rads drü cke ich die Holz tür auf, die auf die be leb te Stra ße hi naus führt. Als mich der oh-ren be täu ben de Ge räusch pe gel um fängt, füh le ich mich, als wäre ich ge ra de aus dem Schlaf ge schreckt und müss te fest-stel len, dass je mand ei nen Jahr markt vor mei ner Schlaf zim-mer tür auf ge baut hat. Ich schwin ge mich in den Sat tel und tre te mit vol ler Kraft in die Pe da le in Rich tung Schu le. Der gan ze Ge bäu de komp lex hin ter mir fühlt sich an, als sei er in weit zu rück lie gen den Zei ten er baut wor den, zum Bei spiel als Na po le on Bo na par te frem de Län der er o bert und sich mit sei nem ei ge nen Kom plex be schäf tigt hat.

Bis jetzt er scheint mir Pa ris wie jede an de re Groß stadt auf


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der Welt: ein Ort vol ler Ano ny mi tät. Ich bin eine Amei se, und die Stadt ist je mand an de res Pick nick. Nicht di rekt das, was ich mir er hoft habe, als ich aus New York kam. Ich bin mir nicht si cher, was ich er war tet habe – ab ge se hen da von, ein mal in mei nem Le ben ein paar ech te Freun de zu fin den. Ge hofft habe ich je den falls, ein biss chen mehr her vor zu ste-chen. Doch ob wohl die Tou ris ten sai son sich dem Ende nä-hert, ist die Zahl der Schü ler und Stu den ten hier groß ge nug, um da rin völ lig un ter zu ge hen. Na ja, zu min dest wenn ich nicht ge ra de ein T-Shirt mit Milch fle cken und den Wor ten Ame ri can Idi ot auf der Brust tra ge. Der Grund, wa rum ich die ses T-Shirt über haupt ein ge packt habe, war ein An flug von iro ni scher Re bel li on. Jetzt kommt es mir ein fach nur kli schee haft vor.

Auf je den Fall ist die Stadt selbst eine ein zi ge gro ße Ge-schichts lek ti on in Sa chen Ar chi tek tur und Städ te pla nung. So et was wie bau fäl li ge Ge bäu de gibt es nicht, zu min dest habe ich kei ne ge se hen, und es scheint, als be fän de sich hin-ter je der Ecke ein bes tens ge pfleg ter Park. Das Schöns te und manch mal auch das Schlimms te an der Stadt sind die Ge-rü che. Alle mög li chen köst li chen Düf te der hie si gen Bä cke-rei en, Kon di to rei en und Fein kost lä den ste hen im kras sen Ge gen satz zu den ge le gent lich of e nen Ka na li sa ti ons de ckeln oder dem Zi ga ret ten qualm. Markt stän de drän gen sich an den Sei ten der oh ne hin be leb ten Stra ßen. Aber heu te – ob-wohl es ein wun der schö ner Spät som mer mor gen ist und die


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fri sche Luft mir übers Ge sicht streicht –, muss ich das al les ig no rie ren. Die baum ge säum ten Stra ßen und Markt stän de sind nichts wei ter als Hin der nis se auf mei nem Weg, und die Ge rü che von Back wa ren und Kaf ee las sen mich nur an mei-nen lee ren Kühl schrank und mei nen Hun ger den ken. Nach-dem ich mit dem fal schen Fuß auf ge stan den bin, ist auch die Aus sicht auf den rest li chen Tag ru i niert. Ir gend wie steht die ser Tag un ter kei nem gu ten Stern. Was zum Teil zwei fel-los eine self-ful fil ling prop hecy ist. Ich las se zu, dass mich die ne ga ti ven Ge dan ken auf res sen. Aber an den meis ten Ta gen bin ich mir ziem lich si cher, dass das Schick sal ein fach drauf aus ist, mich fer tig zu ma chen.

Bis zur Schu le sind es mit dem Fahr rad drei ßig Mi nu ten. Sie be fin det sich in ei nem Alt bau, ein ge keilt zwi schen mo-der nen Ge schäf ten, die ihn um zin geln. Mit sei nen kunst-vol len schmiede ei ser nen Ver zie run gen und dem ver schnör-kel ten Mau er werk bil det das Ge bäu de ei nen deut li chen Kont rast zu dem glän zen den Glas und dem ein fa chen Sand-stein sei ner Nach barn. Als wür de es dort ir gend wie nicht hin ge hö ren, ob wohl es schon seit Jahr hun der ten steht. In Stein ge mei ßel te Re li efs zie ren Mau er vor sprün ge und Ge-sims. His to ri sche guss ei ser ne Ge län der um rah men die un te-ren Fens ter ab schnit te. Es scheint eher für den Adel ge macht als für die Snea kers tra gen den Schü ler, die jetzt in sei nen Klas sen zim mern sit zen und sich drau ßen auf dem brei ten Geh weg ver sam meln.


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Als ich an kom me, wer fe ich mein Fahr rad ge ra de zu in ei nen nied ri gen Me tall stän der, schlie ße es ab und ren ne zu mei ner ers ten Un ter richts stun de. Ich bin so was von zu spät. Nach dem ich durch die Kor ri do re ge irrt bin und end lich den rich ti gen Raum ge fun den habe, ist der Un ter richt be reits im vol len Gan ge und das Klas sen zim mer über füllt mit O ber stu-fen schü lern. In Frank reich nen nen sie die ses Jahr ter min ale. Als sei es das Ende ei ner Stra ße. Ich ver su che mein Bes tes, mich lei se hin ein zu schlei chen, aber die ur al te Holz tür ver rät mich, zu erst mit ei nem lang sa men Knar ren, dann mit ei nem oh ren be täu ben den Kra chen, als sie zu fällt. Mir bleibt nichts an de res üb rig, als dem Leh rer ei nen Blick zu zu wer fen und mich mit ei nem schwa chen Lä cheln zu ent schul di gen. Ohne sich von mir ir ri tie ren zu las sen, deu tet er mit dem Kopf ins Klas sen zim mer und ich steu e re auf ei nen der we ni gen frei-en Plät ze im hin te ren Teil des Raums zu.

Bei mei nem er bärm li chen Ver such mich hin zu set zen, ohne wei te re Auf merk sam keit zu er re gen, kratzt der Stuhl so laut über den Bo den, dass ich mei nen Ruck sack fal-len las se. Als ich da nach schnap pe, kippt der Stuhl samt mei ner Per son zu Bo den. Crash! Alle Au gen rich ten sich auf mich. Pein lich? Aber hal lo. Selbst der Leh rer hält mit-ten im Satz inne, um mich an zu star ren, wäh rend ein paar Mäd chen ein ver hal te nes Ki chern ent fährt. Ich kann förm-lich hö ren, wie sich al ler Au gen ver dre hen den, wäh rend ich mei nen Stuhl wie der hin stel le und mich so tief wie mög-


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lich in den har ten Holz sitz drü cke, um mich un sicht bar zu ma chen. Kann die ser Tag noch schlim mer wer den? Wäh-rend sich die all ge mei ne Auf merk sam keit wie der auf den vor de ren Teil der Klas se rich tet, funk le ich mei nen ver rä-te ri schen Ruck sack an und über le ge, ob ich mei ne ge sam-te stil le Ener gie da rauf ver wen den soll, mei nen Lap top he-raus zu kra men. Aber im Mo ment bin ich so wie so viel zu auf ge wühlt, um mir No ti zen zu ma chen, also hole ich tief Luft und ver su che, auf die Ein füh rung des Leh rers in Psy-cho lo gie zu lau schen.

Auf der wei ßen Plas tik ta fel ste hen meh re re Lehr buch de fi-ni ti o nen. Vor al lem eine er regt mei ne Auf merk sam keit: »So-zi al psy cho lo gie: der Zweig mensch li cher Psy cho lo gie, der sich mit dem Ver hal ten von Grup pen be schäf tigt und mit de ren Ein fluss auf das In di vi du um.« Die ser Kurs wäre schon viel frü her in mei nem Le ben hilf reich ge we sen. Wenn es doch nur ein Hand buch für die komp li zier ten und ver wir ren den ge sell-schaft li chen Re geln von Cli quen gäbe. Ich hät te mich so gar mit ei ner Ein fach ver si on für Dum mies zu frie den ge ge ben. So zi a le Kon tak te zäh len ein fach nicht zu mei nen Stär ken. Die Si cher heit ei nes Com pu ter bild schirms war mir in Be-zug auf, nun ja, un ge fähr jede zwi schen mensch li che Be zie-hung am liebs ten. Wie auch im mer, der ers te Ein druck zählt, also schrei be ich die sen Kurs als Mög lich keit, neue Freun de ken nen zu ler nen, ab. Glück li cher wei se ver geht der Rest des Mor gens ohne wei te re pein li che Zwi schen fäl le.


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Zur Mit tags pau se bin ich völ lig aus ge hun gert, also schlüp-fe ich schnell in den Star bucks auf der an de ren Stra ßen sei-te, um mir ein Sand wich und ei nen Frap pucc ino zu ho len, be vor ich in den In nen hof hin ter der Schu le gehe. Auf dem ge trimm ten Ra sen hän gen Schü ler ab, knut schen he rum, spie len sich auf (Fuß ball ist der vor herr schen de Sport in die-ser Stadt). Ich pflan ze mich eben falls ins Gras und ma che es mir un ter der wär men den Spät som mer son ne be quem. Ge ra-de als ich in mei nen Ruck sack grei fen will, reißt ihn mir ein Fuß ball aus der Hand und mein Sand wich fällt zu Bo den. Ich rich te mich auf und ver su che, mei ne Mahl zeit zu ret ten, als ein Schat ten über mich fällt. Mit ei ner Hand schir me ich mei ne Au gen ge gen die Son ne ab und bli cke zu der Sil hou-et te im Ge gen licht auf.

»Des olé«, sagt ein Jun ge auf Fran zö sisch mit hef ti gem Ak-zent, wäh rend er auf mein zer brö sel tes Mit tag es sen hi nab-schaut.

»De rien. Nicht der Rede wert.«Ich hebe den Ball auf – und zö ge re ei nen Au gen blick.

Wenn ich ihn hi nü ber wer fe, stel le ich nur mei nen Man gel an Sport lich keit zur Schau, also ste he ich auf und rei che ihn dem Schat ten so männ lich, wie ich nur kann: fest und si cher.

»Dan ke«, sagt er und wech selt ins Eng li sche. »Hey, bist du nicht in Ber gers Psy cho lo gie kurs?«

»Ja«, ant wor te ich, er staunt da rü ber, dass er mich er kennt. Bis jetzt habe ich mich im mer für den Graue-Maus-Typ ge-


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hal ten. Erst dann er in ne re ich mich an mei nen hel den haft pein li chen Auf tritt von heu te Mor gen. Wer wür de mich da nicht wie der er ken nen?

»Ich bin Josh.«Ich ni cke. »Con nor.«Er sieht aus wie aus ei ner Schul wer be bro schü re. Al les an

ihm schreit förm lich nach Sport-Ass, ein schließ lich des wei-zen blon den Haa res und der him mel blau en Au gen. Er trägt ein ver blass tes blau es T-Shirt mit ei nem Auf druck, der wohl ein ka na di sches Ahorn blatt in der Mit te ei ner Ziel schei be dar stel len soll. Ei ner der Ty pen in der Grup pe ruft nach ihm, ir gend was von we gen Ein wurf.

»Spielst du?«, fragt Josh und zeigt auf den Ball, be vor er ihn sei nem Kum pel pro fi mä ßig zu wirft.

»Äh, nicht wirk lich«, stamm le ich.»Nicht dein Spiel, was?«, be merkt er ge las sen.»Ja, mei ne Spie le funk ti o nie ren nor ma ler wei se mit ei nem

Game pad.«Er lacht und deu tet über sei ne Schul ter auf ein paar Leu-

te, die im Schat ten ei nes Bau mes re la xen. »Wa rum hängst du nicht mit uns ab? Ich wer de dich al len vor stel len – na ja, zu-min dest wer de ich’s ver su chen. Die ers ten Tage, hm? Schwer, sich die vie len neu en Na men zu mer ken.«

Ich brum me et was Un ver fäng li ches, sam me le mei ne Sa-chen zu sam men und fol ge ihm über den Ra sen. Als wir nä her kom men, er ken ne ich eine Grup pe voll kom men


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durch schnitt li cher ame ri ka ni scher Teen ager – mit ei ner Aus-nah me: ein Mäd chen, das sei ne na tür li che Haar far be mit ei-nem flam men den Kirsch rot über tönt hat. Nach dem Josh die Na men he run terge spult hat, ist ih rer der ein zi ge, an den ich mich noch er in ne re: Madi son. Was nicht so recht zu ih rem Aus se hen pas sen will. Das Wort Re bel lin steht ihr förm lich auf die Stirn ge schrie ben. Für mich zu min dest. Es sind nicht nur die ge färb ten Haa re, son dern auch das Au gen brau en-Pierc ing und eine all ge mei ne Miss ach tung von Nor men, die sich zum Bei spiel in den nicht zu sam men pas sen den Strümp-fen zeigt. Ich kann sie nicht ein ord nen, aber die man del för-mi gen Au gen, die ho hen Wan gen kno chen und ihr leich ter Teint ver ra ten mir, dass sie ir gend was Exo ti sches im Blut ha-ben muss. Wäh rend ich sie so an star re, fällt mir auf, dass ihre ha sel nuss brau nen Au gen de nen ei nes Fal ken äh neln. Als sie mei nen Blick auf ängt, sehe ich weg.

»Also, wo her kommst du?«, fragt Josh.Ich deu te auf mein Ame ri can-T-Shirt, be reue es aber so-

fort, als mir der Milch fleck ein fällt und das Wort Idi ot da ne-ben. Madi son be trach tet den Schrift zug mit ei nem Grin sen, be vor sie sich wie der ih rem Buch zu wen det. In dem Ver such, mich zu ret ten, zei ge ich auf Joshs T-Shirt und sage: »Lass mich ra ten, Ka na da?«

Er grinst an er ken nend. In New York sind mir ge nug ka-na di sche Tou ris ten be geg net, um zu wis sen, dass sie nicht wirk lich in Ig lus le ben und alle Sät ze mit ei nem »öh« un ter-


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strei chen. Und so groß die Ver su chung auch ist, ei ni ge harm-lo se Wit ze über ihre Aus spra che zu rei ßen, so schön ist es in Wahr heit, Eng lisch zu spre chen, und ich will mei ne ers te Chan ce auf neue Freun de ja nicht gleich ver mas seln. Statt-des sen las se ich mich ne ben Madi son auf den Ra sen nie der. Sie liegt auf dem Bauch, die Bei ne hin ter sich aus ge streckt, und zeigt ihre Overk nee-Strümp fe un ter dem ro ten Mini-Schot ten rock. Ein Strumpf ist rot, der an de re schwarz-weiß ge streift. Al lein die Bil der auf der auf ge schla ge nen Sei te ih-res Bu ches ver ra ten mir, dass sie Lone Wolf and Cub liest, eins mei ner ab so lu ten Lieb lings-Man gas. Ich will ir gend-et was Cle ve res sa gen, ohne all zu hef tig als Nerd rü ber zu-kom men, aber al les, wo rauf ich mich kon zent rie ren kann, ist der Va nil le duft, den sie ver strömt. Wäh rend ich auf das of e ne Buch star re, über le ge und ei nen Bis sen von mei nem zer matsch ten Sand wich neh me, lässt sie ih ren Blick wie der über mich wan dern.

»Kannst du Ja pa nisch le sen?«, fragt sie. »Oder siehst du dir nur die hüb schen Bil der an?«

»Ich, ähm, lese es auf Eng lisch«, mur me le ich kau end. »Du bist bei dem Teil, der den gan zen Hand lungs bo gen ein-lei tet. Ziem lich be ein dru ckend. Eine der ein fluss reichs ten Manga-Se ri en. Al ler Zei ten.«

Als ich auf eine Bild se quenz zei ge, streift mei ne Hand ihre. Sie starrt auf die Kon takt stel le, als wol le sie mich mit Las er bli cken ver bren nen, also zie he ich mei nen Arm schnell


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zu rück. Es folgt ein Mo ment ver le ge nen Schwei gens, bis Josh sich zu uns ge sellt. Er legt den Fuß ball ne ben sich und grapscht nach dem Buch, um ei nen Blick auf den Ein band zu wer fen.

»Noch ein Co mic?«»Kein Co mic«, kor ri giert Madi son ihn und blät tert um.

»Es ist ein Manga. Über aus ein fluss rei ches Zeug, um ge nau zu sein.«

Ich bin mir nicht si cher, ob sie sich über mich lus tig macht.

»Sor ry!«, sagt er und hebt in ge spiel ter Ka pi tu la ti on die Hän de. So, wie sie mit ei nan der um ge hen, ist das nicht ihr ers ter ge mein sa mer Schul tag. »Weißt du, ab und zu könn test du dei nen Kopf mal aus dem Manga neh men, um zu re den.«

»Con nor und ich ha ben uns per fekt un ter hal ten, be vor du ge kom men bist.«

»Wirk lich?« Er wirft mir ei nen ver stoh le nen Blick zu. »Und wo rü ber habt ihr ge re det?«

»Über die be ein dru cken de Qua li tät die ses Bu ches«, ant-wor tet sie.

Bin mir im mer noch nicht si cher.Er zö gert, be vor er bei mir nach hakt. »Du liest also auch

Co mics?«»Es ist ein … Manga«, ist al les, was ich zu stan de brin ge.Lang sam ni ckend sagt er: »Rich tig«, wo bei er das Wort

in die Län ge zieht.


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»Also, Madi son, dann hast du wohl die Kur se der S-Schie-ne be legt«, be mer ke ich.

Die S-Schie ne wäh len all die je ni gen, die sich da für ent-schie den ha ben, meh re re Spra chen zu ler nen. He, ich hab nicht be haup tet, dass das eine be son ders scharf sin ni ge Be-mer kung war. Sie blät tert eine Sei te wei ter, den Blick auf das Buch ge rich tet, be vor sie end lich ant wor tet.

»Du bist ja ein rich ti ger Sher lock Hol mes, was?«Okay, jetzt macht sie sich de fi ni tiv lus tig.»Sie ist ein Spra chen-Ge nie«, sagt Josh.»Ach, halt die Klap pe«, fährt sie ihn an. »Nur weil du kei-

ne zwei Spra chen le sen ge schwei ge denn schrei ben kannst, macht das alle an de ren noch lan ge nicht zum Ge nie.«

»Ich be haup te gar nicht, dass alle an de ren Ge nies sind«, be harrt er eben so schnip pisch. »Nur du.«

»Das kannst du dir spa ren. Con nor fühlt sich we gen dir schon ganz un wohl.«

Ich wi der spre che nicht. »Also … aus wel chem Teil von Ka na da kommt ihr?«

»Ir gend wie von über all«, ant wor tet Josh kryp tisch, wäh-rend er den Ball in der Hand dreht.

Madi son pflückt ei nen Gras halm, um ihn als Le se zei-chen zu be nut zen, dann dreht sie sich zu mir um. Un ter den Strah len der Mit tags son ne schim mert ihre Haut ho nig far-ben. Aus der Nähe be trach tet, er ken ne ich eine win zig klei-ne Kir sche an dem ei nen Ende ih res Au gen brau en-Pierc ings.


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»Was Josh sa gen will, ist, dass wir Army-Spröss lin ge sind«, er klärt sie mir.

Ich grin se. »Ka na da hat eine Ar mee?«Ihr Un ter kie fer klappt in glei chem Maß he run ter, wie ihre

Au gen brau en in die Höhe schnel len. »Meinst du das ernst?«Josh schlägt die Hän de vors Ge sicht. »Bring sie bloß nicht

auf die Pal me, Con nor.«Zu spät. Sie schnaubt. Ihre Wim pern flat tern, ihre Au-

gen brau en zie hen sich zu sam men und sie beißt sich auf ihre glän zen de Un ter lip pe. Ich bin schon kurz da vor, sie vom Ha-ken zu las sen und zu zu ge ben, dass ich nur ei nen Witz ge-macht habe, aber sie ist ir gend wie süß, wenn sie sich är gert. »Hast du noch nie von dem Krieg von 1812 ge hört? Echt? Wir ha ben euch or dent lich in den Arsch ge tre ten.«

»Ka na da war 1812 noch gar kein selbst stän di ges Land«, gebe ich zu rück.

Sie zö gert und sieht mir for schend in die Au gen. »Tja, was ein Klug schei ßer.«

»Ich hab doch nur ei nen Witz ge macht«, räu me ich schließ lich ein.

»Das will ich dir auch ge ra ten ha ben! Wir sind näm lich nicht dei ne hin ter wäld le ri schen Cou sins, weißt du.«

»Ich weiß.«Ich ver su che, ein Grin sen zu un ter drü cken. Madi son

nimmt ei nen Ring von ih rem Dau men und zieht ihn aus ei-nan der. Es ist eine Art Ge dulds spiel, an dem sie he rum fum-


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melt, aber da ich nicht will, dass sie mich noch mal da bei er tappt, wie ich sie an star re, kon zent rie re ich mich da rauf, den Rest mei nes Sand wich es zu es sen und es mit dem Frap-pucc ino hi nun terzu spü len.

»Und, was ist dei ne Ge schich te?«, fragt Josh und stützt sich ne ben ihr auf die Ell bo gen.

Ich zu cke die Ach seln. »Wa rum soll te ich eine Ge schich-te ha ben?«

Er lä chelt und lässt sei ne per fek ten Zäh ne auf blit zen. »Weil je der eine hat.«

»Oh, lass mich ra ten!«, ruft Madi son. Ihre Fal ken au gen scan nen je den Zoll mei nes Kör pers, und ich spü re, wie mein Puls sich un ter ih rer Mus te rung be schleu nigt. »Du bist in ei-ner piek fei nen Ge gend auf ge wach sen. Dei ne El tern ar bei ten in ge ho be nen Po si ti o nen. Sit zen in Vor stän den und ku scheln mit den an de ren Spie ßer-Bon zen. Ab und zu ver ge wis sern sie sich, dass du nicht auf Dro gen bist. Du gehst auf eine teu re Pri vat schu le. Die Mä dels fin den dich süß, aber sie kom men nicht an dich ran, wes we gen du wahr schein lich noch nie ge-küsst wor den bist.«

»Du hast ganz schön viel Fan ta sie, Madi son«, er wi de re ich und fra ge mich zum ers ten Mal im Le ben, ob ich wirk lich ein so of e nes Buch für an de re Men schen bin.

»Ich bin auf der Up per West Side von Man hat tan groß ge-wor den«, be gin ne ich und füge schnell hin zu, »in ei nem völ lig durch schnitt li chen Sand stein haus. Wir ge hö ren besten falls


UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Kat Kruger


DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Klappenbroschur, 384 Seiten, 12,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-570-30937-7

cbt

Erscheinungstermin: Oktober 2014

Der WOLF in ihm wartet auf sein Erwachen Als Außenseiter Connor nach Paris kommt, erhofft er sich ein neues, aufregendes Leben, dochdas fällt anders aus als erwartet: Seine mysteriösen Gasteltern entpuppen sich als Werwölfeund eröffnen ihm eine geheime Welt im Pariser Untergrund. Dort gärt der Konflikt zwischen dengeborenen und den gebissenen Gestaltwandlern. Als Connor infiziert wird, gerät er in den Fokuseines Mannes, dessen Ziel es ist, die Wölfe vom Angesicht der Welt zu tilgen. In Connor liegt derSchlüssel dazu, und er muss sich entscheiden, auf welcher Seite er steht …

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Kat Kruger • Die Nacht hat Krallen - bücher.de · Etwas Wildes hatte die Kontol rle übernommen. r Igendetwas wurde an jenem Tag in mir entfes selt und führte dazu, dass ein andeer