Katalonien auf dem Weg in die Unabhängigkeit?

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LANG, Kai-Olaf (2013): "Katalonien auf dem Weg in die Unabhängigkeit?".Kai-Olaf Lang és cap de la Divisió de Recerca de l'Institut Alemany per a la Política Internacional.

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  • Dr. Kai-Olaf Lang ist Leiter der Forschungsgruppe EU-Integration SWP-Aktuell 50 August 2013

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    Stiftung Wissenschaft und

    Politik

    Deutsches Institut fr Internationale

    Politik und Sicherheit

    Problemstellung

    Katalonien auf dem Weg in die Unabhngigkeit? Der Schlssel liegt in Madrid Kai-Olaf Lang

    Am 26. Juli 2013 ersuchte der katalanische Regierungschef Artur Mas Spaniens Minister-prsident Mariano Rajoy formell darum, in Verhandlungen einzutreten, um die Voraus-setzungen fr eine Volksabstimmung ber die Unabhngigkeit Kataloniens zu schaffen. Das Ersuchen ist Teil eines Prozesses, in dem die katalanische Nation ein Recht auf Entscheidung ausben soll. Dieser Prozess, den die Parteien des seit Dezember 2012 in Katalonien amtierenden Regierungsbndnisses vorantreiben, soll in einem Referen-dum kulminieren. Darin wrden die Brger Kataloniens entscheiden, ob aus der auto-nomen Region Spaniens ein neuer europischer Staat wird. In Katalonien, wo souve-rnistisch-separatistische Tendenzen an Boden gewinnen, zeichnet sich eine deutliche Mehrheit fr ein Referendum ab. Dagegen lehnen die zentralistischen Krfte in Madrid, darunter die alleinregierende Volkspartei, eine Volksabstimmung bislang ab. Auch die Abgabe von Kompetenzen, die Katalonien eine weitergehende Autonomie zugestehen wrde, oder eine umfassende Reform des Finanzausgleichs, die diesen Landesteil ent-lasten knnte, stie in der Hauptstadt bisher auf Widerstand. Sollte sich die Zentrale weiterhin unnachgiebig zeigen und einen Dialog verweigern, wird sich im Zuge wach-senden katalanischen Unmuts die zwischen Madrid und Barcelona angespannte Lage unweigerlich zuspitzen.

    In der ffentlichkeit und im politischen Gefge Kataloniens wurden in den letzten Jahren all jene Krfte sprbar gestrkt, die mit der jetzigen Stellung der autonomen Region im spanischen Staatsverbund un-zufrieden sind. Die Finanz- und Schulden-krise, die auch den Nordosten Spaniens in Mitleidenschaft gezogen hat, ist dabei als Impulsgeber nicht zu unterschtzen. Es wre jedoch eine Verkrzung der Tat-

    sachen, die Krise als alleinigen Auslser der neuen katalanistischen Woge anzusehen. Denn die nationalen Aufwallungen in Kata-lonien haben vielschichtige Ursachen.

    Kompetenzgerangel und katalanistische Mobilisierung Das gegenwrtige Niveau der Spannungen beruht nicht zuletzt auf den Auseinander-

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    setzungen um das modifizierte Autonomie-statut von 2006. Diese novellierte Quasi-Verfassung der Region ist nach schwieri-gem Hin und Her im August 2006 in Kraft getreten. Aus Sicht der entschlossen kata-lanistischen Krfte war das Ergebnis ent-tuschend, da das spanische Parlament zahlreiche Forderungen verworfen hatte, Kompetenzen nach Katalonien zu ver-lagern. Obwohl sich katalanische Natio-nalisten (und spanische Zentralisten) gegen das neue Statut aussprachen, stimmte in einem Referendum in Katalonien eine gro-e Mehrheit fr den Text, bei allerdings geringer Wahlbeteiligung. Unmittelbar nach Inkrafttreten des Statuts brachten die konservative Volkspartei (PP) Spaniens sowie einige andere Regionen die neue Grundordnung Kataloniens vor das spa-nische Verfassungsgericht. Das Gericht verwarf in seinem Urteil vom Juni 2010 wesentliche Punkte des Autonomiestatuts, die etwa die Finanz- oder Sprachenpolitik betrafen. Damit waren fr die Vertreter vieler national-katalanischer Strmungen die Mglichkeiten einer Kompetenzerwei-terung im Rahmen des spanischen Auto-nomiemodells ausgeschpft und dies ob-wohl man auf die damals in Madrid regie-renden Sozialisten gehofft hatte, die einer weiteren Flexibilisierung des Regionalis-mus relativ offen gegenberstanden. Nach dem Sieg der traditionell zentralstaatlich ausgerichteten Volkspartei bei den spa-nischen Parlamentswahlen im November 2011 sah man sich in dieser Einschtzung besttigt, zumal die PP die absolute Mehr-heit erreichte und damit auch nicht auf regionalistische Parteien als Mehrheits-beschaffer angewiesen war.

    Im Zuge der Wirtschafts- und Finanz-krise wurde gleichzeitig die Nettozahler-position Kataloniens im System des inner-spanischen Finanzausgleichs zu einem hochbrisanten Thema. Die von der Krise hart getroffene Region zahlt nach eigenen Angaben unter dem Strich etwa 8 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die innerspanische Umverteilung an andere Landesteile im Unterschied etwa zum

    ebenfalls wohlhabenden Baskenland, das ein anderes Finanzmodell hat und beispiels-weise nicht in vergleichbarem Umfang Soli-darzahlungen an andere Landesteile leisten muss. Ohne die nach dem jetzigen System zu entrichtenden Nettobeitrge wren, so etwa die Interpretation im katalanischen Parlament, die Konsolidierungszwnge in Katalonien deutlich geringer. Kataloniens Regionalregierung wollte daher eine Neu-formulierung des Finanz- und Transfer-modells (pacte fiscal) erreichen. Konkret mchte die Region aus dem gemeinsamen Regime zur Finanzausstattung der Auto-nomen Gemeinschaften aussteigen und eine bilaterale Abmachung mit dem Zen-tralstaat treffen. Die Gesprche hierber scheiterten aber bei einem Spitzentreffen zwischen dem spanischen und dem kata-lanischen Regierungschef im September 2012. Ministerprsident Rajoy lehnte den Fiskalpakt nicht zuletzt unter Verweis auf die spanische Verfassung ab.

    Die unergiebigen Reibereien und Ver-handlungen um Kompetenzen und Geld haben in groen Teilen der katalanischen Gesellschaft das Gefhl aufkommen lassen, immer weniger Einfluss auf die eigenen Geschicke nehmen zu knnen. Besonders ausgeprgt ist diese Sicht, wenn es um In-frastrukturprojekte oder Regionalentwick-lung geht, wo Flle von (vermeintlicher) Diskriminierung etwa beim Bau schneller Bahnverbindungen fest im ffentlichen und privaten Diskurs verankert sind. In der Folge fanden katalanistische Ideen zuneh-mend auch in gesellschaftlichen Schichten und Teilen der politischen Landschaft Anklang, die diesen Postulaten lange zu-rckhaltend gegenbergestanden. Der Ruf nach Souvernitt (soberanismo) und Un-abhngigkeit (independentismo) bis hin zur offenen Forderung nach Staatswerdung und Loslsung hat in den letzten Jahren mit Macht Einzug in politische Debatte und Realitt gehalten.

    In Dutzenden Stdten und Gemeinden wurden nach 2009 rechtlich unwirksame Unabhngigkeitsreferenden abgehalten, an denen knapp 900 000 Menschen teil-

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    nahmen. Am 10. Juli 2010 fand in Barce-lona als unmittelbare Reaktion auf das Urteil des Verfassungsgerichts zum Auto-nomiestatut von 2010 eine Massendemon-stration statt unter dem Motto Wir sind eine Nation. Wir entscheiden. Anlsslich des katalanischen Nationalfeiertags versam-melten sich in den Straen Barcelonas am 11. September 2012 zwischen 600 000 und 1,5 Millionen Menschen zu einem nunmehr schon independentistisch ausgerichteten Protestmarsch unter dem Leitspruch Kata-lonien, neuer Staat in Europa.

    Unter dem Eindruck der Kundgebung und nachdem die Verhandlungen ber ein revidiertes Finanzausgleichsabkommen mit der Regierung Rajoy gescheitert waren, setzte der katalanische Regierungschef Artur Mas vorgezogene Neuwahlen durch. Eine neue Regierung sollte auf diesem Wege das Mandat fr die Abhaltung eines Referendums ber die Unabhngigkeit Kataloniens erlangen. Noch Ende Septem-ber hatte das katalanische Parlament eine Entschlieung verabschiedet, in der eben diese Option angemahnt worden war.

    Die Wahlen 2012 und der Weg zu einem Unabhngigkeitsreferendum Bei den Parlamentswahlen im November 2012 erlitt die bislang regierende Gruppie-rung von Artur Mas, das zentristische Par-teienbndnis Konvergenz und Union (CiU), herbe Verluste, blieb aber strkste Kraft. Die souvernistisch-soziale Republikanische Linke Kataloniens (ERC) konnte hingegen erhebliche Zuwchse verbuchen. Insgesamt erhielten jene Parteien, die fr die Organi-sation einer Volksabstimmung eingetreten waren, eine klare Mehrheit der Sitze.

    CiU und ERC unterzeichneten anschlie-end ein Kooperationsabkommen, in dem die ERC einer von der CiU gestellten Min-derheitsregierung parlamentarische Unter-sttzung zusicherte, um das Recht auf Entscheidung (dret a decidir) auszuben: Die Brger Kataloniens sollen in einem Referendum darber entscheiden knnen, ob Katalonien als neuer Staat in Europa

    situiert werden soll. Im Einzelnen verein-barten beide Parteien unter anderem, zu Beginn der Legislaturperiode eine

    Souvernittserklrung des Volks von Katalonien im katalanischen Parlament zu verabschieden, in Gesprche und Verhandlungen mit

    der spanischen Regierung ber die Ab-haltung eines Referendums einzutreten, einen Konsultativrat fr den nationalen

    bergang (CATN) einzuberufen, der bei der Vorbereitung und Durchfhrung des Referendums als Ratgeber und Koordina-tionsorgan die Partizipation breiterer Teile des politischen Spektrums und der Gesellschaft gewhrleisten soll, bis Ende 2013 die formellen juristischen

    und institutionellen Voraussetzungen zu schaffen, um die legale Abhaltung einer Volksabstimmung im Laufe des folgen-den Jahres zu ermglichen. Seit ihrer Amtsbernahme setzte die

    Regierungsequipe die meisten der anvisier-ten Manahmen in die Tat um. Parallel dazu intensivierten sich die gesellschaft-lichen Aktivitten. Ein markantes Merkmal der katalanischen Bewegung ist ihre Ver-ankerung in der Zivilgesellschaft sowie in den Stdten und Gemeinden. Groe brger-gesellschaftliche Dachverbnde fungieren als Klammern und Kooperationsforen mit hohem Mobilisierungspotential. Zu den wichtigsten Verbnden gehren die Kata-lanische Nationalversammlung (ANC) und die Vereinigung mnium Cultural. In der Franco-ra gegrndet, pflegt diese Vereini-gung vor allem die katalanische Sprache und Kultur, bezieht jedoch immer strker politisch Position. Die ANC organisierte den groen Protestmarsch vom 11. September 2012 und sammelt gegenwrtig Unter-schriften fr ein Unabhngigkeitsreferen-dum. ANC und mnium Cultural waren gemeinsam Veranstalter eines Konzerts fr die Freiheit, zu dem im Juni 2013 rund 90 000 Personen in das Fuballstadion des FC Barcelona kamen. Am 11. September 2013 wird der ANC die Bildung einer Men-schenkette durch ganz Katalonien orga-nisieren. Auch wenn etliche dieser Vereini-

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    gungen Gelder aus dem katalanischen Haushalt beziehen mgen, ist unverkenn-bar, dass sie auf originrem brgerschaft-lichem Engagement basieren und eine beachtliche Resonanz finden. Mehr als eine bloe Pflichtbung regierungsloyaler Ver-einigungen war daher auch der sogenannte Nationale Pakt fr das Recht auf Entschei-dung an dem politische Parteien, wirt-schaftliche Akteure und gesellschaftliche Organisationen beteiligt sind, um Einigkeit in Sachen nationale Transition zu demon-strieren. Der Pakt zeigte zudem, wer sich momentan auch nach auen sichtbar in die Selbstbestimmungsbewegung einreiht. Die katalanische Regierung mag derlei zivil-gesellschaftliche Initiativen frdern, ge-steuert werden sie nicht von ihr.

    Politische Landschaft im Zeichen der nationalen Frage Die zunehmende Relevanz der katala-nischen Frage ist auch im Parteiengefge erkennbar, das abgesehen von wirtschaft-lichen und sozialen Fragen zunehmend vom Konflikt um die knftige staatsrecht-liche Qualitt Kataloniens geprgt wird (vgl. Schaubild). In den politischen Parteien ist insbesondere ein Erstarken linksnatio-naler Strmungen zu beobachten. Vor allem die Republikanische Linke (ERC) hat von der fortschreitenden Polarisierung pro-fitiert und erzielt mittlerweile die hchsten Umfragewerte. Die ERC strebt eine Kata-lanische Republik als unabhngigen Staat in der EU an. Sollte sich Madrid gegen die Unabhngigkeitswnsche Kataloniens stel-len, will die ERC ein unilaterales Vorgehen durchsetzen; den Weg des Kosovo schliet sie dabei nicht aus. Die Partei, die sich auch als sozialdemokratisch versteht, findet of-fenkundig in wachsendem Mae Anhnger bei den pro-katalanischen Teilen aus dem Reservoir der Sozialisten Kataloniens (PSC). Die radikale Linke, vor allem das Bndnis aus Grnen und Linkssozialisten (ICV-EUiA), fordert uneingeschrnkte Entscheidungs-freiheit und mchte soziale Emanzipation und nationale Befreiung miteinander ver-

    binden. Whrend die aus den Gemeinden kommende radikal-linke Kandidatur der Volksunion (CUP) totale Unabhngigkeit und den Bruch mit der bestehenden staat-lichen Einbindung anvisiert, legt sich ICV-EUiA bisher nicht fest und akzeptiert so-wohl bundesstaatliche Reformen als auch einen Weg in die Selbstndigkeit.

    Die grte Regierungsgruppierung, die brgerliche CiU, hat sich nach den Kon-flikten um das Autonomiestatut von 2006 Schritt fr Schritt von der Idee einer Maxi-malisierung der Autonomie verabschiedet. Schon zu den spanischen Parlaments-wahlen von 2011 trat sie mit dem Ziel an, eine neue katalanische politische Etappe in Madrid zu erffnen, die auf der An-erkennung Kataloniens als Nation und einem bilateralen Verhltnis zwischen Barcelona und Madrid basieren msse. Regierungschef Mas und die liberale Kom-ponente CDC des Zweiparteienbndnisses CiU sind seither zu treibenden Verfechtern des katalanischen Rechts auf Selbstbestim-mung geworden kaum gebremst vom kleineren christdemokratischen Partner UDC, dessen Parteichef Duran i Lleida in Sachen Unabhngigkeit vorsichtig agiert.

    Kontrapunkte zu den souvernistischen Strmungen bilden die konservative Volks-partei (PPC) und die von Liberalen und Intellektuellen getragene Partei der Staats-brgerschaft (kurz Ciutadans Staatsbr-ger). Whrend sich Ciutadans dem Schutz des Bilingualismus und individueller Br-gerrechte (anstelle kollektiver Volksgrup-penrechte) verschrieben haben, wurzelt die Haltung der PPC im traditionell zentralis-tischen Staatsverstndnis der spanischen Konservativen. Die PPC, die das Streben nach Selbstndigkeit ebenso ablehnt wie eine Fderalisierung Spaniens, pldiert recht vage fr eine differenzierte oder modernisierte Autonomie und Vernderun-gen im Finanzausgleichssystem. Aus Sicht der PPC hat das spanische Verfassungs-gericht Demokratie und Rechtsstaat ver-teidigt, indem es die Souvernittserkl-rung des katalanischen Parlaments als rechtlich unwirksam beurteilt hat.

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    Zwischen den Lagern stehen die katala-nischen Sozialisten (PSC). Sie sprechen sich fr eine Umwandlung Spaniens in einen Bundesstaat aus und haben Anfang Juli 2013 mit den spanischen Sozialisten (PSOE) einen entsprechenden, allerdings mhsam erstrittenen Kompromiss erzielt (Erkl-rung von Granada). Die PSOE hat dabei Kernforderungen der PSC wie etwa die Mg-lichkeit eines Referendums (die PSC mchte ein Referendum, wrde aber dazu aufrufen, mit Nein zu stimmen) oder die Definition Spaniens als eines multinationalen Staates zurckgewiesen. Die von der PSC-Fhrung favorisierte Suche nach einem dritten Weg zwischen Unabhngigkeit und Zentralis-mus ist keineswegs unumstritten und wird von dem katalanistischen Sektor in der Partei immer wieder kritisiert. Sowohl das Verhltnis zur PSOE als auch der inner-parteiliche Zusammenhalt sind brchig.

    Schaubild: Programmatische Verortung der

    Parteien Kataloniens (eigene Darstellung)

    ffentliche Meinung Die Konflikte um das Autonomiestatut und der wachsende Unmut groer Teile der katalanischen Gesellschaft haben nicht nur zu Massenmobilisierung und Protestkund-gebungen gefhrt, auch die ffentliche Mei-nung hat sich sprbar gendert. Das Madri-der Meinungsforschungsinstitut Centro de Investigaciones Sociolgicas (CIS) stellte bei

    einer um die Jahreswende durchgefhrten Erhebung fest, dass 83 Prozent der Men-schen in Katalonien unzufrieden mit der Politik der Regierung Rajoy gegenber Kata-lonien sind. Der Anteil der Befrworter einer Volksabstimmung beluft sich auf rund 70 Prozent, fast ebenso hoch ist der Anteil derer, die diese auch ohne Zustim-mung der Zentralregierung abhalten wr-den. Jedoch wollen drei Viertel der Befrag-ten keine einseitige Sezession gegen den Willen Madrids. Die Verfechter einer voll-umfnglichen Unabhngigkeit scheinen anders als frher nun eine relative Mehr-heit gegenber jenen zu besitzen, die an-dere Optionen bevorzugen (Fderalisie-rung, verbesserte Autonomie, Status quo). Das Lager derer, die die Eigenstaatlichkeit fr die beste Lsung halten, ist in den letz-ten drei Jahren massiv gewachsen und beziffert sich auf ein Drittel (so das CIS im Herbst 2012) bis knapp die Hlfte (laut einer Befragung des Centre dEstudis dOpi-ni [CEO] Ende Mai und Anfang Juni 2013, das der katalanischen Regierung zugeord-net ist). Das Verhltnis zwischen Anhn-gern der katalanischen Selbstndigkeit und solchen aller anderen Varianten des Ver-bleibs im spanischen Staat ist jedoch aus-gewogen, auch wenn nach Umfragen das Unabhngigkeitslager starken Zulauf erfah-ren hat. Das Ergebnis einer Volksabstim-mung ist daher durchaus offen und wird eine Resultante vieler Faktoren sein, etwa wie die Frage im Referendum formuliert ist. Mehrere Umfragen haben ein deutliches berwiegen positiver Voten fr den Fall einer Ja-Nein-Abstimmung zur Unabhngig-keit ergeben. Der Schritt in die katalanische Unabhngigkeit ist demnach fr wachsen-de Bevlkerungsteile vorstellbar bzw. kein Tabu mehr. Dabei darf nicht vergessen wer-den, dass die Frage der Selbstbestimmung fr die katalanische Gesellschaft keine zen-trale Bedeutung hat. Als vorrangig gelten die hohe Arbeitslosigkeit, die wirtschaft-liche Krise und das Verhalten der politisch Verantwortlichen, die vielfach in Korrup-tionsskandale verwickelt sind.

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    CiU

    (UDC)

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    Nchste Schritte und weitere Entwicklung In seinem eingangs erwhnten Brief vom 26. Juli hat Artur Mas Ministerprsident Rajoy offiziell darum gebeten, in Gesprche einzutreten. Damit sollen die rechtlichen Voraussetzungen fr eine Volksabstim-mung ber die katalonische Unabhngig-keit geschaffen werden. Mas unterstrich dabei, dass Barcelona am Dialog und an einer mit Madrid ausgehandelten Lsung interessiert sei. Der katalanische Konsulta-tivrat CATN, der im Vorfeld des Ersuchens einen umfangreichen Bericht erarbeitet hat, sieht fnf mgliche rechtliche Kon-struktionen: ein regulres, vom spanischen Abgeordnetenhaus gebilligtes Referendum; einen durch Verfassungsnderung etablier-ten neuen Referendumstyp; die Delegation der Referendumsentscheidung an die regio-nale Ebene; die Anwendung eines katala-nischen Gesetzes aus dem Jahr 2010, das beratende regionale Volksabstimmungen erlaubt, oder ein neuer Rechtsrahmen fr referendumshnliche Abstimmungen ber die Unabhngigkeit (sogenannte Konsulta-tionen), mit dem sich eventuelle rechtliche Einschrnkungen, die das Gesetz von 2010 betreffen, umgehen lieen.

    Welcher dieser Wege beschritten wird, ist noch offen. Verfassungsnderungen drften aber politisch kaum durchsetzbar sein. Sollte Madrid auf die Anfrage aus Bar-celona ablehnend (oder gar nicht) reagie-ren, sind folgende unverhandelte Sze-narien denkbar: Die katalanische Seite geht unilateral

    vor. Parlament und Regierung halten unter Berufung auf das Gesetz von 2010 oder eine neue regionale Norm eine Volksbefragung ab. Die Zentralregierung wrde diesen Schritt als illegal ansehen, das Verfassungsgericht anrufen, die Ab-stimmung selbst aber vermutlich nicht gewaltsam vereiteln. Madrid knnte die katalanische Regierung zudem als Rechts-brecherin politisch chten und die Ko-operation auf ein Minimum reduzieren. Nach einem negativen Bescheid aus Ma-

    drid wrden in Katalonien Neuwahlen

    mit plebiszitrem Charakter angesetzt. gegen die die Zentralregierung keinen rechtlichen Hebel htte. Die national orientierten Krfte in Katalonien knn-ten nun weitere Schritte auf eine demo-kratisch fundierte Richtungsentschei-dung fr ein Referendum oder gar fr die Unabhngigkeit sttzen. Dass sich Madrid auf ein gesamtspani-

    sches Referendum einliee, scheint eher unwahrscheinlich. Denn vermutlich kme zwar ein Negativvotum im ganzen Land zustande, in Katalonien bte sich aber die Mglichkeit einer legalen Abstimmung, bei der eine hohe Wahlbeteiligung zu erwarten wre. Der politische Riss im Lande wrde noch grer, da die pro-katalanischen Krf-te hohe Legitimitt fr sich beanspruchten und in deren Augen andere Landesteile als Gegner der katalanischen Selbstndigkeit wahrgenommen wrden.

    Angesichts des politischen Drucks in Katalonien und der selbstgesetzten Ziele wird die Regierung Mas schwerlich von der Forderung abrcken knnen, ein Referen-dum abzuhalten. Fr groe Teile der kata-lanischen ffentlichkeit kme dies einem Verzicht auf das Selbstbestimmungsrecht gleich, das als demokratisches Essential angesehen wird. Der Verlauf des Referen-dumsprozesses ist allerdings mit einigen offenen Fragen verbunden.

    Offen ist etwa der Zeitpunkt. Laut Koope-rationsvertrag zwischen CiU und ERC soll die Abstimmung im Jahr 2014 stattfinden. Als Termin bte sich der 11. September 2014 an, der Nationalfeiertag Kataloniens, an dem sich die Inkorporation in den spa-nischen Staat zum dreihundertsten Mal jhren wird. Im Gutachten des CATN wird der 11. September 2014 jedoch verworfen, da die Wahl dieses Datums dem Gebot der Neutralitt entgegenstnde. Der Konsul-tativrat pldiert daher alternativ fr einen Zeitpunkt zwischen Ende August (um genug Abstand zu den Europawahlen zu haben) und dem 18. September. An diesem Tag wird in Schottland ein Unabhngig-keitsreferendum abgehalten, dessen Aus-gang die katalanische Abstimmung be-

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    einflussen knnte. Sollte dieses Zeitfenster von der katalanischen Fhrung besttigt werden, wrden sich die Ereignisse rasch verdichten, da bald rechtliche und bro-kratisch-organisatorische Schritte ein-zuleiten wren. Der Kooperationsvertrag von CiU und ERC sieht allerdings vor, dass aus sozialkonomischen oder politischen Grnden auch ein Zeitpunkt nach 2014 in Betracht kme.

    Wichtig fr den Fortgang des Referen-dumsprozesses wird insbesondere das Ver-halten der Madrider Regierung sein. Nach katalanischem Eindruck nahm sie bislang eine Verweigerungshaltung ein. Gemigte Politiker, etwa der Chef der UDC, Duran i Lleida, kritisierten Ministerprsident Rajoy, der die Devise mehr Staat, weniger Kata-lonien verfolge und damit dem Lager der nach Unabhngigkeit Strebenden Zulauf beschere. Rajoy solle sich ein Beispiel am britischen Premierminister Cameron neh-men, der sich dem schottischen Referen-dumswunsch nicht verweigere, sondern konstruktiv damit umgehe. Der spanische Ministerprsident habe es bislang ver-sumt, dem katalanischen Volk ein attrak-tives Angebot zu unterbreiten.

    Die katalanische Regierung wird in den nchsten Monaten vor allem drei strate-gische Akzente setzen. Erstens wird sie kon-sequent das Recht auf Selbstbestimmung in den Vordergrund stellen, also das Recht auf Abhaltung eines Referendums, nicht den Wunsch nach Unabhngigkeit. Zwei-tens wird sie einen mit Madrid paktier-ten, legalen Weg anstreben und somit nach innen wie nach auen zu erkennen geben, dass sie eine einvernehmliche Lsung mit der Zentrale bevorzugt. Drittens wird sie versuchen, einen mglichst breiten katalanischen Konsens fr ein Referendum herbeizufhren. Denn eine klare Mehrheit stellt ein wuchtiges politisches Signal dar, mit dem man etwaige rechtliche Barrieren aus Madrid berwinden will. Nicht von un-gefhr hat der CATN betont, dass es jenseits der wnschenswerten legalen Wege auch legitime Mglichkeiten gebe, das Selbst-bestimmungsrecht auszuben. Insofern

    sind Teile des Regierungslagers daran inter-essiert, gerade auch die Sozialisten ein-zubinden. Die Gesprche mit Madrid und deren Verlauf werden zeigen, ob im Falle einer harten Haltung der Zentrale tatsch-lich eine groe Mehrheit in Katalonien eine illegale, aber legitime Volksabstimmung durchsetzen mchte. Sozialisten, Links-grne, aber auch die mitregierende UDC wrden sich einer solchen Referendums-front mglicherweise nicht um jeden Preis anschlieen. Madrid knnte versucht sein, durch den Verweis auf ein verfassungs-rechtlich begrndetes Nein derlei Diffe-renzen in Katalonien zu vertiefen, um die harten Selbstbestimmungsbefrworter als lediglich eine von vielen Gruppierungen der dortigen politischen Landschaft erschei-nen zu lassen.

    Die EU und die katalanische Frage Obwohl die katalanische Frage primr eine innerspanische Angelegenheit ist, hat sie mannigfache europische Dimensionen. Eine Eskalation des Konflikts zwischen Ka-talonien und dem Gesamtstaat knnte eine innere politische Krise zur Folge haben, die auf Wirtschaft, Haushaltskonsolidierung und Finanzsektor in Spanien durchschla-gen wrde. Mit einer Zuspitzung wre ins-besondere dann zu rechnen, wenn die kata-lanischen Forderungen gnzlich ins Leere liefen und sich die Zentralregierung dar-auf versteifen wrde, eine Reform des terri-torialen oder finanziellen Systems strikt abzulehnen. Die EU bzw. die Mitglied-staaten knnten im Zuge dessen an einen Punkt geraten, an dem zu berlegen wre, ob eine ausgehandelte Separation nicht einem Zustand permanenter Instabilitt vorzuziehen sei. Sollte Spanien einen staats-rechtlichen point of no return erreichen, an dem sich ein Ausstieg Kataloniens aus dem bisherigen Staatswesen abzeichnet, haben die EU und die Mitgliedstaaten einiges zu klren: Wer wrde einen neuen Staat Katalonien vlkerrechtlich anerken-nen? Knnte es zu einer zweiten Kosovo-Konstellation kommen, einer Spaltung der

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    EU bei der Anerkennung? Da Katalonien als Sezessionsstaat zumeist nicht automatisch die Rechtsnachfolge Spaniens antreten wrde: In welchen internationalen Organi-sationen wre es Mitglied? Wie wre mit einer Situation umzugehen, in der Kata-lonien der EU als neues Mitglied erst bei-treten msste, es aber den gemeinschaft-lichen Besitzstand (wie bislang schon) voll-stndig umsetzt und die Brger des Staates mglicherweise weiterhin die EU-Staats-brgerschaft besen? Vermutlich wrde Katalonien den Euro unilateral als Zah-lungsmittel beibehalten, wre aber finan-ziell fragil und knnte die Rettungsschirme der Eurozone nicht in Anspruch nehmen: Wie stnde das Land unter diesen Umstn-den geld- und finanzpolitisch da? Wie knn-ten Katalonien und die dort ansssigen Firmen (darunter 570 deutsche) ohne Frik-tionen in den Binnenmarkt eingebunden werden? Katalonien erwirtschaftet ein Fnf-tel des jetzigen spanischen BIP und ein Vier-tel der Exporte: Welche Folgen htte vor diesem Hintergrund ein Ausscheiden des Landes fr die spanische Volkswirtschaft und den Staatshaushalt?

    Die Katalonien-Problematik birgt Risi-ken, aber auch Chancen. Wird das spa-nische Autonomiemodell in Richtung eines neuen Gleichgewichts transformiert, knnte dies die Grundlage fr einen neuen Regionalismus in der EU sein. Vorausset-zung hierfr sind Reformbereitschaft der Madrider Zentrale und Realpolitik auf Seiten Kataloniens. Wrden die Katalanen in einem Referendum gegen die Selbstn-digkeit votieren, wrde (hnlich wie im Falle Qubecs) die staatsrechtliche Frage (wenn auch nicht die Reform der inneren Ordnung) in ganz Spanien fr Jahre oder Jahrzehnte von der Agenda verschwinden. Sollte auch das fr Herbst 2014 geplante schottische Unabhngigkeitsreferendum scheitern, wren Sezessionsbestrebungen in der EU lange Zeit politisch irrelevant.

    Sollte hingegen der Prozess der Entfrem-dung zwischen Katalonien und Madrid fort-schreiten und sich ein nachhaltiger souve-rnistischer Konsens in Katalonien heraus-

    bilden, drfte der Zusammenhalt Spaniens nur mit Mhe aufrechtzuerhalten sein. Die EU sollte zwar weiterhin am vlkerrecht-lich dominanten Prinzip der territorialen Integritt ihrer Mitgliedstaaten festhalten, muss aber auf den Fall eines nahenden Bruchs (ruptura) politisch wie institutionell vorbereitet sein. Trte dieser Fall ein, wre zu prfen, ob es Modelle gibt, die die Nega-tivfolgen fr alle Beteiligten abmildern knnten. Zu denken wre etwa an ein in-verses Zypern-Modell: Die ganze Insel ist Mitglied der EU, doch der Acquis wird nur in einem Teil des Gebiets angewendet; im Sezessionsfall wre zunchst nur der ver-kleinerte Nachfolgestaat Mitglied der EU, europisches Recht wrde aber auf dem Gesamtterritorium gelten.

    Ob es zu einem staatsrechtlichen Bruch zwischen Spanien und Katalonien kommt, hngt nicht zuletzt davon ab, inwieweit die gemigten Krfte in Katalonien ber-zeugende Argumente gegen eine Loslsung ins Feld fhren knnen. Mit solchen Argu-menten wrden sie versorgt, wenn die Zen-trale Zugestndnisse in Fragen der Kompe-tenzordnung oder des Finanzausgleichs machen wrde. Die fderalistischen Rich-tungen des gegenwrtigen Katalanismus, pragmatische Segmente in der Regierung und nicht zuletzt Teile der Wirtschaft (so etwa der Unternehmerverband Foment del Treball und vor allem groe, vom spani-schen Markt abhngige Firmen) erfhren dann eine Aufwertung. Sollte Madrid eine solche Offerte unterbreiten und sich dar-ber mit Barcelona verstndigen, wrden viele der moderaten Whler in Katalonien trotz aller Unzufriedenheit wohl gegen eine Sezession votieren. Denn dann wre in einer Volksabstimmung nicht nur zwischen der heutigen Form der Autono-mie und Selbstndigkeit zu entscheiden, sondern zwischen einem Status-quo-Plus und der Eigenstaatlichkeit. Der Schlssel zu einer konstruktiven Lsung der kata-lanischen Frage liegt in Madrid.

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    EinleitungKompetenzgerangel und katalanistische MobilisierungDie Wahlen 2012 und der Weg zu einem UnabhngigkeitsreferendumPolitische Landschaft im Zeichen der nationalen Frageffentliche MeinungNchste Schritte und weitereEntwicklungDie EU und die katalanische Frage