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Arthur C. Danto und das Phantasma vom

‚Ende der Kunst‘

Wilhelm Fink

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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gutenberg Akademie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Hanns-Lilje-Stiftung

Umschlagabbildung:Arthur C. Danto, Study for Dead Man, Black Bird,

Holzschnitt auf japanischem Maulbeerbaum-Papier, 1961/Druck 2011Rechte am Bild: Courtesy Wayne State University Art Collection, Detroit, MI

Rechte an der Fotografie: Martin Vecchio Photography

Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 05: Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2014 als Dissertation zur Erlangung des

akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, sind vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung

und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente,

Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten.

© 2015 Wilhelm Fink, PaderbornWilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn

Internet: www.fink.de

Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, MünchenPrinted in Germany

Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn

ISBN 978-3-7705-5871-1

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Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1. Das ‚EnDE DEr Kunst‘. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.1 ‚Danto as Philosopher‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.2 Arthur C. Danto: „Das Ende der Kunst“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.3 Andy Warhols Brillo Boxes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.4 Die Berührung von Kunstgeschichte und Kunstbegriff . . . . . . . . . . 32 1.5 Die Frage nach den Grenzen der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

2. DiE GrEnzE zwischEn Kunst unD rEalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.1 Die Konstitution der Grenze zwischen Kunst und Realität . . . . . . . 40 2.2 Zur Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Realität . . . . . . . . . 48

3. DiE GrEnzE zwischEn Kunst unD PhilosoPhiE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3.1 Die prinzipielle Nähe von Kunst und Philosophie. . . . . . . . . . . . . . 60 3.2 Das Philosophisch-Werden der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.2.1 Von der Geschmacks- zur Bedeutungsästhetik . . . . . . . . . . . 68 3.2.2 Die Frage der Ununterscheidbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Exkurs: die vermeintliche Ununterscheidbarkeit der

Duchamp’schen und Warhol’schen Geste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.2.3 Die Selbstbewusstwerdung der Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.3 Die Trennung von Kunst und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.4 Zur logischen Grenze zwischen Kunst und Philosophie. . . . . . . . . . 80

4. DiE GrEnzE zwischEn Kunst- unD nachGEschichtE . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.1 Der historische Standort als Grenze der Kunst. . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4.2 Immanente Kunstgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.3 Von der ‚Kunstwelt‘ in historischer Perspektive zu ‚alles ist möglich‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4.4 Von der Narrativität der Kunstgeschichte zum ‚Außerhalb der Geschichte‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4.5 Die Fortschrittsgeschichte der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4.5.1 Bezugspunkte von Dantos Fortschrittsgeschichte der Kunst 143 4.5.2 Danto und die Paradigmentheorie Kuhns . . . . . . . . . . . . . . 154 4.5.3 Dantos Metanarrativ der Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4.6 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

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6 INHALT

5. DiE ‚wiEDEr-holunG‘ DEr Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5.1 Nach … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 5.2 Iterationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5.3 Noch einmal … Danto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 5.3.1 Der Anfang nach dem Ende. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 5.3.2 Stil und Wiederholung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5.3.3 Sinnhafte Unendlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 5.4 Vorwärts erinnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 5.4.1 Søren Kierkegaard: Die Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 5.4.2 Die Wiederholungsschrift in kunstphilosophischer Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 5.5 Schlussbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

litEraturvErzEichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

DanKsaGunG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

PErsonEnrEGistEr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

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Einleitung

Der Blick auf die zeitgenössische Kunst wird häufig von einem Gefühl des Unbe-hagens begleitet. Dieses rührt nicht zuletzt daher, dass sich die Kunst dem Ba-

nalen und Unbedeutenden gegenüber geöffnet hat und damit droht, im alltäglichen Rauschen des Gewöhnlichen ihre Kontur zu verlieren. Denn welchen Sinn sollte die Kunst noch haben, wenn ihre Werke dem äußerlichen Anschein nach jenem Geplap-per, jenen Bildern, Dingen, Geräuschen und Situationen genau gleichen, denen wir Tag für Tag begegnen – wenn die Kunst nach Alltag riecht und vermeintlich genauso wie unser tägliches Brot schmeckt? In diesem Sinne scheint nicht nur die Ästhe-tik – wie der französische Philosoph Jacques Rancière schreibt – „einen schlechten Ruf“ zu haben und kaum ein Jahr zu vergehen, „dass nicht ein neues Buch entweder das Ende ihrer Tage, oder die Fortführung ihrer Missetaten“1 verkündete; Gleiches könnte genauso gut für die Kunst selbst festgehalten werden. Tatsächlich gehen die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ und die Rede vom ‚Ende der Ästhetik‘ nicht selten Hand in Hand.2 Doch damit nicht genug, werden mit Blick auf die nachmoderne Kunst-welt ebenso das ‚Ende der Kunstgeschichte‘, das ‚Ende der Kunstkritik‘, das ‚Ende der Kunsttheorie‘, das ‚Ende der Kunstphilosophie‘ sowie das ‚Ende des Museums‘ beschworen oder gegeneinander ausgespielt.3

In den Betrachtungen dieser Arbeit gilt es, dieses Unbehagen an der zeitgenössi-schen Kunst mit dem Unbehagen an der These vom ‚Ende der Kunst‘ zu konfron-tieren. Dazu seien einleitend der Austragungsort dieser Konfrontation sowie das Feld der genannten apokalyptischen Reden in groben Zügen skizziert.

Fragt man zunächst nach der Berechtigung der end-versessenen Reden, so liegt angesichts der anhaltenden Kunstproduktion der Verdacht nahe, dass es sich hier lediglich um das kulturpessimistische Gerede einiger weniger selbsternannter Pro-pheten handelt. Womöglich ist es nur eine Frage der persönlichen Haltung und damit eine Frage des jeweiligen Kunstbegriffs, ob das Ende oder das Fortbestehen der Kunst ausgerufen wird – ähnlich wie Ludwig Wittgenstein in seinem Tractatus erklärt, dass „die Welt des Glücklichen […] eine andere als die des Unglücklichen“4 sei. Beide Lager, die Glücklichen und die Unglücklichen, die Verkünder einer leben-

1 Rancière 2004; 2008, S. 11. 2 Vgl. in diesem Sinne Kuspit 2004, v. a. S. 1-13 sowie Danto, bspw. „Vorwort“, in: Entm, S. 15-

22. 3 Vgl. dazu insbesondere die Positionen von Arthur C. Danto, Hans Belting, Victor Burgin und

Donald Kuspit, Douglas Crimp und Joseph Kosuth („Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 109-145; Belting 1995; 2002; Burgin 1986; Kuspit 2004; Crimp 1996 sowie Kosuth 1969; 1974).

4 Tract 6.43, S. 83.

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8 EINLEITUNG

digen und die Apostel einer toten Kunst, könnten sich so besehen gegenseitig be-zichtigen, lediglich einem Trugbild anzuhängen, so dass dem Phantasma vom ‚Ende der Kunst‘ das Phantasma einer ‚lebendigen Kunst‘ unvermittelt zur Seite stünde.

Demgegenüber ist die vorliegende Arbeit von dem Gedanken getragen, dass ein Austausch zwischen diesen beiden Lagern möglich ist und sich eine Argumentation gegen das endgültige Ende der Kunst auf gute Gründe berufen kann, um ebendie-ses Ende als eine Täuschung zu enttarnen. Doch haben sich die folgenden Betrach-tungen dabei mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass das Phantasma vom ‚Ende der Kunst‘ ein überaus mächtiges Trugbild ist, da es nicht zuletzt die logische Folge-ordnung von Symptom und Diagnose umzukehren vermag. Denn so wie ein Mensch, welcher der Überzeugung anhängt, am Ende statt am Anfang seines Le-bens zu stehen, sich gewissermaßen um sein Leben bringt, so bleibt die Vorstellung des Endes auch der Kunst gegenüber nicht äußerlich, sondern hat die Kraft, ihre Entwicklung entscheidend zu prägen.

Blicken wir auf die Geschichte zurück, so ist es bemerkenswert, dass von einer ‚Krise‘ oder einem ‚Ende der Kunst‘ nicht erst in nachmodernen Zeiten die Rede ist. In den kunstphilosophischen Diskurs hat das ‚Gerücht vom Ende der Kunst‘ spätestens mit Hegel Einzug gehalten und seinen Widerhall in den Schriften von Nietzsche, Heidegger, Benjamin, Adorno sowie Gehlen gefunden.5 Auch das künstlerische Schaffen selbst hat sich immer wieder aus der Auseinandersetzung mit eben jenem Ende gespeist, wofür sich insbesondere die Beschäftigung mit dem ‚Ende der Malerei‘ zu Beginn des 20. Jahrhunderts anführen ließe – denken wir an Marcel Duchamps 1912 vollzogene Abkehr von der Malerei oder an Alexander Rodtschenkos als Endpunkt angepriesenes Triptychon Reine Farbe Rot, reine Farbe Gelb, reine Farbe Blau.6 Beziehen wir darüber hinaus kunsthistorische sowie kunst-theoretische Positionen in unsere Betrachtung mit ein, so lässt sich die Vorstellung einer endlichen Kunst über Winckelmann und Vasari hinaus bis in das erste Jahr-hundert nach Christus zu Plinius dem Älteren zurückverfolgen.7 So besehen steht die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ der Kunst schon seit jeher zur Seite.

Dabei wird gerade im Zuge früher kunsthistorischer Schriften deutlich, dass die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ nicht nur eine Entwertungsfunktion in sich trägt, sondern vielmehr  –  wie in Vasaris Preisung Michelangelos als Vollender der Kunst8 – die Grenze zwischen Aufstieg und Verfall, zwischen dem Werthaften und dem Wertlosen zieht. In diesem Sinne stellt die Rede vom ‚Ende‘ die Unwiederhol-

5 Vgl. dazu Lepenies 1992, S. 83; Seubold 1997, S. 53-113 sowie Geulen 2002. 6 Vgl. Daniels 1992, S. 36-41 sowie Meinhardt 1997. 7 Vgl. Plinius 1978; 2007, Cap. II, § 5, S. 14f., Cap. X, § 28, S. 30f. sowie Cap. XXXII, § 50,

S. 51-54; „Vorrede des Dritten Teils (1568)“, in: Vasari 2004, S. 102f.; Winckelmann 1764; 2002, S. 836/838 [S. 430f.] sowie dazu Geimer 2002.

8 Vgl. „Vorrede des Dritten Teils (1568)“, in: Vasari 2004, S. 102f.: „Unter den Toten und Leben-den aber gebührt die [Sieges-]Palme dem göttlichen Michelangelo Buonarroti, der alle einge-holt hat und übertrifft, so daß er nicht nur in einer dieser Künste die Vorrangstellung innehat, sondern in allen dreien gleichzeitig. Er überflügelt und besiegt nicht nur all jene, denen es ge-lungen war, die Natur annähernd zu bezwingen, sondern selbst jene unvergleichlich berühmten Künstler der Antike, die selbige zweifellos und auf so lobenswerte Weise übertrafen.“

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9EINLEITUNG

barkeit des künstlerischen Aktes, die Originalität und Singularität der Kunst bezie-hungsweise des einzelnen Kunstwerks heraus. Wenn die Kunst als eine besondere Stätte der Kultur und damit des Menschseins verteidigt werden soll, so scheint dies unweigerlich eine Geste der Entwertung, die Abgrenzung gegenüber dem, was nicht Kunst ist, nach sich zu ziehen. Aus dieser Perspektive wird mit der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ die Unersetzlichkeit der Kunst erstritten sowie die Einheit der Kunst verteidigt. Da die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ somit die Kunst stets als Ganze fokussiert, kann die Frage nach ebendiesem Ende gewissermaßen als kunst-philosophische Frage par excellence gelten.

Vermittels der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ wird jedoch nicht nur der Wert der Kunst verhandelt; im gleichen Atemzug wird die Kunst auch in eine zeitliche Pers-pektive gerückt. Daher geht mit der Behauptung eines ‚Endes der Kunst‘ in der Regel auch die These vom ‚Ende der Kunstgeschichte‘ einher, insofern nach eben-diesem Ende keine Entwicklung der Kunst mehr möglich ist.

Einerseits zerfällt das Ende der Kunst damit in ganz verschiedene Enden; doch andererseits vermag die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ gerade deshalb eine bemer-kenswerte Einheit zu stiften. Denn indem sie ein Denken des Werdens und ein Denken des Wesens von Kunst ineinanderschließt, lässt sie auch die verschiedenen Wissenschaften der Kunst einander begegnen: jene, welche die Kunst in erster Linie als zeitliches Phänomen verstehen, und jene, welche in ihr primär einen spezifi-schen Ausdruck unseres Menschseins sehen.9

Wenden wir uns vor diesem Hintergrund dem Inhalt der aktuellen Version vom ‚Ende der Kunst‘ zu, so lässt sich als Kern dieser Rede das Phänomen der Wieder-holung in der Kunst fokussieren, das gleichermaßen sowohl den Wert als auch die historische Entwicklung der Kunst in Frage zu stellen vermag. Die einführenden Bemerkungen zum Unbehagen angesichts der Banalisierung von Kunst haben be-reits auf den drohenden Wert- und Bedeutungsverlust der Kunst verwiesen. So scheint aus einer Kunstwelt, in der alles gleichermaßen möglich ist, als einziges die Kunst selbst ausgeschlossen zu sein; denn eine solch egalitäre Kunstwelt stellt die Geste der Auszeichnung vermeintlich von Grund auf in Frage. Werden die Anfänge dieser Entwicklung gemeinhin mit den Ready-mades Marcel Duchamps und so-dann mit der Pop Art in Verbindung gebracht, so könnte man die Arbeit Von Jedem Eins des Frankfurter Künstlers Karsten Bott als eine akribische und radikale Um-setzung dieser Tendenz zur ‚Banalisierung‘ der Kunst interpretieren.10 Seit 1988 sammelt Bott in seinem „Archiv für Gegenwarts-Geschichte“ Dinge des Alltags und ordnet sie den unterschiedlichen Lebensbereichen, wie ‚Innengestaltung‘, ‚Oberbekleidung‘, ‚Lebensmittelimitate‘ oder aber auch ‚Kunst‘, zu. Im Jahr 2007 umfasste seine Sammlung bereits etwa eine halbe Million Objekte. Botts Bestands-aufnahme des alltäglichen Lebens, die sich weder um Gebrauchsspuren noch um das Intaktsein der Gegenstände schert, teilt einer Bach-Langspielplatte genauso wie

9 Die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ schafft somit die Möglichkeiten dafür, den Streit über einen angemessenen Zugang zur Kunst – zumindest nachträglich – beizulegen, vgl. zu diesem Streit bspw. Meyer Schapiros Kritik an Heideggers Kunstwerk-Aufsatz (Schapiro 1968).

10 Vgl. dazu sowie zum Folgenden Bott 2007.

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10 EINLEITUNG

dem Pappkern einer Toilettenpapierrolle einen Platz zu. Vor dem Hintergrund, dass sich die Verfechter einer Grenze zwischen Kunst- und Alltagswelt nur zu gerne hinter dem Satz verschanzen, aus dem Umstand, dass alles der Möglichkeit nach ein Kunstwerk sein könne, folge noch lange nicht, dass auch alles ein Kunstwerk ist, lässt sich Botts Kunstprojekt als ein unnachgiebiges Bemühen darum deuten, diesem Satz Stück für Stück seine Grundlage zu entziehen – auf dass am Ende Botts künst-lerisches Archiv vollständiger und damit ‚reicher an Realität‘ als unsere ‚wirkliche‘ Realität sei.

Möglicherweise – so ließe sich zur Rettung der Kunst einwenden – müssen wir Botts künstlerische Geste nur in eine andere Perspektive rücken; möglicherweise können wir die Singularität der Kunst ja unter Zuhilfenahme einer (anderen) Theorie behaupten. Doch so sicher wie dieser Einwand den Kern des Problems trifft, so spielt er auch den Verfechtern der These vom ‚Ende der Kunst‘ in die Hände, welche die zunehmende Theoretisierung der Kunstwerke als eine weitere Verfallserscheinung der Kunst deuten. So lautet der Vorwurf an die zeitgenössische Kunst, dass diese keinesfalls mehr eine Frage eines ausgezeichneten Könnens, sondern bestenfalls noch einer ausgebufften Rechtfertigung sei. Ebendieses Problem der The-oriebeladenheit zeitgenössischer Kunst begegnet uns auch, wenn wir uns in einem nächsten Schritt dem Phänomen der Wiederholung in historischer Perspektive wid-men.

Dazu müssen wir nicht eigens die Werke der Appropriation Art bemühen; auch mit Blick auf Karsten Botts Von Jedem Eins lässt sich die Frage der Originalität in historischer Perspektive thematisieren. Denn halten wir uns vor Augen, dass Duchamp bereits vor knapp einhundert Jahren einfache Alltagsgegenstände als Kunst offeriert und etwa fünfzig Jahre später die Pop Art das gewöhnliche Leben mit seinen gewöhnlichen Dingen als Kunst zelebriert, so erscheint damit nicht nur die Eigenständigkeit von Botts Arbeit, sondern letztlich auch die Fortentwicklung der Kunst in der heutigen Zeit als zweifelhaft. Noch problematischer stellt sich die Lage dar, wenn wir zusätzlich die Pluralität der zeitgenössischen Kunstwelt beden-ken, die in ihrer Unübersichtlichkeit nichts mit der Ordnung der einstigen Stilge-schichte gemein zu haben scheint. In diesem Sinne gleicht die zeitgenössische Kunst einer riesigen Recycling-Maschinerie, die uns sowohl unsere altbekannte Realität als auch unsere altbekannte Kunst wiederholt als neue Kunst präsentiert.11

Von einer kritischeren Warte aus gilt es in Anbetracht dieser Bilanz jedoch die Frage zu formulieren, welche Notwendigkeit eine solche Deutung der zeitgenössi-schen Kunstwelt besitzt. Ist die Geste der Wiederholung zwangsläufig als ein Aus-druck mangelnder Alternativen und damit einer sich in der Erschöpfung leerlau-fenden Kunst zu verstehen, oder kann die Wiederholung im Rahmen der Kunst nicht genauso gut als Ausdruck einer lebendigen künstlerischen Freiheit gelten?12

11 Vgl. Kuspit 2004, S. 6. 12 Der Umstand, dass das revolutionäre Fortschreiten der Kunst gerne als Ausdruck der besonde-

ren Freiheit der Kunst herangezogen wird, macht es verständlich, warum die theoretische Ein-holung einer nahezu stillstehenden Kunst weitaus größere Probleme bereiten kann als das Den-ken einer Kunst, die sich in einer Revolution nach der anderen nahezu selbst überschlägt.

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11EINLEITUNG

Dabei ist es bemerkenswert, dass vor dem Hintergrund der oben skizzierten Bedeu-tungsdimensionen des ‚Endes der Kunst‘ diese beiden Perspektiven in einem gewis-sen Maße zusammengehören. Schließlich vermögen die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ und deren Widerrede von einer ‚lebendigen Kunst‘ einander insofern zu reproduzieren, als sich weder das ‚Ende der Kunst‘ ohne Bezugnahme auf eine (einstige) lebendige Einheit der Kunst behaupten lässt, noch die Lebendigkeit der Kunst näher bestimmt werden kann, ohne auch einen Sinn für die ‚Enden der Kunst‘ zu entwickeln.

In den folgenden Betrachtungen geht es daher nicht darum, die These vom ‚Ende der Kunst‘ möglichst schnell zu widerlegen und allein deren Schwachstellen aufzuzeigen. Die anschließenden Überlegungen stellen vielmehr den Versuch dar, die Kunst über die Auseinandersetzung mit der Behauptung von ihrem Ende zu denken. Damit steht letztlich zur Frage, in welchem Maße ein Verstehen der Kunst von den äußersten Rändern der Kunst her möglich ist und wie sich die Kunst zu ebendiesen Grenzen verhält.

Dabei werden die folgenden Ausführungen in erster Linie in einer Auseinander-setzung mit der Bestimmung vom ‚Ende der Kunst‘ im Denken des amerikanischen Philosophen Arthur C. Danto bestehen, der durchaus als der hartnäckigste Für-sprecher der End-These innerhalb der zeitgenössischen Kunstphilosophie gelten kann. Dennoch wird sich das Interesse dieser Arbeit nicht in der Erschließung der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ in Dantos Werk erschöpfen. Vielmehr zielen die fol-genden Überlegungen trotz – beziehungsweise gerade vermittels – der Danto gegen-über eingeräumten Vorrangstellung auf einen systematischen Ertrag hinsichtlich des Bedeutungshorizonts eines ‚Endes der Kunst‘ in der postmodernen Kunstwelt. Mit Hilfe der exemplarischen Fokussierung der Danto’schen Position soll jedoch vermieden werden, die diversen Redeweisen vom ‚Ende‘ lediglich aneinanderzurei-hen beziehungsweise einander gegenüberzustellen. Stattdessen wird Dantos Posi-tion exemplarisch herangezogen, um nach den Verbindungslinien zwischen den diversen ‚Enden der Kunst‘ zu fragen und aufzuzeigen, welches Verständnis von Kunst ihnen zugrunde liegt oder aus ihnen resultiert.

Mit Blick auf die in dieser Arbeit verfochtene Deutung von Dantos Schriften gilt es darüber hinaus zu beachten, dass diese stets in einer ambivalenten Schwebe verbleiben. Daher wird Dantos Kunstphilosophie nicht nur die These vom ‚Ende der Kunst‘ stützen, sondern zugleich zu deren Widerlegung ins Feld geführt. In diesem Sinne gelten die folgenden Betrachtungen in letzter Instanz dem Versuch, mit und über Danto hinaus ein fruchtbares Verständnis der Kunst unter besonderer Berücksichtigung der zeitgenössischen Kunstwelt zu gewinnen, wobei dies nichts anderes bedeutet, als nach dem systematischen Ort der ‚Wiederholung‘ in der Kunst zu fragen. So besehen ist die vorliegende Arbeit einer ‚Philosophie der Wie-derholung der Kunst‘ verpflichtet und damit einer Philosophie, die das Ende in sich aufzunehmen vermag, indem sie es in der Bewegung der Wiederholung mit dem Anfang zusammenschließt.

Zur Eingrenzung des Vorhabens dieser Arbeit sei im Voraus noch Folgendes angemerkt: Während hinsichtlich der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ gerade die Viel-

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falt der in dieser Rede mitschwingenden Deutungsweisen aufgezeigt werden soll, sind die Betrachtungen zur ‚Wiederholung‘ darauf angelegt, die unterschiedlichen Überlegungen an eine einheitliche Grundstruktur zurückzubinden. Doch auch hinsichtlich der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ muss einschränkend betont werden, dass die diesbezüglichen Überlegungen ihren Ausgang stets in Dantos Kunstphilo-sophie beziehungsweise der mehr oder weniger zeitgenössischen Kunstwelt nehmen und hier keinesfalls eine Aufarbeitung des gesamten End-Diskurses geleistet werden kann. Dies gilt insbesondere für den philosophischen Vater dieser Rede, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, von dem Danto für seine End-These zwar den entschei-denden Impetus erhält, von dessen Abgesang auf die Kunst die Danto’sche Theorie dennoch in entscheidenden Punkten zu unterscheiden ist. Zudem sei darauf ver-wiesen, dass Hegels Ästhetik in der vorliegenden Arbeit immer wieder als Negativ-folie fungiert, die es mit Blick auf Hegels gesamte (Kunst-)Philosophie sicher zu korrigieren gälte. Da dies im Rahmen der folgenden Betrachtungen jedoch nicht geleistet werden kann, sei diese mangelnde Ausgewogenheit hier lediglich be-nannt.13

Schließlich gilt es anzumerken, dass in der vorliegenden Arbeit zwar stets von der Kunst die Rede ist, dass sich die Überlegungen im Großen und Ganzen aber auf die bildende Kunst konzentrieren. Zum einen ist dies damit zu begründen, dass auch die Reden vom ‚Ende der Kunst‘ in der heutigen Zeit vornehmlich mit Bezug auf die Bildkünste formuliert werden. Zum anderen ermöglicht diese Einschrän-kung, über die philosophischen Betrachtungen hinaus auch kunsthistorische An-sätze zu Wort kommen zu lassen und diese mit den vorgebrachten Überlegungen zu konfrontieren, ohne den Faden in der Durchbuchstabierung eines Gedankens mit Blick auf jede einzelne künstlerische Gattung zu verlieren. Dennoch teile ich mit Danto die Hoffnung, dass die Grundgedanken dieser Arbeit auch angesichts der nicht-bildenden Künste ihre Berechtigung haben.14

Was die erwähnten kunsthistorischen Ansätze anbelangt, so ist allerdings auch diesbezüglich noch eine entscheidende Einschränkung vorauszuschicken. Denn gerade hinsichtlich der ‚Wiederholung‘ wäre angesichts der aktuellen kunsthistori-schen Forschung eine weitaus differenziertere Abhandlung zu erwarten. So sind in den letzten Jahren nicht nur zahlreiche kunsthistorische Arbeiten zum Phänomen der Wiederholung erschienen, auch eine Reihe an Ausstellungen hat sich verstärkt diesem Thema gewidmet und insbesondere im Zuge von Künstler-Retrospektiven ein Augenmerk auf die Frage der wiederholenden Aneignung beziehungsweise auf die Selbstwiederholungen von Künstlern gerichtet.15 Anstatt jedoch – wie dort ge-

13 Eine entsprechende – auf Hegel ausgerichtete und dem hiesigen Vorhaben in zentralen Gedan-ken anverwandte – Lesart der Danto’schen Kunstphilosophie findet sich insbesondere in den Texten Daniel Martin Feiges, vgl. bspw. Feige 2013.

14 Vgl. VdG, S. 13. 15 Vgl. bspw. Römer 2001; Ullrich 2009 sowie Gelshorn 2012. Vgl. insbesondere die Ausstellung

Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube (Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, 21.04.-05.08.2012) sowie den zugehörigen Ausstellungskatalog (Déjà-vu? 2012). Zu den er-wähnten Künstler-Retrospektiven zählten bspw. Picasso et les maîtres (Paris, Grand Palais, 08.10.2008-02.02.2009); Giorgio de Chirico. La fabrique des rêves (Paris, Musée d’art moderne,

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13EINLEITUNG

schehen – genauer zwischen den einzelnen iterativen Strategien, zwischen ‚Aneig-nung‘, ‚Hommage‘, ‚Neucodierung‘, ‚Parodie‘, ‚Reflexion‘, ‚Re-Inszenierung‘ usf. zu unterscheiden16, setzen die Betrachtungen dieser Arbeit sozusagen eine Ebene tiefer an, um ein Verstehen der ‚Wieder-holung‘ als Grundstruktur allen künstleri-schen Schaffens fruchtbar zu machen.

Schlussendlich sei zur Struktur der vorliegenden Arbeit darauf verwiesen, dass in dieser die genannte Gegenüberstellung von ‚Ende‘ und ‚Wiederholung‘ nicht nur argumentativ aufgegriffen wird, sondern dass diese Gegenüberstellung zugleich auch die beiden systematischen Schwerpunkte dieser Arbeit liefert. Dem ersten Schwerpunkt und damit der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ sind die ersten vier Kapi-tel gewidmet. So wird nach einer Verortung der End-These innerhalb von Dantos Kunstphilosophie (Kap. 1) das ‚Ende der Kunst‘ als Grenze zwischen Kunst und Realität (Kap. 2), als Grenze zwischen Kunst und Philosophie (Kap. 3) sowie – in historischer Perspektive – als Grenze zwischen Kunst- und Nachgeschichte (Kap. 4) diskutiert. Im abschließenden Kapitel steht demgegenüber mit der ‚Wiederholung‘ der Versuch im Vordergrund, die Kritik an der End-These in einen systematischen Ertrag zu wandeln (Kap. 5). Über Dantos Kunstphilosophie hinaus sind die Be-trachtungen dieses Kapitels vor allem Kierkegaards Wiederholungsbegriff ver-pflichtet, mit dessen Hilfe der Bedeutungsdimension sowie der zeitlichen Verfasst-heit einer ‚freien‘ Kunst Rechnung getragen werden soll.

13.02.-24.05.2009) sowie Edvard Munch. Der moderne Blick (Frankfurt a. M., Schirn, 09.02.-28.05.2012).

16 Vgl. zu dieser Aufzählung das Glossar in Déjà-vu? 2012, S. 159-161.

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1.

Das ‚Ende der Kunst‘

„Wir müssen irgendetwas aus unserer Sammlung ausschließen, sonst bleibt uns am Ende gar nichts.“17

1.1 ‚Danto as Philosopher‘

Die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ ist von einer recht eigenwilligen Liaison zwi-schen Empirie und Theorie, Gegenwartserfahrung und -deutung gezeichnet.

Daher schwingt bei der Auseinandersetzung mit jener Redeweise auch stets die Frage mit, welcher Haltung (zur Kunst) im jeweiligen Fall Ausdruck gegeben wird.18 Schließlich bedarf die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ – gerade solange neue Kunst entsteht  –  einer besonderen Rechtfertigung, die sich immer schon dem Einwand zu stellen hat, dass nicht die Kunst selbst an ein Ende gelangt sei, sondern dass sich möglicherweise nur eine gewisse Vorstellung von Kunst in der Gegenwart als nicht mehr tragbar und anschlussfähig erweist.19

Auch Arthur C. Danto ließe sich in diesem Zusammenhang der Vorwurf ma-chen, dass seine End-These primär einer persönlichen Motivation entspringt. Hatte er doch selbst in den 50er Jahren eine künstlerische Laufbahn begonnen, die er schlagartig beendete, als die Pop Art die Kunstwelt für sich eroberte und seine ei-

17 E. M. Forster, Auf der Suche nach Indien, zitiert nach „Geschichten vom Ende der Kunst“, in: Danto 1990; 1994, S. 399; vgl. Forster 1924; 2009, S. 46.

18 Vgl. Derrida 1983; 2009, S. 50f.: „Jedes Mal fragen wir uns folglich unnachgiebig, worauf wol-len jene hinaus, und zu welchem Zweck, die das Ende von diesem oder jenem, des Menschen oder des Subjekts, des Bewusstseins, der Geschichte, des Abendlandes oder der Literatur und, als letzte Neuigkeit, des Fortschritts selbst verkünden, dessen Idee noch nie bei der Rechten oder Linken so schlecht dastand. Welche Effekte wollen jene Propheten oder jene wortgewand-ten Visionäre produzieren? Welchen unmittelbaren oder aufgeschobenen Vorteil stellen sie in Aussicht? Was machen sie und was machen wir, indem wir so darüber reden? Um wen zu ver-führen oder zu unterwerfen, einzuschüchtern oder zu erfreuen?“

19 Vgl. hierzu Schneider 1997, S. 742 oder auch Ullrich 2001, S. 561. Während Schneider argu-mentiert, dass lediglich das Ausprobieren, wie ein Kunstwerk aussehen könnte, an ein Ende ge-kommen sei, betont Ullrich, dass die Diagnose eines ‚Endes der Kunst‘ in der Regel aus einem idealisierten Kunstbegriff resultiere, welcher zu hohe Erwartungen an die Kunst stelle.

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16 DAS ‚ENDE DER KUNST‘

gene künstlerische Position ihm damit als nicht mehr sinnvoll erschien.20 In seinem Aufsatz „Mit dem Pluralismus leben lernen“ schildert Danto diese Erfahrung in der dritten Person, doch lassen weitere Bekundungen21 keinen Zweifel daran, dass er seine eigene Geschichte erzählt:

„Ich kenne einen Künstler, der während des Siegeszuges der Abstraktion am Malen von gegenständlichen Bildern festhielt. Irgendwann Anfang der sechziger Jahre, nach der Pop-Revolution, erkannte er plötzlich klar und deutlich, daß das, was er bisher gemacht hatte, nun vollkommen in Ordnung war. Aber inzwischen hatte er jegliches Interesse daran verloren. In jenen Jahren hatte das Schaffen solcher Bilder noch Mut und Unabhängigkeit gefordert; er hatte dem widerstanden, was andere für den Geist der Geschichte hielten. Und auf einmal war es ganz egal, was er machte. Wenn man nun tun und lassen konnte, was man wollte […], dann fehlte damit jeder Anreiz überhaupt etwas zu sein. Ganz so, als ob, wenn es keinen historisch wahren und rich-tigen Weg gab, auch keine Veranlassung zum Kunstschaffen überhaupt bestünde. Mir scheint, das Kunstschaffen war seiner Ansicht nach schließlich unvereinbar mit dem Pluralismus.“22

Jene Erfahrung bestärkte Danto darin, sich Mitte der sechziger Jahre ganz der Philosophie zuzuwenden – nicht, um der Kunst damit den Rücken zuzukehren, sondern weil die Kunst seines Erachtens in dieser Zeit gerade „in ‚philosophischer‘ Hinsicht interessant“23 wurde: In der Kunst selbst konnte es nach Danto nicht mehr um die Wahrheit der Kunst, um ihre Wesenssuche gehen. Diese Frage war seines Erachtens nun in den Aufgabenbereich der Philosophie verlegt.

Es ist Danto zugute zu halten, dass er seine künstlerische Position in seinen Schriften nicht affirmativ in Kunsttheorie überführt. Vielmehr kommt er nach-träglich gerade zu einer Revision der oben formulierten Äußerung, indem er den Pluralismus als notwendig mit dem Kunstschaffen vereinbar und zur „objektiven historischen Wahrheit“24 erklärt. Anstatt das ‚Ende der Kunst‘ mit dem Ende seiner künstlerischen Karriere zu identifizieren, setzt Danto das ‚Ende‘ außerhalb seiner eigenen künstlerischen Position, in der Pop Art, an und sieht durch es – das heißt durch künstlerische Arbeiten wie Andy Warhols Brillo Boxes oder Roy Lichtensteins The Kiss – die Aufhebung der für seine künstlerische Position relevanten Gegensätze gegeben.25 Das ‚Ende der Kunst‘ ist nach Danto gerade nicht als Aufhören von

20 Vgl. zu Dantos Biographie die einleitenden Worte von Karlheinz Lüdeking in: Danto 1993b, S. 200-202; Betzler 1998, S. 189; Koppelberg 2005, S. 287-289 sowie Danto 2010a.

21 Vgl. bspw. Danto 1993b, S. 202; Danto 1997a, S. 774 sowie besonders Danto 2010a, S. 9: „There are in my writing on the philosophy of art, references to artist’s responses to art. They are self-portraits. The artist was always me, trying to accommodate history.“

22 „Mit dem Pluralismus leben lernen“, in: KndEdK, S. 262. Vgl. auch ebd., S. 267: „Maler zu sein hieß für mich schon, sich für die Ansicht stark zu machen, daß eine Wahrheit in der Kunst steckte.“

23 Vgl. Danto 1993b, S. 202. 24 „Mit dem Pluralismus leben lernen“, in: KndEdK, S. 264. 25 An dieser Stelle ließe sich der Einwand erheben, dass Danto bereits 1962/63 mit dem Kunst-

schaffen aufgehört hat (vgl. zu dieser Zeitangabe Danto 2010a, S. 7), Warhols Brillo Boxes – welche für Danto die Vollendung der Kunst bedeuten – hingegen erst 1964 in der Stable Gallery in New York ausgestellt wurden. Während Warhols Brillo Boxes den entscheidenden Impuls für

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17‚DANTO AS PHILOSOPHER‘

Kunst zu verstehen; es vollzieht sich als deren Vollendung.26 Ohne selbst mit seinen künstlerischen Arbeiten an dieser Vollendung der Kunst mitgewirkt zu haben, steht Danto Mitte der 60er Jahre dennoch vor der Wahl zwischen den sich aus diesem ‚Ende der Kunst‘ ergebenden Konsequenzen. Da ihm das eigene Kunstschaffen in einer pluralistischen Kunstwelt als sinnlos erscheint, wendet er sich ganz der Philo-sophie zu, um in ihr die Frage nach der Wahrheit der Kunst weiter zu verfolgen. In seinem Leben spiegelt sich damit auf eigenwillige Weise seine an Hegel angelehnte Kunstphilosophie wider: Die Kunst hat für Danto die echte Wahrheit und Leben-digkeit verloren und ist von nun an mehr in seine Vorstellung verlegt.27 Konse-quenterweise gilt Dantos primäres Interesse – wie dies auch seine Rede vom ‚Ende der Kunst‘ artikuliert – nicht der Kunst in all ihren Facetten, sondern der Kunst in ihrer philosophischen Dimension.28 So verwundert es auch nicht, dass Danto sich vor allem auf Arbeiten der Konzeptkunst bezieht und in seiner Vorstellung in einem gewissen Sinn selbst Kunst ‚schafft‘, indem er seine Theorie nicht nur an bestehen-den, sondern ebenso an erfundenen und allein als Idee ‚existenten‘ Kunstwerken in Gedankenexperimenten entwickelt und erprobt.

Dieses hier nur grob skizzierte Vorgehen Dantos muss vor dem bereits genann-ten Hintergrund eines vermeintlichen radikalen Umbruchs der Kunstwelt in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gesehen werden.29 Von diesem Punkt ausgehend zielt Dantos Philosophie ebenso auf die Erschließung eines transhistorischen We-sens der Kunst sowie die Ausmessung der Bedeutung der Geschichte für die Kunst. Insofern antwortet er auf den von ihm konstatierten Umbruch von der modernen zur posthistorischen Kunstwelt mit zweierlei Strategien: indem er zum einen da-nach fragt, bis zu welchem Punkt sich die Kontinuität der Kunst durch alle Zeiten hinweg behaupten lässt, und indem er diese Kontinuität zum anderen mit seiner

Dantos inhaltliche Überlegungen über Kunst gegeben haben, steht das Beenden von Dantos künstlerischen Schaffens in Zusammenhang mit der gesamten Pop Art-Bewegung. Im Gespräch mit Dieter Henrich und Fred Rush erzählt Danto, dass seine erste Begegnung mit der Pop Art 1962 stattgefunden habe. Zu dieser Zeit lebte Danto in Frankreich. In der Art News habe er ei-ne Reproduktion von Lichtensteins The Kiss entdeckt, die ihn sofort beeindruckt und zu dem Gedanken veranlasst habe, dass viele Argumente, die in gemeinsamen Diskussionen mit be-freundeten Vertretern abstrakter Malerei gefallen seien, nun keine Gültigkeit mehr für sich be-anspruchen könnten. Vgl. dazu Danto/Henrich 2006, S. 35 sowie Danto 2010a, S. 8f.

26 Vgl. dazu Dantos Differenzierung zwischen enden (to end) und aufhören (to stop) bspw. in „Ap-proaching the End of Art“, in: Danto 1987a, S. 210 oder in „Geschichten vom Ende der Kunst“, in: Danto 1990; 1994, S. 388.

27 Vgl. VÄ I, S. 25: „In allen diesen Beziehungen ist und bleibt die Kunst nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung für uns ein Vergangenes. Damit hat sie für uns auch die echte Wahrheit und Lebendigkeit verloren und ist mehr in unsere Vorstellung verlegt, als daß sie in der Wirk-lichkeit ihre frühere Notwendigkeit behauptete und ihren höheren Platz einnähme.“

28 Vgl. „The Philosopher as Andy Warhol“, in: Danto 1999, S. 63: „But my essay differs from the standard arthistorical exercise in that I seek to identify the importance of the art I discuss not in terms of the art it influenced (or which it was influenced by) but in terms of the thought it brought to our awareness.“

29 Auch Hans Belting setzt in Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren einen radikalen Umbruch der Kunstwelt in den Jahren 1963/64 mit der Entstehung einer vermeintli-chen ‚euro-amerikanischen Einheitskultur‘ an (vgl. Belting 1995; 2002, S. 55-60).

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18 DAS ‚ENDE DER KUNST‘

These vom ‚Ende der Kunst‘ sowie seinen Überlegungen zur ‚Kunst nach dem Ende der Kunst‘ gleichzeitig untergräbt.

Um dies zu leisten, distanziert sich Danto so weit als möglich von einem norma-tiven Kunstbegriff und versucht das, was Kunst ‚ist‘, über eine deskriptive Kunstphi-losophie theoretisch einzuholen.30 Während er allen vorangegangenen kunstphilo-sophischen Positionen anlastet, sie hätten eigentlich nur Kunstkritik betrieben, beansprucht Danto für seine eigene Zeit, dass ein ernsthaftes Nachdenken über das ‚Wesen der Kunst‘ erst jetzt, im Zeitalter nach dem ‚Ende der Kunst‘, möglich ge-worden sei.31 Sein eigenes methodisches Vorgehen und Nachdenken über Kunst stellen insofern bereits eine Folge seiner End-These dar. Entsprechend ist die Rede vom Ende schon im Vorwort seines kunstphilosophischen Hauptwerkes Die Ver-klärung des Gewöhnlichen sowie in einigen jenem zugrunde liegenden Essays zu finden.32 Dantos gesamte Kunstphilosophie steht in einem direkten Zusammen-hang mit seiner These vom ‚Ende der Kunst‘ – nicht nur, insofern sie ihren Ausgang in Dantos Diagnose vom Umbruch der Kunst nimmt, sondern auch insofern sie eine Philosophie der ‚Grenzen der Kunst‘ ist, das heißt indem ihr Fragen auf den ontologischen Status sowie die Geschichte der Kunst zielt und sie ihre Beispiele an den ‚äußersten Rändern der Kunst‘ sucht, um diese selbst auf den Begriff zu bringen.

Die vorliegende Arbeit trennt daher nicht zwischen Dantos sogenannter ‚seman-tischer Kunsttheorie‘ sowie Dantos Schriften zum ‚Ende der Kunst‘ beziehungs-weise zur Philosophie der Kunstgeschichte. Danto legt eine entsprechende Tren-nung zwar selbst nahe, indem er wiederholt betont, dass er seine These vom ‚Ende der Kunst‘ erst 1984 formuliert habe,33 doch geht aus seinem im November 1971

30 Eine deskriptive Kunstphilosophie kann nach Dantos eigener Aussage nur klären, ob ein Gegen-stand ein Kunstwerk ist, nicht jedoch, ob es sich um ein gutes oder schlechtes Kunstwerk han-delt. Vgl. „Mit dem Pluralismus leben lernen“, in: KndEdK, S. 270: „Die Philosophie aber ver-mag nur zwischen Kunstwerken und bloßen realen Dingen zu unterscheiden; sie kann nicht Kunstwerke voneinander trennen, weil diese ja alle ihren Theorien entsprechen müssen, wenn diese Theorie etwas taugen sollen.“ Vgl. zur Problematisierung von Dantos deskriptiver Ver-wendung des Kunstbegriffs Neumaier, „Was bringt der Kontext der Kunstwelt? Eine Klarstel-lung“, in: Neumeier 1997, S. 217-233, bes. S. 221f. und S. 231.

31 Vgl. bspw. Danto 1993b, S. 205f. oder „Mit dem Pluralismus leben lernen“, in: KndEdK, S. 269.

32 Vgl. VdG, S. 12f.: „Ich neige zu der Ansicht, daß mit den Brillo-Schachteln die Möglichkeiten tatsächlich abgeschlossen sind und daß die Geschichte der Kunst gewissermaßen an ein Ende gelangt ist. Sie ist zwar nicht zum Stillstand gekommen, ist aber in dem Sinne an einem Ende angelangt, daß sie zu einer Art von Bewußtsein ihrer selbst übergegangen und wiederum in ge-wisser Weise zu ihrer eigenen Philosophie geworden ist: ein Sachverhalt, der in Hegels Ge-schichtsphilosophie angekündigt war. Damit meine ich zum Teil, daß tatsächlich die innere Entwicklung der Kunstwelt hinreichend konkret werden mußte, damit die Kunstphilosophie selbst zu einer ernsthaften Möglichkeit werden konnte. In der fortgeschrittenen Kunst der sech-ziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren Kunst und Philosophie plötzlich füreinan-der offen. In der Tat brauchten sie einander plötzlich, um sich gegenseitig auseinanderzuhal-ten.“ Vgl. auch ebd., S. 94. Vgl. ebenso Danto 1973, S. 16f. sowie Danto 1974, S. 148: „When philosophy’s paintings, grey in grey, are part of the artworld, the artworld has shaded into its own philosophy, and by definition grown old.“

33 Vgl. „Drei Jahrzehnte nach dem Ende der Kunst“, in: Fortl, S. 49.

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19‚DANTO AS PHILOSOPHER‘

eingereichten und 1973 publizierten Aufsatz „Artworks and real things“ eindeutig hervor, dass er sich bereits zehn Jahre vor der Veröffentlichung von Die Verklärung des Gewöhnlichen mit dem Ende der Kunst beschäftigt hat.34 Die Sekundärliteratur zu Dantos Kunstphilosophie setzt die Trennung zwischen Dantos Kunsttheorie und der These vom ‚Ende der Kunst‘ meist voraus und konzentriert sich sodann auf einen der beiden Bereiche, oder sie handelt diese beiden Themenkomplexe getrennt voneinander ab.35 Die vorliegende Arbeit geht hingegen von der Annahme aus, dass die kritische Auseinandersetzung mit Dantos End-These entscheidend zum Verstehen von Dantos gesamter Kunstphilosophie beiträgt.36

Auch wenn Danto – wie eingangs gesehen – auf rhetorischer Ebene mit biogra-phischen Bezügen spielt, kann ihm dennoch nicht ohne weiteres angelastet werden, er wolle mit seiner Rede vom ‚Ende der Kunst‘ Partei für oder gegen eine bestimmte Konzeption von Kunst ergreifen.37 Bei Danto sowie auch vielen anderen Urhebern jener Rede geht es vielmehr um die logischen Grenzen, an welche die Kunstent-wicklung und damit die Kunstgeschichte stößt: Die posthistorische Version des ‚Endes der Kunst‘ lautet somit, dass sich die Kunst ein für alle Mal des Endes ent-ledigt habe. Sie mutet uns zu, das Ende im Sinne der Entgrenzung der Künste und somit im Sinne ihrer Endlosigkeit zu denken. Demzufolge kann die Posthistoire keinen Neuanfang bedeuten, zumindest wenn man die Idee des Anfangs daran koppelt, dass zu ihr notwendigerweise auch die Möglichkeit eines Endes gehört, um sinnvoll von einem Anfang sprechen zu können.

Gegenüber vielen anderen Urhebern der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ zeichnet sich Danto in besonderer Weise durch einen Reichtum an Perspektiven auf die Kunst aus: Nicht nur, dass er einmal selbst Künstler war, er hat sich seit den 80er Jahren auch als Kritiker der New Yorker Kunstszene für die Wochenzeitschrift The Nation einen Namen gemacht und gilt darüber hinaus als kunsthistorisch wohl informierter Vertreter der amerikanischen Kunstphilosophie, der neben seiner analytischen Ausrichtung auch die kontinentalphilosophische Ästhetik und Kunst-theorie berücksichtigt. Seine kunstphilosophischen Schriften zeugen von einer Vielzahl an ideenreichen Impulsen und greifen nicht selten auf andere philosophi-sche Bereiche – so beispielsweise auf die Handlungsphilosophie, Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie oder auf Gedanken aus dem Zen-Buddhismus – zurück, um diese für unser Verstehen von Kunst fruchtbar zu machen. Dies bringt es mit sich, dass sich über Dantos Kunstphilosophie zwar zahlreiche Verbindungslinien zu an-deren philosophischen Positionen ziehen lassen, dass Danto andererseits diese Po-sitionen jedoch auf unkonventionelle Weise nutzt und sich insofern kaum be-

34 Vgl. Danto 1973. 35 Vgl. bspw. Thomet 1999. 36 Vgl. in diesem Sinne auch Carrier 1998, S. 6f. 37 Vgl. in diesem Sinne auch Ullrich 2005; 2006, S. 250: „Im Unterschied zu anderen ‚Ende der

Kunst‘-Proklamateuren wird Danto nicht Opfer eines überzogenen Kunstbegriffs, an dem ge-messen fast alles, was an Kunst entsteht, als gescheitert oder dürftig erscheinen muß. Er geht nicht von einer idealisierten Vergangenheit aus, sondern analysiert die Debatten und Vorgänge der gegenwärtigen Kunstwelt.“

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20 DAS ‚ENDE DER KUNST‘

stimmten denkerischen Schulen zuordnen lässt.38 Deutlich wird dies nicht zuletzt an der Danto’schen Version vom ‚Ende der Kunst‘. Denn während Danto die zeitgenössische Kunst zwar stets als posthistorisch anspricht, findet sich bei ihm dennoch nur selten der zynische und bittere Pathos, welcher für die Verteidigung der Posthistoire gegenüber der Postmoderne charakteristisch ist.39

Überhaupt lässt sich hinter Dantos kunstphilosophischen Schriften nur äußerst schwer eine ‚Position‘ im Sinne eines denkerischen Engagements erkennen, womit sogleich auch die Kehrseite des Danto’schen Perspektivenreichtums benannt ist. Möglicherweise hängt diese Beobachtung mit Dantos Anspruch zusammen, sich dem Gegenstand ‚Kunst‘ allein deskriptiv, keinesfalls normativ, zu nähern. Danto steht der Figur des ‚engagierten Autors‘ äußerst skeptisch gegenüber. Stets versucht er die Gefahr zu meiden, der Kunst ein philosophisches Programm überzustülpen und damit die „philosophische Entmündigung der Kunst“ weiter voran zu trei-ben.40

Darüber hinaus hat Danto seine Überlegungen immer wieder kleineren und größeren Revisionen unterzogen, so dass seine Thesen nicht selten Gefahr laufen, mit der Zeit zu verwässern. Dieser Tatbestand wird dadurch erschwert, dass der Großteil von Dantos kunstphilosophischen Schriften in Essays besteht, die sich zwar immer wieder mit denselben Themen auseinandersetzen und Geschlossenheit suggerieren, jedoch nicht ohne weiteres miteinander in Einklang zu bringen, ge-schweige denn in ein philosophisches System zu überführen sind. Dantos Theo-rie – wenn man von ihr überhaupt im Singular sprechen kann – besteht aus einer Vielzahl von losen Enden, die Danto selbst immer wieder anders miteinander ver-knüpft. Die systematische Erschließung der zentralen Aspekte des von Danto proklamierten ‚Endes der Kunst‘ sowie die Rekonstruktion der zugehörigen Argu-mentation bleiben daher zu einem großen Teil und mit all ihren Herausforderungen dem Leser überlassen. Dennoch ist Danto zugute zu halten, dass er sich hinsichtlich seiner These vom ‚Ende der Kunst‘ als äußerst hartnäckig erweist und diese bis zu seinem Tod und damit gut vierzig Jahre lang verteidigt.41 Auch dies zeichnet ihn gegenüber anderen Urhebern der Rede vom ‚Ende der Kunst‘ aus, welche dieser meist nicht mehr als einen Essay, allenfalls eine Monographie gewidmet haben.

Wenn die vorliegende Arbeit also die Rede vom ‚Ende der Kunst‘ im Ausgang von Arthur C. Dantos Kunstphilosophie untersucht, so bedeutet dies, sich vor al-lem von einer Vielzahl an Ideen, Einwänden und Gedankenblitzen durch das weite Feld einer pluralistisch gewordenen Kunstwelt führen zu lassen. Zunächst wird dazu Dantos Schlüsseltext zum ‚Ende der Kunst‘ in seinen zentralen Argumenten vorgestellt (Kap.  1.2) und anschließend am Beispiel von Dantos Deutung der

38 Vgl. zu Dantos Verortung zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie sowie zur wei-teren Einordnung seiner Position Carrier 1998, S. 1-16 sowie Mahr 2000.

39 Vgl. zur Gegenüberstellung von Posthistoire und Postmoderne Welsch 1987; 2002, S. 17f. 40 Vgl. bspw. „Die philosophische Entmündigung der Kunst“, in: Entm, S. 27. 41 Auch wenn Danto in „Schlechte Zeiten für die Ästhetik“ den Anspruch seiner Rede vom ‚Ende

der Kunst‘ relativiert und erklärt, dass diese nicht mehr als eine „Hypothese“ sein könne, vgl. „Schlechte Zeiten für die Ästhetik“, in: Danto 1990; 1994, S. 359.

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21„DAS ENDE DER KUNST“

künstlerischen Position Andy Warhols expliziert (Kap. 1.3). Der darauf folgende Abschnitt thematisiert sodann das Ende der Kunst als Berührung von Kunstge-schichte und Kunstbegriff (Kap.  1.4), während der letzte Absatz dieses Kapi-tels – unter Bezugnahme auf die Kunstphilosophie der 1950er Jahre – eine Einfüh-rung in die dieser Arbeit zu Grunde liegende Lesart von Dantos Kunstphilosophie als eine Philosophie der Grenzen der Kunst gibt (Kap. 1.5).

1.2 Arthur C. Danto: „Das Ende der Kunst“

Arthur C. Danto leitet seine These vom ‚Ende der Kunst‘ in seinem gleichnamigen Aufsatz mit einem Gedankenspiel über die Frage ein, inwiefern Aussagen über die Zukunft der Kunst möglich seien.42 Er unterscheidet zunächst zwei Fragestellungen voneinander: Zum einen lasse sich unter der Vorannahme einer endlosen Weiter-entwicklung der Kunst unmittelbar die Frage nach der zukünftigen Kunst stellen; zum anderen sei jedoch die Frage berechtigt, ob die Kunst überhaupt eine Zukunft habe. Nach Danto ist die erste dieser beiden Fragen die schwierigere, da jegliche Spekulation über das Aussehen zukünftiger Kunstwerke nur ein Spiegelbild der eigenen Zeit liefern könne. Die zweite Frage bleibe hingegen von diesem Problem unberührt, da sie nicht darauf ziele anzugeben, wie zukünftige Kunstwerke aussä-hen, sondern vielmehr eine Spekulation über die Geschichte der Kunst darstelle. Die Frage, ob die Kunst überhaupt eine Zukunft habe, dürfe man nicht mit der Frage verwechseln, ob es in Zukunft noch Kunstwerke gebe. Schließlich ließe sich – wie Hegel dies in seiner Rede vom Vergangenheitscharakter der Kunst arti-kuliert43 – annehmen, dass die Kunst keine Zukunft habe, auch wenn weiterhin Kunstwerke entstünden. Die künftigen Werke gehörten dann einer Zeit an, die sich als ‚posthistorisch‘ bezeichnen ließe, und könnten uns „als Nachwirkung einer vergangenen Lebendigkeit“44 gelten. Die Geschichte der Kunst verliefe demnach nicht analog zur Menschheitsgeschichte; stattdessen würde sie lediglich ein be-stimmtes Zeitalter markieren, in dessen Anschluss die Kunst zwar noch existiere, jedoch keinerlei historische Bedeutung mehr besitze. Die Frage, ob die Kunst eine Zukunft habe, gehöre demnach eigentlich in den Kontext der Geschichtsphiloso-phie.

42 Vgl. hierzu sowie zu den folgenden Ausführungen „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 109-145. Nach eigener Aussage (ebd., S. 109) gehen die hier von Danto versammelten Überlegun-gen auf einen kurzen Beitrag zu einem Symposium über den Zustand der Kunstwelt zurück, der unter dem Titel „Art Attacks“ in der Soho News abgedruckt wurde, vgl. Danto 1981. In einer wesentlich erweiterten Version bildete der Text danach den Hauptbeitrag in dem von Berel Lang 1984 herausgegebenen Band The Death of Art (vgl. Danto 1984), bevor er schließlich 1986 in Dantos Sammelband The Philosophical Disenfranchisement of Art übernommen wurde.

43 Vgl. VÄ I, S. 25. 44 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 111.

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22 DAS ‚ENDE DER KUNST‘

Die Berechtigung, die Frage nach der Zukunft der Kunst aus dem Zusammen-hang der Geschichtsphilosophie zu lösen, sieht Danto durch den Zustand der zeitgenössischen Kunst gegeben, da diese sich durch den Verlust jeglicher histori-schen Richtung auszeichne. Danto geht nicht davon aus, dass dieser Zustand der Kunst lediglich eine Episode in der Kunstgeschichte darstelle, nach welcher die Kunst wieder auf den rechten Pfad der Geschichte zurück gelange. Vielmehr sieht er in diesem „Zustand eines Strukturverlusts“ die restliche ‚Zukunft‘ der Kunst – „eine kulturelle Entropie“45: Was auch immer als nächstes kommt, wird nicht von Bedeutung sein, weil der Begriff der Kunst innerlich bereits ausgeschöpft ist.“46

Was zunächst als reines Gedankenexperiment beginnt, sieht Danto somit in der Gegenwart verwirklicht: das Ende der historischen Entwicklung der Kunst. Wie die folgenden Fragen zeigen, ist jenes Ende für Danto gleichbedeutend mit der endlosen Wiederholung von bereits dagewesenen Formen:

„Was aber, wenn nun wirklich ein Ende erreicht ist, ein Punkt, an dem es Verände-rung ohne Entwicklung geben kann, an dem die Motoren der künstlerischen Produk-tion nur noch bekannte Formen immer wieder neu zusammensetzen können, wenn auch der äußere Druck vielleicht diese oder jene Verbindung begünstigt? Was aber, wenn es historisch gar nicht mehr möglich ist, daß die Kunst uns noch weiter in Stau-nen versetzt, wenn das Zeitalter der Kunst sich in diesem Sinne innerlich erschöpft hat, wenn – wie Hegel es so eindrucksvoll und melancholisch formuliert – eine Ge-stalt des Lebens alt geworden ist?“47

Nach Dantos Diagnose hat die Kunst im Laufe ihrer Geschichte somit alle Mög-lichkeiten innerhalb ihrer begrifflichen Grenzen ausgereizt. Auf den folgenden Seiten seines Aufsatzes unternimmt Danto den Versuch, dieser These Plausibilität zu verleihen, indem er der Ausführung seiner an Hegel angelehnten Konzeption der Kunstgeschichte zwei – wie er schreibt – „bekanntere Modelle der Geschichte der Kunst“48 voranstellt. Es handelt sich dabei zum einen um eine als Fortschritts-erzählung konzipierte Darstellung der Mimesis-Theorie sowie zum anderen um die sich der Idee der Progressivität verweigernde Ausdruckstheorie der Kunst. Danto kündigt an, dass diese beiden Modelle der Kunstgeschichte „auf verblüffende und fast dialektische Weise die Voraussetzung für das Modell“49 bildeten, dem letztlich sein Interesse gelte. Ziel von Dantos Inblicknahme dieser kunsttheoretischen Mo-delle und ihrer historischen Implikationen ist die Formulierung einer Kunsttheorie (beziehungsweise die Bestätigung seiner Version der Hegel’schen Kunstphiloso-phie), die gleichermaßen der fortschreitenden Entwicklung der Kunst Rechnung trägt wie auch für alle künstlerischen Gattungen Gültigkeit besitzt.

Zur Erläuterung der Idee einer als Fortschrittserzählung konzipierten Kunstge-schichte bezieht sich Danto auf den ‚Vater‘ der Kunstgeschichtsschreibung, den

45 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 112. 46 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 112. 47 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 113. 48 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 113. 49 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 113.

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23„DAS ENDE DER KUNST“

Biographen der italienischen Renaissance-Künstler Giorgio Vasari. In Anlehnung an Ernst Gombrich erklärt Danto Vasari zum Urheber des Modells einer progressi-ven Geschichte der Kunst, da dieser „die Stilgeschichte als die allmähliche Erobe-rung der natürlichen Erscheinungen“50 begriffen habe. Das an Vasari angelehnte ‚Ende der Kunst‘ wäre schließlich erreicht, „[w]enn die Herstellung eines Äquiva-lents für jeden Wahrnehmungsbereich technisch möglich wäre“51.

Tatsächlich habe – so fährt Danto fort – die Geschichte der Kunst jedoch eine andere Wendung genommen.52 So seien zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Werke – wie beispielsweise Matisses Porträt seiner Frau mit grünem Streifen auf der Nase – entstanden, die sich nicht mehr mit Hilfe der Mimesis-Theorie erklären ließen. Dantos Auffassung zufolge wurde zu dieser Zeit der Darstellungscharakter aus der Definition der Kunst verbannt, was bedeutet, dass damit auch die Ge-schichte der Kunst eine völlig andere Struktur erhalten habe. Eine Möglichkeit, das Kunstgeschehen zu Beginn des 20. Jahrhunderts theoretisch einzuholen, stelle die Ausdruckstheorie dar, wie sie beispielsweise Benedetto Croce in seiner Estetica come scienza dell’espressione vertreten habe.53 Allein über die Ausdruckstheorie lasse sich die Idee einer fortschreitenden Geschichte der Kunst jedoch nicht aufrecht erhal-ten – vielmehr zerfalle die Kunstgeschichte damit „in eine Folge von individuellen Handlungen, […] ein bloßes Nacheinander“54, da die verschiedenen Ausdrucks-möglichkeiten inkommensurabel seien und man kaum von einem mehr oder we-niger an Ausdruck sprechen könne.

Daher liefert nach Danto weder die Mimesis-Theorie noch die Ausdruckstheorie eine Erklärung für die tatsächliche Entwicklung der Kunst: Während der Nachteil der Mimesis-Theorie darin bestehe, dass sie nur für einen begrenzten Zeitraum der Kunstgeschichte sowie nur für bestimmte künstlerische Gattungen – vornehmlich Malerei, Plastik und Film – Gültigkeit beanspruchen könne, liefere die Ausdrucks-theorie zwar ein Modell für alle Kunstgattungen, stelle die Kunst in ihrer histori-

50 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 114. Vgl. Gombrich 1960; 2010, S. 246, wobei zu beach-ten ist, dass Gombrich hier Roger Frys Gedanken über die englische Malerei zitiert. Für die Tatsa-che, dass auch Gombrich der Fortschrittsidee eine gewisse Gültigkeit einräumt, spricht vor al-lem das „Vorwort zur sechsten Ausgabe“ vom Februar 2000, in dem Gombrich die Frage stellt, ob „Vasaris Fortschrittsbegriff […] nicht vielleicht doch eine Entsprechung in der Wirklichkeit hatte“ (ebd., S. XXIII). Vgl. darüber hinaus zur Fortschrittsidee in Gombrichs Denken Kap. 4.5.1.

51 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 126. 52 Danto führt diese Wendung vor allem auf die Erfindung des Films zurück, der eine viel getreu-

ere Abbildung der Wirklichkeit ermöglicht habe, als es in der Malerei je denkbar gewesen sei. 53 In „Kunst, Evolution und das Bewußtsein der Geschichte“ führt Danto die Gedanken von „Das

Ende der Kunst“ fort. Erneut bezieht er sich hier auf die Mimesis-Theorie; anstelle von Croces Ausdrucks-Theorie bespricht er jedoch Erwin Panofskys auf Cassirer zurückgehende Theorie der symbolischen Formen. Als Gemeinsamkeit von Croces und Panofskys Theorien gilt Danto die mangelnde Begründung der Kontinuität in der Kunstgeschichte und somit die Inkommen-surabilität der kunsthistorischen Epochen. Vgl. „Kunst, Evolution und das Bewußtsein der Ge-schichte“, in: Entm, S. 233-237.

54 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 133.

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24 DAS ‚ENDE DER KUNST‘

schen Gesamtheit jedoch „als etwas völlig Diskontinuierliches“ dar, „als eine Art von Inselwelt, in der einfach ein Kunststil nach dem anderen kommt“55.

Warum aber sollte überhaupt von einer fortschreitenden Kunstgeschichte ausge-gangen und somit die Inkommensurabilität der Ausdruckstheorie abgelehnt werden? Danto beantwortet diese Frage mit einem weiteren Gedankenexperiment, demzu-folge er sich die Geschichte der Kunst in umgekehrter Reihenfolge vorstellt, an deren Ende der Apoll von Belvedere als abschließender Höhepunkt steht. Entscheidend ist nun, dass sich nach Danto damit auch die Interpretation der einzelnen Werke und somit ihre Identität grundlegend ändern würde. So beziehe sich beispielsweise „Pi-casso unablässig auf die Kunstgeschichte, die er systematisch dekonstruiert, so daß seine Werke jene früheren voraussetzen.“56 Um Picassos Werke verstehen zu können, müssen wir diese Bezugnahmen, so Danto, und damit die Ordnung der Kunstge-schichte berücksichtigen. Folglich bestehe dann zwischen unserer Definition der Kunst sowie unserem Verständnis der Geschichte der Kunst eine interne Verbindung.

In Hegels Kunstphilosophie sieht Danto schließlich alle angesprochenen Prob-leme der Mimesis- und Ausdruckstheorie aufgehoben sowie ihre jeweiligen Vorteile erfüllt. So liefere Hegels Theorie ein Modell für die historische Kontinuität der Kunst, schließe alle Kunstgattungen mit ein und lasse sich gleichermaßen auf dar-stellende wie abstrakte Kunst anwenden. Ihre Wirkmächtigkeit liege darin begrün-det, dass Hegel den Fortschritt nicht als Perfektionierung der künstlerischen Technik beschreibe, sondern vielmehr von einem kognitiven Fortschritt in der Kunst ausgehe. Ziel der Kunstgeschichte ist nach Dantos Hegel-Lektüre57 die Selbsterkenntnis der Kunst: „Die Kunst endet mit dem Anbruch ihrer eigenen Philosophie.“58 Im Gegensatz zur Ausdruckstheorie will Danto damit die Kunst des 20.  Jahrhunderts über ihre theoretischen Grundlagen verstehen: Im Vorder-grund stehe demnach weniger der Ausdruck von Gefühlen als vielmehr die Ausei-nandersetzung mit der Frage nach der Identität der Kunst, die in Form unter-schiedlicher Theorien erfolge:59 „Es war, als ob die Kunst […] etwas Begriffliches sei, aber keinem bestimmten Begriff genüge.“60 Die Kunstgeschichte folgt damit dem Modell des Bildungsromans, an deren Ende die Entwicklung der Kunst in der Selbsterkenntnis kulminiert. Mit Hilfe dieses Modells lässt sich, so Danto, schließ-lich auch die Tatsache erklären, dass die Kunst der jüngsten Vergangenheit für ihre „Existenz als Kunst mehr und mehr der Theorie bedarf, so daß die Theorie nicht als

55 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 134. 56 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 135. 57 Danto verfolgt damit eine selektive Hegel-Lektüre, indem er – wie anfangs angekündigt – die

Kunstgeschichte aus der Gesamtheit der Hegel’schen Geschichtsphilosophie heraustrennt. Im Vordergrund steht bei Danto nicht der Weltgeist; stattdessen wird die Kunst zu jenem Subjekt, das sich seiner selbst bewusst wird. Der Hegel’sche Bildungsroman wird zur Selbstbewusstwer-dung eines Subjekts namens „Art“. Vgl. „Warhol“ in: Danto 1990; 1994, S. 335.

58 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 137. 59 So besehen, ist auch Dantos Kunstphilosophie eine erweiterte Ausdruckstheorie, die den Aus-

druck nicht auf Gefühle beschränkt, sondern auf geistige Gehalte ausweitet. Vgl. VdG, S. 288-298.

60 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 139f.

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25ANDY WARHOLS BRILLO BOXES

etwas Äußerliches einer Welt gegenübersteht, die zu verstehen sie bemüht ist.“61 Die zunehmende ‚Theoretisierung‘ der Kunst als ein Mehr an theoretischem Gehalt im Kunstwerk gehe einher mit der Reduzierung der Gegenstände bis zum Null-punkt, „so daß es am Ende praktisch nur noch Theorie gibt und die Kunst sich zu dem blendenden Glanz der reinen Gedanken über sich selbst verflüchtigt hat und gleichsam nur noch als Objekt ihres eigenen theoretischen Bewußtseins existiert.“62 Hat die Kunst jenes Ende im Sinne der eigenen Selbstbewusstwerdung erreicht, ist ihre historische Aufgabe nach Danto erfüllt. Sie gehe dann in die posthistorische Periode über, in welcher es eine einheitliche Entwicklung der Kunst hin auf ein gemeinsames Ziel nicht mehr geben könne. Die Werke besäßen demzufolge nach dem ‚Ende der Kunst‘ keine ‚historische Relevanz‘ und somit auch keinen ‚histori-schen Bedeutungsgehalt‘ mehr. In Anlehnung an Hegels Ausführungen, dass die Kunst damit „mehr in unsere Vorstellung verlegt“ und eine „Wissenschaft der Kunst […] darum in unserer Zeit noch viel mehr Bedürfnis“63 sei, sieht Danto nun das eigentliche Zeitalter der Kunstphilosophie gekommen. Die Kunstpraxis sei hinge-gen im endlosen Zeitalter des Pluralismus angelangt:

„Man kann […] jetzt am Morgen ein abstrakter Maler sein, am Nachmittag ein Pho-torealist und am Abend ein minimaler Minimalist. Oder man schneidet Bilderbögen aus oder macht, was einem, verdammt noch mal, Spaß macht. Das Zeitalter des Plu-ralismus ist da. Es spielt keine Rolle mehr, was man macht – das ist es, was Pluralis-mus bedeutet. Wenn die eine Richtung so gut ist wie die andere, ist der Begriff der Richtung nicht mehr anwendbar.“64

Die Kunst nach dem Ende der Kunst hat sich somit für Danto von scheinbar jeg-licher historischen Verbindlichkeit befreit. Damit sei auch das Ende jener Instituti-onen der Kunstwelt besiegelt, die – wie Museen, Galerien, private Sammlungen, Ausstellungen und Kunstjournalismus – auf der Geschichte der Kunst basierten und das Neue in der Kunst bestimmten.

1.3 Andy Warhols Brillo Boxes

Im Kontext von Dantos kunstphilosophischen Schriften bildet der Aufsatz „Das Ende der Kunst“ insofern eine Ausnahme, als Danto hier seine These vom ‚Ende der Kunst‘ nicht in Verbindung mit Andy Warhol, beziehungsweise der Pop Art,

61 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 141. 62 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 141. 63 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 144. 64 „Das Ende der Kunst“, in: Entm, S. 144f. Dantos Darstellung des Kunstschaffens im posthisto-

rischen Zeitalter ist Marx’ und Engels Vision der kommunistischen Gesellschaft entlehnt, der zufolge es möglich sei, „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fi-schen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe; ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ (Marx/Engels 1932; 1969, S. 33).

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